Samstag, 31. Dezember 2011

Attacke gegen NGOs in Ägypten heizt Spannungen auf

Einschüchterungskampagne der herrschenden Militärs soll Demokratie-Aktivisten zum Schweigen bringen

von Birgit Cerha

Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs), darunter die seit drei Jahrzehnten in Ägypten wirkende Konrad Adenauer Stiftung, reagierten Freitag fassungslos und empört auf Polizeirazzien gegen 17 Organisationen in Ägypten. Derartiges hatte selbst der im Februar gestürzte Diktator Mubarak nicht gewagt. Ein böses Omen für eine demokratische Zukunft am Nil.
In einer offensichtlich seit längerem geplanten Aktion hatten Donnerstag Soldaten und schwarzgekleidete Polizisten die Büros von 17 lokale und ausländische NGOs gestürmt, stundenlang durchsucht und Computer, Akten, Handys u.a. beschlagnahmt. Büros, wie jenes der Konrad Adenauer Stiftung wurden versiegelt. Offiziell hieß es lediglich, es handle sich um Ermittlungen wegen des Verdachts illegaler „Finanzierung aus dem Ausland, sowie um Überprüfung von Genehmigungen für die Aktivitäten der Organisationen.NGO-Vertreter verurteilen diese „intensive Kampagne zur Demontage der Zivilgesellschaft“ auf das schärfste und werten dies als den bisher deutlichsten Beweis dafür, dass der regierende Militärrat keinerlei Absicht hege, Ägypten auf den Weg zu einer echten Demokratie zu führen. Zudem suchten die herrschenden Militärs „Sündenböcke“ für ihr eigenes Versagen, einen ruhigen Übergang in die Nach-Mubarak-Ära zu leiten. Amnesty International meint, der Militärrat attackiere vor allem jene NGOs, die die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen am Nil kritisierten.
Zweifellos ist die Aktion ein Signal für eine verschärfte Kampagne zur Diffamierung von Demokratie-Aktivisten im Land und zur Aufstachelung nationalistischer Gefühle, die mehr und mehr Ägypter gegen liberale Kräfte und hinter das Militär scharen sollte.
NGOs gelten traditionell in den arabischen Diktaturen als höchst gefährliche Kräfte, die die Grundfesten der autokratischen Systeme zu erschüttern drohen. Eine lebendige Bürgergesellschaft untergräbt die jahrzehntelang der Bevölkerung eingeimpfte Vorstellung, dass die herrschende Elite das politische Geschäft zum Wohl des Volkes weitaus am besten versteht. Selbst soziale Organisationen werden traditionell mit Argusaugen beobachtet, da sie durch ihre Aktivitäten die Unzulänglichkeit des Staates entlarven. Deshalb ist in den meisten arabischen Ländern die Gründung von NGOs an strikte Auflagen gebunden oder überhaupt verboten. Mubarak aber hatte in Ägypten dennoch eine relativ lebendige Zivilgesellschaft geduldet, nicht allerdings, ohne sich die Möglichkeit zu spontanen Schlägen mit Hilfe strikter Gesetze zu sichern. Diese beziehen sich vor allem auf ausländische Finanzunterstützung, die an offizielle Genehmigung gebunden ist. Unter dem Vorwand fehlender Genehmigung ließen sich auch in der Vergangenheit unbequem gewordene Menschenrechtsaktivisten, wie der prominente Soziologe Saadeddin Ibrahim, hinter Schloss und Riegel setzen.
Die Zivilgesellschaft, ägyptische, aber auch so manche ausländische NGOs spielen seit dem Sturz Mubaraks eine entscheidende Rolle, das Militär zur Einhaltung seiner Demokratie-Versprechen zu zwingen und damit deren inzwischen offensichtlich gewordenes Machtstreben zu untergraben. Deshalb hatte der Justizminister im Oktober zwei Richter mit der Untersuchung der Finanzierungen von NGOs beauftragt und angekündigt, dass jene Organisationen, die für schuldig befunden würden, mit einer Anklage wegen des „Verrats an Ägypten durch bewußte Förderung politischer Konflikte“ rechnen müßten. Ägyptens Streitkräfte freilich sind seit mehr als drei Jahrzehnten die Empfänger größter Auslandshilfe in Höhe von 1,5 Mrd. Dollar pro Jahr von den USA.

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Mittwoch, 28. Dezember 2011

Assads Spiel auf Zeit

von Birgit Cerha

Der Beginn der historischen Mission der Arabischen Liga, der ersten ihrer Art seit fast 70 Jahren, steht unter einem schlechten Stern. Erstmals seit ihrer Existenz hat sich die Organisation zu einer aktiven Friedensmission in einem ihrer Mitgliedsländer entschlossen. Der Dienstag mit etwa 50 Delegierten begonnene Einsatz bietet die derzeit einzige Chance, das katastrophale Blutvergießen in Syrien zu beenden. Doch die Glaubwürdigkeit beider Seiten des vor einer Woche unterzeichneten Abkommens – des syrischen Regimes ebenso wie jene der Liga – steht ernsthaft infrage. Der sudanesische Missionschef, an dessen ehrlichem Engagement für Demokratie und Menschenrechte aufgrund seiner Vergangenheit als militärischer Geheimdienstchef in der von Völkermord gequälten sudanesischen Westprovinz Darfur, scheint gleich zu Beginn des Einsatzes seinen Kritikern recht zu geben. Nach dem ersten Besuch in der von der syrischen Armee massiv attackierten Rebellenhochburg Homs befand General Dabi sie Situation „beruhigend“, wiewohl syrische Sicherheitskräfte in eine friedliche Menge feuerten, die die arabischen Beobachter zu mutigen Aussagen gedrängt hatten. Mindestens sechs Menschen starben in dieser ersten klaren Verletzung des Abkommens mit der Liga, das ausdrücklich Assad-Regime auffordert, friedliche Demonstrationen zuzulassen.

Die Hinweise, dass Assads Kooperation mit der Liga nur dem Schein dient, um Zeit zu gewinnen, mehren sich unterdessen. Die Freilassung von 755 Syrern, die in den vergangenen neun Monaten des Aufruhrs festgenommen worden waren, liefert keinen Beweis für einen von den Arabern geforderten Kurswechsel des Diktators. Denn mindestens 14.000 Menschen schmachten weiterhin in syrischen Gefängnissen und wie viele verschollen bleiben, ist vorerst unklar. Freier Zugang zu Aktivisten wird den Beobachtern vom Regime verwehrt oder von den Arabern gar nicht gesucht, wie die erste Inspektion in Homs zeigte. Zudem läßt die äußerst kurze Vorbereitungszeit und geringe Anzahl der Beobachter (etwa 150 sollen es bis Mitte Januar sein) auf eine hoffnungslose Überforderung der Kommission schließen, die überall im Land Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzudecken hat.

Ein zweifacher Verdacht drängt sich auf: Haben die Araber bewußt den Vertreter eines der ganz wenigen Länder – Sudan – als Missionschef gewählt, mit dem Assad noch gute Beziehungen pflegt, eines Mannes zudem, der das Vertrauen eines anderen Diktators genießt – Sudans Präsidenten - , der sich massiv internationaler Interventionen zur Beendigung von humanitären Verbrechen widersetzt hatte? Steht damit schon im voraus fest, dass die Beobachtermission alles unterlassen wird, was ein internatiionale Intervention zur Befriedung Syriens auslösen könnte und zugleich Assad eine politische Überlebenschance bietet?

Das Regime Assad hingegen, das steht längst fest, kann weder den von der Liga geforderten Gewaltverzicht gegen Protestierende riskieren, ohne dabei die Kontrolle über zahlreich syrische Städte und damit schließlich die Macht zu verlieren. Zugleich wiegt sich Assad – wie regelmäßige Fernsehbilder zeigen – in der Illusion, dass das Volk weitgehend immer noch hinter ihm stehe und tatsächlich kann er sich auch weiterhin auf Angehörige von Minderheiten und der Geschäftsklasse und vor allem der Streitkräfte stützen. Trotz zunehmender Desertionen von Soldaten hat sich bisher keine einzige Armee-Einheit gegen ihn gestellt. Deshalb setzt der skrupellos zuschlagende Diktator auch weiterhin auf den wichtigsten Verbündeten: die Zeit, in der seinen Gegnern endlich die Luft ausgehen sollte.

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Dunkler Schatten über der Syrien-Mission

Was der Delegationsleiter, der sudanesische General Dabi , vom Schutz der Menschenrechte hält.

von Birgit Cerha

Syrische Aktivisten, internationale Menschenrechtsaktivisten sind empört, „Enough-Project“, die sich mit Genozidverbrechen befassende Nicht-Regierungs-Organisation, ist „fassungslos“: „Statt ein Team (der Arabischen Liga“ zur Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Syrien zu anzuführen, sollte der Internationale Strafgerichtshof Untersuchungen gegen den General wegen ähnlicher Verbrechen im Sudan einleiten“, beklagt Omer Ismail, der für „Enough Project“ Verbrechen gegen die Menschlichkeit u.a. auch im Sudan dokumentiert.

Die Arabische Liga hat für ihr 150-köpfiges Beobachterteam, das Dienstag nach langem Tauziehen seinen Einsatz zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien begann, den 63-jährigen sudanesischen General Mohammed Ahmed Mustafa al-Dabi als Leiter bestellt. Von einigen arabischen Kommentatoren seit langem „die Schlange“ genannt, würdigen Vertreter der Liga die unverzichtbare militärische und diplomatische Erfahrung dieses Sudanesen, der al einer der engsten Vertrauten seines Präsidenten Omar al-Baschir gilt. Dieser sudanesische Despot wird wegen Verbrechen des Genozid vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht. Gegen Dabi wurde kein internationaler Haftbefehl erlassen. Human Rights Watch nennt den General in ihren Dokumentation über den Völkermord in der west-sudanesischen Provinz Darfur nicht namentlich, doch Jehanne Henry, Sudanexpertin der Organisation ist davon überzeugt, dass Dabi als Chef des militärischen Geheimdienstes in den 1990er Jahren „wissen mußte, was die Sicherheitsdienste zu jener Zeit angerichtet hatten. Wir und andere dokumentierten, dass die (sudanesischen) Sicherheitskräfte schwere Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Verhaftungen und Festnahmen politischer Aktivisten, Mißhandlungen und Folter“, Verschleppungen u.a… verübt hätten. Sudanesische Rebellenführer werfen Dabi schon lange Menschenrechtsverletzungen in Darfur vor. „Es ist offensichtlich, dass seine persönliches Profil nicht für die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen geeignet ist.“

Der Nahost-Experte Michael Rubin behauptet gegenüber dem britischen „Guardian“, dass Dabi alle internationalen Bemühungen, dem Massenmorden durch das Regime Bashir in Darfur Einhalt zu gebieten, „sabotiert“ hat. Laut Internationalem Strafgerichtshof tötete die sudanesische Armee in Darfur an die 300.000 Menschen.

Nachdem in Darfur jahrelang ein blutiger Krieg zwischen Arabern und den schwarzafrikanischen Masalit getobt hatte, entsandte Baschir Dabi 1999 in die Unruheprovinz, um dort „Ordnung“ zu schaffen, d.h. den Aufstand der Massalit gegen die in Khartum herrschenden Araber und deren Verbündete niederzuschlagen. Dabei gründete die gefürchteten arabische Dschandschawid-Miliz, die für die schwersten Verbrechen des Genozids verantwortlich ist. Die Reitermilizen überfielen meist in der Nacht Dörfer der schwarzafrikanischen Landbevölkerung, vergifteten Brunnen, stahlen den Bauern das Vieh und vertrieben die Zivilbevölkerung aus den Dörfern, die sie plünderten und dann in Brand steckten – 400 binnen 20 Monaten. Sie verfolgten die Flüchtlinge auch über Grenzen, etwa in den Tschad, wo sie Lager und Hilfskonvois attackierten. Die Folgen dieser Verbrechen wirken bis heute nach. Auch wenn bisher Beweise für eine direkte Verwicklung Dabis in diese Greueltaten fehlen, so hegen Menschenrechtsaktivisten keinerlei Zweifel daran, dass der General von den Verbrechen wußte und die Augen verschloß. Diese Vergangenheit wirft einen schweren Schatten auf die Syrien-Mission der Arabischen Liga, die derzeit einzige Hoffnung auf ein Ende der Brutalitäten im Lande Baschar el Assads.

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Dienstag, 27. Dezember 2011

Hoffnungsschimmer im Horror von Syrien?

Arabische Liga beginnt Mission zur Lösung der Krise – Inmitten von Blutvergießen tiefe Skepsis der Opposition

von Birgit Cerha

„Sie töten uns….. wo ist die Welt“, riefen Montag verzweifelte Bewohner der zentralsyrischen Stadt Homs, wo an die 4.000 syrische Soldaten tagelang mit schweren Waffen Wohnhäuser und Menschen attackierten. Die Operationen, die sich insbesondere auf das Stadtviertel Baba Amr, eines der Zentren des sunnitischen Widerstandes gegen das Alawiten-Regime Bashar el Assads, konzentrierten, illustrieren dramatisch die Panik des immer verzweifelter um sein Überleben ringenden Regimes. Allein in Homs wurden Montag laut Aktivisten mindestens 30 Menschen getötet. Amateur-Videos zeigten, wie Panzer zivile Ziele angriffen und Leichen in ihrem Blut in den Straßen lagen.

Dienstag kehrte weitgehende Ruhe ein in die gequälte Stadt. Augenzeugen berichten von menschenleeren Straßen, während ein 15-köpfiges Team der Arabischen Liga ihre Überwachungsmission begann, Gespräche mit dem Gouverneur, aber auch mit der Bevölkerung und der Opposition. Zuvor waren einige Panzer aus der Stadt gerollt.
Nach mühseligen Verhandlungen und Täuschungsmanövern hatte Assad vor einer Woche einen Plan der Arabischen Liga unterzeichnet, der dem Blutvergießen ein Ende setzen und Reformen zur Stabilisierung Syriens in die Wege leiten soll. Mehr als 5.000 Menschen kamen seit Beginn der friedlichen Proteste vor neun Monaten ums Leben, die große Mehrheit durch Sicherheitskräfte. Doch zunehmend sind unter den Opfern auch Soldaten, die überwiegend in eskalierenden Kämpfen mit Deserteuren der in der Türkei stationierten „Freien Syrischen Armee“ verwickelt waren. Während die zivile Opposition weiterhin auf Gewaltlosigkeit beharrt, wächst die Zahl der Deserteure und mit ihnen auch der blutige Widerstand gegen die Übermacht der staatlichen Armee.
Die Arabische Liga, die Syriens Mitgliedschaft suspendiert und Wirtschaftssanktionen eingehoben hatte, sieht ihre Mission als „letzte Chance“ für Assad, von seinem Kurs hemmungsloser Gewalt abzuweichen. Der Plan sieht einen Rückzug der Sicherheitskräfte aus Städten und Wohnvierteln vor, ein Ende der Gewalt gegen Zivilisten und die Freilassung von Tausenden Gefangenen, sowie den Beginn von Verhandlungen mit der Opposition. Doch seit der Unterzeichnung des Übereinkommens mit der Liga hat das Regime die Gewalt massiv verschärft.

50 arabischer Beobachter teilten sich Dienstag in mehrere Gruppen auf, um neben Homs Idlib, Hama, Damaskus und Daraa zu besuchen. Bis in etwa zwei Wochen wird das Team auf mehr als 150 Mitglieder – Menschenrechtsaktivisten, Militärexperten, Ärzte und Juristen – aus diversen arabischen Ländern angewachsen sein. Der Generalsekretär der Liga, Al Araby, legt nach eigenen Aussagen höchsten Wert auf totale „Objektivität und Transparenz“ und erwartet sich schon innerhalb von einer Woche Aufschluss darüber zu bekommen, ob das Regime das Abkommen mit der Liga ernsthaft erfüllen und mit den Delegierten seriös zusammenarbeiten will. Sollte dies – wie viele Beobachter und die syrische Opposition befürchten – nicht der Fall sein, dann will Araby Rückendeckung durch die UNO suchen. Dort herrscht allerdings bis heute keine Einigkeit über internationale Sanktionen oder andere Schritte gegen das Assad-Regime, die Syrien vor einem totalen Chaos oder gar einem Bürgerkrieg mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Region bewahren könnten.

Unter der – zersplitterten – Oppositionsbewegung herrscht tiefe Skepsis über die Erfolgschancen der Liga-Mission. Syrische Menschenrechtsaktivisten dokumentieren eine Reihe von Manövern des Regimes, um die Beobachter etwa durch Vertauschung von Straßenschildern irrezuführen oder Fakten zu vertuschen. So rollten zwar einige Panzer aus Wohnvierteln, doch dies überzeugt Kritiker nicht. Denn schon in den vergangenen Monaten hatten schwere Militärfahrzeuge immer wieder Wohngebiete verlassen, nur um rasch wiederzukehren. Auch berichten Aktivisten, dass die Armee Panzer in Regierungsgebäuden verstecke und zahllose Gefangene aus Haftanstalten in Homs, Hama oder Deraa u.a. im Schutz der Dunkelheit zu Militärstützpunkten gebracht worden seien, die die Beobachter nicht inspizieren dürfen. Aus dem Leichenschauhaus in Homs seien Hunderte Verstorbene entfernt worden.

Außenministser Muallem zeigt sich zuversichtlich, die Beobachter würden sich der Überzeugung des Regimes anschließen, dass „bewaffnete Terroristen“ die Hauptverantwortung für die katastrophale Gewalt trügen. Schon vergangenen Freitag hatte die erste in Syrien eingetroffene Gruppe von Beobachtern die Terrorszene in Damaskus inspiziert, wo zwei Autobomben mehr als 40 Menschen in den Tod gerissen hatten. Damit hatte Syrien eine neue Dimension der Gewalt erreicht. Innerhalb von einer Stunde nach der Explosion stand für das Regime der „Übeltäter“ schon fest: Al-Kaida, der Erzfeind des Westens, den Assad zu bekämpfen vorgibt.
„Alles Theater“, meinen so manche Kenner des syrischen Regimes, und sie fürchten, dass Assad sein Spiel mit der Arabischen Liga betreibe, um Zeit zu gewinnen, in der er seinen Gegnern endgültig das Genick brechen würde. Denn politische Zugeständnisse, Kompromisse würden seinen Untergang besiegeln.

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Donnerstag, 22. Dezember 2011

Bombenwelle sucht erneut Iraker heim

Blutiger Terror vor dem Hintergrund einer schweren Regierungskrise stürzt das Land in seine gefährlichste Zerreißprobe

Die Hoffnung, der Abzug der US-Besatzungstruppen aus dem Irak würde Aufständische ihrer wichtigsten Terror-Motivation berauben und das gequälte Land endlich auf den Weg der Stabilität führen, ist zerstoben. Nur vier Tage nachdem der letzte US-Soldat dem Zweistromland den Rücken gekehrt hatte, suchte Donnerstag eine Welle koordinierter Attacken Bagdad heim. Mindestens 63 Menschen starben und etwa 185 wurden bei Attacken in Bagdad verwundet.Zwar drängt sich vielen schiitischen Irakern der Verdacht auf, zutiefst erzürnte arabisch-sunnitische Führer versuchten sich nun durch Gewaltakte gegen politische Marginalisierung durch den schiitischen Premier Nuri al Maliki zu wehren. Doch Experten halten es für wahrscheinlicher, dass die Anschläge von längerer Hand geplant und nicht abrupte Reaktionen auf den eben in voller Härte ausgebrochenen politischen Konflikt zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen seien.
Der koordinierte Charakter der Explosionen trägt wohl die Handschrift der sunnitischen Terrorgruppe Al-Kaida im Irak, die 2006 bis 2007 in einem Kampf gegen die US-Besatzung das Land an den Rand des Bürgerkrieges getrieben hatte. In den vergangenen Jahren gelang den irakischen Sicherheitskräften mit US-Hilfe, die Gruppe empfindlich zu schwächen, doch sie besitzt nach Ansicht von Experten immer noch die Fähigkeit zu derartigen Bombenwellen. Weitere Destabilisierung des Landes könnte das Hauptmotiv sein. Und der Zeitpunkt könnte nicht wirkungsvoller gewählt sein.
Kaum von den Fesseln der US-Besatzungsmacht befreit, hatte Maliki gegen alte Rivalen losgeschlagen, deren er sich auf politischem Weg nicht entledigen kann: die beiden mächtigsten Sunnitenführer, Vizepräsident Hashemi und den stellvertretenden Premier Mutlak. Hashemi suchte im autonomen Kurdistan Zuflucht, nachdem die von Maliki massiv beeinflusste Justiz einen Haftbefehlt gegen ihn erlassen hatte. Drei angebliche Leibwächter des Vizepräsidenten hatten im offiziellen Fernsehen ihren Chef der Anstiftung zum Mord an Maliki bezichtigt. Die Identität der Männer konnte von unabhängigen Quellen allerdings nicht bestätigt werden und Hashemi weist energisch jeden Vorwurf zurück, er bezahle Todesschwadrone und hätte einen jüngsten Terroranschlag in der „grünen“ Regierungszone von Bagdad inszeniert. Während die Kurden dem Sunnitenführer Schutz gewähren, erklärt sich Hashemi bereit, sich in Kurdistan – fern von politischen Manipulationen Bagdads – einem Gericht zu stellen. Davon aber will Maliki nichts wissen, während Kurdenpräsident Barzani nun hinter den Kulissen emsig zu vermitteln versucht.
Auf dem Spiel steht die nach mühseligen neunmonatigen Verhandlungen endlich dank Vermittlung der USA und Barzanis am 21. Dezember 2010 auf die Beine gestellte nationale Einheitsregierung, die erste, in der auch die seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 von der Macht vertriebenen arabischen Sunniten voll integriert sind. Sie bot die größte Hoffnung auf nationale Versöhnung und Stabilisierung des Iraks. Doch in Wahrheit wurde der Regierungspakt bis heute nicht erfüllt. Vor allem blieben die wichtigsten Ministerien – Innen- und Verteidigung – bis führungslos, Maliki riss die Kontrolle an sich, während er eine intensive Verhaftungswelle politischer Gegner – mehrheitlich Sunniten – verfügte, mit dem offensichtlichen Ziel, seine Macht zu konsolidieren. Unter Sunniten wächst der Zorn über ihre politische Marginalisierung. In den vergangenen Wochen leiteten drei überwiegend von Sunniten bewohnte Provinzen einen in der Verfassung vorgesehenen Prozeß zur Selbstverwaltung ein. Bisher waren die Sunniten die Hauptgegner einer vor allem von den Kurden betriebenen Föderation gewesen. Das Konzept des Zentralstaates scheint gescheitert zu sein.
Als Mutlak jüngst offen Maliki diktatorischer Züge bezichtigte und ihm gar vorwarf, er sei „schlimmer als Saddam Hussein“, leitete der Premier ein Vertrauensvotum ein, über das das Parlament am 3. Januar entscheiden soll. Der Konflikt ist deshalb so dramatisch, weil die säkulare politische Bewegung „Irakiya“, der rund 80 Prozent der sunnitischen Wähler ihre Stimme gegeben hatten und die mit zwei Mandaten Mehrheit gegenüber der Partei Malikis die stärkste Fraktion im Parlament bildet, sowie neun Ministerposten hält, nun das Abgeordnetenhaus, wie die Regierung aus Protest gegen Malikis autoritäre Politik boykottiert. Schon gibt der Premier zu verstehen, dass er neue Minister ernennen und auf die weitere Kooperation mit den Sunniten verzichten wolle.
Der Verdacht drängt sich auf, dass auch der Iran, „Schutzpatron“ der Schiiten, Maliki gedrängt hatte, sich der beiden schärfsten Iran-Kritiker in Bagdads Führung zu entledigen: Mutlak wehrt sich energisch gegen die von Teheran geforderte Auflösung der Trainingslager der islamisch-marxistischen iranischen Opposition „Mudjaheddin e Khalk“ im Irak, während Hashemi entschieden die syrische Opposition in deren Kampf gegen Teherans engsten Verbündeten Bashar el Assad unterstützt.

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Mittwoch, 21. Dezember 2011

Irak: Frei, souverän und konfliktgeladen

Welches Land lassen die USA nach einem blutigen Krieg und fast neunjähriger Besatzung zurück?
(Bild: Falludscha)

von Birgit Cerha

„Die letzten amerikanischen Soldaten werden mit erhobenen Häuptern die Grenzen überschreiten, stolz auf ihren Erfolg….. . So werden die militärischen Anstrengungen der USA im Irak enden.“ Gemeinsam mit dem irakischen Premier Maliki feiert US-Präsident Obama den endgültigen Abzug der US-Besatzungstruppen aus dem Irak als „Sieg“ und der Machthaber am Tigris präsentiert sich stolz als „Retter“ der irakischen Souveränität.

Doch der Schein, den die beiden Führer vermitteln wollen, trügt. Weil ein innenpolitisch auf höchst wackeligen Beinen stehender Maliki eine Verlängerung der US-Truppenpräsenz über den mit dem damaligen US-Präsidenten Bush 2008 ausgehandelten Stichtag des 31. Dezember 2011 hinaus im Parlament nicht durchsetzen kann, reduziert die Supermacht ihre Präsenz in diesem strategisch so wichtigen Ölstaat auf ein Minimum. Einige hundert Soldaten werden bleiben, um die Sicherheit der weltweit größten US-Botschaft in Bagdad zu garantieren – allein dies ein Beweis für das Versagen der Amerikaner, den Irak zu Stabilität und Sicherheit zu führen. Ebenso aus Sicherheitsgründen hat Washington Pläne zur Eröffnung mehrere Konsulate im Land gestrichen, und von den seit Jahren erstrebten Militärstützpunkten, ist schon gar keine Rede mehr. Einige hundert – und nicht Tausende wie erhofft – Militär- und Sicherheitsberater – sollen allerdings den irakischen Einheiten auch künftig zur Seite stehen.
Zerstoben sind die hochfliegenden Träume, die 2003 Bush zum Schlachtruf gegen den irakischen Diktator Saddam getrieben hatten: eine neue „Schweiz des Orients“ sollte der von einem der blutrünstigsten Despoten des vorigen Jahrhunderts befreite Irak werden. Die Segnungen der Demokratie sollten sich „wie ein Buschfeuer“ von den Küsten des Euphrat und Tigris über den ganzen Mittleren Osten ausbreiten. Acht Jahre später erweisen sich solche Ausblicke als Fatamorgana. Die Realität lässt eine gegensätzliche Entwicklung befürchten. Während von irakischem Geschehen völlig unbeeinflusst der „arabische Frühling“ Diktatoren in Nord-Afrika hinwegfegt und andere in politisch tödliche Bedrängnis bringt, sucht der Führer der jungen irakischen Demokratie zu altbewährten Methoden Zuflucht, um die Freiheitslüfte abzublocken: Als im März frustrierte Iraker von ihren neugewonnenen Bürgerrechten Gebrauch machten und gegen die hoffnungslos unzulänglichen Dienstleistungen des Staates demonstrierten, schlugen Malikis Sicherheitskräfte nach saddam’schem Vorbild zu. Die Ermordung eines prominenten Journalisten und Organisators wöchentlicher Proteste gegen Korruption im September 2011 steigert die Ängste vieler, dass Maliki den Irak zur Diktatur zurückführen könnte.
„Ja“, gestehen Iraker offen, „wir können zwar heute weitgehend frei Kritik an politischen Führern üben“, eine Praxis, die Saddam mit dem Tode zu bestrafen pflegte. Doch Angst ist aus den Seelen des 30-Millionen-Volkes nicht gewichen, sie hat sich nur verändert.
Während sich die Folgen des US-Abzugs auf den Irak nicht klar absehen lassen, ist das Bild des fast neunjährigen „amerikanischen Abenteuers“ im Zweistromland umso deutlicher: Ein Krieg, der direkt und indirekt mehr als 100.000 irakischen Zivilisten, rund 4.500 US-Soldaten das Leben kostete und mehr als eine Billion Dollar aus der Washingtoner Staatskasse verschlang, hinterließ eines der potentiell reichsten Länder der Welt in verzweifelter Unterentwicklung und Armut, von den schweren psychischen Schäden gar nicht zu reden, die Verwundeten, Angehörigen von Opfern und Kindern auch die Zukunft zerstören.


Auch nach achteinhalb Jahren ist die durch Kriege und schmerzliche internationale Sanktionen schwer zerstörte Infrastruktur immer noch nicht wieder aufgebaut, Stromausfälle gehören weiterhin zum Alltag und bremsen die wirtschaftliche Entwicklung, das Angebot kann mit dem rasant steigenden Bedarf nicht Schritt halten. Der in Washington stationierte Thinktank „Carnegie Endowment“ identifiziert einen gravierenden Mangel an Koordination zwischen der Zentralregierung in Bagdad und Provinzbehörden, geringe Qualifikation der Angestellten und vor allem den Einsatz von Dienstleistungen als „politische Waffe“ als Hauptgründe für die immer noch katastrophale Versorgung der Bevölkerung durch Staat und Gemeinden.
Mehr als sieben Millionen Iraker leben unter der Armutsgrenze von zwei Dollar im Tag. Die sozialen Nöte, schon seit Beginn der Kriege (gegen Iran und Kuwait ab den 80er Jahren) und internationalen Sanktionen dramatisch, haben sich schockierend verschärft. Hausten in den vergangenen zwei Jahrzehnten 20 Prozent der städtischen Bevölkerung des Iraks in Slums, so sind es heute elf Millionen, das entspricht 53 Prozent der insgesamt 19 Millionen Stadtbewohner. (UN-Habitat: „State oft he World’s Cities 2010, 2011).
Bis 2008 haben Krieg, Bürgerkrieg und Terror rund 15 Prozent der Bevölkerung aus ihren Heimen vertrieben.An die zwei Millionen fristen ein ungewisses Dasein in Nachbarstaaten, 100.000 Flüchtlinge kehrten nach mühseligem bürokratischen Prozess heim und das UN-Flüchtlingshochkommissariat rät den anderen, vorerst lieber abzuwarten. Ebenso konnten mehr als zwei Millionen intern Vertriebene bis heute nicht in ihre Heime zurück.
Nach harten Jahren beginnt sich die schwer vernachlässigte Ölindustrie langsam zu stabilisieren. Bei einer Produktion von 2,9 Mio. Barrel und Exporten von 2,1 Mio. im Tag wird der Irak in diesem Jahr 74,76 Mrd. Dollar verdienen, das entspricht 68 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. („The Special Inspector General For Iraq Reconstruction“, SIGIR, 14.11.2011). Bis 2017 hat sich das Ölministerium eine Produktionskapazität von zwölf Mio. Barrel zum Ziel gesetzt. Experten halten dies allerdings wegen schwerer Mängel in der Infrastruktur für unrealistisch. Zudem schafft die Tatsache, dass sich Bagdad bis heute nicht zu einem nationalen Ölgesetz durchringen konnte für ausländische Investoren starke legalistische Unsicherheiten.
Zwar haben die Iraker seit der US-Invasion in Wahlen, die von unabhängigen Beobachtern als weitgehend „frei und fair“ gepriesen werden, Parlamentsabgeordnete und Provinzräte gewählt, Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Fernsehkanäle, NGOs und politische Parteien gegründet, doch Rivalitäten zwischen politischen Bewegungen und unterschiedlichen religiösen und ethnischen Bevölkerungsgruppen blockieren den politischen Prozeß bis zur Groteske. Fast zwei Jahre nach den Parlamentswahlen im März 2010 schaffte es Maliki immer noch nicht, eine vollständige Regierung aufzustellen, riß die Verantwortung für die Führung der so wichtigen Innen- und Verteidigungsressorts an sich und konzentriert damit immer mehr Macht in seiner Hand, während ein tief gespaltenes Parlament kaum mehr Entscheidungen hervorzubringen vermag.
Unter Malikis Führung und dem wachsamen Auge der USA hat es der Irak geschafft, in den zweifelthaften Ruf als einer der korruptesten Staaten der Welt zu gelangen, nimmt unter 178 Ländern den 175. Platz ein. (Transparency International“: „Corruption Perceptions Index 2010). Parlamentspräsident Osama al-Nujaifi klagte jüngst offen, dass sich die Korruption „wie in Oktopus“ durch den Irak fresse und korrupte Mafiagruppen politische Reformen und jeden Fortschritt bremsten. (AFP, 5.10.2011)
„Die USA kann nach eigenem Gutdünken in ein Land einmarschieren, es völlig aus den Angeln heben, Tod und Zerstörung verbreiten, (bewusst oder unbeabsichtigt) Terror zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen und ethnische Säuberungen auslösen, und dann wieder verschwinden – ohne zweimal nachzudenken, was sie zurück lassen“, empört sich der libanesische Kommentator Rami Khouri. („The Daily Star“, 9.11.2011). Was Khouri und andere Washington besonders vorwerfen, ist die Tatsache, dass sie eine gewaltsame Feindseligkeit zwischen Sunniten und Schiiten vom Zaun gebrochen haben, wie sie der Irak bis 2003 nicht gekannt hatte. Sie werde sich durch den Abzug der US-Truppen auch nicht mehr stoppen lassen und könnte die gesamte Region mit sich reißen.
Vor allem aber hinterlassen die Amerikaner ein Staatsgefüge, das auf höchst unsicherem Boden ruht. Nicht nur wurde nach den blutigen Exzessen der Saddam-Ära kein nationaler Versöhnungsprozess insbesondere zwischen Kurden und Arabern eingeleitet, der die Grundvoraussetzung für eine friedliche Zukunft schaffen würde. Nicht nur sind die Streit- und Sicherheitskräfte nach religiösen Gruppen gespalten – eine Entwicklung, die sich als „Achillesferse“ des neuen Irak erweisen könnte. Nicht nur blieb eine Serie schwerwiegender Konflikte ungelöst und schafft damit – wie etwa die explosive Frage der zwischen Kurden auf der einen Seite, der Zentralregierung, arabischen Sunniten, Schiiten und Turkmenen „umstrittenen Gebiete“ – gefährlichen Zündstoff, insbesondere wenn US-Militärs nicht mehr als Vermittler Spannungen entschärfen und Bewaffnete beider Seiten aneinanderprallen. Bis heute ist die interne Grenze zwischen dem autonomen Kurdistan und dem restlichen Irak nicht gezogen, eine Frage, die nach Einschätzung von US-Militärs wie keine andere den Frieden zu gefährden droht. Denn es geht um die reichen Ölquellen von Kirkuk und den auch überwiegend von Kurden bewohnten Gebieten außerhalb der autonomen Region.
Bis heute bleibt die Staatsstruktur umstritten. Das Grundgesetz von 2005 sieht eine Föderation vor, autonome Rechte, die bisher nur Kurdistan für sich in Anspruch nahm. Der Verfassungstext ist schwammig, lässt viele Interpretationen offen. Die Tatsache, dass die Verteilung der Öleinkünfte immer noch nicht gesetzlich geregelt ist, nützt der Premier, um die Regionen zu schwächen und (finanzielle) Macht in Bagdad zu konzentrieren. Neue brisante Konflikte, die die Einheit des Staates zerstören könnten, zeichnen sich ab.
Hatte Maliki 2008 erfolgreich das Streben schiitischer Gruppen in den südirakischen Provinzen Basra und Wasit nach Autonomien zu gründen blockiert und erneute Versuche ignoriert, so sind es nun arabische Sunniten, die Bagdad mit derartigen Forderungen zu schaffen machen. Als der Regierungsrat der rund 1,1 Million Bewohner zählenden Sunniten-Provinz Salahaddin einstimmig beschloss, wie in der Verfassung vorgesehen, die Bevölkerung über die Gründung einer Autonomie entscheiden zu lassen, und sich damit auch finanzielle Eigenständigkeit zu sichern, löste er eine Sensation aus. Hatten sich doch Iraks arabische Sunniten bisher entschieden gegen Föderalismus gestellt. Das Ansuchen sollte automatisch vom Regierungschef akzeptiert werden, doch der Zentralist Maliki denkt nicht daran. Usama Al-Nujaifi ermahnt den Premier, den Willen des Volkes, der tiefer Frustration über die konsequente Ausgrenzung der Sunniten durch Maliki entspringt, zu respektieren. Immer wieder versucht Maliki unter dem Vorwand, Baathisten zu „säubern“, politische Gegner auszuschalten. Dies trifft primär arabische Sunniten. Rund tausend fielen im Oktober einer landesweiten Verhaftungswelle zum Opfer. Solche Verfolgungsjagd dürfte nun das Faß zum Überlaufen gebracht haben. Dem Vorstoß Salaheddins folgt nun auch die Sunnitenprovinz Anbar.
Die Kurden Nordiraks verfolgen das Geschehen mit gemischten Gefühlen. Sie preisen die Vorbildwirkung ihres Selbstverwaltungsgebietes, in dem Ruhe, Sicherheit herrscht und ökonomische Prosperität, wie nirgend sonstwo im Irak. Die Bildung weiterer autonomer Regionen im Irak würde zweifellos die föderale Struktur des Staates stärken und damit der weitgehend selbständigen kurdischen Existenz größere Sicherheit verschaffen. Anderseits liegen einige der umstrittenen Gebiete auch in der Provinz Salahaddin, was Aussichten auf eine Verhandlungslösung mit Bagdad erschweren könnte.
Doch zusätzlicher Sprengstoff sammelt sich an. Erstmals hat ein großer internationaler Ölkonzern, der Amerikaner Exxon-Mobil, sich über Bagdads Drohungen hinweggesetzt und direkt mit der Kurdistan Regionalregierung einen Vertrag über Schürfrechte abgeschlossen. Zwei der insgesamt sechs Explorationsstätten liegen in den „umstrittenen“ Gebieten. Ein empörter Maliki droht Exxon-Mobil Bohrrechte im Süd-Irak zu entziehen. Dabei geht es keineswegs nur um die bisher rechtlich nicht abgesicherte Absicht der Zentralregierung, Ölverträge mit ausländischen Konzernen zu kontrollieren. Es geht auch kurdische Ansprüche auf „umstrittene Gebiete“, die durch die Vergabe von Rechten an Exxon-Mobil untermauert werden. Gibt Maliki nun nach, könnten andere Ölkonzerne, die schon lange ein gieriges Auge auf die reichen ungehobenen Schätze des Nord-Iraks richten, Exxon-Mobils Beispiel folgen und kurdische Eigenständigkeit entscheidend stärken. Gibt der Premier nicht nach und versucht das Abkommen mit Exxon-Mobil zu vereiteln, könnte ihm Kurdistan-Präsident Barzani die für ihn politisch überlebensnotwendige Unterstützung entziehen. (CTC Sentinel, July 2011)
All diese Konflikte brodeln vor dem Hintergrund bedrohlicher Instabilität. In dem von den US-Truppen verlassenen Irak prallen hartnäckige regionalpolitische Interessen aufeinander – türkische gegen kurdische, iranische gegen pro-westliche, saudische gegen schiitische und iranische. Jede dieser Kräfte kann in einem blutigen Stellvertreterkrieg ihre Kämpfer einsetzen. Al-Kaida im Irak, die ihre Geburtsstunde erst nach dem Sturz Saddam Husseins gefeiert und den blutigen Krieg zwischen Sunniten und Schiiten im Land provoziert hatte, ist heute entscheidend geschwächt. An ihre Stelle dürfte mehr und mehr die Jaysh Rijal al-Raiq al Naqshabandi (JRTN) treten, eine sufistische Organisation mit tiefen Wurzeln unter Iraks Sunniten, die einen militanten Zweig entwickelt und sich zunehmend mit Baathisten im Untergrund verbündet hat. Sie ist für zahlreiche Gewaltakte gegen US-Militärs verantwortlich und hat sich zum Ziel gesetzt, die „beiden Besatzer“ des Iraks zu vertreiben, nach dem Abzug der Amerikaner den Rückzug der Kurden. Allerdings gibt es auch Hinweise aus arabischen Geheimdienstkreisen, dass sunnitische Nachbarn, insbesondere Jordanien, Bindungen an JRTN kultivieren, mit dem Hauptziel, Irans Einfluss im Nachbarstaat zurück zu drängen.
Nach Jahren amerikanischer Besatzung ist der Irak von Stabilität, Frieden und aufblühenden Wohlstand immer noch weit entfernt.


Dieser Artikel erschien in Kurdisch in der Dezemberausgabe von "Le Monde Diplomatique Kurdi"

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Montag, 19. Dezember 2011

„Arabischer Frühling“ : Bruch mit der hässlichen Vergangenheit

Der Umsturz alter Ordnungen reißt die arabische Welt in schwere Turbulenzen, deren Ausgang sich noch nicht absehen lässt

von Birgit Cerha

„In seltenen Momenten erleben Menschen einen radikalen Wandel der Geschichte zum Besseren. Dies geschieht heute in der arabischen Welt“, schrieb dieser Tage der libanesische Kommentator Rami Khouri im „Daily Star“. Und er nennt Tunesien, Ägypten, ja auch Jordanien, wo die Bürger plötzlich „das hässliche Erbe des Polizei- und Sicherheitsstaates abschütteln und die Chance auf ein Leben in Freiheit und Gleichberechtigung ergreifen“. Neue politische Regeln, schwelgt Khouri, würden in einigen arabischen Ländern entworfen, „und was besonders ermutigt, ist die Tatsache, dass diese Regeln zunehmend von den Bürgern selbst beeinflusst und verfaßt werden.“

Seit Tunesiens Diktator Ben Ali am 14. Januar 2011, nur 28 Tage nach einzigartigen Massenprotesten gegen den gravierenden Machtmissbrauch eines arabischen Despoten, vom Thron stürzte, haben die Menschen in Ägypten, im Jemen, in Libyen in Bahrain und schließlich auch in Syrien die Barriere der Furcht durchstoßen, um endlich die so lange mit Füßen getretene Würde wieder zu erlangen. Vollzog sich der Wandel in Tunesien rasant und mit nur kurz währender Gewalt durch das bedrängte Regime, so sammelten die Autokraten in anderen Ländern all ihre Kräfte, um ihre alten, teils menschenverachtenden Systeme zu retten. Während in Ägypten die Armee zum Schutz ihrer eigenen Interessen und Privilegien den aus ihren Reihen stammenden Diktator Mubarak nach drei Jahrzehnten in die Wüste schickte, der von jungen Menschen getriebenen Protestbewegung Freiheit, Demokratie und ein Ende der himmelschreienden Korruption verspricht und auch die ersten freien Parlamentswahlen einleitete, versucht sie in Wahrheit mit allen Tricks auch in Zukunft das politische Leben am Nil zu dominieren.
Auch in anderen Ländern ist das hoffnungsvolle Klima des „Arabischen Frühlings“ Enttäuschung, neuen Ängsten bis zu ungeheuerlicher Gewalt (in Libyen und nun vor allem in Syrien) gewichen. In Libyen prägte die Persönlichkeit Muammar Gadafis den Lauf der Revolution. International, selbst in der arabischen Welt, gehasst, wie keiner der bedrängten Diktatoren, fand sich rasch ein Konsens für einen NATO-Einsatz, ohne den Gadafi wahrscheinlich bis heute dem bewaffneten Widerstand hätte trotzen können. Das Engagement der Allianz, von dem sich Deutschland zur Empörung anderer Partner zunächst entschieden distanziert hatte, wirft heikle moralische und strategische Fragen auf. Im Laufe der Operationen, die sich offiziell auf Luftangriffe gegen die Streitkräfte Gadafis zum Schutz der Zivilisten beschränkten, wurden nach US-Qellen 8.000 Libyer getötet, der heute schlecht und recht regierende „Nationale Übergangsrat“ spricht von 25.000 Toten, darunter sind die Opfer von Majer, einer Stadt 160 km östlich von Tripoli, in der NATO-Bomber eines ihrer größten Massaker an Zivilisten, darunter zahlreichen Kindern verübten. Was genau in dieser Stadt geschah, bleibt ebenso im Dunkeln wie die vielen irrtümlichen Angriffe von NATO-Flugzeugen auf Zivilisten in Afghanistan, denn bisher verweigert die Allianz unabhängige Untersuchungen.

Während die Führer Frankreichs, Großbritanniens und der USA über den Erfolg der Operationen in Libyen triumphieren, herrscht unter NATO-Verbündeten tiefes Unbehagen über einen Einsatz zum Schutz der Zivilbevölkerung, der so vielen Zivilisten das Leben kostete. Aber auch das grausige Ende Gadafis, sein qualvoller Tod und die auch jeder islamischen Tradition widersprechendem von den neuen Führern aber geduldete Schändung der Leiche hängen wie ein böses Omen über dem Wüstenstaat.
In dem ökonomisch zusammenbrechenden Jemen hat sich Diktator Ali Abdullah Saleh nach neunmonatigen Massenprotesten endlich zum Abtritt durchgerungen, nicht ohne dem Versprechen der Straffreiheit für die Verbrechen seiner 33-jährigen Herrschaft. Doch seine zutiefst korrupte Familie zieht weiter die Fähden der Macht, ungeachtet der anhaltenden Proteste der durch den Friedensnobelpreis ausgezeichneten Demokratie-Bewegung. Das Land schlittert immer tiefer in den Abgrund.
In Bahrain, Hauptquartier der amerikanischen Fünften Flotte, schlossen Amerikaner und Europäer die Augen, als saudische Streitkräfte dem durch die diskriminierte schiitische Bevölkerungsmehrheit schwer bedrängten sunnitischen Königshaus zu Hilfe eilten und Aufstände gewaltsam niederschlugen. Immerhin geht es in den Augen Washingtons um Abwehr iranischen Expansionismus, wiewohl Beweise für Teherans Unterstützung seiner Glaubensbrüder auf der Insel fehlen. Im Königreich selbst schlugen die Al-Sauds sporadische Proteste der schiitischen Minderheit mit voller Härte nieder und beschwichtigten den Rest der Bevölkerung – zunächst – durch großzügigste finanzielle Gaben. Bisher erwiesen sich die arabischen Königshäuser – von Bahrain abgesehen – als weitgehend resistent gegenüber den Wellen des „arabischen Frühlings“.

„Unser Traum ist unsere Waffen“, riefen demonstrierende Ägypter auf dem Tahrir-Platz, wo sie weiterhin gewaltlos für ihre Ideale von Freiheit und Demokratie in einer zweiten Phase der Revolution – diesmal gegen das Militär – kämpfen. In Syrien hat dieser gewaltlose Protest gegen das Assad-Regime bereits mehr als 5.000 Menschen das Leben gekostet. Diese ungeheuer blutige Revolte riß die Arabische Liga aus ihrer traditionellen Lethargie und zwang sie erstmals zu gravierenden Sanktionen gegen einen ihrer Mitgliedsstaaten. Schafft sie es, diese Aktion zu institutionalisieren und auch gegenüber anderen Staaten einzusetzen, kann sie sich in einer historischen Phase dieser Region zu einem wichtigen Machtfaktor aufbauen, der die Interessen der Bevölkerung – und nicht länger jene der Despoten - verteidigt.
Assads Tage sind wohl gezählt, doch Syrien droht blutige Vergeltung, vielleicht sogar ein Bürgerkrieg.

Waren die Slogans der Demonstranten zu Beginn des „Arabischen Frühlings“ vor einem Jahr dieselben, unterscheiden sie sich doch krass von den Entwicklungen, die sich Anfang 2012 abzeichnen. Wahlen in Tunesien und Ägypten, die deklarierten Positionen des Nationalen Übergangsrates in Libyen zeigen deutlich, dass Würde und Freiheit von vielen Arabern im islamischen Kontext definiert werden. Die Sehnsucht nach einer freien Gesellschaftsordnung bedeutet nicht die Übernahme westlicher Vorstellungen von Fairness oder Menschenrechten – eine der größten Sorgen der Minderheiten, insbesondere der Christen in der arabischen Welt. 300.000 Kopten verließen seit dem Sturz Mubaraks im Februar das Land. Die aus den ersten Wahlen in Tunesien und in Ägypten siegreich hervorgegangenen Islamistenparteien – die Ennahda und die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ - sowie die „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ in Ägypten präsentieren sich als reformierte, liberalisierte Bewegungen, demokratischem Pluralismus verpflichtet. Die Zeit der Glaubwürdigkeitstests ist nun gekommen.

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Donnerstag, 15. Dezember 2011

LEXIKON: Straße von Hormus

Wieder einmal, keineswegs zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte, blickt die westliche und asiatische Welt gebannt auf das wichtigste Nadelöhr, das eng mit ihrem Wohlstand und ihrem Wirtschaftswachstum verknüpft ist. Die Straße von Hormus, die die „Islamische Republik“ in Zeiten besonderen außenpolitischen Drucks zu blockieren droht. Schon Schah Reza Pahlevi verstand sich als „Türhüter für den westlichen Ölverkehr“ und betonte 1874 gegenüber dem „Spiegel: „Der Zugang zum Persischen Golf ist für uns eine Frage von Leben und Tod.“Hormus ist der einzige Ausgang vom Persischen Golf. Sie führt zum Golf von Oman und schließlich zum Indischen Ozean und ist an ihrer schmalsten Stelle nur 54 km breit. Sie wird bewacht vom Iran im Norden und Osten und von Oman im Süden. 33.000 Schiffe und Tausende kleine Boote ziehen alljährlich oft unter harten Bedingungen – extrem hohen Temperaturen, dickem Nebel oder heftige Sandstürme - durch diesen Flaschenhals. 14 Öltanker transportieren täglich 17 Millionen Barrel von fünf der weltweit größten Ölproduzenten – Saudi-Arabien, Iran, Irak, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate und der große Gasexporteur Katar – durch Hormus zu den Weltmärkten. Das entspricht etwa 35 Prozent des weltweit auf dem Seeweg beförderten Öls und 20 Prozent (nach dem Stand von 2011) des gesamten Öltransporte. Mehr als 85 Prozent des Rohöls aus dem Golf erreicht asiatische Märkte, der Rest West-Europa und die USA.
Zum Öl kommen täglich auch noch andere wichtige Produkte hinzu, darunter 28 Prozent des weltweit exportierten Flüssigerdgases (LNG), von dem Japan, Südkorea und Taiwan vollends abhängig ist und das europäische Konsumenten eine Alternative zum russischen Gas liefert. Außerdem werden noch mehr als zwei Mio. Barrel an Ölprodukten durch diese Meerenge transportiert. Und die arabischen Golfanrainer lassen den größten Teil ihrer Importe an Nahrungsmitteln, Gebrauchsgegenständen und Luxusgütern auf dem Seeweg durch Hormuzs transportieren.
Amerikanische Führer haben Hormus schon lange höchste strategische Bedeutung eingeräumt. Es war im Januar 1980 gewesen, als der damalige US-Präsident Carter, alarmiert durch die sowjetische Invasion Afghanistans dem US-Kongreß die Gefahren klarmachte, die den „vitalen Interessen der USA“ durch die Nähe sowjetischer Truppen (480 km) zum Indischen Ozean und damit zur Straße von Hormus drohten und seine berühmt gewordene „Carter Doktrin“ verkündete, die bis heute Gültigkeit hat: eine Blockade von Hormus müsse „mit allen nötigen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt“ zurückgeschlagen werden.
Wiewohl den Golfanrainern spätestens seit dem „Tankerkrieg“ (1984 bis 86) die höchst gefährliche Abhängigkeit von dem Transportweg durch Hormus dramatisch vor Augen geführt wurde (in dieser Zeit wurden als neue Strategie des Iraks im achtjährigen Krieg gegen den Iran 544 Attacken auf Schiffe im Golf durchgeführt, 400 Zivilisten getötet und 400 verwundet), haben die Ölproduzenten bis heute fast keine Exportalternative geschaffen. Vielleicht haben sie sich mit der Tatsache getröstet, dass sich die Schiffsindustrie nach einem 25-prozentigen Transportrückgang auf das verschärfte Risiko eingestellt und nach kurzer Zeit ungeachtet von Bomben und Raketen ihre Frachten wieder in vollem Umfang befördert hatten.
Trotz aller Gefahren bietet derzeit nur Saudi-Arabien mit seiner „Petroline“, die zum Hafen von Yanbu am Roten Meer führt und fünf Mio. Barrel im Tag (etwas weniger als die Hälfte der saudischen Produktion) befördern kann, einen alternativen Transportweg. Ein Ausbau der Pipeline würde 18 Monate in Anspruch nehmen. Ein kleiner Teil der irakischen Exporte – etwa 500.000 Barrel im Tag - fließt durch die Pipeline vom nordirakischen Kirkuk zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Wiewohl die Kapazität bei 1,6 Mio.Barrel liegt, wird schon jetzt dieser Transportweg immer wieder durch Sabotageakte unterbrochen. Ein vielversprechendes Projekt Abu Dhabis, sich aus der Abhängigkeit von Hormus zu lösen, der Bau einer Pipeline zum Emirat Fudschaira am Golf von Oman. Doch die Fertigstellung verzögert sich um Monate aufgrund von Konstruktionsproblemen.
Viele unabhängige Experten sind jedoch davon überzeugt, dass Teheran, unabhängig von der keineswegs sicheren militärischen Möglichkeiten zur Blockade von Hormus einen solchen Weg nur „als letzte Kugel“, als größten Verzweiflungsakt im Falle eines Angriffs durch Israel oder die USA, wählen würde. Hormuz ist der einzige Trumpf in Irans Verteidigungskapazität, das einzige Druckmittel gegen internationale Bedrohung. Doch es gleicht beinahe dem Stich der Biene. Denn mehr als allen anderen würde sich der Iran damit selbst schaden. All seine Ölexporte, die rund 80 Prozent der staatlichen Einnahmen ausmachen, fließen durch Hormus, wie auch viele seiner wichtigsten Importe. Die Marinehäfen liegen an den Küsten des Persischen Golfs. Teheran würde seine ohnedies aufgrund der Sanktionen und gravierender Misswirtschaft dahinsiechende Ökonomie strangulieren. Die Sperre von Hormus wäre ein Verzweiflungsakt in totaler Ausweglosigkeit.

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Mittwoch, 14. Dezember 2011

„Sie haben unser Land zerstört“

Viele Iraker begrüßen den Abzug der US-Truppen – Doch die Amerikaner überlassen ein traumatisiertes Land einer höchst ungewissen Zukunft.

von Birgit Cerha

2006 gebar Awfa Abdullah in der einstigen irakischen Rebellenhochburg Falludschah einen Sohn mit schweren Gehirnschäden.Der Bubr überlebte sein fünftes Lebensjahr nicht. 2007 brachte Awfa ein Mädchen zur Welt. Das Kind leidet unter quälenden Hautausschlägen und einem kürzeren Bein. Trotz ihrer Sehnsucht nach einer großen Familie haben die Eltern resigniert. „Mehr Kinder bedeuten noch mehr Krankheiten und noch mehr Leid“, erläutert Vater Amir Hussein gegenüber Journalisten die Entscheidung, keinen Nachwuchs mehr in die Welt zu setzen. Denn seine Heimatstadt liegt nicht nur immer noch weitgehend in Trümmern, sie ist seit einer massiven Attacke der US-Armee gegen dieses Zentrum des arabisch-sunnitischen Widerstandes 2004 katastrophal verseucht. US-Militärs verhehlen nicht ihren Einsatz von weißem Phosphor bei einer Schlacht um die Stadt, die 1.300 Bewohnern, darunter vielen Kindern das Leben kostete und Tausende schwer verwundete. Weißer Phosphor gilt international nicht als chemische Waffe und ist, wiewohl er unmittelbar schwerste Verbrennungen verursacht, auch nicht verboten. Die Nachwirkungen sind katastrophal. Kinderäzte im zentralen Spital von Falludschah klagen über einen gravierenden Anstieg von teilweise schwersten Behinderungen bei Neugeborenen seit 2005.
Wenn die letzten Militärfahrzeuge der US-Armee über die Wüstengrenze nach Kuwait rollen, dann wächst unter den Bewohnern von Falludschah die Hoffnung, dass sie endlich ein grausiges Todeskapitel in ihrem Leben schließen können. Nur wenige Iraker weinen nach fast neunjähriger Besatzung den Amerikanern nach, deren Präsident George Bush dem Land 2003 nicht nur die Freiheit von einem der brutalsten Despoten des vorigen Jahrhunderts versprochen hatte, sondern für die Region vorbildhafte Demokratie und Wideraufbauhilfe, wie sie die Welt seit dem Marshallplan für Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr gesehen hatte. Fast nichts von diesen Versprechen wurde erfüllt. Die Infrastruktur liegt immer noch darnieder, Stromausfälle gehören weiterhin zum Alltag und bremsen die wirtschaftliche Entwicklung. Mehr als sieben Millionen Iraker leben in einem der potentiell reichsten Länder der Welt unter der Armutsgrenze, von den zwei Millionen seit dem Krieg gegen Diktator Saddam Hussein ins Ausland Geflüchteten sagten erst 100.000 die Heimkehr.
Viele Iraker schieben der Supermacht einen großen Teil der Schuld am Ausbruch eines katastrophalen Bürgerkrieges vor allem zwischen arabischen Sunniten und der schiitischen Mehrheit (2005-07) zu. „Sie haben unser Land zerstört, sie haben so viele Konflikte zwischen Irakern geschürt“, klagt Firsa Fertusi, ein ehemaliger Kämpfer der anti-amerikanischen Schiitenmiliz „Mehdi-Armee“.

Ihr Einsatz im Irak kostete die Amerikaner nach vorsichtigen Schätzungen eine Billion Dollar, manche Experten meinen, es könnte in Wahrheit das Dreifache sein. Rund 4.500 US-Soldaten zahlten mit ihrem Leben. Die Folgen für den Irak aber sind dramatisch: Mehr als 100.000 Tote, wirtschaftlicher Zusammenbruch trotz des Ölreichtums, gravierende Instabilität und tiefes Mißtrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Wiewohl sich selbst unter Amerikas größten Freunden im Land, den Kurden, die Stimmen jener mehren, die den Abzug der US-Truppen begrüßen, da trotz der amerikanischen Militärpräsenz so viele Grundprobleme (Föderation, ein bis heute nicht verabschiedetes nationales Ölgesetz etc) ungelöst blieben, befürchten so manche die Rückkehr maskierter Bewaffneter, verstärkten Terror und erneute Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen wenn die Iraker nun sich selbst überlassen bleiben. Nur einige hundert US-Militärs werden weiterhin als Trainer den irakischen Sicherheitskräften zur Seite stehen. Die Botschaft in Bagdad allerdings ist mit einem Angestelltenstab von stattlichen 16.000 Personen bestückt, mit privaten Sicherheitsleuten. Welche Rolle die Supermacht ab 2012 zur Stabilisierung des Landes und zur Verfolgung ihrer geostrategischen Interessen (insbesondere gegen den an Einfluss im Irak gewinnenden Iran) spielen soll, ist bisher ungeklärt.

Die Mißstände im Land sind gravierend: eine kleine Elite, die weitgehend Monopol über die Ressourcen des Landes hält; ein untereinander zerstrittenes politisches Establishment, ein Premierminister – Nouri al-Maliki – der mehr und mehr seinen diktatorischen Instinkten nachgibt, Menschenrechte mit Füßen tritt und eben Hunderte ehemalige Mitglieder der gestürzten Baath-Partei einsperren ließ, um damit seine Position für die post-amerikanische Zeit zu stärken, in Wahrheit damit aber Iraks sunnitische Minderheit mehr und mehr in die Frustration und damit in den Widerstand treibt. Vom Iran gelenkte schiitische und anti-iranische sunnitische Milizen rü´sten sich bereits für die nächste Runde im Kampf um die Macht im Zweistromland.

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Montag, 12. Dezember 2011

Islamisten und die Zukunft Ägyptens

Am Nil beginnt ein Machtkampf zwischen den beiden stärksten Kräften des Landes: den Militärs und den Moslembrüdern

von Birgit Cerha

„Gott ist unser Ziel; der Koran ist unsere Verfassung, der Prophet ist unser Führer; Dschihad („heiliger Krieg“) ist unser Weg und Sterben für Gott ist unser höchstes Streben.“ Diesem Credo haben sich die Moslembrüder verschrieben, deren „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ (PFG) in der ersten Runde der ersten freien Parlamentswahlen seit dem Sturz von Diktator Mubarak 36 Prozent der Stimmen gewann. Noch sind die Ergebnisse dieser schicksalhaften Wahlen, denen bis Ende Januar noch zwei Runden folgen, offen. Doch fest steht schon jetzt, dass das erste demokratisch gewählte Parlament des Landes von Islamisten dominiert wird. Das gute Abschneiden der MB überrascht nicht. Diese jahrzehntelang verbotene, jedoch tolerierte Bewegung, ließ sich als einzige politische Gruppierung nicht, wie Lliberale und Linke, vom Regime kooptieren und verstand es dennoch, ein dichtes soziales und politisches Netzwerk im Land zu flechten, das ihr in einem bizarren, wirren und kurzen Wahlkampf enorme Vorteile gegenüber den zersplitterten und desorganisierten Gegnern verschuf.
Niemand allerdings erwartete, dass die in Worten und Taten weit extremere und offen gewalttätige salafistische Nour-Partei in der ersten Wahlrunde 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, während die Liberalen, Linken, die Repräsentanten der jungen führungslosen und desorganisierten „Rebellen von Tahrir“, die im Februar Mubarak zu Fall gebracht hatten, weit abgeschlagen wurden.
Diese ersten Resultate schockieren nicht nur die säkularen Verlierer, sondern offensichtlich auch Ägyptens Militär, seit Jahrzehnten, bis heute, die stärkste Institution des Staates, die sich traditionell als Schutzschild gegen die immer höher schlagenden islamischen Wellen versteht. Wie sehr die Offiziere die Panik erfasst hat, zeigen Kommentare hoher Militärs, insbesondere jene des stellvertretenden Verteidigungsministers General Mukhtar Mulla, der vor wenigen Tagen gegenüber westlichen, insbesondere amerikanischen Journalisten mit klarem Signal an Washington klarstellte: „Wir stecken in einem frühen Stadium der Demokratie. Das Parlament repräsentiert nicht alle Sektoren der Gesellschaft.“ Deshalb beschloss der regierende „Höchste Militärrat“ die Einberufung eines von ihm ernannten 30-köpfigen Beratungsgremiums, das Einfluß auf die Erarbeitung einer neuen Verfassung durch das neue Parlament nehmen solle. Sie stießen dabei auf helle Empörung der Moslembrüder, deren PFG den Boykott des Rates verkündete, da seine Einberufung einer gravierenden Verletzung des Volkswillens entspräche.
Im März hatten Millionen Ägypter in einem Referendum die Pläne des Militärrates zur Wahl eines Parlaments gebilligt, das als wichtigste, vielleicht einzige Aufgabe eine Verfassungsgebende Versammlung aus hundert Mitgliedern bestellen soll, die binnen sechs Monaten ein neues Grundgesetz zu erarbeiten hat. Militärs und Laizisten befürchten nun, die Islamisten würden die neue Verfassung nach ihren Vorstellungen gestalten. Kernpunkt ist die Rolle der Sharia (des islamischen Rechts), die in der alten Verfassung nur vage definiert war und lediglich als Bekenntnis zu Gerechtigkeit, aber auch Demokratie interpretiert werden konnte. Die Moslembrüder, durch ihren Wahlerfolg politische entscheidend gestärkt, könnten – ungeachtet ihres wiederholten Bekenntnisses zu Demokratie und Menschenrechten – dem islamischen Recht in der neuen Verfassung ein weit stärkere Bedeutung geben wollen. Dies vor allem versuchen die Offiziere zu verhindern und sie stoßen dabei durchaus auf Sympathie der säkularen Oppositiion. Die Moslembrüder hingegen zeigen sich entschlossen, jegliche Einmischung der Militärs in den verfassungsgebenden Prozeß zu verhindern und sie können zu diesem Zweck in kürzester Zeit mehr als eine Million Menschen auf die Straße bringen.
Ägyptische Analysten sprechen schon vom Beginn eines Machtkampfes zwischen der stärksten Institution Ägyptens und der größten politischen Bewegung, eine Konfrontation, die weit gefährlicher sein könnte als jene die das Land am Nil seit Februar lähmt. Wie sehr selbst die Militärs die Moslembrüder fürchten zeigten sie Sonntag, als einer ihrer Offiziere plötzlich beschwichtigend verkündete, das neue Beratungsgremium werde keinen Einfluss auf den verfassungsgebenden Prozess nehmen.
Ägyptens Revolution tritt in eine neue Phase.

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Sonntag, 13. November 2011

Geiseln eines blutigen Rivalitätskampfes

Der Jahrhunderte alte Wettstreit um die Vorherrschaft über Mesopotamien und die Kurdenregion nimmt eine neue gefährliche Wende

(Bild: Zagros-Gebirge)

von Birgit Cerha


Gerechtigkeit für seine sieben Familienmitglieder. Diese Ziel hat sich der in britischem Exil lebende Kurde Sherwan Hussein Mustafa für seine Zukunft gestellt, gleichgültig, wie lange dieses Ringen auch währe. Sherwans Schicksal schockiert und doch ist es kein Einzelfall. Es symbolisiert vielmehr die tragische Existenz der kurdischen Zivilbevölkerung in den Bergregionen des Taurus und Zagros. Über Jahrhunderte wurden sie als Geiseln gehalten in einem oft blutig ausgetragenen Rivalitätskampf zwischen Iranern auf der einen, Griechen, Römern, Byzanz, sowie den Osmanen auf der anderen Seite, ein Kampf um Vorherrschaft und Kontrolle dieser Region, die Europa mit Asien verbindet. Er hält bis heute an.

Sherwan ist entschlossen, sich nicht wie so viele seiner kurdischen Leidensgenossen voll Bitterkeit in sein Schicksal zu fügen, das ihm mit einem Schlag seine Eltern und fünf Familienmitglieder geraubt hat. Es war an einem Tag im August 2011 gewesen, als die Familie, wie stets, ihrer Arbeit auf einem Bauernhof im nordirakischen Kandilgebirge nachging. Da ertönte aus der Ferne der Donner von Explosionen. Türkische Piloten kreisten mit ihren Kampfjets über dem unwegsamen Hochgebirgsgelände und warfen in die Täler und versteckten Winkel der Kandilberge, wie so oft zuvor, Bomben ab, in der Hoffnung, endlich Stützpunkte der Guerillas der „Kurdischen Arbeiterpartei“ (PKK) zu treffen. Die irakische Kurdenfamilie flüchtete in ihrem Pickup in Richtung der etwas entfernter gelegenen Stadt Rania. Unterwegs gerieten sie in die Schusslinie der türkischen Kampfflugzeuge, „die ihre Körper in unzählige kleine Teile sprengten“. So berichtete Sherwan gegenüber „KurdishGlobe (19.9.2011) „Gleichgültig, auch wenn es Jahre dauert“, Sherwan ist entschlossen, mit Hilfe eines Anwaltkomitees von internationalen Gerichten „Gerechtigkeit für meine Familie zu erringen“ und die vielen anderen kurdischen Zivilisten, die Angehörige im Hagel türkischer und iranischer Kanonen verloren. Internationale Gerichte sollen diese immer wiederkehrenden Bluttaten der regionalen Großmächte gegen die im Grenzgebiet lebende kurdische Bevölkerung als „internationales Verbrechen“ gegen die Menschlichkeit verurteilen, damit sie nicht länger als weltweit unbeachtete „lokale Vergehen“ abgetan und ignoriert werden können.

Militäraktion nicht wegen der PKK?

Sherwans Familie starb im August. Im Oktober schlugen die Türken erneut massiv zu, 10.000 Soldaten marschierten in den Nord-Irak ein, nachdem die PKK 24 türkische Soldaten getötet hatte. Diese militärische Reaktion war vorhersehbar, ebenso wie der Schrei der türkischen Bevölkerung nach Vergeltung. Warum die Provokation der PKK? Welche Strategie, welche Ziele werden damit verfolgt? Die Erklärung eines türkischen Generals drängt sich in Erinnerung: Die Armeeführung hätte kein Problem, wann immer sie es für notwendig erachte, Gründe für eine Militäraktion im Nord-Irak zu finden. Und der ehemalige türkische Geheimdienst-Offizier und Stratege Mahir Kaynak meint zum türkischen Einmarsch im Nord-Irak im Oktober, nicht der „Terror der PKK“ habe dafür den Grund geliefert, sondern die Absicht Ankaras, „Irans Einfluss“ in diesem Gebiet „zurück zu drängen“. Kaynak prophezeit angespannte Beziehungen zwischen Iran und der Türkei in den kommenden Jahren. (Zaman, 16.10.2011).

Immer und immer wieder beginnt das blutige Spiel von neuem: Kleinattacken der Guerillas, der PKK, wie deren iranischer Tochter PJAK (Partiya Jiyana Azad a Kurdistane – Partei für ein freies Leben in Kurdistan) gegen Militärziele in der Türkei bzw. im Iran. Es folgen iranische und türkische Gegenschläge aus der Luft, Einmärsche von Truppen der Nachbarländer, Verletzung der Grenzen, der irakischen Souveränität, kurdische Zivilisten werden aus Grenzdörfern verjagt, deren Felder und Vieh mit dem Ziel vernichtet, menschenleere „Sicherheitsgürtel“ an den jenen Grenzen zu schaffen, die Kolonialmächte einst willkürlich zogen und dabei Stämme, Clans, ja auch Familien zerrissen. Die internationale Gemeinschaft zuckt die Achseln: Beide Staaten wehrten sich nur gegen die Gewaltakte von PKK und PJAK.
Doch in Wahrheit positionieren sich Iran und die Türkei im nordirakischen Kurdistan für die Neuauflage eines uralten Rivalitätskampfes um die Vorherrschaft in Mesopotamien und der gesamten Region. Wer wird in das Machtvakuum vorstoßen, wenn sich US-Truppen bis Weihnachten aus dem Irak zurückziehen? Washington, so diplomatische Quellen, drängt die ein säkulares System repräsentierende Türkei, dem wachsenden Einfluss des islamischen „Gottesstaates“ Iran einen Riegel vorzuschieben – in erster Linie im Irak.

Rivalität und Zweckfreundschaft

Als die Fürstendynastie der Safawiden zu Beginn des 16. Jahrhunderts die mehrheitlich von Iranern bevölkerten Gebiete zu einem Königreich zusammenschlossen, auch Minderheiten, wie etwa die Kurden im Westen, darin integrierten und den Großteil ihrer Untertanen zum schiitischen Islam führten, legten sie den Keim zu einem iranischen Nationalbewußtsein. Das erstarkende persische Reich fühlte sich nicht nur von Usbeken im Nordosten, Afghanen im Osten und einflußreichen indischen Großmoguln bedroht, sondern vor allem beständig vom Westen durch das von Sunniten beherrschte Osmanische Reich. Kriege lösten Perioden der Zusammenarbeit ab. So wurden die Iraner und Türken zu natürlichen geostrategischen Gegnern, die zugleich eine essentielle, wiewohl von tiefem Mißtrauen dominierte Freundschaft verbindet. Der Konflikt zwischen den beiden Mächten wurde meist auf dem Boden Mesopotamiens und in Kurdistan ausgetragen. Eine Neuauflage steht nun als Folge dramatischer Turbulenzen im gesamten Mittleren Osten bevor. Er droht eine weit größere Region mit hinein zu ziehen.

Während die Gunst der Geopolitik in den vergangenen Jahren der „Islamischen Republik“ hold war, der Iran dank von den USA geführter Kriege in Afghanistan, vor allem aber im Irak nach dem Sturz seines Erzfeindes Saddam Hussein 2003 seinen Einfluss dramatisch ausweiten konnte, gewann auch die türkische Außenpolitik unter Rezep Tayyip Erdogan an Kraft. Die beiden Mächte verfolgen konträre Visionen für den Mittleren Osten.

Seit dem Aufstieg der islamisch orientierten „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AK) in die Regierung und an die Spitze des Staates 2002 vollzog sich in der Türkei ein sozialer und politischer Wandel. Eine neue Elite strebt nach Ausweitung des ökonomischen und politischen Einflusses im Mittleren Osten, ja in der islamischen Welt insgesamt. Diese „neo-osmanische Politik“, wie sie die Medien unterdessen nennen, stützt sich auf die Weltsicht Ahmet Davutoglu, Erdogans langjährigen Berater und derzeitigen Außenministers, zusammengefasst unter dem Begriff „Null-Probleme“ mit den Nachbarn – ein höchst ehrgeiziges Konzept in der so turbulenten Region, die sich vom Mittleren Osten bis zum Kaukasus und Zentralasien erstreckt. Für Ankaras Strategen liegt die Zukunft in der Vergangenheit, der Wiederbelebung historischer Bande des Osmanischen Reiches mit der arabischen Welt, der Stärkung muslimischer Affinitäten, um „strategische Tiefe“ in der Nachbarschaft zu schaffen, sich als Brücke zwischen Westen und islamischer Welt zu präsentieren und schließlich zu einer Weltmacht aufzubauen.

Demütigende Abfuhr für Erdogan
Zu diesem Ziel betrieb die AK-Regierung eine intensive regionale Diplomatie, stärkte die Wirtschaftsbande mit den Nachbarn, insbesondere mit Iran und Syrien und untergrub damit zugleich die Bemühungen des NATO-Partners USA, diese beiden Staaten international zu isolieren. Trotz der weiterhin lebendigen Freundschaft mit Washington, strebt Erdogan nach einer unabhängigen, nicht mehr voll auf den Westen und die EU orientierten Außenpolitik. Doch mit dem fortschreitenden „Arabischen Frühling“ ist die türkische Strategie der „Null-Probleme“ kläglich gescheitert. „Null-Probleme“ ist in Wahrheit der Euphemismus für „Freundschaft mit Diktatoren“, vom Libyer Gadafi, über den Syrer Assad bis zum Iraner Ahmadinedschad. Die Aktivisten des „Arabischen Frühlings“, die monatelang ihr Leben im Kampf um Freiheit, Menschenrechte und Würde riskierten und immer noch riskieren, verzeihen Erdogan nicht, dass er das Problem der Unterdrückung arabischer Völker durch die mit ihm befreundeten Tyrannen in den jahrelangen Beziehungen ignorierte, ganz zu schweigen von den Schikanen, den Menschenrechtsverletzungen an seiner eigenen kurdischen Bevölkerung.

So erlitt Erdogan eine demütigende Abfuhr, als er sich nach dem Sturz der Autokraten in Ägypten, in Libyen und in Tunesien als der Hüter und Förderer eines zukunftsträchtigen politischen Modells für die islamische Welt präsentierte und damit den Aufstieg zur neuen regionalen Großmacht erhoffte. Diesem Türken, der seine Probleme mit seinen kurdischen Untertanen primär durch Folter, Gefängnis und den Einsatz seiner Armee – vergeblich – zu lösen versucht und dabei die Souveränität des Nachbarstaates regelmäßig verletzt, vertrauen nur wenige in der Region. Da nützt es auch nichts, selbst wenn er sich wortgewaltig um die emotionalsten Sorgen der Araber annimmt, die Palästinenser, und damit Teheran, lautstarker Verfechter palästinensischen Selbstbestimmungsrechts, die Show zu stehlen versucht. Nicht zuletzt hat auch Erdogans Versagen, seinen strategischen Bündnispartner (gegen die PKK) Assad zu Reformen zu drängen den schwachen Einfluß entlarvt, den die heutige Türkei unter den Nachbarn, ja in der gesamten arabischen Welt besitzt. Vielmehr mehren sich die Anzeichen, dass sich Assad die PKK in Syrien warmhält, um sie, wenn nötig, wie einst sein Vater, als starke Karte gegen Ankara auszuspielen.

Die rasche politische Kehrtwende – Distanz zu Assad etwa – hilft wenig, um neues Vertrauen aufzubauen. So hat Ankara viel an diplomatischer Schlagkraft in der Region verloren, während der iranische Gegenspieler zittert, dass sich sein wichtigstes Tor in die arabische Welt, zu den Schiiten des Libanons und zur Grenze des israelischen Feindes durch den wahrscheinlich unvermeidlichen Sturz des Assad-Regimes für immer schließen könnte. Zugleich verteidigt Erdogan sein angeschlagenes außenpolitisches Selbstbewusstsein durch Säbelrasseln etwa im Konflikt um Gasbohrrechte vor dem von türkischen Truppen besetzten Teil der Insel Zypern oder der Drohung, von Israel kritisierte Hilfslieferungen an die wie in einem großen Gefängnis eingeschlossenen Palästinenser in Gaza durch türkische Kriegsschiffe zu schützen.

Durch solch forsches Auftreten auf der Weltbühne wolle sich die Türkei größeren Manövrierraum gegenüber dem Westen verschaffen und diesem klar machen, dass er es sich nicht leisten könne, auf Ankaras Vermittlerrolle zu vernichten, analysiert Sinan Ülgen vom Think Tank „Carnegie Endowment“ („Testing Turkey’s Influence“, 28.9.2011)

Teheran verfolgt türkisches Muskelspiel mit einer Mischung aus Unbehagen und Schadenfreude. „Das säkulare System ist kein gutes Modell“ sticht der Ex-Kommandant der iranischen Revolutionsgarden und Berater des „Geistlichen Führers“ Khamenei , General Rahim Safavi, tief in türkische Wunden. Ankaras Politik sei unvereinbar mit den Idealen der muslimischen Bevölkerung der Türkei. (Tehran Times, 8.10.2011) Dass das iranische Staatsmodell kaum mehr Attraktivität besitzt, tut für ihn nichts zur Sache.

Iranische Drohungen

Unterdessen löste auch Ankaras Zusage an die USA, in Ostanatolien die Stationierung eines NATO-Raketenabwehrsystems zu gestatten, eine Flutwelle von Attacken und Drohungen des iranischen Regimes aus, dessen zentrales außenpolitisches Anliegen totale Unabhängigkeit und eine von westlichen (Groß-)Mächten befreite Region ist. Die Türkei – so wettert Safavi – werde einen „hohen Preis“ bezahlen, wenn sie nicht ihre jüngsten „strategischen Fehler“ korrigiere. (press tv.ir., 20.20.2011) Offene Feindseligkeit dokumentiere die Türkei damit gegenüber der „Islamischen Republik“, die doch zu einer der wichtigsten Wirtschaftspartner aufgestiegen sei und den bilateralen Handel noch auf 30 Mrd. Dollar verdoppeln wolle, heißt es empört in Teheran, wo sich die Führung nicht durch Erdogans Beteuerungen beschwichtigen läßt, dass doch die Raketen gar nichts mit einer möglichen Abwehr iranischer Attacken gegen Israel zu tun hätten. Israel werde auch so untergehen, bemerken trotzig offizielle Kreise in Teheran. Und in die Zweckfreundschaft der beiden Rivalen kühlt immer stärker ab.

Doch wie stets in der Geschichte gibt es auch heute noch einen Bereich, der alle Zwietracht überdeckt: der gemeinsame Wunsch, den staatenlosen Kurden auf ihrem Boden auch nur die kleinste Chance auf ihr legitimes Selbstbestimmungsrecht zu verwehren. Syriens Diktator müsse weichen, wettert Erdogan nun offen, auf Sympathie der syrischen Opposition hoffend und spielt großzügig den Gastgeber für diverse Strategiekonferenzen über die Zukunft des Nachbarstaates ohne dem Assad-Clan. Doch was, wenn in einem neuen Syrien die etwa zwei Millionen Kurden nach irakischem Vorbild Autonomie erhalten? Was, wenn Syrien im Chaos versinkt und die Kurden die jahrzehntelange Knute des Regimes abschütteln und aktiv um ihre Freiheit ringen, auch um die ihrer Brüder und Blutsverwandten in der Türkei? Kaltes Schaudern jagen solche Aussichten den Strategen in Ankara, über den Rücken, ebenso wie jenen in Teheran. Auch die arabische Führung in Bagdad verfolgt das Geschehen mit tiefem Unbehagen. Wer in der Region will schon, dass dieses größte Volk der Welt ohne Staat sich selbst verwaltet? Wäre es da nicht doch besser, Assad die Macht zu erhalten, ihn aber so zu stärken, dass nicht sein strategischer Partner Iran auch jenseits dieser türkischen Grenze das Sagen erhält? Ein schier unlösbares Dilemma, in das der arabische Frühling nun Erdogan gestürzt hat.

Offen beklagt Shalal Gedo, Führer der „Linken Kurdenpartei in Syrien“ (Rudaw, 22.9.2011), Ankara versuche alles, um die syrische Opposition „in seine Dienste zu stellen“, damit „die Kurden nicht in einer neuen syrischen Verfassung geschützt werden“. Berichte, dass syrische Kurden – wiewohl zunächst zaghaft – beginnen, sich unter kurdischem Banner gegen Assad zu mobilisieren, sowie Sympathiebezeugungen der PKK für die bedrängten Brüder im Nachbarstaat lassen die Eröffnung einer neuen Front in dieser turbulenten Region befürchten.

Dunkle Schatten über Kurdistan

Für Erdogan gilt es unterdessen freilich die Felle im Irak, insbesondere im dortigen Kurdistan, vor einem expansiven Iran zu retten, wenn sich durch den US-Abzug für beide neue Chancen auf strategischen Vormarsch eröffnen. Die Kurden sind dieser Neuauflage des geostrategischen Rivalitätskampfes besonders empfindlich ausgesetzt.

Seit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 haben die Türken einen großen dunklen Schatten über Kurdistan geworfen. Wohl von Washington bedrängt, fügte sich Erdogan schließlich in das Unvermeidliche und akzeptierte das Schreckgespenst der kurdischen Selbstverwaltung. Die bedrohlichen Viren politischer Eigenständigkeit, die sich von dort auf die kurdischen Brüder in der Türkei auszubreiten drohten, bekämpfte Ankara mit kluger und äußerst erfolgreicher Strategie. Wenn es die Autonomie schon nicht verhindern konnte, dann soll sie unter türkischem Segen und totaler Abhängigkeit fortexistieren. Damit läßt sie sich jederzeit bei Bedarf strangulieren. Die Türkei baute eifrig Straßen und Flughäfen, sowie diverse andere strategische Einrichtungen und stellte damit einen Fuss voll in die historisch von ihr beanspruchte kurdische Nachbarregion. Die Hälfte der unterdessen im relativ sicheren Kurdistan niedergelassenen ausländischen Firmen, 1.200 an der Zahl, sind türkische, ein paar Dutzend iranische. 80 Prozent der heute in Kurdistan importierten Waren stammen aus der Türkei, ein kleinerer Teil davon aus dem Iran.

Militärisch ist die Türkei seit den 90er Jahren in Kurdistan präsent, seit jenem unglückseligen Krieg zwischen den Peschmergas des heutigen Präsidenten Kurdistans, Massoud Barzani, und jenen der Patriotischen Union Kurdistans des derzeitigen irakischen Präsidenten Talabani. Mehrmals in den vergangenen Wochen appellierte das Parlament Kurdistans in Erbil an die Türkei, diese einst zum Schutz Barzanis gegen Talabani errichteten Stützpunkte, sowie andere Geheimdiensteinrichtungen zu schließen, damit irakisch-Kurdistan nicht zu einem neuen Schlachtfeld werde. („alsumaria.TV“).

Die historische Feindschaft zwischen Nordiraks Kurden und der Türkei hat sich in eine durchaus ökonomisch fruchtbare Kooperation verwandelt, in der Ankara dem kurdischen Ölreich das Tor zu den westlichen Märkten öffnet und sich dominierenden strategischen Einfluss über das einstige osmanische Wilayet Mosul sichert. Den Verlust dieser Großprovinz mit ihren reichen Ölquellen in der Region Kirkuk an die britischen Eroberer dieses Gebietes 1918 haben türkische Nationalisten bis heute nicht verschmerzt.

„Vasallen“ der Türkei?

Wenn auch die irakische Kurdenführung – vorerst – die materiellen Früchte der intensiven Kooperation mit dem alten Feind der Kurden genießt, in privaten Kreisen Bagdads erheben sich unter arabischen Politikern sorgenvolle Stimmen, die befürchten, Ankara erstrebe die Kontrolle über Nord-Iraks Wirtschaft und Politik, um de facto das ehemalige Wilayet Mosul „in einen eindeutig türkischen Machtbereich einzugliedern“. (United States Institute of Peace“: „The Coming Turkish Iranian Competition in Iraq“, June 2011). Und auch manche kurdische Politiker quält der Verdacht, dass Erdogan Kurdistan in ökonomische Abhängigkeit zwingen wolle, um die Region zu einem „Vasallen“ zu machen.

Auch Teheran beobachtet Ankaras Strategie im Irak mit großem Unbehagen. Schon haben die Türken auch begonnen im überwiegend schiitischen Südirak, dem Kerngebiet iranischen Einflusses, Fuß zu fassen. Und von anderer Seite droht neuer Widerstand gegen das vom Iran angepeilte Ziel eines schwachen, von Schiiten unter seinem dominierenden Einfluss regierten Irak: Saudi-Arabien, sunnitischer Erzrivale in der Region. Der jahrelange Kalte Krieg zwischen beiden Staaten droht nun nach der Aufdeckung eines mutmaßlich vom Iran angezettelten Attentatsversuchs gegen den saudischen Botschafter in Washington zu einem blutigen Stellvertreterkrieg zu entarten, erneut, wie bereits nach dem Sturz Saddam Husseins, auf irakischem Boden. Diplomatische Quellen berichten, Riad sei schockiert über die Absicht US-Präsident Obamas, alle US-Soldaten bis zum Jahresende aus dem Irak abzuziehen und damit, wie die Saudis es verstehen, iranischer Vorherrschaft Tür und Tor zu öffnen. „Iran stellt eine direkte und unmittelbare Bedrohung nicht nur für das (saudische) Königshaus dar, sondern für die Sunniten in der ganzen Region“, warnt ein führendes Mitglied des Regimes in Riad. „Wenn Washington nicht unsere Interessen in der Region schützen kann, dann werden wir dies selbst tun müssen.“ („Wall Street Journal“, 17.10.2011).

Immerhin waren es die Saudis gewesen, die lange den gewalttätigen sunnitischen Widerstand gegen Schiiten – aber auch Amerikaner – im Irak unterstützt und saudische Jihadis in das Kampfgebiet an Euphrat und Tigris entsandt hatten. Auch damals ging es darum, Irans Vormarsch zurückzudrängen.

Den gequälten Irakern, auch den Kurden, die im Norden jahrelang eine Ruhe und Prosperität erlebten wie nie zuvor, stehen turbulente Zeiten bevor. Auf den Berghöhen des Zagros richten Iraner ihre Stützpunkte ein, um jede Bewegung im umkämpften Land zu kontrollieren, die Türken sind schon allgegenwärtig, und die Saudis finden offene Türen. Dazwischen eingequetscht ist der kurdische Erzfeind, der auch unter den irakisch-arabischen Brüdern auf viel Mißtrauen stößt. Iran und die Türkei werden alles daran setzen, nun den uralten Plan zu vollenden: die Errichtung von entvölkerten, verminten „Schutzzonen“ entlang ihrer Grenzen, damit nur sie über die „Freiheit“ irakisch-Kurdistans entscheiden und die Bevölkerung dort als Geiseln halten können.


Dieser Artikel erschien in „Le Monde Diplomatique kurdi“, November 2011
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Arabische Liga setzt Assad massiv unter Druck

Suspendierung der Mitgliedschaft ist ein schmerzlicher psychologischer Schlag – Öffnet die arabische Entscheidung den Weg zu internationaler Intervention?

von Birgit Cerha

Syriens schwer bedrängtes Regime rutscht nun auch in seiner eigenen, der arabischen Welt, immer tiefer in die Isolation. Attacken gegen die Botschaften Saudi-Arabiens und Katars in Damaskus, sowie die französischen und türkischen Konsulate in Latakia durch Anhänger des syrischen Regimes am Wochenende illustrieren die Entschlossenheit Präsident Assads, sich durch nichts und niemanden vom mörderischen politischen Überlebenskampf abhalten zu lassen. Syrien ist nun in seiner eigenen politischen Umwelt fast total isoliert. Denn nach mehr als acht Monate beispiellosen Blutvergießens mit mindestens 3.500 Toten, entschloß sich die Arabische Liga am Wochenende in Kairo endlich zu einer klaren Position.

Die Entscheidung der Regionalorganisation, Syriens Mitgliedschaft auszusetzen, wenn das Regime Baschar el Assads nicht bis kommenden Mittwoch alle Gewalt gegen die eigene Bevölkerung stoppt und Panzer und schwere Waffen aus den Städten zurückzieht, kam unerwartet. Denn die 22 Mitglieder umfassende Organisation hat sich seit vielen Jahren durch interne Streitigkeiten und fast totale Unfähigkeit zur Konfliktlösung hervorgetan. Nun retteten die vom „Arabischen Frühling“ noch nicht hinweggefegten Regime – zunächst zumindest - die Glaubwürdigkeit der Organisation, indem sie das Morden eines der ihren nicht länger tatenlos hinnimmt. Alle arabischen Botschafter sollen aus Damaskus abgezogen werden und verschärfte Wirtschaftssanktionen drohen. Gegen die Resolution stimmten der unter syrischer Hegemonie stehende Libanon, sowie der Jemen, dessen Präsident einen ähnlichen politischen Todeskampf führt. Der vor acht Jahren von einem brutalen Diktator befreite Irak enthielt sich der Stimme und beweist damit den starken Einfluß des einzig verbliebenen syrischen Bündnispartners, Iran, auf den politischen Entscheidungsprozess in Bagdad.
Das Regime in Damaskus verurteilt die Entscheidung der Liga als „illegal“ und fordert die Einberufung einer Dringlichkeitsgipfels, in der Hoffnung wohl, damit Zeit zu gewinnen. Seit Beginn der Revolten im März setzt Assad auf diese Strategie, zuletzt als er einem Friedensplan der Liga zustimmte, versprach, das Blutvergießen sofort zu beenden, Militär und Panzer aus Städten abzuziehen, Gefangene (weit mehr als 10.000 sind es unterdessen) freizulassen und einen Dialog mit der Opposition über politische Reformen zu beginnen. Statt den Plan in die Tat zu setzen, eskalierte das Regime die Gewalt. Allein in elf Tagen starben mehr als 250 Menschen, so viele wie noch nie in solch kurzem Zeitraum und Assads Behauptung, er erfülle seine Zusagen, indem er bereits 500 Gefangene freigelassen hätte, wird in Ligakreisen als Hohn empfunden. Unterdessen haben die oppositionellen „Lokalen Koordinations-Komitees Syriens“ die Stadt Homs, das derzeitige Zentrum der Rebellion, zu einem „humanitären Katastrophengebiet“ erklärt. „Human Rights Watch“ belegt in einem 63-seitigen Bericht „systematische“ Brutalität des Regimes gegen Zivilisten und verlangt, dass das Regime wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Hag gestellt werden müsse.
Die Suspendierung der Mitgliedschaft versetzt dem Regime, das sich seit Generation als das „schlagende Herz des arabischen Nationalismus“ empfindet, einen schweren psychologischen Schlag. Doch sie wird ein despotisches Regime kaum zu einem Einlenken zwingen, das sein eigenes Ende besiegeln würde. Dieser Druck reicht nicht, um das Morden zu beenden. Deshalb will die Liga kommenden Mittwoch weitere Schritte beschließen. Lenke Assad nicht ein, folgten politische und wirtschaftliche Sanktionen und die Liga werde die UNO zu Hilfe rufen. Ein ähnlicher Schritt der Organisation hatte entscheidend dazu beigetragen, dass westliche Staaten eine Bombenkampagne gegen Libyens unterdessen ermordeten Diktator Gadafi begonnen hatten. Aber „niemand spricht von einer Flugverbotszone“, die einige syrische Oppositionsgruppen verlangen, „betont Katars Außenminister Scheich Hamad bin Jassim. Auch von Bewaffnung der Opposition, die die Liga für kommenden Mittwoch zu Verhandlungen über eine Strategie für den Übergang von Diktatur zu Demokratie in Syrien nach Kairo geladen hat, wollen die arabischen Brüder – vorerst – nichts wissen. Doch die Ultimaten an Assad werden kürzer und der Druck massiver.

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Mittwoch, 9. November 2011

„Iran wird nicht einen Millimeter zurückweichen“

Warum die „Islamische Republik“ eine Eskalation im Atomkonflikt riskiert – Amadinedschad versucht, die revolutionäre Glut neu zu entfachen – Wo steht das Volk?

von Birgit Cerha

„Die iranische Nation ist weise. Sie wird nicht zwei (Atom-)Bomben in einer Welt bauen, die bereits von nuklearen Waffen überschwemmt ist. Aber sie baut etwas, worauf ihr (die USA) nicht antworten könnt: Ethik, Anstand, Monotheismus und Gerechtigkeit.“Einen Tag, nachdem die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in ihrem jüngsten Bericht dem Iran vorwirft, zumindest bis zum vergangenen Jahr an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet zu haben, heizte Irans Präsident Ahmadinedjad die internationalen Spannungen weiter auf. Der Iran werde in der heißumstrittenen Atomfrage „nicht einen Millimeter zurückweichen“. Zugleich wies Ahmadinedschad die Behauptungen der IAEA als „unausgewogen“ zurück. Sie stützten sich auf falsche Informationen. Zudem brauche der Iran keine Atombombe, um die USA zu vernichten.

In der Region wächst die Nervosität, ein Militärschlag der Israelis oder gar der USA hätte unabsehbare Auswirkungen, für den Iran, aber auch für den gesamten Mittleren Osten. Welche Motive treiben die Führer der „Islamischen Republik“, die aus religiöser Überzeugung offiziell den Einsatz von atomaren Waffen entschieden ablehnen, dieses gefährliche Versteckspiel mit der internationalen Gemeinschaft unbeirrt fortzusetzen? Kein Zweifel, zum nationalen Schutz benötigt Teheran die Bombe nicht, ist der Iran doch umringt von überwiegend schwachen Staaten mit teils gravierend destablisierenden internen Problemen. Keiner erwägt auch nur in seinen kühnsten Träumen eine Invasion der „Islamischen Republik“. Und dennoch deutet alles darauf hin, dass Teheran sich zumindest die Fähigkeit zu einem raschen Bau von Atombomben sichern will.

Welche Motive treiben die „Gottesmänner“, an diesem gefährlichen Kräftemessen mit der internationalen Gemeinschaft festzuhalten? Eine Analyse iranische Aktionen und offizieller Erklärungen lässt einen breiten Konsens für ein Ziel erkennen: den Aufstieg zur führenden Regionalmacht, einer Position, die der Größe der Bevölkerung, deren intellektueller Kapazitäten, den ökonomischen Ressourcen des Landes, seiner Geschichte, Kultur und Identität entspricht. Die Anerkennung dieser Rolle verweigern die umliegenden Staaten den Iranern zumindest seit der islamischen Revolution vor drei Jahrzehnten.

Diese „imperialistische Denkweise“, wie manche Iran-Experten den geostrategischen Ehrgeiz der iranischen Führungselite nennen, findet sich auch in weiten Kreisen der ansonsten tief gespaltenen iranischen Gesellschaft. Viele Iraner dürften sich einig sein, dass ihr Land es verdient so mächtig wie nur möglich zu werden. Diese Gefühle haben sich durch die katastrophale Politik der islamischen Führer, insbesondere im Bereich der Wirtschaft, offenbar wesentlich gesteigert. Während die Iraner in den vergangenen zwei Jahrzehnten, ungeachtet des Öl- und Gasreichtums eine Senkung ihres Pro-Kopf-Einkommens hinnehmen mußten und von der internationalen Gemeinschaft dämonisiert werden, beobachten zumindest jene, die Auslandsreisen unternehmen, voll Bitterkeit die ökonomischen und technologischen Entwicklungen bei Nachbarn etwa in Dubai oder Istanbul. Ungeachtet von den Interessen und Strategien des Regimes, findet sich beim Durchschnittsbürger ein psychologisch bedingtes starkes Interesse an der Machtentfaltung seines Landes, auch wenn die wenigsten mit dem Atomprogramm vertraut sind.

Dennoch hält der Iran-Experte Karim Sadjapour etwa im Westen oft wiedergegebene Behauptungen, die Iraner stünden voll hinter dem Atomprogramm des Regimes für übertrieben. Er weist darauf hin, dass zwei Drittel der Bevölkerung unter 30 ist, in der Zeit unmittelbar nach dem blutigsten Krieg der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, jenem mit dem Irak, geboren und – wie ihre Eltern - wenig Lust an neuen kriegerischen Konflikten verspüren, sondern vielmehr endlich einen wirtschaftlichen Aufschwung erhoffen. Dennoch sehen viele das technologische Know-how auch im Bereich der Atomenergie als wichtigen Faktor in der Entwicklung des Irans zu einem modernen, mächtigen Staat. Zudem würde der Iran als Atommacht in den sehr exklusiven internationalen Club aufsteigen und damit auch endlich auf der Weltbühne die ihm gebührende Anerkennung genießen, eine Aussicht, die auch für regimekritische Bevölkerungskreise Attraktivität besitzt.

Das iranische Regime hingegen stützt sein Streben nach regionalpolitischer Macht nicht primär auf ökonomische Entwicklung, die es jahrzehntelang sträflich vernachlässigt hat, sondern auf Ideologie und militärische Kraft. Der Besitz der Fähigkeit zum raschen Bau der Atombombe, so hofft man in Teheran, werde dem „Gottesstaat“ endlich die heißersehnte Anerkennung als Führungsmacht durch die Regionalstaaten einbringen. Dafür scheut Ahmadinedschad auch nicht den offenen, vielleicht gar militärischen Konflikt mit dem Westen. Irans Präsident, darin sind sich Beobachter einig, hat vielmehr längst erkannt, dass Khomeinis islamisch-revolutionäres Gedankengut nur noch wenige zu befeuern vermag und er setzt verstärkt auf einen auflebenden iranischen Nationalismus, der sich mit dem Islamismus des Regimes verschmelzen und diesem neue Kraft schenken könnte.

Viele seiner zahlreichen Gegner innerhalb der herrschenden Elite konnte der Präsident bisher für seinen kompromisslosen Kurs gewinnen, weil der Iran dafür bis heute keinen schmerzlichen Preis bezahlen, sondern durch den Verbalkrieg vielmehr – so sieht man es zumindest in Teheran – international an Statur gewonnen habe. Doch herrschende Kreise im „Gottesstaat“ haben auch einen Hang zum Pragmatismus. Steigt der Preis für ihre Atomstrategie über die Schmerzgrenze, dann könnte sich ihre Position rasch entscheidend verändern.

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Sonntag, 6. November 2011

Assads schwindende Optionen

Den Syrern steht ein langer, blutiger Zermürbungskrieg bevor bis das Regime zusammenbricht – Die Gefahr eines Bürgerkriegs nimmt stetig zu

Bild: Homs, derzeitiges Zentrum des Widerstands

von Birgit Cerha

Lange hatte die Arabische Liga gebraucht, bis sie Anfang November endlich dem schwer bedrängten syrischen Diktator Baschar el Assad einen Friedensplan präsentierte, der das Land nach acht Monaten des Blutvergießens zur Ruhe bringen sollte. Und Assad akzeptierte. Er versprach, Panzer und Soldaten von den Straßen zurückzuziehen, seit Beginn der Revolte Festgenommene (vielleicht 20.000, niemand weiß es genau) freizulassen und Verhandlungen mit der Opposition zu beginnen. Doch das Sterben geht weiter. In Homs, dem derzeitigen Zentrum des Widerstandes gegen das Regime, seien ganze Gebäude durch Panzerkanonen zerstört worden, berichtet ein Augenzeuge aus der heißumkämpften zentralsyrischen Stadt. „Es gibt kein Brot mehr und Zivilisten, die in den Straßen verwundet werden bleiben liegen und sterben, weil sie niemand retten kann.“ Erneut rief am Wochenende der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, das syrische Regime eindringlich auf, das Blutvergießen sofort zu beenden. Ein Scheitern des arabischen Friedensplans werde „katastrophale Folgen für Syrien und die Region“ nach sich ziehen.

Tatsächlich spricht nichts dafür, dass Assad oder auch seine Gegner diesem Plan eine Chance geben wollen. Er kommt viel zu spät. Das Tor zu nationaler Versöhnung ist nach dem Tod von mehr als 3.000 Menschen längst zugeschlagen. Wiewohl über die Zukunft Syriens immer noch weitgehend uneins, ist sich die interne und im Exil lebende Opposition in einem Punkt einig: Baschar el Assad hat durch seine zahllosen unerfüllten Versprechen der vergangenen acht Monate jegliches Vertrauen und durch die mörderische Brutalität seiner Schergen gegen unbewaffnete Demonstranten jegliche Kompromissbereitschaft seiner Gegner verspielt. Für diese gibt es nur mehr ein Ziel: Sturz des Regimes. „Nach Gadafi (Libyens getöteten Diktator) bist du dran, Baschar“, lauten die jüngsten Rufe der trotz aller Gewalt unerschrocken protestierenden Syrer. Die Freilassung von 553 Gefangenen aus Anlaß des muslimischen Festes Eid al-Adha mag die Opposition ebenso wenig umzustimmen, wie die einwöchige Amnestie für Rebellen, die sich den Behörden stellen und ihre Waffen abliefern. Eine Warnung des US-Außenministeriums, das Angebot des Regimes nicht ernst zu nehmen, löste unter den Damaszener Führern helle Empörung über solche „Einmischung“ der Supermacht aus.

Unterdessen sind sich Experten in der Region weitgehend einig, dass den Syrern nun ein langer Zermürbungskrieg bevorsteht, bis das Regime Assad endgültig zusammenbrechen werde. In acht Monaten ist es Assad nicht gelungen, trotz skrupelloser Gewalt, trotz der Bombardierung und Belagerung größerer Städte wie Homs, Hama und Latakia, den Aufstand niederzuschlagen. Doch auch seine Gegner haben nicht die Kraft die Diktatur zu Fall zu bringen. Die Gewalt aber hat unterdessen ein Maß an Eigengesetzlichkeit erreicht, dass Assad kaum noch Optionen offenläßt. Durch die Bombardierung von Städten, die wahllose Tötung von Zivilisten schaufelt sich das Regime sein eigenes Grab und treibt das Land in den Ruin, darin sind sich Analysten in der Region einig.

Unterdessen verstärken sich die ersten Anzeichen eines beginnenden Bürgerkrieges. Am Rande von Aleppo, dem bisher weitgehend ruhig gebliebenen, von Assads Sicherheitskräften umringten kommerziellen Zentrum Syriens, seien, so lokale Kreise, vor wenigen Tagen Angehörige der alawitischen Minderheit ermordet worden. Beginnt nun die blutige Rache der seit Jahrzehnten teils blutig vom Alawiten-Regime unterdrückten sunnitischen Mehrheit? Schon dringen Berichte nach außen, Assad unterstützendes medizinisches Personal weigere sich, verwundete Rebellen zu behandeln.

Seit April, so berichtet das „Internationale Institut für Strategische Studien“ würden Waffen nach Syrien geschmuggelt und „dieser illegale Handel blüht nun, wiewohl vor allem an Zivilisten zur Selbstverteidigung“ und nicht als gezielte Aktion ausländischer Mächte, wie das Regime gerne zur Rechtfertigung seiner eigenen Gewalt behauptet. Die große Mehrheit der Opposition besteht dennoch weiterhin auf Gewaltlosigkeit. So hat der jüngst in der Türkei nach langen turbulenten Verhandlungen als Dachverband der Opposition gegründete „Syrische Nationale Rat“ (SNR), ein Waffen-Angebot des „Libyschen Übergangsrates“ entschieden abgelehnt. Dennoch dürfte auch nach unabhängigen Quellen die vo abgesprungen Offizier Riad Asaad unter türkischem Schutz gegründete „Freie syrische Armee“ stetig wachsen. Asaad behauptete jüngst in einem Interview er kommandiere nun 10.000 desertierte syrische Soldaten. „Wir sind die Zukunft Syriens. Wir schlagen gegen Assads Regime und seine Armee an vielen Orten“. Er wolle, so erklärte Assad, in Nord-Syrien nach dem Vorbild Benghazis in Libyen, eine befreite Zone schaffen, um von dort aus das Regime zu Fall zu bringen. Doch es fehlt an Waffen und Männern, um die rund 200.000 Mann starken syrischen Armee in die Knie zu zwingen. Die Militarisierung des Konflikts aber droht Syrien in einen Bürgerkrieg zu reißen. Schon jetzt sollen nach unabhängigen Quellen im Schnitt pro Tag ebenso viele Soldaten sterben, wie Rebellen.

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