Der anti-amerikanische Schiitengeistliche präsentiert sich seiner unverändert großen Anhängerschar als gereifter Politiker auf dem Weg zur Macht im Irak
von Birgit Cerha
Ist sein rebellischer Geist staatsmännischer Besonnenheit und spiritueller Weisheit gewichen? Rein äußerlich erscheint Moktada al-Sadr, jüngster Sohn des von den Schergen des irakischen Diktators Saddam Hussein 1999 ermordeten, unter den Schiiten hochverehrten Ayatollahs Mohammed Sadiq al-Sadr, nach fast vierjährigem freiwilligen Exil im Iran gereift. Weiße Strähnen durchziehen den üppigen schwarzen Bart des Geistlichen, dessen Alter der Öffentlichkeit bis heute verborgen bleibt, bei Mitte bis Ende 30 liegen dürfte. Zehntausende seiner Anhänger bereiteten Moktada in der heiligen Stadt der Schiiten, Nadschaf, einen begeisterten Empfang und bewiesen damit, dass seine Abwesenheit Sadrs Popularität und der Begeisterungsfähigkeit seiner Anhänger keinen Abbruch getan hat.
Auch die feurige Rhetorik hat Sadr nicht verloren. „Wir sind immer noch Kämpfer. Wir leisten Widerstand, wir widerstehen der (US-)Okkupation“, rief der Heimkehrer seinem Fußvolk zu. Doch zugleich mahnte er zur Versöhnung: „Was immer zwischen Brüdern geschah, das geschah. Aber wir müssen dieses Kapitel vergessen und für immer abschließen.“ Und auch mit Blick auf die anhaltenden Morde und Attentate insbesondere auch gegen Christen im Irak appellierte Sadr an seine Anhänger „niemals mehr ihre Hände gegen“ andere Iraker zu erheben. Zudem betonte er, das Waffentragen stünde nur „den Männern der Waffen“, also den staatlichen Sicherheitskräften zu, was vielen Hoffnung gibt, er werde seine gefürchtete Mehdi-Miliz nicht wieder neu beleben.
Sadrs Heimkehr stoßt auf Befriedigung unter jenen Irakern, die darin ein klares Zeichen politischer Mäßigung, wachsender Toleranz zwischen feindseligen Bevölkerungsgruppen in dem so lange von Bürgerkrieg gequälten Irak zu erkennen hoffen, den Beginn einer politischen Stabilisierung. Doch insbesondere unter der arabisch-sunnitischen Minderheit, die Sadrs schwarz gekleidete Mörderbanden zu tausenden getötet, gequält und vor allem aus Teilen Bagdads verjagt hatten, erwachen neue Ängste vor einer verstärkten politischen Polarisierung, und wieder mehr Gewalt.
Moktada Sadr, bis zum Sturz Saddam Husseins der Außenwelt völlig unbekannt, hatte sich schon in der frühen Phase der US-Besatzung 2003 durch seinen feurigen irakischen Nationalismus, gemischt mit dem Aufbau eines effizienten Sozialsystems für die Masse der armen Schiiten eine große Anhängerschar geschaffen. Doch die von ihm aufgebaute Mehdi-Miliz entglitt zunehmend seiner Kontrolle und zog mordend und plündernd insbesondere durch arabisch-sunnitische Stadtvierteln. Mit US-Militärhilfe fügte die neuaufgebaute irakische Armee unter dem Befehl Premier Malikis 2007 Mehdi-Armee in Basra, Nassiriya und Bagdad empfindliche Niederlagen zu. Sadr blieb nichts anderes übrig, als die Auflösung seiner Milizen zu verkünden. Zuvor hatte er aus Protest gegen Malikis Weigerung, von den Amerikanern einen klaren Zeitplan für deren Abzug aus dem Irak zu fordern, die Unterstützung der Regierung zurückgezogen und den Premier empfindlich geschwächt. Von den irakischen Behörden, wie den Amerikaner drohte ihm im Zusammenhang mit der Ermordung eines klerikalen Rivalen, Abdul Majid al-Khoei, 2003 die Verhaftung. So zog sich Sadr in den Iran zurück, um seine theologischen Studien mit dem Ziel fortzusetzen, in den Rang des Ayatollah aufzusteigen und sich damit schließlich religiöse, wie auch politische Macht im Irak zu sichern. Nach Aussagen iranischer Theologen hat er diese Studien noch nicht beendet.
Im Iran dürfte Sadr aber stark unter den Einfluß radikaler, mit Präsident Ahmadiendschad verbündeter Geistlicher geraten sein. Nur so lässt sich erklären, dass Sadr im Oktober offensichtlichem iranischem Drängen nachgab und seinem Erzfeind Maliki eine zweite Regierungsperiode ermöglichte. Die Unterstützung seiner 30 Abgeordneten ließ sich der Geistliche teuer bezahlen: Hunderte seiner gewalttätigen Anhänger wurden aus den Gefängnissen entlassen und sein Block, der dank eindrucksvoller Effizienz und Disziplin bei den Parlamentswahlen im Vorjahr zur zweitstärksten Schiitengruppierung aufgestiegen war, eroberte sieben Sitze in der Regierung. Dass die Regierungsarbeit zwischen den beiden Erzrivalen harmonisch verlaufen werde, wagt unterdessen kaum jemand zu hoffen. Größtes Konflikpotential birgt die Präsenz der US-Truppen, derzeit rund 50.000, die bis Ende 2011 abziehen sollen. Viele irakische, wie amerikanische Politiker erwägen jedoch eine Verlängerung zumindest für einige Einheiten, die den noch nicht ausreichend ausgebildeten Irakern bei der Überwachung der Grenzen und des Luftraumes beistehen sollen. Sadr gibt sich entschlossen, dies mit allen Mitteln – vielleicht auch Gewalt – zu verhindern. „Wir werden den Boden unter den Füßen der Amerikanern zum Schwanken bringen, wenn sie nicht abziehen“, warnt ein Anhänger des Geistlichen. Ein erneuter Auszug Sadrs aus der Regierung würde den Sturz des machtbesessenen Premiers bedeuten.
Was viele Iraker nun auch quält ist die Frage, ob Sadr die Intoleranz in der irakischen Gesellschaft neu beleben und wieder zu den Methoden der Gewalt zurückkehren wird. Dann würde sich der grauenvolle Teufelskreis erneut schließen.
Sonntag, 9. Januar 2011
IRAK: Moktada al-Sadrs triumphale Heimkehr
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