Terror trifft die größte christliche Minderheit des Orients, die sich zunehmend vom eigenen Staat in die Enge getrieben fühlt
von Birgit Cerha
„Wir opfern unsere Seelen und unser Blut für das Kreuz“, riefen Sonntag in Alexandria Hunderte ägyptische Kopten im Anschluss an die Trauerfeier für die 21 Toten des blutigsten Terroranschlags auf die christliche Minderheit Ägyptens. Kurz zuvor hatte Präsident Mubarak in einer außergewöhnlich raschen Stellungnahme Kopten und Muslime zur Einheit aufgerufen und diesen „barbarischen Akt“ heftig verurteilt. Er ließ keine Zweifel daran, dass „ausländische Hände“ hier gewirkt hätten, um Ägypten zu destabilisieren. So lautet nun die offizielle Lesart dieser grauenvollen Bluttat, die das Regime und dessen Politik von jeder Mitschuld reinwaschen soll.
Der Terror setzte den Auftakt zum Neuen Jahr, dem die Kopten mit tiefer Angst, Verzweiflung und Sorge entgegenblicken. Kurz nach Mitternacht, als Hunderte Gläubige nach beendeter Mette aus der al-Qiddissin Kirche in Alexandria ins Freie getreten waren, hatte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und 21 Menschen in den Tod gerissen. Mehr als 70 wurden verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich – zunächst - niemand. Doch koptische Kreise werfen den Behörden mangelnde Schutzvorkehrungen vor, nachdem Al-Kaida im Irak jüngst begonnen hatte, ihre Terrordrohungen gegen Christen auch außerhalb des Zweistromlandes zu richten. Ob der Attentäter tatsächlich zu diesem Terrornetz zählte, bleibt vorerst offen, könnte sich vielleicht auch nie klären, da das Kairoer Regime jedes Interesse hat, die Schuld anderen, und insbesondere diesen Radikalen zuzuschieben, die alle pro-westlichen Kräfte in der Region – und damit auch den Herrscher Ägyptens – als ihre Todfeinde erachten. Gewaltakte gegen Kopten zu ignorieren oder herunterzuspielen, zählt seit langem zur Strategie des Regimes, um nach außen Stabilität und Ruhe im Land der Pharaonen zu dokumentieren und Kritik an Diskriminierung insbesondere durch den US-Bündnispartner abzuwehren.
Der Terror traf Ägyptens Kopten nach einem Jahr, das ohnedies von wachsender Gewalt und Repression gezeichnet war. Die mehr als acht Millionen Kopten - rund zehn Prozent der Bevölkerung – fühlen sich verstärkt an den Rand der Gesellschaft gedrängt und verfolgt, obwohl sie, die sich als die Nachkommen der Pharaonen verstehen, Ägypten als ihre Urheimat betrachten. Die Polarisierung zwischen Christen und Muslimen am Nil währt seit Jahrhunderten, doch Gewalt zwischen den beiden religiösen Gemeinschaften ist ein modernes Phänomen, das mit dem radikalen Islamismus in den 70er Jahren begann und zunächst von archaischen Motivationen wie Blutrache insbesondere im wenig entwickelten Oberägypten geprägt war. Doch mehr und mehr gaben auch religiös-feindselige Emotionen den Ton an.
Waren es lange meist persönliche Animositäten zwischen Dorfbewohnern unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, so eskalierte der Konflikt im vergangenen Jahr in gravierender Weise. Nachdem am 7. Januar, als die Kopten ihr Weihnachtsfest feierten, im oberägyptischen Naga Hamadi acht Christen vor ihrer Kirche von einem muslimischen Fanatiker erschossen worden waren, entging der Attentäter seiner Strafe – ein Verhaltensmuster der Behörden, das sich mehr und mehr als systematisch entpuppte und unter den Kopten das Gefühl der Diskriminierung und Viktimisierung durch den Staat drastisch verschärfte. Attacken auf Klöster, Brandstiftung von koptischen Häusern, weil sich etwa ein koptischer Mann einem muslimischen Mädchen genähert hatte zählen ebenso zu den Beschwerden der Kopten, wie krasse Diskriminierung im Bildungswesen, in der Bürokratie, wie auch in der Wirtschaft durch den Staat und die muslimische Elite Ägyptens. Der koptische Finanzminister Youssef Boutros Ghali, wie Telecom-Tycoon Nabuib Sawiris bleiben Ausnahmen, die nur die Regel bestätigen.
Wiewohl die Kopten einen großen Anteil am enormen Bevölkerungswachstum Ägyptens haben, wird vom Staat der Ausbau ihrer religiösen Institutionen radikal eingeschränkt. Der Neubau von Kirchen ist an eine Genehmigung durch den Präsidenten gebunden, die eines jahrelangen bürokratischen Prozesses bedarf und selbst im positiven Fall noch der Zustimmung durch die Sicherheitsbehörden der jeweiligen Provinz bedarf, die diese meist verweigern. Ja selbst die Reparatur von Mauern, Dächern oder Wasserrohren, die Erweiterung von Friedhöfen bedarf der Billigung durch den Provinzgouverneur, die ebenfalls in den meisten Fällen ausbleibt.
Am meisten aber beunruhigt die christliche Minderheit der fehlende Schutz durch den Staat, wie eben in Alexandria bewiesen. Im November hatten die Sicherheitskräfte bei einer Gewaltaktion gegen den fortgesetzten Bau einer nur halb fertig gestellten Kirche in Omraniya bei Giza zwei Kopten erschossen. In solchen Fällen werden die Täter fast nie zur Rechenschaft gezogen, vielmehr wurden fast 140 friedlich demonstrierende Kopten verhaftet und bis heute nicht freigelassen.
Das Regime Mubarak hat sich selbst ein schweres Dilemma geschaffen. Um sich seine Macht abzusichern, hat es über die Jahre eine Schaukelpolitik zwischen Säkularismus und panischer Angst vor Islamismus betrieben, d.h. es hat zwar jegliche, insbesondere die liberale Opposition und zunehmend auch die gemäßigten Moslembrüder politisch unterdrückt, gleichzeitig aber in der Gesellschaft intolerantes islamisches Gedankengut und Verhalten gefördert. Auch die teilweise von radikalen islamischen Gedanken geprägten Lehrpläne irritieren die Kopten zutiefst. Die krass manipulierten Parlamentswahlen Ende November beweisen deutlich die die Minderheit zutiefst beunruhigende politische Diskriminierung. Nicht nur schaffte es die größte Oppositionsbewegung, die Moslembruderschaft, nicht ins Parlament, unter den 770 Kandidaten für die 508 Parlamentsmandate waren vom Regime nur 81 Kopten – weniger als zwei Prozent – zugelassen und keiner schaffte den Einzug. Um die Minderheit kurz vor einem seltenen Treffen mit Papst Shenuda zu beschwichtigen, ernannte Mubarak im Dezember rasch sieben Kopten zu Abgeordneten, um drei weniger, als ihm die Verfassung gestatten würde.
Manche Optimisten hoffen, das Blutbad von Alexandria werde nun die ägyptische Gesellschaft zu Versöhnlichkeit aufrütteln. Scharfe Verurteilung des Attentats durch die Moslembrüder, wie auch Zeichen der Solidarität durch deren ideologisches Kind, die palästinensische Hamas, sollen beweisen, dass die große Mehrheit der Muslime die Christen in ihrer Gesellschaft schützen will.
Sonntag, 2. Januar 2011
ÄGYPTEN: Schock und Verzweiflung unter Ägyptens Kopten
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