Freitag, 24. Juli 2009

Birgit Cerha: Kurden sehnen sich nach Veränderung

Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen über ungelöste Konflikte mit Bagdad wählen Iraks Kurden ihre politischen Vertretungen

Laut und klar brüllten Tausende Menschen, die sich in einer der letzten Wahlveranstaltungen in der Kurdenstadt Suleymaniya versammelt hatten: „Veränderung. Veränderung. Mit unserem Herzen werden wir für Veränderung stimmen.“ Wenn 2,5 Millionen Wahlberechtigte im autonomen Kurdistan des Nord-Iraks heute, Samstag, ein Parlament und ihren Präsidenten wählen, dann setzen sie einen wichtigen Schritt zur Demokratie, wie sie US-Präsident Bush durch seinen Krieg gegen Iraks Diktator Saddam Hussein 2003 als Vorbild für die gesamte Region zu gründen hoffte. Es sind zwar die dritten Wahlen, die Kurdistan erlebt, seit sich die Region dank amerikanisch-britischen Militärschutzes gegen die Schächer Saddams seit 1991 de facto selbst verwaltet. Doch noch nie sahen sich die Führer der beiden die kurdische Gesellschaft seit Jahrzehnten dominierenden Bewegungen – Massoud Barzani von der „Kurdischen Demokratischen Partei“ (KDP) und derzeitiger Präsident Kurdistans, sowie Jalal Talabani (derzeit – noch – irakischer Präsident) der Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK) - derart demokratisch herausgefordert.

Nicht nur müssen sie sich gegen 24 politische Bewegungen behaupten, eine davon besitzt durchaus eine Chance, zumindest mittelfristig ihr Machtmonopol zu brechen: „Goran“ (Veränderung) ist das neue Zauberwort, das große Teile Kurdistans heute in seinen Bann schlägt.

Nicht dass die in den drei Kurdenprovinzen Suleymania, Erbil und Dohuk lebenden Menschen in den vergangenen 18 Jahren nicht schon einschneidende und durchaus positive Veränderungen erlebt hätten. Ein großes Maß an Stabilität in dem ansonsten so blutig turbulenten Irak ermöglichte den Menschen endlich ein Dasein ohne steter panischer Angst vor Verfolgung und Mord, den Aufbau einer Infrastruktur, zumindest in wichtigen Teilen, und einen kleinen Wirtschaftsboom (ebenfalls allerdings nur für Teile der Bevölkerung). Doch mit zunehmender Ruhe wuchs auch die Sehnsucht nach echten demokratischen, administrativen und sozialen Reformen, die Sehnsucht nach neuen Gesichtern, nach einem Ende der Vettern- und Freunderlwirtschaft und der Korruption, nach echter Sorge um die große Schar der sozial Schwachen, der Hauptopfer saddam’scher Vernichtungspolitik.

Bei den letzten Wahlen 2005 eroberten KPD und PUK fast unangefochten alle außer sieben der 111 Parlamentssitze. Diesmal besitzt der einstige PUK-Mitbegründer Nawshirwan Mustafa mit seiner „Goran“-Partei die Chance, das Machtmonopol der beiden Großen, die sich zu einer Wahlallianz zusammengeschlossen haben, anzuzapfen. Seine Kampagne vor allem gegen Korruption, für demokratische Reformen und bessere Dienstleistungen spricht eine wachsende Schar von Kurden an.

Massoud Barzani muss seine Position als Präsident gegen vier Gegenkandidaten behaupten. Dass ihm dies gelingt, bezweifelt allerdings niemand. Dennoch tut die Wahlkampagne der bei weitem nicht makellosen kurdischen Demokratie einen wichtigen Dienst.

So heftig die interne Diskussion auch sein mag, in der Frage ihrer nationalen Rechte vor allem gegenüber der Zentralregierung in Bagdad sind sich die Kurden weitgehend einig. Und die große Mehrheit unterstützt Barzani, wenn er immer wieder energisch betont, dass es in der Frage der – mit Bagdad – „umstrittenen Gebiete“, die sich über Tausende Quadratkilometer südlich der 1991 von den Amerikanern zum Schutz der Kurden gezogenen „grünen Linie“ erstrecken, „keine Kompromisse“ geben könne, dass nur der in der irakischen Verfassung von 2005 vorgesehene „Normalisierungsprozeß“ (weitgehende Wiederherstellung der Bevölkerungsstruktur wie sie vor der massiven Arabisierungs- und Vertreibungskampagne von Kurden durch Saddam bestanden hatte) und anschließendes Referendum über den Status der Gebiete, einschließlich des heißumstrittenen Ölzentrums Kirkuk, eine Lösung des explosiven Konflikts bieten könne.

Doch Bagdad unter Führung Premier Malikis will davon nichts mehr wissen. Gestärkt durch die Verbesserung der Sicherheitssituation im Lande und eben mit dem Versprechen eines strategischen Bundes mit der Supermacht von einem Treffen mit Präsident Obama in Washington heimgekehrt, zeigt sich auch Maliki nicht kompromissbereit, präsentiert sich vielmehr als neuer, „starker“ irakischer Nationalist, der durch seine harte Position gegenüber den Kurden nicht nur schiitische, sondern vor allem auch die durch den Sturz Saddams vergrämten sunnitischen Araber des Landes hinter sich zu vereinen hofft. Mehrmals wäre es in den „umstrittenen Gebieten“ beinahe zu blutigen Zusammenstößen zwischen der irakischen Armee und kurdischen Peshmerga-Milizionären gekommen. Seit sich die US-Truppen Ende Juni aus den irakischen Städten zurückzogen, schwinden auch ihre Möglichkeiten, beide Seiten auseinander zu halten. Ein kleiner Zwischenfall könnte bereits einen Flächenbrand auslösen. Davor warnt auch der Premier Kurdistans, Nechirvan Barzani. „Wenn die Probleme nicht gelöst werden, wir uns nicht zu Gesprächen zusammensetzen, steigt gefährlich das Risiko einer militärischen Konfrontation.“ Ein Jahr lang sprachen Maliki und Massoud Barzani nicht miteinander. Traumatisiert von den genozidartigen Verbrechen Saddams fürchten die Kurden, ohne US-Schutz könnte sich sehr bald die Geschichte grausig wiederholen.

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