Militärisch lassen sich die IS-Terroristen nicht besiegen – Für den
 dringend nötigen Prozess der nationalen Versöhnung könnte es aber zu 
spät sein
von Birgit Cerha
Jihadis des selbsternannten „Islamischen Staates“ (IS) jubeln über 
Twitter: „Diese Krise ist ein großes Geschenk“.  Die Entscheidung 
US-Präsident Obamas, im Irak-Krieg militärisch durch Luftangriffe 
einzugreifen, ermögliche ihnen, ihren größten Erzfeind direkt zu 
bekämpfen.  Von großem moralischem Auftrieb ist die Rede und davon, dass
 nun Jihadis aus der ganzen Welt zu ihnen in den Irak eilen würden.
Tatsächlich konnten US-Attacken und militärische Hilfe für die 
kurdischen Peschmerga-Kämpfer dem Kriegseifer des IS – bisher – nichts 
anhaben. Während die Kurden kleine Gebiete zurückeroberten, setzen die 
Jihadis nun ihren Vormarsch weiter im Südosten fort, offenbar mit dem 
Ziel, die Front zum autonomen Kurdistan zu erweitern und die 
nord-irakischen Ölquellen als finanzielle Basis für ihr Terror-„Kalifat“
 unter Kontrolle zu bringen. Eine Entspannung an der humanitären Front 
zeichnet sich nicht ab, wiewohl – endlich - langsam internationale Hilfe
 einsetzt. Die Schätzungen der durch IS in den vergangenen Monaten 
Vertriebenen reichen schon bis zu einer Million. Das Gesicht des Iraks 
hat sich damit dauerhaft verändert, denn viele, vor allem Angehörige der
 Minderheiten, die den Schrecken durch Terror und qualvollem Tod 
entronnen sind, werden nicht mehr zurückkehren.
Erstmals in seiner 82-jährigen Geschichte ist die territoriale 
Integrität des irakischen Staates ernsthaft bedroht. Doch weit 
dramatischer, weit gefährlicher für seine Bewohner, die Region und 
darüber hinaus für den gesamten Westen ist die Kontrolle eines großen 
ölreichen Territoriums, die barbarischen Terroristen unbegrenzten 
Handlungsspielraum bescheren könnte. Der Alptraum erscheint real. Und 
dennoch lassen sich vielleicht gravierende Schwächen des IS erkennen. In
 Irak und Syrien kämpfen die IS-Terroristen gegen eine wachsende Schar 
von Feinden: die Streitkräfte des syrischen Präsidenten Assad, Einheiten
 der syrischen Kurden, ihre syrischen Jihadi-Rivalen der „Nusra-Front“ ,
 die libanesische Hisbollah, iranische Revolutionsgarden; im Irak die 
Peschmerga, denen kurdische Brüder aus dem Iran, Syrien und der 
türkisch-kurdischen Guerillaorganisation PKK zu Hilfe kamen, versprengte
 Einheiten der demoralisierten irakischen Streitkräfte und zahlreiche 
hochmotivierte, teilweise vom Iran unterstützte schiitische Milizen 
halten sich für die militärische Konfrontation um Bagdad und weiter 
südlich bereit. Die bisherigen Geländegewinne gelangen IS in 
mehrheitlich von arabischen Sunniten bewohnten Gebieten, in denen sie 
sich auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung stützen konnten. 
Fehlt diese, erscheint ein Vormarsch fraglicher.
Vor allem aber kommandiert IS-Chef Al-Baghdadi eine Vielzahl von 
arabisch-sunnitischen Gruppierungen – neben IS u.a. „Ansar al-Islam“, 
den 80 sunnitische Stämme vertretenden „Militärrat der Stämme des 
Iraks“, die „Armee der Männer des Nakschbandi-Ordens“ (ehemalige 
Offiziere und hohe Beamte des gestürzten Baath-Regimes) – die nur der 
Sturz des mit dem Iran verbündeten Regimes unter  dem noch amtierenden 
Maliki eint. Schon aber beginnen gravierende ideologische und politische
 Meinungsunterschiede, bis zum Hass gegeneinander, aufzubrechen. Zudem 
zeigen sich erste Anzeichen, dass arabisch-sunnitische Stämme, 
schockiert über den IS-Terror, der auch ihren Angehörigen in dem von IS 
kontrollierten Gebieten zum Verhängnis wird, sich dem Kampf der 
Peschmerga gegen IS und zur Verteidigung ihres Heimatlandes anschließen 
wollen.  Und der arabisch-sunnitische Gouverneur der vor Monaten von IS 
eroberten westirakischen Provinz Anbar appellierte an die USA um 
Unterstützung für den Kampf gegen IS, da die lokale Bevölkerung dazu 
nicht mehr ausreichende Kraft besäße.  Gelingt dem designierten 
schiitischen Premier Abadi nun ein Neuanfang in Bagdad, indem er durch 
ein radikales politisches Reformkonzept die gravierenden Fehler seines 
Vorgängers Maliki korrigiert, Sunniten und Kurden voll in den 
politischen Prozess eingliedert, dann – so die Hoffnung vieler, 
insbesondere der USA – könnte IS den Rückhalt in der sunnitischen 
Bevölkerung verlieren und damit, wie ihr mit dem Al-Kaida Terrornetzwerk
 verbündete Vorgänger 2007, besiegt werden.
Doch dieser Plan erscheint all zu optimistisch. Zunächst könnte der
 sich immer noch an die Macht klammernde Maliki, Abadis Bemühungen um 
eine Regierung der nationalen Einheit durch Taktik oder gar – wie er 
androhte – Gewalt zunichte machen. Ist diese Gefahr gebannt, bedürfte es
 eines langwierigen Prozesses, um das insbesondere in den acht 
Regierungsjahren Malikis geschaffene tiefe Misstrauen zwischen den 
Bevölkerungsgruppen so weit abzubauen, dass deren Vertreter zu 
politischer Kooperation bereit sind. Die Last einer ungewöhnlich 
blutigen Vergangenheit trennt die Menschen des Iraks , die die 
Kolonialmacht einst zum Zusammenleben gezwungen hatte. Zuletzt haben 
auch die Amerikaner und die nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 
demokratisch gewählten irakischen Führer die wichtigste Voraussetzung 
für eine friedliche Zukunft ignoriert:  einen Prozess der nationalen 
Versöhnung. Und dazu erscheint es nun bereits zu spät.

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