Donnerstag, 2. August 2012

Syriens Kurden zwischen allen Fronten

Endlich vereint gegen das Regime, doch nicht mit der Opposition, bietet sich der unterdrückten Minderheit endlich eine „historische Chance“?

von Birgit Cerha

Über Derik, Qamishli, Amude, Kobani bis Afrin, entlang der Grenze zur Türkei, flattern die rot-weiß-grünen Flaggen Kurdistans, in Konkurrenz zu jenen mit dem roten Stern in der Mitte, den die stärkste Kurdenpartei Syriens, die „Demokratische Uniontspartei“ (DUP), über syrischen Amtsgebäuden und an öffentlichen Plätzen aufgezogen hat. Seit Assad zum Kampf um Damaskus und Aleppo seine Truppen aus den syrischen Kurdenregionen im Norden des Landes abzog, übernahmen die Kurden erstmals die Kontrolle über diesen Teil ihrer Heimat.In manchen kleinen Städten wurden Beamte des Regimes schon hinausgedrängt, in Afrin etwa sorgt nun die DUP für Wasser- und Stromversorgung und für eine reibungslose medizinische Hilfe.

„Nun halten die Kurden ihr Schicksal selbst in der Hand“, frohlockt Nuri Brimo von der „Kurdischen Demokratischen Partei Syriens“ (KDPS). Nach mehr als tausend Jahren arabisch/osmanischer Vorherrschaft “können wir nun in dieser Revolution mit minimalen Opfern siegen“.

Öffnet sich tatsächlich den Kurden Syriens nun eine „historische Chance“? Während die Kämpfe um Aleppo in ungeheuerlicher Heftigkeit toben, stießen kurdische Gruppierungen gewaltlos in das von Assad geöffnete Sicherheitsvakuum im überwiegend kurdischen Norden des Landes vor. Durch Vermittlung des Präsidenten der autonomen nord-irakischen Kurdenregion, Massoud Barzani, schlossen die kurdischen Erzrivalen, die mit der türkisch-kurdischen PKK verbündete DUP und der „Kurdische Nationalrat“ (KNR), ein Dachverband von etwa 15 kleinen kurdischen Parteien, einen Pakt, um gemeinsam, friedlich, die freigewordenen, auch an das autonome irakisch-Kurdistan grenzenden Gebiete zu verwalten.

Schon malt der prominente türkische Journalist Mehmet Ali Birand das Schreckgespenst der Türkei an die Wand: die Geburt eines „Mega-Kurdistans“, eines Staates, der die Kurdengebiete des Iraks, Syriens und der Türkei umfaßt. Und die einflußreiche Tageszeitung „Hürriyet“ sieht in der angeblichen „Demonstration der Stärke kurdischer Gruppen“ einen „potentiellen Alptraum“. Dementsprechend stellt auch Premierminister Erdogan klar, dass die Türkei ihr Recht zur Verfolgung kurdischer Rebellen (der PKK) auf syrischem Territorium durchsetzen werde. Wenn sich DUP nicht von der PKK distanziere und verhindere, dass diese Kämpfer in die Türkei einschleuse, werde die türkische Armee mit aller Kraft reagieren. Für diesen Fall warnt die PKK, sie werde „das gesamte Kurdistan in eine Kriegszone verwandeln“. Die Zeichen stehen auf Sturm. Und zwischen den Fronten steht die kurdische Zivilbevölkerung Syriens.

Syriens nun lose vereinte Kurdenparteien sind realistisch. Sie streben weder nach Unabhängigkeit, noch nach Anschluss an türkische und irakische Kurdenregionen. Sie sehnen sich nach einem Ende der Repression und Diskriminierung, nach einer auch in der Verfassung eines neuen demokratischen Syrien festgehaltenen Anerkennung ihrer eigenen, der kurdischen Identität – eine Forderung, die die im „Syrischen Nationalrat“ (SNR) zusammengeschlossene Opposition beharrlich ablehnt. Auf das Wort „Arabisch“ soll im offiziellen Namen der syrischen Republik auch in Zukunft nicht verzichtet werden. Der künftige demokratische Charakter des Staates, so die Argumentation der arabischen Gegner Assads, müsse den Kurden als Garantie für Gleichberechtigung genügen. Die Türkei sieht darauf, dass der in ihrem Land stationierte SNR nicht von dieser Position abrückt. Und die den SNR dominierenden Moslembrüder verzeihen den Kurden bis heute nicht, weil sie sich 1982 nicht an dem blutigen Aufstand gegen Präsident Hafez el Assad beteiligt hatten. Nach dem Sturz der Alawiten, so die jahrzehntelange Drohung der Moslembrüder, kämen die Kurden an die Reihe. Doese Warnung wird wieder akut. Der Vorwurf, sich nicht dem Kampf gegen das repressive Regime angeschlossen zu haben, könnte tatsächlich den Kurden zum Verhängnis werden, wenn die Moslembruderschaft im Syrien nach Assad entscheidenden Einfluss erobert hat.

So haben sich Syriens Kurden nicht zu gemeinsamer Strategie mit dem SNR entschlossen. Sie haben sich aber auch nicht von Assad, der ihnen zu Beginn der Revolten im Frühjahr 2011 plötzlich jahrzehntelang verweigerte Staatsbürgerschaft für Hunderttausende Kurden und andere Grundrechte versprach, ködern lassen. All zu sehr schmerzen die Wunden vergangener Repression und die Erfahrung ihrer iranischen Brüder, die sich 1979 der Revolution Khomeinis angeschlossen hatten, nur um nach dessen Sieg die volle Wucht der Militärmaschinerie des „Gottesstaates“ zu erleiden, drängen Syriens Kurden zu großer Vorsicht.

Der Nachweis kurdischer Existenz im Gebiet des heutigen Syrien reicht bis ins siebente Jahrhundert zurück. Doch im Gegensatz zu ihren Brüdern in der heutigen Türkei, im Irak und Iran, machen sie nur etwas mehr als zehn Prozent der syrischen Bevölkerung aus (an die drei Millionen) und leben zersplittert in der nördlichen Grenzregion, aber auch in Damaskus und Aleppo. Ihr Siedlungsgebiet birgt keine reichen Bodenschätze, die geostrategische Intressen, wie das Bündnis mit einer Großmacht (USA mit den irakischen Kurden) wecken würden, ja nicht einmal den Schutz eines Berglandes, der insbesondere den irakischen Kurden den jahrzehntelangen Kampf gegen Bagdad ermöglicht hatte.

Die Repressionsgeschichte der Kurden erhielt eine neue Dimension mit dem wachsenden Einfluss der Ideologie der arabisch-nationalistischen Baath-Partei, deren Anhänger 1963 die Macht in Syrien übernahmen und sie bis heute halten. Das Feuer in einem Kino, bei dem im November 1960 fast 300 kurdische Schulkinder in Amude starben, hat bis heute blutende Narben in der Seele der Minderheit zurückgelassen. Alle Ausgangstore des Kinos waren geschlossen und die Ursache der Katastrophe wurde nie aufgeklärt. Die Kurden sind überzeugt, dass das arabisch-nationalistische Regime, dass im Streben dieser nicht-arabischen Bevölkerungsgruppe eine Gefahr für das Ziel arabischer Einheit sah, dafür die Verantwortung trug. Nur zwei Jahre später entzog die Regierung in Damaskus 120.000 Kurden die Staatsbürgerschaft. Deren Zahl hat sich auf natürlichem Wege inzwischen mehr als verdreifacht, und erst bedrängt durch die Revolten im Vorjahr versprach Assad diesen de facto Ausgestoßenen volle Bürgerrechte. 1973 legte Präsident Hafez el Assad durch Ansiedlung von Beduinen einen „arabischen Gürtel“ um das Kurdengebiet, um die Minderheit damit in Schach zu halten. Sein Sohn Bashar setzte die Repressionen fort: die kurdische Sprache, kurdische Namen, die Feier des kurdischen Neujahrsfestes Nowruz blieben verboten - Restriktionen, der Präsident im Vorjahr aufhob. Als sich die Kurden 2004 in Qamischli gegen die Unterdrückung in ungewöhnlicher Stärke erhoben, schlugen die Regierungssoldaten brutal zu.

Heute stehen Syriens Kurden zwischen allen Fronten. „Niemand hört uns“, faßt ein kurdischer Aktivist weitverbreitete Frustrationen zusammen. „Wir haben die Regionalregierung“ irakisch-Kurdistans um materielle Hilfe angesichts wachsender Not „angefleht. Nur Versprechungen, die bisher unerfüllt blieben. Und voll Bitterkeit erinnern Syriens Kurden an ihren unermüdlichen Einsatz, ihre stete Hilfe für die solange bedrängten und um ihre Freiheit kämpfenden Brüder insbesondere im Irak.

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