Mittwoch, 30. September 2009

Birgit Cerha: Irans „gute Absichten“

Wie Ahmadinedschad die Genfer Gespräche zur Stärkung seiner angeschlagenen Position nützen will

Inmitten aufgeheizter Spannungen als Folge der Enthüllung einer zweiten Atomanlage im iranischen Qom und im Westen als provokativ empfundener Raketentests durch die iranischen Revolutionsgarden, bekräftigte Irans Chefunterhändler in Atomfragen, Said Jalili, die „guten Absichten“ seines Landes für die heute, Donnerstag, beginnenden Genfer Gespräche mit den „P-5 + 1“ (den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats und Deutschland). Zugleich warnten aber Irans Parlamentarier die Weltmächte davor, „vergangene Fehler“ zu wiederholen, sondern den Atomkonflikt vielmehr aus der Sackgasse zu führen. Doch die Hoffnungen, dass dies bei den ersten Verhandlungen seit drei Jahrzehnten, an denen auch die USA als direkt engagierter Gesprächspartner teilnimmt, gelingen könnte, sind durch Irans militärisches Muskelspiel und die Entlarvung der Anlage von Qom nahezu zerstoben.

Während die Sechs den Iran zu Transparenz zwingen wollen und eine verbindliche Zusage zum Stopp der Urananreicherung anstreben, um dann über ein „Anreizpaket“ zu diskutieren, bekräftigt etwa Außenminister Mottaki Irans Entschlossenheit, in Genf lediglich über Irans jüngst den Amerikanern präsentierte Gegenvorschläge zu sprechen, über ein vage gehaltenes Konvolut internationaler Probleme und genereller Abrüstungsfragen. Das Qom-Zentrum soll gar nicht erst auf den Verhandlungstisch und an Irans nationalem Recht auf atomare Technologie und Entwicklung sei absolut nicht zu rütteln.

Präsident Ahmadinedschad beginnt diese neue Phase der Diplomatie intern durch Wahlmanipulation empfindlich geschwächt und durch die Qom-Affäre mit empörten und entschlossenen Verhandlungspartnern konfrontiert. Nach Einschätzung westlicher Diplomaten wird er versuchen, mit der Grauzone des internationalen Rechts zu spielen, darauf zu beharren, dass der Iran durch seinen Enthüllungsbrief über Qom an die UN-Atombehörde IAEA die Minimum-Erfordernisse der Organisation erfüllt hätte.

Für US-Präsident Obama dürfte sich nicht ein kriegerischer Iran am Verhandlungstisch als größte Herausforderung erweisen, sondern ein hinterlistiger. Denn Ahmadinedschad dürfte alles versuchen, um mit Hilfe der Genfer Gespräche seinen verlorenen Glanz in der Heimat wieder zu gewinnen. Und zu diesem Zweck zeigt er auch gewisse Flexibilität. Er verspricht der IAEA vollen Zugang zu Qom. Amerikanischen und anderen westlichen Wissenschaftern bietet er Mitarbeit bei dem heimischen Atomprogramm an und schlug gar vor, angereichertes Uran für medizinische Zwecke in den USA zu kaufen. Sollten die Amerikaner dies ablehnen, wäre dies nur ein zusätzlicher Beweis dafür, dass der Iran das Uran selbst anreichern müsste.. „Es ist eine humanitäre Frage …. und ein sehr seriöser Vorschlag, der eine gute Basis für den Beginn eines vertrauensbildenden Prozesses zwischen den USA und dem Iran schaffen würde“.

Der Iran könnte in Genf so manche kleine Zugeständnisse machen, wie etwa das Versprechen, die IAEA schon im Planungsstadium über Atomprojekte zu informieren. Doch die wichtigsten Forderungen der Sechs wird Ahmadinedschad weiter ablehnen, hat er doch das Atomprogramm mit iranischem Nationalismus eng verwoben und Reformer wegen deren größerer Flexibilität in dieser Frage beschimpft.

Über dem Gesprächen hängt das Damoklesschwert eines ganzen Pakets verschärfter Sanktionen, über deren schmerzhafteste – Stopp der Exporte von Ölprodukten in den Iran – allerdings unter den Sechs keine Einigkeit herrscht. Der Führer der oppositionellen „Grünen Bewegung“, Mussawi, appelliert an den Westen, doch zu bedenken, dass sich „Sanktionen gegen den Iran nicht gegen die Regierung richten, sondern gegen ein Volk, das bereits durch seine wahnsinnige Regierung zu leiden hat“.

Tatsächlich dürften Ahmadinedschad und seine Hardliners durch eine neue Sanktionsrunde, insbesondere im Bereich der Ölprodukte, enorm profitieren. So machte der Präsident jüngst gegenüber Anhängern in Teheran eine erstaunliche Aussage: „Wir sollten einen Weg finden, dass sie (neue) Sanktionen gegen uns verhängen.“ Der Iran muss 40 Prozent seines Bedarfs an Raffinerieprodukten importieren. Nach Schätzungen muss die Regierung allein für Treibstoffimporte jährlich zwei Mrd. Dollar ausgeben, und damit ein Subventionssystem aufrecht erhalten, das der großen Mehrheit der Bevölkerung erschwingliche Preise ermöglicht - eine enorme Belastung für das öffentliche Budget, die die Regierung in große Schwierigkeiten bringt, wenn der Ölpreis fällt. Ahmadinedschad präsentierte sich stets als Präsident der Armen und kann das Subventionssystem nicht drastisch kürzen oder gar abschaffen, ohne vollends das Gesicht zu verlieren. Sanktionen könnten ihn aus einer fatalen Patsche helfen, da er der Bevölkerung neue ökonomische Härten aufbürden und dafür eine feindselige internationale Gemeinschaft verantwortlich machen könnte. Das Gesicht wäre nicht nur nicht verloren, sondern iranischer Nationalismus geschürt und in Zeiten verschärfter Krise könnte er das Volk weit williger hinter sich scharen.

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Dienstag, 29. September 2009

Irans Studenten verteidigen die Geisteswissenschaften

Angesichts der drohenden Gefahr einer verschärften Islamisierung der Universitäten im Iran ist unter Studenten eine heftige Diskussion über die Bedeutung der vom „Geistlichen Führer“ Khamenei als „westliches Gift“ attackierten Geisteswissenschaften entbrannt. Wir bringen zu dieser hochinteressanten Thematik die Übersetzung der Stellungsnahme einer iranischen Studentin zu der Frage: „Warum fürchtet die Islamische Republik die Geisteswissenschaften?“

Der Text erschien auf der Website „ Iranian Progressives in Translation“
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Iran's University Students Defend the Humanities

Translated by Frieda Afary

Translator's note: The study of the humanities has become a major focus of Iranian university students during the past decade. Over half of Iran’s 3.5 million university students are enrolled in various branches of this field. In order to combat the effects of this field of study on the minds of young students, the Iranian government has launched a campaign against the humanities. At the recent shows trials of reformists, the prosecution specifically attacked western philosophers and academics for supposedly having instigated the latest protest movement.. On August 30, Ayatollah Khamenei also addressed a gathering of professors and university administrators with a stern warning. He blamed the humanities for Iranian students’ “lack of faith,” and called on professors to “identify the enemy” and to revise this field of study. Below is a response from a student at Amir Kabir University in Tehran. Amir Kabir University has been the site of several important human rights protests during the past few years.

Why Is the Islamic Republic Afraid of the Humanities?

By Abuzar
Source: http://www.autnews.cc/node/2238



The teaching of the humanities is often under scrutiny by governments and statesmen in various countries. It is under particular surveillance by those rulers and statesmen who are constantly afraid of the of dissemination of beliefs contrary to theirs. They do their utmost to set the direction and outlook of this field.

The humanities embody theories, perspectives and various political, social or philosophical schools of thought. These schools of thought develop in the context of the humanities and ultimately permeate various sectors of society.

Sociologists, legal scholars, economists, etc. are all products of the humanities. The type of government and school of thought upon which a society is based determines its laws, lifestyles, individual-social activities, and plans. Perhaps this is why rulers and statesmen with a weak power base and intolerant of dissident views are afraid of the dissemination of the humanities. From time to time, they attack or seek to revise this field.

In Iran, academics, whether students or professors, have always been highly scrutinized. If we examine contemporary Iranian history, we will see that in the past and the present, the university has been the site of critique, of opposition to , and struggles against the rulers. A great deal could be said about the influence that academics exert upon society and its political environment. However, it needs to be emphasized that this wise sector of society is constantly a source of fear for Iran’s rulers and statesmen. There is an added concern with regard to academics who represent the humanities. Rulers come to the conclusion that this sector should be either eliminated or cleansed. They [academics -- tr.] should be prevented from moving in a direction contrary to that of the rulers.

In a government like the Islamic Republic, freedom of speech and opinion only exist within the framework of the beliefs and interests held by the rulers and the system. There is no need for a person studying law, sociology, philosophy, etc. to become familiar with different philosophic schools of thought, with theories held by various intellectuals, with law as practiced in other countries, or with human rights, etc. After all, isn’t it true that in an Islamic state, all should follow a single school of thought and a single belief? And that is the school of Islam, of course as interpreted by the state authorities.

Therefore, rulers should see to it that no one strays from the path or thinks differently. And if the rulers don’t begin the surveillance at the university, the task of controlling dissident and diverse beliefs and theories in the society as a whole becomes very difficult, if not impossible. This explains why those who rule the system are concerned about the increasing numbers of students in the humanities and their own inability to control them.

Likewise, in the latest show trials, the attacks have been aimed at the humanities, intellectuals and philosophers. Even Saeed Hajjarian [former advisor to president Mohammad Khatami -- tr. ] says the following in his confessions (which are not really his own words): “Teaching the theories of the humanities in Iran’s universities has been a factor leading to waste and destruction of public property after the recent election.”

For years, the Islamic Republic has attempted to dismantle the field of humanities, and to limit it or teach it in a selective way. Years ago, it started to cleanse the universities devoted to the study of the humanities. Great scholars in various fields like sociology, psychology, law, literature, political science, etc. were expelled or forced to resign. Many students were denied an education. Many limitations were imposed on the universities. Now, the Islamic Republic is making an ultimate effort to further limit the teaching of the humanities in order to deny future Iranian society the presence of thinkers, philosophers, intellectuals, and scholars.

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Birgit Cerha: Klima der Angst an Irans Universitäten

Drei Jahrzehnte schlugen Islamisierungsversuche fehl – Nun bläst Khamenei zu einer zweiten Kulturrevolution

Ahmadi, Ahmadi, das ist die letzte Botschaft an dich, dass die Grüne Bewegung bereit ist zum Aufstand“, brüllten Studenten an der Teheraner Universität. Oppositionelle iranische Websites und Blogger melden Protestkundgebungen zu Beginn des neuen Studienjahres an diversen Universitäten des Irans. Studentenvertreterberichten meinen eine neue Atomosphäre an den höchsten Lehranstalten zu erkennen, wo massive Repressionen der vergangenen Jahre ein Klima der politischen Apathie geschaffen hatten. Die Protestwelle gegen die Manipulation der Präsidentschaftswahl im Juni hat Irans Jugend aus ihrem politischen Zwangs-Schlaf gerissen und zumindest einige von ihnen zu neuem Mut aufgestachelt. Sie lassen sich nicht mehr durch brutale Übergriffe der paramilitärischen Bassidsch, Attacken auf Schlafsäle, Schlägereien und Festnahmen einschüchtern.

Studentenaktivisten erscheinen entschlossen, der „Grünen Bewegung“ des Wahlverlierers Mussawi neue Lebenskraft zu geben. Genau dies aber befürchtet das Regime seit Wochen und warnte regelmäßig eindringlich davor, mit Beginn des Lehrbetriebes erneut politischen Aktivismus zu wagen. Einschüchterungen sind an der Tagesordnung, regelmäßig werden Studenten im ganzen Land vor „Disziplinar-Komitees“ der Universitäten geladen und für ein, zwei Semester oder mehr vom Unterricht suspendiert. Berichte, die Bassidsch, die seit der Machtübernahme Ahmadinedschads auf Universitätsgeländen stationiert sind, würden mit Waffen ausgestattet, um der Einschüchterungskampagne größere Überzeugungskraft zu verleihen, verschärfen das Klima der Angst.

Irans Studenten spielten in der Vergangenheit eine entscheidende Rolle im Ringen der Iraner für Freiheit und Demokratie, sowohl während der Zeit der Monarchie, als auch danach. Die jüngsten Demonstrationen aber hatten Angehörige aller Gesellschaftsschichten und Altersgruppen mit sich gerissen.

Der „Geistliche Führer“ Khamenei zeigt sich entschlossen, mit aller Konsequenz zu verhindern, dass nun die Studenten die Vorhut der Rebellion übernehmen. Er ließ seiner Angst vor der gebildeten Jugend des Landes freien Lauf, als er am 31. August bei einer Begegnung mit Universitätsprofessoren das „Gift“ der geisteswissenschaftlichen Lehre, den „schädlichen westlichen“ Einfluß auf das Bildungssystem für die das Regime erschütternden Unruhen verantwortlich machte. Geistes- und Sozialwissenschaft entspringe „Philosophien, die auf Materialismus“ beruhten, den Glauben an Gott und die „islamischen Lehren“ ablehnten. „Solche Studienfächer zu lehren, kommt der Propagierung von Skeptizismus und Zweifel an religiösen Prinzipien und Glaubensregeln“ gleich. Die Wissenschaften müssten, so wiederholte Khamenei einen seit 18 Jahren propagierten Auftrag, im „Kontext des Schiismus“ interpretiert werden. Und er beklagte, dass mehr als zwei Millionen Iraner an heimischen Universitäten geisteswissenschaftliche Fächer studierten.

Auch bei den Schauprozessen gegen führende Reformer und Aktivisten der jüngsten Proteste attackierten die staatlichen Ankläger westliche Philosophen und Gelehrte und beschuldigten sie der Aufwiegelung der iranischen Massen.

Erklärungen des neuen Wissenschaftsministers, Kamran Daneschju, der „neue, wert-orientierte Universitäten“ ankündigte, sowie anderer politischer Führer werden in akademischen Kreisen des Landes als Auftakt eine „zweite Kulturrevolution“ interpretiert. Die erste Kulturrevolution hatte in den frühen 80er Jahren zu einer dreijährigen Sperre der Universitäten geführt, Hunderte Professoren insbesondere der Soziologie, Psychologie, des Rechtswesens und politischer Wissenschaft u.a. von den Lehranstalten gejagt. Hatte diese Kampagne zunächst primär ein politisches Ziel, so erhielt sie rasch ein ideologisches Programm, bei dem es darum ging, den westlichen „Kultur-Expansionismus“ zu stoppen und allmählich islamische Geisteswissenschaften, sowie heimische Naturwissenschaften zu entwickeln. Das Projekt schlug kläglich fehl. Statt der versprochenen „neuen islamischen Gesellschaft“ hinterließ diese Kampagne tiefe Spuren von Gewalt und Repression, die einen drastischen Niedergang des akademischen Niveaus bewirkten. Loyalität zum Regime ersetzte im Lehrkörper wie unter den Studierenden Fähigkeit und Kompetenz. Vielen begabten Studenten wird bis heute der Zugang verwehrt, während ungebildete, aber fanatisch regimetreue Bassidschis die Studienplätze okkupieren

Sie konnte aber Lehre und freies Denken nicht blockieren. Dieser gefährlichen Entwicklung soll nun endgültig Einhalt geboten werden. Mehrere Staatsinstitutionen, darunter das vom radikalen Ayatollah Mesbah Yazdi geleitete „Imam Khomeini Forschungs-Institut“, arbeiten an einem Islamisierungsplan, der absoluten Gehorsam gegenüber dem „Führer, die Ablehnung aller modernen Konzepte von Bürgerrechten und das Bekenntnis zu einem „islamischen Staat“ auf der Basis der totalitären Interpretation des Islams durch die geistlichen Machthaber verlangt.

Studentenvertreter aber zeigen Mut zum Widerstand. Die „Islamische Gesellschaft“ an der Teheraner Amir Kabir Universität, die als Herz der Demokratie-Bewegung gilt, hält Repressionen gegen Studenten für „fruchtlos“. Das „Licht“, das durch die „wahren Werte“ erleuchtet, lässt sich nicht auslöschen, es werde vielmehr all jene verbrennen, die es zu vernichten suchen.

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Montag, 28. September 2009

IRAN: Was geschah im Iran?

Die wahrscheinlich gefälschten Wahlen in Iran haben die innenpolitische
Lage in der Islamischen Republik insofern geklärt, als sie die Standpukte der politischen Kräfte sehr klar umrissen haben. Seitdem diese bekannt sind, vor den Wahlen waren sie eher verschleiert, kann man sich auch ein Bild davon machen, was die führenden Kräfte denken; in anderen Worten, wie sie ihre eigene Lage und Aussichten einschätzen und welche ihre wichtigsten Ängste sind.


Es war in erster Linie der Herrschende Gottesgelehrte, Khamenei, der vor den Wahlen darauf bedacht war, seine eigene Meinung zurückzuhalten und die bestehenden Kräfte gegeneinander auszuspielen. Dies gewiss in der Absicht, seine eigene dominierende Position zu behaupten und womöglich weiter auszubauen. So kam es vor, dass Khamenei Präsident Ahmedinejad leicht tadelte und sich von ihm zu distanzieren schien. Doch es war auch zu beobachten dass er ihn dann wieder stark unterstützte.

Entscheidungszwang durch die Wahlen

Die Wahlen, so wie sie sich abspielten, haben dann klar gemacht, wo Khamenei in Wirklichkeit stand: nämlich auf Seiten des Präsidenten. – Warum trat er hinter ihn? Entweder, weil er seiner ideologischen, höchst radikalen Linie zustimmte, oder weil er sich gezwungen sah zwischen dem Präsidenten und seinem Lager zu wählen. Das hier angesprochene Lager Ahmedinejads ist primär durch die Revolutionswächter gegeben (englische Abkürzung IRGC). Dass Khamenei sich ideologisch voll mit dem stets radikal ausgerichteten Präsidenten identifizierte, scheint wenig glaubhaft. Schon wegen den Reservationen, die er gelegentlich ihm gegenüber zum Ausdruck brachte, aber auch wegen der sichtbaren Hyperbolik, die dem Präsidenten als sein demagogisch ausgerichtetes Markenzeichen dient. Khamenei ist kein Draufgänger wie „sein“ Präsident.

Die Angst vor der Gegenrevolution

Wenn die zweite Alternative zutrifft, muss man sich fragen, was Khamenei bewogen hat, die Seite des Präsidenten, und der hinter ihm stehenden Revolutionswächter, zu ergreifen. Der wichtigste Erklärungsansatz liegt wahrscheinlich im Bereich der iranischen Innenpolitik. Wer das Geschehen in Iran zurückverfolgt, erkennt leicht, dass die Unruhen vom Juli 1999 einen Wendepunkt darstellten. Der vorausgegangene Sieg des Reformkandidaten, Präsident Khatami, in den Präsidentenwahlen mit über 60 % aller Stimmen, kombiniert mit den Studentendemonstrationen, an denen sich auch die Stadtbevölkerung von Teheran zu beteiligen begann, muss den eigentlichen Machthabern, - Khamenei, Revolutionsgarden und Sicherheitskräften, sowie konservativen Islamischen Radikalen, damals voll solidarisch mit Khamenei--, klar gemacht haben, dass sie den Wahlen und den sich durch sie manifestiereden Wünschen der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr freien Lauf gewähren konnten, wenn sie ihre Machtposition bewahren wollten.

Sie hatten natürlich kein Interesse daran, diese Erkenntnis öffentlich zu proklamieren. Doch die Massnahmen, die sie trafen, sprachen für sich. Khamenei persönlich schränkte die Handlungsspielräume der Parlamentarier ein. Die von ihm indirekt ernannten und ausgewählten Richter schritten systematisch gegen die Pressefreiheit ein, die Präsident Khatami zu fördern suchte. Die Parlamentswahlen von Februar 2000 führten nocheinmal zu einem Sieg der Reformwilligen und auch Khatami wurde im Juni 2001 wiedergewählt. Im Juni 2003 gab es nochmals Studentendemonstrationen. Doch die Parlamentswahlen von 2004 wurden massiv „gesteuert“, indem die Vorauswahl der Kandidaten viel riguroser als je zuvor eine gewaltige Zahl von Reformkandidaten ausschaltete. Es gab neben den gerichtlichen noch andere weniger institutionelle Massnahmen, die auch zur Niederhaltung des auf Reform hoffenden Volkswillens beitrugen, etwa die massiven Drohungen, die Kommandanten der Revolutionswächter – natürlich völlig straflos - gegen Präsident Khatami und die hervorragendsten unter den Reformpolitikern ausstiessen. Sowie die Mordaktionen und die Verfolgungen, denen einige von ihnen schon damals durch Sicherheitsdienste und Geheimdienstagenten ausgesetzt waren.

Als Khatami sein zweites Mandat beendigte, sorgten im Juni 2005 weitere massive Steuerungsmassnahmen dafür, dass kein Reformkandidat sich zur Präsidentenwahl stellen konnte. Sie wurden alle in der Vorauswahl durch den von Khamenei abhängigen Wächterrat ausgeschieden. Die Stichwahl zwischen Rafsanjani und Ahmedinejad wurde dann wahrscheinlich ebenfalls durch Steuerung aus dem Hintergund entschieden. Rafsanjani war jedenfalls dieser Meinung. Dass bei dem Entscheid für Ahmedinejad auch alte Gegensätze, wenn nicht Feindschaften, zwischen Rafsanjani und Khamenei eine Rolle spielten, ist eine Vermutung, die durch die jüngsten Ereignisse mit den Stellungnahmen
Rafsanjanis gegen den Herrschenden Gottesgelehrten, gestärkt wurde.

Der Schein der Überparteilichkeit

Doch bei all diesen Schritten, die der Abwürgung der Reformtendenzen und der Machterhaltung der sitzenden Machthaber dienten, suchte Khamenei den Schein von Überparteilichkeit möglichst zu wahren. Er sorgte dafür, dass durch die Entfernung der Reformpolitiker Freiräume geöffnet wurden, in welche die konservativ islamstischen Minderheitstendenzen der Profiteure und Befürworter des Regimes einfliessen konnten. Sie sollten möglichst als die wahren Vertreter des islamischen Volkes auftreten. Er selbst versuchte sich im Hintergrund zu halten.

Überraschungen bei der Wahlkampagne

Doch die Vorsteuerung der zweiten Präsidentenwahl Ahmedinejads verlief fehlerhaft. Aehnlich wie schon bei den Wahlen von Khatami im Mai 1997 ergaben sich Überraschungen in den letzten Tagen der Wahlkampagne. Der bisher niedergehaltene Willen grosser Teile der Bevölkerung, mehr Freiheit, Mitspracherecht, Selbstbestimmung zu erlangen, drang schärfer durch als erwartet. Er fand die Kanäle, die ihm zur Verfügung standen, indem er sich für die Gegenkandidaten des Präsidenten einsetzte, obgleich diese durchaus altbewährte Politiker der Islamischen Revolution Khomeinis waren. Nur als solche hatten sie die Vorauswahl der Kandidaten überstanden.

Die unerwartete Schärfe der Diskussion in den Fernsehdebatten, zu der das stürmische Temperament Ahmedinejads viel beitrug, beflügelte den Wahlkampf und befeuerte die ursprünglich braven und wenig farbigen Gegenkandidaten, so dass sie scharf replizierten und dabei plötzlich unter der bisher zum Schweigen gezwungenen Bevölkerung laute Zustimmung, Beifall und loyale Gefolgsleute fanden.Die Begeisterung ihrer Gefolgsleute trug dann ihrerseits bei, den Auftritt der Oppositionskandidaten, Mir Hussein Moussawi und Mehdi Kharroubi, in erster Linie, zu stärken. Sie konnten sich
zu recht als die echten Vertreter der gebildeteren und der jüngeren Teile, wahrscheinlich sogar der überwiegenden Mehrheit, der gesamten Bevölkerung einstufen.

Die unerwartete Härte der Vorwahlpolemiken und der laute und zustimmende Widerhall, den die Oppositionskandidaten bei den gebildeten und jungen Iranern fanden, dürften jedoch auf der Gegenseite dazu beigetragen haben, dass das Wahlmanagement durch die von den Machthabern dazu Beauftragten hysterische und improvisierte Züge annahm. Die ausführenden Instrumente, Polizei, Geheimpolizei, Wahlhelfer und „Beaufsichtiger“, griffen sehr grobschlächtig ein, und aus der Wahlsteuerung wurde eine für grosse Teile
der Bevölkerung als solche erkennbare und erkannte Wahlfälschung.

Die Demonstrationen, die dann ausbrachen, waren die grössten, die es in Iran seit der Zeit der Khomeini Revolution gegeben hatte. Schon diese Tatsache musste als ein Alarmsignal auf die herrschenden Kreise wirken. Sie kannten alle aus eigener Erfahrung, damals standen sie auf der Seite der Strassendemonstranten, die gewaltige Kraft, die in solchen Demonstrationen des Volkswillens liegt. So ergab sich für sie die dringende Notwendigkeit, die Demonstrationen so entschieden wie möglich abzuwürgen.

Die Wahl Khamenei’s

Natürlich hätte sich Khamenei –theoretisch – auch für die gegenteilige Haltung entscheiden können; nämlich den Volkswillen zu akzeptieren und die Wahlen wiederholen zu lassen. Doch angesichts der Jahre vorausgegangener Machtkämpfe und der Stellungnahmen des Regimes gegen alle Reformen wäre dies Khamenei wahrscheinlich wenig bekommen. Er befürchtete, schwerlich zu Unrecht, dass ihn der Strom einer jeden Reformbewegung, der er nun freien Weg böte, hinwegfegen würde. In den Jahren Khatamis war ihm nur zu klar geworden, dass die Reformen für die herrschenden Altrevolutionäre wahrscheinlich den Anfang vom Ende bedeuten würden. Dies liess ihm keinen anderen Ausweg, als mit Nachdruck hinter Ahmedinejad zu treten, seine Wahl zu bestätigen, und den Repressionsapparat energisch dafür einzusetzen, dass die Proteste verstummten.

Weitere Fehlgriffe der Behörden

Auch bei diesem Einsatz gegen die Demonstranten, die ihrerseits Morgenluft witterten und ihre Manifestationen harnäckig fortsetzten, gab es Entgleisungen der Repressionskräfte, die weiter gingen als zweckmässig gewesen wäre. Die Schliessung des Foltergefängnisses von Kahrizak durch Khamenei selbst dokumentierte dies deutlich. Doch von solchen Einzelheiten abgesehen wurde sehr klar, dass der herrschende Gottesgelehrte gar keine andere Wahl mehr hatte,und diese Tatsache auch erkannte, als sich hinter die Kräfte zustelllen, die den Status Quo, und damit seine Herrschaft,
verteidigten.

Machtgewinn für die Garden

Der Umstand, dass sie praktisch alleine Khamenei und sein Regime stützten, war den Revolutionswächtern bewusst. Die Bassij Milizen, welche die Hauptarbeit bei der Niederhaltung auf den Strassen leisteten, können politisch gesehen durchaus als ein volkstümlicher Arm der Revolutionsgarden gelten. Die Wächter üben die Aufsicht über sie aus. Der Kommandant der Garde, Generalmajor Muhammed Ali Jaafari, umschrieb die Selbstsicht der Wächter in einer Rede, die am 2. September dieses Jahres veröffentlicht wurde und in der er in Anspruch nahm, das Regime aus der Hand seiner Feinde gerettet zu haben.

Unter Ahmedinejad, schon in seinem ersten Mandat, waren die Wächter eine aufsteigende Kraft im iranischen Staate. Der Präsident selbst entstammt ihren Kreisen und identifiziert sich und sein Regime weitgehend mit ihnen. Die Wächter haben neben den rein militärischen und geheimdienstlichen auch wirtschaftliche Ambitionen entwickelt. Sie bauen ein eigenes Wirtschaftsimperium auf. Dazu gehört auch, aber keineswegs einzig, die Aufsicht über die Atom Anreichungs Industrie. Je unentbehrlicher ihr stützender Arm für das Gesamtregime wird, die Iraner nennen es gerne „das System“, desto mehr dürfte auch ihr politischer Ehrgeiz wachsen. Viele der Minister und der Provinzgouverneure Ahmedinejads gehören zu ihren ehemaligen Offizieren. Dies droht in den Augen vieler der dem Regime zustimmenden Geistlichen Züge einer beginnenden Militärherrschaft anzunehmen, wenn sie gleich vorläufig noch revolutionär islamisch verkleidet sein mag.

Wahrscheinlich sind die gegenwärtig spürbaren Reserven in den Kreisen der geistlichen Ultra-Konservativen und Sympathisanten der Hojatiya gegenüber Ahmedinejad mindestens teilweise auf derartige Bedenken zurückzuführen. Ob Khamenei selbst die Lage völlig zufriedenstellend erscheint, muss offen bleiben. Man kann vermuten, dass er die Gefahren einer wachsenden Abhängigkeit von dem militärischen und Sicherheitsarm seiner
Waffenträger erkennt. Doch bleibt ihm angesichts der Volksstimmung zunächst nichts anderes übrig als sich von diesen Leuten verteidigen zu lassen.

Auswirkungen auf die Aussenpolitik

Diese innenpolitischen Gegebenheiten wirken sich auch unvermeidlich auf die Aussenpolitik Irans aus. Sie zementieren die Linie der Wächter und Ahmedinejads, die darauf ausgeht, Iran zu einer nahöstlichen Vormacht zu erheben, und die zu diesem Zweck einen propagandistischen, politischen und diplomatischen Kampf führen will, der sich primär gegen die bestehende aber im Urteil der iranischen Radikalen angeschlagene Vormacht, Amerika, richtet. Diplomatische Finten sind dabei als Mittel zum Zweck willkommen. Man kann sogar vom Wunsch eines „Ausgleichs mit Amerika“ sprechen. Doch in den Augen der politischen Aktivisten, welche die Wächter und ihre Gesinnungsgenossen zweifellos sind, bedeutet „Ausgleich“ soviel wie „iranische Vormacht“ in einem nahöstlichen Umfeld (Golf oder mehr – auch Jerusalem?) dessen Peripherie auszuhandeln wäre, und auch gegebenen Falls in kleinen Schritten ausgedehnt werden könnte. Das gleiche gälte von den konkreten Vorrechten, die Teheran geltend zu machen bestrebt wäre. Die Frage der Atom Anreicherung aber – wie Khamenei persönlich gerade kürzlich einmal mehr unterstrich – nicht der Atomrüstung. Mindestens vorläufig. Bildet eine wichtige Sparte im Gesamtgefüge dieser Kontestation.

Harte Verhandlungspositionen

Mit Sicherheit kann man daher sagen, die Linie der Revolutionswächter und mit ihr Ahmedinejads, sowie – für den Augenblick mehr oder minder gezwungen - auch die des Herrschenden Gottesgelehrten in den bevorstehenden Verhandlungen mit Amerika düfte auf harte Verhandlungspositionen hinauslaufen; konkret viele Forderungen an Washington und keine oder nur minimale Konzessionen. Dass davon eine Gefahr für Iran, das Regime und seine Träger ausgehen könnte, glauben die Freunde und Förderer Ahmedinejads wahrscheinlich nicht. Natürlich nehmen sie die Drohungen zur Kenntnis, die von den USA ausgingen und von Israel weiter ausgehen. Doch sie glauben, dass Israel alleine nicht wagen kann, sie anzugreifen, und dass Amerika sich auf einen dritten Nahostkrieg einlassen könnte, neben den beiden, die es in beiden Nachbarländern Irans schon führt, glauben sie auch nicht. Schon weil sie der Ansicht sind, es stünde in ihrer Macht, den Amerikanern ein solches Ansinnen gründlich zu vergällen.

Die harte Gesamtlinie in den Verhandlungen dürfte allerdings nicht ausschliessen, dass taktische Finten in der Form scheinbarer Zugeständnisse hier und dort gemacht und dann in dieser oder in jener Form wieder zurück genommen werden. Diplomatische und propagandistische Schlagsahne auf dem Uranhandschuh der Anreicherung wird mit zum Verhandlungsmenu gehören.

Macht und Ideologie

Man kann hinterfragen, wie weit die hier geschilderte reine Machtpolitik das Bewussstsein der iranischen Führung bestimmt. Es ist durchaus denkbar, dass die verschiedenen Machthaber und an der Macht Beteiligten zwar objektiv machtbewusst und machtbestimmt handeln und entscheiden, dass sie aber sich selbst gegenüber allerhand Gründe und Vorwände kultivieren, die ihre Haltung nicht als der eigenen Machterhaltung verpflichtet sondern als im Interesse des Islams, ihres Volkes und der Islamischen Republik Iran stehend rechtfertigen sollen. Das Ausland liefert ihnen viele Elemente derartiger Selbstrechtfertigung. Präsident Bush hat offen den „Regime Wechsel“ im „Schurkenstaat“ Iran befürwortet und sogar mit einigen Millionen Dollars finanziert. Seine Kriegsschiffe, Boykottmassnahmen und Drohreden gaben den Forderungen Nachdruck. Die Reformpolitiker und Demonstranten als Agenten eines solchen vom Ausland her angeregten Regimewechsels anzusprechen, war propagandistisch von Nutzen, sogar wenn die Ankläger, die solche Behauptungen handhabten, wussten, dass die angeblichen „Geständnisse“ in diesem Sinne von gefangenen und misshandelten Reformpolitikern erpresst worden waren. Die Grenzen des propagandistisch Nützlichen und des Wahren verschwimmen leicht im Bewusstsein jener, denen die Propaganda Nutzen verspricht.

Drohungen kamen auch aus Israel. Ihnen begegnete Ahmedinejad durch eine Eskalation der Polemik gegen Israel. Zuerst trug sie Züge des anti-Zionismus; dann artete sie aus in offenen Anti-Semitismus. Das angeblich absolut Böse „der Juden“ dient auch dazu, die eigene harte, angeblich auf dessen Abwehr gerichtete und deshalb „unvermeidliche“,
„vielleicht gewagte, aber jedenfalls mutige“, Position zu rechtfertigen.

Im aussenpolitischen Bereich wird die Lage umso gefährlicher je weniger die iranischen Machthaber in nüchternen Machtfragen und Machtverhältnissen denken und je mehr sie sich Einflüsterungen von ideologisch gefärbter Selbstrechtfertigung hingeben. Denn unter diesen Umständen verschwimmt die Wahrnehmung der realen Machtverhältnissse und ideologisch bedingte Fehlrechnungen treten an ihre Stelle.


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Birgit Cerha: Teheran heizt Spannungen auf

Durch Enthüllung einer geheimen Atomanlage in die Defensive gedrängt, lässt der Iran seine militärischen Muskeln spielen
Die Islamische Republik setzt im Atomstreit mit dem Westen nun voll auf Konfrontation. Nur zwei Tage, nachdem bekannt geworden war, dass der Iran eine zweite, bisher geheimgehaltene Anlage zur Anreicherung von Uran baut, demonstriert das Regime der Gottesmänner, dass es sich auch von heftiger Empörung im Westen und verschärften Drohungen nicht einschüchtern läßt. Doch wie so oft, dringen auch widersprüchliche Signale aus Teheran.

Um die Entschlossenheit, das als souverän empfundene Recht auf Entwicklung eines eigenen Atomprogramms (für friedliche Zwecke, wie das Regime stets behauptet), wenn nötig auch militärisch zu verteidigen, begannen die Revolutionsgarden Sonntag mit einer Serie von Raketentests. Die unter dem Titel „Der Große Prophet IV“ abgehaltenen Manöver sollen „die Verteidigungskapazität der Streitkräfte“ verbessern, heißt es dazu offiziell. Zwei Kurzstrecken-Raketen, Tondar und Fateh, mit einer Reichweite von 170 km wurden Sonntag getestet und Test mit Langstreckenraketen Schahab-3, die auch Israel erreichen können, sollen heute, Montag, folgen. Der Iran hatte im Vorjahr bereits neun Raketen, darunter auch Schahab-3 getestet und dies mit einer „Warnung“ an seine Feinde begründet.
Ungeachtet der großen Aufmerksamkeit die derartige Manöver international auslösen, weisen Militärexperten darauf hin, dass der Iran in seiner Raketenproduktion noch weit zurückliegt. Mit den ihnen derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln und Technologien könnten die Iraner nach Einschätzung des Think Tanks „East-West-Institute“ zwar „hypothetisch Raketen mit einer Reichweite von 3000 km und mehr bauen“, doch sie würden noch zehn bis 15 Jahre benötigen, um moderne ballistische Mittelstreckenraketen zu entwickeln, die Atomsprengköpfe tragen können.

Das Muskelspiel soll zweifellos dem durch die heftig umstrittene Präsidentschaftswahl im Juni schwer angeschlagenen Ahmadinedschad im Inneren, wie auch nach außen helfen, seine Legitimität zu stärken, die Iraner gegenüber den das Land verbal attackierenden Westen zu einen. In dieses Horn bläst auch der „Geistliche Führer“ Khamenei, dessen enger Berater Mohammadi-Golpayegani die nun bekannt gewordene Atomanlage in Qom als Zeichen dafür preist, dass der „Gottesstaat“ den „Höhepunkt seiner Macht“ erreicht habe. „Diese neue Anlage wird, so Gott will, schon bald im Einsatz stehen und wird die Feinde erblinden lassen.“

Der Iran hatte in einem erst Freitag bekannt gewordenen Brief an die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) vergangenen Montag zugegeben, dass er auf einem Stützpunkt der Revolutionsgarden in Qom eine zweite Atomanlage neben Natans baue und kam damit nach Einschätzung westlicher Diplomaten einer Bekanntgabe dieser Information durch die USA zuvor, die diesbezügliche Berichte ihrer Geheimdienste noch überprüfen wollten. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe, nur wenige Tage vor der für 1. Oktober angesetzten Genfer Gespräche zwischen dem Iran und den fünf Mitgliedern des Weltsicherheitsrats plus Deutschland, verschärft das Gesprächsklima erheblich. So versuchen nun Ahmadinedschad und seine Atomunterhändler die Bedeutung der Anlage herunterzuspielen. Sie sei lediglich ein Pilotprojekt, noch längst nicht fertiggestellt und der Iran habe den Atomsperrvertrag keineswegs gebrochen, da er die IAEA mehr als 180 Tage vor Fertigstellung der Anlage darüber informiert habe. Doch laut IAEA ist Teheran nach einem 2003 vereinbarten Zusatzprotokoll verpflichtet, die Behörde bereits im Stadium der Planung derartiger Anlagen zu informieren.

Das Regime zeigt sich nun über die heftigen Reaktionen des Westen, die verschärfte Drohung von weitreichenden Sanktionen, die größere Bereitschaft Russlands, einer diesbezüglichen UN-Resolution zuzustimmen, überrascht und versucht, die Wogen durch Einladung internationaler Inspekteure zu glätten. Doch konkreten Termin für einen solchen Besuch nennen die Iraner nicht.

Was Teheran durch den Bau der Atomfabrik von Qom bezweckt, bleibt zunächst unklar. Sie könnte als Reserveanlage dienen, sollte Natans etwa durch einen israelischen Militärschlag zerstört werden. Westliche Experten befürchten jedoch, dass die Urananreicherung dort geheim bis zum Grad einer Nuklearexplosion vorangetrieben werden sollte.
Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 28.09.2009
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Birgit Cerha: Irans gefährliche Manipulationen

Wieder wurde der Westen vom Iran hinters Licht geführt. Geheim baut Teheran eine zweite Atomanlage, während US-Präsident Obama ihm die Hand zum Gespräch entgegenstreckt. Doch der Westen hat im Streit um das iranische Atomprogramm fast keine anderen Optionen mehr. Deshalb auch würdigt Außenministerin Hillary Clinton Präsident Ahmadinedschads Einladung an die Atombehörde zur Inspektion der Atomfabrik von Qom und Obama warnt zwar vor unausweicherlicher Konfrontation, sollte der Iran sich nicht an internationale Regeln halten, gibt aber nicht die Hoffnung auf, dass die Donnerstag in Genf beginnenden Gesprächen der Mitglieder des Weltsicherheitsrats und Deutschland mit dem Iran – allmählich einen Ausweg aus der gefährlichen Atomkrise weisen.

Irans Geheimnistuerei hat die Entschlossenheit des Westens, hat Washingtons Position entscheidend gefestigt. Auch Rußland zeigt sich nun bereit, den Iran mit mehr Härte – etwa verstärkten Sanktionen – zum Einlenken zu zwingen. Doch dramatisch verschärftes Misstrauen gegenüber den wahren Absichten des „Gottesstaates“ reduzieren die ohnedies geringen Erfolgschancen der Gespräche auf ein Minimum. Der Verdacht, Teheran werde nach alter iranischer Manier die Gespräche nur nützen, um Zeit für den weiteren Ausbau des Atomprogramms zu gewinnen, steht als größte Hürde einer Verständigung im Wege. Zugleich wurde nun die Schwäche westlicher Geheimdienste entlarvt, die über das wahre Ausmaß des iranischen Atomprogramms weitgehend im dunkeln tappen. Gibt es außer Qom noch zahlreiche andere Anlagen? Diese Ungewissheit macht die militärische Option de facto unmöglich. Das gesteht indirekt auch der US-Verteidigungsminister ein. Und dass die andere Option – verschärfte Sanktionen – größere Wirkung zeigen als in anderen Krisenfällen, ist nahezu auszuschließen. Sanktionen pflegen das Volk hinter seinen Führern zu einigen. Nur Einbindung in das Gespräch kann Teheran - vielleicht - allmählich zu einem Kurswechsel bewegen. Obama hat die erkannt.

Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 28.09.2009

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Freitag, 18. September 2009

Birgit Cerha: Irans Opposition wagt erneute Proteste

Massive Einschüchterungsversuche der Sicherheitskräfte am „Jerusalem-Tag“ – Regime zu fortgesetzter Repression entschlossen

Ungeachtet scharfer Drohungen des „Geistlichen Führers“ Khamenei und der mächtigen Revolutionsgarden an Irans „grüne“ Oppositionsbewegung, den „Al-Quds“-(Jerusalem)Tag nicht zu erneuten Massenprotesten gegen Präsident Ahmadinedschad zu nutzen, wagten sich Tausende, vielleicht Zehntausende Anhänger der beiden bei den Präsidentschaftswahlen im Juni unterlegenen Kandidaten, Mussawi und Karrubi, in die Straßen Teherans und anderer iranischer Städte, um erneut gegen die manipulierte Wahl Ahmadinedschads zu protestieren. Sie riefen „Nieder mit dem Diktator“ (gemeint ist Khamenei) und „Ahmadinedschad tritt zurück“.

Wie in den vergangenen Wochen verhinderte das Regime unabhängige Berichterstattung, wodurch ein vollständiges Bild der Ereignisse nur schwer möglich ist. Laut offizieller Nachrichtenagentur Irna wurde Mussawi durch eine Attacke von Anhängern Ahmadinedschads auf sein Auto gezwungen, sich von der Demonstration zurückzuziehen. Ebenso erging es Khatami, der in seinem Auto tätlich angegriffen, jedoch nicht verletzt wurde. Auch Karrubi wurde attackiert und musste die Demonstration verlassen. Mehrfach kam es offenbar auch zu Zusammenstößen zwischen Bassidsch-Milizen und Demonstranten.
Seit Gründung der „Islamischen Republik“ 1979 wird der letzte Freitag im Fastenmonat Ramadan als „Al-Quds“-Tag zu Demonstrationen gegen Israels Besatzungspolitik begangen. Die Oppositionsbewegung wollte ihn diesmal zu einem „Grünen Tag“ umfunktionieren. Doch nach Augenzeugenberichten war das Aufgebot der Anhänger Ahmadinedschads und der Sicherheitskräfte weit stärker. Der Präsident leitete seine Rede zu diesem Tag mit der üblichen Attacke gegen Israel und der erneuten Leugnung des „Holocausts“ ein, während seine Anhänger brüllten: „Amerika, wir kennen deine Pläne. Amerika, Israel, das ist unsere letzte Botschaft an euch. Die Armee der Gerechtigkeit ist zum Einsatz bereit.“ Während der im Staatsfernsehen übertragenen Rede forderten Demonstranten laut den Rücktritt des Präsidenten.

Mussawi und Karrubi hatten gehofft, der durch massive Repression unterdrückten „Grünen“ Bewegung mit einer starken Kundgebung neue Lebenskraft einzuhauchen. Dabei hätte der lange so mächtige Ex-Präsident Rafsandschani, der seit drei Jahrzehnten das Freitagsgebet am Al-Quds Tag hielt, eine entscheidende Rolle spielen sollen. Doch Rafsandschani, der – vorsichtig – mit der Opposition sympathisiert hatte, trat nicht auf. An seiner Stelle sprach der Ahmadinedschad nahe stehende erzkonservative Ayatollah Ahmad Khatami. Dies ist der jüngste deutliche Hinweis darauf, dass es Khamenei und Ahmadinedschad – vorerst – gelungen ist, Rafsandschani in den Hintergrund zu drängen und damit der „Grünen“ Bewegung einen mächtigen Verbündeten zu rauben.

Unterdessen hängt über den drei Oppositionsführern weiterhin das Damoklesschwert. Während fast alle von Mussawis Mitstreitern im Gefängnis sitzen und auch Karrubi massiv unter Druck gerät, konnte sich Khamenei bis heute nicht zur Verhaftung dieser populären Reformer entschließen. So manche politische Kreise in Teheran sind davon überzeugt, dass das Regime einer Inhaftierung Mussawis, Khatamis und Karrubis nicht standhalten könnte. Radikale Kreise und insbesondere die Revolutionsgarden, haben in den vergangenen Wochen – vergeblich - versucht, den Dreien durch lautstarke Drohungen den Mund zu stopfen. Am Mittwoch warnte der neue Justizchef, Sadegh Laridschani: „Alle, die das System durch die jüngsten Unruhen und Gesetzesübertretungen unterminieren, müssen wissen, dass die Justiz nicht schweigend zusehen und die notwendigen Schritte gegen sie setzen wird, wo immer sie sich aufhalten.“ Zugleich warnte der stellvertretende Führer der Revolutionsgarden, Modschtaba Zolghadr, davor, die Oppositionsführer durch Verhaftung zu Helden zu machen. „Diese Leute“ müssten vielmehr politisch getötet werden. In der Vorwoche hatte Khamenei seine Drohungen gegen die Opposition wiederholt und „eine sehr harte Reaktion“ angekündigt, „wenn das Schwert gegen das Establishment’“ gerichtet werde.

Der Druck auf Andersdenkende macht auch vor den höchsten Geistlichen nicht Halt. So wurden nach einem Bericht der oppositionellen Taghir-Website drei Enkelkinder des hochangesehenen Großayatollah Montazeri, sowie Kinder des führenden Theologen in Qom, Hossein Mousavi Tabrizi, unter Hausarrest gestellt. Kurz zuvor hatte Montazeri in einem offenen Brief darüber geklagt, dass der Iran heute von einer „Militärregierung“ beherrscht werde und davor gewarnt, dass das Regime das Schweigen der Großayatollahs zu illegalen Aktionen nutze.

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Donnerstag, 17. September 2009

Arnold Hottinger: Rettet oder verliert Obama den Nahen Osten?

Seitdem Bush durch seinen unverständigen „Krieg gegen den Terrorismus“ die USA nicht nur politisch und wirtschaftlich (dies waren sie schon vorher) sondern auch kriegerisch unrettbar in den Mittleren Osten verstrickt hat, hängt die Zukunft der ganzen Region in erster Linie von Amerika ab. Leider kann man heute nicht mehr über den Nahen Osten und seine Gegenwart und Zukunft nachdenken, ohne die amerikanische Politik als einen hauptsächlichen Bestandteil aller denkbaren Entwicklungen miteinzubeziehen.

Ueber die Zukunft der Region wird heute in Washington entschieden. Zugleich muss man erkennen: falsche Entscheide über die Region, die in Washington getroffen werden, werden in erster Linie schwer vorstellbares weiteres Elend über deren Bewohner bringen, aber auch in zweiter Linie und auf längere Sicht Amerika und den ganzen sogenannten „Westen“ schwer belasten, wenn nicht sogar ins Verderben führen. Aus diesen Gründen ist es unumgänglich, auf die amerikanische Politik zu schauen und sie in Rechnung zu stellen, wenn man versuchen will, die gegenwärtige Lage und die Aussichten der nahöstlichen Länder zu klären (hier sei mit diesem Begriff der ganze islamische Nahe Osten von Libanon bis Pakistan, oder sogar von Marokko bis Pakistan, einschliesslich Afghanistans und Israels, angesprochen).

Amerika hat sich an drei entscheidenen Stellen nicht nur diplomatisch und wirtschaftlich sondern auch militärisch engagiert: in Israel, im Irak und in Afghanistan. Israel rechne ich dazu, weil Washington dort zwar nicht seine eigenen Soldaten verwendet, jedoch die von den israelischen Streitkräften eingesetzten Truppen entscheidend bewaffnet und finanziert.

Obama hat erkannt, dass sein Land in Gefahr schwebt, in eine kriergerische und politische Dauerkonfrontation mit immer zunehmender Ausdehnung im Nahen Osten gezogen zu werden, wenn es ihm nicht gelingt, sich beizeiten aus der Region zurückzuziehen. Er weis auch: eine solche Dauerkonfrontation mit mehr und mehr „failed states“ und deren Guerrilla ginge auf lange Sicht über die Kräfte der USA. Er zog den Schluss, Amerika und der Nahe Osten brauchen einen Rückzug der amerikanischen Armeen und Kriegswaffen aus der Region. Dieser müsste Hand in Hand gehen mit einer „Versöhnung“, das heisst einer neuen amerikanischen Politik der Suche nach gemeinsamen Interessen (die gemeinsam, nicht einseitig, formuliert werden müssten) und deren Verfolgung durch Amerika und die betroffenen Staaten.

Die amerikanische Politik unter Obama zeigt Ansätze zu einer Verwirklichung dieser Ziele in Bezug auf Israel und auf den Irak; bisher keine brauchbaren in Bezug auf Afghanistan und Pakistan.

Die Lösungskonzepte

Im Falle Israel- Palästina ginge es bekanntlich um eine Zweistaatenlösung, die Stabilität und Frieden bringen müsste. Im Falle Irak um einen Rückzug der Amerkianischen Armeen, ohne dass der heute bestehende und von Amerika abgestützte irakische Staat zusammenbräche. Auch in Afghanistan gäbe es theoretisch eine Lösung. Sie hiesse Schaffung eines demokratischen afghanischen Staates, der auf eigenen Füssen stehen könnte und Abzug der amerikanischen und der Nato Truppen. Doch die Entwicklung verläuft zusehends im umgekehrten Sinne, so dass die ins Auge gefasste Lösung immer mehr als eine Utopie, nicht eine erreichbare Lösung, erscheint.


Kommt es zu einer Zweistaatenlösung?

Die Machtmittel über die Amerika gegenüber Israel verfügt, scheinen mehr als ausreichend, um eine Zweitstaatenlösung gegenüber Israel durchzusetzen. Doch die Frage ist, wieweit sieht sich Obama in der Lage, ja wieweit ist er überhaupt willig, diese Machtmittel einzusetzen? Die Hemmnisse, dies zu tun, liegen bei der amerikanischen Innenpolitik.

Nicht nur in Israel sondern auch in weiten Kreisen in Amerika gilt die „Sicherheit Israels“ als eine Priorität der Nahostpolitik, hinter der alle anderen Fragen zurückstehen müssten. Der Sicherheitsbegriff, der dabei zur Anwendung kommt, ist stark aggressiver Natur. Er dient auch dazu, eine expansive Territorialpolitik der herrschenden konservativen Kreise in Israel zu rechtfertigen, die in Wirklichkeit auf die Annektion weiter Teile der Besetzten palästinensischen Gebiete sowie auf die militärische, wirtschaftliche und politische Domination der nicht direkt in Besitz genommenen und von grösseren Mengen von Palästinensern bewohnten „Bantustans“ abzielt.

Indem sie diese Ziele der regierenden israelischen Rechtsparteien zu den ihrigen machen, identifizieren sich viele Amerikaner bis weit in die Kreise der Senatoren und Repräsentanten hinein mit einer Politik, die der offiziell angestrebten Zweistaatenlösung diametral entgegensteht. Wie weit sie dies selbst durchschauen oder wieweit sie sich von einer systematischen Propaganda benebeln lassen, die versucht, die Fakten zu verschleiern, sei dahingestellt. Festzuhalten bleibt, dass Obama selbst (aus Opportunitätsgründen oder aus Ueberzeugung, muss ebenfalls dahingestellt bleiben) dem credo der „Sicherheit Israels“ Lippendienst leistet, ohne in der Oeffentlichkeit darauf einzugehen, wie weit dieser Sicherheitsbegriff gerechtfertigt sei und inwieweit er als politischer Vorwand für die Aggressionspolitik der israelischen Rechten dient.

Mit der Forderung Washingtons konfrontiert, den Bau von weiteren Siedlungen endgültig und völlig einzustellen (was natürlich nur ein erster Schritt dazu wäre, um Verhandlungen über eine echte Zweistaatenlösung wieder Glaubwürdigkeit zu verschaffen), hat Tell Aviv bisher erfolgreich elastischen Widerstand geleistet. Die Vorgespräche mit dem Sondervermittler George Mitchell gleiten ab. Zuerst war von völligem Stillstand die Rede. Dies unterlief die Natanyahu Regierung, indem sie ja, aber.. antwortete und gleichzeitig beschleunigt fortbaute und weiter enteignete. Zur Zeit scheint nur noch ein vorläufiger Stillstand, unter Ausklammerung von Jerusalem, Verhandlungsgegenstand mit den Amerikanern zu sein, wobei gleichzeitig gefordert wird, um dies zu bewirken, müsste auch „die arabische Seite“ Konzessionen eingehen. Zugleich wird immer wieder versucht, die Frage der iranischen Atomanreicherungen ins Spiel zu bringen, und ein Eingehen auf die amerikanischen Wünsche davon abhängig zu erklären, dass auch die „viel dringendere Gefahr“ einer iranischen Atomrüstung „vorrangig“ aufgegriffen und endgültig gebannt werde - mit welchen Mitteln auch immer.


Die begabte palästinensische Kommentatorin Nadia Hijab hat kürzlich fünf Massanhmen aufgezählt, die der amerikanischen Regierung erlauben würden, aus „einer Position der Stärke mit Israel zu verhandeln“, wie sie es formulierte. Kurz zusammengefasst wären dies nach Nadia Hijab, 1) Fordere „Räumung“ der palästinensischen Gebiete, nicht bloss Stillegung der Siedlungen. 2) Untersütze die Kreise in den USA, die sich gegen die Gruppen wenden, welche illegale Siedlungen finanzieren. 3) Bremse mit bureaukratischen Mitteln die Zusammenarbeit mit Israel in Fragen der Bewaffnung, Militrätechnologie, Militrärhilfe, Sicherheiten für Anleihen u.a. mehr. 4) Unterhandle mit Hamas, um die Wiedervereinigung der Palästinenser zu fördern und Gaza zu retten. 5) Ermutige die Europäischen Staaten, etwas Druck auf Israel auszuüben. Sie sind der wichtigste Handelspartner Israels.

(Siehe vollständiger: http://www.agenceglobal.com/article.asp?id=2089 ). Es genügt, sich diese Empfehlungen anzuschauen, um zu erkennen, wie weit die Obama Regierung davon entfernt ist, wirklich etwas in Israel bewerkstelligen zu wollen. Wobei wiederum unbestimmt bleiben muss, wie weit sie es sich nicht leisten kann, oder nicht leisten zu können glaubt. Das letztere genügt als Begründung. Gegenwärtig kämpft Obama um sein politisches Leben in der heiss umstrittenden Frage der Krankenversicherungen; er steht unter schwerem Druck durch all seine Feinde, zu denen ohne Zweifel neben anderen auch jene Kreise gehören, welche die Israel- und die Nahostpolitik Politik Bushs inspirierten. Am innenpolitischen Horizont in den USA steht weiter die Frage der Bankenregulierung, die ebenfalls ein heisses Eisen zu werden verspricht, das die anti-Obama Kräfte benützen wollen, um ihn zu schwächen.

Ob und wann dieser innenpolitische Druck soweit abnehmen könnte, dass Obama frei würde, energischer in der Frage der Zweitstaatenlösung vorzugehen – falls er dies wirklich vorhaben sollte – ist gegenwärtig nicht abzusehen.

Natürlich tragen auch die anderen beiden ungelösten Hauptprobleme Amerikas im Nahen Osten dazu bei, dass der auf Obama lastende Druck sich leicht noch weiter verschärfen, und sich weiterhin in den verschiedensten Formen auswirken könnte.


Das irakische Labyrinth

Für Irak hat Obama klar gemacht, dass er einen Abzug der amerikanischen Truppen anstrebt. Natürlich möchte er ihn dermassen durchführen, dass dabei der immernoch sehr geschwächte irakische Staat möglichst erhalten bleibt und nicht noch weiter zusammenbricht. Angesichts der grossen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Spannungen, denen das Land sich ausgesetzt sieht, ist dies kein leichtes Unterfangen. Für den Augenblick gilt: die Amerikaner halten sich an den Abzugsvertrag, den Bush ausgehandelt und unterschrieben hat. Er sah vor, dass die amerikanischen Truppen die Städte bis Mitte 2009 räumen. Was sie auch getan haben. Und dass sie das ganze Land bis Ende 2011 evakuieren. Ausnahmen können, auf irakischen Wunsch dadurch entstehen, dass die irakische Regierung das Verbleiben von Kampftruppen anfordert und die amerikanische dem zustimmt. Auch Ausbildungsfunktionen für amerikanische Ausbilder können fortauern. Dies dürfte besonders für die geplante irakische Luftwaffe gelten. Die von Irak bestellten Kamppflugzeuge werden erst 2011 eintreffen. Bisher gibt es nur die amerikanische Luftwaffe im Irak.

Ausserhalb der Städte verbleiben noch realtiv grosse Zahlen amerikanischer Soldaten. Sie sollen bis zum kommenden Januar bleiben, um dafür zu sorgen, dass die dann bevorstehenden politischen Wahlen möglichst sicher durchgeführt werden können.


Die irakische Politik dreht sich mehr und mehr um diese Wahlen. Sie werden die ersten Parlamentswahlen sein, in denen die Sunniten mitstimmen, ohne sie zu boykottieren. Dies spricht dafür, dass das gegenwärtige absolute Mehr im Parlament, das durch Schiiten und Kurden zustande kommt, sich verschieben dürfte. Dies umsomehr als die bisher bestehende Koalition der schiitischen Parteien wahrscheinlich nicht mehr so vollständig in die Wahlen ziehen wird wie das 2005 der Fall gewesen war. Die Partei des regierenden Ministerpräsidenten, Nuri Malekis, Da’wa, hat sich bis jetzt geweigert, mit den anderen schiitischen Gruppen gemeinsame Sache zu machen. Sie macht vielmehr Anstalten, die Wahlen als eine Partei der Mitte zu bestreiten, die den Anspruch erhebt, für einen zentral gesteuerten, ungeteilten Irak einzutreten, und sie sucht Unterstützung sowohl bei den Schiiten wie bei den Sunniten. Malekis Da’wa Partei hat bereits im Januar in den Lokalwahlen die gleiche Haltung eingenommen und ist dabei über Erwarten gut gefahren. Dies dürfte den Ministerpräsidenten in seiner Haltung bestärken.



Eine neue Lage für die Kurden


Allerdings führt diese Grundhaltung dazu, dass die bisherigen Verbündeten der Schiiten, die kurdischen Gruppierungen, in einen immer schrofferen Gegensatz zum Regierungschef und seiner Partei geraten.

Ihr ganzes Bestreben geht dahin, möglichst viel von Kurden bewohntes Land unter eine möglichst weitgehende kurdische Autonomie zu bringen. Dabei geht es nicht nur um die drei als kurdisch anerkannten Provinzen sondern auch um bestimmte Randgebiete derselben, die kurdische Mehrheiten beherbergen aber zu arabophonen Provinzen geschlagen wurden, und besonders auch um die umstrittene Erdölstadt Kirkuk und ihre Umgebung. Heute stehen kurdische Peshmerga innerhalb der arabischen Nachbarprovinzen Kurdistans in den an die kurdischen Provinzen anliegenden, ebenfalls von Kurden bewohnten, Gebieten. Truppen der Zentralregierung, die aus Schiiten und Sunniten zusamengesetzt sind, stehen ihnen gegenüber. Man spricht von der „Abzugslinie“ (Trigger-Line), wo sich die beiden konfrontieren und gelegentlich Schiessereien leisten.

Für weitere scharfe Gegensätze sorgt die Erdölpolitik der Kurden, die auf Widerspruch der Regierung und ihres Erdölministers stösst. Die Kurden pochen auf ihre Autonomie, um internationalen Erdölgesellschaften Konzessionen für die Erdölsuche und mögliche künftige Ausbeutung auf ihren Gebieten zu erteilen. Die Zentralregierung will diese Verträge nicht anerkennen, weil sie der Ansicht ist, sie sei in Erdölfragen für das ganze Land zuständig.

Die Autonomiewünsche der Kurden sind bei den Sunniten wenig beliebt, und es heisst, eine jede Konfrontation mit den Kurden, steigere die Zustimmung, die Maleki von Seiten der Sunniten erlangt. Dies ist für ihn natürlich eine Ermutigung, sich gegen die kurdischen Ansprüche zu stellen.



Zur Zeit und wohl bis zu den Wahlen von Januar sorgen die Amerikaner dafür, dass es nicht zu grösseren Kämpfen kommt. Doch Obama fordeert, nach den Wahlen habe der Truppenabzug rüstig voranzuschreiten. Seine Offiziere vor Ort sind jedoch eher vorsichtig; sie möchten sich möglichst wenig festlegen. Die Lage ist zu explosiv als dass sie sichere Versprechen abgeben könnten. Die Anschläge haben in den letzten Monaten wieder zugenommen, ohne die Höhepunkte der bösen Jahre 2006 und 2007 zu erreichen. Dafür scheint die Korrpution, bis hinauf an die Spitzen der Ministerien und bis hinein in die Polizei- und Sicherheitskräfte sowie in die Armee ungeahnte Höhepunkte zu erreichen. Die Versorgungslage an Benzin, Elektrizität, Medikamenten, Trinkwasser u.a. ist noch immer ungenügend, die Arbeitslosigkeit sehr hoch, die Abwanderung von qualifizeren Arbeitskräften aus dem Mittelstand ungebremst und das Problem der irakischen Flüchtlinge innerhalb und ausserhalb des Landes nicht überwunden.



Was tun mit den Sahwa Milizen?

Immernoch gibt es Spannungen zwischen der Regierung und den von den Amerikanern ausgehobenen und bewaffneten, aber nun der Regierung unterstellten und von ihr finanzierten Stammesmilizen aus den sunnitischen Landesteilen (sahwa genannt), die gegen die sunntische Guerrilla angetreten sind und gekämpft haben. Sie erwarten, in die reguläre Armee eingegliedert zu werden. Doch Maleki und seine Minister zögern, dies zu tun, weil sie eine sunnitische Unterwanderung der Regierungsarmee fürchten, die, so argwöhnen sie, soweit gehen könnte, dass die sunnitischen Regierungssoldaten mit ihren sunnitischen Stammes- und Glaubensbrüdern in der Guerrilla heimlich zusammenarbeiteten, - oder auch bewirkte, dass sunnitische Offiziere, wie einst zur Zeit Saddams und schon viele Jahrzehnte zuvor, die Vormacht in der Armee übernähmen.

Die Maleki Regierung hat deshalb vorgezogen, grosse Zahlen von bisherigen Sahwa Kräften in den Ministerien als Beamte unterzubringen, auch wenn sie dort keine nützliche Beschäftigung finden. Viele Beamte mit wenig zu tun, fördern natürlich die Korruption in dem Ministerien. Korruptionsgelder zu erpressen kann zur Hauptbeschäftigung werden.



Spannungen innerhalb der Hauptblöcke

Es gibt nicht nur Gegensaätze zwischen den grossen Gemeinschaften: Sunniten, Schiiten, Kurden, mit der Partei Malekis in der Mitte zwischen den Dreien, sondern auch Spannungen innerhalb dieser Blöcke: Rivalitäten unter den schiitischen Parteien und Parteiungen; scharfe Feindschaft zwischen den sunnitischen Sahwa Milizen und ihren einstigen Freunden aus der Guerrilla (diese sehen die Sahwa Leute als Verräter an und stellen ihnen mit Bomben nach); alte Rivalitäten zwischen den beiden kurdischen Hauptgruppen, denen nun seit den kurdischen Wahlen vom vergangenen Juli eine neue Opposition gegenübertritt; Streit zwischen Zentralregierung und den arabischen Bevölkerungsteilen mit den kurdischen Freiheitskämpfern um die kurdischen Gebiete innerhalb der arabischen Randprovinzen, etwa in der Provinz Ninive mit der Grosstadt Mosul, wie auch insbesondere um Kirkuk.



Beunruhigkte Nachbarstaaten

Die umliegenden Staaten werden in diese Gegensätze hineingezogen. Für die Sunniten, besonders die Gruppen des Widerstandes, alt-Baathisten und gewalttätige Islamisten, sind die Schiiten „Iraner“, Hörige und Instrumente Teherans. Die irakischen Schiiten sehen in Teheran einen Freund und eine Stütze. Für die In saudischen Augen sind sie eine Gefahr für den wahren, wahhabitischen, Islam und für die Arabische Halbinsel.

Für die Türkei sind die irakischen Kurden ein gefährlicher Präzedenzfall, der sich auf ihre eigenen Kurden auswirken könnte. Die türkische Armee droht, in irakisch Kurdistan einzuschreiten, falls die irakischen Kurden Kirkuk erhielten. Die türkischen Generäle wollen nämlich nicht zulassen, dass die irakischen Kurden in ihrer Autonomie prosperieren. Sie glauben, dies würde sich auf das Verhalten der türkischen Kurden auswirken.

Syrien und der Irak haben kürzlich die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, weil Maleki glaubt, der grosse Anschlag auf das irakische Aussenministerium von Bagadad vom 19. August dieses Jahres sei von baathistischen Aktivisten vom syrischen Exil aus gesteuert worden, Damaskus jedoch diese Anschuldigungen emphatisch zurückweist.

Man kann die Gesamtlage als die eines Kochtopfs beschreiben, der solange auf kleinem Feuer fortbrodelt als die Amerikaner präsent bleiben. Wenn sie gehen, dürfte di Gefahr eines Ueberkochens viel akuter werden. Dass es ihnen gelingt, vor ihrem Abzug die Lage noch soweit zu stabilisieren, dass der Irak ohne Bürgerkrieg als irgendwie funktionierender Staat zurückbleiben kann, mag nicht ganz ausgeschlossen sein, doch wirkt es wenig wahrscheinlich.


Spätestens im Jahr 2011 wird die Frage an Obama herantreten, ob er nun seine Truppen endgültig abziehen kann, ohne einen Zusammenbruch im Irak zu riskieren. Die dann an der Macht befindliche Regierung von Bagdad wird ihrerseits entscheiden müssen, ob sie den Abzug der Amerikaner endgültig hinnehmen will, oder ob sie um Verlängerung der amerikanischen Besetzung bitten müsse. Wenn sie das zweite tut, wird sie ihr Ueberleben kurzfristig absichern; doch sie wird jede Popularität verlieren. Denn die irakische Bevölkerung neigt dazu, der amerkanischen Präsenz die Hauptschuld für alle Uebel zuzusprechen, die sie zu erleiden hat.




Defensivkrieg in Afghanistan


In Afghanistan stehen die Amerikanischen und die Nato Truppen in der Defensive. Es sind die Taleban, welche die Offensive führen, und zwar an den Orten ihrer Wahl. Diese liegen verstreut über ein riesiges Gebiet, das die Natoarmee und die halb ausgebildeten afghanischen Soldaten und Polizisten nicht abzusichern vermögen. Die afghanische Bevölkerung steht in den paschtunischen Landesteilen nicht auf der Seite der westlichen Truppen sondern eher auf jener der Taleban. Dabei spielt der Zwang, den deren Bewaffnete ausüben können, ebenso eine Rolle wie die Gruppensolidarität der Pathanen. Doch auch die Bevölkerung der Gebiete, die unter den Taleban besonders gelitten hatten, als diese vor 2001 die Macht ausübten, Tajiken, Hazara, Uzbeken verhalten sich zweideutig. Die Sicherheit, welche ihnen die Zentralregierung von Kabul und die sie stützenden westlichen Truppen zu gewähren vermögen, ist zu prekär, als dass sie es sich leisten könnten, den Taleban die Zähne zu zeigen. Die Erfahrung zeigt ihnen, dass Widerstand gegen sie mit grosser Wahrscheinlichkeit in den Tod führt. Dies besonders in den Gebieten, in denen es neben den nicht-paschtunischen Merheitsbevölkerungen auch paschtunische Minderheiten gibt.

Das Prestige der Regierung und der mit ihr verbündeten Kräfte leidet unter der allumfassenden Korruption, welche die Regierungskreise von oben bis unten durchsetzt und sich bis auf die Polizei hinab auswirkt. So dass die Bevölkerungen –die über wenig Korruptionsgelder verfügen – nicht auf den Schutz der Sicherheitsleute zählen können sondern vielmehr damit rechnen müssen, von ihnen ausgebeutet zu werden.

Dazu kommt die Wut über die Kampfmethoden der Amerikaner und der übrigen westlichen Streitkräfte. Sie ziehen es vor, aus der Luft zuzuschlagen, weil dies das Leben der eigenen Soldaten schont. Doch die Luftwaffen- und Raketenschläge führen regelmässig zu zivilen Opfern, deren überlebende Angehörige dann eine Rachepflicht an den fremden Besetzern ihres Landes zu üben haben. Theoretisch hat Oberbfehlshaber McChrystal erkannt, dass die zivilen Opfer seiner Sache Schaden zufügen. Doch in der Praxis dürfte es nicht so einfach sein, die Militärs dazu zu veranlassen, ihr eigenes Leben und das ihrer Kameraden aufs Spiel zu setzen, indem sie gerade dort, wo sie uneingeschränkte Ueberlegenheit besitzen, nämlich im Luftkrieg, darauf verzichten, ihre Macht einzusetzen.

All dies zusammen bewirkt, dass sich in Amerika und in Europa eine gewisse Kriegsmüdigkeit ausbreitet. Immer mehr Leute aus dem Publikum und unter den militärischen Zuständigen fragen, was denn der teure und immer verlustreichere Krieg in Afghanistan überhaupt bezwecke. Die einzig gültige Antwort darauf, dürfte lauten: er will dafür sorgen, dass die Taleban nicht wieder zur Macht zurückkehren. Doch die Frage drängt sich auf: bewirkt er dies wirklich? Oder ist es nicht vielmehr so, dass er den Taleban die Möglichkeit gibt, sich allmählich des ganzen Landes zu bemächtigen? – Die führenden Militärs sprechen davon, dass eine „Umkehr“ in einiger Zeit und bei verstärkten Einsätzen von noch mehr Truppen erreicht werden könne. Doch bisher ist sie nirgends erkennbar. Vielmehr scheint die Hochflut der Taleban Macht immer weiter zu steigen.

Auch hier wird früher oder später die Frage an Obama herantreten, ob er das Engagement in Afghanistan aufgeben soll, oder ob er gewillt und in der Lage sei, es immer weiter zu führen.



Die Pakistanischen Taleban

Pakistan hängt mit Afghanistan eng zusammen, weil die Taleban in den pakistanbischen Grenzgebieten Hilfe und Unterschlupf finden. Von dort aus konnten sie sich neu organisieren, nachdem die Amerikaner sie 2002 aus Afghanistan vertrieben hatten. Heute dienen ihnen die Stammeszonen und die anderen Grenzräume als Zufluchts- und Rückzugsgebiete, von denen aus sie immer neu auf Afghanistan zugreifen können. Sie dienen auch dem Drogenschmuggel, der die Taleban zu grossen Teilen finanziert.

Die Amerikaner haben es bisher vermieden, ihre Truppen auf pakistanischem Gebiet einzusetzen. Auch in den Zonen, in denen die pakistanische Regierung keine wirkliche Kontrolle ausübt, das heisst in den berühmten Stammeszonen der paschtunischen und der belutschen Grenze, wo die Stämme Autonomie geniessen oder sogar, wie in den belutchischen Wüsten, im Aufstand gegen Pakistan stehen.

Bis zum Sommer dieses Jahres war ungewiss, wieweit überhaupt die pakistanische Armee unter der Führung ihres Geheimdienstes des ISI gewillt war, gegen die pakistanischen Taleban vorzugehen. Diese waren ja ursprünglich weitgehend Schöpfung des ISI gewesen, weil der Geheimdient der Ansicht war, sie könnten als inoffizielle Kämpfer in Kashmir dienen und auch dazu verwendet werden, Afghanistan als islamistischen Staat auf der pakistanischen Seite in die Konfrontation mit dem Erbfeind Indien eingliedern.

Die Geheimdienste Pakistans hatten zwischen 1945 und 1980 die Erfahrung gemacht, dass ein nationalistisch-paschtunisch regiertes Afghanistan eher der indischen als der pakistanischen Seite zuneigte.

Die Amerikaner übten unter Bush und noch unter Obama massiven Druck auf Pakistan aus, die Armee nicht nur verbal sondern auch tatsächlich gegen die in Pakistan eingenisteten Taleban und Qaeda-Führer einzusetzen. Drohungen, die Waffenlieferungen und Hilfsgelder einzustellen oder zu reduzieren, von denen die pakistanische Armee entscheidend abhängt, wurden ergänzt durch Raketenschläge mit ferngesteuerten Drohnen, die in Pakistan gelegene, angeblich von Taleban benutzte, Ziele zerstörten und dabei jedesmal die Zivilbevölkerung dezimierten. Dies war den pakistanischen Militärs und den Behörden doppelt verhasst; weil es die Bevölkerung gegen die Amerikaner aufbrachte, die doch die Hauptverbündeten des Landes waren und weil es die eigene Regierung und das eigene Militär bei der Bevölkerung diskreditierte. Es machte deutlich, dass die Sicherheitskräfte nicht in der Lage waren, die Bevölkerung vor den Amerikanern zu beschützen, welche sich ungeniert an der Landeshoheit Pakistans vergriffen.

Unter diesem Druck entschloss sich die pakistanische Armee im April, im Swat Tal eine Grossoffensive durchzuführen, um die dort zur Macht gelangten lokalen Taleban auszurotten.

Die pakistanischen Taleban sind Gesinnungsbrüder der afghanischen und unterstützen sie nach Kräften, Doch sie verfolgen nicht die gleichen Ziele wie diese. Ihnen geht es darum, in Pakistan die Regierungskräfte zu ermüden und zu diskreditieren, um dort über möglichst weite Gebiete die Macht zu ergreifen und auszuüben.


Nach langwierigen und zähen Kämpfen gelang es der Armee die bewaffneten Islamisten aus Mingora, der Hauptstadt von Swat zu vertreiben. Doch die Reinigungsarbeiten dauerten länger als vorgesehen und die Taleban Führer scheinen sich aus der Stadt in Sicherheit gebracht zu haben, bevor die pakistanischen Truppen sie voll kontrollierten. Die Kämpfe bewirkten, dass fast alle Bewohner die Stadt verlassen mussten. Sie gelangten als Flüchtlinge in elende Lager weiter im Inneren Pakistans. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge aus Swat wurde auf zwei Millionen Menchen geschätzt.


Nach der Besetzung der Hauptstadt durch die pakistanischen Truppen kehrten einige der vertiebenen Einwohner wieder in ihre mehr oder minder zerschossenen Häuser zurück. Doch die Kämpfe im Swat Tal dauern immernoch an. Viele Flüchtlinge sind noch nicht heimgekehrt. Die pakistanische Regierung erwies sich als unfähig und offenbar wenig interessiert daran, den Flüchtlingen wirksam zu helfen.

Während die offizielle Armee in Swat beschäftigt ist, haben die Taleban Zeit, sich in anderen Teilen der weit ausgedehnten Grenzregion festzusetzen. Die langsamen Fortschritte unter grossen Verlusten an Menschenleben und Wellen von pakistanischen Flüchtlingen dürften die pakistanische Armee schwerlich ermuntern, auch in anderen Regionen Offensiven zu wagen.



Die Streitkräfte Pakistans sind für einen konventionellen Krieg, primär gegen Indien, bewaffnet und ausgebildet. Sie besitzen keinerlei Ausbildung oder Erfahrung im Krieg gegen Guerrilla Truppen, und ihre Kampfmethoden haben sich in Swat als dementsprechend schwerfällig erwiesen. Was vor allem die Zivilbevölkerung zu spüren bekam.


Für Afghanistan wie für Pakistan gilt: die Regierung und ihre Sicherheitstruppen, in Afghanistan einschliesslich der fremden Soldaten der Nato, sind nicht in der Lage, die Sicherheit der Dörfer und der verstreuten Gehöfte in den pashtunischen Gebieten beider Länder wirklich zu gewährleisten. Wo sie am Tag vertrieben wurden, kommen die Taleban nur zu oft nachts wieder zurück. Das gibt den dort lebenden, im besten Fall schlecht bewaffneten, Zivilisten keine andere Wahl als entweder zu fliehen oder sich mit den Taleban zu verständigen, das heisst, sich ihnen unterzuordnen.


Es dürfte zutreffen, dass die grössten Teile der Bevölkerung im pakistanischen Hinterland und sogar in den Stammesgebieten die Taleban als eine Gefahr ansehen von dersie am liebsten befreit sein wollten. Die nördlichen Grenzprovinzen Pakistans haben sich in den letzten Lokalwahlen klar gegen alle Islamisten und für die säkular ausgerichtete Awami Partei ausgesprochen. Doch wenn die Zivilbevölkerung durch bittere Erfahrung lernt, dass die Polizei und die Streitkräfte Pakistans ihr keine Sicherheit gegen die bewaffneten Islamisten bieten, sieht sie sich gezwungen, deren Weisungen zu folgen und sich schrittweise immer mehr von ihnen beherrschen zu lassen. Dies scheint die wirkliche Lage zu sein, sowohl in den pakistanischen Grenz-und Stammesgebieten wie auch in weiten Teilen das pathanischen Südens Afghanistans. Die afghanischen Taleban stehen ausserdem auch in der Offensive in vielen nicht pathanischen Gebieten der eiden Nachbarstaaten, indem sie mit Bomben, Selbstmordanschlägen und Strassenüberfällen arbeiten. Ihr Ziel ist dabei, auch in diesen Gebieten genügend Angst unter der Zvilbevölkerung zu verbreiten, so dass diese sich ihnen unterstellt und ihre Weisungen ausführt.

Unter solchen Umständen ist die Korruption der Regierungsvertreter besonders gefährlich. Sie bewirkt, dass die Zivilbevölkerung nur dann damit rechnen kann, effektiv von der Regierung beschützt zu werden, wenn sie ihren Vertretern in Polizei und Armee sowie in der Verwaltung Protektionsgelder bezahlt. Wer keine oder nur ungenügende hat, sieht sich gezwungen, bei der Gegenseite, jener der Taleban, Schutz und ein Minimum von Sicherheit zu suchen. Mit Religion hat dies alles viel weniger zu tun als nach aussen hin vorgegeben wird. In Wirklichkeit geht es um Macht.



Alles Schuld der Amerikaner?


Man kann abschliessend fragen: warum sollen die Vereinigten Staaten (und einige Nato Truppen in ihrem Gefolge) die einzig Verantwortlichen für die bestehenden Zustände sein? Tragen nicht auch die betroffenen Völker Verantwortung für ihre eigene Lage?

Darauf gibt es zwei Antworten, eine kürzere, die sich rein auf die heutige Lage bezieht, aber auch eine viel längere und komplexere, die auf die Vorgeschichte der heutigen Nahostkrise eingehen müsste, beginnend mit dem 19. Jahrhundert.

Die kurze Antwort: Die Amerikaner seit Bush haben versucht mit konventionellen militärischen Mitteln einen „Krieg gegen den Terrorismus“ zu führen, der nur zu oft zu brutalen konventionellen und höchst zerstörerischen Kriegen gegen islamische Völker wurde. Ohne den Willen Bushs und seiner neokonservativen Inspiratoren wären sie nicht geschehen. Die Folgen davon sind nun sichtbar geworden und sie erstrecken sich primär auf die zerstörten Staaten und Territorien aber auch in ihren Auswirkungen auf die Vereinigten Staaten.

– Die Nahostkrisen sind aber natürlich viel älter als die von Bush ausgelösten Explosionen. Hier wird die langfristige Antwort relevant. Seit rund 1800 und immer andauernd seither wirken sich die überlegnenen Machtmittel der Europäer und später der Amerikaner im Nahen Osten aus wie auch in der weiteren islamischen Welt. Diese Machtmittel wurden und werden noch eingesetzt, um den nationalstisch eng umschriebenen Interessen der jeweiligen Machthaber zu dienen. Dabei wird auf die Zustimmung der Dominierten wenig geachtet. In den seither verflossenen 20 Jahrzehnten hat sich die Einflussnahme verstärkt, sie ist vom militärischen auch auf den wirtschaftlichen und kuturellen Schauplatz übergegangen und hat auch Vielerorts zur territorialen Herrschaft der kulturell fremden Zivilsationen und Machttechniken geführt. In kolonialen Zeiten war dies offensichtlich, in den post-kolonialen ging der Prozess als indirekte Domination weiter und konnte sich nach kurzen Episoden unvollständiger Unabhängigkeit sehr weitgehend durchsetzen. Heute bezeichnet man ihn als Globalisierung.

Was von den Neocons und Gesinnungsgenossen als „Terrorismus“ angesprochen wird, war und ist immernoch überwiegend eine Reaktion von Verzweiflungstätern auf diese Lage. Die Verzweiflungstäter bilden Randgruppen in der islamischen Völkerwelt. Doch der Einsatz extremer und flächenzerstörender Gewalt gegen ganze Völker, statt gezielt gegen die spezifischen Randgruppen vorzugehen, hat die Zahl der Sympathisanten mit diesen Randgruppen gewaltig vermehrt und verschafft den Tätern weit ausgedehnte Angriffsflächen, über die sie ohne das blinde höchst destruktive Eingreifen der Amerikaner nie verfügt hätten. Die islamischen Völker selbst drohen in vielen Fällen Opfer dieses Prozesses zu werden, den nicht sie sondern die westlichen Mächte, Europa zuerst und in einem zweiten Stadium primär Amerika, ausgelöst haben.

Was sich auf dem sehr ausgedehnten, wenig übersichtlichen und in den Einzelheiten sehr unterschiedlichen Schauplatz der Islamischen Staatenwelt abspielt, geschieht in einem viel übersichtlicheren und daher auch symbolisch greifbaren engen Rahmen zwischen dem vom Westen zur Macht gebrachten und von ihm weiter verteidigten Kleinstaat der Juden und dem palästinensischen Territorium, in das er eingepflanzt wurde und über das er sich unerbittlich weiter ausdehnt. Dabei sind die gleichen Verzweiflungssympthome bei der lokalen, überwiegend islamischen Bevölkerung aufgetreten, die sich später in dem viel weiteren Bereich der gesamten islamischen Welt wiederholen sollten. Die besonders scharf umrissene Sichtbarkeit des dortigen Geschehens erhebt es zu einer Symbolhaftigkeit, die den weit ausgedehnten Parallelerscheinungen von Tschetschenien bis nach dem Sudan und von Marokko bis nach Urumchi und Bali Identifikations- und Vernetzungsmöglichkeiten verschafft.

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Birgit Cerha: Humanitäre Katastrophe in einem vergessenen Krieg


Während Al-Kaida im Jemen immer stärker Fuß fasst, fordert der Vernichtungskrieg gegen die Zaidi-Rebellen im Norden eine erschreckende Zahl von Opfern



„Das gesamte Gebiet wurde in ein Meer von Blut getaucht. Ich sah Teile von Körpern und verkohlte Leichen“, berichtete ein lokaler Sanitäter über die Folgen von zwei verheerenden Luftangriffen der jemenitischen Streitkräfte in der nordlichen Unruheprovinz Amran. Zahlreiche Familien, die unter Bäumen vor den Kämpfen zwischen Regierungssoldaten und schiitischen Rebellen Zuflucht gesucht hatten, waren Ziel der Attacken geworden, die meisten der etwa 87 Toten Alte, Frauen und Kinder. Es ist der bisher blutigste Angriff auf Zivilisten, seit Regierungstruppen am 11. August eine neue Offensive im fünfjährigen Krieg gegen die Rebellen begann. Während internationale humanitäre Organisation eine Untersuchung fordern, verteidigt ein Regierungssprecher die Aktion damit, dass Rebellen Flüchtlinge als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht hätten.

Der von der Welt vergessene Krieg fordert zunehmend zivile Opfer in katastrophalem Ausmaß. Hilfsorganisationen schlagen Alarm. Nicht nur haben die jüngsten Kämpfe bisher bis zu 150.000 Zivilisten in die Flucht getrieben, Tausende sind in der nördlichen Stadt Saada und deren Umgebung durch die Kämpfe von der Außenwelt abgeschnitten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz fordert dringend die Errichtung eines „Hilfskorridors“, um die Eingeschlossenen wenigstens mit den wichtigsten Lebensmitteln zu versorgen.

Die Situation im Norden hat sich seit August dramatisch zugespitzt, nachdem die schiitischen Houthi-Rebellen einen wichtigen Regierungsstützpunkt an der strategischen Straßenverbindung zwischen der Hauptstadt Sanaa und der Grenze zu Saudi-Arabien unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Präsident Saleh blies darauf hin zu einem „Krieg der verbrannten Erde“, um das Krebsgeschwür“ der Houthi-Rebellion endgültig zu vernichten. Zahlreiche Houthis, so behauptet die Regierung, seien getötet und gefangen genommen worden. Doch die Kämpfe toben weiter.

Es ist eine von drei dramatischen Herausforderungen, die die Einheit dieses bitterarmen Staates l zu zerreißen droht. Im Süden wächst der Drang nach Sezession, während immer mehr Al-Kaida Terroristen unter unzufriedenen Stämmen Unterschlupf und Aktionsfreiraum finden. Dies alles vor dem Hintergrund der durch fallende Ölpreise gravierende verschärften sozialen Probleme.

Der Krieg, der seit seinem Ausbruch vor fünf Jahren Tausenden Menschen das Leben gekostet hat, entspringt einer Mischung aus Stammesinteressen und lokalen Missständen. Seine Wurzeln reichen aber weiter in die Geschichte des Jemens zurück.

1962 hatte eine Revolution die tausendjährige Herrschaft der Zaidis, eines Zweiges des schiitischen Islams, der eine Minderheit im Jemen bildet, beendet. Saada, die einstige Hochburg der Zaidis, wurde von da an von der von Sunniten dominierten Zentralregierung in Sanaa ökonomisch stark vernachlässigt. Im Bürgerkrieg zwischen Nord- und Süd-Jemen 1994 suchte die Regierung militärische Hilfe bei den saudischen Wahabiten, einem radikalen Zweig des sunnitischen Islam, der die Schiiten als Häretiker betrachtet. Seither beklagen die Zaidis nicht nur die Unterentwicklung, sondern auch den dominierenden Einfluss der Wahabiten im Jemen. Die gewaltsame Rebellion begann bei einem Versuch der Regierungstruppen 2004, den prominenten religiösen Führer der Zaidis, Hussein al-Houthi, zu verhaften. Im Verlauf heftiger Kämpfe wurde al-Houthi getötet und sein Bruder Abdul Malik führt nun die Rebellion.

Ende August lehnte Abdel Malik al Houthi, der sich nach Einschätzung von Beobachtern militärisch relativ stark fühlen dürfte, ein Waffenstillstandsangebot der Regierung ab, das au.a. die totale Entwaffnung der Rebellen vorsieht. Der Konflikt hat auch explosive internationale Dimensionen, da das an Saudi-Arabien grenzende Rebellengebiet zunehmend Al-Kaida-Terroristen als Operationsbasis für Attacken im Königreich dienen dürfte. Ein gescheitertes Attentat auf Saudi-Arabiens Innenminister im August wurde von einem aus dem Grenzgebiet eingedrungenen Extremisten verübt. Zudem behauptet die Regierung, die al-Houthis würden vom Iran unterstützt und der Konflikt weite sich zu einem Stellvertreter-Krieg zwischen Riad und Teheran aus.

Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 18.09.2009
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Dienstag, 15. September 2009

Birgit Cerha: „Meine Heimat ist immer noch ein Gefängnis“

Gefeiert und geehrt gewinnt der irakische „Schuhwerfer“ wieder die Freiheit, entschlossen, sich künftig den Kriegsopfern zu widmen

„Ich bin kein Held. Ich gebe das offen zu. Ich bin lediglich ein Mensch mit einer festen Überzeugung. Ich habe gesehen, wie mein Land in Flammen aufging.“ Mit diesen Worten versuchte der irakische Journalist Muntazer al-Zaidi in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme nach seiner Freilassung von neunmonatiger Gefangenschaft, seine Position klar zu stellen. Hochemotional verteidigte dabei der junge Mann seine aufsehenerregende Tat als Racheakt an einem „Kriegsverbrecher“.

Der 30-jährige Mitarbeiter bei „Al Baghdadiya“, einer kleinen privaten Fernsehstation mit Sitz in Kairo, war am 14. Dezember 2008 mit einem Schlag zur Weltberühmtheit geworden, als er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Premier Malikis mit dem zu einem Besuch in Bagdad weilenden US-Präsidenten seine beiden Schuhe auf Bush warf, der sich rasch duckte, und dazu die Worte rief: „Dies ist ein Geschenk von den Irakern; das ist ein Abschiedskuss, du Hund“. Diese Worte und die Tat sind zählen nach mittelöstlichem Verständnis zu den größten Beleidigungen. Die dreijährige Haftstrafe, zu der Zaidi für diesen „barbarischen Akt“ (so Maliki) wegen „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes“ verurteilt worden war, wurde später zu einem Jahr verkürzt und der junge Mann konnte schließlich das Militär-Gefängnis wegen „guten Führung“ vorzeitig verlassen.

Bis heute ist dieser Zwischenfall, der Zaidi nicht nur in Teilen des Iraks, sondern insbesondere auch in der arabischen Welt zu einem Helden machte, für Maliki mit enormer Peinlichkeit verbunden. Deshalb verbot die Regierung der Familie und Freunden den Freigelassen mit großen Freudenfeiern zu empfangen. Dennoch opferten seine Angehörigen und Freunde nach arabischer Tradition sechs Schafe und behingen ihn mit Siegeskränzen. Ungebrochen bekannte sich der durch Gefängnis und Misshandlungen physisch angeschlagene junge Mann zu seiner Tat, erzählte, wie er nächtelang weil ihn die Bilder der Toten und „die Schreie der Verwundeten, die Tränen der Witwen“, die Zerstörungen und Demütigungen durch die Okkupation so quälend verfolgt hätten. „Ich habe den Opfern geschworen, Rache zu nehmen.“ Die Pressekonferenz hätte ihm eine „Gelegenheit geboten, die ich nicht versäumen durfte“.

Zaidi, der unmittelbar nach seiner Tat von Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen und abgeführt worden war, bestätigte Folterberichte seiner Familie. Zuerst hätte man ihm die Schulter gebrochen, dann sei er wiederholt geschlagen, mit Zigaretten, durch Elektroschocks und simuliertes Ertränken gequält worden. Seine Nase und mehrere Rippen hätte man ihm gebrochen. Als erstes will er sich nun auf Beschluss seiner Familie einer medizinischen und psychologischen Therapie in Griechenland unterziehen.

Nicht alle im Irak und in der arabischen Welt betrachten Zaidi freilich als Volkshelden. Insbesondere in Journalisten- und anderen Intellektuellen-Kreisen sieht man die Tat als primitive Reaktion auf als so schwer empfundene Demütigungen. Warum, so eine wiederholt gehörte Frage, habe Zaidi nicht die Chance ergriffen, den US-Präsidenten durch Fragen in die Enge zu treiben. Andere weisen darauf hin, dass die heftigen Reaktionen auf Zaidis Tat die enorme Schwäche der Araber spiegle. Denn während sich die arabische Öffentlichkeit über die so ungewöhnlich „mutige Aktion“ ereiferte, unterzeichnete der US-Präsident ein Sicherheitsabkommen mit dem Irak, dessen Inhalt in den Medien fast völlig von der Affäre Zaidi verdrängt wurde.

Doch die Mehrheit der Araber begeistert dieser „Mut des Davids gegenüber dem Goliath“.

Zaidi kann sich seither der Geschenke, Versprechungen und Freundschaftsbezeugungen kaum erwehren. Seine Fernsehstation kaufte ihm eine neue Wohnung. Libyens Staatschef Gadafi öffnete ihm die Tore seines Wüstenreiches, während eine von seiner Tochter geführte Gruppe Zaidi eine Auszeichnung für besonderen Mut verlieh. Unzählige arabische Väter bieten ihm ihre Töchter zur Verehelichung, Präsident Hugo Chavez offeriert ihm 100.000 Dollar und die venezolanische Staatsbürgerschaft, arabische Medien drängen ihn zur Mitarbeit und irakische Politiker zur Kandidatur für die Parlamentswahlen im Januar.

„Heute bin ich frei, doch mein Heimatland ist immer noch ein Gefängnis“, betonte Zaidi. Und nach Aussagen seines Uday will er „etwas tun, um dem irakischen Volk zu helfen, nicht im Journalismus und nicht in der Politik, sondern durch eine Menschenrechtsgruppe, die er gründen wolle. Und weil er auch seine Folterer zur Rechenschaft ziehen, deren Namen in den nächsten Tagen bekannt geben will, fürchte er nun um sein Leben, meinen Familienangehörige, im von Saddam Hussein befreiten Irak, in dem die Menschenrechte immer noch mit Füßen getreten werden.

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Sonntag, 13. September 2009

Birgit Cerha: Das Ende der „Achse des Bösen“


Irans wachsendes Interesse an einer vorsichtigen Wiederannäherung mit dem „großen Satan“ USA, aber keine Zugeständnisse in der Atomfrage


Irans heftig umstrittener Präsident Ahmadinedschad feiert einen kleinen außenpolitischen Triumph. Intern von allen Seiten schwer bedrängt, kann ihm die Entscheidung der USA, sich auf Basis des vergangenen Mittwoch unterbreiteten iranischen Verhandlungspakets zu den ersten substantiven Gesprächen mit der „Islamischen Republik“ seit der Geiselkrise in Teheran 1979 an einen Tisch zu setzen kaum mehr gelegen kommen. Wiewohl das offizielle Washington bekräftigt, Teheran sei in seinen Vorschlägen nicht auf die Sorge der Amerikaner und ihrer westlichen Verbündeten über das iranische Atomprogramm eingegangen, hatte US-Präsident Obama Freitag die Teilnahme der USA am Dialog der „P-5+1“ (neben den USA Frankreich, England, China und Russland, sowie Deutschland) mit der „Islamischen Republik“ zugestimmt. Obama ließ sich zu dieser Kehrtwende bisheriger US-Politik, die den Iran neben Noprd-Korea (und einst dem Irak Saddam Husseins) als „Achse des Bösen“ gebrandmarkt und isoliert hatte, offensichtlich wegen der Aussichtlosigkeit überreden, das China und Russland einer Verschärfung der UN-Sanktionen gegen Teheran zustimmen würden, um einen Stopp des Uran-Anreicherungsprogrammes zu erzwingen.

Die Signale aus Teheran sind, wie stets, widersprüchlich. Einerseits läßt Außenminister Mottaki ein wenig Flexibilität erkennen, wenn er betont, sollten die Bedingungen dafür günstig sein“, könne auch der Atomstreit zur Sprache kommen und der neue Verteidigungsminister Ahmad Vahidi bekräftigt den rein zivilen Charakter des Atomprogramms, denn „die Produktion von Massenvernichtungswaffen (wie atomaren) ist gegen unsere religiösen, humanitären und nationalen Prinzipien.“ Anderseits betonte der „Geistliche Führer“ Khamenei vergangenen Freitag: „Wenn wir unsere Rechte – nukleare oder andere – aufgeben, wird das zu unserem Niedergang führen.“

Dennoch besteht kein Zweifel, dass der Iran nun auf eine lange erhofft Chance auf einen Dialog mit USA baut. Das iranische Vorschlagspaket enthält allerdings Ideen, die der Westen als beträchtliche Herausforderung werten muss. So besitzt die Forderung nach einer grundlegenden institutionellen Reform der UNO, um den „gegenwärtigen Bedürfnissen der Menschheit“ besser zu entsprechen, keine Aussicht auf Einigung, da er sich vor allem gegen die Zusammensetzung des Weltsicherheitsrates und damit die Dominanz der Großmächte wendet und es doch diese sind, die einer Reform zustimmen müssten. Auch das von Teheran präsentierte Lösungskonzept für das Nahostproblem – die Vereinigung israelische rund palästinensischer Territorien unter einer neuen, demokratisch gewählten Regierung, stößt auf sofortige Ablehnung. Und über die Atomfrage wollen die Iraner nur im Rahmen eines – allerdings auch von Obama angeregten – weltweiten Abrüstungsprogrammes sprechen.

In seiner ersten Amtszeit hatte Ahmadinedschad den Preis des Widerstandes im Atomstreit als wesentlich geringer eingestuft als jenen eines Kompromisses. Die drei Sanktions-Resolutionen der UNO erwiesen sich nicht besonders schmerzlich, da sie vielfach nicht eingehalten wurden und der Iran sein Atomprogramm forsetzen konnte. Nun erhofft sich der iranische Präsident von einer ersten zaghaften Annäherung an die so lange von den islamischen Revolutionären als „Großen Satan“ verteufelten USA längerfristig enorme Vorteile. Als Hauptbedingung für eine Aussöhnung hatten die Iraner stets eine offizielle Entschuldigung der USA für „Verbrechen“ der Vergangenheit gefordert. Ex-Präsident Clinton, seine Außenministerin Albright und zuletzt Obama hatten mehrmals 1999, 2000 und zuletzt in diesem Jahr Fehler der USA eingestanden. Nun läßt sich erstmals auch in der iranischen Propaganda erkennen, dass die „Islamische Republik“ bereit sein könnte, diese Außerungen als Entschuldigung zu akzeptieren.

Ebenso wichtig ist der iranischen Führung die Anerkennung des Irans als „regionale Supermacht“ durch die USA, was Washington zwingen müsste, Teheran in allen wichtigen internationalen Fragen als „gleichwertigen Partner“ zu konsultieren. Hierin liegt der Schlüssel für ein positives Engagement der „Islamischen Republik“ im Mittleren Osten, sei es im Irak, in Afghanistan, im Libanon und in der Palästinenserfrage.. Dies ist der Preis, den die Iraner für die Erfüllung ihrer Bedingungen zu zahlen bereit sind. Zugleich würde ein Dialog auf solcher Basis dem vor allem auch in den Augen der eigenen Bevölkerung schwer angeschlagenen Regime der Islamisten das weitere Überleben sichern.


Erschienen am 14.9.2009 in der "Frankfurter Rundschau"
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Montag, 7. September 2009

Birgit Cerha: Die Schlacht tobt weiter

Irans neue Regierung der Ultras kämpft mit einer schweren Legitimationskrise – Khamenei baut neues Machtzentrum auf

Kaum ein paar Tage konnte Mahmut Ahmadinedschad seinen Triumph auskosten. Die Freude, dass das von konservativen „Prinzipientreuen“ dominierte Parlament nur drei seiner Ministervorschläge zurückwies, ist rasch verflogen. Über der erhofften „neuen Ära“ der Kooperation zwischen den Madschlis (Parlament) und Präsidentschaft ziehen düstere Wolken auf. „Warum nur“, wettert Ahmadinedschads Presseberater Javanfekr, „zog Bahonar (der stellvertretende Parlamentspräsident) die starke Zustimmung der Abgeordneten für die Ministervorschläge in Zweifel und dies auch noch in der schlimmsten möglichen Weise?“

Tatsächlich könnte nichts Ahmadinedschads schwer angeschlagene Position deutlicher beweisen, als die Bemerkung Bahonars, dass „acht oder neun“ der 21 Ministerkandidaten vom Parlament zurückgewiesen worden wären, hätte sich nicht der „Geistliche Führer“ Khamenei so intensiv für die Billigung aller eingesetzt. Und trotz dieser einzigartigen Aktion des „Obersten Rechtsgelehrten“, lehnten die Parlamentarier drei designierten Regierungsmitglieder ab.
Der heftige Machtkampf, der seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom 12. Juni zwischen wichtigen Teilen der konservativen Elite und Ahmadinedschad tobt, hatte sich bei einem wilden Schlagabtausch in den Madschlis öffentlich entladen. Ungehemmt zeigten die Deputierten ihre Animositäten gegenüber dem Präsidenten, der sich mit inkompetenten „Ja-Sagern“ umgebe. Das Ministeramt sei kein „Ort für Probespiele“, empörte sich Parlamentspräsident Ali Laridschani. Dieser offene Konflikt mit dem konservativen Machtestablishment bedrohte nicht nur die Position des Präsidenten, sondern das gesamte System so massiv, dass sich Khamenei zur Intervention entschloss. Der Imageverlust für den Präsidenten, die Zweifel an der Legitimität seiner Regierung könnten kaum gravierender sein.

Zwar sitzen nun seine stärksten Verbündeten aus den Revolutionsgarden auf den wichtigsten Ministerposten (Innen-, Geheimdienst-, Verteidigung u.a.), dennoch halten politische Beobachter in Teheran diese Regierung für „die schwächste seit der Revolution“ 1979. Mahnungen, wie jene Ayatollah Emami Kaschanis, die Fraktionen sollten sich lieber „auf den Export der Revolution“ konzentrieren, statt untereinander zu streiten, unterstreichen diese Schwäche noch.

Die Fronten sind abgesteckt. Ungeachtet von Massenprozessen, brutal erzwungenen TV-„Geständnissen“ führender Oppositioneller und des jüngsten offenen Vorwurfs des Chefs der Revolutionsgarden Mohammed Ali Jafari gegen die Führer der Bewegung „Grüner Pfad der Hoffnung“ verstummt der Widerstand gegen die als illegal empfundene Wahl Ahmadinedschads nicht. Jafari bezichtigte Ex-Präsident Khatami und dessen Mitstreiter Karrubi und Mussawi offen des „Verrats“. Khatami hätte nach Aussagen von inhaftierten Oppositionellen die Abschaffung von „Rahbari“ (Amt des höchsten Führers) betrieben. Zuvor hatte schon Ahmadinedschad wiederholt eine uneingeschränkte Bestrafung der Drahtzieher der Massenproteste gefordert. Oppositionskreise befürchten nun, Jafari habe den Auftakt für noch weitreichendere „Säuberungen“.gesetzt.

Doch Mussawi läßt sich nicht einschüchtern: „Wir stellen sehr klare und logische Forderungen. Wir verlangen die Bewahrung der Islamischen Republik und die Stärkung der nationalen Einheit.“ Über Facebook, dem einzig ihm verbliebenen Kommunikationskanal zu seinen Anhängern, ruft er zu einer Massenversammlung am 18. September auf, dem „Quds“-(Jerusalem)-Tag, an dem Ex-Präsident Rafsandschani das Freitagsgebet halten soll. Doch welche Rolle spielt Rafsandschani heute, nachdem er sich zunächst hinter die Grüne Bewegung gestellt und offen Repression, aber auch den „Führer“ kritisiert hatte? Am 22. August rief er plötzlich die Iraner zum Gehorsam gegenüber Khamenei auf. Hat er, getrieben von persönlichem Machtinteresse, die Fronten wieder gewechselt?

Würde das islamische System eine Verhaftung Khatamis, Mussawis und Karrubis verkraften? Dass selbst Khamenei daran zweifelt, läßt sich deutlich erkennen und daraus schöpfen diese Drei ihre anhaltende Widerstandskraft. Doch Ahmadinedschad und seine mächtigen Hintermänner, die Revolutionsgarden, haben einen klaren Masterplan, den sie Schritt um Schritt durchzusetzen suchen: die völlige Ausschaltung der Reformer, massive Unterdrückung jeder oppositionellen Bewegung, totale Militarisierung der Politik. Gab Ahmadindeschad bisher strengstens Geheimgehaltenes preis, als er während einer Parlamentsdiskussion meinte: „Wir sollten die Verantwortung zur Führung des Landes von den Schultern des Höchsten Führers nehmen“? Von religiöser Seite abgestützt wird er von seinem geistlichen Mentor Ayatollah Mesbah Yazdi: „Ein vom Führer (Khamenei) eingesetzter Präsident regiert mit göttlicher Autorität.“

Dass Khamenei die Macht Ahmadinedschads einzuschränken sucht, lässt sich deutlich erkennen. Im Gegensatz zum Team des Präsidenten aber verfolgt der „Führer“ keine klare Strategie. „Einen Schritt auf die Reformer zu und zwei zurück zu den Reaktionären“, so charakterisiert ein iranischer Politologe die oft widersprüchlichen Manöver des „Führers“. Durch Vorwürfe der Misshandlung von Gefangenen unter Druck gesetzt, wich Khamenei nun von der Forderung nach totaler Intoleranz gegenüber der Opposition ab und verlangt „Gerechtigkeit“ für gequälte gefangene Demonstranten. Bestrebt, die Wogen zu glätten, die Brüche in Gesellschaft und Regime zu kitten, hat er begonnen, ein neues Machtzentrum aufzubauen, das den Präsidenten kontrollieren und ihm Grenzen setzen soll. Die einflussreichen Brüder Laridschani, erzkonservativ und Khamenei treu ergeben, haben diese Funktion übernommen. Söhne eines einst hoch angesehenen Großayatollah haben sie in den höchsten Kreisen der Geistlichen und anderen Teilen des Establishments viele Freunde.

Ali Laridschanis Beziehung zu Ahmadinedschad prägt eine bittere persönliche Animosität, die weniger auf politischer Basis ruht, als auf einer tiefen Abneigung des grobschlächtigen Regierungsstils. Seit Ausbruch der jüngsten Krise hat Ali Laridschani Ahmadinedschad so manches Messer in den Rücken gestoßen, etwa als er demonstrativ der (Wahl-)Siegesfeier fernblieb, eine Kommission zur Untersuchung der Brutalitäten an Gefangenen einberief und wiederholt offen Ahmadinedschad vorwarf, er hätte den Iran in eine schwere Krise und die totale Isolation getrieben.

In das selbe Horn bläst auch Ayatollah Sadek Laridschani, Alis jüngerer Bruder, den Khamenei zum neuen Justizchef bestellte. Wiewohl auch er als regimetreuer Hardliner gilt, ließen deutliche Worte bei seiner Amtseinführung aufhorchen: „Niemand sollte es wagen oder sich das Recht nehmen, gegen das Gesetz zu handeln, Menschenrechte zu verletzen oder die Menschen ihrer Sicherheit oder ihres Seelenfriedens zu berauben.“ Danach entließ er Generalstaatsanwalt Said Mortasawi, der für die Verhaftungswellen verantwortlich ist und sprach sein tiefes Unbehagen über die TV-„Geständnisse“ aus. Als weiteren direkten Affront gegen Ahmadinedschad ernannte Sadek Laridschani den vom Präsidenten wegen „Illoyalität“ entlassenen Geheimdienstminster Gholem Mohseni Ejeri zum neuen Generalstaatsanwalt. Die beiden Laridschanis sind dabei, eine „dritte Kraft“ im „Gottesstaat“ aufzubauen und durch ihre Kontrolle von zwei Regierungszweigen – Parlament und Justiz – Ahmadinedschad enge Grenzen zu setzen.

Die anhaltenden internen Rivalitäten, ebenso wie die Zusammensetzung der neuen Regierung drohen allerdings Irans außenpolitischen Manövrierraum einzuschränken. Die Wahl des von Interpol wegen Planung eines Anschlags auf ein jüdisches Kulturzentrum in Argentinien 1994 (85 Tote und 300 Verletzte) gesuchten Ahmad Wahidi zum Verteidigungsminister gilt als offener Affront der Amerikaner und Europäer kurz bevor die von US-Präsident Obama für Ende September gesetzte Frist zur Aufnahme von Gesprächen über das umstrittene Atomprogramm abläuft. Während sein Verteidigungsminister harte Töne anschlägt, signalisiert der Präsident Gesprächsbereitschaft. Ein umfangreiches Vorschlagspaket für die Normalisierung der Beziehungen will er den Amerikanern übergeben: „Iran ist für alle Diskussionspunkte offen.“ Dass das Paket jedoch die vom Westen geforderten Zugeständnisse in der Atomfrage enthält, ist unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte der Präsident das Gespräch suchen, um Zeit zu gewinnen und das Atomprogramm voranzutreiben. Zugleich hat er mit Wahidi einen in der Organisation von Gewaltakten erfahrenen Militär an der Seite, der – mit Hilfe von Verbündeten - schmerzvolle Aktionen gegen die USA im Irak, in Afghanistan, am Persischen Golf oder vom Libanon aus gegen Israel setzen kann, sollte neue UN-Sanktionen all zu hart ausfallen oder Israel gar einen Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen riskieren.


Erschienen im Rheinischen Merkur am 10.9.2009
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