Montag, 7. September 2009

Birgit Cerha: Die Schlacht tobt weiter

Irans neue Regierung der Ultras kämpft mit einer schweren Legitimationskrise – Khamenei baut neues Machtzentrum auf

Kaum ein paar Tage konnte Mahmut Ahmadinedschad seinen Triumph auskosten. Die Freude, dass das von konservativen „Prinzipientreuen“ dominierte Parlament nur drei seiner Ministervorschläge zurückwies, ist rasch verflogen. Über der erhofften „neuen Ära“ der Kooperation zwischen den Madschlis (Parlament) und Präsidentschaft ziehen düstere Wolken auf. „Warum nur“, wettert Ahmadinedschads Presseberater Javanfekr, „zog Bahonar (der stellvertretende Parlamentspräsident) die starke Zustimmung der Abgeordneten für die Ministervorschläge in Zweifel und dies auch noch in der schlimmsten möglichen Weise?“

Tatsächlich könnte nichts Ahmadinedschads schwer angeschlagene Position deutlicher beweisen, als die Bemerkung Bahonars, dass „acht oder neun“ der 21 Ministerkandidaten vom Parlament zurückgewiesen worden wären, hätte sich nicht der „Geistliche Führer“ Khamenei so intensiv für die Billigung aller eingesetzt. Und trotz dieser einzigartigen Aktion des „Obersten Rechtsgelehrten“, lehnten die Parlamentarier drei designierten Regierungsmitglieder ab.
Der heftige Machtkampf, der seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom 12. Juni zwischen wichtigen Teilen der konservativen Elite und Ahmadinedschad tobt, hatte sich bei einem wilden Schlagabtausch in den Madschlis öffentlich entladen. Ungehemmt zeigten die Deputierten ihre Animositäten gegenüber dem Präsidenten, der sich mit inkompetenten „Ja-Sagern“ umgebe. Das Ministeramt sei kein „Ort für Probespiele“, empörte sich Parlamentspräsident Ali Laridschani. Dieser offene Konflikt mit dem konservativen Machtestablishment bedrohte nicht nur die Position des Präsidenten, sondern das gesamte System so massiv, dass sich Khamenei zur Intervention entschloss. Der Imageverlust für den Präsidenten, die Zweifel an der Legitimität seiner Regierung könnten kaum gravierender sein.

Zwar sitzen nun seine stärksten Verbündeten aus den Revolutionsgarden auf den wichtigsten Ministerposten (Innen-, Geheimdienst-, Verteidigung u.a.), dennoch halten politische Beobachter in Teheran diese Regierung für „die schwächste seit der Revolution“ 1979. Mahnungen, wie jene Ayatollah Emami Kaschanis, die Fraktionen sollten sich lieber „auf den Export der Revolution“ konzentrieren, statt untereinander zu streiten, unterstreichen diese Schwäche noch.

Die Fronten sind abgesteckt. Ungeachtet von Massenprozessen, brutal erzwungenen TV-„Geständnissen“ führender Oppositioneller und des jüngsten offenen Vorwurfs des Chefs der Revolutionsgarden Mohammed Ali Jafari gegen die Führer der Bewegung „Grüner Pfad der Hoffnung“ verstummt der Widerstand gegen die als illegal empfundene Wahl Ahmadinedschads nicht. Jafari bezichtigte Ex-Präsident Khatami und dessen Mitstreiter Karrubi und Mussawi offen des „Verrats“. Khatami hätte nach Aussagen von inhaftierten Oppositionellen die Abschaffung von „Rahbari“ (Amt des höchsten Führers) betrieben. Zuvor hatte schon Ahmadinedschad wiederholt eine uneingeschränkte Bestrafung der Drahtzieher der Massenproteste gefordert. Oppositionskreise befürchten nun, Jafari habe den Auftakt für noch weitreichendere „Säuberungen“.gesetzt.

Doch Mussawi läßt sich nicht einschüchtern: „Wir stellen sehr klare und logische Forderungen. Wir verlangen die Bewahrung der Islamischen Republik und die Stärkung der nationalen Einheit.“ Über Facebook, dem einzig ihm verbliebenen Kommunikationskanal zu seinen Anhängern, ruft er zu einer Massenversammlung am 18. September auf, dem „Quds“-(Jerusalem)-Tag, an dem Ex-Präsident Rafsandschani das Freitagsgebet halten soll. Doch welche Rolle spielt Rafsandschani heute, nachdem er sich zunächst hinter die Grüne Bewegung gestellt und offen Repression, aber auch den „Führer“ kritisiert hatte? Am 22. August rief er plötzlich die Iraner zum Gehorsam gegenüber Khamenei auf. Hat er, getrieben von persönlichem Machtinteresse, die Fronten wieder gewechselt?

Würde das islamische System eine Verhaftung Khatamis, Mussawis und Karrubis verkraften? Dass selbst Khamenei daran zweifelt, läßt sich deutlich erkennen und daraus schöpfen diese Drei ihre anhaltende Widerstandskraft. Doch Ahmadinedschad und seine mächtigen Hintermänner, die Revolutionsgarden, haben einen klaren Masterplan, den sie Schritt um Schritt durchzusetzen suchen: die völlige Ausschaltung der Reformer, massive Unterdrückung jeder oppositionellen Bewegung, totale Militarisierung der Politik. Gab Ahmadindeschad bisher strengstens Geheimgehaltenes preis, als er während einer Parlamentsdiskussion meinte: „Wir sollten die Verantwortung zur Führung des Landes von den Schultern des Höchsten Führers nehmen“? Von religiöser Seite abgestützt wird er von seinem geistlichen Mentor Ayatollah Mesbah Yazdi: „Ein vom Führer (Khamenei) eingesetzter Präsident regiert mit göttlicher Autorität.“

Dass Khamenei die Macht Ahmadinedschads einzuschränken sucht, lässt sich deutlich erkennen. Im Gegensatz zum Team des Präsidenten aber verfolgt der „Führer“ keine klare Strategie. „Einen Schritt auf die Reformer zu und zwei zurück zu den Reaktionären“, so charakterisiert ein iranischer Politologe die oft widersprüchlichen Manöver des „Führers“. Durch Vorwürfe der Misshandlung von Gefangenen unter Druck gesetzt, wich Khamenei nun von der Forderung nach totaler Intoleranz gegenüber der Opposition ab und verlangt „Gerechtigkeit“ für gequälte gefangene Demonstranten. Bestrebt, die Wogen zu glätten, die Brüche in Gesellschaft und Regime zu kitten, hat er begonnen, ein neues Machtzentrum aufzubauen, das den Präsidenten kontrollieren und ihm Grenzen setzen soll. Die einflussreichen Brüder Laridschani, erzkonservativ und Khamenei treu ergeben, haben diese Funktion übernommen. Söhne eines einst hoch angesehenen Großayatollah haben sie in den höchsten Kreisen der Geistlichen und anderen Teilen des Establishments viele Freunde.

Ali Laridschanis Beziehung zu Ahmadinedschad prägt eine bittere persönliche Animosität, die weniger auf politischer Basis ruht, als auf einer tiefen Abneigung des grobschlächtigen Regierungsstils. Seit Ausbruch der jüngsten Krise hat Ali Laridschani Ahmadinedschad so manches Messer in den Rücken gestoßen, etwa als er demonstrativ der (Wahl-)Siegesfeier fernblieb, eine Kommission zur Untersuchung der Brutalitäten an Gefangenen einberief und wiederholt offen Ahmadinedschad vorwarf, er hätte den Iran in eine schwere Krise und die totale Isolation getrieben.

In das selbe Horn bläst auch Ayatollah Sadek Laridschani, Alis jüngerer Bruder, den Khamenei zum neuen Justizchef bestellte. Wiewohl auch er als regimetreuer Hardliner gilt, ließen deutliche Worte bei seiner Amtseinführung aufhorchen: „Niemand sollte es wagen oder sich das Recht nehmen, gegen das Gesetz zu handeln, Menschenrechte zu verletzen oder die Menschen ihrer Sicherheit oder ihres Seelenfriedens zu berauben.“ Danach entließ er Generalstaatsanwalt Said Mortasawi, der für die Verhaftungswellen verantwortlich ist und sprach sein tiefes Unbehagen über die TV-„Geständnisse“ aus. Als weiteren direkten Affront gegen Ahmadinedschad ernannte Sadek Laridschani den vom Präsidenten wegen „Illoyalität“ entlassenen Geheimdienstminster Gholem Mohseni Ejeri zum neuen Generalstaatsanwalt. Die beiden Laridschanis sind dabei, eine „dritte Kraft“ im „Gottesstaat“ aufzubauen und durch ihre Kontrolle von zwei Regierungszweigen – Parlament und Justiz – Ahmadinedschad enge Grenzen zu setzen.

Die anhaltenden internen Rivalitäten, ebenso wie die Zusammensetzung der neuen Regierung drohen allerdings Irans außenpolitischen Manövrierraum einzuschränken. Die Wahl des von Interpol wegen Planung eines Anschlags auf ein jüdisches Kulturzentrum in Argentinien 1994 (85 Tote und 300 Verletzte) gesuchten Ahmad Wahidi zum Verteidigungsminister gilt als offener Affront der Amerikaner und Europäer kurz bevor die von US-Präsident Obama für Ende September gesetzte Frist zur Aufnahme von Gesprächen über das umstrittene Atomprogramm abläuft. Während sein Verteidigungsminister harte Töne anschlägt, signalisiert der Präsident Gesprächsbereitschaft. Ein umfangreiches Vorschlagspaket für die Normalisierung der Beziehungen will er den Amerikanern übergeben: „Iran ist für alle Diskussionspunkte offen.“ Dass das Paket jedoch die vom Westen geforderten Zugeständnisse in der Atomfrage enthält, ist unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte der Präsident das Gespräch suchen, um Zeit zu gewinnen und das Atomprogramm voranzutreiben. Zugleich hat er mit Wahidi einen in der Organisation von Gewaltakten erfahrenen Militär an der Seite, der – mit Hilfe von Verbündeten - schmerzvolle Aktionen gegen die USA im Irak, in Afghanistan, am Persischen Golf oder vom Libanon aus gegen Israel setzen kann, sollte neue UN-Sanktionen all zu hart ausfallen oder Israel gar einen Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen riskieren.


Erschienen im Rheinischen Merkur am 10.9.2009

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