Montag, 13. August 2012

Mursis Coup gegen Ägyptens Junta

„Vollendet“ der islamistische Präsident tatsächlich die Revolution oder erhebt er sich zum neuen „Super-Aitokraten“?

von Birgit Cerha

[Bild: li. Tantawi, re. Mursi]

Nach 18 turbulenten Monaten könnte in Ägypten wieder eine Ära zuende gehen. Schon frohlocken die Anhänger des ersten freigewählten Staatsoberhauptes, Mohammed Mursi hätte mit seiner Absetzung der herrschenden Militärchefs und Annullierung der von diesen erlassenen Verfassungsbestimmungen die im Januar 2011 begonnene Revolution gegen die Diktatur Hosni Mubaraks „vollendet“. Denn bis jetzt hatte der Höchste Militärrat (SCAF) die absolute Macht ausgeübt.Als sich bei den Präsidentschaftswahlen im Juni der Sieg des Moslembruders Mursi abzeichnete, hatte SCAF im letzten Moment durch Ergänzungsbestimmungen der Verfassung das höchste Staatsamt jeder Macht entkleidet. Der Repräsentant der Erzfeinde des alten Regimes sollte so zum Strohmann der wahren Herrscher degradiert werden. Die offene Konfrontation zwischen den beiden stärksten Kräften im Land war damit programmiert.
Dass der farblose, doch jahrzehntelang so treue Diener der Moslembruderschaft so rasch, so entschlossen und so radikal agieren würde, hatte niemand erwartet. Ist es doch das erstemal in der Geschichte Ägyptens, dass ein Zivilist Entscheidungen des Militärcherfs annulliert. Dementsprechend groß sind, je nach politischer Orientierung, Schock und Verwirrung. Eine Vielzahl von Fragen bleibt offen, für andere bieten sich unbehagliche Antworten an.

Die Absetzung des SCAF-Chefs, Feldmarschall Tantawis, und dessen fast ebenso mächtigen Stabschefs Sami Enan, beide lange engste Vertraute Mubaraks, erleichtert all die vielen Ägypter, die – zurecht – befürchteten, ihr Land könne sich nicht aus den Fängen der Militärs befreien. Tantawi und Enan werden Mursi als „Berater“ zur Seite stehen. Die Entscheidung sei in friedlichem Einvernehmen getroffen worden, beteuert Mohamed al-Assar, das nun führende SCAF-Mitglied und neuer stellvertretender Verteidigungsminister. Doch werden Tantawi, Enan und die anderen abgesetzten Militärkommandanten diesen Machtverlust tatsächlich tatenlos hinnehmen, vielleicht mit dem Versprechen der Immunität. Denn, ebenso wie Mubarak und dessen Clique, wären auch Tantawi und Enan Gefängnis wegen gravierender Verletzung von Menschenrechten und Machtmissbrauchs gewiss.

Weit wichtiger als die Personalentscheidungen aber ist Mursis Annullierung der Verfasssungsbestimmungen vom Juni, durch die er die legislative Macht, die Kontrolle über das Budget und den Prozess zur Erarbeitung einer neuen Verfassung von SCAF auf das Präsidentenamt überträgt. Mursi vereint damit nicht nur die exekutive, sondern auch die legislative Macht in seiner Hand, da die Frage der Auflösung des Parlaments durch SCAF bis heute ungeklärt ist. Wird Mursi, sobald Ägypten wieder ein Parlament hat, die legislative Macht abgeben? Wird er sein Versprechen einhalten und Neuernennungen im Verfassungsgebenden Komitee vornehmen, damit nicht mehr nur die Islamisten dominieren, sondern alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind? Das Recht dazu hat er sich von SCAF gesichert. Oder folgt er, wie die breite Schar der Anti-Islamisten am Nil befürchten, einer „geheimen Agenda“ der Moslembrüder, in Ägypten eine islamische Republik zu errichten und dafür schon jetzt dem Land seine Gesetze und seine Verfassung aufzuoktroyieren?

Viele Rechtsexperten zweifeln die Legalität der Entscheidungen vom Sonntag an. Mursi hatte auf die Verfassung mit all ihren nun aufgehobenen Zusatzbestimmungen seinen Amtseid geschworen. Dazu gehört auch die Zustimmung, dass nur SCAF all diese Regeln aufheben darf. Er hat, wie Tantawi autokratisch agiert, auch wenn er seine Macht dem Volkswillen verdankt. Die Neuernannten, insbesondere Tantawis Nachfolger Abdel Fattah al-Sisi, gelten als fromme Muslime mit Sympathien für die Moslembruderschaft. Dass die erbitterten und immer noch einflußreichen Gegner der Islamisten diese Entwicklung tatenlos hinnehmen, erscheint höchst zweifelhaft.

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