Sonntag, 5. Juni 2011

Salehs Abreise hinterläßt Verwirrung im Jemen

Bleibt der Präsident im Exil? – Saudi-Arabien ringt um Lösung, bevor der Nachbar in einem Bürgerkrieg zerfällt

von Birgit Cerha

Im Zentrum von Sanaa und anderen jemenitischen Städten jubeln die Menschen, die seit vier Monaten durch friedliche Proteste den Abtritt ihres Staatschefs Ali Abdullah Saleh zu erzwingen suchten. Sie tanzen und schwingen die jemenitische Flagge. Naht für sie tatsächlich der Tag der Freiheit, der Mitbestimmung in einem reformierten modernen, sozialen Staat, ohne Korruption und Mißwirtschaft?
Doch das Schicksal dieses Staates am Rande des Abgrunds ist auch nach Salehs Abflug nach Saudi-Arabien höchst ungewiss. Kenner der politischen Verhältnisse im Jemen, wie der Saudi Khalid al-Dakhil, sind davon überzeugt, dass Saleh sich nicht zu einer medizinischen Behandlung seiner Freitag bei einer Attacke auf den Präsidentenpalast in Sanna erlittenen Verletzungen im Königreich hätte überreden lassen, wenn er nicht bereit wäre, die Macht nach viermonatiger Proteste und blutiger Kämpfe aufzugeben. In Sanaa allerdings betonte ein Sprecher von Salehs regierendem „Volkskongreß“, der Präsident plane seine Rückkehr „innerhalb von Tagen“.

Laut BBC habe Saleh nach Angaben von Regierungskreisen mittelschwere Verbrennungen im Gesicht und am Nacken erlitten und ein 7,6 cm langes Schrapnell stecke in seiner Herzgegend. Der Premierminister und mindestens vier andere hohe Politiker werden nun ebenfalls wegen schwerer Verwundungen im saudischen Militärhospital in Riad behandelt. Elf Leibwächter waren zudem Freitag ums Leben gekommen. Die Tatsache, dass Sonntag 31 Familienmitglieder Saleh nach Saudi-Arabien folgten, gibt im Jemen Spekulation Auftrieb, dass Saleh nicht mehr zurück kehren werde.

Getreu der Verfassung, übernahm nun Vizepräsident Abd-Rabbu Mansour Hadi die Regierungsgeschäfte und das Oberkommando über die Streitkräfte. Er war auch in dem von der Opposition, nicht jedoch von Saleh, gebilligten Lösungsvorschlag der Golfstaaten zum Abtritt Salehs als Übergangsführer vorgesehen. Kehrt Saleh binnen 60 Tagen nicht zurück, dann muss Hadi Neuwahlen vorbereiten.

Die Ankunft der wichtigsten Persönlichkeiten der jemenitischen Führung in Saudi-Arabien, bietet nun dem durch Salehs wochenlange Abtrittsweigerung tief frustrierten Königshaus die Chance, eine Lösung zu erzwingen, die dem Jemen zumindest einen katastrophalen Bürgerkrieg ersparen könnte. Riad sah keine Möglichkeit, Saleh, der daheim und international mehr und mehr an Glaubwürdigkeit verloren hatte, zum Rücktritt zu zwingen, insbesondere da die von dem Präsidentensohn und –neffen, Ammar und Yehia kommandierten Sicherheitskräfte die militärische Übermacht in der Hauptstadt auch bei den Kämpfen gegen den mit Riad verbündeten Stammeskriegern der Ahmar-Familie erhalten konnten. Die Tatsache, dass Ahmar und Yehia, bittere Rivalen der Ahmars, ihre Positionen weiterhin ausüben gibt Saleh, diesen Meister der Manipulation, die Möglichkeit, auch von Saudi-Arabien aus den Machtkampf fortzusetzen.

Doch seine Position ist entscheidend geschwächt. Riad wird nun massiven Druck ausüben, um eine Übergangslösung zu finden, die dem Nachbarn ein gewisses Maß an Stabilität sichert und den auch Saudi-Arabien bedrohenden Al-Kaida Ableger im Jemen in Schranken hält. Zu diesem Zweck haben die Saudis nach Regierungsangaben Kontakt mit allen Streitparteien im Jemen aufgenommen, die Gewaltlosigkeit zugesichert hätten.

Die Hürden aber sind enorm. Während Saleh seit Februar um seine Macht rang, entglitt ihm immer mehr die Kontrolle über weite Landesteile. Zuletzt haben die Sicherheitskräfte Taiz, die zweitgrößte Stadt, verlassen, wo Sonntag Dutzende Bewaffnete den Präsidentenpalast attackierten. Ob es gelingt, das Sicherheitsvakuum wieder zu füllen, ist ebenso ungewiß, wie die Frage, ob die alten politischen Rivalen im Land bereit sind, einer friedlichen Zukunft eine Chance zu geben und den Jemen zu Neuwahlen und einem Neuanfang zu führen.

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