„Al-Kaida in Irak“ gewinnt inmitten einer schweren
politischen Krise und wachsenden Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen wieder
an Schlagkraft
von Birgit Cerha
Mindestens 18 Autobomben und drei Sprengkörper an
Straßenrändern töteten Montag in großen Teilen des Iraks, von Bagdad, über
Falluja, Kirkuk, Tikrit bis in den Süden des Landes, mehr als 30 Menschen. Es
waren äußerst koordinierte Attacken, die eindeutig die Handschrift des
irakischen Al-Kaida Zweiges, „Islamischeer Staat des Iraks“ (ISI), tragen. Im
ganzen Land herrscht Hochspannung, denn Samstag finden die ersten Wahlen seit
dem totalen Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 statt.16,2 Millionen Iraker
sind aufgerufen unter mehr als 8000 Kandidaten 378 Abgehordnete für die
Provinzverwaltungen zu wählen. Die Terrorwelle gefährdet die ohnedies schon
angeschlagene Glaubwürdigkeit dieser Wahlen, die aufgrund schwerwiegender politischer
Konflikte ohnedies schon nur in zwölf der insgesamt 18 Provinzen des Landes
stattfinden. Die Eskalation der Gewalt zielt klar darauf ab, diesen
demokratischen Prozess empfindlich zu stören und der Bevölkerung vor Augen zu
halten, dass die mit US-Rückendeckung an
die Macht gekommene Regierung Maliki ohne direkte Unterstützung der Supermacht
zum Scheitern verurteilt ist. 14 Kandidaten wurden in den vergangenen Wochen
ermordet. Werden die von den US-Militärs ausgebildeten Sicherheitskräfte eine
noch größere Katastrophe am Wahltag verhindern können? Wird ein großer Teil der Iraker am Samstag den
Gang zur Wahlurne nicht wagen? Diese Fragen könnten sich als entscheidender
Test für den Premier und seine Hoffnungen für die Parlamentswahlen im nächsten
Jahr, sowie eine dritte Amtsperiode erweisen.
Zwar hat die Welle der Gewalt noch längst nicht den Pegel
der blutigen Jahre 2006/07 erreicht, dennoch starben im März 271 Menschen bei
Anschlägen, so viele wie seit vielen Monaten nicht. Der Terror verschärft die
schweren Spannungen zwischen der seit Monaten vehement gegen Maliki protestierenden
arabischen Sunniten und der von Schiiten dominierten Regierung. Malikis
schärfster Konkurrent, der schiitische Ex-Premier Iyad Allawi, Chef der
säkularen, insbesondere von Sunniten unterstützten „Irakiyya“-Bewegung ,
monatelang durch von Maliki angezettelte Intrigen und Abwerbungen wesentlich
geschwächt, könnte nun ein für den Premier alarmierendes Comeback feiern. Denn
es gelang Allawi wie keinem anderen politischen Führer, in sunnitischen, wie
schiitischen Regionen Unterstützung zu finden. Als einzige Partei stellte „Irakiyya“
Kandidaten im ganzen Land (ausgenommen freilich dem autonomen Kurdistan) auf.
Maliki, dessen Regierung in den vergangenen Monaten am Rande
des Zusammenbruchs stand, nachdem sich Konflikte mit seinen Koalitionspartnern –
den Kurden und der schiitischen Sadr-Bewegung – dramatisch zugespitzt hatten, umwirbt
nun nach Kräften die gegen ihn protestierenden Sunniten. Am 7. April gewann er das
Parlament für ein Gesetz zur Ächtung der gestürzten Baath-Partei und den
totalen Ausschluss von ehemaligen Baath-Angehörigen aus dem Staatsapparat zu
lockern. Während der prominente
Sunnitenführer Saleh al-Mutlaq von einem „Schritt in die richtige Richtung“
spricht, löste Malikis Strategie Schock unter Schiiten aus und der populäre
Geistliche Moqtada Sadr droht, dem Premier den Kampf anzusagen.
Vor dem Hintergrund dieser das Land seit vielen Monaten
politisch lähmenden Konflikte bedeutet der verschärfte Terror eine zusätzliche
enorme Gefahr auf dem steinigen Weg zu einem funktionierenden modernen und demokratischen
Staat. Was viele Iraker besonders beunruhigt, ist die wachsende Gefahr eines
Überschwappens der blutigen Gewalt aus Syrien. Die jüngste Erklärung des ISI-Chefs,
Abu Bakr al-Baghdadi, die im Kampf gegen Präsident Assad in Syrien so
erfolgreiche islamistische „Jabhat al-Nusra“ sei ein „Kind“ der ISI, die nicht
nur die Strategie koordiniere, sondern auch 50 Prozent des monatlichen Budgets
dieser syrischen Rebellen finanziere, löste weithin Schock und Verwirrung aus. „Al
Nusra“ versuchte, sich von dieser Erklärung zu distanzieren, ihr Führer, Abu
Mohammed al-Jawlani, bekräftigte energisch, aus offensichtlicher Angst um
gravierende Sympathieeinbußen unter der syrischen Bevölkerung, die
Eigenständigkeit seiner Gruppe, die ihre Wurzeln ausschließlich in Syrien habe.
Doch zugleich bekannte er sich demonstrativ zur Ideologie der Al-Kaida und
deren Chef Ayman al Zawaheri. Darüber hinaus stimmte er der von Baghdadi
angekündigten Verschmelzung der beiden Gruppen zum „Islamischen Staat des Iraks
und Groß-Syriens“ zu, während Zawaheri die syrischen Rebellen dazu aufrief, die
Gründung eines „islamischen Staates“ in Syrien als ersten Schritt zu einem
weltumspannenden Kalifat zu betrachten.
Experten des in London stationierten anti-islamistischen Think-Tanks „Qilliam
Foundation“ befürchten, dass eine Koordination der Gewaltakte dieser beiden
Grupp0en den Irak in den syrischen Konflikt hineinziehen und eine neue Front für
das so lange gequälte Land schaffen könnte. Zudem, so Quilliam-Chef Noman
Benotman, drohe diese Entwicklung die ohnedies sich zunehmend vertiefende
Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten in der Region gefährlich zu verschärfen,
ja vielleicht sogar eine neue Phase eines regionalen mit religiösen Slogans
gerechtfertigten Krieges vom Zaum zu brechen.
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