Sonntag, 1. August 2010

SYRIEN/LIBANON: „Beschwichtigungs-Gipfel“ löst Libanons Probleme nicht


Syriens Rückkehr zur Dominanz über den Levantestaat soll den Iran fernhalten – Doch lässt sich damit ein erneuter blutiger Konflikt verhindern?


von Birgit Cerha

„Die Spannungen bestehen weiter. Syriens Präsident und der saudische König haben nur Zeit gewonnen“, fasst ein libanesischer Kommentator die Ergebnisse des Dreier-Gipfels zusammen, der Freitag zum ersten Mal seit mehr als vier Jahrzehnten einen saudischen König und einen syrischen Präsidenten nach Beirut brachte. Noch lassen sich die Auswirkungen der Gespräche mit Libanons Präsidenten nicht absehen. Libanesische Medien zeigen sich zurückhaltend. Immerhin hat der Chef der schiitischen Hisbollah, Nasrallah, erst für Dienstag eine erneute Stellungnahme zum Internationalen Tribunal angekündigt, das den Mord an Ex-Premier Rafiq Hariri von 2005 aufklären soll. Nasrallahs Worte werden Aufschluss darüber geben, ob der Syrer Assad und der saudische König Abdullah ein wenig Abkühlung in die explosive politische Hitze bringen konnten, die die Libanesen in Panik versetzt.
Die erstaunliche Eintracht, mit der Abdullah und Assad, noch vor zwei Jahren erbitterte Gegner im Ringen um dominierenden Einfluss über den Levantestaat, illustrierte deutlich die große Angst vor einem erneuten Krieg, der die gesamte Region ins Chaos stürzen könnte.

Ausgelöst hatten die Panik Berichte über eine bevorstehende Anklage von Mitgliedern der Hisbollah wegen Verwicklung in den Mord an Hariri durch das Internationale Tribunal. Nasrallah reagiert scharf, will unter keinen Umständen dulden, dass Angehörige seiner Organisation mit dem Attentat in Verbindung gebracht werden, bezichtigt das unter kanadischem Vorsitz geführte Tribunal im Dienste Israels zu stehen und wittert ein internationales Komplott zur Vernichtung seiner Organisation. Er kündigte deshalb jegliche Kooperation mit der UNO auf und schon kam es wiederholt zu blutigen Zwischenfällen zwischen Libanesen und UNIFIL, die das Grenzgebiet zu Israel absichern soll.

Öl in das Feuer eines sich stetig verschärfenden Wortkrieges zwischen Israel und Hisbollah goss zudem noch die Entdeckung von Öl- und Gasvorräten im israelischen und libanesischen Küstengebiet und die Schiitenorganisation stellte bereit klar, dass sie notfalls mit Gewalt Israel daran hindern werde, den Libanesen ihr „schwarzes Gold“ zu stehlen. All dies vor dem Hintergrund verstärkter israelischer Aufrüstung entlang der Grenze zum Libanon und Drohungen, im Falle einer Provokation durch Hisbollah libanesische Dörfer, ja die Infrastruktur des Nachbarn zu zerstören. Hisbollah wiederum verkündet, sie habe eine Liste von militärischen Zielen in Israel zusammengestellt, die sie gegebenenfalls attackieren wolle.

Dass der Dreiergipfel nun tatsächlich die Kriegsgefahr gebannt hat, erscheint höchst unwahrscheinlich. Immerhin aber haben Assad und Abdullah, deren gegensätzliche Strategie insbesondere seit dem Tod Hariris und den erzwungenen Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon nach drei Jahrzehnten das gequälte Land erneut an den Rand des Abgrunds getrieben hatte, nun die gemeinsame Entschlossenheit bekundet, die Stabilität des Libanons über alle anderen Interessen (d.h. vor allem auch Ergebnisse des Tribunals) zu stellen. Abdullah will eine Aufschiebung der Anklage durch das Tribunal zu erwirken versuchen, schränkte aber zugleich ein, dass es sich hier um eine internationale Institution handle und sein Einfluss begrenzt sei.

Der auch um enorme saudische Investitionen im Libanon bangende König erkannte, dass ein Beharren auf Aufklärung des Mordes an Saudi-Arabiens altem Verbündeten Hariri seinen Schützlingen, der pro-westlichen sunnitischen Minderheit, mehr schaden als nützen würde. Sie wären einer Konfrontation mit Hisbollah weder politisch noch militärisch gewachsen. Saad Hariri, Sohn des Ermordeten und seit dem Vorjahr dank der Annäherung zwischen Riad und Damaskus Premier einer Koalitionsregierung mit der Hisbollah, hat sich offenbar dieser Erkenntnis angeschlossen. Immerhin könnte Nasrallah die Koalition zu Fall bringen und einen Bürgerkrieg provozieren. So rang sich Saad zum Pragmatismus durch, besuchte bereits seit Dezember viermal Damaskus und empfing am Freitag jenen Mann, Bashar el Assad, in Beirut, von dem er 2007 gegenüber „Time“ behauptet hatte, er „gab den Befehl“ zur Ermordung seines Vaters.

Hintergrund der ungewöhnlichen arabischen Einigkeit sind aber geostrategische Interessen. Assad feierte eine triumphale politische Rückkehr in den Libanon – und dies auch noch mit dem demonstrativen Segen Saudi-Arabiens. Riad geht es vor allem darum, seinen geostrategischen Rivalen Iran aus dem Libanon fern zu halten. Was Assad über Syriens langjährigen Verbündeten in Teheran denkt, stellte er vor libanesischen Journalisten vor fünf Jahren klar: „Ihr Libanesen habt nur zwei Wahl-Möglichkeiten: Syrien oder Iran.“ Um sich wieder den dominierenden Einfluss über den Nachbarn zu sichern, hatte sich Damaskus seit 2005 verstärkt auf die von Teheran unterstützte Hisbollah gesetzt und damit automatisch den Einfluss Irans wesentlich gestärkt. Doch Syrien soll will nach Assads Vorstellungen, der Herr über dem Libanon und auch über Hisbollah sein. Iran solle die Schiitenorganisation nicht nach Belieben auch gegen arabische Interessen manipulieren können – etwa im Falle einer israelischen Attacke auf seine Atomanlagen. Ob Teheran dies tatenlos hinnimmt, erscheint höchst ungewiss.

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