Mittwoch, 8. August 2012

Syriens Palästinenser: Schutzlos und ohne Freunde

Allmählich zerreißen die alten Bande mit dem Assad-Regime – Neutralität erweist sich als schweres Dilemma

von Birgit Cerha

Yarmouk am Südrand der syrischen Hauptstadt Damaskus, gleicht einem elenden Arbeiterviertel. Riesige Wohnblocks, durch enge Straßenzüßge getrennt, reihen sich aneinander. 150.000 Palästinenser leben hier, fast ein Drittel der gesamten Flüchtlingsgemeinde, die Syrien seit Jahrzehnten beherbergt und deren Schicksal – ein wenig auch deren Wohl – offiziell zum zentralen Anliegen der Herrschaft der beiden Assads – des Vaters, wie des Sohnes – zählte. Durch den Einsatz für die Rechte der Palästinenser gewann Hafez el Assad einst die bedeutende geostrategische Rolle für sein kleines Land.
Seit Beginn der Rebellion gegenBashar vor 17 Monaten bemühten sich die Palästinenser um Neutralität. Doch nun ziehen sie die Kräfte des Krieges mehr und mehr in ihren Sog. Auch Yarmouk ist, wie andere Teile Syriens, von Tod und Zerstörung gezeichnet. Zuletzt starben Anfang August 20 Palästinenser im Kugelhagel, vermutlich von Rebellen verfolgenden syrischen Streitkräften abgefeuert. Ängstlich besorgt, nicht auch noch die Palästinenser gegen sich aufzubringen, hatte das Regime allerdings rasch „kriminelle Elemente“ für das Massaker verantwortlich gemacht. In der Nähe stationierte Rebellen suchen vor oder nach Attacken gegen Regierungssoldaten immer wieder unter den Palästinensern Schutz – eine Praxis, die der zunehmend in die Enge getriebene Diktator nicht länger dulden will.

Syriens Palästinenser „bleiben strikt neutral“ in diesem Krieg, bekräftigt Palästinenserpräsident Abbas erneut eine Strategie, an der diverse Fraktionsführer in Syrien verzweifelt seit Monaten festzuhalten suchen. Doch die überwiegend älteren Funktionäre haben längst den Bezug vor allem zur jüngeren Flüchtlingsgeneration verloren. Unter diesen Jungen wachsen mit jedem Gewaltakt gegen ihre Gemeinde die Solidaritätsgefühle mit ihren um Freiheit, Demokratie und ein Ende der Unterdrückung kämpfenden syrischen Altersgenossen.

Der Großteil der im ganzen Land zerstreuten Palästinenser , rund 500.000, sind Flüchtlinge und deren Nachkommen aus dem ersten Krieg gegen Israel 1948, die anderen fanden nach anderen Kriegen hier Aufnahme. Wie in anderen arabischen Ländern, erhielten sie auch in Syrien keine Staatsbürgerschaft, doch sie genießen weit mehr Rechte. Alle Arbeitsplätze, sogar in der Regierung, stehen ihnen offen, sie können kostenlos studieren und die sogar Militärlaufbahn ergreifen. Doch Enttäuschung über Vater, wie Sohn Assad, die die Palästinenserfrage primär für eigene, national-syrische Interessen missbrauchten und in Wahrheit nichts unternahmen, um die Flüchtlinge dem ersehnten eigenen Staat näher zu bringen, hat unter Palästinensern vor allem der jüngeren Generation Gefühle der Dankbarkeit gegenüber den Assads verdrängt und mitunter sogar durch das Gegenteil ersetzt. Denn die Politik des Regimes gegenüber den Flüchtlingen war stets von (nationalem) Eigeninteresse geprägt. Immer wieder heizte Damaskus interne palästinensische Konflikte an und schmiedete Komplotte zur Ermordung von Palästinenserführern, die nicht ihren Interessen zuwiderhandelten. Auch jetzt bleiben Flüchtlingen Repressionen des Staates nicht erspart. Einen Tag nach dem Massaker in Yarmouk schleppten syrische Sicherheitskräfte verwundete Palästinenser aus einem Krankenhaus ab. Seither fehlt von ihnen, wie zahllosen Syrern seit 17 Monaten, jede Spur. An die 300 Palästinenser dürften nach Schätzungen seit Beginn der Rebellion ums Leben gekommen sein. In syrischen Gefängnisse schmachten unzählige Palästinenser. „Wir sind Waisen“, klagt ein eben Freigelassener.
„Niemand bemerkt, ob wir gefangen genommen oder freigelassen werden.“ Und als Staatenlose fühlen sie sich grenzenlos verwundbar, werden sie voll in den Krieg hineingezogen, finden sie kein Land, das ihnen Schutz bietet. Die Ankündigung der Führung der „Freien syrischen Armee“, Palästinenser auf syrischem Boden, die auf der Seite des Regimes stünden, seien „legitime Ziele“- und damit kann de facto jeder der Flüchtlinge gemeint sein – lässt Schlimmes für die Zukunft befürchten.

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