Donnerstag, 23. Juli 2009

Birgit Cerha: „Öffne deine Augen Sohrab, deine Mutter starrt dich an“

Die Odyssee einer Iranerin symbolisiert die Pein unzähliger Familien, deren Angehörige verschwanden, in Gefängnissen gefoltert werden – Eine Repression nie gekannten Ausmaßes
„Sie blättert durch Stöße von Fotos. Noch nie hat sie so viele tote Körper gesehen. Kalte tote Körper. Ohne Namen, ohne Identität. Nie hat sie Leichen angestarrt. Und nun ist sie dazu gezwungen. Gesichter mit geschlossenen Augen. So junge Gesichter. So verwundet, geschlagen, zerkratzt. Wieviele Gesichter zogen so an ihren Augen vorbei. Ein Dutzend, noch viel mehr… Bis sie sein Gesicht fand. Seine hübsche Nase und seinen dünnen Schnurrbart über den ausdrucksvollen Lippen, die nun schweigen…… Öffne deine Augen, Sohrab!“

Mit diesen Worten leitet die „International Campaign for Human Rights in Iran“ den erschütternden Bericht über eine 25-tägige Odyssee Parvin Fahimis ein, der iranischen Mutter auf der Suche nach ihrem 19-jährigen Sohn Sohrab Araabi. Ihre Erfahrung teilen so viele Mütter im heutigen Iran.

Es war der 12. Juni, an jenem Abend als die Massenproteste gegen die Manipulation der Präsidentschaftswahlen im Iran begann. Die Familie Araabi schloß sich der Menge in den Straßen an. Sohrab lief vor zum Azadi Platz, dem Zentrum der Demonstrationen und verschwand in der Menge. Er kehrte nicht mehr heim. Es gab Schießereien, Verwundete, Tote, Verhaftungen, Verschleppungen. Sohrabs Mobiltelefon ist abgeschaltet. Parvin ruft Teherans Spitäler an, eines nach dem anderen. „Fayaz“ hat ein Leichenschauhaus. Auch dort ist der Junge nicht. Nun wendet sie sich Parvin an die Polizei, eine Station nach der anderen. „Geh und komme morgen wieder, wir wissen nicht, wo er ist“. Immer die selbe Antwort. Sie schleppt sich ins städtische Informationszentrum. 25 Familien warten dort, ebenfalls auf der Suche nach Verschollenen. Nur fünf kehren heim mit einer konkreten Auskunft.

„Geh zu Evin (dem berüchtigten Gefängnis für politische Fälle)“, rät ein Polizist, ein anderer schickt Parvin zum „Revolutionsgericht“. Sohrabs Name scheint auch dort nicht auf. Nirgends. Vor dem Evin-Gefängnis hocken verzweifelte Mütter mit dem selben Schicksal. „Beruhig dich, deinem Sohn geht es gut. Er ist in Evin und wird verhört. Geh nach Hause.“ Parvin folgt dem Rat eines Richters. Am nächsten Tag erfährt sie in einem Revolutionsgericht, Sohrab sei doch nicht in Evin. Die Suche geht weiter, von einer Stelle zur nächsten….zum Untersuchungsrichter. Man drückt ihr Fotos von Toten in die Hand, geordnet nach Altersgruppen. Diesmal ist das Album viel dicker. Und Sohrab ist darunter. Eine Kugel im Herzen.

Geschichten wie diese, gemeinsam mit Berichten über Bilder von Hunderten von Toten im zentralen Leichenschauhaus, versetzen die Menschen in Angst und Schrecken. „Was seit dem 12 Juni geschieht, ist beispiellos“, sagt Mashallah Shamsolvaezin, prominenter Journalist und einst Mitstreiter von Revolutionsführer Khomeini. Shamsolvaezin weiß, wovon er spricht, war er doch selbst in den 90er Jahren mehrmals inhaftiert.

Die Verhaftungswelle rollt weiter. Niemand weiß genau, wie viele friedlich für Freiheit und gegen die manipulierte Wahl Ahmadinedschads demonstrierende Menschen von Sicherheitskräften, Bassidsch-Milizionären getötet, verschleppt, in Gefängnisse gezerrt wurden. 4000 könnten es sein, meinen manche Exil-Iraner. Offiziell spricht man von 500. Viele Reformpolitiker sind unter ihnen. Für den bei einem Attentat im Jahr 2000 durch Schusswunden in den Kopf schwer verletzten Berater des damaligen Präsidenten Khatami, Said Hadscharian etwa, besteht höchste Lebensgefahr, weil er ständiger ärztlicher Betreuung bedarf, die ihm nun wohl verwehrt wird. Andere, wie der Oppositionspolitiker Ibrahim Yazdi sind fast 80.

Das Evin-Gefängnis, so berichten freigelassene Häftlinge, sei so überfüllt, dass die unzähligen Neuankömmlinge, mit Handschellen, auf den Korridoren schlafen müssen. Eine besonders verhaßte Kategorie von Gefangenen sind die Journalisten, Reporter, Fotografen, Filmproduzenten, die es gewagt hatten, Berichte und Bilder über die friedlichen Proteste zu verbreiten. Sie vor allem meint Ahmadinedschad, wenn er von „einigen Brocken von Schmutz und Staub“ spricht, die nun unschädlich gemacht werden müssten. Zu ihnen zählt auch der Publizist, Ökonom und Konsulent Bijan Khajehpour Khoei, der sich zur Förderung von Wirtschaftskontakten mit England in London aufgehalten hatte. Bei seiner Ankunft in Teheran wurde er am 27. Juni festgenommen. Seither fehlt von ihm jede Spur.

Die Angehörigen von Verschwundenen und Gefangenen werden massiv bedroht, ja nicht über ihre Not zu sprechen, da sie sonst das Leben der Opfer gefährdeten. Kontakte mit Gefangenen, Besuche von Anwälten werden verhindert. An eine Mauer nahe des Evin-Gefängnisse haben Angehörige die Namen von 200 bei Massenprotesten am 9. Juli Festgenommenen angeheftet. Im Gefängnis selbst wurde nach Aussage eines Ex-Häftlings ein kleines Studio mit versteckter Kamera für die radikale Presse eingerichtet. Hier sollen nach Folter erzwungene „Geständnisse“ – vorzugsweise von Prominenten – aufgenommen werden, die „zugeben“, sie hätten im Auftrag ausländischer Regierungen versucht, eine „samtene Revolution“ anzuzetteln. Ali Abtahi, Vizepräsident unter Khatami und Wahlkampfmanager des Reformkandidaten Karrubi, soll – so behaupten radikale Meiden – bereits „gestanden“ haben.

Journalisten, die wie Shamsolvaezin noch in Freiheit sind, stehen unter ständiger Beobachtung und massivstem Druck, entweder zu schweigen, oder Ahmadinedschads Theorie der „ausländischen Verschwörung“ zu unterstützen. „Es ist eine himmelschreiende Schande“, klagt der prominente Journalist Massoud Behnoud in „rooz-online“, „dass zu einer Zeit, da eine Generation von Iranern nach „Freiheit“ schreit, jene, die diesen Ruf in die Welt tragen sollten, selbst im Gefängnis sind.“

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