Immer lauter wird der Ruf nach Rückkehr der Militärs – Doch gravierende
Repressionen bringen die Offiziere in
Misskredit und verschlimmern die Hoffnungslosigkeit
von Birgit Cerha
„Nach mir das Chaos.“
Wie andere Diktatoren in der Geschichte suchte auch Ägyptens „Pharao“
Hosni Mubarak in den Tagen größter Not, während der Rebellion im Januar und
Februar 2011, zu diesem Leitspruch
Zuflucht, von dem er hoffte, er werde seine Macht retten. Es half nichts. Wenn
der 85-Jährige heute, Samstag, mehr als zwei Jahre nach seinem dramatischen
Sturz wieder vor seine Richter tritt, oder wie im ersten Prozess 2011 auf einem
Krankenbett in den Gerichtssaal geschoben wird, dann wird er sich wohl
schmerzlich bestätigt finden. Keineswegs nur seine Anhänger haben längst
begriffen, dass sich Ägyptens Absturz in die Katastrophe kaum noch verhindern
lässt.
So verwundert es auch nicht, dass der erneut aufgerollte
Prozess gegen den Diktator, dessen beide Söhne, einst Symbole für Macht und
Reichtum, und den ehemaligen
Innenminister Habib al Adly, sowie sechs Sicherheitschefs wegen Verschwörung
zum Mord und versuchten Mord von Hunderten friedlichen Demonstranten zwischen
dem 25 und 31. Januar 2011 am Nil kaum noch Interesse weckt. So gering
angesichts der dramatischen Entwicklungen im heutigen Ägypten ist die Bedeutung
geworden, die der Großteil der Bevölkerung einer Abrechnung mit der
30-jährigen, teils sehr brutalen und sehr korrupten Diktatur Mubaraks beimisst.
Vor zwei Jahren hatten die Ägyptens Revolutionäre den „ Prozess des
Jahrhunderts“ gefeiert, denn zum ersten Mal in der arabischen Welt musste sich
ein vom Volk gestürzter Diktator persönlich vor dem Richter für seine Taten
verantworten. Lebenslange Haft hatte Mubarak dafür erhalten. Nun wurde der
Prozess wegen Verfahrensmängeln neu aufgerollt mit neuen Korruptionsvorwürfen
gegen gestürzten Diktator angereichert.
Doch Abrechnung mit jener Clique, die sie gewaltsam unterdrückt
und bestohlen hatte, ist längst nicht mehr das Hauptanliegen der Mehrheit des
ägyptischen Volkes. Vielmehr quält viele Ägypter die Sorge, dass sich die
Geschichte – unter anderen, islamistischen Vorzeichen – wiederholen, ja das
Land ins totale Chaos stürzen könnte. „Der Staat bricht zusammen, politisch,
ökonomisch, sozial und im Sicherheitsbereich. Ich glaube nicht, dass uns noch
viel Zeit bleibt“, um Ägypten zu retten. Kaum alarmierender könnte die Warnung
Mohammed el Baradeis, des Friedensnobelpreisträgers und derzeitigen Chefs der säkularen
oppositionellen „Nationalen Rettungsfront“ (NRF) klingen. Mursis, des
islamistischen Präsidenten, Ägypten schlittert mehr und mehr außer
Kontrolle und – was vielleicht noch
schlimmer erscheinen mag – die Suche nach einer Alternative wird immer
hoffnungsloser.
Politisch herrscht Stillstand: die säkulare Opposition unter
Führung von Baradei boykottiert die von einem Gericht erzwungene Verschiebung
der Parlamentswahlen auf September. Der Aufbau eines neuen demokratischen
Ägyptens wird durch die fehlende Beteiligung säkularer Kräfte, die die
Revolution getragen hatten, blockiert. Mursi herrscht ohne Parlament auf der
Basis eines Pakts mit dem von ihm pro- forma entmachteten Militär , das sich
nach einer äußerst problematischen Übergangsphase, der Offiziere des „Höchsten
Militärrates“ die Macht übernommen hatten, nicht mehr um Politik und
Aufrechterhaltung der Sicherheit im Lande kümmert, sondern um die Erhaltung und
Vermehrung seiner vor allem ökonomischen Privilegien. Bis zu 40 Prozent der
ägyptischen Wirtschaft werden nach Schätzungen von den Streitkräften
kontrolliert.
Ägyptens Bauern warnen vor einer großen “ Revolte der
Hungernden“, wenn sie zur Erntezeit im Mai weiterhin keinen Treibstoff finden.
Mursi hat es nicht geschafft, den „Internationalen Währungsfonds“ für den so dringend benötigten Kredit von 4,8
Mrd. Dollar zu gewinnen. Nur die Golfstaaten, allen voran Katar, helfen. Doch
die Devisenreserven sind seit Dezember um 60 Prozent auf 13,4 Mrd. Dollar
geschrumpft. Arbeitslosigkeit und Elend verschlimmern sich dramatisch. Mursis
Popularität hat einen Tiefpunkt erreicht, verschlimmert durch eine drastische
Zunahme von Attacken gegen die koptische Minderheit, bei der sich die
Sicherheitskräfte des Vorwurfs nicht erwehren können, sie hätten die Angreifer
geschützt oder gar unterstützt und Mursi sich auf verbale Sympathiebezeugungen
beschränkt.
In dieser Situation nehmen die Stimmen jener zu, die nach
einer – vorübergehenden - Rückkehr der
Militärs in einer kurzen Übergangsperiode rufen, in der das Volk gegen
repressive Willkür geschützt , eine neue Verfassung erarbeitet, neue
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten würden: de facto eine
Entmachtung von Mursis Moslembruderschaft.
Mehr als eine Million Unterschriften hat eine von der Unruheregion um
Suez gestartete Kampagne zu diesem Zweck bereits gesammelt. Doch nun geraten
Ägyptens Streitkräfte zunehmend ins Zwielicht. Während der Revolution hatten
sie alles daran gesetzt, sich als Beschützer der friedlich gegen die Diktatur
demonstrierenden Masse zu präsentieren, ja sich sogar mit ihr zu solidarisieren.
Nun aber sind Details eines Berichts durchgesickert und in ägyptischen Medien,
sowie im britischen „Guardian“ veröffentlicht worden, der von einem von Mursi
eingesetzten Untersuchungskomitee verfasst worden war. Danach hat sich das
Militär während der wochenlangen Revolte gegen Mubarak brutalster
Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht. U.a. hatten Ärzte in
Militärspitälern Operationen an verletzten Demonstranten auf Anordnung von
Offizieren ohne Anästhesie durchgeführt. Von einer Reihe anderer Foltermethoden
ist ebenfalls die Rede. Können die freiheits- und demokratiehungrigen Ägypter
diesen Kräften tatsächlich vertrauen, dass sie das Land in einer
Übergangsperiode tatsächlich zu Demokratie und Freiheit führen?
Keiner – weder die Moslembruderschaft unter Mursi, noch die säkulare
Opposition - hat ein klares Konzept und
die Fähigkeit zu einer starken Führung,
um Ägypten in eine neue, stabile Ära zu führen. Der säkularen Oppositon ist
längst die „Straße“ entglitten. Berufsverbände, sozial benachteiligte Gruppen
haben gelernt, ihre Nöte durch Proteste kund zu tun, wenn nötig auch mit Gewalt. Wer kann diesem Teufelskreis noch Einhalt
gebieten?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen