Der Ex-Präsident präsentiert sich als Hoffnungsträger und
verändert durch seine Kandidatur radikal den Kampf um die Präsidentschaft
von Birgit Cerha
„Ich bin gekommen, um zu dienen. Es ist das Recht des
Volkes, mich zu wählen oder auch nicht. Doch ich bin überzeugt, dass meine
Präsenz in den (Präsidentschafts-)Wahlen (am 14. Juni) unserem System und der
islamischen Revolution nützen und dazu beitragen werde, unsere Probleme zu
lösen.“ Mit diesen Worten begründete Ali Akbar Haschemi Rafsandschani Samstag seine
Entscheidung, wenige Minuten vor Beendigung des Nominierungsprozesses für die
Präsidentschaftskandidatur, sich erneut ins Rennen zu stürzen. Der Beschluss
dieses Meisters im politischen Schachspiel, des größten Überlebenskünstlers der
„Islamischen Republik“ , erneut nach den Zügeln der Macht zu greifen, hat mit
einem Schlag die politische Szene des
Landes nur ein Monat vor den Wahlen radikal verändert. Das Feld schien bereit für einen unabwendbaren
Sieg eines der zahlreichen Mitstreiter des „Geistlichen Führers“ Khamenei.
Dutzende Politiker aus diesem Lager der „Prinzipalisten“,
darunter viele Prominente, wie der langjährige Außenminister Ali Akbar Velayati
und zuletzt der Atomunterhändler Said Jalili, schlossen sich der Schar von
insgesamt 680 Bewerbern an.
Die Reformer, seit den monatelangen Protesten und deren
blutiger Unterdrückung nach der bis heute weithin als manipuliert eingeschätzten Wiederwahl des nun scheidenden
Präsidenten Ahmadinedschad 2009 zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, fanden
keinen eigenen Bewerber, da die Führer der „grünen (Reform-)Bewegung“ , Meir
Hussein Mussawi und Mehdi Karubi, seit mehr als zwei Jahren unter Hausarrest
stehen und Ex-Präsident Khatami, durch
seine erzkonservativen Gegner eingeschüchtert, keine erneute Kandidatur wagte. Als einzige echte Alternative zu den „Prinzipalisten“
bot sich Ahmadinedschads „Erbe“ an, Esfandiar Rahim Maschaie, den der Präsident
vielleicht als Art Statthalter nach dem russischen Modell „Putin-Medwedjew“ mit aller Kraft an die Macht
zu hieven sucht, da er sich selbst nicht einer dritten unmittelbar
aufeinanderfolgenden Wiederwahl stellen darf. Das Lager Ahmadinedschad-Maschaie
ist wegen seiner nationalistischen
Doktrin, die den Einfluss der Geistlichkeit radikal verdrängen will, im
klerikalen Establishment zutiefst verhasst.
Rafsandschani ist der einzige Kandidat, der als eine Art
Brückenbauer zwischen den beiden das Land spaltenden Lagern wirken kann, der
Stimmen von den Prinzipalisten, wie jenen, sich nach Reformen sehnenden Iranern
anziehen kann, die in Ermangelung einer attraktiveren Alternative bereit
gewesen wären, für Maschaie zu stimmen. Auch Khatami stellte sich unterdessen
offen hinter Rafsandschani. Die Prinzipalisten hatten versucht die
Rafsandschani-Gefahr durch eine Wahlgesetzreform abzuwenden, die auch eine
Altersgrenze für Kandidaten von 75 Jahren festgelegt hätte. Sie waren aber im
Parlament gescheitert. Rafsandschani ist 78.
Dennoch, die Herzen der Iraner fliegen diesem Ayatollah, im
Volksmund „der Hai“ genannt, keineswegs
zu. Rafsandschani gilt nicht nur als ein
Meister der Machtspiele sondern auch als Symbol der Korruption, die den Iran
seit Jahrzehnten, schon lange vor der
Gründung der „Islamischen Republik“ 1979 quält. Er schaffte es gemeinsam mit
seiner Familie durch Pistazienproduktion und Handel, sowie unzählige andere
Geschäfte (nicht zuletzt auch intensiven Waffenhandel seiner Söhne) zu unermesslichem
Reichtum. Skrupellos im Kampf gegen seine Gegner während seiner Präsidentschaft
von 1989 bis 1997, bewies er jedoch starken Pragmatismus und die Fähigkeit,
schwere politische Krisen zu meistern.
Er zählte – in untergeordneter Rolle – zu den Gründervätern der „Islamischen
Republik“ und arbeitete sich empor zum engsten Berater und Vertrauten
Revolutionsführer Khomeinis. Ihm gelang es, Khomeini 1988 zum Trinken des „Giftbechers“
(so Khomeini) zu bewegen: der Zustimmung zum Waffenstillstand nach
achtjährigem, ungeheuer blutigen Krieg gegen den Irak. Es folgten Jahre
wirtschaftlichen Aufschwungs, eine Entwicklung, die heute wohl viele unter
heftigen internationalen Sanktionen und den Folgen katastrophalen
Mismanagements durch Ahmadinedschad leidende Iraner dazu bewegen könnten,
Rafsandschani ihre Stimme zu geben. Auch
außenpolitisch bewies der Ex-Präsident bereits in der Vergangenheit seinen Pragmatismus
und nährt damit die Hoffnung auf eine Entspannung im zunehmend bedrohlichen
Atomkonflikt mit der internationalen Gemeinschaft.
2005, als er die
Präsidentschaftswahlen gegen den von den konservativen Religiösen und den
mächtigen Revolutionsgarden unterstützten Ahmadinedschad verloren hatte, begann
sein politischer Stern zu sinken. Wiewohl jahrzehntelang engster Vertrauter
Khameneis, dessen Wahl zum „Geistlichen Führer“ er nach dem Tod Khomeinis 1989
entscheidend geebnet hatte, führten grundsätzliche Spannungen zwischen den
beiden fast zum offenen Bruch, nachdem Rafsandschani bei den Wahlen 2009 Mussawi
unterstützt und anschließend die Repression gegen die gewaltlos für Reformen
demonstrierenden Massen heftig verurteilt hatte. Er verlor den Vorsitz über den „Expertenrat“,
der den „Geistlichen Führer“ überwacht und dessen Nachfolger wählt und erlitt
die schwerste Demütigung im Vorjahr durch die Verhaftung von zwei seiner Kinder wegen regimekritischer
Aktivitäten und Korruption. Beide sind unterdessen wieder frei. Doch er
bekleidet weiterhin den Vorsitz des mächtigen „Schlichtungsrates“ und genießt beträchtliche Unterstützung auch in der
Geistlichkeit.
Seit Wochen hatte Rafsandschani klargestellt, dass er
nur mit Zustimmung Khameneis kandidieren
werde, da eine Aktion gegen den „Führer“ dem Land schaden würde. Politische
Beobachter vertreten die Ansicht, dass die beiden mächtigen Politiker im letzten
Moment einen Deal geschlossen hätten. Khamenei dürfte die enormen Gefahren
erkannt haben, die die tiefe Kluft in der iranischen Gesellschaft für die Suche
nach einer Lösung vor allem in der Atomkrise mit der internationalen
Gemeinschaft bedeuten. Rafsandschani könnte vielleicht als einziger als
Brückenbauer fungieren. Und er bewies in der Vergangenheit, dass er für die
Wahlen Massen mobilisieren kann. Noch freilich muss der „Wächterrat“ seine
Kandidatur und die Bewerbung von Hunderten anderen billigen oder verwerfen.
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