Montag, 28. Dezember 2009

IRAN: Iraner schreiben ihre Geschichte

von Birgit Cerha


Mit jeder tödlichen Kugel, mit all den Tränengaskanonen und Knüppelschlägen, mit jeder Festnahme gewaltloser Demonstranten und Verhaftung machtloser Oppositioneller treiben sich Khomeinis despotische Erben selbst immer näher an den Rand des Abgrunds. Spätestens seit Sonntag, dem so blutig entarteten Ashura-Fest, besteht kein Zweifel mehr, dass sich die Herrscher des „Gottesstaates“ auf die „falsche Seite“ der Geschichte manövrieren. Schon fragen sich auch nüchterne unabhängige Beobachter, ob die Welt nach drei Jahrzehnten nun die zweite iranische Revolution erlebt.

Der so lange über jegliche Kritik erhabene „Geistliche Führer“ Khamenei bereitet dafür selbst den Boden. Seine Entschlossenheit, seine eigene Macht und die seines Schützlings Präsident Ahmadinedschad um jeden auch noch so blutigen Preis zu erhalten, hat ihn in eine Sackgasse getrieben und eine gemäßigte Reformbewegung in eine Massenströmung gewandelt, die nun offen seinen Sturz und damit den des gesamten islamischen Systems fordert.

Khamenei schockierte selbst viele seiner Anhänger, zahllose unpolitische Gläubige im ganzen Land durch die einzigartige Entschlossenheit, zur Verteidigung seiner eigenen Macht die islamischen Institutionen zu attackieren: Ashura, das Fest der Trauer und Gewaltlosigkeit, indem er seinen Bassidsch-Milizionären gestattete, auch unpolitische Trauernde anzugreifen, sowie Bürger der „heiligen Stadt“ Qom, wo die Saat der islamischen Revolution von 1979 gelegt wurde, oder den hochangesehenen Ayatollah Taheri in Isfahan, dem im letzten Moment Anhänger schützend zu Hilfe eilten. Solche Attacken gegen islamische Institutionen und religiöse Mitglieder der Gemeinde beginnen dem „Höchsten geistlichen Führer“ die Reste an Glaubwürdigkeit und Legitimität zu rauben, die er noch in manchen Bevölkerungskreisen besitzen mag. Sie verleihen der Oppositionsbewegung in den Augen einer wachsenden Menschenschar die Rechtmäßigkeit, die zum Erfolg gegen ein despotisches Regime führen könnte.

Eine wachsende Zahl an Ayatollahs der jungen und mittleren Generation wagt nun offen Sympathie für die „Grünen“ zu zeigen und verheißt Khamenei noch größere Probleme. Zugleich nimmt der zivile Ungehorsam immer größere Ausmaße an. Der Widerstand hat längst Eigengesetzlichkeit erreicht. Mussawi ist höchstens noch sein symbolischer Führer, ein Mann zudem, der sich stets zu der nun offen bekämpften „Islamischen Republik“ bekannte, wohl weit davon entfernt, ihren Sturz als Ziel zu setzen.

Die Despoten sind ratlos. Für ein Gesprächs- und Kompromißangebot ist es wohl zu spät und ohnedies zeigen sie dazu nicht die geringste Bereitschaft. Khameneis „Märtyrer“ provozieren mehr und mehr Proteste. Ihre Anhänger sind bereit, ein „Monat des Blutes“ zu erdulden. Noch haben die Revolutionsgarden nicht mit dem dramatischen Versuch begonnen, die Straße zurück zu erobern. Auch dafür könnte es zu spät sein. Die Iraner stehen vor schicksalhaften Tagen.

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