Montag, 28. Dezember 2009

IRAN: „Wir kämpfen und wir sterben, um den Iran wieder zu erobern“

Während das Regime die Repression weiter verschärft, zieht der Widerstand immer weitere Kreise

von Birgit Cerha

Im Iran herrschte Montag, einen Tag nach den blutigsten Massenprotesten seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni Hochspannung. Nach Berichten des staatlichen Fernsehens waren bei den Demonstrationen Hunderttausender Menschen gegen das Regime Sonntag, dem höchsten schiitischen Trauertag, Ashura, 15 Menschen ums Leben gekommen. Zehn der Toten seien Mitglieder „anti-revolutionärer Terrorgruppen“, die restlichen fünf seien von (ungenannten) „Terrorgruppen“ ermordet worden.

Irans Herrscher reagierte auf die Massenproteste mit denselben Methoden wie zu Beginn der Demonstrationen im Juni: Verhaftung zahlreicher prominenter Oppositioneller, nicht jedoch der eigentlichen Führer der „Grünen Bewegung“, wie Mussawi, Karrubi oder Khatami. Zu den Verhafteten zählen der Chef der verbotenen „Befreiungsbewegung’’ und erster Außenminister der „Islamischen Republik“, Ibrahim Yazdi, dessen Neffe Lily Tavasoli und der Menschenrechtsaktivist Emad Baghi, sowie enge Berater Mussawis und Khatamis. Sonntag waren bereits mindestens 300 Demonstranten festgenommen worden. Wie hoch die Zahl der Opfer vom Sonntag tatsächlich ist, bleibt – zumindest vorerst – im dunkeln. Unter den Verletzten sind jedoch auch zahlreiche Angehörige der Sicherheitskräfte, der paramilitärischen Bassidsch, sowie der Teheraner Polizeichef.

Die dramatischen Ereignisse vom Sonntag zeigen, dass der Konflikt im Iran eine neue Dimension erreicht hat. Die Zahl der Demonstranten dürfte nach Schätzungen vieler Beobachter sogar jene der ersten Protestkundgebungen nach den Wahlen im Juni überschritten haben. Während das Regime weiterhin seine Entschlossenheit demonstrierte, Ruhe mit aller Brutalität herzustellen, bilden sich unter dem Widerstand zunehmend auch gewaltbereite Gruppen, die Motorräder der Bassidsch in Brand steckten und in Teheran sogar auch eine Polizeistation, sowie Polizisten niederprügelten. Nach über Mobiltelefone verbreiteten Videoaufnahmen bewarfen Demonstranten Sicherheitskräfte mit Steinen und brüllten: „Wir kämpfen und wir sterben, um den Iran wieder zu erobern.“ Die Rufe „Tod (dem „Geistlichen Führer) Khamenei“ erschallten immer lauter, während sich Zehntausende Demonstranten nicht mehr von Tränengas und prügelnden Bassidsch einschüchtern ließen.

Die Ereignisse vom Sonntag könnten sich als schicksalhaft für das islamische System erweisen. Denn in den Augen vieler, insbesondere auch unpolitischer, aber gläubiger Iraner haben die Diktatoren in Teheran eine rote Linie überschritten. Sie hätten sich als noch brutaler erwiesen als der vom Volk einst so gehasste und schließlich 1979 gestürzte Schah. Der Kaiser nämlich hatte sich an die uralte schiitische Tradition gehalten, sich während der dem ermordeten Enkel des Propheten Mohammed gewidmeten Trauertage Muharram, die im Ashura-Fest ihren Höhepunkt finden, jeder Gewalt zu enthalten. Dass Khamenei offensichtlich den Befehl gegeben hatte, die traditionellen Trauermärsche, an denen sich politische Aktivisten ebenso wie unpolitische Gläubige beteiligt hatten, zu attackieren, erweitert das Spektrum der Gegner des Regimes beträchtlich.

Auch der Tod von Mussawis Neffen Ali Habib heizt die Emotionen weiter auf. Der Verdacht liegt nahe, dass der 35-Jährige gezielt attackiert wurde, um den Onkel endlich einzuschüchtern. Der Mord gilt unter Gläubigen zudem als besonders großes Verbrechen, nicht nur, weil er an Ashura verübt wurde, sondern weil Ali Habib einer Familie der Seyeds angehört, die als direkte Nachkommen Mohammeds gelten. Nun versucht das Regime, ein offizielles Begräbnis unter allen Umständen zu vermeiden, da dies zu erneuten Massenprotesten führen würde. Der Leichnam Ali Habibs verschwan nach Aussagen der Familie aus dem Spital, offenbar, um die Mussawis zu einem Begräbnis im Geheimen zu zwingen.

Während sich Irans Führer bisher zu keiner neuen Strategie durchringen konnten, um dem wachsenden Zorn in weiterer Bevölkerungskreise zu entgegnen, stehen die Zeichen auf Eskalation. Oppositionskreise berichten von zunehmender Spaltung in den Reihen der Sicherheitskräfte, Desertionen unter Polizisten und Weigerung von Bassidsch-Milizionären, gegen Demonstranten vorzugehen.

Die Tatsache, dass Sonntag auch Banken von Protestierenden attackiert wurden, lässt darauf schließen, dass sich der Oppositionsbewegung auch Angehörige die großen Schichte der sozial Frustrierten anzuschließen beginnen.

Die Strategie der Härte erweist sich als fatal kontraproduktiv, da Verhaftungen erneute Demonstrationen, Todesfälle immer neue Trauerkundgebungen provozieren. Zusehends dürfte sich damit die Opposition zu éiner Massenbewegung des passiven Widerstandes auswachsen, die niemand mehr zu kontrollieren vermag.

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