Sonntag, 2. August 2009

Birgit Cerha: Massenprozeß gegen Irans Opposition

Radikale Führer beginnen eine neue Phase brutaler Einschüchterung – Prominenten Reformern drohen schwerste Strafen

Sieben Wochen nach der heiß umstrittenen Präsidentschaftswahl im Iran begann Samstag vor einem Revolutionsgericht in Teheran ein einzigartiger Massenprozess gegen etwa hundert Personen, die das Regime für die heftigen Proteste gegen den offiziell verkündeten Wahlausgang und die zahlreichen Toten und Verwundeten verantwortlich macht. Es ist das erste Mal seit der islamischen Revolution vor drei Jahrzehnten, dass so viele prominente Politiker und hohe Beamte vor Gericht stehen. Unter ihnen ist der Geistliche Mohammed Ali Abtahi, Vizepräsident unter Reformpräsident Mohammed Khatami von 2001 bis 2004 und Leiter eines Instituts für interrelgiösen Dialog, Mohsen Mirdamadi, Führer der größten Reformpartei, der „Islamischen Beteiligungsfront des Iran“, Behzad Nabavi, ehemalige Industrie-Minister und stellvertretender Parlamentssprecher unter Khatami, sowie Mohsen Aminzadeh, stellvertretender Außenminister ebenfalls unter Khatami.

Eine unabhängige Berichterstattung über den Prozessverlauf ist nicht möglich, da ausländische und unabhängige iranische Medienvertreter ebenso wenig zugelassen sind, wie die Angehörigen der Angeklagten oder Anwälte. Auf einem offiziell verbreiteten Video ist eine hohe Zahl von Angeklagten in hellblauer Gefängniskleidung zu erkennen. Die amtliche Nachrichtenagentur Fars berichtete, Abtahi, der zuletzt als Wahlberater des Reformkandidaten Mehdi Karrubi aufgetreten war, hätte „gestanden“, dass die Behauptungen über Wahlfälschungen „grundlos“ gewesen seien. Und er habe unter Tränen erklärt, dass er Iraner „aufgehetzt und Unruhen geschürt“ hätte. Auf dem Gerichts-Video war Abtahis totale Erschöpfung klar zu erkennen. Die iranische Justiz besitzt über reiche Erfahrung, „Geständnisse“ von politischen Gegnern durch Folter zu erzwingen.

Abtahi mundtot zu machen, liegt in höchstem Interesse der Radikalen. Er ist nicht nur einer der engagiertesten Reformer im „Gottesstaat“, sondern der erste und bisher einzige Geistliche, der einen Blog führt, der zu einem wichtigen Forum für reformorientierte Politiker, Aktivisten und deren Sympathisanten wurde. In seinem Blog, in dem er weit über Irans Grenzen hinaus Berühmtheit erlangte, behandelt Abtahi politische, ökonomische und soziale Fragen und richtet sich vor allem an die jungen Iraner. So kritisierte er jüngst vor allem die immer brutaler zuschlagende „Sittenpolizei“, beschuldigte aber auch offen Ahmadinedschad der „Lüge“ und setzte sich intensiv für Karrubi und dessen Reformideen ein. Er wurde zu einer Art Leitfigur der Internetszene und hatte pro Tag bis zu 30.000 Clicks und mehr als hundert Kommentare. In seinem – bisher – letzten Blog am Tag nach der Präsidentschaftswahl, empörte er sich am 13. Juni vehement gegen den „Wahlbetrug“. Mit Abtahi hofft das Regime wohl, die gesamte, trotz aller Repressionen immer noch rege Internetszene zu brechen.

Die Anklagepunkte gegen Abtahi und seinen Leidensgefährten reichen laut staatlichen Medien von Aufruhr, Vergehen gegen die nationale Sicherheit, bis zur Verschwörung gegen das herrschende Regime durch Organisierung einer „samtenen Revolution“. Als besonders bedrohlich gelten Vorwürfe von Verbindungen zu „anti-revolutionären Gruppen“, gemeint sind die Volks-Mudschaheddin, der „Staatsfeind Nummer Eins“, der durch seine Terrorakte zu Beginn der Achtziger Jahre fast die gesamte islamische Führung jener Zeit ermordet hatte.

„Fast alle Verhafteten haben inzwischen gestanden“ triumphiert Mojtaba Zolonour, Verbindungsmann des „Geistlichen Führers“ Khamenei zu den Revolutionsgarden. „Einige der Verschwörer“, berichtet die Nachrichtenagentur „Fars“, seien noch auf freiem Fuß, „doch sie werden ohne Zweifel von unserem geliebten Volk identifiziert und der Justiz übergeben werden“.

Die Namen der Angeklagten wurden ebenso wenig bekannt gegeben, wie die weitere Verfahrensweise nach dem ersten Prozesstag. Auch über das drohende Strafmaß herrscht Unklarheit, zweifellos eine Methode, die Familienangehörige und Hunderttausende Sympathisanten vollends einzuschüchtern. Nach einigen Berichten haben Angeklagte, wenn schuldig gesprochen, mit einer Maximalstrafe von bis zu fünf Jahren Gefängnis zu rechnen. Sollten Protestteilnehmer allerdings vom Revolutionsgericht als „Mohareb“ („Feinde Gottes“) eingestuft werden, drohe ihnen die Todesstrafe, ebenso wie in Fällen der „Gefährdung der staatlichen Sicherheit“.

Der Zeitpunkt und das Ausmaß des Prozesses kamen unerwartet und werden weithin als neue Stufe der Repression angesehen, um die Menschen vor weiteren Protesten abzuschrecken, insbesondere vor der für 5. August geplanten Inauguration Ahmadinedschads. Doch erste Reaktionen in der Blog-Szene lassen erkennen, dass eine wachsende Zahl von Iranern ihre Angst vor dem Regime und dessen Handlangern zu verlieren beginnt. Viele Blogger feiern die Angeklagten als „nationale Helden“ und rufen zu neuen Demonstrationen auf. Selbst hohe Geistliche, wie Ayatollah Nasser Makarem Schirasi, wenden sich gegen den Massenprozess und rufen zur Freilassung der Demonstranten auf.

Der prominente iranische Journalist Akbar Gandschi, der in der Vorwoche drei Tage lang in Hungerstreig trat, um gegen die Masseninhaftierungen zu protestieren, appelliert an die internationale Gemeinschaft, die iranischen Führer für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. „Wir werden den Weltsicherheitsrat aufrufen, den Fall Iran vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Hag zu bringen. Wir werden Unterschriften vieler Iraner unter einem diesbezüglichen Brief sammeln.“

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