Donnerstag, 27. Januar 2011

ÄGYPTEN: „Ich will ein neues Ägypten“

Viele Ägypter hoffen, die Heimkehr Mohammed el-Baradeis werde dem Land die Freiheit bringen – Massenproteste am Freitag könnten sich als schicksalhaft erweisen

von Birgit Cerha


„Ich wünschte, wir hätten nicht in die Straßen gehen müssen, um das Regime zum Handeln zu zwingen.“ Mit diesen Worten bei seiner Ankunft in Kairo nach monatelangem selbstgewählten Exil begann der ägyptische Friedensnobelpreisträgers Mohammed el-Baradei eine vielleicht für sein Land entscheidende Phase des politischen Aktionismus in Ägypten. Nur vage hatte er bisher über Facebook aus seinem Wiener Domizil die Demonstranten unterstützt, die sich nach dem Sturz des tunesischen Diktators gegen den seit 30 Jahren herrschenden Autokraten Mubarak erhoben hatten. El-Baradeis Entscheidung, nun bei seinem demonstrierenden Volk zu sein und eine friedliche Übergangsperiode zu führen, wenn die Protestierenden dies wollten, löste unter Ägyptern eine Mischung aus Hoffnung, ja gar Euphorie, doch auch bittere Skepsis aus.

El-Baradei hatte sich zur Heimkehr entschlossen, nachdem, das höchst Unerwartete eingetreten war: Die in drei Jahrzehnte langen Repressionen eingeschüchterten Ägypter begannen zu Zehntausenden sich Drohungen, Demonstrationsverboten zu und ihren Zorn über Mubarak in den Straßen Kairos, Suez und anderer Städte nun schon den dritten Tag Luft zu machen. Nach Informationen einer unabhängigen Anwaltsorganisation wurden bisher mehr als 1.200 Menschen inhaftiert und acht friedliche Demonstranten getötet.
Es sind die Sozialnetzwerke Twitter und Facebook, denen es gelang, die Unzufriedenen in die Straßen zu treiben. Doch sie haben keinen Führer. Diese Rolle – so hoffen wohl viele – könnte nun Baradei übernehmen. Seine Heimkehr in dem vielleicht kritischsten Moment der 30-jährigen Herrschaft Mubaraks könnte Baradei zur Kristallisationsfigur der Proteste machen. Heute, Freitag, könnte sich als schicksalhaft erweisen. Denn die Facebook-Aktivisten riefen zu einer Fortsetzung des „Tages des Zornes“ vom vergangenen Dienstag unter dem Slogan auf: „Das Volk will den Sturz der Regierung“. Es „fordert das Recht auf Leben, Freiheit, Würde“ und die Menschen sollten in den Straßen bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt seien, so der Aufruf der Demokratie-Bewegung „6. April“ im Facebook. Die Demonstranten schienen entschlossen, den Druck auf das Regime aufrechtzuerhalten. „Sie glauben, dass die Sicherheitspolizei ermüdet und bald erschöpft sein wird. Ägyptens Polizei ist seit drei Generationen nicht mit einer derartigen Situation konfrontiert worden“, erläutert Ashraf Khalil von der ägyptischen Zeitung „Al-Masry al-Youm“.

Nach dem Freitagsgebet sollen die Massen wieder ihrem Zorn über den Diktator Luft machen. Erstmals gab auch die größte Oppositionsbewegung, die offiziell verbotene, doch geduldete Moslembruderschaft, ihre ängstliche Zurückhaltung auf und rief ihre Anhänger zur Teilnahme an den Protesten. Auch Baradei will nach eigenen Worten mitmarschieren: „Ich werde mit ihnen protestieren, doch ich bin nicht die Person, die Demonstrationen in den Straßen leiten wird….. Mein Job ist es den Wandel zu steuern, betonte er in einem Interview mit dem arabischen Satellitensender „Al Jezira“. Festnahme fürchtet er nicht. „Ein solcher Schritt würde die Situation viel, viel schlimmer machen.“

Viele Ägypter fragen sich, wo sich denn ihr Präsident derzeit aufhalte. Vergeblich wartet das Volk auf eine beschwichtigende Rede seines Führers. Premierminister Ahmed Nazif warnte lediglich in einer kurzen Presseerklärung vor weiteren Demonstrationen und die regierende „Nationale Demokratische Partei“ kündigte Donnerstag erstmals vage Dialogbereitschaft. Anzeichen echten Entgegenkommens lassen sich nicht erkennen, dafür, wie stets, Härte und Brutalität. Ohnedies dürften sich die Demonstranten nicht mehr mit kleinen Reformankündigen zufrieden geben. Die Anhebung der Mindestlöhne, die Aufhebung des seit drei Jahrzehnten geltenden Kriegsrechts sind Teil ihrer Forderungen, die sich nun bis zum Abtritt des verhassten „Pharao“ gesteigert haben.

Baradei sieht die Priorität seines neuen Aktivismus nach eigenen Worten im Streben nach einem friedlichen Wandel zur Demokratie, zur Modernisierung des Landes und dem Aufbau einer gemäßigten Gesellschaft, sowie der Achtung der Grundfreiheiten. In die Hoffnung auf den erfolgreichen Diplomaten und langjährigen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde mischt sich bei vielen Ägyptern jedoch ein starker Schuss an Skepsis. Baradei hatte im Vorjahr nach jahrzehntelanger Abwesenheit von seiner Heimat die „Nationale Vereinigung für Veränderung“ (NAC) als Dachorganisation zahlreicher Oppositionsgruppen, unter ihnen viele prominente Intellektuelle, gegründet. Doch seine Kandidatur bei den für September geplanten Präsidentschaftwahlen bedürfte einer Verfassungsreform, zu der Mubarak, der sich trotz seiner 81 Jahre seine erneute Kandidatur offen hält, nicht bereit ist. So hatte Baradei im Vorjahr mehrere Demonstrationen für demokratische Reformen und eine Verfassungsänderung geleitet, doch nichts bewirken können. Resigniert zog er sich wieder ins Ausland zurück, ein Schritt, den ihm heute viele Aktivisten verübeln. Skeptiker werfen ihm ein fehlendes Charisma vor und unzureichende Kenntnis der sozialen Gegebenheiten des Landes, da er sich jahrzehntelang im Ausland aufgehalten hatte. Wiewohl es ihm nicht gelang, die zersplitterte Opposition zu einen, verstand es Baradei aber, mit vielen Gruppierungen, darunter vor allem der Moslembruderschaft, zusammen zu arbeiten. Ob dieses Verdienst und sein nunmehriges Engagement reicht, die Skeptiker für sich zu gewinnen und ihn zum Führer in die Freiheit zu erheben, bleibt vorerst dahingestellt.

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