Sonntag, 13. Dezember 2009

IRAN: Die Schlinge zieht sich enger zusammen

Wer bloggt, riskiert die Reste von Freiheit und sogar sein Leben – Irans Despoten haben die Journalisten und Internetaktivisten zum größten Erzfeind erkoren

von Birgit Cerha

Wer hat das größte Sakrileg im Gottesstaat gewagt? Irans staatliches Fernsehen enthielt dem gesamten Volk die Ungeheuerlichkeit nicht vor: Ein zerrissenes Poster Ayatollah Khomeinis, des auch nach drei Jahrzehnten immer noch unantastbaren Gründers der „Islamischen Republik“, flimmerte über die Bildschirme. An der Identität der Täter hegt das Sprachrohr des „Geistlichen Führers“, ebenso wie dieser selbst, nicht die geringsten Zweifel: die grüne Oppositionsbewegung. Diese freilich, unter Führung Mir Hussein Mussawis, weist solche Anschuldigung empört – und glaubhaft – zurück, zählte der langjährige Premier der „Islamischen Republik“ doch zu den engsten Mitstreitern Khomeinis.

Das Foto, nach Überzeugung der Oppositionsbewegung und auch unabhängiger Blogger manipuliert – und dies auch noch schlecht – erschien als erstes auf einem der zahllosen Blogs, über die Iraner aller politischen Richtungen nicht nur einander gegenseitig und die Außenwelt über die dramatischen Ereignisse im Lande informieren, sondern zunehmend auch ihre politischen Konflikte austragen. Der Verdacht einer gezielten Provokation durch radikale Vertreter des Regimes drängt sich auf. Wird der Boden für eine Verhaftung Mussawis und seines Mitstreiters Kharrubi bereitet?

Nichts könnte deutlicher die enorme Bedeutung illustrieren, die vor allem die elektronischen Medien im Iran gewonnen haben. Und dies trotz intensiver Versuche des Regimes, Journalisten und Blogger massiv einzuschüchtern und den Zugang zu den neuen Medien durch zunehmend ausgeklügelte technische Tricks zu blockieren. Doch das Ventil der Freiheitssuchenden lässt sich nicht zustopfen. Irans Blogger sind hoch erfinderische Meister in der Umgehung staatlicher Filter und anderer Blockaden. So erreicht immer noch eine Flut von Informationen über die dramatischen Ereignisse im Land über Videos, Fotos, Text-Nachrichten per Mobiltelefon, im Facebook, Twitter, in Blogs und auf Websites die Außenwelt. Die „Twitter-Revolution“, die sich erstmals im Anschluss an die manipulierten Präsidentschaftswahlen am 12. Juni zum regte, lebt fort.

„Dieser Bürgerjournalismus“ habe dem iranischen Regime „jede Glaubwürdigkeit“ geraubt, indem er die Diskrepanz zwischen den offiziellen Berichten und dem „Online“ Gezeigten darstelle, analysiert etwa der Blogger Hamid Tehrani. Wie der über Videoplattformen verbreitete Tod der Studentin Neda Agha-Soltan, die unterdessen zum Symbol der gesamten Protestbewegung aufgestiegen ist, zeigt, seien „die Opfer im Iran keine Zahlen mehr, sondern Gesichter“ und das Regime habe damit seine eigenen Symbole verloren.

Tatsächlich droht dem islamischen System, das einst durch das Medium der Khomeinis Botschaften in Tausenden Moscheen verbreitenden Tonbandgeräte den größten Militärherrscher des Orients gestürzt hatte, nun tödliche Gefahr durch das Nachfolgemedium: das Internet. Dementsprechend reagieren die Herrscher in Teheran immer brutaler. „Internet-Verbrecher“ sollen nun gar mit dem Tode bestraft werden können, etwa wenn sie die „mentale Sicherheit der Gesellschaft“ bedrohen – ein Schwammbegriff unter den sich jedes niedergeschriebene Wort einordnen lässt.

Blogger und Journalisten insgesamt sind damit nun der neue interne Erzfeind. Der Preis, den diese mutigen Kämpfer für die Freiheit zu zahlen haben, wird immer höher. Berichte über Verhaftungen, Folter, über Nervenzusammenbrüche der Opfer, Hungerstreiks, jahrelange Gefängnisstrafen, Bedrohung von Familienangehörigen reißen nicht ab. Wer selbst nicht ins Gefängnis muss, wie etwa der prominente Journalist Mashallah Shamsovlaezin, steht unter steter Observation und der ununterbrochenen Gefahr, ins berüchtigte Evin-Gefängnis abgeschleppt zu werden. Ebenso ergeht es allen Bloggern, die oppositionelles Gedankengut verbreiten, in Teheran, in Isfahan, in Tabris, in allen großen Städten des Iran.

Das Regime versucht, sich mit allen nur denkbaren Methoden zu wehren. Zahlen sprechen für sich: Mehr als hundert Journalisten und unzählige Blogger wurden laut „Reporter ohne Grenzen“ seit Juni verhaftet, mehr als zwei Dutzend sind immer noch im Gefängnis. Einige wurden zu Haftstrafen von fünf bis neun Jahre verurteilt, andere gegen gigantische Summen vorübergehend auf freien Fuß gesetzt. Die seit Juni massiv verschärfte systematische Zensur hat einzigartige Ausmaße erreicht. Mehr als zehn Tageszeitungen, darunter jene von Khameneis (oppositionellen) Bruder Hadi, wurden verboten.

Der Iran erlebt deshalb heute den größten Exodus von Journalisten und andere Medienvertreter seit der Revolution, denn sie gelten pauschal als „Gefahr für die nationale Sicherheit“. Nach Schätzungen von Shamsovaezin haben rund 2000 Journalisten seit Juni ihre Arbeit verloren. Etwa 50 Journalisten haben sich den mehr als 4.000 Geschäftsleuten, Studenten, Athleten und anderen Angehörigen der Elite angeschlossen, die das Land – häufig unter Lebensgefahr – im vergangenen halben Jahr fluchtartig verließen. Dieser Exodus ist den Diktatoren in Teheran hochwillkommen, fühlen sie sich damit doch befreit von Aktivisten, die ihrer Ansicht nach die Medien nutzten, um das Regime zu stürzen. Der Internetlink, der heimischen Bloggern mit – meist oppositionellen - Exil-Iranern gelungen ist, erscheint wohl als die größte Gefahr. So traten die Herrscher in Teheran voll in die Offensive.

Im November kündigte der Polizeichef die Bildung einer Spezialeinheit zur Aufspürung von „Internetverbrechen“ an. Die allmächtigen Revolutionsgarden gaben kurz zuvor die Schaffung von 40 neuen Blogs bekannt, die im Internet den Kampf gegen ihre Feinde führen, und dies, obwohl sie Ende des Vorjahres nach eigenen Angaben 10.000 Blogs für ihre paramilitärischen Einheiten, die Bassidsch, gestartet hatten. Die Garden kontrollieren die staatliche Telecom, die die wichtigsten Internetdienstleister im Iran nutzen. Immer mehr gelingt es dem Regime, die Blogs der Opposition zu infiltrieren und damit auch die internationale Öffentlichkeit zu verwirren, wie das Beispiel des zerrissenen Khomeini-Fotos zeigt. Zugleich, meint etwa der Journalist Sina Motalebi, wagen sich immer weniger „normale Bürger“ ins Internet, um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien nicht aufs Spiel zu setzen. „Die Blogs werden deshalb zunehmend von Aktivisten dominiert und die Stimme Extremer auf beiden Seiten wird immer lauter.“

Dennoch bleibt „Cyberspace“ die größte, ja vielleicht die einzige Hoffnung der sich nach Freiheit sehnenden Iraner.

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