Dienstag, 28. Juli 2009

Birgit Cerha: Die „Retter“ kommen aus dem Morgenland

Arabische Investoren schauen sich verstärkt nach Zielen in Deutschland um – Beginn eines neuen globalen Kräftespiels

Sie alle bewundern Porsche oder Mercedes, die ihre Parks glitzernder Luxuslimousinen krönen. Sie vertrauen der krisengeschüttelten deutschen Wirtschaft immer noch uneingeschränkt. Und ihre Staatskassen sind prall gefüllt. Nach mehrmonatiger Zurückhaltung als Folge der internationalen Finanzkrise begeben sich die Ölmilliardäre aus der Wüste auf Schatzsuche. Europa, und da vor allem Deutschland, sind ihre Hauptziele, denn Qualität ist gefragt, Verlässlichkeit, hohe Technologie, gutes Management und klingende Namen. Und das begehrte Kapital aus der Persischen Golfregion öffnet den Wüstensöhnen bei lange skeptischen deutschen Unternehmern die Tore. Das Schreckgespenst der Staatsfonds, die sich in die deutsche Wirtschaft einkaufen wollen, hat sich zum ersehnten Retter aus dem Morgenland gemausert.

Die fünf größten Staatsfonds des Mittleren Ostens haben derzeit etwa 16 Mrd. Euro in europäische Unternehmen investiert. Großbritannien steht mit 57 Prozent an der Spitze, gefolgt von Deutschland mit 19 und der Schweiz mit 18 Prozent. Abu Dhabi hat im März mit dem Erwerb von 9,1 Prozent der Anteile an Daimler für 1,95 Mrd. Euro den Stuttgarter Hersteller nicht nur stabilisiert, sondern auch den Startschuß für die neue Einkaufstour der Ölscheichs gegeben. Kuwait ist bereits seit 30 Jahren Großaktionär bei Daimler und hat sich als äußerst zuverlässiger und unkomplizierter Partner erwiesen, der dem Management nicht hineinzureden pflegt. Nun stehen Verhandlungen zwischen Katar und Volkswagen zur Übernahme von zunächst 17 Prozent der Anteile dieses zweitgrößten Fahrzeugherstellers der Welt für fünf Milliarden Euro an dem Autogiganten fast vor dem Abschluß. Andere Projekte werden von den Öl- und Gasgroßmächten bereits aufs Korn genommen. Die Araber entdecken zunehmend auch den deutschen Mittelstand, suchen auch Kontakt zu kleineren und mittleren Unternehmen. Nachgefragte Branchen sind Infrastruktur, Maschinenbau und Metallverarbeitung, erneuerbare Energien, Gesundheit und Bildung, mit dem Ziel, am Golf Produktionsanlagen zu schaffen.

Die Staatsfonds aus dem arabischen Raum sind Teil des neuen globalen Kräftespiels um Einflusszonen und Ressourcen. Dennoch: So groß der Geldsegen, so klein ist die Zahl der „Retter“ aus der Wüste, wo sie einen derzeit schier unerschöpflichen Geldregen kontrollieren.
Chadim al Kubaissi reist gern und oft nach Deutschland. Er ist fasziniert von Daimler Autos, von der deutschen Autoindustrie insgesamt und von Deutschlands „guten Unternehmen, der guten Technik und der guten Manager“. Reich, kauffreudig und verschwiegen, sieht er sich in Deutschland nach neuen Investitionen um, nachdem er für Abu Dhabis Investmentfirma Aabar die Verhandlungen mit Daimler geleitet hatte. Kubaissi ist ein junger Mann mit einer Mission. „Wir brauchen deutsche Technologie, um uns zukunftsfähig zu machen“, lautet das Motto des Aabar-Chefs, der zugleich auch Vorsitzender der „International Petroleum Investment Company“ (IPIC) des Emirats ist. Deshalb kaufte IPIC für etwa 500 Mio. Dollar auch 70 Prozent von MAN Ferrostaal und vielleicht im kommenden Jahr auch noch den Rest. Gemeinsam will man am Golf für etwa 60 Mrd. Dollar einen der größten Petrochemiekomplexe der Welt bauen.

Mit Daimler ist die gemeinsame Entwicklung von Elektroautos und Verbundwerkstoffen als allmählichen Ersatz für den heute verbauten schweren Stahl geplant. Und junge Leute sollen in Abu Dhabi in einer eigenen Fachakademie im Automobilbau ausgebildet werden. Aktiv im Management der Partner mitmischen, heißt die neue Devise der Ölscheichs.

An Geld fehlt es nicht in diesem kleinen Emirat von 2,5 Millionen Einwohnern (davon etwa 1,6 Mio.Gastarbeiter), das auf zehn Prozent der Weltölreserven sitzt. Aabar und IPIC sind Teile eines umfangreichen Geflechts von Investitionsfirmen, mit der „Abu Dhabi Investment Authority“ (ADIA) an der Spitze. Ein Schleier des Geheimnisvollen liegt über ADIA. Schätzungen ihres Anlagekapitals reichen von 330 Mrd. bis 875 Mrd. Dollar. Zahlen, Namen oder gar Unternehmensaufstellungen veröffentlicht ADIA keine. Diskretion ist höchstes Gebot dieser Behörde, die seit rund drei Jahrzehnten ihr Geld in viele Länder der Welt strömen läßt. Das Investmentgeschäft, so wird geschätzt, wachse derzeit mit rund 30 Mrd. Dollar im Jahr.
Diversifizierung der Wirtschaft für die Zeit nach dem Öl ist das Hauptziel der Investitionen, bei denen Scheich Mohammed Bin Zayed Al-Nahyan, drittältester von 19 Söhnen des Gründervaters der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und heute Kronprinz, das letzte Wort hat. Der 48-jährige Scheich, begeisterter Falkenjäger, gilt als die zentrale Figur des Aufstiegs von Abu Dhabi, als phantasievoller Manager mit ausgeprägten analytischen Fähigkeiten. Er ist es auch der den Grundstein für Masdar-City legte, die erste klimafreundliche Stadt der Welt, deren Industrie- und Wohngebiete bis 2016 bis zu 90.000 Menschen aufnehmen soll. Ein gigantisches Projekt mit Solarstrom und Elektromobilen für insgesamt geschätzte 22 Mrd. Dollar.

Scheich Mohammed ist der aufsteigende Stern am Himmel Abu Dhabis. An der berühmten britischen Militärakademie von Sandhurst ausgebildet, ist er General und Stellvertretender Oberster Befehlshaber der Streitkräfte und ein Mann mit Vision. „Kultur statt Gewalt“, lautet sein Motto, Erziehung, Bildung als Rezept gegen den die gesamte ölreiche Region bedrohenden engstirnigen Fanatismus. Deshalb schloß er auch mit der Guggenheimstiftung in New York einen Millionen-Vertrag ab. Auch in Abu Dhabi soll bis 2012 ein Louvre entstehen und eine Schwesteruniversität der Pariser Sorbonne.

Auch Katar setzt massiv auf Bildung. Der Zwergstaat bietet dank der drittgrößten Gasreserven der Welt seinen nur 150.000 Untertanen mit durchschnittlich 100.000 Dollar pro Kopf das höchste Einkommen der Welt. Katar ist seit Jahren eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Die Gazbonanza spült alljährlich gigantische Beträge in die Schatulle des Emirs, der gar nicht weiß, wohin mit diesen Schätzen. Emir Hamad Bin Khalifa al Thani hat seinen dynamischen Cousin Scheich Hamad bin Dschassim Dschabir al Thani nicht nur zum Premierminister, sondern zum Hauptverantwortlichen für die Investitionen ernannt. Weltweit hat der Staatsfonds „Qatar Investment Authority“ (QIA) nach Schätzungen an die 60 Mrd.Dollar angelegt und jedes Jahr stehen aus diesem Fonds weitere 20 Mrd. zur Verfügung. Als primäres Investitionsvehikel vor allem für strategische Projekte steht Scheich Hamad bin Dschassim die „Qatar Holding LLC“ zur Verfügung, die nun bei Volkswagen einsteigen dürfte. Seit Beginn der Finanzkrise erwarb QIA etwa 16 Prozent an der britischen Barclays-Bank oder zehn Prozent an Credit Suisse. Kaum ein Staatsfonds im Mittleren Osten arbeitet so hermethisch abgeschlossen wie QIA. Nur wenige Informationen dringen an die Öffentlichkeit.

Hamads lukrativstes heimisches Projekt ist Ras Laffan. Wenn diese neue Flüssiggasanlage fertiggestellt ist, wird sie nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds 77 Mio. Tonnen pro Jahr produzieren und Katar damit über fünf Jahre Exporteinkommen von etwa 292 Mrd, sichern – eine enorme Herausforderung für Hamad, der die Hauptverantwortung für Investitionen trägt und sich zum wichtigsten Mittler zwischen dem Westen und seiner kleinen Heimat aufbaut.

Hamad verfügt über außergewöhnliche ökonomische, aber auch politisch-diplomatische Talente. Als Premier und zugleich Außenminister hebt er, gemeinsam mit seinem Cousin und Herrscher, das winzige Gasreich auch mehr und mehr zu einem politischen Führer in der Region. Entscheidungsfreudig und brillant brachen die beiden mit uralten Traditionen in ihrer Heimat, aber auch gegenüber der Außenwelt und sind heute wohl eine der geschicktesten, pragmatischen Reformpolitiker im arabischen Raum. Gemeinsam mit dem Emir versucht Hamad mit eindrucksvollem Erfolg eine Balance zu finden zwischen dem traditionellen Konservativismus der Kataren und seinen Visionen eines technologisch modernen und kulturell vielfältigen Staates.Viele halten den 49-jährigen Hamad, der als zweitreichster Mann des Landes selbst an einigen der größten Unternehmen beteiligt ist, für den „heimlichen Herrscher“ Katars, der aus dem verschlafenen Emirat einen attraktiven Investitions- und Forschungsstandort machen will. Eine entscheidende Rolle dabei, wie auch beim geplanten Einstig bei Volkswagen spielt Scheichin Mozah Bint Nasser Al-Misnad, Soziologin, zweite Frau des Emirs, Erziehungsministerin und Autoliebhaberin. Durch ihr öffentliches Wirken nimmt sie eine Sonderrolle unter den First Ladies in diesem Teil der Welt ein. Sie leitet die „Qatar Foundation“, die das Land zu einem Hochschul- und Forschungszentrum entwickeln soll. Ihrem Mann, dem Emir, dient die Mutter von sieben Kindern als eine der wichtigsten BeraterInnen und den Frauen als Rollenvorbild. Sechs amerikanischen Spitzenuniversitäten hat Mozah bereits nach Katar geholt. Auch deutsche Wissenschaftler versucht sie anzulocken, denn: „Öl und Gas werden irgendwann zu Ende gehen. Das Wissen bleibt.“