Der Druck auf Präsident Mubarak wächst, während das Land zunehmend im Chaos versinkt
von Birgit Cerha
Panzer riegelten Sonntag den Tahrir-Platz im Herzen Kairos ab, um die ungeachtet der Ausgangssperre herbeiströmende Menge von weiteren Massenprotesten gegen Präsident Mubarak abzuhalten. Nachdem Zehntausende Demonstranten Samstag in einer Art Feierstimmung ihre Position in den Straßen Kairos und anderer Städte bekräftigt, ihre Kleinkinder für Familienfotos auf Panzer setzten und mitunter gar Anti-Mubarak-Slogans auf das schwere Kriegsgerät malten – all dies mit Zustimmung der Soldaten – verschärften sich die Spannungen Sonntag abends drastisch. Über dem Zentrum Kairos kreisten in niedriger Höhe Kampfjets und Helikopter des Militärs, deren Führer bisher nicht den Befehl zur Gewalt gegen die unbewaffneten Massen gaben. Dennoch kamen am Wochenende insbesondere bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizeieinheiten mehr als hundert Menschen ums Leben und an die 2000 wurden verletzt.
Am sechsten Tag der Massenproteste versank Ägypten immer mehr ins Chaos. Die Polizei, die brutal gegen Demonstranten vorgegangen war zog sich Samstag plötzlich aus den Straßen zurück und vielerorts übernahm der Mob die Kontrolle, wurden Geschäfte geplündert, Sachgüter beschädigt. Demonstranten befreiten an die tausend politische Gefangene aus einer Haftanstalt. Zivilisten begannen, bewaffnete Bürgerwehren aufzustellen, Jugendlich übergaben mutmaßliche Plünderer der Armee und behaupten, diese seien überwiegend Polizisten in zivil. Der Haß auf die Polizei sitzt tief, während die Armee, seit Jahrzehnten Garant der Stabilität des Landes, im Volk hohes Ansehen genießt.
Vergeblich hatte Mubarak am Wochenende in einer ersten Reaktion auf die Unruhen das Volk zu beschwichtigen versucht. Er ernannte seinen langjährigen Freund und engen Vertrauten, Geheimdienstchef Omar Suleiman, zum Vizepräsidenten und den ehemaligen Luftwaffengeneral und Minister in der eben entlassenen Regierung, Ahmed Shafik, zum Premierminister. Doch die Demonstranten ließen sich nicht beeindruckten, setzten lediglich die beiden Namen unter jenen Mubaraks, deren sofortigen Rücktritt sie fordern. In dieser eskalierenden Situation häufigen sich Berichte, dass enge Verbündete Mubaraks das Land verlassen haben. An der Spitze steht Ahmed Ezz, enger Vertrauter des Präsidentensohnes Gamal und Generalsekretär der herrschenden „Nationalen Demokratischen Partei“ (NDP), dessen Machtübernahme die Familie Mubarak in den vergangenen Jahren betrieben hatte. Nach einem bericht des Fernsehsenders Al-Arabiya trat Gamal von seinen führenden Positionen in der NDP zurück und lässt sich seit Beginn der Demonstrationen nicht in der Öffentlichkeit blicken. Gerüchte über eine Flucht der Präsidentenfamilie wurden allerdings bisher nicht bestätigt. Hingegen hoben Samstag 19 Privatjets mit Familien reicher ägyptischer und arabischer Geschäftsleute vom Kairoer Flughafen Richtung Dubai ab.
Drei Jahrzehnte lang hatte sich Mubarak hartnäckig geweigert, einen Vizepräsidenten, dessen Amt er selbst einst bekleidet hatte, und damit einen Nachfolger zu bestellen. Die Tatsache, dass er sich in der wohl kritischsten Situation seiner Karriere nun dazu entschloss, lässt auf eine Einigung mit der Armee, der bisher so verlässlichen Stütze seines Regimes, schließen. Der Präsident will damit wohl ein wenig Zeit für einen ruhigen Abgang gewinnen. Doch dazu ist es zu spät. Suleiman ist zu lang zu eng verbündet mit dem Regime, als dass ihn nicht auch der Haß der sich nach Veränderung sehnenden Massen treffen würde. Er war als Garant der Kontinuität seit Jahren als Nachfolger Mubaraks im Gespräch. Er gilt als effizient, tough und stark, durchaus mit einem Zug zum Pragmatismus und vor allem – was nun besonders nützlich wäre – als äußerst geschickter Verhandler. Die politischen Ansichten dieses Offiziers, der das Vertrauen der Amerikaner und Europäer genießt, decken sich fast vollständig mit jenen Mubaraks: engste Beziehungen zu den USA, tiefstes Misstrauen gegenüber dem Iran, kalter Friede mit Israel, kein Entgegenkommen gegenüber der größte ägyptischen Opposition, den Moslembrüdern. Ein von ihm geführtes Ägypten wäre die Fortsetzung der vom Militär gestützten autoritären Herrschaft, wie sie Mubarak drei Jahrzehnte lang dem Volk beschert hatte. Und das wollen viele Ägypter nicht.
Zudem lässt die Ernennung eines weiteren Offiziers, Shafik, zum Regierungschef, darauf schließen, dass nun das Militär vollends die Führung bei der Lösung dieser schwersten Krise Ägyptens seit vielen Jahrzehnten übernommen hat. Verteidigungsminister, Geldmarschall Mohammed Hussein Tantawi und der Generalstabschef der Streitkräfte, General Sami Annan, der eben nach wochenlangen intensiven Diskussionen mit der US-Führung heimkehrte, werden nach Ansicht von Beobachtern nun hinter den Kulissen den politischen Prozess lenken.
Ob Ägypten einen Weg zu einem friedlichen Neubeginn finden kann, wird sich wohl bald entscheiden. Die Panzer stehen zum Einsatz bereit. Die hohen Offiziere der Armee stehen loyal zum Regime, hätten sie doch, da hochprivilegiert, durch dessen Sturz enorm viel zu verlieren. Die Schlüsselfrage konzentriert sich auf das Verhalten der jüngeren Offiziere, die, da mit weit weniger Privilegien ausgestattet, dem Volke viel näher stehen. Werden sie, werden die einfachen Soldaten die Waffen gegen Demonstranten erheben, oder sich Befehlen widersetzen und sich mit dem Volk solidarisieren? Vorerst hält die Armee zusammen, Doch die Staatselite hat nicht vergessen, welch entscheidende Rolle niedrige Offiziere in der Entwicklung der Republik gespielt hatten. Gamal Abdel Nasser war nur Oberst, als er 1952 die von den Briten gestützte Monarchie stürzte.
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Sonntag, 30. Januar 2011
Iran exekutiert Holländerin
Dramatische Eskalation des Terrors gegen die Zivilgesellschaft – Allein seit Jahresbeginn wurden mehr als 70 Menschen hingerichtet
von Birgit Cerha
Das Außenminsiterium der Niederlande sprach am Wochenende „Schock und Erschütterung über diesen Akt eines barbarischen Regimes“ aus und fror alle Kontakte mit dem Iran ein. Dieser Protest richtet sich gegen die Exekution der iranisch-niederländischen Doppelstaatsbürgerin Sahra Bahrami. Die 46-jährige Mutter von zwei Kindern war 2009 während eines Aufenthaltes im Iran festgenommen und zum Tode verurteilt worden. Intensive Interventionen der niederländischen Regierung erzielten keinen Erfolg. Der Iran anerkennt keine Doppelstaatsbürgerschaft und wies niederländischen Einsatz für Bahrimi als „Einmischung in interne Angelegenheiten“ zurück. Bahramis Anwalt zeigte sich Sonntag schockiert. Er war von der unmittelbar bevorstehenden Hinrichtung nicht informiert worden.
Bahramis Tochter hatte wiederholt erklärt, dass ihre Mutter – wie es im Iran weitgehend üblich ist – zu einem Geständnis gezwungen worden sei. Der ihr vorgeworfene Schmuggel von 450 Gramm Kokain und 420 Gramm Opium, die angeblich bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung in Teheran wegen des Vorwurfs eines „Sicherheitsvergehens“ gefunden worden sei, hält sie für völlig undenkbar. Ihre Mutter rauche nicht einmal eine Zigarette. Die Behörden hatten die Frau der Teilnahme einem Drogenschmugglerring bezichtigt.
Bahramis Familie ist davon überzeugt, dass die Frau in Wahrheit Opfer einer eskalierenden Terrorkampagne geworden ist, durch die das Regime nun schon seit mehr als einem Jahr all jene einzuschüchtern sucht, die es wagen, gegen die Diktatur der „Gottesmänner“ zu protestieren, Freiheiten einzufordern und dabei vor allem auch Kontakt mit dem westlichen Ausland zu suchen. Bahrami hätte zugegeben, an einigen der zahlreichen Demonstrationen gegen die manipulierte Wiederwahl Präsidenten Ahmadinedschads teilgenommen zu haben. Am hohen schiitischen Feiertag „Ashura“ (dem 27. Dezember 2009), an dem die Proteste besonders massiv und auch blutig geworden waren, sei sie von Sicherheitskräften identifiziert und wenige Tage später verhaftet worden. Sie hatte während der vorangegangenen Demonstrationen auch Interviews mit westlichen Medien gegeben.
Der Fall Bahrami ist das jüngste Beispiel des sich dramatisch eskalierenden Terrors gegen die eigene Bevölkerung im Iran. Während das offizielle Teheran gegenüber dem Westen Festnahmen und Hinrichtungen mit seinem Kampf gegen Drogen rechtfertigt, steht längst fest, dass viele der Opfer nichts anderes verbrochen haben, als politisch anders zu denken und gar nicht selten auch nicht einmal dies.
Nach dem jüngsten Bericht der angesehenen „Human Rights Watch“ sind allein seit Jahresbeginn mindestens 74 Menschen im Iran exekutiert worden, häufig wegen angeblichen Drogenschmuggels. Seit November waren 13 Männer aufgrud der vagen Beschuldigung des „Mohareb“ (Feindschaft zu Gut) hingerichtet worden. Die Urteile werden meist in einem nach internationalem Recht höchst fragwürdigen Verfahren der Revolutionsgerichte gefällt. Hauptziel des Regimes sind in jüngster Zeit Verteidiger inhaftierter Oppositioneller. So wurde u.a. im Oktober Mohammed Seifzadeh, ein Mitbegründer des unterdessen verbotenen „Zentrums zur Verteidigung der Menschenrechte“ von Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Doch iranische Anwälte zeichnen sich durch eindrucksvollen persönlichen Mut aus und wagen es weiterhin, ihre Klienten zu verteidigen und damit den massiven Repressionspraktiken des Regimes zu trotzen.
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von Birgit Cerha
Das Außenminsiterium der Niederlande sprach am Wochenende „Schock und Erschütterung über diesen Akt eines barbarischen Regimes“ aus und fror alle Kontakte mit dem Iran ein. Dieser Protest richtet sich gegen die Exekution der iranisch-niederländischen Doppelstaatsbürgerin Sahra Bahrami. Die 46-jährige Mutter von zwei Kindern war 2009 während eines Aufenthaltes im Iran festgenommen und zum Tode verurteilt worden. Intensive Interventionen der niederländischen Regierung erzielten keinen Erfolg. Der Iran anerkennt keine Doppelstaatsbürgerschaft und wies niederländischen Einsatz für Bahrimi als „Einmischung in interne Angelegenheiten“ zurück. Bahramis Anwalt zeigte sich Sonntag schockiert. Er war von der unmittelbar bevorstehenden Hinrichtung nicht informiert worden.
Bahramis Tochter hatte wiederholt erklärt, dass ihre Mutter – wie es im Iran weitgehend üblich ist – zu einem Geständnis gezwungen worden sei. Der ihr vorgeworfene Schmuggel von 450 Gramm Kokain und 420 Gramm Opium, die angeblich bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung in Teheran wegen des Vorwurfs eines „Sicherheitsvergehens“ gefunden worden sei, hält sie für völlig undenkbar. Ihre Mutter rauche nicht einmal eine Zigarette. Die Behörden hatten die Frau der Teilnahme einem Drogenschmugglerring bezichtigt.
Bahramis Familie ist davon überzeugt, dass die Frau in Wahrheit Opfer einer eskalierenden Terrorkampagne geworden ist, durch die das Regime nun schon seit mehr als einem Jahr all jene einzuschüchtern sucht, die es wagen, gegen die Diktatur der „Gottesmänner“ zu protestieren, Freiheiten einzufordern und dabei vor allem auch Kontakt mit dem westlichen Ausland zu suchen. Bahrami hätte zugegeben, an einigen der zahlreichen Demonstrationen gegen die manipulierte Wiederwahl Präsidenten Ahmadinedschads teilgenommen zu haben. Am hohen schiitischen Feiertag „Ashura“ (dem 27. Dezember 2009), an dem die Proteste besonders massiv und auch blutig geworden waren, sei sie von Sicherheitskräften identifiziert und wenige Tage später verhaftet worden. Sie hatte während der vorangegangenen Demonstrationen auch Interviews mit westlichen Medien gegeben.
Der Fall Bahrami ist das jüngste Beispiel des sich dramatisch eskalierenden Terrors gegen die eigene Bevölkerung im Iran. Während das offizielle Teheran gegenüber dem Westen Festnahmen und Hinrichtungen mit seinem Kampf gegen Drogen rechtfertigt, steht längst fest, dass viele der Opfer nichts anderes verbrochen haben, als politisch anders zu denken und gar nicht selten auch nicht einmal dies.
Nach dem jüngsten Bericht der angesehenen „Human Rights Watch“ sind allein seit Jahresbeginn mindestens 74 Menschen im Iran exekutiert worden, häufig wegen angeblichen Drogenschmuggels. Seit November waren 13 Männer aufgrud der vagen Beschuldigung des „Mohareb“ (Feindschaft zu Gut) hingerichtet worden. Die Urteile werden meist in einem nach internationalem Recht höchst fragwürdigen Verfahren der Revolutionsgerichte gefällt. Hauptziel des Regimes sind in jüngster Zeit Verteidiger inhaftierter Oppositioneller. So wurde u.a. im Oktober Mohammed Seifzadeh, ein Mitbegründer des unterdessen verbotenen „Zentrums zur Verteidigung der Menschenrechte“ von Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Doch iranische Anwälte zeichnen sich durch eindrucksvollen persönlichen Mut aus und wagen es weiterhin, ihre Klienten zu verteidigen und damit den massiven Repressionspraktiken des Regimes zu trotzen.
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Freitag, 28. Januar 2011
Ägyptens Straßen brennen
Mubarak ruft nach der Armee, doch die Demonstranten lassen sich nicht beschwichtigen – Das Schicksal des Regimes liegt in den Händen der Streitkräfte
von Birgit Cerha
Solche Szenen haben die Straßen Kairos und anderer Städte Ägyptens noch nie gesehen. Ein Massenaufgebot an Sicherheitskräften vermochte Freitag, dem „Tag des Zornes“ zu dem die seit Dienstag demonstrierenden Bürger aufgerufen hatten, keine Ruhe herzustellen. Hunderttausende strömten ins Zentrum Kairos und anderer Städte, um in einem völlig personalisierten Protest ihrer Unzufriedenheit kundzutun. Immer lauter fordern sie den Abtritt Präsident Mubaraks. Während des Tages berichteten Demonstranten zunächst von nie gesehener Brutalität der wegen ihrer Härte schon lange gefürchteten Polizei. Doch als es den Uniformierten nicht gelang, die Demonstranten zu zerstreuen, zogen sie sich mehr und mehr zurück. Geheimpolizisten in zivil nahmen vor allem ausländische Journalisten aufs Korn. Ein BBC-Kameramann wurde mit einer Stahlstange heftig niedergeschlagen und musste sich blutüberströmt in Sicherheit bringen. Mehrere europäische Journalisten wurden festgenommen, eine ganze Gruppe in einem Lkw abtransportiert.
Keine Maßnahme des Regimes, diese Massenkundgebungen zu verhindern, hatte geholfen, nicht einmal die Blockade des Internets und des Mobiltelefonnetzes, über die die Aktivisten Gleichgesinnten zu ihren Protesten zusammentrommelten. Die Menschen wussten, wo sie sich versammeln mussten: bei den Moscheen und am Kairoer Tahrir-Platz. Gegen Abend heizte sich ihr Zorn auf und sie setzten das Symbol der Herrschaft Mubaraks, das Hauptquartier seiner regierenden Nationalen Demokratischen Partei in Brand. Tausende Menschen widersetzten sich der vom Präsidenten am Abend ausgerufenen Ausgangssperre. Auch die Helikopter der Armee, die nach Aussagen vieler Ägypter, erstmals über dem Stadtzentrum kreisten, vermochten die Demonstranten nicht einzuschüchten.
Auf die angekündigte Rede an die Nation, das erste Lebenszeichen des Diktators, warteten die Ägypter bis spätabends vergeblich. Die einzige Botschaft, die aus dem Präsidentenpalast drang, war die Nachricht, dass Ägyptens Armee der offensichtlich überforderten Polizei zu Hilfe eilen werde. Bis spätabends bezogen Panzer Positionen an wichtigsten Kreuzpunkten, holten Soldaten schwere Waffen zum Einsatz bereit. Die Website der Moslembrüder berichtete allerdings, dass Demonstranten die Soldaten freudig umarmten. Ein klares Bild ließ sich bis spätabends nicht erkennen. Die Haltung der Armee wird nun Mubaraks Schicksal entscheiden.
Wie seine beiden Vorgänger kam der einstige Luftwaffengeneral aus den Streitkräften des Landes, die eine starke Machtposition innehaben. Sie standen stets treu zu ihrem Präsidenten, wiewohl sie dessen Sohn Gamal als Nachfolger weitgehend nicht unterstützen. Seine Chancen, das höchste Staatsamt zu erklimmen, dürften nun vollends geschwunden sein.
Mubarak stützt sein Regime auf drei unterschiedliche Sicherheitskräfte: die Polizei, deren Aufgabe die Durchsetzung der Gesetze ist, während 300.000 Mann starkem „Zentralen Sicherheitskräfte“ für die Unterdrückung interner Unruhen verantwortlich sind und die dabei nun kläglich versagten. Ihre Mitglieder leiden unter einem niedrigen sozialen Status, sind schlecht ausgebildet und die Einheit verfügt über geringen Zusammenhalt. Ganz im Gegensatz dazu ist die 340.000 Mann starke Armee sehr professionell ausgebildet und trainiert und dank großzügiger amerikanischer Hilfe mit modernen Waffen für einen konventionellen Krieg ausgestattet. Dennoch wurde sie bereits zweimal – 1977 und 1986 – zur Unterdrückung von Unruhen eingesetzt. Erfolgreich. Auf ihre Disziplin und ihren Zusammenhalt kann sich das Regime weit mehr verlassen als auf jenen der „Zentralen Sicherheitskräfte“.
Die entscheidende Frage stellt sich nun: Wird die Armee Befehlen gehorchen und mit Gewalt gegen Tausende unbewaffnete Menschen die Ruhe im Lande wieder herstellen? Wird ihr das gelingen und wird sie damit das Regime Mubarak noch für einige Zeit retten? Ist die Armeeführung dazu überhaupt bereit. Bisher stand sie vollends loyal zum Herrscher. Doch Mubaraks Macht neigt sich angesichts seiner Altersschwäche ohnedies zu Ende. „Der Untergang des Steuermanns muß nicht den Untergang des Schiffes bedeuten“, meint ein politischer Analyst. Die Führung der Streitkräfte hat großes Interesse, den Demokraten, insbesondere den Islamisten, nicht die Tore zur Macht zu öffnen. Und sie haben das Beispiel des Irans vor Augen, wo sich eine mindestens ebenso eindrucksvolle zivile Portestwelle nach Monaten durch ungeheuerliche Brutalität ersticken ließ. In den Straßen Teherans erhebt derzeit niemand seine Stimme gegen die Führung.
Doch die Loyalität zu ihrer Führung ist bei unteren Chargen und den Soldaten keineswegs gewiß. Wenn die Massendemonstrationen anhalten, werden sie sich mit dem Volk solidarisieren?
Bildquelle: BBC
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von Birgit Cerha
Solche Szenen haben die Straßen Kairos und anderer Städte Ägyptens noch nie gesehen. Ein Massenaufgebot an Sicherheitskräften vermochte Freitag, dem „Tag des Zornes“ zu dem die seit Dienstag demonstrierenden Bürger aufgerufen hatten, keine Ruhe herzustellen. Hunderttausende strömten ins Zentrum Kairos und anderer Städte, um in einem völlig personalisierten Protest ihrer Unzufriedenheit kundzutun. Immer lauter fordern sie den Abtritt Präsident Mubaraks. Während des Tages berichteten Demonstranten zunächst von nie gesehener Brutalität der wegen ihrer Härte schon lange gefürchteten Polizei. Doch als es den Uniformierten nicht gelang, die Demonstranten zu zerstreuen, zogen sie sich mehr und mehr zurück. Geheimpolizisten in zivil nahmen vor allem ausländische Journalisten aufs Korn. Ein BBC-Kameramann wurde mit einer Stahlstange heftig niedergeschlagen und musste sich blutüberströmt in Sicherheit bringen. Mehrere europäische Journalisten wurden festgenommen, eine ganze Gruppe in einem Lkw abtransportiert.
Keine Maßnahme des Regimes, diese Massenkundgebungen zu verhindern, hatte geholfen, nicht einmal die Blockade des Internets und des Mobiltelefonnetzes, über die die Aktivisten Gleichgesinnten zu ihren Protesten zusammentrommelten. Die Menschen wussten, wo sie sich versammeln mussten: bei den Moscheen und am Kairoer Tahrir-Platz. Gegen Abend heizte sich ihr Zorn auf und sie setzten das Symbol der Herrschaft Mubaraks, das Hauptquartier seiner regierenden Nationalen Demokratischen Partei in Brand. Tausende Menschen widersetzten sich der vom Präsidenten am Abend ausgerufenen Ausgangssperre. Auch die Helikopter der Armee, die nach Aussagen vieler Ägypter, erstmals über dem Stadtzentrum kreisten, vermochten die Demonstranten nicht einzuschüchten.
Auf die angekündigte Rede an die Nation, das erste Lebenszeichen des Diktators, warteten die Ägypter bis spätabends vergeblich. Die einzige Botschaft, die aus dem Präsidentenpalast drang, war die Nachricht, dass Ägyptens Armee der offensichtlich überforderten Polizei zu Hilfe eilen werde. Bis spätabends bezogen Panzer Positionen an wichtigsten Kreuzpunkten, holten Soldaten schwere Waffen zum Einsatz bereit. Die Website der Moslembrüder berichtete allerdings, dass Demonstranten die Soldaten freudig umarmten. Ein klares Bild ließ sich bis spätabends nicht erkennen. Die Haltung der Armee wird nun Mubaraks Schicksal entscheiden.
Wie seine beiden Vorgänger kam der einstige Luftwaffengeneral aus den Streitkräften des Landes, die eine starke Machtposition innehaben. Sie standen stets treu zu ihrem Präsidenten, wiewohl sie dessen Sohn Gamal als Nachfolger weitgehend nicht unterstützen. Seine Chancen, das höchste Staatsamt zu erklimmen, dürften nun vollends geschwunden sein.
Mubarak stützt sein Regime auf drei unterschiedliche Sicherheitskräfte: die Polizei, deren Aufgabe die Durchsetzung der Gesetze ist, während 300.000 Mann starkem „Zentralen Sicherheitskräfte“ für die Unterdrückung interner Unruhen verantwortlich sind und die dabei nun kläglich versagten. Ihre Mitglieder leiden unter einem niedrigen sozialen Status, sind schlecht ausgebildet und die Einheit verfügt über geringen Zusammenhalt. Ganz im Gegensatz dazu ist die 340.000 Mann starke Armee sehr professionell ausgebildet und trainiert und dank großzügiger amerikanischer Hilfe mit modernen Waffen für einen konventionellen Krieg ausgestattet. Dennoch wurde sie bereits zweimal – 1977 und 1986 – zur Unterdrückung von Unruhen eingesetzt. Erfolgreich. Auf ihre Disziplin und ihren Zusammenhalt kann sich das Regime weit mehr verlassen als auf jenen der „Zentralen Sicherheitskräfte“.
Die entscheidende Frage stellt sich nun: Wird die Armee Befehlen gehorchen und mit Gewalt gegen Tausende unbewaffnete Menschen die Ruhe im Lande wieder herstellen? Wird ihr das gelingen und wird sie damit das Regime Mubarak noch für einige Zeit retten? Ist die Armeeführung dazu überhaupt bereit. Bisher stand sie vollends loyal zum Herrscher. Doch Mubaraks Macht neigt sich angesichts seiner Altersschwäche ohnedies zu Ende. „Der Untergang des Steuermanns muß nicht den Untergang des Schiffes bedeuten“, meint ein politischer Analyst. Die Führung der Streitkräfte hat großes Interesse, den Demokraten, insbesondere den Islamisten, nicht die Tore zur Macht zu öffnen. Und sie haben das Beispiel des Irans vor Augen, wo sich eine mindestens ebenso eindrucksvolle zivile Portestwelle nach Monaten durch ungeheuerliche Brutalität ersticken ließ. In den Straßen Teherans erhebt derzeit niemand seine Stimme gegen die Führung.
Doch die Loyalität zu ihrer Führung ist bei unteren Chargen und den Soldaten keineswegs gewiß. Wenn die Massendemonstrationen anhalten, werden sie sich mit dem Volk solidarisieren?
Bildquelle: BBC
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ÄGYPTEN: „Wir wollen eine islamische Demokratie“
Durch massive Repressionen lange verängstigt, erstrebt Ägyptens größte Opposition, die Moslembruderschaft, nun die Teilnahme an einer Regierung ohne Mubarak
von Birgit Cerha
(Bild: Ahmed Zaki Osman, Reformer unter den Moslembrüdern)
Entschlossen und mutig, wie seit Jahrzehnten nicht, bekräftigte die Moslembruderschaft (MB), Ägyptens größte oppositionelle Bewegung, Donnerstag die Forderung nach einem sofortigen Rücktritt Präsident Mubaraks, um ein Blutbad am Nil zu vermeiden. „Wir fordern eine Regierung der nationalen Einheit mit allen Fraktionen“, heißt es in einer über den Satellitensender Al-Jezira verbreiteten Erklärung.
Nach einem Bericht der Washington Post hat die US-Administration angesichts der turbulenten Entwicklungen am Nil begonnen, ihre Beziehungen zu der MB, deren fundamentalistische Ideologie bei US-Führern seit langem auf tiefes Misstrauen stößt, neu zu überdenken, um sich auf die politischen Realitäten in Ägypten einzustellen. Ein breites Spektrum von Oppositionsparteien und politischen Bewegungen ist entschlossen, auch die seit Jahrzehnten von ägyptischen Regimen dämoniserten Moslembrüder in eine Übergangsregierung mit einzuschließen.
Durch jahrzehntelange massive Repressionen eingeschüchtert, hatte sich die MB von einer führenden Rolle bei den gegenwärtigen Demonstrationen zurückgehalten. Dennoch zählten 20 ihrer Mitglieder, darunter acht Angehörige des Führungsgremiums, zu den ersten Verhafteten nach Beginn der Protestwelle.
Seit ihrer Gründung 1928 hat sich die MB tief in die ägyptische Gesellschaft verwoben. Sie zählt hunderttausende Mitglieder und Verbündete im gesamten Mittleren Osten, sowie darüber hinaus. Die palästinensische Hamas ist eines ihrer „Kinder“. In den 50er und 60er Jahren versetzte die Bewegung Ägyptens Führung und viele nicht-islamistische Landsleute durch eine Welle von Gewalt in Angst und Schrecken. Hier liegen die Wurzeln eines tiefen Hasses auf diese Bewegung, der sich in Teilen der ägyptischen Gesellschaft, insbesondere auch in der Armee und in der pro-westlichen Elite bis heute erhalten hat. Nach einem Attentatsversuch gegen Präsident Nasser, für den er die „Brüder“ verantwortlich machte, wurde die Bewegung 1954 verboten. Doch seit mehr als 30 Jahren wird sie wegen ihres starken Rückhalts in der Bevölkerung vom Regime geduldet. Moslembrüder durften als Unabhängige kandidieren und konnten so 2005 gar 20 Prozent der Parlamentssitze erobern. Ihr Slogan „Islam ist die Lösung“ schien, gerade weil vage, insbesondere der ungebildeten Masse die Erfüllung ihres Traumes von Gerechtigkeit zu versprechen.
Geschockt über diesen Siegeszug entwarf das Regime Mubarak eine umfassende Strategie, um die MB zur politischen Bedeutungslosigkeit zurückzudrängen: Wiederholte Massenverhaftungen von Mitgliedern und Führung, eine Verfassungsänderung, die Parteien auf religiöser Basis verbietet und vor allem eine gezielte Attacke (Beschlagnahme von Vermögenswerten) gegen ein höchst effizientes Sozialsystem, durch das die MB Versagen des Staates auszugleichen suchten und dabei ihre Anhängerschaft wesentlich stärken konnten.
Die Strategie erwies sich insofern als erfolgreich, als die MB sich seit vielen Jahren nicht so sehr auf die Eroberung der Macht, sondern nach den Worten von Ibrahim al-Houdaybi, dem Enkel eines der Gründerväter „auf das nackte Überleben“ konzentrieren muß. Ihre in mehr als drei Jahrzehnten geformte Strategie bleibt jedoch auch für die im Vorjahr neugewählte Führung unverrückbar: bedingungslose Absage an Gewalt, Integration in den demokratischen Prozeß. „Wir wollen eine islamische Demokratie“, betont Essam Erian, ein führender Reformer. Und ein anderer prominenter Aktivist, Muntasser al-Zayat, stellt fest: „Wir wollen das wahre Gesicht der gemäßigen Islamisten sein.“
Starke laizistische Kräfte im Militär und in der Wirtschaft trauen dem Demokratiebekenntnis der „Brüder“ nicht. Mubarak und sein Regime missbrauchte die Bruderschaft als Schreckgespenst eines gewalttätigen Islamismus, um gegenüber einem verängstigten Westen das Ausbleiben demokratischer Reformen und brutale Unterdrückung Andersdenkender zu seiner eigenen Machterhaltung zu rechtfertigen. Mit Erfolg. Im Westen wurde dabei auch oft übersehen, dass sich die Bruderschaft stets entschieden von jedem Gewaltakt radikaler Islamisten in Ägypten und anderswo distanziert hat.
Führende Demokraten, wie der Soziologe Saadeddin Ibrahim oder der Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei, der unterdessen von der MB und anderen Gruppierungen zum Verhandlungsführer mit dem Regime bestellt wurde, aber glauben an die demokratischen Absichten der Bruderschaft. Ihre Einbindung in den politischen Prozeß nach Mubarak steht für sie außer Frage. Freilich, so Ibrahim, müsse die Demokratie sich auch durch Schutzmechanismen dagegen verteidigen, dass diese Bewegung schließlich – versteckte - undemokratische Ziele durchsetzt. Zu, MB-Parteiprogramm zählt nach wie vor der Aufbau eines Staates der sich auf den Islam stützt und damit vor allem die koptische Minderheit in Angst versetzt.
Bei den Neuwahlen der MB-Führung vor einem Jahr setzte sich die konservative Strömung durch und unabhängige politische Analysten sind davon überzeugt, dass dies dem Wunsch der Mehrheit der MB-Anhänger entspricht. Was dies für ein Ägypten nach Mubarak bedeutet, lässt sich noch nicht klar erkennen.
Bildquelle: al-Masri al-Youm
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von Birgit Cerha
(Bild: Ahmed Zaki Osman, Reformer unter den Moslembrüdern)
Entschlossen und mutig, wie seit Jahrzehnten nicht, bekräftigte die Moslembruderschaft (MB), Ägyptens größte oppositionelle Bewegung, Donnerstag die Forderung nach einem sofortigen Rücktritt Präsident Mubaraks, um ein Blutbad am Nil zu vermeiden. „Wir fordern eine Regierung der nationalen Einheit mit allen Fraktionen“, heißt es in einer über den Satellitensender Al-Jezira verbreiteten Erklärung.
Nach einem Bericht der Washington Post hat die US-Administration angesichts der turbulenten Entwicklungen am Nil begonnen, ihre Beziehungen zu der MB, deren fundamentalistische Ideologie bei US-Führern seit langem auf tiefes Misstrauen stößt, neu zu überdenken, um sich auf die politischen Realitäten in Ägypten einzustellen. Ein breites Spektrum von Oppositionsparteien und politischen Bewegungen ist entschlossen, auch die seit Jahrzehnten von ägyptischen Regimen dämoniserten Moslembrüder in eine Übergangsregierung mit einzuschließen.
Durch jahrzehntelange massive Repressionen eingeschüchtert, hatte sich die MB von einer führenden Rolle bei den gegenwärtigen Demonstrationen zurückgehalten. Dennoch zählten 20 ihrer Mitglieder, darunter acht Angehörige des Führungsgremiums, zu den ersten Verhafteten nach Beginn der Protestwelle.
Seit ihrer Gründung 1928 hat sich die MB tief in die ägyptische Gesellschaft verwoben. Sie zählt hunderttausende Mitglieder und Verbündete im gesamten Mittleren Osten, sowie darüber hinaus. Die palästinensische Hamas ist eines ihrer „Kinder“. In den 50er und 60er Jahren versetzte die Bewegung Ägyptens Führung und viele nicht-islamistische Landsleute durch eine Welle von Gewalt in Angst und Schrecken. Hier liegen die Wurzeln eines tiefen Hasses auf diese Bewegung, der sich in Teilen der ägyptischen Gesellschaft, insbesondere auch in der Armee und in der pro-westlichen Elite bis heute erhalten hat. Nach einem Attentatsversuch gegen Präsident Nasser, für den er die „Brüder“ verantwortlich machte, wurde die Bewegung 1954 verboten. Doch seit mehr als 30 Jahren wird sie wegen ihres starken Rückhalts in der Bevölkerung vom Regime geduldet. Moslembrüder durften als Unabhängige kandidieren und konnten so 2005 gar 20 Prozent der Parlamentssitze erobern. Ihr Slogan „Islam ist die Lösung“ schien, gerade weil vage, insbesondere der ungebildeten Masse die Erfüllung ihres Traumes von Gerechtigkeit zu versprechen.
Geschockt über diesen Siegeszug entwarf das Regime Mubarak eine umfassende Strategie, um die MB zur politischen Bedeutungslosigkeit zurückzudrängen: Wiederholte Massenverhaftungen von Mitgliedern und Führung, eine Verfassungsänderung, die Parteien auf religiöser Basis verbietet und vor allem eine gezielte Attacke (Beschlagnahme von Vermögenswerten) gegen ein höchst effizientes Sozialsystem, durch das die MB Versagen des Staates auszugleichen suchten und dabei ihre Anhängerschaft wesentlich stärken konnten.
Die Strategie erwies sich insofern als erfolgreich, als die MB sich seit vielen Jahren nicht so sehr auf die Eroberung der Macht, sondern nach den Worten von Ibrahim al-Houdaybi, dem Enkel eines der Gründerväter „auf das nackte Überleben“ konzentrieren muß. Ihre in mehr als drei Jahrzehnten geformte Strategie bleibt jedoch auch für die im Vorjahr neugewählte Führung unverrückbar: bedingungslose Absage an Gewalt, Integration in den demokratischen Prozeß. „Wir wollen eine islamische Demokratie“, betont Essam Erian, ein führender Reformer. Und ein anderer prominenter Aktivist, Muntasser al-Zayat, stellt fest: „Wir wollen das wahre Gesicht der gemäßigen Islamisten sein.“
Starke laizistische Kräfte im Militär und in der Wirtschaft trauen dem Demokratiebekenntnis der „Brüder“ nicht. Mubarak und sein Regime missbrauchte die Bruderschaft als Schreckgespenst eines gewalttätigen Islamismus, um gegenüber einem verängstigten Westen das Ausbleiben demokratischer Reformen und brutale Unterdrückung Andersdenkender zu seiner eigenen Machterhaltung zu rechtfertigen. Mit Erfolg. Im Westen wurde dabei auch oft übersehen, dass sich die Bruderschaft stets entschieden von jedem Gewaltakt radikaler Islamisten in Ägypten und anderswo distanziert hat.
Führende Demokraten, wie der Soziologe Saadeddin Ibrahim oder der Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei, der unterdessen von der MB und anderen Gruppierungen zum Verhandlungsführer mit dem Regime bestellt wurde, aber glauben an die demokratischen Absichten der Bruderschaft. Ihre Einbindung in den politischen Prozeß nach Mubarak steht für sie außer Frage. Freilich, so Ibrahim, müsse die Demokratie sich auch durch Schutzmechanismen dagegen verteidigen, dass diese Bewegung schließlich – versteckte - undemokratische Ziele durchsetzt. Zu, MB-Parteiprogramm zählt nach wie vor der Aufbau eines Staates der sich auf den Islam stützt und damit vor allem die koptische Minderheit in Angst versetzt.
Bei den Neuwahlen der MB-Führung vor einem Jahr setzte sich die konservative Strömung durch und unabhängige politische Analysten sind davon überzeugt, dass dies dem Wunsch der Mehrheit der MB-Anhänger entspricht. Was dies für ein Ägypten nach Mubarak bedeutet, lässt sich noch nicht klar erkennen.
Bildquelle: al-Masri al-Youm
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Donnerstag, 27. Januar 2011
ÄGYPTEN: „Ich will ein neues Ägypten“
Viele Ägypter hoffen, die Heimkehr Mohammed el-Baradeis werde dem Land die Freiheit bringen – Massenproteste am Freitag könnten sich als schicksalhaft erweisen
von Birgit Cerha
„Ich wünschte, wir hätten nicht in die Straßen gehen müssen, um das Regime zum Handeln zu zwingen.“ Mit diesen Worten bei seiner Ankunft in Kairo nach monatelangem selbstgewählten Exil begann der ägyptische Friedensnobelpreisträgers Mohammed el-Baradei eine vielleicht für sein Land entscheidende Phase des politischen Aktionismus in Ägypten. Nur vage hatte er bisher über Facebook aus seinem Wiener Domizil die Demonstranten unterstützt, die sich nach dem Sturz des tunesischen Diktators gegen den seit 30 Jahren herrschenden Autokraten Mubarak erhoben hatten. El-Baradeis Entscheidung, nun bei seinem demonstrierenden Volk zu sein und eine friedliche Übergangsperiode zu führen, wenn die Protestierenden dies wollten, löste unter Ägyptern eine Mischung aus Hoffnung, ja gar Euphorie, doch auch bittere Skepsis aus.
El-Baradei hatte sich zur Heimkehr entschlossen, nachdem, das höchst Unerwartete eingetreten war: Die in drei Jahrzehnte langen Repressionen eingeschüchterten Ägypter begannen zu Zehntausenden sich Drohungen, Demonstrationsverboten zu und ihren Zorn über Mubarak in den Straßen Kairos, Suez und anderer Städte nun schon den dritten Tag Luft zu machen. Nach Informationen einer unabhängigen Anwaltsorganisation wurden bisher mehr als 1.200 Menschen inhaftiert und acht friedliche Demonstranten getötet.
Es sind die Sozialnetzwerke Twitter und Facebook, denen es gelang, die Unzufriedenen in die Straßen zu treiben. Doch sie haben keinen Führer. Diese Rolle – so hoffen wohl viele – könnte nun Baradei übernehmen. Seine Heimkehr in dem vielleicht kritischsten Moment der 30-jährigen Herrschaft Mubaraks könnte Baradei zur Kristallisationsfigur der Proteste machen. Heute, Freitag, könnte sich als schicksalhaft erweisen. Denn die Facebook-Aktivisten riefen zu einer Fortsetzung des „Tages des Zornes“ vom vergangenen Dienstag unter dem Slogan auf: „Das Volk will den Sturz der Regierung“. Es „fordert das Recht auf Leben, Freiheit, Würde“ und die Menschen sollten in den Straßen bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt seien, so der Aufruf der Demokratie-Bewegung „6. April“ im Facebook. Die Demonstranten schienen entschlossen, den Druck auf das Regime aufrechtzuerhalten. „Sie glauben, dass die Sicherheitspolizei ermüdet und bald erschöpft sein wird. Ägyptens Polizei ist seit drei Generationen nicht mit einer derartigen Situation konfrontiert worden“, erläutert Ashraf Khalil von der ägyptischen Zeitung „Al-Masry al-Youm“.
Nach dem Freitagsgebet sollen die Massen wieder ihrem Zorn über den Diktator Luft machen. Erstmals gab auch die größte Oppositionsbewegung, die offiziell verbotene, doch geduldete Moslembruderschaft, ihre ängstliche Zurückhaltung auf und rief ihre Anhänger zur Teilnahme an den Protesten. Auch Baradei will nach eigenen Worten mitmarschieren: „Ich werde mit ihnen protestieren, doch ich bin nicht die Person, die Demonstrationen in den Straßen leiten wird….. Mein Job ist es den Wandel zu steuern, betonte er in einem Interview mit dem arabischen Satellitensender „Al Jezira“. Festnahme fürchtet er nicht. „Ein solcher Schritt würde die Situation viel, viel schlimmer machen.“
Viele Ägypter fragen sich, wo sich denn ihr Präsident derzeit aufhalte. Vergeblich wartet das Volk auf eine beschwichtigende Rede seines Führers. Premierminister Ahmed Nazif warnte lediglich in einer kurzen Presseerklärung vor weiteren Demonstrationen und die regierende „Nationale Demokratische Partei“ kündigte Donnerstag erstmals vage Dialogbereitschaft. Anzeichen echten Entgegenkommens lassen sich nicht erkennen, dafür, wie stets, Härte und Brutalität. Ohnedies dürften sich die Demonstranten nicht mehr mit kleinen Reformankündigen zufrieden geben. Die Anhebung der Mindestlöhne, die Aufhebung des seit drei Jahrzehnten geltenden Kriegsrechts sind Teil ihrer Forderungen, die sich nun bis zum Abtritt des verhassten „Pharao“ gesteigert haben.
Baradei sieht die Priorität seines neuen Aktivismus nach eigenen Worten im Streben nach einem friedlichen Wandel zur Demokratie, zur Modernisierung des Landes und dem Aufbau einer gemäßigten Gesellschaft, sowie der Achtung der Grundfreiheiten. In die Hoffnung auf den erfolgreichen Diplomaten und langjährigen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde mischt sich bei vielen Ägyptern jedoch ein starker Schuss an Skepsis. Baradei hatte im Vorjahr nach jahrzehntelanger Abwesenheit von seiner Heimat die „Nationale Vereinigung für Veränderung“ (NAC) als Dachorganisation zahlreicher Oppositionsgruppen, unter ihnen viele prominente Intellektuelle, gegründet. Doch seine Kandidatur bei den für September geplanten Präsidentschaftwahlen bedürfte einer Verfassungsreform, zu der Mubarak, der sich trotz seiner 81 Jahre seine erneute Kandidatur offen hält, nicht bereit ist. So hatte Baradei im Vorjahr mehrere Demonstrationen für demokratische Reformen und eine Verfassungsänderung geleitet, doch nichts bewirken können. Resigniert zog er sich wieder ins Ausland zurück, ein Schritt, den ihm heute viele Aktivisten verübeln. Skeptiker werfen ihm ein fehlendes Charisma vor und unzureichende Kenntnis der sozialen Gegebenheiten des Landes, da er sich jahrzehntelang im Ausland aufgehalten hatte. Wiewohl es ihm nicht gelang, die zersplitterte Opposition zu einen, verstand es Baradei aber, mit vielen Gruppierungen, darunter vor allem der Moslembruderschaft, zusammen zu arbeiten. Ob dieses Verdienst und sein nunmehriges Engagement reicht, die Skeptiker für sich zu gewinnen und ihn zum Führer in die Freiheit zu erheben, bleibt vorerst dahingestellt.
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von Birgit Cerha
„Ich wünschte, wir hätten nicht in die Straßen gehen müssen, um das Regime zum Handeln zu zwingen.“ Mit diesen Worten bei seiner Ankunft in Kairo nach monatelangem selbstgewählten Exil begann der ägyptische Friedensnobelpreisträgers Mohammed el-Baradei eine vielleicht für sein Land entscheidende Phase des politischen Aktionismus in Ägypten. Nur vage hatte er bisher über Facebook aus seinem Wiener Domizil die Demonstranten unterstützt, die sich nach dem Sturz des tunesischen Diktators gegen den seit 30 Jahren herrschenden Autokraten Mubarak erhoben hatten. El-Baradeis Entscheidung, nun bei seinem demonstrierenden Volk zu sein und eine friedliche Übergangsperiode zu führen, wenn die Protestierenden dies wollten, löste unter Ägyptern eine Mischung aus Hoffnung, ja gar Euphorie, doch auch bittere Skepsis aus.
El-Baradei hatte sich zur Heimkehr entschlossen, nachdem, das höchst Unerwartete eingetreten war: Die in drei Jahrzehnte langen Repressionen eingeschüchterten Ägypter begannen zu Zehntausenden sich Drohungen, Demonstrationsverboten zu und ihren Zorn über Mubarak in den Straßen Kairos, Suez und anderer Städte nun schon den dritten Tag Luft zu machen. Nach Informationen einer unabhängigen Anwaltsorganisation wurden bisher mehr als 1.200 Menschen inhaftiert und acht friedliche Demonstranten getötet.
Es sind die Sozialnetzwerke Twitter und Facebook, denen es gelang, die Unzufriedenen in die Straßen zu treiben. Doch sie haben keinen Führer. Diese Rolle – so hoffen wohl viele – könnte nun Baradei übernehmen. Seine Heimkehr in dem vielleicht kritischsten Moment der 30-jährigen Herrschaft Mubaraks könnte Baradei zur Kristallisationsfigur der Proteste machen. Heute, Freitag, könnte sich als schicksalhaft erweisen. Denn die Facebook-Aktivisten riefen zu einer Fortsetzung des „Tages des Zornes“ vom vergangenen Dienstag unter dem Slogan auf: „Das Volk will den Sturz der Regierung“. Es „fordert das Recht auf Leben, Freiheit, Würde“ und die Menschen sollten in den Straßen bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt seien, so der Aufruf der Demokratie-Bewegung „6. April“ im Facebook. Die Demonstranten schienen entschlossen, den Druck auf das Regime aufrechtzuerhalten. „Sie glauben, dass die Sicherheitspolizei ermüdet und bald erschöpft sein wird. Ägyptens Polizei ist seit drei Generationen nicht mit einer derartigen Situation konfrontiert worden“, erläutert Ashraf Khalil von der ägyptischen Zeitung „Al-Masry al-Youm“.
Nach dem Freitagsgebet sollen die Massen wieder ihrem Zorn über den Diktator Luft machen. Erstmals gab auch die größte Oppositionsbewegung, die offiziell verbotene, doch geduldete Moslembruderschaft, ihre ängstliche Zurückhaltung auf und rief ihre Anhänger zur Teilnahme an den Protesten. Auch Baradei will nach eigenen Worten mitmarschieren: „Ich werde mit ihnen protestieren, doch ich bin nicht die Person, die Demonstrationen in den Straßen leiten wird….. Mein Job ist es den Wandel zu steuern, betonte er in einem Interview mit dem arabischen Satellitensender „Al Jezira“. Festnahme fürchtet er nicht. „Ein solcher Schritt würde die Situation viel, viel schlimmer machen.“
Viele Ägypter fragen sich, wo sich denn ihr Präsident derzeit aufhalte. Vergeblich wartet das Volk auf eine beschwichtigende Rede seines Führers. Premierminister Ahmed Nazif warnte lediglich in einer kurzen Presseerklärung vor weiteren Demonstrationen und die regierende „Nationale Demokratische Partei“ kündigte Donnerstag erstmals vage Dialogbereitschaft. Anzeichen echten Entgegenkommens lassen sich nicht erkennen, dafür, wie stets, Härte und Brutalität. Ohnedies dürften sich die Demonstranten nicht mehr mit kleinen Reformankündigen zufrieden geben. Die Anhebung der Mindestlöhne, die Aufhebung des seit drei Jahrzehnten geltenden Kriegsrechts sind Teil ihrer Forderungen, die sich nun bis zum Abtritt des verhassten „Pharao“ gesteigert haben.
Baradei sieht die Priorität seines neuen Aktivismus nach eigenen Worten im Streben nach einem friedlichen Wandel zur Demokratie, zur Modernisierung des Landes und dem Aufbau einer gemäßigten Gesellschaft, sowie der Achtung der Grundfreiheiten. In die Hoffnung auf den erfolgreichen Diplomaten und langjährigen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde mischt sich bei vielen Ägyptern jedoch ein starker Schuss an Skepsis. Baradei hatte im Vorjahr nach jahrzehntelanger Abwesenheit von seiner Heimat die „Nationale Vereinigung für Veränderung“ (NAC) als Dachorganisation zahlreicher Oppositionsgruppen, unter ihnen viele prominente Intellektuelle, gegründet. Doch seine Kandidatur bei den für September geplanten Präsidentschaftwahlen bedürfte einer Verfassungsreform, zu der Mubarak, der sich trotz seiner 81 Jahre seine erneute Kandidatur offen hält, nicht bereit ist. So hatte Baradei im Vorjahr mehrere Demonstrationen für demokratische Reformen und eine Verfassungsänderung geleitet, doch nichts bewirken können. Resigniert zog er sich wieder ins Ausland zurück, ein Schritt, den ihm heute viele Aktivisten verübeln. Skeptiker werfen ihm ein fehlendes Charisma vor und unzureichende Kenntnis der sozialen Gegebenheiten des Landes, da er sich jahrzehntelang im Ausland aufgehalten hatte. Wiewohl es ihm nicht gelang, die zersplitterte Opposition zu einen, verstand es Baradei aber, mit vielen Gruppierungen, darunter vor allem der Moslembruderschaft, zusammen zu arbeiten. Ob dieses Verdienst und sein nunmehriges Engagement reicht, die Skeptiker für sich zu gewinnen und ihn zum Führer in die Freiheit zu erheben, bleibt vorerst dahingestellt.
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Mittwoch, 26. Januar 2011
Ägypter durchstoßen die Barriere der Furcht
von Birgit Cerha
Regime Mubarak ist entschlossen, Proteste mit Brutalität zu ersticken – Doch lässt sich der „tunesische Bazillus“ abtöten?
Der „tunesische Bazillus“, der Diktator Ben Ali zum Verhängnis wurde, breitet sich aus. Der „Tag des Zornes“, zu dem junge Ägypter das Volk an dem die verhassten Sicherheitskräfte ehrenden Nationalfeiertag, den 25. Januar, gerufen hatten, erwies sich vielleicht nicht als der Beginn einer Intifada (Rebellion), die das Regime Mubarak schon bald zu Fall bringen könnte. Dennoch wird er in die die jüngere Geschichte Ägyptens eingehen. Denn erstmals seit vielen, vielen Jahren stand selbst das höchste Aufgebaut an Sicherheitskräften Zehntausenden, ja vielleicht Hunderttausenden frustrierten und wütenden Ägyptern in den Straßen der Städte des Landes hilflos gegenüber. Wiewohl erwartet, konnten sie die Massendemonstration nicht verhindern und schlugen in altberüchtigter Brutalität zu. Mindestens vier Menschen starben und unzählige flüchteten nach Augenzeugenberichten blutüberströmt heim. Dennoch wagten sich auch Mittwoch wieder erboste Menschen in Kairo und Suez in die Straßen, entschlossen nach den Worten eines der Demonstranten, „endlich Nein“ zu sagen. „Revolution, Revolution, wie ein Vulkan“, lautet einer der Slogans.
Auch Alaa al-Aswany, der Autor des Bestselles „Yacoubian Building“, der korrupte Politiker, Polizeibrutalität und Terror in Ägypten porträtiert, hatte sich den Protestierenden angeschlossen und stellte beeindruckt fest: „Sie haben die Barriere der Furcht durchstoßen“ Immer wieder bekunden Demonstranten ihren durch das Vorbild der Tunesier neu gefundenen Mut und die Bereitschaft für ein besseres Leben und für die Freiheit auch ihr Leben zu riskieren.
Aswany kritisiert regimetreue Medien, die wiederholt Parallelen zu Tunesien zurückweisen. Zu ihren Argumenten zählt vor allem die Tatsache, dass es in Tunesien Vertreter einer breiten Mittelschicht gewesen waren, die sich gegen ihren Despoten erhoben hatten. In Ägypten hingegen fehlt diese Schichte, gehört die Masse der Unzufriedenen den Bitterarmen an, von denen große Zahlen von einem vom Regime – bewusst, wie Kritiker meinen – vernachlässigten Bildungssystem nicht erfasst wurden. „Doch diese jungen Leute“, schwelgt Aswany, „haben bewiesen, dass sie sich energisch für ihre Rechte einsetzen können“. Fast die Hälfte der 80-Millionen-Bevölkerung lebt unter oder knapp über der von der UNO mit zwei Dollar im Tag festgesetzten Armutsgrenze. Armut, Arbeitslosigkeit und rasant angestiegene Lebensmittelpreise stellen das Regime Mubarak vor schwere Probleme in einer Zeit in der wachsende Spannungen zwischen den Muslimen und der koptischen Minderheit im Land Ägypten auch noch dramatisch zusetzen.
Das Regime reagiert auf den erwachenden Mut der so lange eingeschüchterten Bevölkerung mit altbewährter Methode: Repression und Gewalt. Mindestens 500 Demonstranten wurden bisher verhaftet. Öffentliche Versammlungen würden künftig nicht mehr toleriert, verkündete das Innenministerium. Und jeder, der es wagt in den Straßen gegen das Regime zu agieren, wird strafrechtlich verfolgt. Das seit Mubaraks Machtübernahme vor drei Jahrzehnten herrschende Kriegsrecht ermöglicht massive Repressionen, die Zerschlagung auch nur der kleinsten Protestkundgebungen, die Verfolgung politisch Andersdenkender. Eine sich mehr und mehr entwickelnden Zivilgesellschaft versucht seit Jahren sich gegen solche Unterdrückungsmethoden zu wehren. Bisher vergeblich. Hemmungslose Folter und Erschießungen friedlicher Demonstranten durch die Sicherheitskräfte haben die Menschen über die Jahre radikal eingeschüchtert. Bis zu 10.000 Ägypter schmachten nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen ohne Anklage in den Gefängnissen des Landes.
Mit dieser Strategie hat sich Mubarak auch jegliche Opposition vom Leib gehalten. Selbst die Massenbewegung der Moslembrüder wagt es nicht, dem Diktator offen zu widerstehen. Seit Jahren werden ihre Mitglieder immer wieder in großen Zahlen inhaftiert und gefoltert. Aus Angst, sie könnten zum Sündenbock für Unruhen am „Tag des Zorns“ gestempelt werden, hatte die Bruderschaft auch nicht zur Teilnahme an den Protesten am 25. Januar aufgerufen, eine Haltung, die ihre viele Aktivisten verübeln. Tatsächlich beschuldigt das Regime die Moslembrüder nun, die Menschen, die sich Dienstag gegen Mubarak erhoben hatten, aufgehetzt zu haben.
In Wahrheit waren es aber die Sozialnetzwerke – Facebook und Twitter - , die wie in Tunesien Zehntausende Menschen zum Protest zusammengetrommelt hatten. Sie wurden Mittwoch offenbar vom Regime blockiert. Wie in Tunesien, sind Ägyptens Protestler führerlos und sind die politischen Parteien nicht in der Lage, sich durch diese neue Bewegung zu stärken. Die Bilder erinnern ein wenig an den Iran des Jahres 2009, wo das Regime monatelange Massenproteste mit ungeheurer Brutalität schließlich niedergeschlagen hat.
Hosni Mubarak muß der Hass, der ihm in den Straßen seines Reiches entgegenschlägt schockieren. Doch in den Grundfesten erschüttern wird er das Regime – zumindest noch lange – nicht. Die Armee steht – im Gegensatz zu jener Tunesiens – fest hinter dem Diktator und dieser weiß die Supermacht USA unerschütterlich hinter sich. Das Regime sei stabil, stellte US-Außenministerin Hillary Clinton für das strategische Denken der USA beruhigend fest, auch wenn Freiheit und Menschenrechte auf der Strecke bleiben.
Bildquelle: BBC
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Regime Mubarak ist entschlossen, Proteste mit Brutalität zu ersticken – Doch lässt sich der „tunesische Bazillus“ abtöten?
Der „tunesische Bazillus“, der Diktator Ben Ali zum Verhängnis wurde, breitet sich aus. Der „Tag des Zornes“, zu dem junge Ägypter das Volk an dem die verhassten Sicherheitskräfte ehrenden Nationalfeiertag, den 25. Januar, gerufen hatten, erwies sich vielleicht nicht als der Beginn einer Intifada (Rebellion), die das Regime Mubarak schon bald zu Fall bringen könnte. Dennoch wird er in die die jüngere Geschichte Ägyptens eingehen. Denn erstmals seit vielen, vielen Jahren stand selbst das höchste Aufgebaut an Sicherheitskräften Zehntausenden, ja vielleicht Hunderttausenden frustrierten und wütenden Ägyptern in den Straßen der Städte des Landes hilflos gegenüber. Wiewohl erwartet, konnten sie die Massendemonstration nicht verhindern und schlugen in altberüchtigter Brutalität zu. Mindestens vier Menschen starben und unzählige flüchteten nach Augenzeugenberichten blutüberströmt heim. Dennoch wagten sich auch Mittwoch wieder erboste Menschen in Kairo und Suez in die Straßen, entschlossen nach den Worten eines der Demonstranten, „endlich Nein“ zu sagen. „Revolution, Revolution, wie ein Vulkan“, lautet einer der Slogans.
Auch Alaa al-Aswany, der Autor des Bestselles „Yacoubian Building“, der korrupte Politiker, Polizeibrutalität und Terror in Ägypten porträtiert, hatte sich den Protestierenden angeschlossen und stellte beeindruckt fest: „Sie haben die Barriere der Furcht durchstoßen“ Immer wieder bekunden Demonstranten ihren durch das Vorbild der Tunesier neu gefundenen Mut und die Bereitschaft für ein besseres Leben und für die Freiheit auch ihr Leben zu riskieren.
Aswany kritisiert regimetreue Medien, die wiederholt Parallelen zu Tunesien zurückweisen. Zu ihren Argumenten zählt vor allem die Tatsache, dass es in Tunesien Vertreter einer breiten Mittelschicht gewesen waren, die sich gegen ihren Despoten erhoben hatten. In Ägypten hingegen fehlt diese Schichte, gehört die Masse der Unzufriedenen den Bitterarmen an, von denen große Zahlen von einem vom Regime – bewusst, wie Kritiker meinen – vernachlässigten Bildungssystem nicht erfasst wurden. „Doch diese jungen Leute“, schwelgt Aswany, „haben bewiesen, dass sie sich energisch für ihre Rechte einsetzen können“. Fast die Hälfte der 80-Millionen-Bevölkerung lebt unter oder knapp über der von der UNO mit zwei Dollar im Tag festgesetzten Armutsgrenze. Armut, Arbeitslosigkeit und rasant angestiegene Lebensmittelpreise stellen das Regime Mubarak vor schwere Probleme in einer Zeit in der wachsende Spannungen zwischen den Muslimen und der koptischen Minderheit im Land Ägypten auch noch dramatisch zusetzen.
Das Regime reagiert auf den erwachenden Mut der so lange eingeschüchterten Bevölkerung mit altbewährter Methode: Repression und Gewalt. Mindestens 500 Demonstranten wurden bisher verhaftet. Öffentliche Versammlungen würden künftig nicht mehr toleriert, verkündete das Innenministerium. Und jeder, der es wagt in den Straßen gegen das Regime zu agieren, wird strafrechtlich verfolgt. Das seit Mubaraks Machtübernahme vor drei Jahrzehnten herrschende Kriegsrecht ermöglicht massive Repressionen, die Zerschlagung auch nur der kleinsten Protestkundgebungen, die Verfolgung politisch Andersdenkender. Eine sich mehr und mehr entwickelnden Zivilgesellschaft versucht seit Jahren sich gegen solche Unterdrückungsmethoden zu wehren. Bisher vergeblich. Hemmungslose Folter und Erschießungen friedlicher Demonstranten durch die Sicherheitskräfte haben die Menschen über die Jahre radikal eingeschüchtert. Bis zu 10.000 Ägypter schmachten nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen ohne Anklage in den Gefängnissen des Landes.
Mit dieser Strategie hat sich Mubarak auch jegliche Opposition vom Leib gehalten. Selbst die Massenbewegung der Moslembrüder wagt es nicht, dem Diktator offen zu widerstehen. Seit Jahren werden ihre Mitglieder immer wieder in großen Zahlen inhaftiert und gefoltert. Aus Angst, sie könnten zum Sündenbock für Unruhen am „Tag des Zorns“ gestempelt werden, hatte die Bruderschaft auch nicht zur Teilnahme an den Protesten am 25. Januar aufgerufen, eine Haltung, die ihre viele Aktivisten verübeln. Tatsächlich beschuldigt das Regime die Moslembrüder nun, die Menschen, die sich Dienstag gegen Mubarak erhoben hatten, aufgehetzt zu haben.
In Wahrheit waren es aber die Sozialnetzwerke – Facebook und Twitter - , die wie in Tunesien Zehntausende Menschen zum Protest zusammengetrommelt hatten. Sie wurden Mittwoch offenbar vom Regime blockiert. Wie in Tunesien, sind Ägyptens Protestler führerlos und sind die politischen Parteien nicht in der Lage, sich durch diese neue Bewegung zu stärken. Die Bilder erinnern ein wenig an den Iran des Jahres 2009, wo das Regime monatelange Massenproteste mit ungeheurer Brutalität schließlich niedergeschlagen hat.
Hosni Mubarak muß der Hass, der ihm in den Straßen seines Reiches entgegenschlägt schockieren. Doch in den Grundfesten erschüttern wird er das Regime – zumindest noch lange – nicht. Die Armee steht – im Gegensatz zu jener Tunesiens – fest hinter dem Diktator und dieser weiß die Supermacht USA unerschütterlich hinter sich. Das Regime sei stabil, stellte US-Außenministerin Hillary Clinton für das strategische Denken der USA beruhigend fest, auch wenn Freiheit und Menschenrechte auf der Strecke bleiben.
Bildquelle: BBC
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Libanons Chance auf Stabilität
Der neue, von Hisbollah gekürte Premier Mikati setzt voll auf interne Kooperation und Dialog mit der internationalen Gemeinschaft
„Präjudiziert mich bitte nicht und nicht mein Verhalten.“ Eindringlich appellierte der Dienstag von der schiitischen Hisbollah gekürte libanesische Premierminister Najib Mikati an die internationale Gemeinschaft, ihn nicht einfach als Handlanger der im Westen als „Terrororganisation“ verdammten „Partei Gottes“ abzutun. Mikati bekräftigt energisch seine Unabhängigkeit, er sei ein „Mann des Konsenses“ und war tatsächlich auch gar nicht Hisbollahs erste Wahl gewesen. Auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah stellt Dienstag in einer Fernsehrede klar: „Wir fordern nicht den Staat oder die Regierung für uns.“ Hisbollah wolle den Libanon keineswegs allein regieren. Und in diesem Sinn streckt auch Mikati seine Hand zu allen politischen Gruppierungen aus. Die Bildung einer nationalen Einheitsregierung ist erstes Ziel. Nasrallah vollführt einen heiklen Balanceakt, in dem er versucht, die Kontrolle über Libanons Politik weiter auszubauen, dabei aber seine Gegner nicht zu stark provozieren darf, um die Kluft zwischen den Fraktionen nicht bedrohlich zu vertiefen.
Vorerst sind alle Optionen offen. Der bei seiner Bewerbung für eine zweite Amtsperiode unterlegene Ex-Premier Saad Hariri weigert sich zunächst entschieden, einer von Hisbollah kontrollierten Regierung beizutreten. Er könnte in Opposition gehen und Mikatis Leben entscheidend erschweren. Nach dem libanesischen Nationalpakt zur Aufteilung der Macht kann keine Regierung gebildet werden, in der nicht alle politischen Gruppierungen proportional zu ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sind. Beharrt Hariri mit seinem Block auf seinem „Nein“ zu Mikati, will der Premier nach eigener Aussage versuchen, ein Technokraten-Kabinett auf die Beine zu stellen. Erhält dies die Zustimmung der wichtigsten politischen Fraktionen, besitzt es durchaus Regierungschance. Der schiitische Parlamentssprecher sagte für einen solchen Fall bereits seine Unterstützung zu.
Mitaki ist ein enger Freund des syrischen Präsidenten Assad, unterhält zugleich aber auch gute Beziehungen zum saudischen Königshaus, das entschieden die Interessen Hariris und seiner sunnitischen Gemeinschaft im Libanon unterstützt. Der neue Premier und Milliardär gilt als gemäßigter Zentrist und Philantrop. Dass ihm Unabhängigkeit und Einheit des Libanons am Herzen liegt, bekräftigt er immer und immer wieder. Unabhängige politische Analysten werten ihn deshalb als Brückenbauer, der die Basis für Libanons Stabilität schaffen könne.
Seine erste große Herausforderung ist das Internationale Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Ex-Premier Rafik Hariri 2005. Bisher hat Mitaki keine klare Position in dieser Frage bezogen. Er wird sich jedoch schwer den Wünschen von Nasrallah, Syriens und Irans, widersetzen können, die die Zusammenarbeit mit dem Sondergericht in Den Hag stoppen wollen. Das Gericht wird in den kommenden Wochen erste Anklage – vermutlich gegen Hisbollah-Angehörige – erheben. Die Regierung, so fordert Nasrallah, solle auch die finanzielle Unterstützung des Tribunals einstellen. Denn dieses Gericht ziele darauf ab „den Widerstand (Hisbollah) zu vernichten, doch es wird dabei scheitern“.
In einer ersten Stellungnahme erklärte Mitaki vage, er werde dieses explosive Problem durch Dialog zu lösen versuchen. „Das Tribunal zu stoppen, ist heute keine libanesische Entscheidung mehr.“ Was er damit meint, blieb vorerst unklar. Wahrscheinlich wird das Tribunal seine Arbeit ohne libanesische Kooperation und ohne Konsequenzen fortsetzen.
Ungeachtet der Tatsache, dass sich Mitaki als Unabhängiger versteht, gewinnen Hisbollahs Verbündete Syrien und Iran zweifellos nun noch größeren Einfluss im Libanon. Doch ihrer Macht bleiben Grenzen gesetzt. Selbst Nasrallah versteht sich als libanesischer Nationalist und hat mehrmals bewiesen, dass er ungeachtet seiner Abhängigkeit von den äußeren Mächten deren Dominanz über den Levantestaat entschieden ablehnt.
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„Präjudiziert mich bitte nicht und nicht mein Verhalten.“ Eindringlich appellierte der Dienstag von der schiitischen Hisbollah gekürte libanesische Premierminister Najib Mikati an die internationale Gemeinschaft, ihn nicht einfach als Handlanger der im Westen als „Terrororganisation“ verdammten „Partei Gottes“ abzutun. Mikati bekräftigt energisch seine Unabhängigkeit, er sei ein „Mann des Konsenses“ und war tatsächlich auch gar nicht Hisbollahs erste Wahl gewesen. Auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah stellt Dienstag in einer Fernsehrede klar: „Wir fordern nicht den Staat oder die Regierung für uns.“ Hisbollah wolle den Libanon keineswegs allein regieren. Und in diesem Sinn streckt auch Mikati seine Hand zu allen politischen Gruppierungen aus. Die Bildung einer nationalen Einheitsregierung ist erstes Ziel. Nasrallah vollführt einen heiklen Balanceakt, in dem er versucht, die Kontrolle über Libanons Politik weiter auszubauen, dabei aber seine Gegner nicht zu stark provozieren darf, um die Kluft zwischen den Fraktionen nicht bedrohlich zu vertiefen.
Vorerst sind alle Optionen offen. Der bei seiner Bewerbung für eine zweite Amtsperiode unterlegene Ex-Premier Saad Hariri weigert sich zunächst entschieden, einer von Hisbollah kontrollierten Regierung beizutreten. Er könnte in Opposition gehen und Mikatis Leben entscheidend erschweren. Nach dem libanesischen Nationalpakt zur Aufteilung der Macht kann keine Regierung gebildet werden, in der nicht alle politischen Gruppierungen proportional zu ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sind. Beharrt Hariri mit seinem Block auf seinem „Nein“ zu Mikati, will der Premier nach eigener Aussage versuchen, ein Technokraten-Kabinett auf die Beine zu stellen. Erhält dies die Zustimmung der wichtigsten politischen Fraktionen, besitzt es durchaus Regierungschance. Der schiitische Parlamentssprecher sagte für einen solchen Fall bereits seine Unterstützung zu.
Mitaki ist ein enger Freund des syrischen Präsidenten Assad, unterhält zugleich aber auch gute Beziehungen zum saudischen Königshaus, das entschieden die Interessen Hariris und seiner sunnitischen Gemeinschaft im Libanon unterstützt. Der neue Premier und Milliardär gilt als gemäßigter Zentrist und Philantrop. Dass ihm Unabhängigkeit und Einheit des Libanons am Herzen liegt, bekräftigt er immer und immer wieder. Unabhängige politische Analysten werten ihn deshalb als Brückenbauer, der die Basis für Libanons Stabilität schaffen könne.
Seine erste große Herausforderung ist das Internationale Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Ex-Premier Rafik Hariri 2005. Bisher hat Mitaki keine klare Position in dieser Frage bezogen. Er wird sich jedoch schwer den Wünschen von Nasrallah, Syriens und Irans, widersetzen können, die die Zusammenarbeit mit dem Sondergericht in Den Hag stoppen wollen. Das Gericht wird in den kommenden Wochen erste Anklage – vermutlich gegen Hisbollah-Angehörige – erheben. Die Regierung, so fordert Nasrallah, solle auch die finanzielle Unterstützung des Tribunals einstellen. Denn dieses Gericht ziele darauf ab „den Widerstand (Hisbollah) zu vernichten, doch es wird dabei scheitern“.
In einer ersten Stellungnahme erklärte Mitaki vage, er werde dieses explosive Problem durch Dialog zu lösen versuchen. „Das Tribunal zu stoppen, ist heute keine libanesische Entscheidung mehr.“ Was er damit meint, blieb vorerst unklar. Wahrscheinlich wird das Tribunal seine Arbeit ohne libanesische Kooperation und ohne Konsequenzen fortsetzen.
Ungeachtet der Tatsache, dass sich Mitaki als Unabhängiger versteht, gewinnen Hisbollahs Verbündete Syrien und Iran zweifellos nun noch größeren Einfluss im Libanon. Doch ihrer Macht bleiben Grenzen gesetzt. Selbst Nasrallah versteht sich als libanesischer Nationalist und hat mehrmals bewiesen, dass er ungeachtet seiner Abhängigkeit von den äußeren Mächten deren Dominanz über den Levantestaat entschieden ablehnt.
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Dienstag, 25. Januar 2011
LIBANON: Hisbollah stärkt ihre Macht im Libanon
Schlauer Schachzug der „Partei Gottes“ vertieft die Kluft zwischen den Fraktionen im Levantestaat und könnte Israel bedrohlich provozieren
von Birgit Cerha
Kaum war einer der reichsten Männer des Mittleren Ostens, Najib Mikati, vom Parlament in Beirut zum neuen Premier gekürt, da verbrannten wütende Gegner in Beirut, Tripoli und Sidon schon seine Konterfeis. Doch der „Tag des Zornes“, zu dem der unterlegene Kandidat für das Amt des Regierungschefs, Saad Hariri, seine Anhänger für Dienstag gerufen hatte, konnte an der drastischen Verschiebung der Machtverhältnisse im Libanon nichts ändern. „Verrat“ brüllten Demonstranten, „das Blut der Sunniten kocht“ und sie bezichtigten die politischen Gegner unter Führung der schiitischen Hisbollah, einen „Putsch“ gegen Hariris (pro-westliche) Mehrheitsgruppierung inszeniert zu haben. Mustafa Alloush, enger Verbündeter des Ex-Premiers, versuchte mit mäßigem Erfolg, noch mehr Demonstranten auf die Straßen zu treiben, damit diese ihrem Widerstand gegen „persische Bevormundung“ bekundeten.
Wiewohl Mikati energisch seine politische Unabhängigkeit bekundete, ist er Hisbollahs Kandidat, der seinen Abstimmungssieg im Parlament dem Allianzwechsel des langjährigen Hariri-Verbündeten, Drusenführer Walid Dschumblatt, verdankt. Dschumblatt hatte sich entschlossen, ungeachtet langjähriger Animositäten gegen die Schiitenorganisation, Hisbollah zu unterstützen, weil er in einer Beendigung aller Beziehungen zum Internationalen Tribunal zur Aufklärung des Mordes von Ex-Premier Rafik Hariri 2005 die einzige Chance sieht, den Libanon vor einem erneuten Bürgerkrieg zu bewahren.
Es war die Weigerung Saad Hariris gewesen, die Kooperation mit dem Tribunal, das vor einer Woche erstmals Anklage gegen des Mordes Verdächtige erhoben hatte, einzustellen, die Hisbollah-Chef Nasrallah zum Auszug aus der Koalitionsregierung und damit zum Sturz Hariris bewogen hatte. Die Identität der Angeklagten wird erst in wenigen Wochen veröffentlicht, doch alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es sich um Hisbollah-Mitglieder handelt. Nasrallah weist jegliche Verwicklung in das Attentat entschieden zurück und betrachtet eine Anklage als schweren Imageschaden und von Israel, wie den USA inszeniertes Komplott, um seine Organisation zu vernichten.
Indem sich Hisbollah einen Verbündeten an der Spitze der Regierung sicherte, gelang es ihr, ihren steten Aufstieg von einer Widerstandsgruppe zu politischer Macht im Libanon zu krönen. Nach dem Krieg mit Israel 2006 hatte sie zwei Jahre später gewaltsam die Kontrolle über die Straßen Beiruts an sich gerissen. 81 Menschen waren dabei ums Leben gekommen und sie verärgerte mit derartig gefährlicher Militanz auch viele Anhänger. Deshalb und um den Libanon vor dem erneuten Ausbruch eines Bürgerkriegs zu bewahren, setzte Nasrallah verstärkt auf politische Manöver, um seine, wie die Interessen seiner syrischen und iranischen Verbündeten durchzusetzen.
Nun versucht sich Nasrallah, seinen Gegnern als verantwortungsbewusster Politiker zu präsentieren, vor allem auch durch die Wahl Mikatis. Dieser Ökonom und Absolvent der Harvard-Universität, der laut Forbes-Magazin durch sein gemeinsam mit seinem Bruder geführtes Business-Empire über ein Vermögen von 2,5 Mrd. Dollar verfügen soll, ist Sunnit, wie es der die Macht im Libanon regelnde Nationalpakt für das Amt des Premiers vorsieht. Er gilt als relativ neutrale Persönlichkeit, akzeptabel für die wichtigsten Regionalmächte, Syrien und Saudi-Arabien, wie auch Frankreich. Die USA hingegen zeigten sich beunruhigt über seine Bindungen an Hisbollah.
„Ich bin ein gemäßigter Mann, ein gemäßigter Politiker“, betonte Mikati Dienstag und bekräftigte seine politische Unabhängigkeit. „Ich habe es akzeptiert, Premierminister zu werden, nicht um Probleme zu schaffen, sondern um diese zu lösen.“ Ob er rasch Nasrallahs Wunsch erfüllen und alle Bindungen zum Tribunal abbrechen wird, ließ er vorerst offen.
Auch Hariri rief Dienstag seine Anhänger zur Besonnenheit auf, wohl bewusst, dass der Libanon erneut am Rande eines Bürgerkrieges steht. Dennoch lehnte er das Angebot Nasrallahs zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit ab, da er sich nicht der Dominanz von Hisbollah beugen wolle. Manche seiner Verbündeten, wie der Maronitenführer Samir Geagea, befürchten, dem Libanon werde nun ein „Schicksal wie jenes von Gaza“ drohen. US-Regierungsvertreter hätten nach einem Bericht von „Asharq al Awsat“ bereits mit der Einstellung der Finanzhilfe gedroht. Und schon wird in Beirut die Befürchtung laut, Hisbollahs Manöver spiele Israel in die Hände. Die Regierung Netanyahu suche nur nach einem Vorwand, um Rache an Hisbollah für ihre militärische Niederlage im Krieg 2006 zu üben.
Bild: Najib Mikati
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von Birgit Cerha
Kaum war einer der reichsten Männer des Mittleren Ostens, Najib Mikati, vom Parlament in Beirut zum neuen Premier gekürt, da verbrannten wütende Gegner in Beirut, Tripoli und Sidon schon seine Konterfeis. Doch der „Tag des Zornes“, zu dem der unterlegene Kandidat für das Amt des Regierungschefs, Saad Hariri, seine Anhänger für Dienstag gerufen hatte, konnte an der drastischen Verschiebung der Machtverhältnisse im Libanon nichts ändern. „Verrat“ brüllten Demonstranten, „das Blut der Sunniten kocht“ und sie bezichtigten die politischen Gegner unter Führung der schiitischen Hisbollah, einen „Putsch“ gegen Hariris (pro-westliche) Mehrheitsgruppierung inszeniert zu haben. Mustafa Alloush, enger Verbündeter des Ex-Premiers, versuchte mit mäßigem Erfolg, noch mehr Demonstranten auf die Straßen zu treiben, damit diese ihrem Widerstand gegen „persische Bevormundung“ bekundeten.
Wiewohl Mikati energisch seine politische Unabhängigkeit bekundete, ist er Hisbollahs Kandidat, der seinen Abstimmungssieg im Parlament dem Allianzwechsel des langjährigen Hariri-Verbündeten, Drusenführer Walid Dschumblatt, verdankt. Dschumblatt hatte sich entschlossen, ungeachtet langjähriger Animositäten gegen die Schiitenorganisation, Hisbollah zu unterstützen, weil er in einer Beendigung aller Beziehungen zum Internationalen Tribunal zur Aufklärung des Mordes von Ex-Premier Rafik Hariri 2005 die einzige Chance sieht, den Libanon vor einem erneuten Bürgerkrieg zu bewahren.
Es war die Weigerung Saad Hariris gewesen, die Kooperation mit dem Tribunal, das vor einer Woche erstmals Anklage gegen des Mordes Verdächtige erhoben hatte, einzustellen, die Hisbollah-Chef Nasrallah zum Auszug aus der Koalitionsregierung und damit zum Sturz Hariris bewogen hatte. Die Identität der Angeklagten wird erst in wenigen Wochen veröffentlicht, doch alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es sich um Hisbollah-Mitglieder handelt. Nasrallah weist jegliche Verwicklung in das Attentat entschieden zurück und betrachtet eine Anklage als schweren Imageschaden und von Israel, wie den USA inszeniertes Komplott, um seine Organisation zu vernichten.
Indem sich Hisbollah einen Verbündeten an der Spitze der Regierung sicherte, gelang es ihr, ihren steten Aufstieg von einer Widerstandsgruppe zu politischer Macht im Libanon zu krönen. Nach dem Krieg mit Israel 2006 hatte sie zwei Jahre später gewaltsam die Kontrolle über die Straßen Beiruts an sich gerissen. 81 Menschen waren dabei ums Leben gekommen und sie verärgerte mit derartig gefährlicher Militanz auch viele Anhänger. Deshalb und um den Libanon vor dem erneuten Ausbruch eines Bürgerkriegs zu bewahren, setzte Nasrallah verstärkt auf politische Manöver, um seine, wie die Interessen seiner syrischen und iranischen Verbündeten durchzusetzen.
Nun versucht sich Nasrallah, seinen Gegnern als verantwortungsbewusster Politiker zu präsentieren, vor allem auch durch die Wahl Mikatis. Dieser Ökonom und Absolvent der Harvard-Universität, der laut Forbes-Magazin durch sein gemeinsam mit seinem Bruder geführtes Business-Empire über ein Vermögen von 2,5 Mrd. Dollar verfügen soll, ist Sunnit, wie es der die Macht im Libanon regelnde Nationalpakt für das Amt des Premiers vorsieht. Er gilt als relativ neutrale Persönlichkeit, akzeptabel für die wichtigsten Regionalmächte, Syrien und Saudi-Arabien, wie auch Frankreich. Die USA hingegen zeigten sich beunruhigt über seine Bindungen an Hisbollah.
„Ich bin ein gemäßigter Mann, ein gemäßigter Politiker“, betonte Mikati Dienstag und bekräftigte seine politische Unabhängigkeit. „Ich habe es akzeptiert, Premierminister zu werden, nicht um Probleme zu schaffen, sondern um diese zu lösen.“ Ob er rasch Nasrallahs Wunsch erfüllen und alle Bindungen zum Tribunal abbrechen wird, ließ er vorerst offen.
Auch Hariri rief Dienstag seine Anhänger zur Besonnenheit auf, wohl bewusst, dass der Libanon erneut am Rande eines Bürgerkrieges steht. Dennoch lehnte er das Angebot Nasrallahs zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit ab, da er sich nicht der Dominanz von Hisbollah beugen wolle. Manche seiner Verbündeten, wie der Maronitenführer Samir Geagea, befürchten, dem Libanon werde nun ein „Schicksal wie jenes von Gaza“ drohen. US-Regierungsvertreter hätten nach einem Bericht von „Asharq al Awsat“ bereits mit der Einstellung der Finanzhilfe gedroht. Und schon wird in Beirut die Befürchtung laut, Hisbollahs Manöver spiele Israel in die Hände. Die Regierung Netanyahu suche nur nach einem Vorwand, um Rache an Hisbollah für ihre militärische Niederlage im Krieg 2006 zu üben.
Bild: Najib Mikati
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Donnerstag, 20. Januar 2011
TUNESIEN: Die tunesische Revolution vor ihrem zweiten Akt
von Dr. Arnold Hottinger
Die Ereignisse, die sich in Tunesien seit dem 17. Dezember 2010 abgespielt haben, sind am 17. Januar mit der Flucht des Staatschefs, Zeinuddin Ben Ali, zu einem ersten Resultat gekommen. Doch ein zweiter Akt schloss sich sofort an, bei dem es um das politische Erbe Ben Alis ging. Spitzenpolitiker, die unter ihm gedient hatten, bildeten eine Übergangsregierung, in der sie die führenden Positionen selbst besetzten und nur einigen der Politiker der eher zahmen Oppositionsparteien sekundäre Ministerien zuwiesen. Dies waren Parteien, die Ben Ali als Aushängeschilder seiner Scheindemokratie gedient hatten. Die Staatspartei Ben Alis blieb bisher bestehen, sie nannte sich RCD (für Rassemblement Constitutionel Démocratique) wohl weil sie weder konstitutionell noch demokratisch war und als Sammelbecken aller jener diente, die sich freiwillig oder gezwungener Massen mit dem Regime gut zu stellen versuchten. Fast ein Viertel aller Tunesier sollen bei ihr eingeschrieben gewesen sein.
Opposition gegen die Übergangsregierung
Doch die Übergangsregierung stiess schon am ersten Tag nach ihrer angekündigten Formation auf Ablehnung bei der tunesischen Gewerkschaftszentrale UGTT, die sich während der Demonstrationen mit der Bevölkerung solidarisch erklärt hatte, und auf ihren Wunsch hin verweigerten drei der ernannten "Oppositionsvertreter" ihre Beteiligung an der neuen Regierung. Ein vierter ernannter Minister, der Chef einer der kleineren geduldeten Oppositionsparteien, Mustafa Ben Jaafar, entschloss sich sein Amt als Gesundheitsminister ebenfalls nicht anzutreten.
Die echte Opposition gegen Ben Ali befand sich im Ausland, denn wer nicht mit dem Präsidenten hatte zusammenarbeiten wollen, war von ihm und seinen Schergen als terroristischer Umtriebe oder anderer Verbrechen verdächtig verfolgt, angeklagt und im Glücksfall zur Flucht aus dem Lande gezwungen worden.
Angeschlagene Glaubwürdigkeit
Dem Vernehmen nach diskutierten die neuen Minister in ihrer ersten Sitzung am 18. Januar die Frage, welche Personen der Opposition sie noch in die Regierung aufnehmen könnten, um ihre Glaubwürdigkeit zu verstärken. Doch darüber gebe es "tiefe Spaltungen" in der Regierung. Das gleiche Ziel vermehrter Glaubwürdigkeit dürften der gegenwärtige Ministerpräsident, ein alter Verbündeter Ben Alis und der gegenwärtige amtende Präsident, auch ein Politiker aus der Ben Ali Zeit, angestrebt haben, als sie erklärten, sie seien nun aus RCD ausgetreten.
Die Demonstrationen in Tunesien dauern an. Die Demonstranten fordern die Auflösung der Staatspartei und die Bildung einer Übergangsregierung, aus Vertretern der politischen Kräfte, die nicht durch Teilnahme am Regime Ben Alis kompromittiert sind. Den Versprechen der ersten Übergangsregierung von voller Pressefreiheit und Freiheit der "Bildung von Assoziationen", sowie echten Wahlen in sechs Monaten schenkten die grosse Masse der Demonstranten offenbar wenig Glauben. In der Tat bestand die Gefahr, dass derartige Zusagen nach Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, restriktiv interpretiert oder gar einfach zurückgenommen werden könnten. Eine Garantie, dass sie auch voll eingehalten würden, bestand nicht. Die Persönlichkeiten, welche die Versprechen abgaben, hatten 23 Jahre der Diktatur und des Polizeiregimes Ben Alis mitvollzogen und gefördert.
Ein Ringen um Ausgangspositionen
Mit der Ablehnung der ersten Übergangsregierung durch die Hauptmasse der Demonstranten begann der zweite Akt der tunesischen Revolution, wie er sich entwickeln und wohn er führen wird, ist nicht voraussehbar. Doch mag es von Nutzen sein, zu versuchen, die verschiedenen Strömungen nachzuzeichnen, die man gegenwärtig einigermassen erkennen kann, sowie ihre gegenseitiges Verhältniss, welches jedoch wenig gefestigt und Gegenstand von Verhandlungen ist, so dass es sich möglicherweise im Laufe der kommenden Tage und Wochen weiter verschieben könnte.
Wird die RCD überleben?
Die bisherigen staatlichen Kräfte, zusammengefasst in der RCD, sind noch nicht ausgeschaltet. Sie haben jedoch mit Ben Ali ihr Haupt und ihre eigentliche Führung verloren. Ihr Prestige in den Augen der Tunesier, das wohl nie sehr hoch war, ist gewaltig gesunken. Was man früher über ihre Untaten und Korruptionsaffären nur flüstern konnte, ist nun eine laut hervorgehobene und als angeblich völlig zutreffende Tatsache ins Tageslicht gerückt.
Doch die Inhaber vieler entscheidender amtlicher Stellungen, sowie die grosse Mehrzahl der Inhaber aller florierenden Geschäfte und Besitzer von grossen Vermögen im ganzen Lande sind Leute, die von dieser Partei in ihre heutigen Positionen eingesetzt wurden und die in sehr vielen Fällen ihre wirtschaftlichen Positionen der Zusammenarbeit mit dem zahlreichen Angehörigen der Ersten Familie des Landes verdanken. Sie stehen nun alle vor der Wahl: wollen und können sie ein Regime bekämpfen, das einen echten Neuanfang unter demokratischen Vorzeichen in Gang zu bringen versucht, oder sollen sie versuchen sich ihm anzuschliessen. Die Positionen die ein jeder einnehmen wird, dürften zur Hauptsache davon abhängen, wie weit er sich als mit dem vergangenen Regime verbunden und daher den Sanktionen des kommenden ausgesetzt glaubt, oder wie weit er sich umgekehrt in der Lage sieht, seine Vergangenheit "reinzuwaschen".
Provokationsversuche der bisherigen Geheimdienste
Die am schwersten kompromittierte Gruppe der Regime Anhänger, respektive Verteidiger, hat offenbar ihre Wahl schnell getroffen. Die Polizeikräfte, die am direktesten mit der oft blutigen und grausamen Niederhaltung der Oppositionskäfte verbunden waren, die breit ausgebaute politische Geheimpolizei, hat sofort nach der Flucht ihres obersten Herren versucht, durch Provokationen Unruhe und Unsicherheit im Lande zu schaffen, zweifellos in der Hoffnung, Tunesien "unregierbar" zu machen und dann möglicherweise aus dem Chaos als rettende Ordnungsmacht zu erstehen. So dürften die Automobile ohne Erkennungszeichen zu interpretieren sein, die am 16. und 17. Januar mit bewaffneten Insassen durch die Strassen von Tunis fuhren und wahllos auf die Massen der Fussgänger und Demonstranten das Feuer eröffneten. Auch die Kämpfe, zwischen Armee und Bewaffneten, die sich im Präsidentenpalast ausserhalb der Hauptstadt in der Nacht des 15. abspielten, sowie die Festnahme des Leiters der Geheimpolizei, des Generals Seriaty an der libyschen Grenze, offenbar durch die Armee, und seine in Anklage Stellung wegen vermuteter Anstiftung zu Unruhen, gehören in diesen Zusammenhang.
Die Armee zwischen Demonstranten und staatlicher Ordnung
Die Armee hat sich offenbar gegen diese Unruhestifter gestellt. Einige Heckenschützen, die von den Dächern beim Innenministerium aus in die Strassen zu schiessen suchten, wurden ebenfalls von der Armee ausgeschaltet.
Die Armee hat sich bisher nie explizit über ihre Stellung innerhalb des tunesischen Ringens geäussert. Doch es scheint, dass sie eher der Bevölkerung und damit auch den Demonstranten zuneigt als der Ben Ali Regierung und ihren Überresten. In Tunesien war es nie die Armee, welche die politische Überwachung und Niederhaltung der Bevölkerung ausübte, sondern die Polizei. In den meisten arabischen Ländern sind es die Geheimdienste der Armee, welche diese düsteren Aufgaben wahrnehmen.
Es wurde nie offiziell bekannt gegeben, doch viele Anzeichen dafür waren sichtbar geworden, dass die Armee sich weigerte, den Anweisungen Ben Alis Folge zu leisten und gegen die Demonstranten vorzugehen. Diese Weigerung scheint schliesslich der Anlass zur Flucht Ben Alis geworden zu sein. Der Generalstabschef, General Rachid Ammar, gilt als der Mann, der Ben Ali am Ende zu seiner Flucht nach dem Ausland zwang, indem er sich weigerte, die Armee gegen die tunesische Bevölkerung einzusetzen. Er wird von vielen Tunesiern als ein Held angesehen.
Doch wie weit die Armee sich den Weisungen der ersten Übergangsregierung fügen will und wie lange, wenn die Demonstrationen andauern, ist heute ungewiss. Gegenüber den Demonstranten versuchen die Armeeangehörigen diese zu beruhigen Doch gegen sie vorzugehen, überlassen sie eher der Polizei. Diese gebraucht zur Zeit Tränengas und Wasserstrahlen. Sie scheint nicht mehr, wie zur Zeit Ben Alis, scharf zu schiessen. So lange die gegenwärtige Übergangsregierung bestehen bleibt, untersteht die Polizei offiziell dem Innenminister Friaa. Er gehört zu den Leuten der RCD und wurde von Ben Ali am 12. Januar eingesetzt, nachdem der Staatschef sich entschlossen hatte, seinen bisherigen Innenminister, Rafik Belhaj Kacem, zu entlassen. Kacem ist inzwischen verhaftet worden. Auf ihm dürfte die Verantwortung für die grösste Zahl der 78 während den Unruhen erschossenen Demonstranten lasten, abgesehen von vielen anderen Untaten, welche die Schergen des Regimes zur Zeit seiner Führung des Innenministeriums begingen.
Die Armee untersteht offiziell dem neuen Verteidigungsminister, Redha Grira, der ebenfalls zu den alten Mitarbeitern Ben Alis gehört.
Die Oppositionsfront der Demonstranten
Die Demonstranten waren ursprünglich eher unpolitische junge Leute, die sich trotz ihrer abgeschlossenen Schul- und in manchen Fällen Hochschulausbildung der Aussichtslosigkeit ausgesetzt sahen, da sie keine Arbeit finden konnten und darüber hinaus unter dem starken Anwachsen der Lebensmittelpreise zu leiden hatten. Der Auslöser der Demonstrationen, die sich sehr rasch über das ganze Land verbreitet hatten, war einer von ihnen gewesen, Mohamed Bouazizi, der sich im Flecken Sidi Bouzid im besonders vernachlässigten Inneren Tunesiens selbst verbrannte, nachdem er versucht hatte, als fahrender Gemüsehändler sein Brot zu verdienen und die Polizei ihn sogar daran gehindert hatte, indem sie ihm seine Ware beschlagnahmte unter dem Vorwand, er besässe keine Erlaubnis zum Strassenhandel.
Unvermeidliche Politisierung der Demonstranten
Doch als sich abzeichnete, dass die Demonstrationen sich immer weiter ausbreiteten und trotz der blutigen Repression die viel wohlhabenderen Küstenstädte erreichten, dürften sich auch politisch engagierte Personen aus den verschiedenen von Ben Ali verbotenen und unter Grund getriebenen Organisationen hinter die Demonstranten gestellt haben. Ebenso schloss sich die wichtigste Gewerkschaftszentrale des Landes, die UGTT, ihrer Bewegung an und organisierte ihrerseits ebenfalls grosse Strassenaufzüge von scharfen Gegnern des Regimes, die sein Ende forderten.
Zur Zeit sieht es so aus, als ob sich nur wenige dieser protestierenden Kräfte mit dem ersten Übergangsregime zu arrangieren gedächten und die grosse Mehrzahl versuchte, ihre Poteste fortzusetzen. Noch sind Kompromisse denkbar. Die Übergangsregierung müsste sich soweit umformen, dass sie mehr Vertrauen bei den Demonstranten fände, und diese müssten sich mit einer Übergangsregierung abfinden, die einige der Elemente aus der Zeit Ben Alis enthielte. Die Notwendigkeit, erfahrene Politiker in der Regierung zu haben, welche die Räderwerke der Verwaltung kennen, würde für eine solche Kompromisslösung sprechen. Doch die Umformung der Regierung müsste wohl auch zur Teilnahme von genügend Leuten der Opposition in genügend wichtigen Positionen führen, dass die Demokratie- und Liberalisierungsversprechen von der aufgebrachten Strasse als sichere Zusagen aufgefasst werden könnten.
Die Heimkehr Moncef Marzoukis
Einer der wichtigeren Vertreter der von Ben Ali ins Ausland getriebenen Opposition ist bereits aus Paris in Tunis eingetroffen und wurde von seinen Anhängern jubelnd am Fluhafen empfangen. Er ist Dr. Moncef Marzouki, ein bekannter Arzt und leidenschaftlicher Politiker, der unter Ben Ali mehrmals in Gefängisse gesteckt wurde, weil er laut für Menschenrechte, für die Unabhängigkeit der Richter und für freie Wahlen eintrat. Seine theoretisch noch immer "verbotene" Partei heisst RPD (Rassemblement pour la Démocratie). Von Paris aus hatte er scharf gegen die Übergangsregierung protestiert und ihre Hauptminister als Verbrecher bezeichnet. Kein gutes Vorzeichen für Kompromissbereitschaft.
Kommt der Islam wieder zum Zuge?
Ein anderer wichtiger Politiker der verbotenen Opposition ist Rachid Ghannouchi, ein strenger Muslim, den man jedoch nicht wirklich als "Islamisten" bezeichnen kann, obwohl dies regelmässig geschieht. Dies weil er nicht für einen Schari'a Staat eintritt sondern für eine "Islamische Demokratie". Wie der Islam mit einer echten Demokratie zu vereinigen sei, ist seit Jahren Gegenstand seiner politischen und theologischen Schriften.
Rachid Ghannuchi wurde im letzten Jahr der Herrschaft Bourguibas zum Tode verurteilt, wahrscheinlich auf Grund von durch Folter erlangten "Zeugenaussagen". Doch als Ben Ali 1987 Bourguiba in einem "konstitutionellen Staatsstreich" absetzte und ihn regierungsunfähig erklären liess, entliess er Ghannouchi aus dem Gefängnis und erlaubte ihm ins Ausland zu reisen. Er lebt heute in London. Sein Namensvetter, Mohammed Ghannouchi, der Ministerpräsident der Übergangsregierung, hat erklärt, der Islam Politiker könne erst heimkehren, wenn sein Todesurteil durch eine Amnestie aufgehoben sei. Man kann daher annehmen, dass ihn Ben Ali seinerzeit zwar entliess, das gegen ihn ausgesprochene Urteil jedoch nicht rückgängig machte.
Wie gross seine Anhängerschaft in Tunesien heute noch ist, kann niemand genau wissen. Immerhin ist bekannt, dass ein Vertreter seiner eigentlich verbotenen Partei, die "an-Nahda" (Renaissance) heisst, namens Hamid Jabali, mit der Übergangsregierung verhandelt hat. Wenn es in Tunesien zu lange andauernden Wirren kommt, dürfte der Einfluss der Islamisten wachsen. Denn in Zeiten der Wirren und Unsicherheit pflegen die islamischen Bevölkerungen Zuflucht bei der Sicherheit eines streng verstandenen Islams zu suchen.
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Die Ereignisse, die sich in Tunesien seit dem 17. Dezember 2010 abgespielt haben, sind am 17. Januar mit der Flucht des Staatschefs, Zeinuddin Ben Ali, zu einem ersten Resultat gekommen. Doch ein zweiter Akt schloss sich sofort an, bei dem es um das politische Erbe Ben Alis ging. Spitzenpolitiker, die unter ihm gedient hatten, bildeten eine Übergangsregierung, in der sie die führenden Positionen selbst besetzten und nur einigen der Politiker der eher zahmen Oppositionsparteien sekundäre Ministerien zuwiesen. Dies waren Parteien, die Ben Ali als Aushängeschilder seiner Scheindemokratie gedient hatten. Die Staatspartei Ben Alis blieb bisher bestehen, sie nannte sich RCD (für Rassemblement Constitutionel Démocratique) wohl weil sie weder konstitutionell noch demokratisch war und als Sammelbecken aller jener diente, die sich freiwillig oder gezwungener Massen mit dem Regime gut zu stellen versuchten. Fast ein Viertel aller Tunesier sollen bei ihr eingeschrieben gewesen sein.
Opposition gegen die Übergangsregierung
Doch die Übergangsregierung stiess schon am ersten Tag nach ihrer angekündigten Formation auf Ablehnung bei der tunesischen Gewerkschaftszentrale UGTT, die sich während der Demonstrationen mit der Bevölkerung solidarisch erklärt hatte, und auf ihren Wunsch hin verweigerten drei der ernannten "Oppositionsvertreter" ihre Beteiligung an der neuen Regierung. Ein vierter ernannter Minister, der Chef einer der kleineren geduldeten Oppositionsparteien, Mustafa Ben Jaafar, entschloss sich sein Amt als Gesundheitsminister ebenfalls nicht anzutreten.
Die echte Opposition gegen Ben Ali befand sich im Ausland, denn wer nicht mit dem Präsidenten hatte zusammenarbeiten wollen, war von ihm und seinen Schergen als terroristischer Umtriebe oder anderer Verbrechen verdächtig verfolgt, angeklagt und im Glücksfall zur Flucht aus dem Lande gezwungen worden.
Angeschlagene Glaubwürdigkeit
Dem Vernehmen nach diskutierten die neuen Minister in ihrer ersten Sitzung am 18. Januar die Frage, welche Personen der Opposition sie noch in die Regierung aufnehmen könnten, um ihre Glaubwürdigkeit zu verstärken. Doch darüber gebe es "tiefe Spaltungen" in der Regierung. Das gleiche Ziel vermehrter Glaubwürdigkeit dürften der gegenwärtige Ministerpräsident, ein alter Verbündeter Ben Alis und der gegenwärtige amtende Präsident, auch ein Politiker aus der Ben Ali Zeit, angestrebt haben, als sie erklärten, sie seien nun aus RCD ausgetreten.
Die Demonstrationen in Tunesien dauern an. Die Demonstranten fordern die Auflösung der Staatspartei und die Bildung einer Übergangsregierung, aus Vertretern der politischen Kräfte, die nicht durch Teilnahme am Regime Ben Alis kompromittiert sind. Den Versprechen der ersten Übergangsregierung von voller Pressefreiheit und Freiheit der "Bildung von Assoziationen", sowie echten Wahlen in sechs Monaten schenkten die grosse Masse der Demonstranten offenbar wenig Glauben. In der Tat bestand die Gefahr, dass derartige Zusagen nach Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, restriktiv interpretiert oder gar einfach zurückgenommen werden könnten. Eine Garantie, dass sie auch voll eingehalten würden, bestand nicht. Die Persönlichkeiten, welche die Versprechen abgaben, hatten 23 Jahre der Diktatur und des Polizeiregimes Ben Alis mitvollzogen und gefördert.
Ein Ringen um Ausgangspositionen
Mit der Ablehnung der ersten Übergangsregierung durch die Hauptmasse der Demonstranten begann der zweite Akt der tunesischen Revolution, wie er sich entwickeln und wohn er führen wird, ist nicht voraussehbar. Doch mag es von Nutzen sein, zu versuchen, die verschiedenen Strömungen nachzuzeichnen, die man gegenwärtig einigermassen erkennen kann, sowie ihre gegenseitiges Verhältniss, welches jedoch wenig gefestigt und Gegenstand von Verhandlungen ist, so dass es sich möglicherweise im Laufe der kommenden Tage und Wochen weiter verschieben könnte.
Wird die RCD überleben?
Die bisherigen staatlichen Kräfte, zusammengefasst in der RCD, sind noch nicht ausgeschaltet. Sie haben jedoch mit Ben Ali ihr Haupt und ihre eigentliche Führung verloren. Ihr Prestige in den Augen der Tunesier, das wohl nie sehr hoch war, ist gewaltig gesunken. Was man früher über ihre Untaten und Korruptionsaffären nur flüstern konnte, ist nun eine laut hervorgehobene und als angeblich völlig zutreffende Tatsache ins Tageslicht gerückt.
Doch die Inhaber vieler entscheidender amtlicher Stellungen, sowie die grosse Mehrzahl der Inhaber aller florierenden Geschäfte und Besitzer von grossen Vermögen im ganzen Lande sind Leute, die von dieser Partei in ihre heutigen Positionen eingesetzt wurden und die in sehr vielen Fällen ihre wirtschaftlichen Positionen der Zusammenarbeit mit dem zahlreichen Angehörigen der Ersten Familie des Landes verdanken. Sie stehen nun alle vor der Wahl: wollen und können sie ein Regime bekämpfen, das einen echten Neuanfang unter demokratischen Vorzeichen in Gang zu bringen versucht, oder sollen sie versuchen sich ihm anzuschliessen. Die Positionen die ein jeder einnehmen wird, dürften zur Hauptsache davon abhängen, wie weit er sich als mit dem vergangenen Regime verbunden und daher den Sanktionen des kommenden ausgesetzt glaubt, oder wie weit er sich umgekehrt in der Lage sieht, seine Vergangenheit "reinzuwaschen".
Provokationsversuche der bisherigen Geheimdienste
Die am schwersten kompromittierte Gruppe der Regime Anhänger, respektive Verteidiger, hat offenbar ihre Wahl schnell getroffen. Die Polizeikräfte, die am direktesten mit der oft blutigen und grausamen Niederhaltung der Oppositionskäfte verbunden waren, die breit ausgebaute politische Geheimpolizei, hat sofort nach der Flucht ihres obersten Herren versucht, durch Provokationen Unruhe und Unsicherheit im Lande zu schaffen, zweifellos in der Hoffnung, Tunesien "unregierbar" zu machen und dann möglicherweise aus dem Chaos als rettende Ordnungsmacht zu erstehen. So dürften die Automobile ohne Erkennungszeichen zu interpretieren sein, die am 16. und 17. Januar mit bewaffneten Insassen durch die Strassen von Tunis fuhren und wahllos auf die Massen der Fussgänger und Demonstranten das Feuer eröffneten. Auch die Kämpfe, zwischen Armee und Bewaffneten, die sich im Präsidentenpalast ausserhalb der Hauptstadt in der Nacht des 15. abspielten, sowie die Festnahme des Leiters der Geheimpolizei, des Generals Seriaty an der libyschen Grenze, offenbar durch die Armee, und seine in Anklage Stellung wegen vermuteter Anstiftung zu Unruhen, gehören in diesen Zusammenhang.
Die Armee zwischen Demonstranten und staatlicher Ordnung
Die Armee hat sich offenbar gegen diese Unruhestifter gestellt. Einige Heckenschützen, die von den Dächern beim Innenministerium aus in die Strassen zu schiessen suchten, wurden ebenfalls von der Armee ausgeschaltet.
Die Armee hat sich bisher nie explizit über ihre Stellung innerhalb des tunesischen Ringens geäussert. Doch es scheint, dass sie eher der Bevölkerung und damit auch den Demonstranten zuneigt als der Ben Ali Regierung und ihren Überresten. In Tunesien war es nie die Armee, welche die politische Überwachung und Niederhaltung der Bevölkerung ausübte, sondern die Polizei. In den meisten arabischen Ländern sind es die Geheimdienste der Armee, welche diese düsteren Aufgaben wahrnehmen.
Es wurde nie offiziell bekannt gegeben, doch viele Anzeichen dafür waren sichtbar geworden, dass die Armee sich weigerte, den Anweisungen Ben Alis Folge zu leisten und gegen die Demonstranten vorzugehen. Diese Weigerung scheint schliesslich der Anlass zur Flucht Ben Alis geworden zu sein. Der Generalstabschef, General Rachid Ammar, gilt als der Mann, der Ben Ali am Ende zu seiner Flucht nach dem Ausland zwang, indem er sich weigerte, die Armee gegen die tunesische Bevölkerung einzusetzen. Er wird von vielen Tunesiern als ein Held angesehen.
Doch wie weit die Armee sich den Weisungen der ersten Übergangsregierung fügen will und wie lange, wenn die Demonstrationen andauern, ist heute ungewiss. Gegenüber den Demonstranten versuchen die Armeeangehörigen diese zu beruhigen Doch gegen sie vorzugehen, überlassen sie eher der Polizei. Diese gebraucht zur Zeit Tränengas und Wasserstrahlen. Sie scheint nicht mehr, wie zur Zeit Ben Alis, scharf zu schiessen. So lange die gegenwärtige Übergangsregierung bestehen bleibt, untersteht die Polizei offiziell dem Innenminister Friaa. Er gehört zu den Leuten der RCD und wurde von Ben Ali am 12. Januar eingesetzt, nachdem der Staatschef sich entschlossen hatte, seinen bisherigen Innenminister, Rafik Belhaj Kacem, zu entlassen. Kacem ist inzwischen verhaftet worden. Auf ihm dürfte die Verantwortung für die grösste Zahl der 78 während den Unruhen erschossenen Demonstranten lasten, abgesehen von vielen anderen Untaten, welche die Schergen des Regimes zur Zeit seiner Führung des Innenministeriums begingen.
Die Armee untersteht offiziell dem neuen Verteidigungsminister, Redha Grira, der ebenfalls zu den alten Mitarbeitern Ben Alis gehört.
Die Oppositionsfront der Demonstranten
Die Demonstranten waren ursprünglich eher unpolitische junge Leute, die sich trotz ihrer abgeschlossenen Schul- und in manchen Fällen Hochschulausbildung der Aussichtslosigkeit ausgesetzt sahen, da sie keine Arbeit finden konnten und darüber hinaus unter dem starken Anwachsen der Lebensmittelpreise zu leiden hatten. Der Auslöser der Demonstrationen, die sich sehr rasch über das ganze Land verbreitet hatten, war einer von ihnen gewesen, Mohamed Bouazizi, der sich im Flecken Sidi Bouzid im besonders vernachlässigten Inneren Tunesiens selbst verbrannte, nachdem er versucht hatte, als fahrender Gemüsehändler sein Brot zu verdienen und die Polizei ihn sogar daran gehindert hatte, indem sie ihm seine Ware beschlagnahmte unter dem Vorwand, er besässe keine Erlaubnis zum Strassenhandel.
Unvermeidliche Politisierung der Demonstranten
Doch als sich abzeichnete, dass die Demonstrationen sich immer weiter ausbreiteten und trotz der blutigen Repression die viel wohlhabenderen Küstenstädte erreichten, dürften sich auch politisch engagierte Personen aus den verschiedenen von Ben Ali verbotenen und unter Grund getriebenen Organisationen hinter die Demonstranten gestellt haben. Ebenso schloss sich die wichtigste Gewerkschaftszentrale des Landes, die UGTT, ihrer Bewegung an und organisierte ihrerseits ebenfalls grosse Strassenaufzüge von scharfen Gegnern des Regimes, die sein Ende forderten.
Zur Zeit sieht es so aus, als ob sich nur wenige dieser protestierenden Kräfte mit dem ersten Übergangsregime zu arrangieren gedächten und die grosse Mehrzahl versuchte, ihre Poteste fortzusetzen. Noch sind Kompromisse denkbar. Die Übergangsregierung müsste sich soweit umformen, dass sie mehr Vertrauen bei den Demonstranten fände, und diese müssten sich mit einer Übergangsregierung abfinden, die einige der Elemente aus der Zeit Ben Alis enthielte. Die Notwendigkeit, erfahrene Politiker in der Regierung zu haben, welche die Räderwerke der Verwaltung kennen, würde für eine solche Kompromisslösung sprechen. Doch die Umformung der Regierung müsste wohl auch zur Teilnahme von genügend Leuten der Opposition in genügend wichtigen Positionen führen, dass die Demokratie- und Liberalisierungsversprechen von der aufgebrachten Strasse als sichere Zusagen aufgefasst werden könnten.
Die Heimkehr Moncef Marzoukis
Einer der wichtigeren Vertreter der von Ben Ali ins Ausland getriebenen Opposition ist bereits aus Paris in Tunis eingetroffen und wurde von seinen Anhängern jubelnd am Fluhafen empfangen. Er ist Dr. Moncef Marzouki, ein bekannter Arzt und leidenschaftlicher Politiker, der unter Ben Ali mehrmals in Gefängisse gesteckt wurde, weil er laut für Menschenrechte, für die Unabhängigkeit der Richter und für freie Wahlen eintrat. Seine theoretisch noch immer "verbotene" Partei heisst RPD (Rassemblement pour la Démocratie). Von Paris aus hatte er scharf gegen die Übergangsregierung protestiert und ihre Hauptminister als Verbrecher bezeichnet. Kein gutes Vorzeichen für Kompromissbereitschaft.
Kommt der Islam wieder zum Zuge?
Ein anderer wichtiger Politiker der verbotenen Opposition ist Rachid Ghannouchi, ein strenger Muslim, den man jedoch nicht wirklich als "Islamisten" bezeichnen kann, obwohl dies regelmässig geschieht. Dies weil er nicht für einen Schari'a Staat eintritt sondern für eine "Islamische Demokratie". Wie der Islam mit einer echten Demokratie zu vereinigen sei, ist seit Jahren Gegenstand seiner politischen und theologischen Schriften.
Rachid Ghannuchi wurde im letzten Jahr der Herrschaft Bourguibas zum Tode verurteilt, wahrscheinlich auf Grund von durch Folter erlangten "Zeugenaussagen". Doch als Ben Ali 1987 Bourguiba in einem "konstitutionellen Staatsstreich" absetzte und ihn regierungsunfähig erklären liess, entliess er Ghannouchi aus dem Gefängnis und erlaubte ihm ins Ausland zu reisen. Er lebt heute in London. Sein Namensvetter, Mohammed Ghannouchi, der Ministerpräsident der Übergangsregierung, hat erklärt, der Islam Politiker könne erst heimkehren, wenn sein Todesurteil durch eine Amnestie aufgehoben sei. Man kann daher annehmen, dass ihn Ben Ali seinerzeit zwar entliess, das gegen ihn ausgesprochene Urteil jedoch nicht rückgängig machte.
Wie gross seine Anhängerschaft in Tunesien heute noch ist, kann niemand genau wissen. Immerhin ist bekannt, dass ein Vertreter seiner eigentlich verbotenen Partei, die "an-Nahda" (Renaissance) heisst, namens Hamid Jabali, mit der Übergangsregierung verhandelt hat. Wenn es in Tunesien zu lange andauernden Wirren kommt, dürfte der Einfluss der Islamisten wachsen. Denn in Zeiten der Wirren und Unsicherheit pflegen die islamischen Bevölkerungen Zuflucht bei der Sicherheit eines streng verstandenen Islams zu suchen.
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Mittwoch, 19. Januar 2011
ÄGYPTEN: „Nehmt euch in Acht vor unserem Zorn und unserem Hunger“
Wie der Funke der tunesischen „Jasmin-Revolution“ in andere Teile der arabischen Welt überschlägt – Despoten erzittern und Verzweifelte schöpfen unerwartete Hoffnung
von Birgit Cerha
„Staaten zerfallen (der Sudan), Menschen erheben sich…. und arabische Bürger fragen: Können die arabischen Regime diesen Herausforderungen dynamisch begegnen….können sie die humanitären Nöte ihrer Bürger lindern?“ Kuwaits Außenminister Mohammed al-Sabah war es vorbehalten, beim Arabischen Wirtschaftsgipfel im ägyptischen Sharm el Sheikh solch alarmierende Frage zu stellen. Sie illustriert eindrucksvoll, wie tief die Autokraten der arabischen Welt der abrupte Sturz eines der ihren in Tunesien ins Mark getroffen hat. Seither versuchen die staatlich gelenkten Medien Ängste der herrschenden Elite zu zerstreuen. Tunesien sei ein Einzelfall, Parallelen etwa in Ägypten oder anderswo gäbe es keine, die (despotische) Stabilität bliebe im gesamten arabischen Raum gewahrt.„Staaten zerfallen (der Sudan), Menschen erheben sich…. und arabische Bürger fragen: Können die arabischen Regime diesen Herausforderungen dynamisch begegnen….können sie die humanitären Nöte ihrer Bürger lindern?“ Kuwaits Außenminister Mohammed al-Sabah war es vorbehalten, beim Arabischen Wirtschaftsgipfel im ägyptischen Sharm el Sheikh solch alarmierende Frage zu stellen. Sie illustriert eindrucksvoll, wie tief die Autokraten der arabischen Welt der abrupte Sturz eines der ihren in Tunesien ins Mark getroffen hat. Seither versuchen die staatlich gelenkten Medien Ängste der herrschenden Elite zu zerstreuen. Tunesien sei ein Einzelfall, Parallelen etwa in Ägypten oder anderswo gäbe es keine, die (despotische) Stabilität bliebe im gesamten arabischen Raum gewahrt.
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von Birgit Cerha
„Staaten zerfallen (der Sudan), Menschen erheben sich…. und arabische Bürger fragen: Können die arabischen Regime diesen Herausforderungen dynamisch begegnen….können sie die humanitären Nöte ihrer Bürger lindern?“ Kuwaits Außenminister Mohammed al-Sabah war es vorbehalten, beim Arabischen Wirtschaftsgipfel im ägyptischen Sharm el Sheikh solch alarmierende Frage zu stellen. Sie illustriert eindrucksvoll, wie tief die Autokraten der arabischen Welt der abrupte Sturz eines der ihren in Tunesien ins Mark getroffen hat. Seither versuchen die staatlich gelenkten Medien Ängste der herrschenden Elite zu zerstreuen. Tunesien sei ein Einzelfall, Parallelen etwa in Ägypten oder anderswo gäbe es keine, die (despotische) Stabilität bliebe im gesamten arabischen Raum gewahrt.„Staaten zerfallen (der Sudan), Menschen erheben sich…. und arabische Bürger fragen: Können die arabischen Regime diesen Herausforderungen dynamisch begegnen….können sie die humanitären Nöte ihrer Bürger lindern?“ Kuwaits Außenminister Mohammed al-Sabah war es vorbehalten, beim Arabischen Wirtschaftsgipfel im ägyptischen Sharm el Sheikh solch alarmierende Frage zu stellen. Sie illustriert eindrucksvoll, wie tief die Autokraten der arabischen Welt der abrupte Sturz eines der ihren in Tunesien ins Mark getroffen hat. Seither versuchen die staatlich gelenkten Medien Ängste der herrschenden Elite zu zerstreuen. Tunesien sei ein Einzelfall, Parallelen etwa in Ägypten oder anderswo gäbe es keine, die (despotische) Stabilität bliebe im gesamten arabischen Raum gewahrt.
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Freitag, 14. Januar 2011
IRAN: Irans „gescheiterte „Geste des guten Willens“
Großmächte lehnen Besichtigung von Atomanlagen ab – Wenig Hoffnung auf Fortschritte bei der nächsten Runde der Nuklear-Verhandlungen in der Türkei
von Birgit Cerha
Es sollte eine Demonstration ernsthafter Kooperationsbereitschaft mit der Weltgemeinschaft im Streit um das iranische Atomprogramm und eine Geste des guten Willens werden. Doch die großen internationalen Mächte nahmen sie nicht an. Wenn die Iraner am Wochenende ausgesuchten Diplomaten Atomanlagen zur Besichtigung öffnen, um damit nach den Worten eines außenpolitischen Sprechers in Teheran die „Transparenz“ ihres Atomprogramms zu dokumentieren, wird nur eine kleine Schar von Vertretern arabischer und blockfreier Staaten und einiger anderer Freunde der „Islamischen Republik“ der Einladung folgen. Die USA waren nicht geladen, die EU lehnte ab und zuletzt verweigerte sich auch ein zögerndes China, das ungeachtet seiner Unterstützung verschärfter internationaler Sanktionen weiterhin kommerzielle Bindungen mit dem Iran aufrecht erhält.. Die Russen, wie Peking unter massivem Druck der USA, wiesen die Einladung zwar nicht offiziell zurück, bezeichneten sie als bemerkenswert, betonten jedoch zugleich, dass dies regelmäßige Inspektionen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) nicht ersetze.
Der Iran, so heißt es in Teheran, wird heute, Samstag und Sonntag die geladenen Diplomaten nach Natanz und Bushehr führen. Der Anlage in Natanz, die der die Iraner mit der Anreicherung von Uran begonnen haben, gilt seit langem die Sorge internationaler Inspektoren, während das mit russischer Technologie fertiggestellte Bushehr als weniger gefährlich gilt, da die Anlage unter internationalen Sicherheitsgarantien läuft. Nicht auf dem Programm steht allerdings der Besuch einer Anlage in der Nähe der Heiligen Stadt Qom, deren Existenz die Obama-Administration Ende 2009 gelüftet hatte und die – da lange geheimgehalten – in den Augen westlicher Regierungen Irans zwielichtige Ambitionen symbolisert.
Westliche Regierungen und unabhängige Experten halten das Besichtigungsangebot ein diplomatisches Manöver des längst berüchtigten iranischen Stils. Es solle die internationale anti-iranische Koalition zerreissen und eine von den USA betriebene weitere Verschärfung der bereits schmerzenden Sanktionen abwenden. Insbesondere Russen und Chinesen haben beträchtliche kommerzielle und technologische Interessen im Iran und erfüllen die UN-Sanktionsbeschlüsse schon jetzt nur halbherzig.
Teheran legte großen Wert, die Besichtigung seiner Anlagen vor Beginn der für den 21. und 22. Januar geplanten nächsten Atomverhandlungen mit den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats – USA, Frankreich, Großbritannien, China und Russland – sowie Deutschland (den “5+1“) in der Türkei durchzuführen, in der Hoffnung wohl, das Verhandlungeklima zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Diese Strategie ist nun wohl gescheitert.
Nach 14-monatiger Unterbrechung hatten sich die „5+1“ Anfang Dezember mit dem Iran in Genf wieder an den Verhandlungstisch gesetzt, um einen Ausweg aus dem bedrohlich festgefahrenen Atomkonflikt zu suchen. Die Atmosphäre der zweitägigen Gespräche war nach Aussagen von Diplomaten „frostig“. Amerikaner und Iraner vermieden direkte Kontakte außerhalb des Verhandlungsraums. Teheran weigerte sich in Genf ausdrücklich, über die Forderung des Weltsicherheitsrats nach Einfrierung der Uran-Anreicherung auch nur zu sprechen, eine Position, die der iranische Atomunterhändler Jalili auch weiterhin bekräftigt, bestärkt von Präsident Ahmadinedschad, der das „Atomdossier“ als „geschlossene Akte“ klassifiziert.
Doch, wie meist, dringt Widersprüchliches aus dem „Gottesstaat“. Irans IAEA-Botschafter Ali Asgar Soltanieh warnt den Westen, die Istanbuler Gespräche könnten seine „letzte Chance“ sein, da der Iran in diesem Jahr erstmals seinen eigenen Nuklearbrennstoff für den Forschungsreaktor in Teheran herstellen werde. Eine Rückkehr an den Verhandlungstisch sei dann nicht mehr möglich, sollten die Istanbuler Gespräche scheitern.
Irans amtierender Außenminister und Chef der Atombehörde des Landes, Ali Akbar Salehi hingegen schlägt nun einen milderen Ton an, bekräftigt die Bereitschaft, in Istanbul Vertrauen aufzubauen. „Wir werden jeden logischen Vorschlag der anderen Seite begrüßen“. Salehi ist ein Pragmatiker, der im Gegensatz zum ausgeschiedenen Außenminister Mottaki nicht zu Ahmadinedschads konservativen Rivalen zählt und vermutlich die Suche des Präsidenten nach einem Kompromiss in der Atomfrage unterstützt.
Zugleich aber weist Salehi entschieden jüngste Behauptungen amerikanischer Geheimdienste zurück, das iranische Atomprogramm sei durch diverse internationale Aktionen (Sanktionen, Computer Viren, die angeblich das Kontrollsystem der Uran-Anreicherunganlagen lahm legten und die Ermordung von Atomexperten) stark eingebremst worden. Der Iran, so Salehi, sei vielmehr nun in der Lage, erstmals eigene Kernbrennstoff-Platten und –Stäbe zu produzieren. Die Politik des Westens habe die iranische Nukleartechnologie sogar angespornt.
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von Birgit Cerha
Es sollte eine Demonstration ernsthafter Kooperationsbereitschaft mit der Weltgemeinschaft im Streit um das iranische Atomprogramm und eine Geste des guten Willens werden. Doch die großen internationalen Mächte nahmen sie nicht an. Wenn die Iraner am Wochenende ausgesuchten Diplomaten Atomanlagen zur Besichtigung öffnen, um damit nach den Worten eines außenpolitischen Sprechers in Teheran die „Transparenz“ ihres Atomprogramms zu dokumentieren, wird nur eine kleine Schar von Vertretern arabischer und blockfreier Staaten und einiger anderer Freunde der „Islamischen Republik“ der Einladung folgen. Die USA waren nicht geladen, die EU lehnte ab und zuletzt verweigerte sich auch ein zögerndes China, das ungeachtet seiner Unterstützung verschärfter internationaler Sanktionen weiterhin kommerzielle Bindungen mit dem Iran aufrecht erhält.. Die Russen, wie Peking unter massivem Druck der USA, wiesen die Einladung zwar nicht offiziell zurück, bezeichneten sie als bemerkenswert, betonten jedoch zugleich, dass dies regelmäßige Inspektionen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) nicht ersetze.
Der Iran, so heißt es in Teheran, wird heute, Samstag und Sonntag die geladenen Diplomaten nach Natanz und Bushehr führen. Der Anlage in Natanz, die der die Iraner mit der Anreicherung von Uran begonnen haben, gilt seit langem die Sorge internationaler Inspektoren, während das mit russischer Technologie fertiggestellte Bushehr als weniger gefährlich gilt, da die Anlage unter internationalen Sicherheitsgarantien läuft. Nicht auf dem Programm steht allerdings der Besuch einer Anlage in der Nähe der Heiligen Stadt Qom, deren Existenz die Obama-Administration Ende 2009 gelüftet hatte und die – da lange geheimgehalten – in den Augen westlicher Regierungen Irans zwielichtige Ambitionen symbolisert.
Westliche Regierungen und unabhängige Experten halten das Besichtigungsangebot ein diplomatisches Manöver des längst berüchtigten iranischen Stils. Es solle die internationale anti-iranische Koalition zerreissen und eine von den USA betriebene weitere Verschärfung der bereits schmerzenden Sanktionen abwenden. Insbesondere Russen und Chinesen haben beträchtliche kommerzielle und technologische Interessen im Iran und erfüllen die UN-Sanktionsbeschlüsse schon jetzt nur halbherzig.
Teheran legte großen Wert, die Besichtigung seiner Anlagen vor Beginn der für den 21. und 22. Januar geplanten nächsten Atomverhandlungen mit den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats – USA, Frankreich, Großbritannien, China und Russland – sowie Deutschland (den “5+1“) in der Türkei durchzuführen, in der Hoffnung wohl, das Verhandlungeklima zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Diese Strategie ist nun wohl gescheitert.
Nach 14-monatiger Unterbrechung hatten sich die „5+1“ Anfang Dezember mit dem Iran in Genf wieder an den Verhandlungstisch gesetzt, um einen Ausweg aus dem bedrohlich festgefahrenen Atomkonflikt zu suchen. Die Atmosphäre der zweitägigen Gespräche war nach Aussagen von Diplomaten „frostig“. Amerikaner und Iraner vermieden direkte Kontakte außerhalb des Verhandlungsraums. Teheran weigerte sich in Genf ausdrücklich, über die Forderung des Weltsicherheitsrats nach Einfrierung der Uran-Anreicherung auch nur zu sprechen, eine Position, die der iranische Atomunterhändler Jalili auch weiterhin bekräftigt, bestärkt von Präsident Ahmadinedschad, der das „Atomdossier“ als „geschlossene Akte“ klassifiziert.
Doch, wie meist, dringt Widersprüchliches aus dem „Gottesstaat“. Irans IAEA-Botschafter Ali Asgar Soltanieh warnt den Westen, die Istanbuler Gespräche könnten seine „letzte Chance“ sein, da der Iran in diesem Jahr erstmals seinen eigenen Nuklearbrennstoff für den Forschungsreaktor in Teheran herstellen werde. Eine Rückkehr an den Verhandlungstisch sei dann nicht mehr möglich, sollten die Istanbuler Gespräche scheitern.
Irans amtierender Außenminister und Chef der Atombehörde des Landes, Ali Akbar Salehi hingegen schlägt nun einen milderen Ton an, bekräftigt die Bereitschaft, in Istanbul Vertrauen aufzubauen. „Wir werden jeden logischen Vorschlag der anderen Seite begrüßen“. Salehi ist ein Pragmatiker, der im Gegensatz zum ausgeschiedenen Außenminister Mottaki nicht zu Ahmadinedschads konservativen Rivalen zählt und vermutlich die Suche des Präsidenten nach einem Kompromiss in der Atomfrage unterstützt.
Zugleich aber weist Salehi entschieden jüngste Behauptungen amerikanischer Geheimdienste zurück, das iranische Atomprogramm sei durch diverse internationale Aktionen (Sanktionen, Computer Viren, die angeblich das Kontrollsystem der Uran-Anreicherunganlagen lahm legten und die Ermordung von Atomexperten) stark eingebremst worden. Der Iran, so Salehi, sei vielmehr nun in der Lage, erstmals eigene Kernbrennstoff-Platten und –Stäbe zu produzieren. Die Politik des Westens habe die iranische Nukleartechnologie sogar angespornt.
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Mittwoch, 12. Januar 2011
ÄGYPTEN: “Für ein liebevolles Miteinander”
Wie sich die wichtigste Stätte islamischer Gelehrsamkeit, die Al-Azhar Universität in Kairo, für ein besseres gegenseitiges Verständnis der Kulturen engagiert
Den „Kampf der Kulturen“ halten Gelehrte der altehrwürdigen Al-Azhar Universität in Kairo für eine „Erfindung des Westens“. Der Islam, so lautet ihre Botschaft, stehe vielmehr „für ein liebevolles Miteinander“. Al-Azhar gilt bis heute als die wichtigste Stätte islamisch-sunnitischer Gelehrsamkeit. Ihre Fetwas, islamische Rechtsgutachten, finden höchste Beachtung unter Muslimen weltweit. Sie besitzt höchste Autorität. Dass sich Al-Azhar für Verständigung und Dialog der Kulturen engagiert, wird im Westen meist übersehen. Wir wollen deshalb unseren Ifamo-Lesern einen Bericht über eine bemerkenswerte Entwicklung an dieser Universität nicht vorenthalten, den ein Student der islamischen Rechtsfakultät geschrieben hat:
-------------
Al-Azhar’s English course is a window to the world
by Mohamed El Sayed
Mohamed El Sayed, a student in the Faculty of Sharia and Law at Al-Azhar University, explains how an English-language training centre at his university has become a gateway for Westerners and Arabs to eliminate common misconceptions about one another.
Cairo - Last year when I joined the English-language centre at Al-Azhar University in Cairo, I thought it was just that – a centre for teaching English. As a student, I didn't expect it would be my window to the world. In the Qur’an, God says: "O mankind! Lo! We have created you from male and female, and have made you nations and tribes that ye may know one another" (Qur’an 49:13). This verse encourages Muslims to become familiar with people of other faiths, and this is the philosophy espoused by the Muslim students at Al-Azhar University.
Al-Azhar’s Dr. Ahmed al-Tayeb, the Grand Imam of the university, has taken many steps to help Al-Azhar’s students interact with people of different cultures and religions. Al-Tayeb initiated the Al-Azhar English Training Centre (AAETC), a joint project between the British Council in Egypt and the university, to teach English to its top theology students.
At meetings with our British teachers at the centre, we have come to discuss many topics that I never expected to even touch upon with non-Muslims, or even non-Egyptians.
In these once-a-month meetings, the participants choose a topic, read about it and then discuss it from Muslim and Western perspectives. For example, we recently held a dialogue about the theory of evolution and the idea that the world created itself through a series of mutations. Although some say that Islam, like Christianity, teaches the theory of intelligent design, there were many differing opinions among the group. And throughout our conversation we listened to what others had to say, respectful of beliefs that were different from our own.
In other sessions we select global problems, like abuse of the environment, and suggest practical solutions. Frankly, the topic on environment was far less controversial than the theory of evolution because at least we all agreed that it was being abused!
At one of our meetings we were introduced to Rose Aylette, a teacher at the British Council, who had written a dissertation – a comparative study on early Christian and contemporary Islamic martyrs. In our discussion of her paper, we explained to the non-Muslims present the real meaning of jihad (struggle) and shahid (martyr). This is an important distinction, given that many Westerners have misconceptions about physical jihad in Islam. For example, some think it's murder, a “holy war” allowed in Islam, when in fact this is not what Islam puts emphasis on. The physical jihad, as understood in Islam, is a legitimate defensive war in which the killing of civilians, women, children, farmers, workers, nuns and monks is prohibited, as is the cutting down of trees or destroying houses.
We Muslims consider suicide bombers who intend to kill civilians to be criminals, not martyrs.
We have also met with other influential figures from Britain and the United States, such as Faisal Abdul Rauf, founder of the Cordoba Initiative, an organisation dedicated to building trust between different religious communities and cultures. In these meetings we discussed the many stereotypes we hold about the West. For example, we previously thought that Muslims in Western countries were barred from practicing their religion. However, after engaging in dialogue, we now understand that many Westerners consider Muslims an integral part of their communities, and that they have the right to express their beliefs and to practice their religion freely.
We also created two online networks, one of which is exclusively for students and teachers. We use it to connect with one another, discussing topics of relevance between those in the Muslim world and those in the West.
The second online forum is a general network for students affiliated with the centre and people anywhere outside the university (www.Alazharnewgeneration.ning.com). Through this particular network and open discussions on this website, we are trying to build bridges between Muslims in the Arab world and Westerners, sharing with them our beliefs that the real Islam is a religion of peace and tolerance.
Through both the AAETC and these networks, I have made many friends with British, American and Dutch Muslims, as well as with many non-Muslims. It is through these friendships that I am able to clarify any misunderstandings they may have about Islam and Muslims while also rethinking my own stereotypes and misconceptions about the West.
------
* Mohamed El Sayed is a student in the Faculty of Sharia and Law at Al-Azhar University. This article was written for the Common Ground News Service (CGNews).
Source: Common Ground News Service (CGNews), 11 January 2011, www.commongroundnews.org
Copyright permission is granted for publication.
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Den „Kampf der Kulturen“ halten Gelehrte der altehrwürdigen Al-Azhar Universität in Kairo für eine „Erfindung des Westens“. Der Islam, so lautet ihre Botschaft, stehe vielmehr „für ein liebevolles Miteinander“. Al-Azhar gilt bis heute als die wichtigste Stätte islamisch-sunnitischer Gelehrsamkeit. Ihre Fetwas, islamische Rechtsgutachten, finden höchste Beachtung unter Muslimen weltweit. Sie besitzt höchste Autorität. Dass sich Al-Azhar für Verständigung und Dialog der Kulturen engagiert, wird im Westen meist übersehen. Wir wollen deshalb unseren Ifamo-Lesern einen Bericht über eine bemerkenswerte Entwicklung an dieser Universität nicht vorenthalten, den ein Student der islamischen Rechtsfakultät geschrieben hat:
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Al-Azhar’s English course is a window to the world
by Mohamed El Sayed
Mohamed El Sayed, a student in the Faculty of Sharia and Law at Al-Azhar University, explains how an English-language training centre at his university has become a gateway for Westerners and Arabs to eliminate common misconceptions about one another.
Cairo - Last year when I joined the English-language centre at Al-Azhar University in Cairo, I thought it was just that – a centre for teaching English. As a student, I didn't expect it would be my window to the world. In the Qur’an, God says: "O mankind! Lo! We have created you from male and female, and have made you nations and tribes that ye may know one another" (Qur’an 49:13). This verse encourages Muslims to become familiar with people of other faiths, and this is the philosophy espoused by the Muslim students at Al-Azhar University.
Al-Azhar’s Dr. Ahmed al-Tayeb, the Grand Imam of the university, has taken many steps to help Al-Azhar’s students interact with people of different cultures and religions. Al-Tayeb initiated the Al-Azhar English Training Centre (AAETC), a joint project between the British Council in Egypt and the university, to teach English to its top theology students.
At meetings with our British teachers at the centre, we have come to discuss many topics that I never expected to even touch upon with non-Muslims, or even non-Egyptians.
In these once-a-month meetings, the participants choose a topic, read about it and then discuss it from Muslim and Western perspectives. For example, we recently held a dialogue about the theory of evolution and the idea that the world created itself through a series of mutations. Although some say that Islam, like Christianity, teaches the theory of intelligent design, there were many differing opinions among the group. And throughout our conversation we listened to what others had to say, respectful of beliefs that were different from our own.
In other sessions we select global problems, like abuse of the environment, and suggest practical solutions. Frankly, the topic on environment was far less controversial than the theory of evolution because at least we all agreed that it was being abused!
At one of our meetings we were introduced to Rose Aylette, a teacher at the British Council, who had written a dissertation – a comparative study on early Christian and contemporary Islamic martyrs. In our discussion of her paper, we explained to the non-Muslims present the real meaning of jihad (struggle) and shahid (martyr). This is an important distinction, given that many Westerners have misconceptions about physical jihad in Islam. For example, some think it's murder, a “holy war” allowed in Islam, when in fact this is not what Islam puts emphasis on. The physical jihad, as understood in Islam, is a legitimate defensive war in which the killing of civilians, women, children, farmers, workers, nuns and monks is prohibited, as is the cutting down of trees or destroying houses.
We Muslims consider suicide bombers who intend to kill civilians to be criminals, not martyrs.
We have also met with other influential figures from Britain and the United States, such as Faisal Abdul Rauf, founder of the Cordoba Initiative, an organisation dedicated to building trust between different religious communities and cultures. In these meetings we discussed the many stereotypes we hold about the West. For example, we previously thought that Muslims in Western countries were barred from practicing their religion. However, after engaging in dialogue, we now understand that many Westerners consider Muslims an integral part of their communities, and that they have the right to express their beliefs and to practice their religion freely.
We also created two online networks, one of which is exclusively for students and teachers. We use it to connect with one another, discussing topics of relevance between those in the Muslim world and those in the West.
The second online forum is a general network for students affiliated with the centre and people anywhere outside the university (www.Alazharnewgeneration.ning.com). Through this particular network and open discussions on this website, we are trying to build bridges between Muslims in the Arab world and Westerners, sharing with them our beliefs that the real Islam is a religion of peace and tolerance.
Through both the AAETC and these networks, I have made many friends with British, American and Dutch Muslims, as well as with many non-Muslims. It is through these friendships that I am able to clarify any misunderstandings they may have about Islam and Muslims while also rethinking my own stereotypes and misconceptions about the West.
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* Mohamed El Sayed is a student in the Faculty of Sharia and Law at Al-Azhar University. This article was written for the Common Ground News Service (CGNews).
Source: Common Ground News Service (CGNews), 11 January 2011, www.commongroundnews.org
Copyright permission is granted for publication.
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Sonntag, 9. Januar 2011
IRAK: Moktada al-Sadrs triumphale Heimkehr
Der anti-amerikanische Schiitengeistliche präsentiert sich seiner unverändert großen Anhängerschar als gereifter Politiker auf dem Weg zur Macht im Irak
von Birgit Cerha
Ist sein rebellischer Geist staatsmännischer Besonnenheit und spiritueller Weisheit gewichen? Rein äußerlich erscheint Moktada al-Sadr, jüngster Sohn des von den Schergen des irakischen Diktators Saddam Hussein 1999 ermordeten, unter den Schiiten hochverehrten Ayatollahs Mohammed Sadiq al-Sadr, nach fast vierjährigem freiwilligen Exil im Iran gereift. Weiße Strähnen durchziehen den üppigen schwarzen Bart des Geistlichen, dessen Alter der Öffentlichkeit bis heute verborgen bleibt, bei Mitte bis Ende 30 liegen dürfte. Zehntausende seiner Anhänger bereiteten Moktada in der heiligen Stadt der Schiiten, Nadschaf, einen begeisterten Empfang und bewiesen damit, dass seine Abwesenheit Sadrs Popularität und der Begeisterungsfähigkeit seiner Anhänger keinen Abbruch getan hat.
Auch die feurige Rhetorik hat Sadr nicht verloren. „Wir sind immer noch Kämpfer. Wir leisten Widerstand, wir widerstehen der (US-)Okkupation“, rief der Heimkehrer seinem Fußvolk zu. Doch zugleich mahnte er zur Versöhnung: „Was immer zwischen Brüdern geschah, das geschah. Aber wir müssen dieses Kapitel vergessen und für immer abschließen.“ Und auch mit Blick auf die anhaltenden Morde und Attentate insbesondere auch gegen Christen im Irak appellierte Sadr an seine Anhänger „niemals mehr ihre Hände gegen“ andere Iraker zu erheben. Zudem betonte er, das Waffentragen stünde nur „den Männern der Waffen“, also den staatlichen Sicherheitskräften zu, was vielen Hoffnung gibt, er werde seine gefürchtete Mehdi-Miliz nicht wieder neu beleben.
Sadrs Heimkehr stoßt auf Befriedigung unter jenen Irakern, die darin ein klares Zeichen politischer Mäßigung, wachsender Toleranz zwischen feindseligen Bevölkerungsgruppen in dem so lange von Bürgerkrieg gequälten Irak zu erkennen hoffen, den Beginn einer politischen Stabilisierung. Doch insbesondere unter der arabisch-sunnitischen Minderheit, die Sadrs schwarz gekleidete Mörderbanden zu tausenden getötet, gequält und vor allem aus Teilen Bagdads verjagt hatten, erwachen neue Ängste vor einer verstärkten politischen Polarisierung, und wieder mehr Gewalt.
Moktada Sadr, bis zum Sturz Saddam Husseins der Außenwelt völlig unbekannt, hatte sich schon in der frühen Phase der US-Besatzung 2003 durch seinen feurigen irakischen Nationalismus, gemischt mit dem Aufbau eines effizienten Sozialsystems für die Masse der armen Schiiten eine große Anhängerschar geschaffen. Doch die von ihm aufgebaute Mehdi-Miliz entglitt zunehmend seiner Kontrolle und zog mordend und plündernd insbesondere durch arabisch-sunnitische Stadtvierteln. Mit US-Militärhilfe fügte die neuaufgebaute irakische Armee unter dem Befehl Premier Malikis 2007 Mehdi-Armee in Basra, Nassiriya und Bagdad empfindliche Niederlagen zu. Sadr blieb nichts anderes übrig, als die Auflösung seiner Milizen zu verkünden. Zuvor hatte er aus Protest gegen Malikis Weigerung, von den Amerikanern einen klaren Zeitplan für deren Abzug aus dem Irak zu fordern, die Unterstützung der Regierung zurückgezogen und den Premier empfindlich geschwächt. Von den irakischen Behörden, wie den Amerikaner drohte ihm im Zusammenhang mit der Ermordung eines klerikalen Rivalen, Abdul Majid al-Khoei, 2003 die Verhaftung. So zog sich Sadr in den Iran zurück, um seine theologischen Studien mit dem Ziel fortzusetzen, in den Rang des Ayatollah aufzusteigen und sich damit schließlich religiöse, wie auch politische Macht im Irak zu sichern. Nach Aussagen iranischer Theologen hat er diese Studien noch nicht beendet.
Im Iran dürfte Sadr aber stark unter den Einfluß radikaler, mit Präsident Ahmadiendschad verbündeter Geistlicher geraten sein. Nur so lässt sich erklären, dass Sadr im Oktober offensichtlichem iranischem Drängen nachgab und seinem Erzfeind Maliki eine zweite Regierungsperiode ermöglichte. Die Unterstützung seiner 30 Abgeordneten ließ sich der Geistliche teuer bezahlen: Hunderte seiner gewalttätigen Anhänger wurden aus den Gefängnissen entlassen und sein Block, der dank eindrucksvoller Effizienz und Disziplin bei den Parlamentswahlen im Vorjahr zur zweitstärksten Schiitengruppierung aufgestiegen war, eroberte sieben Sitze in der Regierung. Dass die Regierungsarbeit zwischen den beiden Erzrivalen harmonisch verlaufen werde, wagt unterdessen kaum jemand zu hoffen. Größtes Konflikpotential birgt die Präsenz der US-Truppen, derzeit rund 50.000, die bis Ende 2011 abziehen sollen. Viele irakische, wie amerikanische Politiker erwägen jedoch eine Verlängerung zumindest für einige Einheiten, die den noch nicht ausreichend ausgebildeten Irakern bei der Überwachung der Grenzen und des Luftraumes beistehen sollen. Sadr gibt sich entschlossen, dies mit allen Mitteln – vielleicht auch Gewalt – zu verhindern. „Wir werden den Boden unter den Füßen der Amerikanern zum Schwanken bringen, wenn sie nicht abziehen“, warnt ein Anhänger des Geistlichen. Ein erneuter Auszug Sadrs aus der Regierung würde den Sturz des machtbesessenen Premiers bedeuten.
Was viele Iraker nun auch quält ist die Frage, ob Sadr die Intoleranz in der irakischen Gesellschaft neu beleben und wieder zu den Methoden der Gewalt zurückkehren wird. Dann würde sich der grauenvolle Teufelskreis erneut schließen.
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von Birgit Cerha
Ist sein rebellischer Geist staatsmännischer Besonnenheit und spiritueller Weisheit gewichen? Rein äußerlich erscheint Moktada al-Sadr, jüngster Sohn des von den Schergen des irakischen Diktators Saddam Hussein 1999 ermordeten, unter den Schiiten hochverehrten Ayatollahs Mohammed Sadiq al-Sadr, nach fast vierjährigem freiwilligen Exil im Iran gereift. Weiße Strähnen durchziehen den üppigen schwarzen Bart des Geistlichen, dessen Alter der Öffentlichkeit bis heute verborgen bleibt, bei Mitte bis Ende 30 liegen dürfte. Zehntausende seiner Anhänger bereiteten Moktada in der heiligen Stadt der Schiiten, Nadschaf, einen begeisterten Empfang und bewiesen damit, dass seine Abwesenheit Sadrs Popularität und der Begeisterungsfähigkeit seiner Anhänger keinen Abbruch getan hat.
Auch die feurige Rhetorik hat Sadr nicht verloren. „Wir sind immer noch Kämpfer. Wir leisten Widerstand, wir widerstehen der (US-)Okkupation“, rief der Heimkehrer seinem Fußvolk zu. Doch zugleich mahnte er zur Versöhnung: „Was immer zwischen Brüdern geschah, das geschah. Aber wir müssen dieses Kapitel vergessen und für immer abschließen.“ Und auch mit Blick auf die anhaltenden Morde und Attentate insbesondere auch gegen Christen im Irak appellierte Sadr an seine Anhänger „niemals mehr ihre Hände gegen“ andere Iraker zu erheben. Zudem betonte er, das Waffentragen stünde nur „den Männern der Waffen“, also den staatlichen Sicherheitskräften zu, was vielen Hoffnung gibt, er werde seine gefürchtete Mehdi-Miliz nicht wieder neu beleben.
Sadrs Heimkehr stoßt auf Befriedigung unter jenen Irakern, die darin ein klares Zeichen politischer Mäßigung, wachsender Toleranz zwischen feindseligen Bevölkerungsgruppen in dem so lange von Bürgerkrieg gequälten Irak zu erkennen hoffen, den Beginn einer politischen Stabilisierung. Doch insbesondere unter der arabisch-sunnitischen Minderheit, die Sadrs schwarz gekleidete Mörderbanden zu tausenden getötet, gequält und vor allem aus Teilen Bagdads verjagt hatten, erwachen neue Ängste vor einer verstärkten politischen Polarisierung, und wieder mehr Gewalt.
Moktada Sadr, bis zum Sturz Saddam Husseins der Außenwelt völlig unbekannt, hatte sich schon in der frühen Phase der US-Besatzung 2003 durch seinen feurigen irakischen Nationalismus, gemischt mit dem Aufbau eines effizienten Sozialsystems für die Masse der armen Schiiten eine große Anhängerschar geschaffen. Doch die von ihm aufgebaute Mehdi-Miliz entglitt zunehmend seiner Kontrolle und zog mordend und plündernd insbesondere durch arabisch-sunnitische Stadtvierteln. Mit US-Militärhilfe fügte die neuaufgebaute irakische Armee unter dem Befehl Premier Malikis 2007 Mehdi-Armee in Basra, Nassiriya und Bagdad empfindliche Niederlagen zu. Sadr blieb nichts anderes übrig, als die Auflösung seiner Milizen zu verkünden. Zuvor hatte er aus Protest gegen Malikis Weigerung, von den Amerikanern einen klaren Zeitplan für deren Abzug aus dem Irak zu fordern, die Unterstützung der Regierung zurückgezogen und den Premier empfindlich geschwächt. Von den irakischen Behörden, wie den Amerikaner drohte ihm im Zusammenhang mit der Ermordung eines klerikalen Rivalen, Abdul Majid al-Khoei, 2003 die Verhaftung. So zog sich Sadr in den Iran zurück, um seine theologischen Studien mit dem Ziel fortzusetzen, in den Rang des Ayatollah aufzusteigen und sich damit schließlich religiöse, wie auch politische Macht im Irak zu sichern. Nach Aussagen iranischer Theologen hat er diese Studien noch nicht beendet.
Im Iran dürfte Sadr aber stark unter den Einfluß radikaler, mit Präsident Ahmadiendschad verbündeter Geistlicher geraten sein. Nur so lässt sich erklären, dass Sadr im Oktober offensichtlichem iranischem Drängen nachgab und seinem Erzfeind Maliki eine zweite Regierungsperiode ermöglichte. Die Unterstützung seiner 30 Abgeordneten ließ sich der Geistliche teuer bezahlen: Hunderte seiner gewalttätigen Anhänger wurden aus den Gefängnissen entlassen und sein Block, der dank eindrucksvoller Effizienz und Disziplin bei den Parlamentswahlen im Vorjahr zur zweitstärksten Schiitengruppierung aufgestiegen war, eroberte sieben Sitze in der Regierung. Dass die Regierungsarbeit zwischen den beiden Erzrivalen harmonisch verlaufen werde, wagt unterdessen kaum jemand zu hoffen. Größtes Konflikpotential birgt die Präsenz der US-Truppen, derzeit rund 50.000, die bis Ende 2011 abziehen sollen. Viele irakische, wie amerikanische Politiker erwägen jedoch eine Verlängerung zumindest für einige Einheiten, die den noch nicht ausreichend ausgebildeten Irakern bei der Überwachung der Grenzen und des Luftraumes beistehen sollen. Sadr gibt sich entschlossen, dies mit allen Mitteln – vielleicht auch Gewalt – zu verhindern. „Wir werden den Boden unter den Füßen der Amerikanern zum Schwanken bringen, wenn sie nicht abziehen“, warnt ein Anhänger des Geistlichen. Ein erneuter Auszug Sadrs aus der Regierung würde den Sturz des machtbesessenen Premiers bedeuten.
Was viele Iraker nun auch quält ist die Frage, ob Sadr die Intoleranz in der irakischen Gesellschaft neu beleben und wieder zu den Methoden der Gewalt zurückkehren wird. Dann würde sich der grauenvolle Teufelskreis erneut schließen.
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Dienstag, 4. Januar 2011
ÄGYPTEN: Ägyptische Muslime klagen an
Solidaritätsbezeugungen mit den bedrängten Kopten und scharfe Kritik am Regime, das seit Jahrzehnten radikalem islamistischem Gedankengut die Tore öffnete
von Birgit Cerha
Das Blutbad vor einer koptischen Kirche in Alexandria hat die Ägypter aus ihrer selbstgefälligen Lethargie gerissen. Der tiefe Schock, der die Menschen erfasst hat, spiegelt sich seit Tagen in den Medien und er rüttelte Muslime und Kopten zu zahlreichen Initiativen auf, die der wachsenden Kluft zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen entgegenwirken soll. Politiker, Menschenrechtsaktivisten, Intellektuelle, Künstler und Blogger überstürzen einander mit Solidaritätsbezeugungen mit der bedrängten Minderheit. So verkündete die muslimische Jugendgruppe der regierenden „Nationalen Demokratisch en Partei“ (NDP) ihre Teilnahme an der koptischen Weihnachtsmette in der Nacht auf den 7. Januar. Zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter führende Mitglieder der Moslembruderschaft und des Schura-Rates (des ägyptischen Oberhauses), berühmte Schauspieler und Geschäftsleute sagten bereits demonstrativ ihre Teilnahme an den religiösen Feiern der koptischen Christen zu. Die liberale „Wafd-Partei“ rief den Weihnachtstag zum „Tag der nationalen Einheit“ aus. Muslime und Christen müssten gemeinsam den Terror bekämpfen.
Zahlreiche islamische Gruppierungen des Landes, darunter auch die Moslembrüder, verurteilen seit Tagen den Terrorakt in schärfsten Worten. Sie rufen alle Ägypter auf, angesichts dieser Attacke gegen ihre Heimat zusammen zu stehen. Zugleich aber werden die kritischen Stimmen immer lauter, jene, die nicht mehr der vom autokratischen Herrscher Hosni Mubarak vorgegebenen Linie folgen, die nicht einfach „ausländische“ Missetäter, wie etwa Al-Kaida, für die Katastrophe verantwortlich machen, sondern das Regime und die Gesellschaft auffordern, die tieferliegenden Ursachen aufzudecken. „Es reicht keineswegs, dass muslimische Geistliche christliche Priester umarmen und abküssen“, schreibt die liberale „Al-Wafd“. „Die eigentliche Schlacht, die wir nun schlagen müssen, richtet sich gegen die Spannungen (in der Gesellschaft) provozierende Umwelt“, meint auch Ahmad al-Sawi in der Tageszeitung „Al-Masry al-Youm“. Und die Schar jener wächst, die nach einem echten Dialog zwischen den Muslimen und den Kopten rufen, um endlich die Minderheit von ihren wachsenden Frustrationen – politische, ökonomische und soziale Diskriminierung - zu befreien.
Der Schock des Blutbades von Alexandria provoziert eine bemerkenswerte Gewissenserforschung, die so manche tiefe Wunden heilen und noch Schlimmeres verhüten könnte. Unter den Selbstreflexionen sticht vor allem ein Kommentar Hani Shukrallahs in der Online-Ausgabe der angesehenen „Al-Ahram“ hervor. „Ich klage an“, betitelt der Autor seinen Gedankenfluss. „Gute Absichten und Heuchelei (gemeint ist nun immer wieder bekräftigte „ewige Einheit“ zwischen Kopten und ägyptischen Muslimen) werden das nächste Massaker nicht verhindern. Wir können dies nur durch scharfe Selbstkritik und starke Entschlossenheit all das Hässliche in unserer Mitte zu bekämpfen.“ Shukrallah sieht nicht in den „blutrünstigen Kriminellen“ der al-Kaida oder deren Gesinnungsgenossen die Hauptgefahr für Ägyptens christliche Minderheit. „Ich klage die Regierung an, die meint, sie könne die Islamisten (politisch) überflügeln, indem sie sie (durch Förderung radikalen islamischen Gedankenguts) überbietet.“ Parlamentsabgeordnete, zahlreiche nationale und lokale Behörden und Institutionen trügen dafür die Verantwortung. Sie stärkten den fundamentalistischen „Salafi“-Trend, um die gemäßigte Massenbewegung der Moslembrüder zu schwächen. In diesen Kreisen würden auch immer wieder „bigotte anti-koptische Gefühle“ artikuliert, „offenbar, um von den gravierenden Problemen des Landes“ abzulenken.
Hochemotional wendet sich Shukrallah aber auch gegen „die Millionen der angeblich moderaten Muslime in unserer Gesellschaft, die sich immer mehr im Strudel von Vorurteilen und Engstirnigkeit“ verfingen, die sich in Zorn erheben, um den Bau eines muslimischen Zentrums nahe von „Ground Zero“ in New York zu verhindern, zugleich der ägyptischen Polizei applaudieren, wenn diese den Bau einer Stiege in einer koptischen Kirche verhindert. „Ich beschuldige euch alle, wegen eurer bigotten Blindheit“, der krassen Doppelmoral. Shukrallah verschont auch die liberalen Intellektuellen – Christen wie Muslime – nicht, die zu all diesen Missständen schwiegen, weil sie „die Massen“ nicht verärgern wollten. Die Ägypter müssten endlich Rückgrat zeigen und entschlossen das Schicksal ihrer Nation in die Hand nehmen.
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von Birgit Cerha
Das Blutbad vor einer koptischen Kirche in Alexandria hat die Ägypter aus ihrer selbstgefälligen Lethargie gerissen. Der tiefe Schock, der die Menschen erfasst hat, spiegelt sich seit Tagen in den Medien und er rüttelte Muslime und Kopten zu zahlreichen Initiativen auf, die der wachsenden Kluft zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen entgegenwirken soll. Politiker, Menschenrechtsaktivisten, Intellektuelle, Künstler und Blogger überstürzen einander mit Solidaritätsbezeugungen mit der bedrängten Minderheit. So verkündete die muslimische Jugendgruppe der regierenden „Nationalen Demokratisch en Partei“ (NDP) ihre Teilnahme an der koptischen Weihnachtsmette in der Nacht auf den 7. Januar. Zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter führende Mitglieder der Moslembruderschaft und des Schura-Rates (des ägyptischen Oberhauses), berühmte Schauspieler und Geschäftsleute sagten bereits demonstrativ ihre Teilnahme an den religiösen Feiern der koptischen Christen zu. Die liberale „Wafd-Partei“ rief den Weihnachtstag zum „Tag der nationalen Einheit“ aus. Muslime und Christen müssten gemeinsam den Terror bekämpfen.
Zahlreiche islamische Gruppierungen des Landes, darunter auch die Moslembrüder, verurteilen seit Tagen den Terrorakt in schärfsten Worten. Sie rufen alle Ägypter auf, angesichts dieser Attacke gegen ihre Heimat zusammen zu stehen. Zugleich aber werden die kritischen Stimmen immer lauter, jene, die nicht mehr der vom autokratischen Herrscher Hosni Mubarak vorgegebenen Linie folgen, die nicht einfach „ausländische“ Missetäter, wie etwa Al-Kaida, für die Katastrophe verantwortlich machen, sondern das Regime und die Gesellschaft auffordern, die tieferliegenden Ursachen aufzudecken. „Es reicht keineswegs, dass muslimische Geistliche christliche Priester umarmen und abküssen“, schreibt die liberale „Al-Wafd“. „Die eigentliche Schlacht, die wir nun schlagen müssen, richtet sich gegen die Spannungen (in der Gesellschaft) provozierende Umwelt“, meint auch Ahmad al-Sawi in der Tageszeitung „Al-Masry al-Youm“. Und die Schar jener wächst, die nach einem echten Dialog zwischen den Muslimen und den Kopten rufen, um endlich die Minderheit von ihren wachsenden Frustrationen – politische, ökonomische und soziale Diskriminierung - zu befreien.
Der Schock des Blutbades von Alexandria provoziert eine bemerkenswerte Gewissenserforschung, die so manche tiefe Wunden heilen und noch Schlimmeres verhüten könnte. Unter den Selbstreflexionen sticht vor allem ein Kommentar Hani Shukrallahs in der Online-Ausgabe der angesehenen „Al-Ahram“ hervor. „Ich klage an“, betitelt der Autor seinen Gedankenfluss. „Gute Absichten und Heuchelei (gemeint ist nun immer wieder bekräftigte „ewige Einheit“ zwischen Kopten und ägyptischen Muslimen) werden das nächste Massaker nicht verhindern. Wir können dies nur durch scharfe Selbstkritik und starke Entschlossenheit all das Hässliche in unserer Mitte zu bekämpfen.“ Shukrallah sieht nicht in den „blutrünstigen Kriminellen“ der al-Kaida oder deren Gesinnungsgenossen die Hauptgefahr für Ägyptens christliche Minderheit. „Ich klage die Regierung an, die meint, sie könne die Islamisten (politisch) überflügeln, indem sie sie (durch Förderung radikalen islamischen Gedankenguts) überbietet.“ Parlamentsabgeordnete, zahlreiche nationale und lokale Behörden und Institutionen trügen dafür die Verantwortung. Sie stärkten den fundamentalistischen „Salafi“-Trend, um die gemäßigte Massenbewegung der Moslembrüder zu schwächen. In diesen Kreisen würden auch immer wieder „bigotte anti-koptische Gefühle“ artikuliert, „offenbar, um von den gravierenden Problemen des Landes“ abzulenken.
Hochemotional wendet sich Shukrallah aber auch gegen „die Millionen der angeblich moderaten Muslime in unserer Gesellschaft, die sich immer mehr im Strudel von Vorurteilen und Engstirnigkeit“ verfingen, die sich in Zorn erheben, um den Bau eines muslimischen Zentrums nahe von „Ground Zero“ in New York zu verhindern, zugleich der ägyptischen Polizei applaudieren, wenn diese den Bau einer Stiege in einer koptischen Kirche verhindert. „Ich beschuldige euch alle, wegen eurer bigotten Blindheit“, der krassen Doppelmoral. Shukrallah verschont auch die liberalen Intellektuellen – Christen wie Muslime – nicht, die zu all diesen Missständen schwiegen, weil sie „die Massen“ nicht verärgern wollten. Die Ägypter müssten endlich Rückgrat zeigen und entschlossen das Schicksal ihrer Nation in die Hand nehmen.
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Sonntag, 2. Januar 2011
ÄGYPTEN: Schock und Verzweiflung unter Ägyptens Kopten
Terror trifft die größte christliche Minderheit des Orients, die sich zunehmend vom eigenen Staat in die Enge getrieben fühlt
von Birgit Cerha
„Wir opfern unsere Seelen und unser Blut für das Kreuz“, riefen Sonntag in Alexandria Hunderte ägyptische Kopten im Anschluss an die Trauerfeier für die 21 Toten des blutigsten Terroranschlags auf die christliche Minderheit Ägyptens. Kurz zuvor hatte Präsident Mubarak in einer außergewöhnlich raschen Stellungnahme Kopten und Muslime zur Einheit aufgerufen und diesen „barbarischen Akt“ heftig verurteilt. Er ließ keine Zweifel daran, dass „ausländische Hände“ hier gewirkt hätten, um Ägypten zu destabilisieren. So lautet nun die offizielle Lesart dieser grauenvollen Bluttat, die das Regime und dessen Politik von jeder Mitschuld reinwaschen soll.
Der Terror setzte den Auftakt zum Neuen Jahr, dem die Kopten mit tiefer Angst, Verzweiflung und Sorge entgegenblicken. Kurz nach Mitternacht, als Hunderte Gläubige nach beendeter Mette aus der al-Qiddissin Kirche in Alexandria ins Freie getreten waren, hatte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und 21 Menschen in den Tod gerissen. Mehr als 70 wurden verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich – zunächst - niemand. Doch koptische Kreise werfen den Behörden mangelnde Schutzvorkehrungen vor, nachdem Al-Kaida im Irak jüngst begonnen hatte, ihre Terrordrohungen gegen Christen auch außerhalb des Zweistromlandes zu richten. Ob der Attentäter tatsächlich zu diesem Terrornetz zählte, bleibt vorerst offen, könnte sich vielleicht auch nie klären, da das Kairoer Regime jedes Interesse hat, die Schuld anderen, und insbesondere diesen Radikalen zuzuschieben, die alle pro-westlichen Kräfte in der Region – und damit auch den Herrscher Ägyptens – als ihre Todfeinde erachten. Gewaltakte gegen Kopten zu ignorieren oder herunterzuspielen, zählt seit langem zur Strategie des Regimes, um nach außen Stabilität und Ruhe im Land der Pharaonen zu dokumentieren und Kritik an Diskriminierung insbesondere durch den US-Bündnispartner abzuwehren.
Der Terror traf Ägyptens Kopten nach einem Jahr, das ohnedies von wachsender Gewalt und Repression gezeichnet war. Die mehr als acht Millionen Kopten - rund zehn Prozent der Bevölkerung – fühlen sich verstärkt an den Rand der Gesellschaft gedrängt und verfolgt, obwohl sie, die sich als die Nachkommen der Pharaonen verstehen, Ägypten als ihre Urheimat betrachten. Die Polarisierung zwischen Christen und Muslimen am Nil währt seit Jahrhunderten, doch Gewalt zwischen den beiden religiösen Gemeinschaften ist ein modernes Phänomen, das mit dem radikalen Islamismus in den 70er Jahren begann und zunächst von archaischen Motivationen wie Blutrache insbesondere im wenig entwickelten Oberägypten geprägt war. Doch mehr und mehr gaben auch religiös-feindselige Emotionen den Ton an.
Waren es lange meist persönliche Animositäten zwischen Dorfbewohnern unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, so eskalierte der Konflikt im vergangenen Jahr in gravierender Weise. Nachdem am 7. Januar, als die Kopten ihr Weihnachtsfest feierten, im oberägyptischen Naga Hamadi acht Christen vor ihrer Kirche von einem muslimischen Fanatiker erschossen worden waren, entging der Attentäter seiner Strafe – ein Verhaltensmuster der Behörden, das sich mehr und mehr als systematisch entpuppte und unter den Kopten das Gefühl der Diskriminierung und Viktimisierung durch den Staat drastisch verschärfte. Attacken auf Klöster, Brandstiftung von koptischen Häusern, weil sich etwa ein koptischer Mann einem muslimischen Mädchen genähert hatte zählen ebenso zu den Beschwerden der Kopten, wie krasse Diskriminierung im Bildungswesen, in der Bürokratie, wie auch in der Wirtschaft durch den Staat und die muslimische Elite Ägyptens. Der koptische Finanzminister Youssef Boutros Ghali, wie Telecom-Tycoon Nabuib Sawiris bleiben Ausnahmen, die nur die Regel bestätigen.
Wiewohl die Kopten einen großen Anteil am enormen Bevölkerungswachstum Ägyptens haben, wird vom Staat der Ausbau ihrer religiösen Institutionen radikal eingeschränkt. Der Neubau von Kirchen ist an eine Genehmigung durch den Präsidenten gebunden, die eines jahrelangen bürokratischen Prozesses bedarf und selbst im positiven Fall noch der Zustimmung durch die Sicherheitsbehörden der jeweiligen Provinz bedarf, die diese meist verweigern. Ja selbst die Reparatur von Mauern, Dächern oder Wasserrohren, die Erweiterung von Friedhöfen bedarf der Billigung durch den Provinzgouverneur, die ebenfalls in den meisten Fällen ausbleibt.
Am meisten aber beunruhigt die christliche Minderheit der fehlende Schutz durch den Staat, wie eben in Alexandria bewiesen. Im November hatten die Sicherheitskräfte bei einer Gewaltaktion gegen den fortgesetzten Bau einer nur halb fertig gestellten Kirche in Omraniya bei Giza zwei Kopten erschossen. In solchen Fällen werden die Täter fast nie zur Rechenschaft gezogen, vielmehr wurden fast 140 friedlich demonstrierende Kopten verhaftet und bis heute nicht freigelassen.
Das Regime Mubarak hat sich selbst ein schweres Dilemma geschaffen. Um sich seine Macht abzusichern, hat es über die Jahre eine Schaukelpolitik zwischen Säkularismus und panischer Angst vor Islamismus betrieben, d.h. es hat zwar jegliche, insbesondere die liberale Opposition und zunehmend auch die gemäßigten Moslembrüder politisch unterdrückt, gleichzeitig aber in der Gesellschaft intolerantes islamisches Gedankengut und Verhalten gefördert. Auch die teilweise von radikalen islamischen Gedanken geprägten Lehrpläne irritieren die Kopten zutiefst. Die krass manipulierten Parlamentswahlen Ende November beweisen deutlich die die Minderheit zutiefst beunruhigende politische Diskriminierung. Nicht nur schaffte es die größte Oppositionsbewegung, die Moslembruderschaft, nicht ins Parlament, unter den 770 Kandidaten für die 508 Parlamentsmandate waren vom Regime nur 81 Kopten – weniger als zwei Prozent – zugelassen und keiner schaffte den Einzug. Um die Minderheit kurz vor einem seltenen Treffen mit Papst Shenuda zu beschwichtigen, ernannte Mubarak im Dezember rasch sieben Kopten zu Abgeordneten, um drei weniger, als ihm die Verfassung gestatten würde.
Manche Optimisten hoffen, das Blutbad von Alexandria werde nun die ägyptische Gesellschaft zu Versöhnlichkeit aufrütteln. Scharfe Verurteilung des Attentats durch die Moslembrüder, wie auch Zeichen der Solidarität durch deren ideologisches Kind, die palästinensische Hamas, sollen beweisen, dass die große Mehrheit der Muslime die Christen in ihrer Gesellschaft schützen will.
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von Birgit Cerha
„Wir opfern unsere Seelen und unser Blut für das Kreuz“, riefen Sonntag in Alexandria Hunderte ägyptische Kopten im Anschluss an die Trauerfeier für die 21 Toten des blutigsten Terroranschlags auf die christliche Minderheit Ägyptens. Kurz zuvor hatte Präsident Mubarak in einer außergewöhnlich raschen Stellungnahme Kopten und Muslime zur Einheit aufgerufen und diesen „barbarischen Akt“ heftig verurteilt. Er ließ keine Zweifel daran, dass „ausländische Hände“ hier gewirkt hätten, um Ägypten zu destabilisieren. So lautet nun die offizielle Lesart dieser grauenvollen Bluttat, die das Regime und dessen Politik von jeder Mitschuld reinwaschen soll.
Der Terror setzte den Auftakt zum Neuen Jahr, dem die Kopten mit tiefer Angst, Verzweiflung und Sorge entgegenblicken. Kurz nach Mitternacht, als Hunderte Gläubige nach beendeter Mette aus der al-Qiddissin Kirche in Alexandria ins Freie getreten waren, hatte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und 21 Menschen in den Tod gerissen. Mehr als 70 wurden verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich – zunächst - niemand. Doch koptische Kreise werfen den Behörden mangelnde Schutzvorkehrungen vor, nachdem Al-Kaida im Irak jüngst begonnen hatte, ihre Terrordrohungen gegen Christen auch außerhalb des Zweistromlandes zu richten. Ob der Attentäter tatsächlich zu diesem Terrornetz zählte, bleibt vorerst offen, könnte sich vielleicht auch nie klären, da das Kairoer Regime jedes Interesse hat, die Schuld anderen, und insbesondere diesen Radikalen zuzuschieben, die alle pro-westlichen Kräfte in der Region – und damit auch den Herrscher Ägyptens – als ihre Todfeinde erachten. Gewaltakte gegen Kopten zu ignorieren oder herunterzuspielen, zählt seit langem zur Strategie des Regimes, um nach außen Stabilität und Ruhe im Land der Pharaonen zu dokumentieren und Kritik an Diskriminierung insbesondere durch den US-Bündnispartner abzuwehren.
Der Terror traf Ägyptens Kopten nach einem Jahr, das ohnedies von wachsender Gewalt und Repression gezeichnet war. Die mehr als acht Millionen Kopten - rund zehn Prozent der Bevölkerung – fühlen sich verstärkt an den Rand der Gesellschaft gedrängt und verfolgt, obwohl sie, die sich als die Nachkommen der Pharaonen verstehen, Ägypten als ihre Urheimat betrachten. Die Polarisierung zwischen Christen und Muslimen am Nil währt seit Jahrhunderten, doch Gewalt zwischen den beiden religiösen Gemeinschaften ist ein modernes Phänomen, das mit dem radikalen Islamismus in den 70er Jahren begann und zunächst von archaischen Motivationen wie Blutrache insbesondere im wenig entwickelten Oberägypten geprägt war. Doch mehr und mehr gaben auch religiös-feindselige Emotionen den Ton an.
Waren es lange meist persönliche Animositäten zwischen Dorfbewohnern unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, so eskalierte der Konflikt im vergangenen Jahr in gravierender Weise. Nachdem am 7. Januar, als die Kopten ihr Weihnachtsfest feierten, im oberägyptischen Naga Hamadi acht Christen vor ihrer Kirche von einem muslimischen Fanatiker erschossen worden waren, entging der Attentäter seiner Strafe – ein Verhaltensmuster der Behörden, das sich mehr und mehr als systematisch entpuppte und unter den Kopten das Gefühl der Diskriminierung und Viktimisierung durch den Staat drastisch verschärfte. Attacken auf Klöster, Brandstiftung von koptischen Häusern, weil sich etwa ein koptischer Mann einem muslimischen Mädchen genähert hatte zählen ebenso zu den Beschwerden der Kopten, wie krasse Diskriminierung im Bildungswesen, in der Bürokratie, wie auch in der Wirtschaft durch den Staat und die muslimische Elite Ägyptens. Der koptische Finanzminister Youssef Boutros Ghali, wie Telecom-Tycoon Nabuib Sawiris bleiben Ausnahmen, die nur die Regel bestätigen.
Wiewohl die Kopten einen großen Anteil am enormen Bevölkerungswachstum Ägyptens haben, wird vom Staat der Ausbau ihrer religiösen Institutionen radikal eingeschränkt. Der Neubau von Kirchen ist an eine Genehmigung durch den Präsidenten gebunden, die eines jahrelangen bürokratischen Prozesses bedarf und selbst im positiven Fall noch der Zustimmung durch die Sicherheitsbehörden der jeweiligen Provinz bedarf, die diese meist verweigern. Ja selbst die Reparatur von Mauern, Dächern oder Wasserrohren, die Erweiterung von Friedhöfen bedarf der Billigung durch den Provinzgouverneur, die ebenfalls in den meisten Fällen ausbleibt.
Am meisten aber beunruhigt die christliche Minderheit der fehlende Schutz durch den Staat, wie eben in Alexandria bewiesen. Im November hatten die Sicherheitskräfte bei einer Gewaltaktion gegen den fortgesetzten Bau einer nur halb fertig gestellten Kirche in Omraniya bei Giza zwei Kopten erschossen. In solchen Fällen werden die Täter fast nie zur Rechenschaft gezogen, vielmehr wurden fast 140 friedlich demonstrierende Kopten verhaftet und bis heute nicht freigelassen.
Das Regime Mubarak hat sich selbst ein schweres Dilemma geschaffen. Um sich seine Macht abzusichern, hat es über die Jahre eine Schaukelpolitik zwischen Säkularismus und panischer Angst vor Islamismus betrieben, d.h. es hat zwar jegliche, insbesondere die liberale Opposition und zunehmend auch die gemäßigten Moslembrüder politisch unterdrückt, gleichzeitig aber in der Gesellschaft intolerantes islamisches Gedankengut und Verhalten gefördert. Auch die teilweise von radikalen islamischen Gedanken geprägten Lehrpläne irritieren die Kopten zutiefst. Die krass manipulierten Parlamentswahlen Ende November beweisen deutlich die die Minderheit zutiefst beunruhigende politische Diskriminierung. Nicht nur schaffte es die größte Oppositionsbewegung, die Moslembruderschaft, nicht ins Parlament, unter den 770 Kandidaten für die 508 Parlamentsmandate waren vom Regime nur 81 Kopten – weniger als zwei Prozent – zugelassen und keiner schaffte den Einzug. Um die Minderheit kurz vor einem seltenen Treffen mit Papst Shenuda zu beschwichtigen, ernannte Mubarak im Dezember rasch sieben Kopten zu Abgeordneten, um drei weniger, als ihm die Verfassung gestatten würde.
Manche Optimisten hoffen, das Blutbad von Alexandria werde nun die ägyptische Gesellschaft zu Versöhnlichkeit aufrütteln. Scharfe Verurteilung des Attentats durch die Moslembrüder, wie auch Zeichen der Solidarität durch deren ideologisches Kind, die palästinensische Hamas, sollen beweisen, dass die große Mehrheit der Muslime die Christen in ihrer Gesellschaft schützen will.
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