Donnerstag, 9. Juli 2009

Birgit Cerha: Dem Irak droht ein neuer blutiger Konflikt

Terror sucht den Norden heim – Während Extremisten neue Positionen aufbauen, verschärfen sich die Rivalitäten zwischen Bagdad und den Kurden


Es war das schlimmste Blutbad seit dem Rückzug der US-Truppen aus irakischen Städten am 30. Juni, das Donnerstag in der nordirakischen Stadt Tal Afar mindestens 41 Menschen in den Tod riß. Zugleich starben in Bagdads schiitischer Sadr City mindestens sieben Menschen durch einen Terroranschlag. Die Welle der Gewalt, die viele durch den Rückzug amerikanischer Soldaten befürchtet hatten, droht nun vor allem den Nord-Irak heimzusuchen, wo sich eine Vielzahl ungelöster politischer Konflikte, aufgestauter Emotionen unter der einst vom gestürzten Diktator Saddam Hussein so gequälten kurdischen Bevölkerung, tiefe Frustrationen angesichts der ausgebliebenen Entschädigung und Versöhnung all zu leicht blutig entladen können.
Der Terror der vergangenen Tage rückt zwei unterschiedliche Probleme ins Rampenlicht. Tal Afar, nahe der Grenze zu Syrien gelegen und einst überwiegend von sunnitischen Turkmenen bewohnt, war Hochburg des arabisch-sunnitischen Widerstandes, sowie der Al-Kaida Terroristen in deren blutigen Kampf gegen die US-Besatzer und deren Schützlinge gewesen. Hier hatten sich seit 2003 die grausigsten Gewaltakte ereignet. In einer ungeheuer brutalen Aktion vertrieben Kampfpiloten der US- und NATO-Streitkräfte die gewalttätigen Extremisten aus der Stadt, in die überwiegend nicht-rebellische Schiiten-Turkmenen einzogen. Nun, nach dem Rückzug der US-Truppen aus den Städten sehen die Verjagten, darunter vermutlich auch Al-Kaida Extremisten, die Chance, Tal Afar – neben dem nahegelegenen Mosul – zu ihrem Aktionszentrum für den Kampf gegen die Regierung Maliki in Bagdad aufzubauen. Hier zeigt sich dramatisch das Versagen Premier Malikis, die zerstrittenen Bevölkerungsgruppen miteinander zu versöhnen. „Die ethnischen Säuberungen, die unter den Nasen der US-Militärs im Irak vollzogen wurden, verheißen dem Irak nichts Gutes“, befürchtet der amerikanische Irak-Experte Juan Cole.

Zugleich aber braut sich ein neuer potentiell zerstörerischer Konflikt im Norden zusammen, diesmal zwischen Regierungspartnern in Bagdad: der vom Schiiten Maliki geführten Zentralregierung mit ihrem wichtigsten Koalitionspartner, den Kurden unter Führung der Regionalregierung Kurdistan in Erbil. Der Streit schwelt seit langem und manifestierte sich bisher in gegenseitigen Verbalattacken, Verhandlungen hinter den Kulissen und militärischen Manövern in den „umstrittenen“ Gebieten, jenen historisch von Kurden bewohnten Territorien südlich der drei autonomen Kurdenprovinzen, die Saddam Hussein den Kurden durch massive ethnische Säuberungen brutal entrissen hatte und die u.a. vor allem die von Kurden, aber auch Turkmenen, Arabern und Christen bewohnten ölreichen Region Kirkuk mit einschließt. Hier droht sich die Gewalt dramatisch zu verschärfen.

Seitdem das Zweistromland als Irak 1932 seine Unabhängigkeit erlangte, ist Kirkuk blutiger Zankapfel zwischen den Kurden und der Zentralregierung. Ihren Anspruch auf dieses „Herz Kurdistans“ (wie sie es sehen), dokumentierten die Kurden nun erneut in einer von ihrem Regionalparlament in Erbil gebilligten neuen Verfassung, die kurdische Souveränität über einen großen Teil der „umstrittenen Gebiete“, insbesondere Kirkuk, bekräftigt. Der Schritt löste unter den Arabern in Bagdad helle Empörung aus. 50 arabische Parlamentsmitglieder wiesen die neue kurdische Verfassung energisch zurück, da sie nicht nur den ungeklärten Status von Kirkuk einseitig zugunsten der Kurden lösen wolle, sondern auch eine drastische Einschränkung der Macht der Zentralregierung vorsehe. So zwingt die kurdische Verfassung u.a. die Zentralregierung vor Abschluß internationaler Verträge die auch die Kurdenregion betreffen, die Genehmigung durch die Regionalregierung in Erbil einzuholen. Auf Druck Bagdads wurde nun ein Referendum über die Verfassung, das gemeinsam mit den für 25. Juli geplanten Parlaments- und Präsidentschaftschaftswahlen in der Region Kurdistan abgehalten werden sollte, verschoben.

Doch auch in der bisher weitgehend stabilen Kurdenregion wächst die Unruhe. Während die Wiederwahl Massoud Barzanis als Präsident des autonomen Gebietes gesichert erscheint, könnten die beiden Kurdistan seit langem dominierenden Parteien, die „Kurdische Demokratische Partei“ Barzanis und die „Patriotische Union Kurdistans“, deren Führung Iraks Präsident Talabani nach seinem Ausscheiden aus dem höchsten Staatsamt zu Jahresende wieder übernehmen dürfte, angesichts der starken Unzufriedenheit über Korruption, Misswirtschaft und mangelnder Sozialhilfe für die Masse der Bedürftigen, schwere Schlappen erleiden und damit die Handlungs- und wohl auch die Kompromissfähigkeit der Kurden in dieser kritischen Phase auf dem Weg des Iraks zu Stabilität und Demokratie gefährlich beeinträchtigen.
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erschienen in "Frankfurter Rundschau", 10.7.2009