Freitag, 28. Januar 2011

ÄGYPTEN: „Wir wollen eine islamische Demokratie“

Durch massive Repressionen lange verängstigt, erstrebt Ägyptens größte Opposition, die Moslembruderschaft, nun die Teilnahme an einer Regierung ohne Mubarak

von Birgit Cerha

(Bild: Ahmed Zaki Osman, Reformer unter den Moslembrüdern)

Entschlossen und mutig, wie seit Jahrzehnten nicht, bekräftigte die Moslembruderschaft (MB), Ägyptens größte oppositionelle Bewegung, Donnerstag die Forderung nach einem sofortigen Rücktritt Präsident Mubaraks, um ein Blutbad am Nil zu vermeiden. „Wir fordern eine Regierung der nationalen Einheit mit allen Fraktionen“, heißt es in einer über den Satellitensender Al-Jezira verbreiteten Erklärung.

Nach einem Bericht der Washington Post hat die US-Administration angesichts der turbulenten Entwicklungen am Nil begonnen, ihre Beziehungen zu der MB, deren fundamentalistische Ideologie bei US-Führern seit langem auf tiefes Misstrauen stößt, neu zu überdenken, um sich auf die politischen Realitäten in Ägypten einzustellen. Ein breites Spektrum von Oppositionsparteien und politischen Bewegungen ist entschlossen, auch die seit Jahrzehnten von ägyptischen Regimen dämoniserten Moslembrüder in eine Übergangsregierung mit einzuschließen.
Durch jahrzehntelange massive Repressionen eingeschüchtert, hatte sich die MB von einer führenden Rolle bei den gegenwärtigen Demonstrationen zurückgehalten. Dennoch zählten 20 ihrer Mitglieder, darunter acht Angehörige des Führungsgremiums, zu den ersten Verhafteten nach Beginn der Protestwelle.

Seit ihrer Gründung 1928 hat sich die MB tief in die ägyptische Gesellschaft verwoben. Sie zählt hunderttausende Mitglieder und Verbündete im gesamten Mittleren Osten, sowie darüber hinaus. Die palästinensische Hamas ist eines ihrer „Kinder“. In den 50er und 60er Jahren versetzte die Bewegung Ägyptens Führung und viele nicht-islamistische Landsleute durch eine Welle von Gewalt in Angst und Schrecken. Hier liegen die Wurzeln eines tiefen Hasses auf diese Bewegung, der sich in Teilen der ägyptischen Gesellschaft, insbesondere auch in der Armee und in der pro-westlichen Elite bis heute erhalten hat. Nach einem Attentatsversuch gegen Präsident Nasser, für den er die „Brüder“ verantwortlich machte, wurde die Bewegung 1954 verboten. Doch seit mehr als 30 Jahren wird sie wegen ihres starken Rückhalts in der Bevölkerung vom Regime geduldet. Moslembrüder durften als Unabhängige kandidieren und konnten so 2005 gar 20 Prozent der Parlamentssitze erobern. Ihr Slogan „Islam ist die Lösung“ schien, gerade weil vage, insbesondere der ungebildeten Masse die Erfüllung ihres Traumes von Gerechtigkeit zu versprechen.

Geschockt über diesen Siegeszug entwarf das Regime Mubarak eine umfassende Strategie, um die MB zur politischen Bedeutungslosigkeit zurückzudrängen: Wiederholte Massenverhaftungen von Mitgliedern und Führung, eine Verfassungsänderung, die Parteien auf religiöser Basis verbietet und vor allem eine gezielte Attacke (Beschlagnahme von Vermögenswerten) gegen ein höchst effizientes Sozialsystem, durch das die MB Versagen des Staates auszugleichen suchten und dabei ihre Anhängerschaft wesentlich stärken konnten.

Die Strategie erwies sich insofern als erfolgreich, als die MB sich seit vielen Jahren nicht so sehr auf die Eroberung der Macht, sondern nach den Worten von Ibrahim al-Houdaybi, dem Enkel eines der Gründerväter „auf das nackte Überleben“ konzentrieren muß. Ihre in mehr als drei Jahrzehnten geformte Strategie bleibt jedoch auch für die im Vorjahr neugewählte Führung unverrückbar: bedingungslose Absage an Gewalt, Integration in den demokratischen Prozeß. „Wir wollen eine islamische Demokratie“, betont Essam Erian, ein führender Reformer. Und ein anderer prominenter Aktivist, Muntasser al-Zayat, stellt fest: „Wir wollen das wahre Gesicht der gemäßigen Islamisten sein.“

Starke laizistische Kräfte im Militär und in der Wirtschaft trauen dem Demokratiebekenntnis der „Brüder“ nicht. Mubarak und sein Regime missbrauchte die Bruderschaft als Schreckgespenst eines gewalttätigen Islamismus, um gegenüber einem verängstigten Westen das Ausbleiben demokratischer Reformen und brutale Unterdrückung Andersdenkender zu seiner eigenen Machterhaltung zu rechtfertigen. Mit Erfolg. Im Westen wurde dabei auch oft übersehen, dass sich die Bruderschaft stets entschieden von jedem Gewaltakt radikaler Islamisten in Ägypten und anderswo distanziert hat.

Führende Demokraten, wie der Soziologe Saadeddin Ibrahim oder der Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei, der unterdessen von der MB und anderen Gruppierungen zum Verhandlungsführer mit dem Regime bestellt wurde, aber glauben an die demokratischen Absichten der Bruderschaft. Ihre Einbindung in den politischen Prozeß nach Mubarak steht für sie außer Frage. Freilich, so Ibrahim, müsse die Demokratie sich auch durch Schutzmechanismen dagegen verteidigen, dass diese Bewegung schließlich – versteckte - undemokratische Ziele durchsetzt. Zu, MB-Parteiprogramm zählt nach wie vor der Aufbau eines Staates der sich auf den Islam stützt und damit vor allem die koptische Minderheit in Angst versetzt.

Bei den Neuwahlen der MB-Führung vor einem Jahr setzte sich die konservative Strömung durch und unabhängige politische Analysten sind davon überzeugt, dass dies dem Wunsch der Mehrheit der MB-Anhänger entspricht. Was dies für ein Ägypten nach Mubarak bedeutet, lässt sich noch nicht klar erkennen.

Bildquelle: al-Masri al-Youm

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen