Mittwoch, 12. August 2009

Birgit Cerha: Öl und Gas vergehen, doch das Wissen bleibt

Mit einer Jahrhundertstrategie will Katars Herrscherpaar das winzige Gasreich zu einem Modellstaat für die gesamte Region entwickeln

„Wenn eines Tages Öl und Gas in unserem Boden erschöpft sind, werden wir nicht wieder auf unsere Kamele steigen“, scherzte Emir Hamad bin Khalifa jüngst bei einem Besuch in den USA. Deshalb hat der 57-jährige Herrscher Katars eine Jahrhundertstrategie entworfen, die den Ministaat im Persischen Golf zu einem Modell erheben soll für die gesamte Region. Die Ansätze sind viel versprechend. Um sie weiter auszubauen haben sich der Emir und sein engstes Beraterteam auf die Suche nach lukrativen Industriebeteiligungen begeben, in die sie wenigstens einen Teil ihres überschüssigen Kapitals aus den Öl- und Gasexporterträgen fließen lassen können. Angesehene Marken, Zukunfts- und Umwelttechnologie und Know-how genießen bei den Einkäufen höchste Priorität. Eine Milliardeninvestition bei Porsche soll nun einen Höhepunkt dieser ehrgeizigen Vorsorge für die Zukunft bilden.

Emir Hamad liebt Porsche, und das tut auch seine schöne Frau Mozah Bint Nasser al Missned. In ihrem stattlicher Familien-Fuhrpark stehen gleich mehrere Exemplare der schwäbischen Sportwagen. Die Scheichin, so wissen Eingeweihte, soll treibende Kraft des Einstiegs in diesen prestigeträchtigen Autoproduzenten sein, den Katar von einem Teil der offiziell etwa zehn Mrd. Euro Schulden befreien und damit zu einem Großaktionär aufsteigen will.
Wiewohl ausgebildet an der britischen Militärakademie Sandhurst, entwickelte sich der Herrscher dieses kleinen, erzkonservativen Reiches weit mehr zum Diplomaten und Unternehmer, denn zu einem Militär. Und er ist ein begeisterter Sportfan, der der mit großem persönlichen Einsatz die Leichtathletik in seinem Reich aufbaute und förderte, so dass einer der heimischen Sportler gar eine olympische Medaille errang.

Gemeinsam mit seiner „First Lady“ hat Hamad Katar auf die politische und ökonomische Landkarte gesetzt. Das Emirat und Hamed, so scheint es, mischen heute überall mit und Mussa gilt als die wichtigste treibende Kraft – und dies gar nicht nur im Hintergrund. Ganz offiziell ist ist die heute 50-Jährige seine wichtigste Beraterin. „Ihre Hoheit ist das Beste, was Katar je geschah“, umreißt ein junger Student eine im Emirat weit verbreitete Überzeugung. „Sie inspiriert uns total. Seit sie (an der Seite ihres Manne) an die Macht kam, hat sich Katar um hundert Prozent gewandelt“. Die Scheichin pflegt solches Lob bescheiden abzuwehren. Vielmehr sei es der Emir, der sie inspiriere. „Ich lebe an seiner Seite und kenne seine Sorgen, seine Hoffnungen und seine Träume für sein Volk.“ Und gemeinsam seien sie überzeugt, dass man die Zukunft nach einem Plan entschieden gestalten müsse und nichts dem Zufall überlassen dürfe. Und dies tut das Herrscherpaar tatsächlich gemeinsam.

Sie war erst 18, als die bildhübsche Tochter des bürgerlichen Nasser Abdullah Al-Missned und Soziologiestudentin 1977 die Aufmerksamkeit des damaligen Kronprinzen auf sich zog. Hamad ließ sie nicht mehr gehen. Er nahm sie zu seiner zweiten Frau und eine dritte folgte ihr. Doch Mussa ist seine Liebste. Sie schenkte ihm sieben seiner 27 Kinder. Sie unterstützte ihn in der turbulenten Zeit, als er 1995 seinen gerade in der Schweiz weilenden Vater stürzte, weil dieser Katars Entwicklung dramatisch gehemmt hatte. Seither hat das königliche Paar gemeinsam die Wirtschaft und Politik des Landes modernisiert und den Weg in eine prosperierende Zukunft geöffnet.

In der Region zählt Hamed, trotz der Winzigkeit seines Reiches heute zu den führenden Herrschern. Er pflegt gute Beziehungen zum Iran wie zu Israel, beherbergt das Hauptquartier der US-Truppen im Mittleren Osten, spielt den Gastgeber für unzählige politische Konferenzen, die Welthandelsrunde, die Arabische Liga, den Golfkooperationsrat, die Opec, engagiert sich als Vermittler in regionalen Konflikten, sei es zwischen den Palästinensern der Hamas und Fatah oder den zerstrittenen Libanesen. Sein politisches Engagement treibt manchmal allerdings auch seltsame Blüten. So veranstaltete Katar im März 2003 eine Sitzung der Islamischen Konferenz-Organisation, die die US-Invasion des Iraks gerade zu dem Zeitpunkt verhindern sollte, als vom US-Militärstützpunkt in Katar die ersten Kampfflugzeuge Richtung Norden aufstiegen. Dem Emir liegt enorm viel an guten Beziehungen zu den USA, und um diese zu stärken lädt er häufig israelische Führer nach Katar ein.

Die kluge, weltoffene Mozah stürzte zunächst die erzkonservativen Kataren in einen Schock, als sie erstmals unverschleiert in der Öffentlichkeit eine Rede hielt. Doch bald gewöhnten sich die Bürger an die für die Region so ungewöhnlichen öffentlichen Auftritte der schönen First Lady an der Seite ihres Mannes. Doch dies war erst der Anfang. Unterdessen engagiert sie sich in vielen Bereichen des Landes, von öffentlichem Transport für ausländische Arbeitskräfte, über die ersten Frauenhäuser, Gotteshäuser für Nicht-Muslime und viele soziale Fragen. Das Hauptinteresse dieser hart arbeitenden, energischen und zielbewussten Scheichin, die heute auf der Forbes-Liste der mächtigsten Frauen der Welt den 79. Platz einnimmt, aber gilt der politischen Reform und Entwicklung in ihrem Land und insbesondere dem Bildungswesen. Auf ihren Einsatz geht die Einführung des Frauenwahlrechts zurück, eine Seltenheit in den erzkonservativen Golfstaaten. Sie leitet die „Qatar Foundation“, die das kleine Land zu einem Hochschul- und Forschungszentrum machen will und bereits sechs amerikanische Spitzenuniversitäten auf einem Campus nahe der Hauptstadt Doha angezogen hat. Die von internationalen Stararchitekten hochgezogenen Universitätsgebäude, in die Katar im vergangenen Jahrzehnt rund eine Milliarde Dollar investiert hatte, lassen die unter dem Spardruck leidenden europäischen Akademiker vor Neid erblassen. „Öl und Gas“, so Mozahs Wahlspruch, „werden irgendwann zu Ende gehen. Das Wissen bleibt.“ Qatar soll sich vom Energielieferanten zum Bildungsstandort für die gesamte Region wandeln.

Solche Vision freilich quälen erzkonservative Islamisten-Führer in der Region gleich den schlimmsten Alpträumen. Nicht nur sitzen US-Militärs auf Stützpunkten in Katar, sie dringen auch in die Klassenräume der islamischen Heimatländer ein.

„Keine Angst vor Freiheit“, lautet das Motto der Scheichin, das benachbarten erzkonservativen Herrschern das Gruseln über den Rücken jagt. Bildung der Bürger sei die wichtigste Waffe gegen Extremismus und Terrorismus, betont Mozah immer wieder. Und sie tut viel, um das kritische Denken ihrer Bürger zu fördern. So gründete sie etwa nach dem Vorbild der politischen Debatten der britischen „Oxford Union“ die „Doha Debates“, zu denen allmonatlich vor allem junge Kataren und interessierte Bürger aus der ganzen Region geladen werden. Bei den von BBC geleitete Diskussionen ist kein Thema Tabu. „Wir glauben“, erklärt Mozah, „durch die Ermutigung des kritischen Denkens und Förderung von Wissen schaffen wir vielseitige Menschen und werden damit die Gesellschaft Katars aufbauen und entwickeln können.“

Durch eine kluge Investitionspolitik will das Herrscherpaar seinem kleinen Völkchen eine würdevolle Zukunft in Wohlstand sichern. Und diesem Ziel soll auch die Beteiligung bei Porsche dienen.


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Info-Kasten


Zwergstaat mit gigantischem Reichtum

Halb so groß wie Hessen, wurde Katar einst als der „langweiligste Flecken der Erde“ verspottet. Wiewohl schon zur Steinzeit besiedelt, ist diese schmale ovale Halbinsel heute eines der trockensten Gebiete der Welt, unfruchtbar, verödet, noch unwirtlicher als die anderen arabischen Wüstenstaaten. Salzsümpfe und Wüstenstreifen trennen Katar von der Arabischen Halbinsel. Bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts lebten die weitgehend ungebildeten Bewohner primär vom Perlenhandel und hausten in ärmlichen Lehmhütten. Heute gelten die etwa 150.000 Kataren dank des Öl- und vor allem des Gasreichtums mit einem Pro-Kopf-Einkommen von etwa 100.000 Euro als die reichsten Bürger des Planten.

Bis heute ist Katar noch in hohem Maße auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, die etwa vier Fünfte der Gesamtbewohner von geschätzten 1,6 Millionen Menschen ausmachen. Und das Bevölkerungswachstum liegt wegen des zunehmenden Bedarfs an Arbeitskräften bei etwa zwölf Prozent. Im Gegensatz zu seinem Vater, der das Staatsvermögen in stattlichen Mengen in die Schweiz transferierte, bemüht sich Emir Hamed bin Khalifa um eine halbwegs gerechte Verteiligung der materiellen Schätze des Landes. Bildung ist für die Bürger kostenlos und nirgends sonst wo auf der Welt ist dank staatlicher Subventionen die Sportwagendichte so große wie in Katar.


Wirtschaftsboom trotz weltweiter Krise


Während die Ölschätze bald zur Neige gehen, verfügt Katar nach Russland und dem Iran über die drittgrößten Erdgasvorkommen der Welt. 14,4 Prozent aller bekannten Gasvorkommen liegen unter seinem Boden. 2005 hat der Emir, der seit seiner Machtübernahme energisch die Gasförderung betreibt, den Staatsfonds „QIA“ (Qatar Investment Authority) gegründet. Er verfügt über einen geschätzten Kapitalstock von 60 Mrd. Dollar und jedes Jahr stehen aus diesem Fonds weitere 20 Mrd. zur Verfügung. Seit Beginn der Finanzkrise erwarb QIA, der sich mit einem Schleier des Geheimnisses umhüllt, etwa 16 Prozent an der britischen Barclays-Bank und zehn Prozent an Credit Suisse. Hamades lukrativstes heimisches Projekt ist Ras Laffan, eine Flüssiggasanlage, die nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds 77 Mio. T. pro Jahr produzieren und Katar damit über fünf Jahre Exporteinkommen von etwa 292 Mrd. Dollar sichern soll. Gemeinsam mit einem neuen Petro-Chemieprojekt soll damit das Bruttoinlandsprodukt bis 2010 um durchschnittlich real etwa 17 Prozent steigen, wohl ein Weltrekord. Deshalb auch hält die Regierung unverändert an ehrgeizigen Bau- und Infrastrukturvorhaben fest.



Reform-Modell


Emir Hamed bin Khalifa und seine „First Lady“ Mozah gelten heute als die reformfreudigsten Führer der arabischen Welt, bemüht, den traditionellen Konservativismus ihres Volkes mit der Vision eines technologisch modernen Staates mit kultureller Vielfalt zu vereinen. Katar beherbergt heute die freiesten Medien der arabischen Welt. Der Satellitensender Al Jezira wird vom Emir weitgehend finanziert, versagt sich allerdings auffällig Kritik am Herrscherhaus. Mit dem Ziel, sich schließlich der ganzen Region als Modell-Staat mit liberalen Zügen zu präsentieren erhielt Katar 2003 seine erste Verfassung, die die Demokratisierung des Golfstaates einleitete. Sie machte den Weg frei für die ersten Parlamentswahlen, bei denen Frauen und Männer gleichermaßen wählen und gewählt werden durften. Frauen bekleiden heute Regierungsämter, sie dürfen anders als im benachbarten Saudi-Arabien Autos chauffieren, auf den Küsten Bikinis tragen und müssen sich insgesamt keinen Kleidervorschriften unterwerfen. In Hotels wird Alkohol serviert und 2008 wurde die erste christliche Kirche eröffnet. Während das Herrscherpaar zwar grundsätzlich Meinungsfreiheit und den Aufbau einer Zivilgesellschaft fördert, ist der Emir laut Verfassung absoluter Herrscher, der Katar wie sein eigenes familiäres Lehenswesen reigert.