Als Folge der Revolution erlebt Ägypten katastrophale Kampagne zur Zerstörung seiner
Geschichte – Welche Rolle spielen die neuen islamistischen Herrscher?
von Birgit Cerha
Frische Spuren von Motorrädern und LKWs im Wüstensand, sich
rasant vermehrende Erd- und Sandhaufen nahe von Ausgrabungsstätten, weite Gebiete
durchlöchert, wie eine Mondlandschaft: Mit blankem Entsetzen beobachten
ägyptische und internationale Archäologen die katastrophalen Folgen der seit
dem Sturz von Diktator Mubarak vor mehr als zwei Jahren errungenen „Freiheiten“
auf das Welterbe der Pharaonen. Ein Vergleich der vor und viele Monate nach der
Revolution geschossenen Satellitenbilder lässt die Experten im Schock
erstarren. „Unsere einzigartigen
Monumente sind in höchster Gefahr“, klagt Dr. Zahi Hawass, einer der einflussreichsten Ägyptologen des Landes.
„Ich habe große Angst um Ägyptens reiches archäologisches Erbe.“
Wenn die Sonne sinkt beginnt unter Ägyptens riesiger Schar
von Grabräubern hektisches Treiben. Denn glorreiche Zeiten sind angebrochen,
seit der „moderne Pharao“ Hosni Mubarak vom Thron stürzte und sein Nachfolger
das so entstandene Macht- und Sicherheitsvakuum nicht zu füllen vermag.
Plünderungen von Grabstätten sind so alt wie die Geschichte Ägyptens. Im
berühmten Ägyptischen Museum in Kairo erinnert u.a. eine Inschrift auf einem
4.000 Jahre alten Kenotaph ((Scheingrab) an eine Rebellion gegen König
Mentuhotep, in der die Armen Königsgräber gewaltsam öffneten und Gold, wie
Juwelen raubten. Hawass weist darauf
hin, dass Räuber über die Jahrhunderte Mumien aus Gräbern entfernten, die
kostbaren Grabbeigaben an sich nahmen und später ihre Familienangehörigen in
denselben Gräbern, ebenfalls mit Wertgegenständen versehen, bestatteten. Und Generation
um Generation von Grabräubern taten es ihnen gleich. „Das einzige im Laufe der
Geschichte völlig unberührt gebliebene Grab, das bisher entdeckt wurde, ist
jenes des jungen Königs Tutankhamun aus dem 13. Jahrhundert v.Chr, das 1922 in
Luxor geöffnet wurde.
Doch noch nie in der Geschichte, sagen ägyptische und internationale
Experten, seien Ägyptens einzigartige Schätze derartig massiven Attacken
ausgesetzt gewesen wie seit 2011. Im
Zuge der Revolutionswirren und des Zusammenbruchs der staatlichen Autorität hatte
sich die weithin wegen ihrer Brutalität gehasste und gefürchtete Polizei aus
den kulturhistorischen Stätten, die sie in der Ära Mubarak bewacht hatten,
zurück gezogen. Wer sich mit den alten Schätzen bereichern wollte, witterte darauf
hin einzigartige Chancen. Doch es sind keineswegs nur Gelegenheitsräuber, die
Archäologen in Panik versetzen. Die Plünderer agieren professionell, viele sind
mafios organisiert, arbeiten mit den modernsten Geräten, sind bewaffnet und
bereit, Menschenleben aufs Spiel zu setzen, zugleich mutig und hemmungslos wie
nie zuvor. Sie scheuen sich nicht, nahe der berühmtesten kulturhistorischen
Stätten Löcher und Tunnels zu graben, mitunter auch in hellem Tageslicht mit LkWs
anzufahren und geraubte Schätze einzulagern. In der Nähe der Pyramiden von Gizeh entstanden in den
vergangenen Monaten Hunderte von Löchern, von denen viele zu unterirdischen
Tunnels führen. Die Polizei entdeckte
jüngst ein riesiges Tunnelnetz im südägyptischen Luxor. Die Plünderer beginnen
ihre Grabungen häufig in der Anlage nahe berühmter Tempel oder in Wohnhäusern,
um nichtgleich entdeckt zu werden.
Besonders beunruhigen Experten systematischer Raub in der Nekropolis
von Dahschur, 40 km südlich von Kairo,
wo die ersten der klassischen ägyptischen Pyramiden stehen. Das Gebiet war bis
1996 geschlossene Militärzone. Archäologen konnten deshalb nie eine
Bestandsaufnahme machen. Man vermutet Hunderte Grabstätten unter dem Wüstensand,
wiewohl wahrscheinlich nicht so grandios wie jene im Tal der Könige bei Luxor.
Ein bisher unberührtes Grab wurde jüngst gänzlich ausgeraubt, Mumien wurden
,zerfetzt, in den Wüstensand geschleudert und niemand weiß, welche kostbare
Beigaben dieses Grab geborgen hatte.
Die Zahl der illegalen Grabungen seit Februar 2011 dürfte in
die Zehntausende gehen. Allein im ersten Jahr nach dem Sturz Mubaraks wurden
130 Versuche von Antiquitätenschmuggel registriert. Der Schwarzhandel blüht. Der
Großteil freilich bleibt unentdeckt. In
Israel etwa wurde ein grandioser Sarkopharg-Deckel aus der Zeit der Pharaonen
beschlagnahmt. 2011 wurde ein Jordanier geschnappt, als er 3.753 Artefakte aus
Ägypten zu schmuggeln versuchte. Experten fürchten nicht die Zerstörung dieser
Schätze, denn Illegale Sammler wollen sich ja an ihnen erfreuen und Schmuggler
hegen sie, um den größtmöglichen Profit zu erzielen. Aber, so ein ägyptischer
Archäologe deprimiert, der historische Kontext gehe auf diese Weise für immer
verloren.
Nach dem Sturz Mubaraks wurden monatelang gezielt, oft in
hellem Tageslicht unzählige Lagerhäuser an archäologischen Stätten ausgeraubt.
Meist schritt niemand ein. Aber auch illegale Bauten auf historischem Gelände
gefährden Ägyptens einzigartige Schätze, wie etwa jener einer hastig
errichteten Moschee nahe von Sakkara, wo die älteste Pyramide Ägyptens steht.
Die Motive für diese hemmungslosen Plünderungen sind
vielschichtig. Armut, Unwissenheit, Gleichgültigkeit gegenüber der großen
Geschichte Ägyptens, die Überzeugung, dass diese Reichtümer allen Ägyptern gehören
und vor allem die Armen ein Recht besitzen, sich mit ihrer Hilfe ein besseres
Leben zu sichern, die Hoffnungen auf plötzlichen großen Reichtum in einer Zeit
wachsender Armut und Hoffnungslosigkeit treiben viele Ägypter zu dieser so
vielversprechenden Beschäftigung, die heute
gar zu einer Art Volkssport geworden ist. Vielleicht sind es auch
Rachegefühle an der jahrzehntelangen Schikanen durch Polizei und Behörden,
die so manchen die Hemmungen für diese
Raubzüge nahmen.
Archäologen und andere Intellektuelle werfen dem
islamistischen Präsidenten Mursi sträfliche Gleichgültigkeit gegenüber der
vor-islamischen Vergangenheit des Landes vor. Tatsächlich hatte sich Mursi bis
heute weder in Wort noch in Tat für den Schutz der bedrohten Kulturgüter der
Pharaonen eingesetzt. Steckt da Ideologie dahinter? Darüber sind sich Analysten
noch nicht im Klaren. Viele Islamisten streben nach einem Bruch mit der
pharaonischen Vergangenheit. Und voll Unbehagen erinnert man sich am Nil an das
Schicksal der großen Sphinx, die die Pyramiden bewacht. Ihre Nase wurde nach
historischen Berichten schon im 14.
Jahrhundert vom Sufisten Mohammed Saim ad-Dahr aus Ärger darüber, dass Bauern
immer noch diese Ikone der vor-islamischen Vergangenheit Ägyptens verehren,
abgeschlagen. Sogar Ägyptens jüngst zurückgetretener Großmufti Ali Gomaa, einer
der einflussreichsten Islamwissenschaftler , verbot 2006 in einer
Fetwa (einem islamischen Rechtsgutachten) altägyptische Statuen in Heimen
aufzustellen. Und erst jüngst setzte sich ein salafistischer Prediger energisch
für die totale Zerstörung der Pyramiden und anderer „ Produkte einer
verdorbenen Zivilisation“ ein. Viele
Ägypter nannten Mubarak „Pharao“, um damit ihren Hass auf einen brutalen Diktator auszudrücken.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen