Mubarak ruft nach der Armee, doch die Demonstranten lassen sich nicht beschwichtigen – Das Schicksal des Regimes liegt in den Händen der Streitkräfte
von Birgit Cerha
Solche Szenen haben die Straßen Kairos und anderer Städte Ägyptens noch nie gesehen. Ein Massenaufgebot an Sicherheitskräften vermochte Freitag, dem „Tag des Zornes“ zu dem die seit Dienstag demonstrierenden Bürger aufgerufen hatten, keine Ruhe herzustellen. Hunderttausende strömten ins Zentrum Kairos und anderer Städte, um in einem völlig personalisierten Protest ihrer Unzufriedenheit kundzutun. Immer lauter fordern sie den Abtritt Präsident Mubaraks. Während des Tages berichteten Demonstranten zunächst von nie gesehener Brutalität der wegen ihrer Härte schon lange gefürchteten Polizei. Doch als es den Uniformierten nicht gelang, die Demonstranten zu zerstreuen, zogen sie sich mehr und mehr zurück. Geheimpolizisten in zivil nahmen vor allem ausländische Journalisten aufs Korn. Ein BBC-Kameramann wurde mit einer Stahlstange heftig niedergeschlagen und musste sich blutüberströmt in Sicherheit bringen. Mehrere europäische Journalisten wurden festgenommen, eine ganze Gruppe in einem Lkw abtransportiert.
Keine Maßnahme des Regimes, diese Massenkundgebungen zu verhindern, hatte geholfen, nicht einmal die Blockade des Internets und des Mobiltelefonnetzes, über die die Aktivisten Gleichgesinnten zu ihren Protesten zusammentrommelten. Die Menschen wussten, wo sie sich versammeln mussten: bei den Moscheen und am Kairoer Tahrir-Platz. Gegen Abend heizte sich ihr Zorn auf und sie setzten das Symbol der Herrschaft Mubaraks, das Hauptquartier seiner regierenden Nationalen Demokratischen Partei in Brand. Tausende Menschen widersetzten sich der vom Präsidenten am Abend ausgerufenen Ausgangssperre. Auch die Helikopter der Armee, die nach Aussagen vieler Ägypter, erstmals über dem Stadtzentrum kreisten, vermochten die Demonstranten nicht einzuschüchten.
Auf die angekündigte Rede an die Nation, das erste Lebenszeichen des Diktators, warteten die Ägypter bis spätabends vergeblich. Die einzige Botschaft, die aus dem Präsidentenpalast drang, war die Nachricht, dass Ägyptens Armee der offensichtlich überforderten Polizei zu Hilfe eilen werde. Bis spätabends bezogen Panzer Positionen an wichtigsten Kreuzpunkten, holten Soldaten schwere Waffen zum Einsatz bereit. Die Website der Moslembrüder berichtete allerdings, dass Demonstranten die Soldaten freudig umarmten. Ein klares Bild ließ sich bis spätabends nicht erkennen. Die Haltung der Armee wird nun Mubaraks Schicksal entscheiden.
Wie seine beiden Vorgänger kam der einstige Luftwaffengeneral aus den Streitkräften des Landes, die eine starke Machtposition innehaben. Sie standen stets treu zu ihrem Präsidenten, wiewohl sie dessen Sohn Gamal als Nachfolger weitgehend nicht unterstützen. Seine Chancen, das höchste Staatsamt zu erklimmen, dürften nun vollends geschwunden sein.
Mubarak stützt sein Regime auf drei unterschiedliche Sicherheitskräfte: die Polizei, deren Aufgabe die Durchsetzung der Gesetze ist, während 300.000 Mann starkem „Zentralen Sicherheitskräfte“ für die Unterdrückung interner Unruhen verantwortlich sind und die dabei nun kläglich versagten. Ihre Mitglieder leiden unter einem niedrigen sozialen Status, sind schlecht ausgebildet und die Einheit verfügt über geringen Zusammenhalt. Ganz im Gegensatz dazu ist die 340.000 Mann starke Armee sehr professionell ausgebildet und trainiert und dank großzügiger amerikanischer Hilfe mit modernen Waffen für einen konventionellen Krieg ausgestattet. Dennoch wurde sie bereits zweimal – 1977 und 1986 – zur Unterdrückung von Unruhen eingesetzt. Erfolgreich. Auf ihre Disziplin und ihren Zusammenhalt kann sich das Regime weit mehr verlassen als auf jenen der „Zentralen Sicherheitskräfte“.
Die entscheidende Frage stellt sich nun: Wird die Armee Befehlen gehorchen und mit Gewalt gegen Tausende unbewaffnete Menschen die Ruhe im Lande wieder herstellen? Wird ihr das gelingen und wird sie damit das Regime Mubarak noch für einige Zeit retten? Ist die Armeeführung dazu überhaupt bereit. Bisher stand sie vollends loyal zum Herrscher. Doch Mubaraks Macht neigt sich angesichts seiner Altersschwäche ohnedies zu Ende. „Der Untergang des Steuermanns muß nicht den Untergang des Schiffes bedeuten“, meint ein politischer Analyst. Die Führung der Streitkräfte hat großes Interesse, den Demokraten, insbesondere den Islamisten, nicht die Tore zur Macht zu öffnen. Und sie haben das Beispiel des Irans vor Augen, wo sich eine mindestens ebenso eindrucksvolle zivile Portestwelle nach Monaten durch ungeheuerliche Brutalität ersticken ließ. In den Straßen Teherans erhebt derzeit niemand seine Stimme gegen die Führung.
Doch die Loyalität zu ihrer Führung ist bei unteren Chargen und den Soldaten keineswegs gewiß. Wenn die Massendemonstrationen anhalten, werden sie sich mit dem Volk solidarisieren?
Bildquelle: BBC
Freitag, 28. Januar 2011
Ägyptens Straßen brennen
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Jetzt geht es los. Die Unruhen greifen auch auf Ägypten und den Jemen über. In der Hauptstadt Sanaa haben Tausende Menschen gegen die Regierung und soziale Ungerechtigkeit demonstriert. Bislang verlaufen die Kundgebungen friedlich. In Ägypten gbit es allerdings Gewaltausbrüche. Erst Tunesien, dann Ägypten und jetzt der Jemen. Die Ursachen sind hier wohl auch haptsächlich in der Armut der Menschen zu suchen. Die Hälfte der Menschen im Jemen muss mit 2 Dollar am Tag auskommen. Ein Drittel der Menschen hat Hunger. Wenn die Menschheit erkennt, dass die Armut ein großer Motivatior für die Terroristen ist und dann etwas dagegen macht, dann wird auch der Terror zurückgehen.
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