Dienstag, 29. Dezember 2009
IRAN: Die „Diener des Satans“
Die Revolutionsgarden sind zu den eigentlichen Machthabern aufgestiegen und beherrschen den Iran wie einen Mafiastaat
von Birgit Cerha
„Wenn sie nicht auf den Pfad der Revolution und des Imams (Khomeini) zurückkehren, werden sie wie Bani Sadr (den 1981 vom Parlament entmachteten ersten Präsidenten der Islamischen Republik) enden. Das Volk wird sie auf den Müllhaufen der Geschichte schleudern.“ Ihr, die Führer der „Grünen Bewegung“ Mussawi, Khatami und Karrubi, „habt 30 Jahre des Vertrauens von Millionen Iranern verspielt.“ Mit solch scharfen Worten kündigte General Ali Reza Jabbari, militärischer Kommandant der Revolutionsgarden, volle Härte gegenüber Demonstranten und Oppositionellen an.
Somit steht fest, dass Irans heutige Machthaber weiterhin den Kurs der Gewalt verfolgen, der auch nach Monaten den Widerstand im Volk nicht zu brechen vermochte, ja ihm vielmehr stetig neuen Nährboden verschafft. Jabbaris Wort hat entscheidendes Gewicht. Denn seit den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni sind die Revolutionsgarden zu den eigentlichen Machthabern im Iran aufgestiegen. So manche Beobachter sprachen schon im Sommer von einem de-facto „Militärputsch“.
Wiewohl er alle Kommandanten der Garden im Laufe der Jahre persönlich ernannte, haben die dramatischen Entwicklungen der vergangenen Monate den politischen Spielraum des „Geistlichen Führers“ Khamenei drastisch eingeschränkt. Selbst wenn er es wollte, könnte er wahrscheinlich den brutalen Repressionen kein Ende setzen.
Dennoch lassen sich die Garden keineswegs mit einer Militärjunta vergleichen. Sie haben sich im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte von einer militärischen Kraft zu den Managern eines, ihres, Wirtschaftsimperiums gewandelt, die – völlig unkontrolliert von anderen staatlichen Institutionen – mehr und mehr alle Bereiche der iranischen Gesellschaft durchdringen. Heute verfolgen sie längst nicht mehr nationale, sondern ihre ureigensten Machts- und Wirtschafts-Interessen. Sie sind damit aber kein weniger gefährlicher Machtfaktor im Staatsgefüge der islamischen Republik.
Die Revolutionsgarden wurden in der Hitze der Revolution 1979 von Khomeini, der dem regulären, unterdessen von allen hohen Offizieren gesäuberten Militär des gestürzten Schahs zutiefst misstraute, als parallele militärische Institution zum Schutz der Revolution gegründet. Sie waren eine Volksarmee, die im ersten Jahr des iranisch-irakischen Krieges, nachdem sie die feindliche Armee aus dem Land gejagt hatten, ein lange fortlebendes Heldenmythos erwarb. Nach Kriegsende 1988 wagte der damalige Präsident Rafsandschani nicht die Demobilisierung der Garden, um die Schar der Arbeitslosen in Zeiten der ökonomischen Krise nicht noch zu vergrößern. Doch das kriegszerstörte Land konnte sich einen solch riesigen militärischen Sektor nicht leisten. So öffnete Rafsandschani den Garden die Geschäftswelt, zunächst vor allem den Ölsektor, später auch den Handel und andere Bereiche, damit sich die Garden ökonomisch selbst erhalten können. Die ihnen unterdessen angeschlossenen paramilitärischen Bassidsch erhielten den Auftrag, ihr Budget durch Strafmandate von der Bevölkerung zu finanzieren, was nur möglich wurde, indem sie stets neue Verbote, neue Schikanen erließen.
Doch weder Rafsandschani, noch dessen Nachfolger Khatami gelang es, die Garden unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie blieben Khamenei direkt verantwortlich. Ihre Generäle werden auch vom „Führer“ ernannt. Je mehr sich die Ultras im System von Reformern in Bedrängnis fühlten, umso enger wurde der Bund mit der Führungsschicht der Garden, während ein großer Teil der Basis mit den Reformern sympathisieren dürfte, viele hatten auch 1997 Khatami gewählt. Präsident Ahmadinedschad hat seit seiner Amtsübernahme 2005 die Macht der Garden ökonomisch wie politisch entscheidend ausgeweitet. Heute kontrollieren sie nicht nur die gesamte iranische Militärindustrie, sondern auch ein Multi-Milliarden-Dollar Imperium, das in jeden Wirtschaftssektor reicht, von Laser-Augenchirurgie, über Autos, die Bauwirtschaft, Gas- und Ölförderung, bis zum Schwarzmarkt. So produzieren sie etwa illegal die verbotenen Satellitenschüsseln, die sie den Bürgern gegen harte Strafen von Dächern und Balkonen abräumen, nur um sie wieder illegal zu verkaufen. Ähnliches im Drogenhandel. Seit 2005 wurden ihnen nach jüngsten Berichten 750 Regierungsaufträge für Öl- und Gasprojekte u.a. erteilt. Um sich die Kontrolle über höchst lukrative Unternehmen zu sichern gehen sie nicht zimperlich vor. So verzögerten sie die Eröffnung eines neuen riesigen Flughafens in Teheran, weil sie von dem Projekt ausgeschlossen waren und erzwangen auf diese Weise die Kontrolle. Alle Familienangehörige der Garden genießen beträchtliche Privilegien
Wiewohl in Khomeinis Testament streng beauftragt, sich aus der Politik herauszuhalten, sitzen Dutzende ehemalige Gardisten im Parlament und bekleiden Regierungsämter. Erstmals widersetzten sich die Kommandanten offen Khomeinis Auftrag, als sie im Zuge der blutigen Studentenproteste 1999 den damaligen Präsidenten Khatami hinter den Kulissen davor warnten, sich auf die Seite der Freiheit rufenden jugendlichen Anhänger zu stellen. Khatami ließ seine treuesten Jünger damals im Stich, eine Position, die ihm viele bis heute nicht vergeben. Nach den Wahlen im Juni bezogen sie offen politische Stellung gegen all jene, die an dem ihre Interessen schützenden System rütteln.
Ihr Einfluss reicht auch tief in das Bildungssystem, sowie in die vom Staat kontrollierten Medien.
Die Garden verdanken ihre wachsende Macht auch den Ereignissen nach dem 11. September und der aggressiven Politik US-Präsident Bushs gegenüber dem Iran. Unter dem Vorwand, das Land vor einem zunehmend gefährlichen äußeren Feind zu schützen, versuchten sie sogar, über den Iran das Kriegsrecht zu verhängen. Die Möglichkeiten, die USA im Irak zu bekämpfen und dort nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 massiv an Einfluss zu gewinnen, stärkte dramatisch ihre Position daheim.
Nach den Wahlen im Juni zeigten sie vollends ihr wahres Gesicht durch seither wiederholte massive Drohungen gegen die Bevölkerung. Dass es ihnen dabei nicht um deren Wohl, sondern einzig um ihre Interessen geht, die sie durch Terror und durch Geld verteidigen, steht längst außer Zweifel. Großayatollah Montazeri klagte vor seinem Tod, die Garden und die Bassidsch seien nicht länger „Diener Gottes“, sondern „Diener des Satans“. Kritiker der ausschließlich merkantilen Orientierung der Garden, sowie der manipulierten Wahlen und Repressionen wurden in den vergangenen Monaten aus den Führungskreisen gesäubert.
Dennoch haben sie sich bisher darauf beschränkt, durch Verbaldrohungen eine Atmosphäre des Terrors zu schaffen und die Gewalt den Bassidsch zu überlassen. Niemand kann voraussagen, ob die Garden nicht auseinanderbrechen, wenn sie ihre Waffen in voller Härte gegen das Volk zu richten beginnen. Denn so manches spricht dafür, dass sich die Führung auf eine immer schmälere Basis zu stützen vermag.
Erschienen am 29. 12. in der "Frankfurter Rundschau"
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Montag, 28. Dezember 2009
IRAN: Iraner schreiben ihre Geschichte
von Birgit Cerha
Mit jeder tödlichen Kugel, mit all den Tränengaskanonen und Knüppelschlägen, mit jeder Festnahme gewaltloser Demonstranten und Verhaftung machtloser Oppositioneller treiben sich Khomeinis despotische Erben selbst immer näher an den Rand des Abgrunds. Spätestens seit Sonntag, dem so blutig entarteten Ashura-Fest, besteht kein Zweifel mehr, dass sich die Herrscher des „Gottesstaates“ auf die „falsche Seite“ der Geschichte manövrieren. Schon fragen sich auch nüchterne unabhängige Beobachter, ob die Welt nach drei Jahrzehnten nun die zweite iranische Revolution erlebt.
Der so lange über jegliche Kritik erhabene „Geistliche Führer“ Khamenei bereitet dafür selbst den Boden. Seine Entschlossenheit, seine eigene Macht und die seines Schützlings Präsident Ahmadinedschad um jeden auch noch so blutigen Preis zu erhalten, hat ihn in eine Sackgasse getrieben und eine gemäßigte Reformbewegung in eine Massenströmung gewandelt, die nun offen seinen Sturz und damit den des gesamten islamischen Systems fordert.
Khamenei schockierte selbst viele seiner Anhänger, zahllose unpolitische Gläubige im ganzen Land durch die einzigartige Entschlossenheit, zur Verteidigung seiner eigenen Macht die islamischen Institutionen zu attackieren: Ashura, das Fest der Trauer und Gewaltlosigkeit, indem er seinen Bassidsch-Milizionären gestattete, auch unpolitische Trauernde anzugreifen, sowie Bürger der „heiligen Stadt“ Qom, wo die Saat der islamischen Revolution von 1979 gelegt wurde, oder den hochangesehenen Ayatollah Taheri in Isfahan, dem im letzten Moment Anhänger schützend zu Hilfe eilten. Solche Attacken gegen islamische Institutionen und religiöse Mitglieder der Gemeinde beginnen dem „Höchsten geistlichen Führer“ die Reste an Glaubwürdigkeit und Legitimität zu rauben, die er noch in manchen Bevölkerungskreisen besitzen mag. Sie verleihen der Oppositionsbewegung in den Augen einer wachsenden Menschenschar die Rechtmäßigkeit, die zum Erfolg gegen ein despotisches Regime führen könnte.
Eine wachsende Zahl an Ayatollahs der jungen und mittleren Generation wagt nun offen Sympathie für die „Grünen“ zu zeigen und verheißt Khamenei noch größere Probleme. Zugleich nimmt der zivile Ungehorsam immer größere Ausmaße an. Der Widerstand hat längst Eigengesetzlichkeit erreicht. Mussawi ist höchstens noch sein symbolischer Führer, ein Mann zudem, der sich stets zu der nun offen bekämpften „Islamischen Republik“ bekannte, wohl weit davon entfernt, ihren Sturz als Ziel zu setzen.
Die Despoten sind ratlos. Für ein Gesprächs- und Kompromißangebot ist es wohl zu spät und ohnedies zeigen sie dazu nicht die geringste Bereitschaft. Khameneis „Märtyrer“ provozieren mehr und mehr Proteste. Ihre Anhänger sind bereit, ein „Monat des Blutes“ zu erdulden. Noch haben die Revolutionsgarden nicht mit dem dramatischen Versuch begonnen, die Straße zurück zu erobern. Auch dafür könnte es zu spät sein. Die Iraner stehen vor schicksalhaften Tagen.
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Mit jeder tödlichen Kugel, mit all den Tränengaskanonen und Knüppelschlägen, mit jeder Festnahme gewaltloser Demonstranten und Verhaftung machtloser Oppositioneller treiben sich Khomeinis despotische Erben selbst immer näher an den Rand des Abgrunds. Spätestens seit Sonntag, dem so blutig entarteten Ashura-Fest, besteht kein Zweifel mehr, dass sich die Herrscher des „Gottesstaates“ auf die „falsche Seite“ der Geschichte manövrieren. Schon fragen sich auch nüchterne unabhängige Beobachter, ob die Welt nach drei Jahrzehnten nun die zweite iranische Revolution erlebt.
Der so lange über jegliche Kritik erhabene „Geistliche Führer“ Khamenei bereitet dafür selbst den Boden. Seine Entschlossenheit, seine eigene Macht und die seines Schützlings Präsident Ahmadinedschad um jeden auch noch so blutigen Preis zu erhalten, hat ihn in eine Sackgasse getrieben und eine gemäßigte Reformbewegung in eine Massenströmung gewandelt, die nun offen seinen Sturz und damit den des gesamten islamischen Systems fordert.
Khamenei schockierte selbst viele seiner Anhänger, zahllose unpolitische Gläubige im ganzen Land durch die einzigartige Entschlossenheit, zur Verteidigung seiner eigenen Macht die islamischen Institutionen zu attackieren: Ashura, das Fest der Trauer und Gewaltlosigkeit, indem er seinen Bassidsch-Milizionären gestattete, auch unpolitische Trauernde anzugreifen, sowie Bürger der „heiligen Stadt“ Qom, wo die Saat der islamischen Revolution von 1979 gelegt wurde, oder den hochangesehenen Ayatollah Taheri in Isfahan, dem im letzten Moment Anhänger schützend zu Hilfe eilten. Solche Attacken gegen islamische Institutionen und religiöse Mitglieder der Gemeinde beginnen dem „Höchsten geistlichen Führer“ die Reste an Glaubwürdigkeit und Legitimität zu rauben, die er noch in manchen Bevölkerungskreisen besitzen mag. Sie verleihen der Oppositionsbewegung in den Augen einer wachsenden Menschenschar die Rechtmäßigkeit, die zum Erfolg gegen ein despotisches Regime führen könnte.
Eine wachsende Zahl an Ayatollahs der jungen und mittleren Generation wagt nun offen Sympathie für die „Grünen“ zu zeigen und verheißt Khamenei noch größere Probleme. Zugleich nimmt der zivile Ungehorsam immer größere Ausmaße an. Der Widerstand hat längst Eigengesetzlichkeit erreicht. Mussawi ist höchstens noch sein symbolischer Führer, ein Mann zudem, der sich stets zu der nun offen bekämpften „Islamischen Republik“ bekannte, wohl weit davon entfernt, ihren Sturz als Ziel zu setzen.
Die Despoten sind ratlos. Für ein Gesprächs- und Kompromißangebot ist es wohl zu spät und ohnedies zeigen sie dazu nicht die geringste Bereitschaft. Khameneis „Märtyrer“ provozieren mehr und mehr Proteste. Ihre Anhänger sind bereit, ein „Monat des Blutes“ zu erdulden. Noch haben die Revolutionsgarden nicht mit dem dramatischen Versuch begonnen, die Straße zurück zu erobern. Auch dafür könnte es zu spät sein. Die Iraner stehen vor schicksalhaften Tagen.
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IRAN: Die „Geißel“ des Geistlichen Führers
Großayatollah Yusef Sanei gilt als der neue „Geistige Vater“ der „Grünen Bewegung“
von Birgit Cerha
„Seid gewiß, die Bemühungen und das Leiden des Volkes, insbesondere der Gebildeten, wird Früchte tragen.“ Mit solchen Worten ermutigt Großayatollah Yusef Sanei seit Monaten Irans „Grüne Bewegung“. Nach dem Tod des weithin hoch verehrten Großayatollah Ali Montazeri, dem „Geistigen Vater“ der Reformbewegung, richtet sich der Orientierung suchende Blick Hunderttausender auf den 72-jährigen Großayatollah Yusef Sanei. Er zählt zu den höchsten Geistlichen im „Gottesstaat“, die liberale Ansichten vertreten und unterstützte die „Grüne Bewegung“ von Anbeginn.
Sanei verfügt zwar nicht, wie Montazeri, über eine fast lebenslange Erfahrung im Widerstand gegen die Diktatur, doch er tat sich seit Jahren insbesondere seit den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni durch mutige Kritik an dem von Khamenei geführten Regime hervor.
Der in Isfahan geborene Sanei entstammt einer Familie schiitischer Gelehrter. Während seiner theologischen Studien in der „heiligen Stadt“ Qom kam er schon 1956 mit dem damals dort lehrenden und späteren Revolutionsführer Khomeini in Kontakt. Er wurde, so berichten seine Anhänger, einer von Khomeinis talentiertesten Schülern. Bis heute bekennt er sich stolz zum Gründer der „Islamischen Republik“, wie ein Zitat Khomeinis auf seiner Website erkennen läßt: „Ich habe Scheich Sanei aufgezogen wie einen Sohn.“
Sanei bekleidete hohe Funktionen in den ersten Jahren der „Islamischen Repbulik“, darunter auch jenes des Generalstaatsanwaltes während der Zeit schärfster Repressionen der 80er Jahre, ein Faktum, das ihm bis heute – ungeachtet seiner ansonsten liberalen Ideen – ein gewisses Misstrauen oppositioneller Iraner einträgt. 1988 legte er seine Funktionen als Chef des einflussreichen „Wächterrates“ (de facto der zweiten Kammer) zurück, und wurde nach dem Tod Khomeinis ein Jahr später zunehmend in Isolation gedrängt. Er bekleidete seither kein politisches Amt mehr und gesteht in erstaunlicher Offenheit Besuchern ein, dass er unter den hohen Geistlichen in Qom und deren Gefolgschaft heute „nicht viele Anhänger“ habe. Er begründet dies mit der Tatsache, dass diese höchste islamische Lehrstätte all zu sehr unter dem Einfluss des Systems stehe, zu dem er selbst immer mehr auf Distanz gegangen war.
Sanei vertritt erstaunlich moderne Ideen. So setzte er sich in Fetwas (islamische Rechtsgutachten) für die Gleichberechtigung der Frauen ein, für das Recht von Frauen, Ämter wie jene von Richtern zu bekleiden, ja auch Staatspräsident zu werden oder gar „Geistliche Führerin“. Nicht-Muslime besitzen nach seiner Überzeugung das selbe Recht ins Paradies einzugehen, wie Muslime, solange sie die Regeln ihrer Religion ernsthaft befolgen. Besondere Aufmerksamkeit erregte in liberalen Kreisen durch eine Fetwa, in der er Selbstmordattentate als „haram“ (islamrechtlich verboten) klassifizierte.
Der einstige Generalstaatsanwalt bekennt sich heute entschieden zu Menschenrechte und verurteilt energisch Folter und die im Iran weithin praktizierten Zwangsgeständnisse. Seit den Juni-Wahlen klassifiziert er die Herrschaft Präsident Ahmadinedschads als „illegal“ und stellt sich demonstrativ und energisch hinter den Führer der „Grünen Bewegung“, Mussawi, mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet. Er scheut auch nicht vor offener und scharfer Kritik am „Geistlichen Führer“ und dessen radikalen Mitstreitern zurück: „Lüge ist ein Charakteristikum der Unterdrücker, wenn sie an Boden verlieren, dann suchen sie in der Lüge Zuflucht.“
Einen Tag nach dem Begräbnis Montazeris attackierten Bassidsch-Milizen Saneis das Büro, der sich zur Geißel der geistlichen Herrscher erhebt.
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von Birgit Cerha
„Seid gewiß, die Bemühungen und das Leiden des Volkes, insbesondere der Gebildeten, wird Früchte tragen.“ Mit solchen Worten ermutigt Großayatollah Yusef Sanei seit Monaten Irans „Grüne Bewegung“. Nach dem Tod des weithin hoch verehrten Großayatollah Ali Montazeri, dem „Geistigen Vater“ der Reformbewegung, richtet sich der Orientierung suchende Blick Hunderttausender auf den 72-jährigen Großayatollah Yusef Sanei. Er zählt zu den höchsten Geistlichen im „Gottesstaat“, die liberale Ansichten vertreten und unterstützte die „Grüne Bewegung“ von Anbeginn.
Sanei verfügt zwar nicht, wie Montazeri, über eine fast lebenslange Erfahrung im Widerstand gegen die Diktatur, doch er tat sich seit Jahren insbesondere seit den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni durch mutige Kritik an dem von Khamenei geführten Regime hervor.
Der in Isfahan geborene Sanei entstammt einer Familie schiitischer Gelehrter. Während seiner theologischen Studien in der „heiligen Stadt“ Qom kam er schon 1956 mit dem damals dort lehrenden und späteren Revolutionsführer Khomeini in Kontakt. Er wurde, so berichten seine Anhänger, einer von Khomeinis talentiertesten Schülern. Bis heute bekennt er sich stolz zum Gründer der „Islamischen Republik“, wie ein Zitat Khomeinis auf seiner Website erkennen läßt: „Ich habe Scheich Sanei aufgezogen wie einen Sohn.“
Sanei bekleidete hohe Funktionen in den ersten Jahren der „Islamischen Repbulik“, darunter auch jenes des Generalstaatsanwaltes während der Zeit schärfster Repressionen der 80er Jahre, ein Faktum, das ihm bis heute – ungeachtet seiner ansonsten liberalen Ideen – ein gewisses Misstrauen oppositioneller Iraner einträgt. 1988 legte er seine Funktionen als Chef des einflussreichen „Wächterrates“ (de facto der zweiten Kammer) zurück, und wurde nach dem Tod Khomeinis ein Jahr später zunehmend in Isolation gedrängt. Er bekleidete seither kein politisches Amt mehr und gesteht in erstaunlicher Offenheit Besuchern ein, dass er unter den hohen Geistlichen in Qom und deren Gefolgschaft heute „nicht viele Anhänger“ habe. Er begründet dies mit der Tatsache, dass diese höchste islamische Lehrstätte all zu sehr unter dem Einfluss des Systems stehe, zu dem er selbst immer mehr auf Distanz gegangen war.
Sanei vertritt erstaunlich moderne Ideen. So setzte er sich in Fetwas (islamische Rechtsgutachten) für die Gleichberechtigung der Frauen ein, für das Recht von Frauen, Ämter wie jene von Richtern zu bekleiden, ja auch Staatspräsident zu werden oder gar „Geistliche Führerin“. Nicht-Muslime besitzen nach seiner Überzeugung das selbe Recht ins Paradies einzugehen, wie Muslime, solange sie die Regeln ihrer Religion ernsthaft befolgen. Besondere Aufmerksamkeit erregte in liberalen Kreisen durch eine Fetwa, in der er Selbstmordattentate als „haram“ (islamrechtlich verboten) klassifizierte.
Der einstige Generalstaatsanwalt bekennt sich heute entschieden zu Menschenrechte und verurteilt energisch Folter und die im Iran weithin praktizierten Zwangsgeständnisse. Seit den Juni-Wahlen klassifiziert er die Herrschaft Präsident Ahmadinedschads als „illegal“ und stellt sich demonstrativ und energisch hinter den Führer der „Grünen Bewegung“, Mussawi, mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet. Er scheut auch nicht vor offener und scharfer Kritik am „Geistlichen Führer“ und dessen radikalen Mitstreitern zurück: „Lüge ist ein Charakteristikum der Unterdrücker, wenn sie an Boden verlieren, dann suchen sie in der Lüge Zuflucht.“
Einen Tag nach dem Begräbnis Montazeris attackierten Bassidsch-Milizen Saneis das Büro, der sich zur Geißel der geistlichen Herrscher erhebt.
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IRAN: „Wir kämpfen und wir sterben, um den Iran wieder zu erobern“
Während das Regime die Repression weiter verschärft, zieht der Widerstand immer weitere Kreise
von Birgit Cerha
Im Iran herrschte Montag, einen Tag nach den blutigsten Massenprotesten seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni Hochspannung. Nach Berichten des staatlichen Fernsehens waren bei den Demonstrationen Hunderttausender Menschen gegen das Regime Sonntag, dem höchsten schiitischen Trauertag, Ashura, 15 Menschen ums Leben gekommen. Zehn der Toten seien Mitglieder „anti-revolutionärer Terrorgruppen“, die restlichen fünf seien von (ungenannten) „Terrorgruppen“ ermordet worden.
Irans Herrscher reagierte auf die Massenproteste mit denselben Methoden wie zu Beginn der Demonstrationen im Juni: Verhaftung zahlreicher prominenter Oppositioneller, nicht jedoch der eigentlichen Führer der „Grünen Bewegung“, wie Mussawi, Karrubi oder Khatami. Zu den Verhafteten zählen der Chef der verbotenen „Befreiungsbewegung’’ und erster Außenminister der „Islamischen Republik“, Ibrahim Yazdi, dessen Neffe Lily Tavasoli und der Menschenrechtsaktivist Emad Baghi, sowie enge Berater Mussawis und Khatamis. Sonntag waren bereits mindestens 300 Demonstranten festgenommen worden. Wie hoch die Zahl der Opfer vom Sonntag tatsächlich ist, bleibt – zumindest vorerst – im dunkeln. Unter den Verletzten sind jedoch auch zahlreiche Angehörige der Sicherheitskräfte, der paramilitärischen Bassidsch, sowie der Teheraner Polizeichef.
Die dramatischen Ereignisse vom Sonntag zeigen, dass der Konflikt im Iran eine neue Dimension erreicht hat. Die Zahl der Demonstranten dürfte nach Schätzungen vieler Beobachter sogar jene der ersten Protestkundgebungen nach den Wahlen im Juni überschritten haben. Während das Regime weiterhin seine Entschlossenheit demonstrierte, Ruhe mit aller Brutalität herzustellen, bilden sich unter dem Widerstand zunehmend auch gewaltbereite Gruppen, die Motorräder der Bassidsch in Brand steckten und in Teheran sogar auch eine Polizeistation, sowie Polizisten niederprügelten. Nach über Mobiltelefone verbreiteten Videoaufnahmen bewarfen Demonstranten Sicherheitskräfte mit Steinen und brüllten: „Wir kämpfen und wir sterben, um den Iran wieder zu erobern.“ Die Rufe „Tod (dem „Geistlichen Führer) Khamenei“ erschallten immer lauter, während sich Zehntausende Demonstranten nicht mehr von Tränengas und prügelnden Bassidsch einschüchtern ließen.
Die Ereignisse vom Sonntag könnten sich als schicksalhaft für das islamische System erweisen. Denn in den Augen vieler, insbesondere auch unpolitischer, aber gläubiger Iraner haben die Diktatoren in Teheran eine rote Linie überschritten. Sie hätten sich als noch brutaler erwiesen als der vom Volk einst so gehasste und schließlich 1979 gestürzte Schah. Der Kaiser nämlich hatte sich an die uralte schiitische Tradition gehalten, sich während der dem ermordeten Enkel des Propheten Mohammed gewidmeten Trauertage Muharram, die im Ashura-Fest ihren Höhepunkt finden, jeder Gewalt zu enthalten. Dass Khamenei offensichtlich den Befehl gegeben hatte, die traditionellen Trauermärsche, an denen sich politische Aktivisten ebenso wie unpolitische Gläubige beteiligt hatten, zu attackieren, erweitert das Spektrum der Gegner des Regimes beträchtlich.
Auch der Tod von Mussawis Neffen Ali Habib heizt die Emotionen weiter auf. Der Verdacht liegt nahe, dass der 35-Jährige gezielt attackiert wurde, um den Onkel endlich einzuschüchtern. Der Mord gilt unter Gläubigen zudem als besonders großes Verbrechen, nicht nur, weil er an Ashura verübt wurde, sondern weil Ali Habib einer Familie der Seyeds angehört, die als direkte Nachkommen Mohammeds gelten. Nun versucht das Regime, ein offizielles Begräbnis unter allen Umständen zu vermeiden, da dies zu erneuten Massenprotesten führen würde. Der Leichnam Ali Habibs verschwan nach Aussagen der Familie aus dem Spital, offenbar, um die Mussawis zu einem Begräbnis im Geheimen zu zwingen.
Während sich Irans Führer bisher zu keiner neuen Strategie durchringen konnten, um dem wachsenden Zorn in weiterer Bevölkerungskreise zu entgegnen, stehen die Zeichen auf Eskalation. Oppositionskreise berichten von zunehmender Spaltung in den Reihen der Sicherheitskräfte, Desertionen unter Polizisten und Weigerung von Bassidsch-Milizionären, gegen Demonstranten vorzugehen.
Die Tatsache, dass Sonntag auch Banken von Protestierenden attackiert wurden, lässt darauf schließen, dass sich der Oppositionsbewegung auch Angehörige die großen Schichte der sozial Frustrierten anzuschließen beginnen.
Die Strategie der Härte erweist sich als fatal kontraproduktiv, da Verhaftungen erneute Demonstrationen, Todesfälle immer neue Trauerkundgebungen provozieren. Zusehends dürfte sich damit die Opposition zu éiner Massenbewegung des passiven Widerstandes auswachsen, die niemand mehr zu kontrollieren vermag.
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von Birgit Cerha
Im Iran herrschte Montag, einen Tag nach den blutigsten Massenprotesten seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni Hochspannung. Nach Berichten des staatlichen Fernsehens waren bei den Demonstrationen Hunderttausender Menschen gegen das Regime Sonntag, dem höchsten schiitischen Trauertag, Ashura, 15 Menschen ums Leben gekommen. Zehn der Toten seien Mitglieder „anti-revolutionärer Terrorgruppen“, die restlichen fünf seien von (ungenannten) „Terrorgruppen“ ermordet worden.
Irans Herrscher reagierte auf die Massenproteste mit denselben Methoden wie zu Beginn der Demonstrationen im Juni: Verhaftung zahlreicher prominenter Oppositioneller, nicht jedoch der eigentlichen Führer der „Grünen Bewegung“, wie Mussawi, Karrubi oder Khatami. Zu den Verhafteten zählen der Chef der verbotenen „Befreiungsbewegung’’ und erster Außenminister der „Islamischen Republik“, Ibrahim Yazdi, dessen Neffe Lily Tavasoli und der Menschenrechtsaktivist Emad Baghi, sowie enge Berater Mussawis und Khatamis. Sonntag waren bereits mindestens 300 Demonstranten festgenommen worden. Wie hoch die Zahl der Opfer vom Sonntag tatsächlich ist, bleibt – zumindest vorerst – im dunkeln. Unter den Verletzten sind jedoch auch zahlreiche Angehörige der Sicherheitskräfte, der paramilitärischen Bassidsch, sowie der Teheraner Polizeichef.
Die dramatischen Ereignisse vom Sonntag zeigen, dass der Konflikt im Iran eine neue Dimension erreicht hat. Die Zahl der Demonstranten dürfte nach Schätzungen vieler Beobachter sogar jene der ersten Protestkundgebungen nach den Wahlen im Juni überschritten haben. Während das Regime weiterhin seine Entschlossenheit demonstrierte, Ruhe mit aller Brutalität herzustellen, bilden sich unter dem Widerstand zunehmend auch gewaltbereite Gruppen, die Motorräder der Bassidsch in Brand steckten und in Teheran sogar auch eine Polizeistation, sowie Polizisten niederprügelten. Nach über Mobiltelefone verbreiteten Videoaufnahmen bewarfen Demonstranten Sicherheitskräfte mit Steinen und brüllten: „Wir kämpfen und wir sterben, um den Iran wieder zu erobern.“ Die Rufe „Tod (dem „Geistlichen Führer) Khamenei“ erschallten immer lauter, während sich Zehntausende Demonstranten nicht mehr von Tränengas und prügelnden Bassidsch einschüchtern ließen.
Die Ereignisse vom Sonntag könnten sich als schicksalhaft für das islamische System erweisen. Denn in den Augen vieler, insbesondere auch unpolitischer, aber gläubiger Iraner haben die Diktatoren in Teheran eine rote Linie überschritten. Sie hätten sich als noch brutaler erwiesen als der vom Volk einst so gehasste und schließlich 1979 gestürzte Schah. Der Kaiser nämlich hatte sich an die uralte schiitische Tradition gehalten, sich während der dem ermordeten Enkel des Propheten Mohammed gewidmeten Trauertage Muharram, die im Ashura-Fest ihren Höhepunkt finden, jeder Gewalt zu enthalten. Dass Khamenei offensichtlich den Befehl gegeben hatte, die traditionellen Trauermärsche, an denen sich politische Aktivisten ebenso wie unpolitische Gläubige beteiligt hatten, zu attackieren, erweitert das Spektrum der Gegner des Regimes beträchtlich.
Auch der Tod von Mussawis Neffen Ali Habib heizt die Emotionen weiter auf. Der Verdacht liegt nahe, dass der 35-Jährige gezielt attackiert wurde, um den Onkel endlich einzuschüchtern. Der Mord gilt unter Gläubigen zudem als besonders großes Verbrechen, nicht nur, weil er an Ashura verübt wurde, sondern weil Ali Habib einer Familie der Seyeds angehört, die als direkte Nachkommen Mohammeds gelten. Nun versucht das Regime, ein offizielles Begräbnis unter allen Umständen zu vermeiden, da dies zu erneuten Massenprotesten führen würde. Der Leichnam Ali Habibs verschwan nach Aussagen der Familie aus dem Spital, offenbar, um die Mussawis zu einem Begräbnis im Geheimen zu zwingen.
Während sich Irans Führer bisher zu keiner neuen Strategie durchringen konnten, um dem wachsenden Zorn in weiterer Bevölkerungskreise zu entgegnen, stehen die Zeichen auf Eskalation. Oppositionskreise berichten von zunehmender Spaltung in den Reihen der Sicherheitskräfte, Desertionen unter Polizisten und Weigerung von Bassidsch-Milizionären, gegen Demonstranten vorzugehen.
Die Tatsache, dass Sonntag auch Banken von Protestierenden attackiert wurden, lässt darauf schließen, dass sich der Oppositionsbewegung auch Angehörige die großen Schichte der sozial Frustrierten anzuschließen beginnen.
Die Strategie der Härte erweist sich als fatal kontraproduktiv, da Verhaftungen erneute Demonstrationen, Todesfälle immer neue Trauerkundgebungen provozieren. Zusehends dürfte sich damit die Opposition zu éiner Massenbewegung des passiven Widerstandes auswachsen, die niemand mehr zu kontrollieren vermag.
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Montag, 21. Dezember 2009
IRAN: Irans Opposition wandelt Begräbnis zu Massenprotest
Der Tod von Großayatollah Montazeri wird zu neuer Herausforderung für das Regime
von Birgit Cerha
„Unschuldiger Montazeri, dein Weg wird fortgesetzt, selbst wenn der Diktator Kugeln auf unsere Köpfe niederprasseln läßt.“ Und: „Montazeri ist nicht tot. Es ist die Regierung, die tot ist.“ Mit solchen Slogans gelang es der „Grünen“ iranischen Oppositionsbewegung, die Trauerfeier für den Sonntag verstorbenen Großayatollah Ali Montazeri zu einem eindrucksvollen Massenprotest gegen die Regierung Ahmadinedschad und den „Geistlichen Führer“ Khamenei umzuwandeln. Gegenrufe der regimetreuen Bassidsch-Miliz, die mit Beschimpfungen wie „Gotteslästerer“ Demonstranten aus der Heiligen Stadt Qom zu verscheuchen suchten, stießen ins Leere. Ausländische Journalisten waren von den Trauerfeiern verbannt, der persische Dienst des BBC wurde intensiv gestört. Nach Berichten iranischer Blogger und Websites waren Zehntausende Menschen nach Qom geströmt, wo Montazeri gelehrt und gelebt hatte. Im Anschluss an das Begräbnis sei es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Auch zahlreiche Oppositionelle seien festgenommen worden. Die Führer der „Grünen Bewegung“, Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi, hatten Montag zu einem nationalen Trauertag ausgerufen. Im Hause Montazeris in Qom hatten sich vor dem Begräbnis zahlreiche Reformgeistliche versammelt.
Ali Montazeri, engster Mitstreiter von Revolutionsführer Khomeini und einer der „geistigen Vätern“ der islamischen Republik, war Sonntag nach langer Krankheit im Alter von 87 Jahren in Qom verstorben. Als Großayatollah war er einer der religiös angesehensten Persönlichkeiten in der schiitischen Welt. Er besaß darüber hinaus aber im Iran besondere Popularität wegen seiner humanistischen Einstellung, seiner Offenheit und seinem Mut, selbst unter größtem persönlichen Risiko offen seine Überzeugungen auszusprechen. Einst von Khomeini als sein Nachfolger auserkoren, überwarf er sich mit ihm, als er sich offen gegen die Fortsetzung des Krieges gegen den Irak einsetzte und vor allem in berühmt gewordenen Briefen an den Revolutionsführer in den 80er Jahren die Massenhinrichtungen an Oppositionellen und systematische Folter verdammte. Er fiel damit in Ungnade und stieg schließlich zum schärfsten Gegner von Khomeinis Nachfolger Khamenei auf, dem er die religiösen Qualifikationen für dieses höchste politisch-religiöse Amt im „Gottesstaat“ absprach. Wiewohl von Khamenei sechs Jahre lang in Hausarrest gezwungen, schikaniert, vollends isoliert, galt er bis heute als die führende Kraft unter den hohen Geistlichen, die, enttäuscht über die Entartungen der islamischen Revolution, sich zunehmend für eine Trennung von Politik und Religion einsetzten.
Erneute Bedeutung im politischen Geschehen der „Islamischen Republik“ gewann Montazeri schließlich, als er sich nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni zum mächtigen Kritiker Ahmadinedschads erhob, diesem sogar die „Legitimität“ absprach und immer wieder scharf die massiven Repressionen durch das von Khamenei gelenkte Regime verurteilte. Damit fand die „grüne Bewegung“ ihren wichtigsten „geistigen Vater“, der die reformhungrigen Massen aber zugleich immer wieder eindringlich davor warnte, Gewalt anzuwenden und sie ermahnte, sich in Geduld zu üben, den der Wandel werde lange auf sich warten lassen, der Weg sei schwierig. „In Zeiten des Widerstands, wenn es darum gehe, die Rechte des Volkes wieder zu beleben, sei das Erdulden von Härten sehr wichtig“, das lehre der Koran, lautete eine seiner Mahnungen. Für die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi ist Montazer „der Vater der Menschenrechte“ im Iran.
Der Tod Montazeris trifft das Regime in einer besonders kritischen Phase interner Unruhen. Die Nervosität der Herrscher lässt sich allein durch die Art der Veröffentlichung des Todes erkennen. So meldete die Nachrichtenagentur Irna dieses Ereignis in Kurzform, ohne Montazeris religiöse Titel zu nennen, bezeichnete ihn lediglich als Geistlichen der Reformbewegung. Die regierungstreuen Medien wurden aufgefordert, das Porträt des Toten nicht auf den Titelseiten zu veröffentlichen und Khamenei ließ sich zwar zu einem Kondolenzschreiben hin, verzichtete darin jedoch nicht auf Kritik an Montazeri. Er hoffe, schrieb er, Gott werde dem Großayatollah vergeben, dass er seine „große Prüfung“ nicht bestanden habe. Er meinte damit den Konflikt mit Khomeini.
Mit größter Nervosität sieht Irans Führung kommenden Sonntag entgegen, an dem der siebente Tag nach dem Tode, an dem nach der Tradition des Verstorbenen besonders intensiv gedacht wird, mit dem schiitischen Ashura-Fest zusammenfällt. Noch vor Montazeris Tod hatte das Regime befürchtet, zu diesem religiösen Trauertag, an dem die Schiiten des Märtyrersohnes von Hussein, dem ermordeten Enkel des Propheten Mohammed gedenken, werde die Opposition erneute Massenproteste veranstalten. Nun, da beide Gedenktage zusammenfallen, erwächst der Regierung ein gigantisches Problem.
Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 21.12.09
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von Birgit Cerha
„Unschuldiger Montazeri, dein Weg wird fortgesetzt, selbst wenn der Diktator Kugeln auf unsere Köpfe niederprasseln läßt.“ Und: „Montazeri ist nicht tot. Es ist die Regierung, die tot ist.“ Mit solchen Slogans gelang es der „Grünen“ iranischen Oppositionsbewegung, die Trauerfeier für den Sonntag verstorbenen Großayatollah Ali Montazeri zu einem eindrucksvollen Massenprotest gegen die Regierung Ahmadinedschad und den „Geistlichen Führer“ Khamenei umzuwandeln. Gegenrufe der regimetreuen Bassidsch-Miliz, die mit Beschimpfungen wie „Gotteslästerer“ Demonstranten aus der Heiligen Stadt Qom zu verscheuchen suchten, stießen ins Leere. Ausländische Journalisten waren von den Trauerfeiern verbannt, der persische Dienst des BBC wurde intensiv gestört. Nach Berichten iranischer Blogger und Websites waren Zehntausende Menschen nach Qom geströmt, wo Montazeri gelehrt und gelebt hatte. Im Anschluss an das Begräbnis sei es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Auch zahlreiche Oppositionelle seien festgenommen worden. Die Führer der „Grünen Bewegung“, Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi, hatten Montag zu einem nationalen Trauertag ausgerufen. Im Hause Montazeris in Qom hatten sich vor dem Begräbnis zahlreiche Reformgeistliche versammelt.
Ali Montazeri, engster Mitstreiter von Revolutionsführer Khomeini und einer der „geistigen Vätern“ der islamischen Republik, war Sonntag nach langer Krankheit im Alter von 87 Jahren in Qom verstorben. Als Großayatollah war er einer der religiös angesehensten Persönlichkeiten in der schiitischen Welt. Er besaß darüber hinaus aber im Iran besondere Popularität wegen seiner humanistischen Einstellung, seiner Offenheit und seinem Mut, selbst unter größtem persönlichen Risiko offen seine Überzeugungen auszusprechen. Einst von Khomeini als sein Nachfolger auserkoren, überwarf er sich mit ihm, als er sich offen gegen die Fortsetzung des Krieges gegen den Irak einsetzte und vor allem in berühmt gewordenen Briefen an den Revolutionsführer in den 80er Jahren die Massenhinrichtungen an Oppositionellen und systematische Folter verdammte. Er fiel damit in Ungnade und stieg schließlich zum schärfsten Gegner von Khomeinis Nachfolger Khamenei auf, dem er die religiösen Qualifikationen für dieses höchste politisch-religiöse Amt im „Gottesstaat“ absprach. Wiewohl von Khamenei sechs Jahre lang in Hausarrest gezwungen, schikaniert, vollends isoliert, galt er bis heute als die führende Kraft unter den hohen Geistlichen, die, enttäuscht über die Entartungen der islamischen Revolution, sich zunehmend für eine Trennung von Politik und Religion einsetzten.
Erneute Bedeutung im politischen Geschehen der „Islamischen Republik“ gewann Montazeri schließlich, als er sich nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni zum mächtigen Kritiker Ahmadinedschads erhob, diesem sogar die „Legitimität“ absprach und immer wieder scharf die massiven Repressionen durch das von Khamenei gelenkte Regime verurteilte. Damit fand die „grüne Bewegung“ ihren wichtigsten „geistigen Vater“, der die reformhungrigen Massen aber zugleich immer wieder eindringlich davor warnte, Gewalt anzuwenden und sie ermahnte, sich in Geduld zu üben, den der Wandel werde lange auf sich warten lassen, der Weg sei schwierig. „In Zeiten des Widerstands, wenn es darum gehe, die Rechte des Volkes wieder zu beleben, sei das Erdulden von Härten sehr wichtig“, das lehre der Koran, lautete eine seiner Mahnungen. Für die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi ist Montazer „der Vater der Menschenrechte“ im Iran.
Der Tod Montazeris trifft das Regime in einer besonders kritischen Phase interner Unruhen. Die Nervosität der Herrscher lässt sich allein durch die Art der Veröffentlichung des Todes erkennen. So meldete die Nachrichtenagentur Irna dieses Ereignis in Kurzform, ohne Montazeris religiöse Titel zu nennen, bezeichnete ihn lediglich als Geistlichen der Reformbewegung. Die regierungstreuen Medien wurden aufgefordert, das Porträt des Toten nicht auf den Titelseiten zu veröffentlichen und Khamenei ließ sich zwar zu einem Kondolenzschreiben hin, verzichtete darin jedoch nicht auf Kritik an Montazeri. Er hoffe, schrieb er, Gott werde dem Großayatollah vergeben, dass er seine „große Prüfung“ nicht bestanden habe. Er meinte damit den Konflikt mit Khomeini.
Mit größter Nervosität sieht Irans Führung kommenden Sonntag entgegen, an dem der siebente Tag nach dem Tode, an dem nach der Tradition des Verstorbenen besonders intensiv gedacht wird, mit dem schiitischen Ashura-Fest zusammenfällt. Noch vor Montazeris Tod hatte das Regime befürchtet, zu diesem religiösen Trauertag, an dem die Schiiten des Märtyrersohnes von Hussein, dem ermordeten Enkel des Propheten Mohammed gedenken, werde die Opposition erneute Massenproteste veranstalten. Nun, da beide Gedenktage zusammenfallen, erwächst der Regierung ein gigantisches Problem.
Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 21.12.09
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IRAN: Der Tod schenkt neue Lebenskraft
Kommentar von Birgit Cerha
Großayatollah Monazeri ist unersetzbar. Durch seine konsequente Position der Treue zu den wahren Lehren des Islams und der Menschlichkeit, zu der er sich – im Gegensatz zu vielen seiner gelehrten Glaubensbrüder – stets mutig und offen bekannte, besaß er wie kein anderer der iranischen Gottesmänner Glaubwürdigkeit, Überzeugungskraft und unter vielen der auch nicht politisierten Massen ernorme Sympathie. Für ihn hat die Revolution das Land nicht von Diktatur befreit. Damit sprach er auch für die sich nach Freiheit sehnenden Iraner. Seine Stimme gab der „Grünen Bewegung“ noch stärkeres Gewicht.
Doch dieser von den Reformern bereits zum „Märtyrer“ erhobene Persönlichkeit, war eine Symbolfigur, kein politischer Führer. Er veröffentlichte seine unverrückbaren Überzeugungen in zahlreichen Büchern, Schriften und Interviews. Und damit werden die Gedanken des Toten die Opposition, wenn sie es wünscht, weiterleiten. In Wahrheit aber ist die „grüne Bewegung“ längst über Montazeri hinausgewachsen. Niemand – auch Mussawi – vermag sie mehr zu kontrollieren und in ihren Zielsetzungen auf das islamische System einzuschränken. Doch der Verstorbene dürfte ihr, wie schon die Trauerfeiern zeigen, verstärkte Lebenskraft geben und noch mehr Menschen mit sich reißen.
Erschienen am 21.12.2009 in der "Frankfurter Rundschau"
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Großayatollah Monazeri ist unersetzbar. Durch seine konsequente Position der Treue zu den wahren Lehren des Islams und der Menschlichkeit, zu der er sich – im Gegensatz zu vielen seiner gelehrten Glaubensbrüder – stets mutig und offen bekannte, besaß er wie kein anderer der iranischen Gottesmänner Glaubwürdigkeit, Überzeugungskraft und unter vielen der auch nicht politisierten Massen ernorme Sympathie. Für ihn hat die Revolution das Land nicht von Diktatur befreit. Damit sprach er auch für die sich nach Freiheit sehnenden Iraner. Seine Stimme gab der „Grünen Bewegung“ noch stärkeres Gewicht.
Doch dieser von den Reformern bereits zum „Märtyrer“ erhobene Persönlichkeit, war eine Symbolfigur, kein politischer Führer. Er veröffentlichte seine unverrückbaren Überzeugungen in zahlreichen Büchern, Schriften und Interviews. Und damit werden die Gedanken des Toten die Opposition, wenn sie es wünscht, weiterleiten. In Wahrheit aber ist die „grüne Bewegung“ längst über Montazeri hinausgewachsen. Niemand – auch Mussawi – vermag sie mehr zu kontrollieren und in ihren Zielsetzungen auf das islamische System einzuschränken. Doch der Verstorbene dürfte ihr, wie schon die Trauerfeiern zeigen, verstärkte Lebenskraft geben und noch mehr Menschen mit sich reißen.
Erschienen am 21.12.2009 in der "Frankfurter Rundschau"
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ISLAM: Die identitaire Komponente des Islamismus
von Dr. Arnold Hottinger
Wer versucht, die Motivationen zu entdecken, die einzelne Muslime zur Ideologie des Islamismus führen, stösst an der Oberfläche auf die Aussagen, die sich auf den Islam beziehen. Doch darunter wird deutlich, dass es auch, und oft in entscheidendem Masse, um Fragen der Alienation einerseits und der Zugehörigkeit andrerseits geht. Für England gibt es die Gespräche von Johann Hari mit ehemaligen Islamisten, die sehr deutlich aufzeigen: Das Gefühl zu etwas dazuzugehören (zur verheissenen paradisiesischen Welt des zukünftigen Islams und zugleich der Kameradschaft Derjenigen die dafür kämpfen) war der entscheidende Beweggrund, der die Betroffenen in die Arme der islamistischen Gruppierungen trieb.
(The Idependent 16.Nov. 09, Johann Hari: (The Idependent 16.Nov. 09, Renouncing Islamism, To the brink and back again.) http://www.independent.co.uk/opinion/commentators/johann-hari/renouncing-islamism-to-the-brink-and-back-again-1821215.html
Alle Gespräche, die Hari mit den ehemaligen Extremisten führt, zeichnen die gleiche Grundfigur nach: Ein junger Mann wächst in England auf und gehört nicht dazu. Sogar die Wohlgesinnten protegieren ihn als etwas fremdes, curiouses; die übel Gesonnenen halten rassistische Beleidigungen und Schläge für ihn bereit. Er ist nicht besonders religiös, eher weltlich. Doch die Begegnung mit und die Aufnahme in Gemeinschaften, die ihm auseinandersetzen, er gehöre zu einer „islamischen“ Welt, die sie mit ihm neu zum Erstehen brächten; das kommende Paradies, trifft ihn wie eine Erlösung. Hier gehört er dazu. Er ist bereit für die Verwirklichung der neu entdeckten kollektiven Hoffnungen zu kämpfen mit Einsatz seines Lebens und ohne Rücksicht auf das Leben der Anderen, die nicht zu seiner neuen Gemeinschaft gehören. – Die islamischen Riten und Vorschriften werden unter diesen Umständen zu Manifestationen der neuen Gemeinsamkeit, des Zusammenfindens, vielleicht manchmal beschwerlich, aber jedenfalls tröstlich. Sie stärken das Gefühl der Zugehörigkeit, das der Betroffene in seinem bisherigen Leben so schmerzlich entbehrt hatte.
Im Falle der Gesprächspartner Haris sind es ehemalige Extremisten, die sich nach Jahren intensiver Mitarbeit und Indentitfikation von ihren Gruppen losgesagt habe und es wagen, gegen sie aufzutreten, nachdem sie durch Jahre der schmerzlichen und bitteren Erfahrungen gelernt und erkannt hatten, dass das Paradies sich nicht einstellte, eher das Gegenteil; dass die reale Islamische Welt, aus der ihre Eltern und Grosseltern eingewandert waren, keine Idealwelt darstellt; dass die Aussagen des Korans oftmals auf spezifische Gegenbenheiten aus dem 7.Jahrhundert bezogen und an sie gebunden sind; dass die Muslime dies wussten und immer gewusst haben; nur die islamistischen Ideologen, darüber schwiegen und sich und anderen einreden wollten, die Heiligen Schriften der Religion bildeten ein unfehlbares Rezept, das wortwörtlich verstanden und angewandt, notwendigerweise zu Glück und Erfolg in dieser und in jener Welt führen werde.
Das Zauberwort, Identität
Die Identitätsfragen stehen nicht nur im Zentrum des britischen Islamismus. Im Gespräch das Jeremy Bowen, von BBC, mit Dr. Zaha, dem Hauptideologen von Hamas in Gaza, führt, sagt der Islamist: „Identität ist das magische Wort“.. „Religion gewährt Identität“ (Religion gives you identity). „Und Widerstand ist eine Art von Glauben“... „Unsere Ehre litt schwer durch die Errichtung von Israel“.
"Identity is the magic word" he said. "Religion gives you identity... And resistance is a sense of belief... Our dignity was deeply affected by the establishment of Israel."
(http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/7822048.stm)
Dies zeigt, die Führer von Hamas wissen: Identitätsbedüfnisse, Identitätsnöte, das magische Wort, bringen ihnen die Kämpfer. Die Palästinensische Identität ist angeschlagen durch die bisher sechs Jahrzehnte israelischer Uebermacht. Bei einigen Monoritäten (der geschätzte Anteil liegt bei 7 Prozent aller unter Besetzung lebenden Palästinenser) so sehr, dass sie eine islamistische neue, resp. eine Ersatz-Identität suchen und zu sie finden glauben, indem sie sich dem „bewaffneten Kampf“ zur Verfügung stellen. – Man kann vermuten, dass es sich unter den Pashtunen Afghanistans ähnlich verhält. „Wir sind niemand mehr“, nachdem der Krieg 30 Jahre lang gewütet hat und nach den Russen die Amerikaner unser Land besetzten. Die Flüchtlinge in den Nachbarländern, besonders in Pakistan, „sind noch viel weniger“. So antworten Viele dem Ruf der Taleban. Dort sind sie wieder jemand, sogar mit der Aussicht die Herrschaft an sich zu reissen.
In den pakistanischen Stammesgebieten herrschte graume Zeit Selbstgewissheit. Doch die Jahrzehnte verstrichen, und die dortige soziale und wirtschaftliche Lage blieb eingefroren. Nun treten Führer auf, die lehren: „Wir „ können etwas bewegen. Unser Land beherrschen und den grossen Staat, der uns in unseren Zonen gefangen hält, umstürzen und ihn in unsere Hände nehmen. Gewiss im Namen des Islams, jedoch des Islams, den wir durchsetzen und vorwärtstragen. Aus bedeutungslosen Randfiguren der unter archalischen Umständen lebenden Stämme kann man so hoffen und erwarten, zu Zentralfiguren eines neuen „islamischen“ Staates werden. Nicht nur die Religion, auch der Kalashnikoff stiften Identität. .
Identitätsverlust durch kulturelle Entfremdung
Identitätsverlust ist im ganzen Nahen Osten latent. Seit 200 Jahren, immer zunehmend, sind die Erfolgreichen Jene, die mit den Fremden zusammenarbeiten, die ihren politischen Interessen, ihren Zivilisationbegriffen, ihren Wirtschaftsinteressen zudienen. Die Erfolglosen sind immer wieder und immer mehr Jene, die die bemüht sind, die eigene Zivilisation, die eigenen Interessen, die eigenen Identitäten aufrecht zu erhalten; denn diese Anstrengungen sind immer erneut schief gegangen.
Israel ist das sichtbarste und vielleicht virulenteste Zeichen dafür, aber nur eines von vielen. „Wer sind wir denn, wenn wir nichts zu bewirken vermögen und immer nur Gegenstände der Einwirkung anderer sind?“ – Auf solche Fragen antworteten einst die Nationalisten, indem sie auf den Begriff der Nation verwiesen. Doch ihre Bestreben für und Hoffnungen auf die Nation verliefen im Sande. Nun treten die islamistsichen Ideologen mit ihrer Antwort hervor: Schliesse dich uns an, den Vertetern des wahren Islams, und du erlangst eine neue, starke, zukunftsgerichtete Identität. Du bist wieder jemand.
Die Religion wird zur Uniform, im physischen und im mentalen Bereich. Frauen müssen die Uniform tragen, manche tun es freiwillig, andere gezwungen. Für Männer gibt es auch Uniformvorstellungen, der obligatorische Bart, die Kleider wie sie der Prophet getragen habe. Im geistigen Bereich sind die Uniformelente ausgewählte Einzelverse aus dem Koran und Berichte aus der Ueberlieferung. Sie werden wie Slogans gebraucht. Uniformen bieten auch eine Art von Identität, freilich keine tief wurzelnde, dafür umso augefälligere. Man kann dabei von Oberflächen- oder auch Scheinidentität sprechen.
Die Hoffnung auf künftigen Erfolg beflügelt. Doch die Erfahrung einer neuen Identität, gewährt sofortige Befriedigung, Erlösung aus der Identitätslosigkeit, heute schon. Dieses Hochgefühl wirkt wie eine Garantie dafür, dass die endgültige Erfolgsverheissung sich ebenfalls verwirklichen wird.
Die Schari’a als Identitätsgrundlage
Religion, die als Identitätskrücke dient, muss möglichst einfach sein; so bestimmt wie möglich; blockähnlich fest. Das Gottesgesetz, gerade weil es Gesetz ist, eignet sich am besten als Stütze. Ein normatives Regelgebäude steht da, das den Anspruch erhebt, als ganzes entweder angenommen oder abgelehnt zu werden, ohne Fragen warum und wieso, denn es beansprucht ja von Gott herzukommen und ist daher über jeden Einwand erhaben. Die Islamisten erklären es zum Islam schlechthin, weil es, wenn einmal hingenommen, kein Bedenken, keine Zögerung oder Unsicherheit zulässt. Es ist wohlausgebaut seit Jahrhunderten. Gewiss, Teile davon wirken veraltert, scheinen eher zu einem mittelalterlichen Weltbild zu passen. Doch gerade darum werden sie unterstrichen.
Handabhacken bewirke den wahren Islam, so glaubte der ex-Offizier und Staatspräsident Jaafar Numeiri, als er 1984 die Religion einsetzen wollte, um seine schwankende Herrschaft über den Sudan zu stützen. So glauben es auch die Islamisten. Hudud Strafen und Verschleierung, gerade weil sie dem „westlichen“ Zug der Zeit widersprechen, werden affirmativ eingesetzt; Hyperbolik der Identität: dies sind Wir, denn Wir unterscheiden uns möglichst sichtbar, wenn nötig blutig, von Ihnen, den „nicht-gläubigen“ Anderen, die darauf ausgingen, und weiter ausgehen, uns unserer „islamischen“ (wie sie sagen) Identität zu berauben, um uns in leere Marionetten und Schattenfiguren ihres Lebensstiles zu verwandeln.
Da man trotzdem nicht auf die Annehmlichkeiten westlichen Konforts verzichten will, wenigsten soweit man ihn sich leisten kann, und da man möglichst moderne Waffen braucht, um sich an die Macht zu kämpfen, machen die Islamisten einen Unterschied zwischen „Technologie“ die sie keineswegs ablehnten und „westlichem Lebensstil“ oder gar „Geist“, den es gelte zurückzuweisen. Die Identität braucht ihrer Ansicht nach keine Verankerung in einer bestimmten Zivilisation; der Islam, so wie sie ihn verwenden, genügt.
Dies dient der Starre. Die Verunsicherung der Identitäten hat ja gerade damit zu tun, dass eine Zivilisationsunsicherheit existiert. Die Lehre der Islamisten will diese übersehen: „Wir können Atombomben herstellen und haben ein Recht auf Atomanreicherung, Trotzdem finden wir uns fest verankert in unserem gesetzlich umschrieben Schari’a–Islam!“. So das Credo der Revolutionswächter, von Khamenei und Ahmedinejad, gestützt auf Khomeini. (Khomeini selbst war auch ein Identitätspolitiker. Er machte sich den Umstand zu nutzen, dass der Schah die Iraner zu weit zu “amerikanisieren“ versuchte, wirtschaftlich, militärisch, politisch, kulturell. Er konnte deshalb als Retter der persischen Identität auftreten, die er eng mit der islamischen kombinierte.)
Späte Probe durch die Realität
Das ganze Gedankengebäude steht vor dem Realitätstest. Bringt es das Paradies auf Erden? – Iran zeigt, dass dieses Paradies höchstens für ein paar privilegierte an der Spitze des Gottestaates zustande kommt. Der Bevölkerung, besonders der jüngeren grösseren Hälfte davon, ist klar, dass sie sich ein anderes Staatsgefüge wünschen; wie immer es sein möge, es soll ihnen Lebensmöglichkeiten, Arbeitsplätze, Selbstverwirklichung bieten. Für sie steht im Fordergrund nicht mehr die Frage: wer bin ich denn? - Sondern vielmehr : was will ich vermeiden? - Nicht sein, nämlich nicht Spielball egoistischer Kräfte an der Spitze des Gottesstaats.
Doch dort wo die Islamisten (noch) keinen Gottesstaat gründen konnten, in der Opposition, findet auch kein Realitätstest statt. Die Schuld an allem, was nicht funktioniert und abgelehnt werden muss, können sie dem Staate und dem Staatensystem zusprechen, gegen das sie ankämpfen. Solange sie in der Opposition stehen, bleibt ihre Verheissung für die Adepten gültig. „Mit uns an der Macht wird alles entscheidend verbessert“. Die Adepten warten das künftig bevorstehende Realitätstest nicht ab. Für sie ist von überragender emotionaler und existenzieller Bedeutung, dass sie bereits jetzt als Kämpfer, gegen ein vermutetes Unrechtssystem, eine Identität erhalten; dass sie Jemand geworden sind, nachdem sie ein verlorener Niemand gewesen waren. Die Bergung in der Kampf- und Glaubensgemeinschaft bringt ihnen den vermeintlichen festen Ort, von dem sie empfinden, sie brauchten ihn, um die Welt aus den Angeln zu heben.
Das weite Feld der Identitätspolitik
Identitätspolitik ist keineswegs auf den Islamismus beschränkt. Man kann sie treiben und hat sie betrieben mit einer nationalstischen Ideologie. Aus der Zeit meiner Jugend erinnere ich mich an den Slogan: „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen ! “, und den letzten Wochen wurde in der Schweiz erfolgreich Identitätspolitik getrieben: „WIR wollen keine Minarette; denn sie sind Zeichen einer Unterwanderung durch die Fremden, die immer weiter zu gehen droht, bis wir unsere Identität verlieren“.
Wenn in Palästina ein jeder der beiden Antagonisten das ganze Land an sich nehmen will und die Anderen daraus verschwinden sollen, betreiben sie ebenfalls Identitätspolitik. „Unser Land“ wird zum Symbol „unserer Identität“; die andere soll weichen.
Identitätspolitik braucht immer einen Anderen, gegen den man sich abheben oder auflehnen kann. In der Abgrenzung gegen den Anderen finden seine Gegner eine unidimensionale Scheinidentität. Ohne Jemand zu sein, finden sie plötzlich eine scheinbare Eigendimension, weil sie sich gegen den Anderen ausrichten. „Wir sind die Gegner des (bösen) Feindes, also sind wir jemand.“ In Wirklichkeit ist der Feind des Schlechten nicht notwendigerweise der Gute; er kann ja auch böse sein. Und in Wirklichkeit ist eine Identität nicht dadurch gegeben, dass man gegen Andere ankämpft; man kann trotzdem innerlich hohl bleiben. Aber es scheint anders, deshalb die Möglichkeit und Gefahr einer Scheinidentität. Zunächst gewährt auch sie Selbstbestätigung und –Befriedigung. Die Realitätsprobe kommt erst, nachdem der Kampf zu ende gegangen ist.
Die Nutzniesser der Identitätspolitik
Alle Identitätspolitik hat auch ihre Nutzniesser. Sie sind die Leute, die zunächst die Anderen definieren, gegen die angekämpft werden soll, dann zum Kampf gegen sie aufrufen indem sie Angst vor ihm verbreiten, schliesslich den Kampf anführen. Sie katapultieren sich auf diesem Wege in eine politische und militärische Führungsrolle. Sie werden populär bei ihren Gefolgsleuten, die ihnen danken für ihre scheinbare Erlösung aus der Identitätsungewissheit. Sie sorgen dafür, dass alle Skeptiker, die ihre Behauptungen und Theorien anzweifeln, in die Gruppe der zu bekämpfenden Feinde eingegliedert werden. „Nestbeschmutzer“ hiessen sie einst. Abtrünnige einstige Gläubige bestrafen sie streng. Gerade weil sie Scheinidentitäten schaffen, bestehen sie auf einem Meinungsmonopol für ihre Ideologie. Andere Stimmen unterdrücken sie soweit irgend möglich und mit allen möglichst grausamen Mitteln.
Wenn schlussendlich die Realitätsprobe naht, weil der Kampf zu Ende geht, versuchen sie ihre Machtposition zu bewahren, indem sie weiterhin und noch strenger als bisher alle Opposition in Tat oder Meinung niederhalten. Sie reden sich selbst ein und bereden auch ihre näheren Anhänger, die von ihrer Machtstellung mitprofitieren, sie seien unentbehrlich als Anführer ihrer Gemeinschaft. Sie versuchen so ihre Machtposition abzusichern. Dies kann ihnen unter Umständen für geraume Zeit gelingen. Sogar dann wenn die Gefolgschaft zu realisieren beginnt, das sie in Konfrontationen geführt wurde, um ihren Anführern an die Macht zu verhelfen. Denn sie haben die Macht nun inne.
Gegenmassnahmen?
Wo es sich um kollektive Identitätskrisen handelt, wirken Kriegsmassnahmen gegen die betroffene Nation oder Religionsgemeinschaft kontraproduktiv. Sie steigern Verwirrung und Identitätsverlust bei den bekriegten Gruppen. Ausgeschalteten Führern und Gefolgsleuten rücken sofort weitere nach. Das Reservoir ist so gross wie die gesamte Kollektivität, weil die Kriegsschritte des Anderen, des Gegners, je erfolgreicher sie zunächst sind, umso mehr neue Identitätskrisen fördern und damit umsomehr Kämpfer mobilisieren.
Eine Rückkehr aus der Identitätskrise in die gute alte Zeit, als noch die eigene Zivilisation intakt bestand, gibt es nicht mehr. Die Globalisierung ist viel zu weit fortgeschritten. Bleibt nur der Weg voran zur vollen Teilnahme an der Moderne. Dies ist ein langer Weg. Er setzt die Schaffung wirtschaftlicher, sozialer, politischer und bildungsmässiger Infrastrukturen voraus, die der betroffeen Kollektivität erlauben, kreativ an der Fortentwicklung der Moderne mitzuarbeiten. Erst wenn die heute als fremd empfundenen Lebensformen, Wissensbereiche, Sozial- und Politsysteme voll eigene werden, verschwindet die Identitätsproblematik, die heute in fast allen islamischen und gewiss auch in vielen anderen Lädern vormoderner, nicht-„westlicher“ Kulturen besteht. Die betroffenen Völker müssen den Weg in die Moderne selbst zurücklegen. Doch die übermächtigen Fremden der industrialisierten Welt können sie dabei behindern, und sie haben dies bisher immerwieder getan. Sie könnten auch Hilfsstellung leisten. Manchmal versuchen sie es, doch sind sie im ganzen wenig erfolgreich, weil sie dabei meist unüberlegt und oftmals eigennützig vorgehn.
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Wer versucht, die Motivationen zu entdecken, die einzelne Muslime zur Ideologie des Islamismus führen, stösst an der Oberfläche auf die Aussagen, die sich auf den Islam beziehen. Doch darunter wird deutlich, dass es auch, und oft in entscheidendem Masse, um Fragen der Alienation einerseits und der Zugehörigkeit andrerseits geht. Für England gibt es die Gespräche von Johann Hari mit ehemaligen Islamisten, die sehr deutlich aufzeigen: Das Gefühl zu etwas dazuzugehören (zur verheissenen paradisiesischen Welt des zukünftigen Islams und zugleich der Kameradschaft Derjenigen die dafür kämpfen) war der entscheidende Beweggrund, der die Betroffenen in die Arme der islamistischen Gruppierungen trieb.
(The Idependent 16.Nov. 09, Johann Hari: (The Idependent 16.Nov. 09, Renouncing Islamism, To the brink and back again.) http://www.independent.co.uk/opinion/commentators/johann-hari/renouncing-islamism-to-the-brink-and-back-again-1821215.html
Alle Gespräche, die Hari mit den ehemaligen Extremisten führt, zeichnen die gleiche Grundfigur nach: Ein junger Mann wächst in England auf und gehört nicht dazu. Sogar die Wohlgesinnten protegieren ihn als etwas fremdes, curiouses; die übel Gesonnenen halten rassistische Beleidigungen und Schläge für ihn bereit. Er ist nicht besonders religiös, eher weltlich. Doch die Begegnung mit und die Aufnahme in Gemeinschaften, die ihm auseinandersetzen, er gehöre zu einer „islamischen“ Welt, die sie mit ihm neu zum Erstehen brächten; das kommende Paradies, trifft ihn wie eine Erlösung. Hier gehört er dazu. Er ist bereit für die Verwirklichung der neu entdeckten kollektiven Hoffnungen zu kämpfen mit Einsatz seines Lebens und ohne Rücksicht auf das Leben der Anderen, die nicht zu seiner neuen Gemeinschaft gehören. – Die islamischen Riten und Vorschriften werden unter diesen Umständen zu Manifestationen der neuen Gemeinsamkeit, des Zusammenfindens, vielleicht manchmal beschwerlich, aber jedenfalls tröstlich. Sie stärken das Gefühl der Zugehörigkeit, das der Betroffene in seinem bisherigen Leben so schmerzlich entbehrt hatte.
Im Falle der Gesprächspartner Haris sind es ehemalige Extremisten, die sich nach Jahren intensiver Mitarbeit und Indentitfikation von ihren Gruppen losgesagt habe und es wagen, gegen sie aufzutreten, nachdem sie durch Jahre der schmerzlichen und bitteren Erfahrungen gelernt und erkannt hatten, dass das Paradies sich nicht einstellte, eher das Gegenteil; dass die reale Islamische Welt, aus der ihre Eltern und Grosseltern eingewandert waren, keine Idealwelt darstellt; dass die Aussagen des Korans oftmals auf spezifische Gegenbenheiten aus dem 7.Jahrhundert bezogen und an sie gebunden sind; dass die Muslime dies wussten und immer gewusst haben; nur die islamistischen Ideologen, darüber schwiegen und sich und anderen einreden wollten, die Heiligen Schriften der Religion bildeten ein unfehlbares Rezept, das wortwörtlich verstanden und angewandt, notwendigerweise zu Glück und Erfolg in dieser und in jener Welt führen werde.
Das Zauberwort, Identität
Die Identitätsfragen stehen nicht nur im Zentrum des britischen Islamismus. Im Gespräch das Jeremy Bowen, von BBC, mit Dr. Zaha, dem Hauptideologen von Hamas in Gaza, führt, sagt der Islamist: „Identität ist das magische Wort“.. „Religion gewährt Identität“ (Religion gives you identity). „Und Widerstand ist eine Art von Glauben“... „Unsere Ehre litt schwer durch die Errichtung von Israel“.
"Identity is the magic word" he said. "Religion gives you identity... And resistance is a sense of belief... Our dignity was deeply affected by the establishment of Israel."
(http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/7822048.stm)
Dies zeigt, die Führer von Hamas wissen: Identitätsbedüfnisse, Identitätsnöte, das magische Wort, bringen ihnen die Kämpfer. Die Palästinensische Identität ist angeschlagen durch die bisher sechs Jahrzehnte israelischer Uebermacht. Bei einigen Monoritäten (der geschätzte Anteil liegt bei 7 Prozent aller unter Besetzung lebenden Palästinenser) so sehr, dass sie eine islamistische neue, resp. eine Ersatz-Identität suchen und zu sie finden glauben, indem sie sich dem „bewaffneten Kampf“ zur Verfügung stellen. – Man kann vermuten, dass es sich unter den Pashtunen Afghanistans ähnlich verhält. „Wir sind niemand mehr“, nachdem der Krieg 30 Jahre lang gewütet hat und nach den Russen die Amerikaner unser Land besetzten. Die Flüchtlinge in den Nachbarländern, besonders in Pakistan, „sind noch viel weniger“. So antworten Viele dem Ruf der Taleban. Dort sind sie wieder jemand, sogar mit der Aussicht die Herrschaft an sich zu reissen.
In den pakistanischen Stammesgebieten herrschte graume Zeit Selbstgewissheit. Doch die Jahrzehnte verstrichen, und die dortige soziale und wirtschaftliche Lage blieb eingefroren. Nun treten Führer auf, die lehren: „Wir „ können etwas bewegen. Unser Land beherrschen und den grossen Staat, der uns in unseren Zonen gefangen hält, umstürzen und ihn in unsere Hände nehmen. Gewiss im Namen des Islams, jedoch des Islams, den wir durchsetzen und vorwärtstragen. Aus bedeutungslosen Randfiguren der unter archalischen Umständen lebenden Stämme kann man so hoffen und erwarten, zu Zentralfiguren eines neuen „islamischen“ Staates werden. Nicht nur die Religion, auch der Kalashnikoff stiften Identität. .
Identitätsverlust durch kulturelle Entfremdung
Identitätsverlust ist im ganzen Nahen Osten latent. Seit 200 Jahren, immer zunehmend, sind die Erfolgreichen Jene, die mit den Fremden zusammenarbeiten, die ihren politischen Interessen, ihren Zivilisationbegriffen, ihren Wirtschaftsinteressen zudienen. Die Erfolglosen sind immer wieder und immer mehr Jene, die die bemüht sind, die eigene Zivilisation, die eigenen Interessen, die eigenen Identitäten aufrecht zu erhalten; denn diese Anstrengungen sind immer erneut schief gegangen.
Israel ist das sichtbarste und vielleicht virulenteste Zeichen dafür, aber nur eines von vielen. „Wer sind wir denn, wenn wir nichts zu bewirken vermögen und immer nur Gegenstände der Einwirkung anderer sind?“ – Auf solche Fragen antworteten einst die Nationalisten, indem sie auf den Begriff der Nation verwiesen. Doch ihre Bestreben für und Hoffnungen auf die Nation verliefen im Sande. Nun treten die islamistsichen Ideologen mit ihrer Antwort hervor: Schliesse dich uns an, den Vertetern des wahren Islams, und du erlangst eine neue, starke, zukunftsgerichtete Identität. Du bist wieder jemand.
Die Religion wird zur Uniform, im physischen und im mentalen Bereich. Frauen müssen die Uniform tragen, manche tun es freiwillig, andere gezwungen. Für Männer gibt es auch Uniformvorstellungen, der obligatorische Bart, die Kleider wie sie der Prophet getragen habe. Im geistigen Bereich sind die Uniformelente ausgewählte Einzelverse aus dem Koran und Berichte aus der Ueberlieferung. Sie werden wie Slogans gebraucht. Uniformen bieten auch eine Art von Identität, freilich keine tief wurzelnde, dafür umso augefälligere. Man kann dabei von Oberflächen- oder auch Scheinidentität sprechen.
Die Hoffnung auf künftigen Erfolg beflügelt. Doch die Erfahrung einer neuen Identität, gewährt sofortige Befriedigung, Erlösung aus der Identitätslosigkeit, heute schon. Dieses Hochgefühl wirkt wie eine Garantie dafür, dass die endgültige Erfolgsverheissung sich ebenfalls verwirklichen wird.
Die Schari’a als Identitätsgrundlage
Religion, die als Identitätskrücke dient, muss möglichst einfach sein; so bestimmt wie möglich; blockähnlich fest. Das Gottesgesetz, gerade weil es Gesetz ist, eignet sich am besten als Stütze. Ein normatives Regelgebäude steht da, das den Anspruch erhebt, als ganzes entweder angenommen oder abgelehnt zu werden, ohne Fragen warum und wieso, denn es beansprucht ja von Gott herzukommen und ist daher über jeden Einwand erhaben. Die Islamisten erklären es zum Islam schlechthin, weil es, wenn einmal hingenommen, kein Bedenken, keine Zögerung oder Unsicherheit zulässt. Es ist wohlausgebaut seit Jahrhunderten. Gewiss, Teile davon wirken veraltert, scheinen eher zu einem mittelalterlichen Weltbild zu passen. Doch gerade darum werden sie unterstrichen.
Handabhacken bewirke den wahren Islam, so glaubte der ex-Offizier und Staatspräsident Jaafar Numeiri, als er 1984 die Religion einsetzen wollte, um seine schwankende Herrschaft über den Sudan zu stützen. So glauben es auch die Islamisten. Hudud Strafen und Verschleierung, gerade weil sie dem „westlichen“ Zug der Zeit widersprechen, werden affirmativ eingesetzt; Hyperbolik der Identität: dies sind Wir, denn Wir unterscheiden uns möglichst sichtbar, wenn nötig blutig, von Ihnen, den „nicht-gläubigen“ Anderen, die darauf ausgingen, und weiter ausgehen, uns unserer „islamischen“ (wie sie sagen) Identität zu berauben, um uns in leere Marionetten und Schattenfiguren ihres Lebensstiles zu verwandeln.
Da man trotzdem nicht auf die Annehmlichkeiten westlichen Konforts verzichten will, wenigsten soweit man ihn sich leisten kann, und da man möglichst moderne Waffen braucht, um sich an die Macht zu kämpfen, machen die Islamisten einen Unterschied zwischen „Technologie“ die sie keineswegs ablehnten und „westlichem Lebensstil“ oder gar „Geist“, den es gelte zurückzuweisen. Die Identität braucht ihrer Ansicht nach keine Verankerung in einer bestimmten Zivilisation; der Islam, so wie sie ihn verwenden, genügt.
Dies dient der Starre. Die Verunsicherung der Identitäten hat ja gerade damit zu tun, dass eine Zivilisationsunsicherheit existiert. Die Lehre der Islamisten will diese übersehen: „Wir können Atombomben herstellen und haben ein Recht auf Atomanreicherung, Trotzdem finden wir uns fest verankert in unserem gesetzlich umschrieben Schari’a–Islam!“. So das Credo der Revolutionswächter, von Khamenei und Ahmedinejad, gestützt auf Khomeini. (Khomeini selbst war auch ein Identitätspolitiker. Er machte sich den Umstand zu nutzen, dass der Schah die Iraner zu weit zu “amerikanisieren“ versuchte, wirtschaftlich, militärisch, politisch, kulturell. Er konnte deshalb als Retter der persischen Identität auftreten, die er eng mit der islamischen kombinierte.)
Späte Probe durch die Realität
Das ganze Gedankengebäude steht vor dem Realitätstest. Bringt es das Paradies auf Erden? – Iran zeigt, dass dieses Paradies höchstens für ein paar privilegierte an der Spitze des Gottestaates zustande kommt. Der Bevölkerung, besonders der jüngeren grösseren Hälfte davon, ist klar, dass sie sich ein anderes Staatsgefüge wünschen; wie immer es sein möge, es soll ihnen Lebensmöglichkeiten, Arbeitsplätze, Selbstverwirklichung bieten. Für sie steht im Fordergrund nicht mehr die Frage: wer bin ich denn? - Sondern vielmehr : was will ich vermeiden? - Nicht sein, nämlich nicht Spielball egoistischer Kräfte an der Spitze des Gottesstaats.
Doch dort wo die Islamisten (noch) keinen Gottesstaat gründen konnten, in der Opposition, findet auch kein Realitätstest statt. Die Schuld an allem, was nicht funktioniert und abgelehnt werden muss, können sie dem Staate und dem Staatensystem zusprechen, gegen das sie ankämpfen. Solange sie in der Opposition stehen, bleibt ihre Verheissung für die Adepten gültig. „Mit uns an der Macht wird alles entscheidend verbessert“. Die Adepten warten das künftig bevorstehende Realitätstest nicht ab. Für sie ist von überragender emotionaler und existenzieller Bedeutung, dass sie bereits jetzt als Kämpfer, gegen ein vermutetes Unrechtssystem, eine Identität erhalten; dass sie Jemand geworden sind, nachdem sie ein verlorener Niemand gewesen waren. Die Bergung in der Kampf- und Glaubensgemeinschaft bringt ihnen den vermeintlichen festen Ort, von dem sie empfinden, sie brauchten ihn, um die Welt aus den Angeln zu heben.
Das weite Feld der Identitätspolitik
Identitätspolitik ist keineswegs auf den Islamismus beschränkt. Man kann sie treiben und hat sie betrieben mit einer nationalstischen Ideologie. Aus der Zeit meiner Jugend erinnere ich mich an den Slogan: „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen ! “, und den letzten Wochen wurde in der Schweiz erfolgreich Identitätspolitik getrieben: „WIR wollen keine Minarette; denn sie sind Zeichen einer Unterwanderung durch die Fremden, die immer weiter zu gehen droht, bis wir unsere Identität verlieren“.
Wenn in Palästina ein jeder der beiden Antagonisten das ganze Land an sich nehmen will und die Anderen daraus verschwinden sollen, betreiben sie ebenfalls Identitätspolitik. „Unser Land“ wird zum Symbol „unserer Identität“; die andere soll weichen.
Identitätspolitik braucht immer einen Anderen, gegen den man sich abheben oder auflehnen kann. In der Abgrenzung gegen den Anderen finden seine Gegner eine unidimensionale Scheinidentität. Ohne Jemand zu sein, finden sie plötzlich eine scheinbare Eigendimension, weil sie sich gegen den Anderen ausrichten. „Wir sind die Gegner des (bösen) Feindes, also sind wir jemand.“ In Wirklichkeit ist der Feind des Schlechten nicht notwendigerweise der Gute; er kann ja auch böse sein. Und in Wirklichkeit ist eine Identität nicht dadurch gegeben, dass man gegen Andere ankämpft; man kann trotzdem innerlich hohl bleiben. Aber es scheint anders, deshalb die Möglichkeit und Gefahr einer Scheinidentität. Zunächst gewährt auch sie Selbstbestätigung und –Befriedigung. Die Realitätsprobe kommt erst, nachdem der Kampf zu ende gegangen ist.
Die Nutzniesser der Identitätspolitik
Alle Identitätspolitik hat auch ihre Nutzniesser. Sie sind die Leute, die zunächst die Anderen definieren, gegen die angekämpft werden soll, dann zum Kampf gegen sie aufrufen indem sie Angst vor ihm verbreiten, schliesslich den Kampf anführen. Sie katapultieren sich auf diesem Wege in eine politische und militärische Führungsrolle. Sie werden populär bei ihren Gefolgsleuten, die ihnen danken für ihre scheinbare Erlösung aus der Identitätsungewissheit. Sie sorgen dafür, dass alle Skeptiker, die ihre Behauptungen und Theorien anzweifeln, in die Gruppe der zu bekämpfenden Feinde eingegliedert werden. „Nestbeschmutzer“ hiessen sie einst. Abtrünnige einstige Gläubige bestrafen sie streng. Gerade weil sie Scheinidentitäten schaffen, bestehen sie auf einem Meinungsmonopol für ihre Ideologie. Andere Stimmen unterdrücken sie soweit irgend möglich und mit allen möglichst grausamen Mitteln.
Wenn schlussendlich die Realitätsprobe naht, weil der Kampf zu Ende geht, versuchen sie ihre Machtposition zu bewahren, indem sie weiterhin und noch strenger als bisher alle Opposition in Tat oder Meinung niederhalten. Sie reden sich selbst ein und bereden auch ihre näheren Anhänger, die von ihrer Machtstellung mitprofitieren, sie seien unentbehrlich als Anführer ihrer Gemeinschaft. Sie versuchen so ihre Machtposition abzusichern. Dies kann ihnen unter Umständen für geraume Zeit gelingen. Sogar dann wenn die Gefolgschaft zu realisieren beginnt, das sie in Konfrontationen geführt wurde, um ihren Anführern an die Macht zu verhelfen. Denn sie haben die Macht nun inne.
Gegenmassnahmen?
Wo es sich um kollektive Identitätskrisen handelt, wirken Kriegsmassnahmen gegen die betroffene Nation oder Religionsgemeinschaft kontraproduktiv. Sie steigern Verwirrung und Identitätsverlust bei den bekriegten Gruppen. Ausgeschalteten Führern und Gefolgsleuten rücken sofort weitere nach. Das Reservoir ist so gross wie die gesamte Kollektivität, weil die Kriegsschritte des Anderen, des Gegners, je erfolgreicher sie zunächst sind, umso mehr neue Identitätskrisen fördern und damit umsomehr Kämpfer mobilisieren.
Eine Rückkehr aus der Identitätskrise in die gute alte Zeit, als noch die eigene Zivilisation intakt bestand, gibt es nicht mehr. Die Globalisierung ist viel zu weit fortgeschritten. Bleibt nur der Weg voran zur vollen Teilnahme an der Moderne. Dies ist ein langer Weg. Er setzt die Schaffung wirtschaftlicher, sozialer, politischer und bildungsmässiger Infrastrukturen voraus, die der betroffeen Kollektivität erlauben, kreativ an der Fortentwicklung der Moderne mitzuarbeiten. Erst wenn die heute als fremd empfundenen Lebensformen, Wissensbereiche, Sozial- und Politsysteme voll eigene werden, verschwindet die Identitätsproblematik, die heute in fast allen islamischen und gewiss auch in vielen anderen Lädern vormoderner, nicht-„westlicher“ Kulturen besteht. Die betroffenen Völker müssen den Weg in die Moderne selbst zurücklegen. Doch die übermächtigen Fremden der industrialisierten Welt können sie dabei behindern, und sie haben dies bisher immerwieder getan. Sie könnten auch Hilfsstellung leisten. Manchmal versuchen sie es, doch sind sie im ganzen wenig erfolgreich, weil sie dabei meist unüberlegt und oftmals eigennützig vorgehn.
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Sonntag, 13. Dezember 2009
IRAN: Die Schlinge zieht sich enger zusammen
Wer bloggt, riskiert die Reste von Freiheit und sogar sein Leben – Irans Despoten haben die Journalisten und Internetaktivisten zum größten Erzfeind erkoren
von Birgit Cerha
Wer hat das größte Sakrileg im Gottesstaat gewagt? Irans staatliches Fernsehen enthielt dem gesamten Volk die Ungeheuerlichkeit nicht vor: Ein zerrissenes Poster Ayatollah Khomeinis, des auch nach drei Jahrzehnten immer noch unantastbaren Gründers der „Islamischen Republik“, flimmerte über die Bildschirme. An der Identität der Täter hegt das Sprachrohr des „Geistlichen Führers“, ebenso wie dieser selbst, nicht die geringsten Zweifel: die grüne Oppositionsbewegung. Diese freilich, unter Führung Mir Hussein Mussawis, weist solche Anschuldigung empört – und glaubhaft – zurück, zählte der langjährige Premier der „Islamischen Republik“ doch zu den engsten Mitstreitern Khomeinis.
Das Foto, nach Überzeugung der Oppositionsbewegung und auch unabhängiger Blogger manipuliert – und dies auch noch schlecht – erschien als erstes auf einem der zahllosen Blogs, über die Iraner aller politischen Richtungen nicht nur einander gegenseitig und die Außenwelt über die dramatischen Ereignisse im Lande informieren, sondern zunehmend auch ihre politischen Konflikte austragen. Der Verdacht einer gezielten Provokation durch radikale Vertreter des Regimes drängt sich auf. Wird der Boden für eine Verhaftung Mussawis und seines Mitstreiters Kharrubi bereitet?
Nichts könnte deutlicher die enorme Bedeutung illustrieren, die vor allem die elektronischen Medien im Iran gewonnen haben. Und dies trotz intensiver Versuche des Regimes, Journalisten und Blogger massiv einzuschüchtern und den Zugang zu den neuen Medien durch zunehmend ausgeklügelte technische Tricks zu blockieren. Doch das Ventil der Freiheitssuchenden lässt sich nicht zustopfen. Irans Blogger sind hoch erfinderische Meister in der Umgehung staatlicher Filter und anderer Blockaden. So erreicht immer noch eine Flut von Informationen über die dramatischen Ereignisse im Land über Videos, Fotos, Text-Nachrichten per Mobiltelefon, im Facebook, Twitter, in Blogs und auf Websites die Außenwelt. Die „Twitter-Revolution“, die sich erstmals im Anschluss an die manipulierten Präsidentschaftswahlen am 12. Juni zum regte, lebt fort.
„Dieser Bürgerjournalismus“ habe dem iranischen Regime „jede Glaubwürdigkeit“ geraubt, indem er die Diskrepanz zwischen den offiziellen Berichten und dem „Online“ Gezeigten darstelle, analysiert etwa der Blogger Hamid Tehrani. Wie der über Videoplattformen verbreitete Tod der Studentin Neda Agha-Soltan, die unterdessen zum Symbol der gesamten Protestbewegung aufgestiegen ist, zeigt, seien „die Opfer im Iran keine Zahlen mehr, sondern Gesichter“ und das Regime habe damit seine eigenen Symbole verloren.
Tatsächlich droht dem islamischen System, das einst durch das Medium der Khomeinis Botschaften in Tausenden Moscheen verbreitenden Tonbandgeräte den größten Militärherrscher des Orients gestürzt hatte, nun tödliche Gefahr durch das Nachfolgemedium: das Internet. Dementsprechend reagieren die Herrscher in Teheran immer brutaler. „Internet-Verbrecher“ sollen nun gar mit dem Tode bestraft werden können, etwa wenn sie die „mentale Sicherheit der Gesellschaft“ bedrohen – ein Schwammbegriff unter den sich jedes niedergeschriebene Wort einordnen lässt.
Blogger und Journalisten insgesamt sind damit nun der neue interne Erzfeind. Der Preis, den diese mutigen Kämpfer für die Freiheit zu zahlen haben, wird immer höher. Berichte über Verhaftungen, Folter, über Nervenzusammenbrüche der Opfer, Hungerstreiks, jahrelange Gefängnisstrafen, Bedrohung von Familienangehörigen reißen nicht ab. Wer selbst nicht ins Gefängnis muss, wie etwa der prominente Journalist Mashallah Shamsovlaezin, steht unter steter Observation und der ununterbrochenen Gefahr, ins berüchtigte Evin-Gefängnis abgeschleppt zu werden. Ebenso ergeht es allen Bloggern, die oppositionelles Gedankengut verbreiten, in Teheran, in Isfahan, in Tabris, in allen großen Städten des Iran.
Das Regime versucht, sich mit allen nur denkbaren Methoden zu wehren. Zahlen sprechen für sich: Mehr als hundert Journalisten und unzählige Blogger wurden laut „Reporter ohne Grenzen“ seit Juni verhaftet, mehr als zwei Dutzend sind immer noch im Gefängnis. Einige wurden zu Haftstrafen von fünf bis neun Jahre verurteilt, andere gegen gigantische Summen vorübergehend auf freien Fuß gesetzt. Die seit Juni massiv verschärfte systematische Zensur hat einzigartige Ausmaße erreicht. Mehr als zehn Tageszeitungen, darunter jene von Khameneis (oppositionellen) Bruder Hadi, wurden verboten.
Der Iran erlebt deshalb heute den größten Exodus von Journalisten und andere Medienvertreter seit der Revolution, denn sie gelten pauschal als „Gefahr für die nationale Sicherheit“. Nach Schätzungen von Shamsovaezin haben rund 2000 Journalisten seit Juni ihre Arbeit verloren. Etwa 50 Journalisten haben sich den mehr als 4.000 Geschäftsleuten, Studenten, Athleten und anderen Angehörigen der Elite angeschlossen, die das Land – häufig unter Lebensgefahr – im vergangenen halben Jahr fluchtartig verließen. Dieser Exodus ist den Diktatoren in Teheran hochwillkommen, fühlen sie sich damit doch befreit von Aktivisten, die ihrer Ansicht nach die Medien nutzten, um das Regime zu stürzen. Der Internetlink, der heimischen Bloggern mit – meist oppositionellen - Exil-Iranern gelungen ist, erscheint wohl als die größte Gefahr. So traten die Herrscher in Teheran voll in die Offensive.
Im November kündigte der Polizeichef die Bildung einer Spezialeinheit zur Aufspürung von „Internetverbrechen“ an. Die allmächtigen Revolutionsgarden gaben kurz zuvor die Schaffung von 40 neuen Blogs bekannt, die im Internet den Kampf gegen ihre Feinde führen, und dies, obwohl sie Ende des Vorjahres nach eigenen Angaben 10.000 Blogs für ihre paramilitärischen Einheiten, die Bassidsch, gestartet hatten. Die Garden kontrollieren die staatliche Telecom, die die wichtigsten Internetdienstleister im Iran nutzen. Immer mehr gelingt es dem Regime, die Blogs der Opposition zu infiltrieren und damit auch die internationale Öffentlichkeit zu verwirren, wie das Beispiel des zerrissenen Khomeini-Fotos zeigt. Zugleich, meint etwa der Journalist Sina Motalebi, wagen sich immer weniger „normale Bürger“ ins Internet, um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien nicht aufs Spiel zu setzen. „Die Blogs werden deshalb zunehmend von Aktivisten dominiert und die Stimme Extremer auf beiden Seiten wird immer lauter.“
Dennoch bleibt „Cyberspace“ die größte, ja vielleicht die einzige Hoffnung der sich nach Freiheit sehnenden Iraner.
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von Birgit Cerha
Wer hat das größte Sakrileg im Gottesstaat gewagt? Irans staatliches Fernsehen enthielt dem gesamten Volk die Ungeheuerlichkeit nicht vor: Ein zerrissenes Poster Ayatollah Khomeinis, des auch nach drei Jahrzehnten immer noch unantastbaren Gründers der „Islamischen Republik“, flimmerte über die Bildschirme. An der Identität der Täter hegt das Sprachrohr des „Geistlichen Führers“, ebenso wie dieser selbst, nicht die geringsten Zweifel: die grüne Oppositionsbewegung. Diese freilich, unter Führung Mir Hussein Mussawis, weist solche Anschuldigung empört – und glaubhaft – zurück, zählte der langjährige Premier der „Islamischen Republik“ doch zu den engsten Mitstreitern Khomeinis.
Das Foto, nach Überzeugung der Oppositionsbewegung und auch unabhängiger Blogger manipuliert – und dies auch noch schlecht – erschien als erstes auf einem der zahllosen Blogs, über die Iraner aller politischen Richtungen nicht nur einander gegenseitig und die Außenwelt über die dramatischen Ereignisse im Lande informieren, sondern zunehmend auch ihre politischen Konflikte austragen. Der Verdacht einer gezielten Provokation durch radikale Vertreter des Regimes drängt sich auf. Wird der Boden für eine Verhaftung Mussawis und seines Mitstreiters Kharrubi bereitet?
Nichts könnte deutlicher die enorme Bedeutung illustrieren, die vor allem die elektronischen Medien im Iran gewonnen haben. Und dies trotz intensiver Versuche des Regimes, Journalisten und Blogger massiv einzuschüchtern und den Zugang zu den neuen Medien durch zunehmend ausgeklügelte technische Tricks zu blockieren. Doch das Ventil der Freiheitssuchenden lässt sich nicht zustopfen. Irans Blogger sind hoch erfinderische Meister in der Umgehung staatlicher Filter und anderer Blockaden. So erreicht immer noch eine Flut von Informationen über die dramatischen Ereignisse im Land über Videos, Fotos, Text-Nachrichten per Mobiltelefon, im Facebook, Twitter, in Blogs und auf Websites die Außenwelt. Die „Twitter-Revolution“, die sich erstmals im Anschluss an die manipulierten Präsidentschaftswahlen am 12. Juni zum regte, lebt fort.
„Dieser Bürgerjournalismus“ habe dem iranischen Regime „jede Glaubwürdigkeit“ geraubt, indem er die Diskrepanz zwischen den offiziellen Berichten und dem „Online“ Gezeigten darstelle, analysiert etwa der Blogger Hamid Tehrani. Wie der über Videoplattformen verbreitete Tod der Studentin Neda Agha-Soltan, die unterdessen zum Symbol der gesamten Protestbewegung aufgestiegen ist, zeigt, seien „die Opfer im Iran keine Zahlen mehr, sondern Gesichter“ und das Regime habe damit seine eigenen Symbole verloren.
Tatsächlich droht dem islamischen System, das einst durch das Medium der Khomeinis Botschaften in Tausenden Moscheen verbreitenden Tonbandgeräte den größten Militärherrscher des Orients gestürzt hatte, nun tödliche Gefahr durch das Nachfolgemedium: das Internet. Dementsprechend reagieren die Herrscher in Teheran immer brutaler. „Internet-Verbrecher“ sollen nun gar mit dem Tode bestraft werden können, etwa wenn sie die „mentale Sicherheit der Gesellschaft“ bedrohen – ein Schwammbegriff unter den sich jedes niedergeschriebene Wort einordnen lässt.
Blogger und Journalisten insgesamt sind damit nun der neue interne Erzfeind. Der Preis, den diese mutigen Kämpfer für die Freiheit zu zahlen haben, wird immer höher. Berichte über Verhaftungen, Folter, über Nervenzusammenbrüche der Opfer, Hungerstreiks, jahrelange Gefängnisstrafen, Bedrohung von Familienangehörigen reißen nicht ab. Wer selbst nicht ins Gefängnis muss, wie etwa der prominente Journalist Mashallah Shamsovlaezin, steht unter steter Observation und der ununterbrochenen Gefahr, ins berüchtigte Evin-Gefängnis abgeschleppt zu werden. Ebenso ergeht es allen Bloggern, die oppositionelles Gedankengut verbreiten, in Teheran, in Isfahan, in Tabris, in allen großen Städten des Iran.
Das Regime versucht, sich mit allen nur denkbaren Methoden zu wehren. Zahlen sprechen für sich: Mehr als hundert Journalisten und unzählige Blogger wurden laut „Reporter ohne Grenzen“ seit Juni verhaftet, mehr als zwei Dutzend sind immer noch im Gefängnis. Einige wurden zu Haftstrafen von fünf bis neun Jahre verurteilt, andere gegen gigantische Summen vorübergehend auf freien Fuß gesetzt. Die seit Juni massiv verschärfte systematische Zensur hat einzigartige Ausmaße erreicht. Mehr als zehn Tageszeitungen, darunter jene von Khameneis (oppositionellen) Bruder Hadi, wurden verboten.
Der Iran erlebt deshalb heute den größten Exodus von Journalisten und andere Medienvertreter seit der Revolution, denn sie gelten pauschal als „Gefahr für die nationale Sicherheit“. Nach Schätzungen von Shamsovaezin haben rund 2000 Journalisten seit Juni ihre Arbeit verloren. Etwa 50 Journalisten haben sich den mehr als 4.000 Geschäftsleuten, Studenten, Athleten und anderen Angehörigen der Elite angeschlossen, die das Land – häufig unter Lebensgefahr – im vergangenen halben Jahr fluchtartig verließen. Dieser Exodus ist den Diktatoren in Teheran hochwillkommen, fühlen sie sich damit doch befreit von Aktivisten, die ihrer Ansicht nach die Medien nutzten, um das Regime zu stürzen. Der Internetlink, der heimischen Bloggern mit – meist oppositionellen - Exil-Iranern gelungen ist, erscheint wohl als die größte Gefahr. So traten die Herrscher in Teheran voll in die Offensive.
Im November kündigte der Polizeichef die Bildung einer Spezialeinheit zur Aufspürung von „Internetverbrechen“ an. Die allmächtigen Revolutionsgarden gaben kurz zuvor die Schaffung von 40 neuen Blogs bekannt, die im Internet den Kampf gegen ihre Feinde führen, und dies, obwohl sie Ende des Vorjahres nach eigenen Angaben 10.000 Blogs für ihre paramilitärischen Einheiten, die Bassidsch, gestartet hatten. Die Garden kontrollieren die staatliche Telecom, die die wichtigsten Internetdienstleister im Iran nutzen. Immer mehr gelingt es dem Regime, die Blogs der Opposition zu infiltrieren und damit auch die internationale Öffentlichkeit zu verwirren, wie das Beispiel des zerrissenen Khomeini-Fotos zeigt. Zugleich, meint etwa der Journalist Sina Motalebi, wagen sich immer weniger „normale Bürger“ ins Internet, um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien nicht aufs Spiel zu setzen. „Die Blogs werden deshalb zunehmend von Aktivisten dominiert und die Stimme Extremer auf beiden Seiten wird immer lauter.“
Dennoch bleibt „Cyberspace“ die größte, ja vielleicht die einzige Hoffnung der sich nach Freiheit sehnenden Iraner.
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Mittwoch, 9. Dezember 2009
IRAK: Neue Schlacht um Kontrolle über den Irak
Eine Allianz von Al Kaida und Baathisten gewinnt an Schlagkraft dank der Inkompetenz und Korruption der politischen Führer
von Birgit Cerha
Nouri al Maliki, der durch die katastrophale Bombenserie im Herzen Bagdads schwer bedrängte irakische Premier, richtete Mittwoch einen eindringlichen Appell an die internationale Gemeinschaft, doch mehr zu tun, um das Land zu retten. „Unsere Feinde – die Feinde von Freiheit, Demokratie, Stabilität und Sicherheit – richten ihre üblen Taten gegen unsere kontinuierlichen Errungenschaften.“ Ihre Strategie aber müsse fehlschlagen, wenn das gesamte irakische Volk sich die Hand reicht.
Vorerst aber hat der Terror des „blutigen Dienstags“, des 8. Oktober, die Kluft zwischen den irakischen Bevölkerungsgruppen und Fraktionen noch tiefer gerissen. Zornige Parlamentarier ziehen Maliki und dessen Sicherheitschefs empört zur Rechenschaft. Wie – so die Frage, die vielen auf den Lippen brennt – wie ist ein derartiges Blutbad (127 Tote und mehr als 55 Verletzte – die Zerstörung von Regierungsgebäuden im Zentrum Bagdads möglich. Bereits im August und im Oktober war es zu ähnlich brutal koordinierten Anschlägen gegen Regierungsgebäuden mit ähnlich hohen Opferzahlen gekommen und Maliki hatte energisch verschärfte Sicherheitsvorkehrungen verheißen. Wie können Terroristen derart große Mengen an Sprengstoff durch die Straßen von Bagdad schmuggeln, die durch Betonwälle und unzählige Straßenkontrollen abgesichert sein sollte?
Parlamentarier, wie der unabhängige Kurde Mahmud Othman, zeigen offen ihrer Ärger. „Das Volk ist empört. Wir wollen Informationen über den Sicherheitsplan (der Regierung) und über die Ergebnisse der Untersuchungen“ der beiden vorangegangenen Terrorserien. Abgeordnete rufen nach der Auflösung der „Bagdad Brigaden“, die unter direkter Kontrolle Malikis steht und für die Sicherheit in der Metropole sorgen sollte.
Nouri al Badran, Innenminister von 2003 bis 2004 unter der „Provisorischen“ von den Amerikanern eingesetzten Regierung, sieht die Ursache dieses bedrohlichen Zusammenbruchs der Sicherheit im Irak weniger in der Stärke radikaler Widerstandskräfte, als in einem erbitterten Konkurrenzkampf zwischen den zahlreichen Geheimdiensten und Sicherheitskräften, sowie zwischen dem Militär und dem Innenministerium. „Es gibt keine Rechenschaftspflicht und keine effektive Beaufsichtigung“ der diversen Organisationen, die die Interessen der jeweiligen Gruppen verfolgen, in deren Dienst sie stehen, bzw. vorrangig auch ihre eigenen. So ist denn Korruption eine der Hauptursachen für den drohenden Rückfall des Iraks in blutiges Chaos. Ein jüngst veröffentlichter Bericht des Innenministeriums gibt Einblick in die Methoden der Bestechung von Sicherheitsbeamten, die ihre Arbeit an Straßenkontrollpunkten verrichten. Allein im August sollen danach 10.000 Dollar an Schmiergeldern bezahlt worden sein, um Al-Kaida Selbstmordattentäter durch Checkpoints zu schleusen. Auch Gefängniswerter werden eifrig bestochen. Nach offiziellen Quellen in Bagdad sollen auf diese Weise viele gefährliche islamistische Gefangene freigekommen sein und Sicherheitsexperten sehen in dieser Entwicklung eine der Ursachen für die erneut aufflammende Gewalt.
Irakische Regierungsvertreter, allen voran Maliki, hegen keine Zweifel an der Identität der Drahtzieher des Terrors: Al-Kaida, der es gelungen sei, sich mit führenden Baathisten des gestürzten Regimes mit dem Ziel zu verbünden, nicht nur den politischen Prozess zur Stabilisierung des Iraks zu erschüttern, sondern überhaupt die Regierung zu Fall zu bringen.
Zwar hat sich bisher niemand die Verantwortung für die Anschläge übernommen, doch im Oktober bekannte sich Al-Kaida zu der damaligen Bluttat, die 150 Menschenleben gefordert hatte. Es gehe ihr dabei um „Angriffe auf die Säulen dieses schiitisch-sufistischen Staates“, den sie, gemeinsam mit anderen sunnitischen Extremistengruppen nicht zuletzt deshalb vehement ablehnt, weil ihn die schiitische Mehrheit des Landes dominiert.
Eine massive, von den Amerikanern geleitete Militärkampagne hatte im Vorjahr unter Einsatz auch der irakischen Sicherheitskräfte und sunnitischer Milizen der sog. „Erweckungsräte“ der Al-Kaida im Irak, die 2004 und 2005 den Terror im Land auf einen Höhepunkt getrieben hatte, schwere Schläge versetzt. Seither haben diese sunnitischen Extremisten ihre Strategie entscheidend verändert. Die Terrorgruppe hat sich „irakifiziert“, verfügt nach Aussagen hoher US-Militärs heute nur noch über eine verschwindende Zahl von Ausländern. Hauptfeind ist nicht mehr die US-Armee, die sich vergangenen Juni aus den irakischen Städten zurückgezogen hatte, sondern die dadurch verwundbarer gewordenen irakischen Regierungsinstitutionen. Die Tatsache, dass sie zu derart ausgefeilten Anschlägen in der Lage sind, lässt Experten vermuten, dass es ihr tatsächlich gelungen sein könnte, mit ehemaligen Offizieren des gestürzten Regimes Saddam Hussein eine Allianz zu schließen.
Ungeachtet wiederholter Versprechungen hat Maliki keinen Versöhnungsprozeß mit den Baathisten eingeleitet. Ganz im Gegenteil. Wiederholte Erklärungen, Baathisten würden die für 7. März angesetzten Parlamentswahlen nutzen, um wieder die Macht im Lande zu erobern und er sei entschlossen, dies unter allen Umständen zu verhindern, könnten durchaus der Gewalt neuen Nährboden verleihen. Und al-Kaida nützt diese internen Spannungen, die Lähmung einer Regierung, in der der Innenminister etwa nicht mit dem Premier spricht, sowie die tiefen Frustrationen einer Bevölkerung, die immer noch unter einer katastropheln wirtschaftlichen Situation, mangelnder Infrastruktur und der himmelschreienden Unfähigkeit ihrer politischen Führer leidet.
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von Birgit Cerha
Nouri al Maliki, der durch die katastrophale Bombenserie im Herzen Bagdads schwer bedrängte irakische Premier, richtete Mittwoch einen eindringlichen Appell an die internationale Gemeinschaft, doch mehr zu tun, um das Land zu retten. „Unsere Feinde – die Feinde von Freiheit, Demokratie, Stabilität und Sicherheit – richten ihre üblen Taten gegen unsere kontinuierlichen Errungenschaften.“ Ihre Strategie aber müsse fehlschlagen, wenn das gesamte irakische Volk sich die Hand reicht.
Vorerst aber hat der Terror des „blutigen Dienstags“, des 8. Oktober, die Kluft zwischen den irakischen Bevölkerungsgruppen und Fraktionen noch tiefer gerissen. Zornige Parlamentarier ziehen Maliki und dessen Sicherheitschefs empört zur Rechenschaft. Wie – so die Frage, die vielen auf den Lippen brennt – wie ist ein derartiges Blutbad (127 Tote und mehr als 55 Verletzte – die Zerstörung von Regierungsgebäuden im Zentrum Bagdads möglich. Bereits im August und im Oktober war es zu ähnlich brutal koordinierten Anschlägen gegen Regierungsgebäuden mit ähnlich hohen Opferzahlen gekommen und Maliki hatte energisch verschärfte Sicherheitsvorkehrungen verheißen. Wie können Terroristen derart große Mengen an Sprengstoff durch die Straßen von Bagdad schmuggeln, die durch Betonwälle und unzählige Straßenkontrollen abgesichert sein sollte?
Parlamentarier, wie der unabhängige Kurde Mahmud Othman, zeigen offen ihrer Ärger. „Das Volk ist empört. Wir wollen Informationen über den Sicherheitsplan (der Regierung) und über die Ergebnisse der Untersuchungen“ der beiden vorangegangenen Terrorserien. Abgeordnete rufen nach der Auflösung der „Bagdad Brigaden“, die unter direkter Kontrolle Malikis steht und für die Sicherheit in der Metropole sorgen sollte.
Nouri al Badran, Innenminister von 2003 bis 2004 unter der „Provisorischen“ von den Amerikanern eingesetzten Regierung, sieht die Ursache dieses bedrohlichen Zusammenbruchs der Sicherheit im Irak weniger in der Stärke radikaler Widerstandskräfte, als in einem erbitterten Konkurrenzkampf zwischen den zahlreichen Geheimdiensten und Sicherheitskräften, sowie zwischen dem Militär und dem Innenministerium. „Es gibt keine Rechenschaftspflicht und keine effektive Beaufsichtigung“ der diversen Organisationen, die die Interessen der jeweiligen Gruppen verfolgen, in deren Dienst sie stehen, bzw. vorrangig auch ihre eigenen. So ist denn Korruption eine der Hauptursachen für den drohenden Rückfall des Iraks in blutiges Chaos. Ein jüngst veröffentlichter Bericht des Innenministeriums gibt Einblick in die Methoden der Bestechung von Sicherheitsbeamten, die ihre Arbeit an Straßenkontrollpunkten verrichten. Allein im August sollen danach 10.000 Dollar an Schmiergeldern bezahlt worden sein, um Al-Kaida Selbstmordattentäter durch Checkpoints zu schleusen. Auch Gefängniswerter werden eifrig bestochen. Nach offiziellen Quellen in Bagdad sollen auf diese Weise viele gefährliche islamistische Gefangene freigekommen sein und Sicherheitsexperten sehen in dieser Entwicklung eine der Ursachen für die erneut aufflammende Gewalt.
Irakische Regierungsvertreter, allen voran Maliki, hegen keine Zweifel an der Identität der Drahtzieher des Terrors: Al-Kaida, der es gelungen sei, sich mit führenden Baathisten des gestürzten Regimes mit dem Ziel zu verbünden, nicht nur den politischen Prozess zur Stabilisierung des Iraks zu erschüttern, sondern überhaupt die Regierung zu Fall zu bringen.
Zwar hat sich bisher niemand die Verantwortung für die Anschläge übernommen, doch im Oktober bekannte sich Al-Kaida zu der damaligen Bluttat, die 150 Menschenleben gefordert hatte. Es gehe ihr dabei um „Angriffe auf die Säulen dieses schiitisch-sufistischen Staates“, den sie, gemeinsam mit anderen sunnitischen Extremistengruppen nicht zuletzt deshalb vehement ablehnt, weil ihn die schiitische Mehrheit des Landes dominiert.
Eine massive, von den Amerikanern geleitete Militärkampagne hatte im Vorjahr unter Einsatz auch der irakischen Sicherheitskräfte und sunnitischer Milizen der sog. „Erweckungsräte“ der Al-Kaida im Irak, die 2004 und 2005 den Terror im Land auf einen Höhepunkt getrieben hatte, schwere Schläge versetzt. Seither haben diese sunnitischen Extremisten ihre Strategie entscheidend verändert. Die Terrorgruppe hat sich „irakifiziert“, verfügt nach Aussagen hoher US-Militärs heute nur noch über eine verschwindende Zahl von Ausländern. Hauptfeind ist nicht mehr die US-Armee, die sich vergangenen Juni aus den irakischen Städten zurückgezogen hatte, sondern die dadurch verwundbarer gewordenen irakischen Regierungsinstitutionen. Die Tatsache, dass sie zu derart ausgefeilten Anschlägen in der Lage sind, lässt Experten vermuten, dass es ihr tatsächlich gelungen sein könnte, mit ehemaligen Offizieren des gestürzten Regimes Saddam Hussein eine Allianz zu schließen.
Ungeachtet wiederholter Versprechungen hat Maliki keinen Versöhnungsprozeß mit den Baathisten eingeleitet. Ganz im Gegenteil. Wiederholte Erklärungen, Baathisten würden die für 7. März angesetzten Parlamentswahlen nutzen, um wieder die Macht im Lande zu erobern und er sei entschlossen, dies unter allen Umständen zu verhindern, könnten durchaus der Gewalt neuen Nährboden verleihen. Und al-Kaida nützt diese internen Spannungen, die Lähmung einer Regierung, in der der Innenminister etwa nicht mit dem Premier spricht, sowie die tiefen Frustrationen einer Bevölkerung, die immer noch unter einer katastropheln wirtschaftlichen Situation, mangelnder Infrastruktur und der himmelschreienden Unfähigkeit ihrer politischen Führer leidet.
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Montag, 7. Dezember 2009
IRAN: Studenten an vorderster Front der iranischen Oppositionsbewegung
Zehntausende Iraner trotzen Massenverhaftungen, Einschüchterungen und Blockade von Mobil- und Internet-Kommunikation
von Birgit Cerha
„Mörder Khamenei (Irans „Geistlicher Führer), deine Macht ist illegal“, hallte es Montag, dem traditionellen „Studenten-Tag“ über den riesigen Vali-Asr-Platz in Teheran. Nach Berichten iranischer Oppositionskreise schlossen sich Tausende Menschen Protestmärschen iranischer Studenten an, die vom islamische Regime seit 30 Jahren als anti-amerikanischen Aktionstag zur Mobilsierung seiner Anhänger gefeierten 7. Dezember, zu nutzen, um die Lebenskraft der „grünen“ Oppositionsbewegung“ zu stärken. Genau dies versuchte das Regime durch ein Massenaufgebot an Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch zu verhindern. Weil ausländische Medien von den Schauplätzen verbannt sind, muß sich die Berichterstattung, wie bereits seit Monaten, primär auf Informationen der iranischen Opposition und engagierter Demonstranten stützen, die Drohungen trotzen und mutig mit ihren Handys fotografieren und Informationen per Internet weiterleiten.
Danach kam es Montag zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Zahlreiche Personen seien auch festgenommen worden. Die Teheraner Universität, Zentrum der Studenten-Opposition, wurden von Tausenden Bassidsch und Polizisten umstellt, häufig wurden Studenten Mobiltelefone abgenommen, während die öffentlichen Telefonzellen mit schwarzem Plastik versiegelt wurden. Jede Kommunikation zwischen Universität und Außenwelt wurde nach Aussagen von Studenten scharf überwacht. Zugleich haben staatliche Agenten mit Bussen die Eingangstore zur Universität blockiert, um Interessierten jeden Blick in das Universitätsgelände zu rauben.
Das Regime hatte mit höchster Nervosität diesem „Studententag“ entgegengesehen, an dem die Iraner der Protestkundgebungen von Studenten gegen den Schah 1953 gedachten, als die kaiserlichen Sicherheitskräfte drei junge Demonstranten erschossen. Nun übertrifft die Brutalität des Nachfolgeregimes gegen seine jugendlichen Kritiker jene des verhassten Kaisers bei weitem.
An die 90 Studenten, darunter zahlreiche Führer der Bewegungen wurden in den vergangen Tagen festgenommen, Mobiltelefone funktionierten Montag nicht und die Internetverbindungen wurden vom Regime teilweise schwer gestört, um die Organisation der Proteste zu verhindern. Die Behörden gingen sogar so weit, die mehr als 20 Mütter, die jeden Samstag im zentralen Teheraner Laleh-Park gegen die Ermordung ihrer Kinder bei Demonstrationen gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni, gegen die Brutalitäten des Regimes protestieren, fest zu nehmen.
Dennoch kam es nicht nur an zahlreichen Orten in Teheran, sondern in vielen Städten des Landes zu Massenprotesten. In der Nacht auf Montag hallten wieder die Rufe „Allah u Akbar“ (Gott ist groß) von unzähligen Häuserdächern Teherans. Die neue Generation des politischen Widerstandes hatte diese Form des Protestes nach den Juni-Wahlen von der islamischen Revolution gegen den Schah entlehnt und richtet ihn nun gegen dessen Nachfolgeregime. Nach einigen Wochen aber waren die allnächtlichen Rufe verstummt, weil Bassidsch und Revolutionsgarden die Straßen der Metropole durchstreiften und die Häuser markierten, von deren Dächern die Proteste erschallten. Jeweils am nächsten Tag wurden unzählige Menschen in den verschiedenen Gebäuden festgenommen.
Dennoch, die Iraner lassen sich diesmal nicht mehr dauerhaft einschüchtern. Richteten sich die Slogans in ihren Kundgebungen anfänglich nur gegen die Wahlmanipulation, so wagen sie es heute, offen ihrer Opposition zum System und deren führende Repräsentanten Luft zu machen: „Tod dem Diktator“ (Khamenei), „Khamenei, Mörder, dein Regime ist von Übel“, „(Präsident) Ahmadinedschad, du Verräter, du sollst aus dem Land vertrieben werden, du hast es ruiniert, Tod, Tod, Tod…“, drücken Haß und Emotionen in einer bisher nicht gekannten Offenheit aus.
Die Studenten bewiesen Montag erneut, dass sie, wie seit Jahrzehnten, im Iran eine Macht sind, die dem Regime zuzusetzen vermag. Sie spielten einst eine entscheidende Rolle beim Sturz des Schahs 1979 und wagten in den 90er Jahren als erste Bewegung der „Islamischen Republik“ offen Freiheit und Demokratie zu fordern, nur um dann im Juli 1999 von dem damaligen Reformpräsidenten Khatami im Stich gelassen und blutig niedergeschlagen zu werden. Hunderte Studenten schmachteten in iranischen Gefängnissen und schmachten heute wieder. Massive Unterdrückung und Einschüchterung brach im vergangenen Jahrzehnt ihren Widerstand, doch die Präsidentschaftswahlen im Juni, die Hoffnung auf den Führer der inzwischen gebildeten „Grünen Bewegung“, Mussawi, weckte erneut ihren Widerstandsgeist. So schlüpft Irans Jugend wieder in die alte Rolle als Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie.
Das Regime antwortete in den vergangenen Wochen mit einer erneuten „Kulturrevolution“ an den Universitäten. Die dort allgegenwärtigen Bassidsch rekrutieren eifrig Kollaborateure und Spitzel, die Kommilitonen einschüchtern und den Sicherheitskräften verraten, deren Ausschluss aus dem Lehrbetrieb, bis zur Verhaftung bewirken. Vorlesungsreihen, die abendländisches Gedankengut lehren wurden unterdessen durch islamische ersetzt und in Teherans höchste Lehranstalten ist ein Klima der Angst eingekehrt. Doch Irans Jugend will sich dem Druck der islamischen Diktatoren nicht mehr beugen.
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von Birgit Cerha
„Mörder Khamenei (Irans „Geistlicher Führer), deine Macht ist illegal“, hallte es Montag, dem traditionellen „Studenten-Tag“ über den riesigen Vali-Asr-Platz in Teheran. Nach Berichten iranischer Oppositionskreise schlossen sich Tausende Menschen Protestmärschen iranischer Studenten an, die vom islamische Regime seit 30 Jahren als anti-amerikanischen Aktionstag zur Mobilsierung seiner Anhänger gefeierten 7. Dezember, zu nutzen, um die Lebenskraft der „grünen“ Oppositionsbewegung“ zu stärken. Genau dies versuchte das Regime durch ein Massenaufgebot an Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch zu verhindern. Weil ausländische Medien von den Schauplätzen verbannt sind, muß sich die Berichterstattung, wie bereits seit Monaten, primär auf Informationen der iranischen Opposition und engagierter Demonstranten stützen, die Drohungen trotzen und mutig mit ihren Handys fotografieren und Informationen per Internet weiterleiten.
Danach kam es Montag zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Zahlreiche Personen seien auch festgenommen worden. Die Teheraner Universität, Zentrum der Studenten-Opposition, wurden von Tausenden Bassidsch und Polizisten umstellt, häufig wurden Studenten Mobiltelefone abgenommen, während die öffentlichen Telefonzellen mit schwarzem Plastik versiegelt wurden. Jede Kommunikation zwischen Universität und Außenwelt wurde nach Aussagen von Studenten scharf überwacht. Zugleich haben staatliche Agenten mit Bussen die Eingangstore zur Universität blockiert, um Interessierten jeden Blick in das Universitätsgelände zu rauben.
Das Regime hatte mit höchster Nervosität diesem „Studententag“ entgegengesehen, an dem die Iraner der Protestkundgebungen von Studenten gegen den Schah 1953 gedachten, als die kaiserlichen Sicherheitskräfte drei junge Demonstranten erschossen. Nun übertrifft die Brutalität des Nachfolgeregimes gegen seine jugendlichen Kritiker jene des verhassten Kaisers bei weitem.
An die 90 Studenten, darunter zahlreiche Führer der Bewegungen wurden in den vergangen Tagen festgenommen, Mobiltelefone funktionierten Montag nicht und die Internetverbindungen wurden vom Regime teilweise schwer gestört, um die Organisation der Proteste zu verhindern. Die Behörden gingen sogar so weit, die mehr als 20 Mütter, die jeden Samstag im zentralen Teheraner Laleh-Park gegen die Ermordung ihrer Kinder bei Demonstrationen gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni, gegen die Brutalitäten des Regimes protestieren, fest zu nehmen.
Dennoch kam es nicht nur an zahlreichen Orten in Teheran, sondern in vielen Städten des Landes zu Massenprotesten. In der Nacht auf Montag hallten wieder die Rufe „Allah u Akbar“ (Gott ist groß) von unzähligen Häuserdächern Teherans. Die neue Generation des politischen Widerstandes hatte diese Form des Protestes nach den Juni-Wahlen von der islamischen Revolution gegen den Schah entlehnt und richtet ihn nun gegen dessen Nachfolgeregime. Nach einigen Wochen aber waren die allnächtlichen Rufe verstummt, weil Bassidsch und Revolutionsgarden die Straßen der Metropole durchstreiften und die Häuser markierten, von deren Dächern die Proteste erschallten. Jeweils am nächsten Tag wurden unzählige Menschen in den verschiedenen Gebäuden festgenommen.
Dennoch, die Iraner lassen sich diesmal nicht mehr dauerhaft einschüchtern. Richteten sich die Slogans in ihren Kundgebungen anfänglich nur gegen die Wahlmanipulation, so wagen sie es heute, offen ihrer Opposition zum System und deren führende Repräsentanten Luft zu machen: „Tod dem Diktator“ (Khamenei), „Khamenei, Mörder, dein Regime ist von Übel“, „(Präsident) Ahmadinedschad, du Verräter, du sollst aus dem Land vertrieben werden, du hast es ruiniert, Tod, Tod, Tod…“, drücken Haß und Emotionen in einer bisher nicht gekannten Offenheit aus.
Die Studenten bewiesen Montag erneut, dass sie, wie seit Jahrzehnten, im Iran eine Macht sind, die dem Regime zuzusetzen vermag. Sie spielten einst eine entscheidende Rolle beim Sturz des Schahs 1979 und wagten in den 90er Jahren als erste Bewegung der „Islamischen Republik“ offen Freiheit und Demokratie zu fordern, nur um dann im Juli 1999 von dem damaligen Reformpräsidenten Khatami im Stich gelassen und blutig niedergeschlagen zu werden. Hunderte Studenten schmachteten in iranischen Gefängnissen und schmachten heute wieder. Massive Unterdrückung und Einschüchterung brach im vergangenen Jahrzehnt ihren Widerstand, doch die Präsidentschaftswahlen im Juni, die Hoffnung auf den Führer der inzwischen gebildeten „Grünen Bewegung“, Mussawi, weckte erneut ihren Widerstandsgeist. So schlüpft Irans Jugend wieder in die alte Rolle als Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie.
Das Regime antwortete in den vergangenen Wochen mit einer erneuten „Kulturrevolution“ an den Universitäten. Die dort allgegenwärtigen Bassidsch rekrutieren eifrig Kollaborateure und Spitzel, die Kommilitonen einschüchtern und den Sicherheitskräften verraten, deren Ausschluss aus dem Lehrbetrieb, bis zur Verhaftung bewirken. Vorlesungsreihen, die abendländisches Gedankengut lehren wurden unterdessen durch islamische ersetzt und in Teherans höchste Lehranstalten ist ein Klima der Angst eingekehrt. Doch Irans Jugend will sich dem Druck der islamischen Diktatoren nicht mehr beugen.
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Freitag, 4. Dezember 2009
DUBAI: Scheich Mohammeds Traum von Weltgröße
Mit seinem wilden Ehrgeiz und Hang zu Exzessen trieb Dubais Herrscher sein kleines Emirat in eine schwere Existenzkrise – Kann er wieder internationales Vertrauen gewinnen?
von Birgit Cerha
„Wir werden weiter nach großen Zielen streben.“ Scheich Mohammed bin Raschid Al Maktoum, Herrscher über das von einer schweren Existenzkrise geschüttelte Mini-Reich Dubai, gibt sich unbeeindruckt, stolz und unnahbar. „Wir sind stark und beharrlich.“ Und erbittert fügt er bei einem der wenigen Auftritte in der Öffentlichkeit, seit das riesige Firmenkonglomerat „Dubai World“ in der Vorwoche de facto seine Zahlungsunfähigkeit anmeldete, hinzu: „Sie (gemeint sind die Dubai verleumdenden internationalen Medien und Finanzexperten) verstehen überhaupt nichts.“ Kein Zweifel, wer die Schuld trägt, wenn der von ihm so energisch in die Tat gesetzte Traum von Weltgröße vollends zerplatzt: „Es ist der Früchte tragende Baum, der das Ziel von jenen wird, die ihn (mit Steinen) bewerfen.“
Es ist der Stil dieses von grenzenlosem Selbstbewusstsein und wildem Ehrgeiz getriebenen Araberfürsten, der in den kommenden Tagen und Wochen darüber Ausschlag geben dürfte, ob internationale Geldgeber und der superreiche Bruder am Golf, Abu Dhabi, das in seinem kometenhaften Aufstieg stecken gebliebene Dubai rettend unter die Arme greifen.
„Unsagbar arrogant“, „unfähig zu raschen und klugen Entscheidungen“, „schockierende Geheimnistuerei und Mangel an Transparenz“, „die besorgte Finanzwelt grob durch Unwahrheiten abwimmeln“, „den Kopf in den Sand stecken“. Solche Kommentare aus Experten- und Journalistenkreisen machen nun die Runde. Sie erhalten neue Nahrung durch Berichte, Scheich Mohammed hätte nur am Tag nach der die Finanzwelt schockierenden Bitte von „Dubai World“ um Zahlungsaufschub für einen Teil seiner fast 60 Mrd. Dollar Schulden seinem größten Hobby gefrönt und für 1,95 Mio. Dollar in England acht Fohlen erstanden. Mohammed träumt nicht nur davon, Dubai von einer kleinen arabischen Provinz-Hafenstadt zu Weltgröße a la New York oder Manhattan zu heben. Er, selbst immer noch aktiver, begeisterter und gefeierter Reiter, ist der größte Besitzer und Züchter von Rennpferden in der Geschichte des Sports, mit gegenwärtig mehr als 700 Rassentieren im Training.
Persönlich verfügt Mohammed laut „Forbes“ über ein Nettovermögen von zwölf Milliarden Dollar , unterhält Aktien an dem Banken- und Versicherungsgiganten HSBC, an Sony und an Immobilienholdings, wie dem Essex House Hotel. Er besitzt eine 15.000 Quadratkilometer große Farm in Kentucky und kaufte eine weitere in Australien für 460 Mio.Dollar.
„Mit dem Scheich gibt es ein fundamentales Problem“, meint ein Finanzexperte, der lange in Kuwait gearbeitet hatte. „Er ist gewohnt, dass die Menschen um ihn widerspruchslos tun was er sagt. Er ist der Herrscher und sie sind die Untergebenen.“ So sei er auch stets mit den Bankern der Vereinigten Arabischen Emirate umgegangen. Doch internationale Finanzinstitute fürchten nicht den Verlust der Patronanz. Mohammed könne mit dieser Situation nicht umgehen.
Die Zahlungsunfähigkeit des größten Firmenkonglomerats seines kleinen Reiches, muss Mohammeds Ego schwer treffen, meinen Eingeweihte. Noch im April erklärte er fragenden Journalisten: „Ich kann mit Sicherheit sagen, dass wir die Risiken der globalen Finanzkrise in Rekordzeit eingeschränkt haben.“ Als wenige Monate zuvor die Immobilienblas platzte und Tausende Arbeitskräfte, insbesondere aus Indien und Pakistan ihrer Jobs beraubte, spielte der Scheich stolzer Gastgeber der größten Party, die je im Mittleren Osten gefeiert wurde. 20 Mio. Dollar ließ er sich das fantastische Spektakel der Eröffnung der 1,5 Mrd.Dollar schweren „Atlantis-Hotel-Anlage“ kosten.
Der Traum war auf Sand gebaut, auf geborgtem Geld, das internationale Finanzinstitute bereitwillig zur Verfügung stellten, im Vertrauen darauf, dass hinter dem ehrgeizigen Scheich die reichsten Ölherrscher der Welt stünden. Doch Saudi-Arabien ließ den Unterstützung erbittenden Mohammed abblitzen und die Finanzkraft des Vetters am Thron von Abu Dhabi würde zwar leicht ausreichen, um Mohammed von allen Sorgen zu befreien. Der Scheich half zwar bisher schon mit 15 Mrd. Dollar, doch knüpft er weitere Finanzspritzen an harte Bedingungen: kein Blankoscheck, Entscheidung von Fall zu Fall und möglicherweise auch Beteiligung an den immer noch bestehenden lukrativen Unternehmen Dubais, wie allen voran „Emirates Airways“ und das größte Hafenunternehmen der Welt.
Arroganz und die total fehlende Transparenz sind eine der Hauptgründe für einen katastrophalen Vertrauensverlust, den Mohammed nun erlitt. In den glorreichen Zeiten legte er großen Wert darauf, „Dubai World“ als staatliche Institution zu präsentieren. Nun distanziert er sich voll von dem Unternehmenskonglomerat, nicht bereit, Garantien für die Schulden zu unternehmen und den Gläubigern läßt er durch seinen Finanzchef Abdulrahman al Saleh „einen Teil der Verantwortung“ zuschieben, denn sie hätten sich bei der Kreditvergabe entsprechend informieren und absichern sollen.
Ob Scheich Mohammed mit solcher Haltung das nun dringend benötigte Wohlwollen der Finanzwelt gewinnt, wenn „Dubai World“ in den nächsten Tagen zum ersten Mal seit Ausbruch der Krise direkt mit den Gläubigern nach einer Lösung sucht, bleibt dahingestellt.
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von Birgit Cerha
„Wir werden weiter nach großen Zielen streben.“ Scheich Mohammed bin Raschid Al Maktoum, Herrscher über das von einer schweren Existenzkrise geschüttelte Mini-Reich Dubai, gibt sich unbeeindruckt, stolz und unnahbar. „Wir sind stark und beharrlich.“ Und erbittert fügt er bei einem der wenigen Auftritte in der Öffentlichkeit, seit das riesige Firmenkonglomerat „Dubai World“ in der Vorwoche de facto seine Zahlungsunfähigkeit anmeldete, hinzu: „Sie (gemeint sind die Dubai verleumdenden internationalen Medien und Finanzexperten) verstehen überhaupt nichts.“ Kein Zweifel, wer die Schuld trägt, wenn der von ihm so energisch in die Tat gesetzte Traum von Weltgröße vollends zerplatzt: „Es ist der Früchte tragende Baum, der das Ziel von jenen wird, die ihn (mit Steinen) bewerfen.“
Es ist der Stil dieses von grenzenlosem Selbstbewusstsein und wildem Ehrgeiz getriebenen Araberfürsten, der in den kommenden Tagen und Wochen darüber Ausschlag geben dürfte, ob internationale Geldgeber und der superreiche Bruder am Golf, Abu Dhabi, das in seinem kometenhaften Aufstieg stecken gebliebene Dubai rettend unter die Arme greifen.
„Unsagbar arrogant“, „unfähig zu raschen und klugen Entscheidungen“, „schockierende Geheimnistuerei und Mangel an Transparenz“, „die besorgte Finanzwelt grob durch Unwahrheiten abwimmeln“, „den Kopf in den Sand stecken“. Solche Kommentare aus Experten- und Journalistenkreisen machen nun die Runde. Sie erhalten neue Nahrung durch Berichte, Scheich Mohammed hätte nur am Tag nach der die Finanzwelt schockierenden Bitte von „Dubai World“ um Zahlungsaufschub für einen Teil seiner fast 60 Mrd. Dollar Schulden seinem größten Hobby gefrönt und für 1,95 Mio. Dollar in England acht Fohlen erstanden. Mohammed träumt nicht nur davon, Dubai von einer kleinen arabischen Provinz-Hafenstadt zu Weltgröße a la New York oder Manhattan zu heben. Er, selbst immer noch aktiver, begeisterter und gefeierter Reiter, ist der größte Besitzer und Züchter von Rennpferden in der Geschichte des Sports, mit gegenwärtig mehr als 700 Rassentieren im Training.
Persönlich verfügt Mohammed laut „Forbes“ über ein Nettovermögen von zwölf Milliarden Dollar , unterhält Aktien an dem Banken- und Versicherungsgiganten HSBC, an Sony und an Immobilienholdings, wie dem Essex House Hotel. Er besitzt eine 15.000 Quadratkilometer große Farm in Kentucky und kaufte eine weitere in Australien für 460 Mio.Dollar.
„Mit dem Scheich gibt es ein fundamentales Problem“, meint ein Finanzexperte, der lange in Kuwait gearbeitet hatte. „Er ist gewohnt, dass die Menschen um ihn widerspruchslos tun was er sagt. Er ist der Herrscher und sie sind die Untergebenen.“ So sei er auch stets mit den Bankern der Vereinigten Arabischen Emirate umgegangen. Doch internationale Finanzinstitute fürchten nicht den Verlust der Patronanz. Mohammed könne mit dieser Situation nicht umgehen.
Die Zahlungsunfähigkeit des größten Firmenkonglomerats seines kleinen Reiches, muss Mohammeds Ego schwer treffen, meinen Eingeweihte. Noch im April erklärte er fragenden Journalisten: „Ich kann mit Sicherheit sagen, dass wir die Risiken der globalen Finanzkrise in Rekordzeit eingeschränkt haben.“ Als wenige Monate zuvor die Immobilienblas platzte und Tausende Arbeitskräfte, insbesondere aus Indien und Pakistan ihrer Jobs beraubte, spielte der Scheich stolzer Gastgeber der größten Party, die je im Mittleren Osten gefeiert wurde. 20 Mio. Dollar ließ er sich das fantastische Spektakel der Eröffnung der 1,5 Mrd.Dollar schweren „Atlantis-Hotel-Anlage“ kosten.
Der Traum war auf Sand gebaut, auf geborgtem Geld, das internationale Finanzinstitute bereitwillig zur Verfügung stellten, im Vertrauen darauf, dass hinter dem ehrgeizigen Scheich die reichsten Ölherrscher der Welt stünden. Doch Saudi-Arabien ließ den Unterstützung erbittenden Mohammed abblitzen und die Finanzkraft des Vetters am Thron von Abu Dhabi würde zwar leicht ausreichen, um Mohammed von allen Sorgen zu befreien. Der Scheich half zwar bisher schon mit 15 Mrd. Dollar, doch knüpft er weitere Finanzspritzen an harte Bedingungen: kein Blankoscheck, Entscheidung von Fall zu Fall und möglicherweise auch Beteiligung an den immer noch bestehenden lukrativen Unternehmen Dubais, wie allen voran „Emirates Airways“ und das größte Hafenunternehmen der Welt.
Arroganz und die total fehlende Transparenz sind eine der Hauptgründe für einen katastrophalen Vertrauensverlust, den Mohammed nun erlitt. In den glorreichen Zeiten legte er großen Wert darauf, „Dubai World“ als staatliche Institution zu präsentieren. Nun distanziert er sich voll von dem Unternehmenskonglomerat, nicht bereit, Garantien für die Schulden zu unternehmen und den Gläubigern läßt er durch seinen Finanzchef Abdulrahman al Saleh „einen Teil der Verantwortung“ zuschieben, denn sie hätten sich bei der Kreditvergabe entsprechend informieren und absichern sollen.
Ob Scheich Mohammed mit solcher Haltung das nun dringend benötigte Wohlwollen der Finanzwelt gewinnt, wenn „Dubai World“ in den nächsten Tagen zum ersten Mal seit Ausbruch der Krise direkt mit den Gläubigern nach einer Lösung sucht, bleibt dahingestellt.
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Dienstag, 1. Dezember 2009
Der Retter von Dubai
Der Emir von Abu Dhabi gilt als besonnener Stratege – Die Krise des überehrgeizigen Nachbarn bedeutet für Khalifa Bin Zayed eine große Herausforderung, aber auch neue Chancen
von Birgit Cerha
An einer der belebtesten Kreuzungen im Herzen von Dubai ist das riesige Porträt von Scheich Mohammed Bin Rashids al Maktoum verschwunden. An seiner Stelle prangt nun ein Plakat, das den krisengeschüttelten Herrscher des gar nicht mehr so glitzernden Ölreiches an der Seite Khalifa Bin Zayeds al Nahyan zeigt, des Emirs von Abu Dhabi, darunter die viel sagenden Worte: „Lange lebe unsere Union der Emirate“.
Damit ist der Weg des zahlungsunfähigen Stadtstaates mit seiner grandiosen Vision von atemberaubendem Luxus ohne Grenzen vorgezeichnet. Ein anderes Foto, das dieser Tage die Runde macht, zeigt Scheich Khalifa, wie er fürsorglich die Hand auf Mohammeds Schulter legt. Es vermittelt vielen Untertanen Mohammeds das beruhigende Gefühl, dass finanzkräftige Nachbar Dubai nicht untergehen lässt. Die Zeiten der einzigartigen Extravaganzen aber sind vorüber.
Scheich Mohammeds nun zutage getretener Leichtsinn, mit dem er sein kleines Reich fast in den Bankrott trieb, stellt den 61-jährigen Nachbarn und Vetter vor die größte Herausforderung seiner langen politischen Karriere, eröffnet Scheich Khalifa zugleich aber auch eine einzigartige Chance. Sie zu nützen, bedarf es nicht nur finanzieller Macht, sondern auch großen Geschicks und Weitblicks.
Khalifa Bin Zayed ist laut „Forbes“-Magazin der zweitreichste Monarch der Welt, der nach Schätzungen für seinen Clan ein Vermögen von mindestens 600 Mrd. Euro verwaltet. Er gilt aber auch – ganz im Gegensatz zu Scheich Mohammed – als ein besonnener, kluger Stratege mit enormer Erfahrung in Politik und Wirtschaftsmanagement. Seit der Älteste von 19 Söhnen Scheich Zayeds bin Sultan, des ersten Herrschers von Abu Dhabi und Gründers der Vereinten Arabischen Emirate (VAE), 1969 im Alter von 21 zum Kronprinzen ernannt wurde, lenkt er entscheidend den Aufstieg dieses trostlosen Fleckens Wüste, dessen 850.000 Untertanen bis zur Entdeckung des Öls 1958 in bescheidenen Hütten ohne Strom und Kanalisation hausten, zu einer „Insel des Glücks“. Er hat maßgeblich zum Aufbau des Privatsektors beigetragen und damit den Grundstein für eine moderne Entwicklung Abu Dhabis gelegt. Die Kontrolle über fast ein Zehntel der Weltölreserven, und 90 Prozent der VAE-Ölschätze verschafft ihm die Finanzkraft für den Erfolg.
Seit er nach dem Tod seines Vaters 2004 voll die Macht übernahm, spielt er die Rolle des weisen Patriarchen, der zu delegieren versteht und die weitere Modernisierung des Landes seinem Halbbruder Mohammed bin Zayed überlässt. Investitionen, die Abu Dhabauch in angesehenen westlichen Unternehmen (darunter Daimler und MAN) tätigt, werden über das Netzwerk eines der größten Staatsfonds der Welt aus mehreren kunstvoll miteinander verwobenen Gesellschaften getätigt.
Scheich Khalifas starker Hang zu Harmonie und Ausgleich gibt den Bürgern Dubais die Hoffnung, dass ihr Retter Einheit und Stabilität der VAE bewahrt. Dies dürfte auch Khalifas höchste Priorität sein.
Seit Ausbruch der Krise vor einem Jahr ist Abu Dhabi immer eingesprungen, wenn Dubai in Schwierigkeiten war. 15 Mrd. Dollar hat der Vetter bereits springen lassen. Damit wurde ein Fonds eingerichtet, der etwa offene Rechnungen im Immobiliensektor zahlen soll. Doch die genaue Vorgangsweise bleibt, wie so vieles in Dubai, geheim. Transparenz zählt nicht zu den Stärken des Emirs.
Fest steht unterdessen, dass Scheich Khalifa dem bedrängten Nachbarn keinen Blankoscheck ausstellt, ein dicht geknüpftes Sicherheitsnetz über das vom Untergang bedrohte Nachbar-Emirat wirft. Denn Dubai könnte sich all zu leicht als „Fass ohne Boden“ erweisen, das selbst das steinreiche Abu Dhabi mit in die Krise reißt. Deshalb will Khalifa die Probleme sorgfältig studieren und „von Fall zu Fall“ entscheiden (so ein Vertreter des Herrschers), um den Schuldenberg von geschätzten 80 Mrd. Dollar (Minimum, manche meinen gar es könnten 120 Mrd. sein und damit mehr als das Neunfache seines Jahreseinkommens etwa von 2008) abzubauen. Dafür will man wohl auch internationale Finanzmärkte mit ins Boot holen. Dubai müsse einmal „viele Dinge klären“. Davon hänge dann auch das Ausmaß der Hilfe ab. Der Strategie Abu Dhabis liegt die Sorge zugrunde, dass die Wirtschaft der VAE unter keinen Umständen bleibenden Schaden erleidet.
Zunächst macht Abu Dhabi eine weitere Finanzspritze von der Entscheidung Scheich Mohammeds abhängig, sich von unrentablen Staatsbetrieben, wie der maroden Investment-Gesellschaft Istithmar – der dritten ihrer Art im winzigen Emirat - zu trennen und die Schuldenlast durch den Verkauf anderer Vermögenswerten zu verringern. Als eine attraktive Möglichkeit bietet sich etwa der eine oder andere von vier Häfen an, die „Dubai Ports World“ am Roten Meer unterhält und die Milliarden einbringen könnten. Gleichzeitig wird Abu Dhabi all die gigantischen Infrastruktur-Projekte des Nachbarn überprüfen und entscheiden, welche und nach welcher Priorität Finanzsspritzen erhalten sollen. Vor allem aber muss Dubai seiner hemmungslosen Ausgabenpolitik ein Ende setzen.
Schmerzliche Einschränkungen und harter ökonomischer, aber auch politischer Preis für die großzügige Nachbarschaftshilfe werden nicht ausbleiben. Scheich Khalifa hat schon länger ein Auge auf Dubais die immer noch lukrativen Unternehmen. Nun, da der Herrscher Abu Dhabis sich als einziger Finanzier anbietet, der das lange so hoch gepriesene Diversifikationsmodell eines Ölstaates zu retten vermag, bleibt Mohammed nur noch wenig Spielraum , die Unabhängigkeit zu wahren. Die erfolgreiche Fluggesellschaft „Emirates Airlines“ lockt etwa.
Eine Fusionierung mit seiner eigenen „Etihad“ könnte Khalifas, ebenso ganz grundsätzlich eine Abkehr vom sinnlosen Konkurrenzdenken zwischen den beiden rivalisierenden Emiraten, das Milliarden von Dollar verschlingt. So dürfte wohl auch das Projekt Scheich Mohammeds, in Dubai den größten Flughafen der Welt zu bauen, während das nur etwa 160 km entfernte Abu Dhabi seinen eigenen erweitert, dem Rotstift der Retter anheim fallen. Immerhin hegt Khalifa selbst den Plan, Abu Dhabi zu einer Drehscheibe der globalen Luftfahrt zu entwickeln.
Auch an anderen lukrativen Unternehmen Dubais, wie die Jebel-Ali Zollfreizone, strebt Khalifa. Ein Beteiligung an. Und vor allem hegt Abu Dhabi großes Interesse daran, einige der Finanzaktivitäten des Nachbarn zu übernehmen. In den 90er Jahren hatten beide Emirate Pläne für eine gemeinsame Börse geschmiedet. Schließlich gründete Dubai 2000 seinen eigenen „Dubai Financial Market“, zum Ärger Abu Dhabis, das auf der nahe der Küste gelegenen Insel Sowwah ein großes Finanzzentrum errichtet.
Nach den Vorstellungen Khalifas soll sich der Vetter doch lieber auf seine eigenen Fähigkeiten konzentrieren, die Verwaltung des zentralen Transit-Umschlagsplatzes der Region, des größten Hafens im gesamten Mittleren Osten und auf andere Dienstleistungen.
„Die Zentralisierung der VAE“, so meint Eckart Woertz vom „Gulf Research Center in Dubai“, „könnte der Preis sein“, den der stets so auf Selbständigkeit pochende Scheich Mohammed zu zahlen hätte. „Das könnte hier und da so manches Ego schmerzlich verletzen.“
Die Beziehungen zwischen den Nahyans und den Makhtoums sind seit langem von Eifersucht geprägt. Schon die Briten hatten lange vor der Gründung der Emirate nach der altbewährten Methode des „Teile und Herrsche“ die beiden Stämme gegeneinander beeinflusst. 1833 löste sich Dubai von Abu Dhabi und bewahrte sich dank Londons Unterstützung seine Eigenständigkeit. Nur widerwillig ließ es sich 1971 in die lose Union von sieben Emiraten, die VAE, integrieren, wobei es größten Wert auf ein hohes Maß an Selbständigkeit legte und bis 1996 gar auch eine eigene Armee unterhielt. Die politische Dominanz Abu Dhabis, das den Präsidenten stellt, bleibt Dubai bis heute ein Dorn im Auge, wiewohl es den Posten des VAE-Premiers und des Vizepräsidenten bekleidet.
Dubais aggressive entwicklungspolitische Höheflüge lösten in Abu Dhabi nicht nur seit langem Neidgefühle, sondern weitgehend auch Sorge und Unverständnis aus. Zurecht, wie sich nun herausstellt. So wuchsen die Spannungen zwischen den beiden Familien. Die Finanzkrise bietet Scheich Khalifa nun wohl eine hochwillkommene Gelegenheit, den so verantwortungslos spendierfreudigen Mohammed endlich an die Kandare zu nehmen. Dubai wird einen Teil seiner Unabhängigkeit preisgeben müssen, das Kräfteverhältnis in den VAE wird sich stark zugunsten Abu Dhabis verschieben. Der Zeitpunkt ist auch international gesehen wichtig. Scheich Khalifa will schon seit einiger Zeit die Außenpolitik der Emirate auf eine Linie bringen, um die VAE zu einer regionalpolitischen Macht aufzubauen, die Hegemonie Saudi-Arabiens zu brechen. Das eigenwillige, im Gegensatz zum puritanischen Abu Dhabi liberale Dubai hat ihm dabei bisher immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht.Diesem Ziel soll ein schon weitgehend ausgearbeitetes Kooperationsabkommen mit den USA dienen, das die VAE zur ersten arabischen Atommacht am Persischen Golf aufsteigen lässt.
Dubais Politik des Laissez-Faire, vor allem auch das liberale Verhalten gegenüber dem Iran, dem es seit langem als wichtigster Umschlagsplatz u.a. auch für allerlei Schmuggelwaren dient, sind den Amerikanern ein Dorn im Auge, insbesondere da sie eine Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen die „Islamische Politik“ anstreben. So meint auch der britische Historiker und Golfexperte Christopher Davidson: „Weder Abu Dhabi, noch Wasington können eine Fortsetzung dieser Rolle Dubais und seiner Autonomie in der Föderation zulassen.“ Die Politik Scheich Mohammeds stelle „eine schwere Belastung für die Sicherheit“ und Stabilität der VAE dar.
Ungeachtet dieser geostrategischen Ziele, wird Khalifa, der Mann des Ausgleichs, wohl dafür sorgen, dass sich Dubai nicht all zu sehr in die Enge getrieben fühlt und damit die Stabilität der VAE insgesamt gefährden könnte.
Erschienen am 03.12.2009 im "Rheinischer Merkur"
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von Birgit Cerha
An einer der belebtesten Kreuzungen im Herzen von Dubai ist das riesige Porträt von Scheich Mohammed Bin Rashids al Maktoum verschwunden. An seiner Stelle prangt nun ein Plakat, das den krisengeschüttelten Herrscher des gar nicht mehr so glitzernden Ölreiches an der Seite Khalifa Bin Zayeds al Nahyan zeigt, des Emirs von Abu Dhabi, darunter die viel sagenden Worte: „Lange lebe unsere Union der Emirate“.
Damit ist der Weg des zahlungsunfähigen Stadtstaates mit seiner grandiosen Vision von atemberaubendem Luxus ohne Grenzen vorgezeichnet. Ein anderes Foto, das dieser Tage die Runde macht, zeigt Scheich Khalifa, wie er fürsorglich die Hand auf Mohammeds Schulter legt. Es vermittelt vielen Untertanen Mohammeds das beruhigende Gefühl, dass finanzkräftige Nachbar Dubai nicht untergehen lässt. Die Zeiten der einzigartigen Extravaganzen aber sind vorüber.
Scheich Mohammeds nun zutage getretener Leichtsinn, mit dem er sein kleines Reich fast in den Bankrott trieb, stellt den 61-jährigen Nachbarn und Vetter vor die größte Herausforderung seiner langen politischen Karriere, eröffnet Scheich Khalifa zugleich aber auch eine einzigartige Chance. Sie zu nützen, bedarf es nicht nur finanzieller Macht, sondern auch großen Geschicks und Weitblicks.
Khalifa Bin Zayed ist laut „Forbes“-Magazin der zweitreichste Monarch der Welt, der nach Schätzungen für seinen Clan ein Vermögen von mindestens 600 Mrd. Euro verwaltet. Er gilt aber auch – ganz im Gegensatz zu Scheich Mohammed – als ein besonnener, kluger Stratege mit enormer Erfahrung in Politik und Wirtschaftsmanagement. Seit der Älteste von 19 Söhnen Scheich Zayeds bin Sultan, des ersten Herrschers von Abu Dhabi und Gründers der Vereinten Arabischen Emirate (VAE), 1969 im Alter von 21 zum Kronprinzen ernannt wurde, lenkt er entscheidend den Aufstieg dieses trostlosen Fleckens Wüste, dessen 850.000 Untertanen bis zur Entdeckung des Öls 1958 in bescheidenen Hütten ohne Strom und Kanalisation hausten, zu einer „Insel des Glücks“. Er hat maßgeblich zum Aufbau des Privatsektors beigetragen und damit den Grundstein für eine moderne Entwicklung Abu Dhabis gelegt. Die Kontrolle über fast ein Zehntel der Weltölreserven, und 90 Prozent der VAE-Ölschätze verschafft ihm die Finanzkraft für den Erfolg.
Seit er nach dem Tod seines Vaters 2004 voll die Macht übernahm, spielt er die Rolle des weisen Patriarchen, der zu delegieren versteht und die weitere Modernisierung des Landes seinem Halbbruder Mohammed bin Zayed überlässt. Investitionen, die Abu Dhabauch in angesehenen westlichen Unternehmen (darunter Daimler und MAN) tätigt, werden über das Netzwerk eines der größten Staatsfonds der Welt aus mehreren kunstvoll miteinander verwobenen Gesellschaften getätigt.
Scheich Khalifas starker Hang zu Harmonie und Ausgleich gibt den Bürgern Dubais die Hoffnung, dass ihr Retter Einheit und Stabilität der VAE bewahrt. Dies dürfte auch Khalifas höchste Priorität sein.
Seit Ausbruch der Krise vor einem Jahr ist Abu Dhabi immer eingesprungen, wenn Dubai in Schwierigkeiten war. 15 Mrd. Dollar hat der Vetter bereits springen lassen. Damit wurde ein Fonds eingerichtet, der etwa offene Rechnungen im Immobiliensektor zahlen soll. Doch die genaue Vorgangsweise bleibt, wie so vieles in Dubai, geheim. Transparenz zählt nicht zu den Stärken des Emirs.
Fest steht unterdessen, dass Scheich Khalifa dem bedrängten Nachbarn keinen Blankoscheck ausstellt, ein dicht geknüpftes Sicherheitsnetz über das vom Untergang bedrohte Nachbar-Emirat wirft. Denn Dubai könnte sich all zu leicht als „Fass ohne Boden“ erweisen, das selbst das steinreiche Abu Dhabi mit in die Krise reißt. Deshalb will Khalifa die Probleme sorgfältig studieren und „von Fall zu Fall“ entscheiden (so ein Vertreter des Herrschers), um den Schuldenberg von geschätzten 80 Mrd. Dollar (Minimum, manche meinen gar es könnten 120 Mrd. sein und damit mehr als das Neunfache seines Jahreseinkommens etwa von 2008) abzubauen. Dafür will man wohl auch internationale Finanzmärkte mit ins Boot holen. Dubai müsse einmal „viele Dinge klären“. Davon hänge dann auch das Ausmaß der Hilfe ab. Der Strategie Abu Dhabis liegt die Sorge zugrunde, dass die Wirtschaft der VAE unter keinen Umständen bleibenden Schaden erleidet.
Zunächst macht Abu Dhabi eine weitere Finanzspritze von der Entscheidung Scheich Mohammeds abhängig, sich von unrentablen Staatsbetrieben, wie der maroden Investment-Gesellschaft Istithmar – der dritten ihrer Art im winzigen Emirat - zu trennen und die Schuldenlast durch den Verkauf anderer Vermögenswerten zu verringern. Als eine attraktive Möglichkeit bietet sich etwa der eine oder andere von vier Häfen an, die „Dubai Ports World“ am Roten Meer unterhält und die Milliarden einbringen könnten. Gleichzeitig wird Abu Dhabi all die gigantischen Infrastruktur-Projekte des Nachbarn überprüfen und entscheiden, welche und nach welcher Priorität Finanzsspritzen erhalten sollen. Vor allem aber muss Dubai seiner hemmungslosen Ausgabenpolitik ein Ende setzen.
Schmerzliche Einschränkungen und harter ökonomischer, aber auch politischer Preis für die großzügige Nachbarschaftshilfe werden nicht ausbleiben. Scheich Khalifa hat schon länger ein Auge auf Dubais die immer noch lukrativen Unternehmen. Nun, da der Herrscher Abu Dhabis sich als einziger Finanzier anbietet, der das lange so hoch gepriesene Diversifikationsmodell eines Ölstaates zu retten vermag, bleibt Mohammed nur noch wenig Spielraum , die Unabhängigkeit zu wahren. Die erfolgreiche Fluggesellschaft „Emirates Airlines“ lockt etwa.
Eine Fusionierung mit seiner eigenen „Etihad“ könnte Khalifas, ebenso ganz grundsätzlich eine Abkehr vom sinnlosen Konkurrenzdenken zwischen den beiden rivalisierenden Emiraten, das Milliarden von Dollar verschlingt. So dürfte wohl auch das Projekt Scheich Mohammeds, in Dubai den größten Flughafen der Welt zu bauen, während das nur etwa 160 km entfernte Abu Dhabi seinen eigenen erweitert, dem Rotstift der Retter anheim fallen. Immerhin hegt Khalifa selbst den Plan, Abu Dhabi zu einer Drehscheibe der globalen Luftfahrt zu entwickeln.
Auch an anderen lukrativen Unternehmen Dubais, wie die Jebel-Ali Zollfreizone, strebt Khalifa. Ein Beteiligung an. Und vor allem hegt Abu Dhabi großes Interesse daran, einige der Finanzaktivitäten des Nachbarn zu übernehmen. In den 90er Jahren hatten beide Emirate Pläne für eine gemeinsame Börse geschmiedet. Schließlich gründete Dubai 2000 seinen eigenen „Dubai Financial Market“, zum Ärger Abu Dhabis, das auf der nahe der Küste gelegenen Insel Sowwah ein großes Finanzzentrum errichtet.
Nach den Vorstellungen Khalifas soll sich der Vetter doch lieber auf seine eigenen Fähigkeiten konzentrieren, die Verwaltung des zentralen Transit-Umschlagsplatzes der Region, des größten Hafens im gesamten Mittleren Osten und auf andere Dienstleistungen.
„Die Zentralisierung der VAE“, so meint Eckart Woertz vom „Gulf Research Center in Dubai“, „könnte der Preis sein“, den der stets so auf Selbständigkeit pochende Scheich Mohammed zu zahlen hätte. „Das könnte hier und da so manches Ego schmerzlich verletzen.“
Die Beziehungen zwischen den Nahyans und den Makhtoums sind seit langem von Eifersucht geprägt. Schon die Briten hatten lange vor der Gründung der Emirate nach der altbewährten Methode des „Teile und Herrsche“ die beiden Stämme gegeneinander beeinflusst. 1833 löste sich Dubai von Abu Dhabi und bewahrte sich dank Londons Unterstützung seine Eigenständigkeit. Nur widerwillig ließ es sich 1971 in die lose Union von sieben Emiraten, die VAE, integrieren, wobei es größten Wert auf ein hohes Maß an Selbständigkeit legte und bis 1996 gar auch eine eigene Armee unterhielt. Die politische Dominanz Abu Dhabis, das den Präsidenten stellt, bleibt Dubai bis heute ein Dorn im Auge, wiewohl es den Posten des VAE-Premiers und des Vizepräsidenten bekleidet.
Dubais aggressive entwicklungspolitische Höheflüge lösten in Abu Dhabi nicht nur seit langem Neidgefühle, sondern weitgehend auch Sorge und Unverständnis aus. Zurecht, wie sich nun herausstellt. So wuchsen die Spannungen zwischen den beiden Familien. Die Finanzkrise bietet Scheich Khalifa nun wohl eine hochwillkommene Gelegenheit, den so verantwortungslos spendierfreudigen Mohammed endlich an die Kandare zu nehmen. Dubai wird einen Teil seiner Unabhängigkeit preisgeben müssen, das Kräfteverhältnis in den VAE wird sich stark zugunsten Abu Dhabis verschieben. Der Zeitpunkt ist auch international gesehen wichtig. Scheich Khalifa will schon seit einiger Zeit die Außenpolitik der Emirate auf eine Linie bringen, um die VAE zu einer regionalpolitischen Macht aufzubauen, die Hegemonie Saudi-Arabiens zu brechen. Das eigenwillige, im Gegensatz zum puritanischen Abu Dhabi liberale Dubai hat ihm dabei bisher immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht.Diesem Ziel soll ein schon weitgehend ausgearbeitetes Kooperationsabkommen mit den USA dienen, das die VAE zur ersten arabischen Atommacht am Persischen Golf aufsteigen lässt.
Dubais Politik des Laissez-Faire, vor allem auch das liberale Verhalten gegenüber dem Iran, dem es seit langem als wichtigster Umschlagsplatz u.a. auch für allerlei Schmuggelwaren dient, sind den Amerikanern ein Dorn im Auge, insbesondere da sie eine Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen die „Islamische Politik“ anstreben. So meint auch der britische Historiker und Golfexperte Christopher Davidson: „Weder Abu Dhabi, noch Wasington können eine Fortsetzung dieser Rolle Dubais und seiner Autonomie in der Föderation zulassen.“ Die Politik Scheich Mohammeds stelle „eine schwere Belastung für die Sicherheit“ und Stabilität der VAE dar.
Ungeachtet dieser geostrategischen Ziele, wird Khalifa, der Mann des Ausgleichs, wohl dafür sorgen, dass sich Dubai nicht all zu sehr in die Enge getrieben fühlt und damit die Stabilität der VAE insgesamt gefährden könnte.
Erschienen am 03.12.2009 im "Rheinischer Merkur"
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Montag, 30. November 2009
ISLAM: „Was nun für die Muslime in der Schweiz?“
Besonnenheit und Aufruf zu demokratischer Aktion dominieren die Reaktionen auf das Minarettverbot in weiten Teilen der islamischen Welt
von Birgit Cerha Der wütende Aufschrei, den viele als Reaktion auf das Votum der Schweizer gegen Minarette befürchtet hatten, ist – zunächst zumindest – ausgeblieben. Die großen Zeitungen und Fernsehstationen berichteten Sonntag Abend und Montag nüchtern und sachlich, vielfach ohne Kommentar über das überraschende Ergebnis der Volksabstimmung. Der Satellitensender Al-Jezira etwa hob anerkennend die gemäßigte Haltung und Reaktion der schweizer Muslime zu dem Ergebnis hervor. In zahlreichen Blogs äußern Schreiber ihre Sorge, was das Votum „nun für die Muslime in der Schweiz“ bedeuten würde, denn es ginge ja in Wahrheit keineswegs um Minarette, sondern vielmehr um die Sichtbarkeit des Islams in diesem Land, meint etwa eine Ärztin namens Sarah. „Wird als nächstes der Hedschab (das islamische Kopftuch) verboten und dann Halal-Fleisch? Werden unsere Glaubensbrüder alles verstecken müssen, was sie als Muslime kennzeichnet?“
Ein anderer Schreiber fragt, ob die schweizer Muslime nun für das schlimmste Szenario bereit seien? Manche Medien erläutern ihren Lesern, dass die Schweiz schon seit einiger Zeit ein angespanntes Verhältnis zu ihren muslimischen Mitbürgern habe. Als Beweis dafür werden Vandalakte gegen eine Genfer Moschee angeführt.
Während sich manche Blogger über die „Islamophobie“ der Mehrheit der Schweizer schockiert zeigen und gelegentlich auch zum Boykott schweizer Produkte aufgerufen wird, bleibt der Tenor der Kommentare bisher betont sachlich und gemäßigt. Zu den wenigen Ausnahmen zählt etwa der Chef der jordanischen Moslembrüder, Jamil Abu Baker, der von einer „krassen Verletzung der Religionsfreiheit spricht und das schweizer Votum als Teil einer weltweiten Anti-Islam-Kampagne sieht, die seit dem Terror vom 11. September 2001 anhalte. Maskuri Abdillah, Chef der größten islamischen Bewegung, der Nahdlatul Ulama Indonesiens, spricht vom „Hass der Schweizer gegen islamische Gemeinden. Sie wollen keine muslimische Präsenz in ihrem Land und diese intensive Abneigung hat sie intolerant gemacht.“ Doch, wie andere führende Geistliche appelliert auch Abdillah an seine Glaubensbrüder, sich für diese Entscheidung nicht „zu rächen“.
Ägyptens Mufti Ali Gomaa verurteilt das Minarettverbot als „Beleidigung“ aller Muslime in der Welt, eine „Attacke gegen die Religionsfreiheit“. Eindringlich fordert Gomaa aber seine Glaubensbrüder auf, sich nicht durch diesen Entscheid provozieren zu lassen. Er ermutigt die Muslime in der Schweiz, sich durch das Mittel des „Dialogs“ und auf legalem Wege gegen das Minarettverbot zur Wehr zu setzen und fügte hinzu, „Islam betrachtet die Menschheit als eine einzige große Familie.“ Auch der als radikal geltende Geistliche Yussuf Karadawi, Präsident der internationalen Vereinigung muslimischer Gelehrter, der durch seine regelmäßigen Fernsehauftritte insbesondere in Al-Jezira enormen Einfluß in der arabischen Welt genießt, befürchtet zwar, dass das schweizer Votum den Hass der Muslime schüren und die Treue muslimischer Bürger zu ihrem Gastland untergraben könnte, doch auch er drängt nach Dialog als Antwort und bemerkt versöhnlich, beten könnten die Muslime schließlich auch ohne Minarette.
Einig sind sich einige Kommentatoren allerdings darin, dass das Ansehen der Schweiz als liberales Land, Verfechter von Humanismus, Demokratie und Menschenrechten durch diese Entscheidung seiner Bevölkerungsmehrheit in der islamischen Welt beträchtlichen Schaden erlitten hätte.
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von Birgit Cerha Der wütende Aufschrei, den viele als Reaktion auf das Votum der Schweizer gegen Minarette befürchtet hatten, ist – zunächst zumindest – ausgeblieben. Die großen Zeitungen und Fernsehstationen berichteten Sonntag Abend und Montag nüchtern und sachlich, vielfach ohne Kommentar über das überraschende Ergebnis der Volksabstimmung. Der Satellitensender Al-Jezira etwa hob anerkennend die gemäßigte Haltung und Reaktion der schweizer Muslime zu dem Ergebnis hervor. In zahlreichen Blogs äußern Schreiber ihre Sorge, was das Votum „nun für die Muslime in der Schweiz“ bedeuten würde, denn es ginge ja in Wahrheit keineswegs um Minarette, sondern vielmehr um die Sichtbarkeit des Islams in diesem Land, meint etwa eine Ärztin namens Sarah. „Wird als nächstes der Hedschab (das islamische Kopftuch) verboten und dann Halal-Fleisch? Werden unsere Glaubensbrüder alles verstecken müssen, was sie als Muslime kennzeichnet?“
Ein anderer Schreiber fragt, ob die schweizer Muslime nun für das schlimmste Szenario bereit seien? Manche Medien erläutern ihren Lesern, dass die Schweiz schon seit einiger Zeit ein angespanntes Verhältnis zu ihren muslimischen Mitbürgern habe. Als Beweis dafür werden Vandalakte gegen eine Genfer Moschee angeführt.
Während sich manche Blogger über die „Islamophobie“ der Mehrheit der Schweizer schockiert zeigen und gelegentlich auch zum Boykott schweizer Produkte aufgerufen wird, bleibt der Tenor der Kommentare bisher betont sachlich und gemäßigt. Zu den wenigen Ausnahmen zählt etwa der Chef der jordanischen Moslembrüder, Jamil Abu Baker, der von einer „krassen Verletzung der Religionsfreiheit spricht und das schweizer Votum als Teil einer weltweiten Anti-Islam-Kampagne sieht, die seit dem Terror vom 11. September 2001 anhalte. Maskuri Abdillah, Chef der größten islamischen Bewegung, der Nahdlatul Ulama Indonesiens, spricht vom „Hass der Schweizer gegen islamische Gemeinden. Sie wollen keine muslimische Präsenz in ihrem Land und diese intensive Abneigung hat sie intolerant gemacht.“ Doch, wie andere führende Geistliche appelliert auch Abdillah an seine Glaubensbrüder, sich für diese Entscheidung nicht „zu rächen“.
Ägyptens Mufti Ali Gomaa verurteilt das Minarettverbot als „Beleidigung“ aller Muslime in der Welt, eine „Attacke gegen die Religionsfreiheit“. Eindringlich fordert Gomaa aber seine Glaubensbrüder auf, sich nicht durch diesen Entscheid provozieren zu lassen. Er ermutigt die Muslime in der Schweiz, sich durch das Mittel des „Dialogs“ und auf legalem Wege gegen das Minarettverbot zur Wehr zu setzen und fügte hinzu, „Islam betrachtet die Menschheit als eine einzige große Familie.“ Auch der als radikal geltende Geistliche Yussuf Karadawi, Präsident der internationalen Vereinigung muslimischer Gelehrter, der durch seine regelmäßigen Fernsehauftritte insbesondere in Al-Jezira enormen Einfluß in der arabischen Welt genießt, befürchtet zwar, dass das schweizer Votum den Hass der Muslime schüren und die Treue muslimischer Bürger zu ihrem Gastland untergraben könnte, doch auch er drängt nach Dialog als Antwort und bemerkt versöhnlich, beten könnten die Muslime schließlich auch ohne Minarette.
Einig sind sich einige Kommentatoren allerdings darin, dass das Ansehen der Schweiz als liberales Land, Verfechter von Humanismus, Demokratie und Menschenrechten durch diese Entscheidung seiner Bevölkerungsmehrheit in der islamischen Welt beträchtlichen Schaden erlitten hätte.
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Sonntag, 29. November 2009
IRAN: Atomstreit spitzt sich wieder zu
Irans Parlamentarier drängen Ahmadinedschad zu härterer Gangart – Interne Machtkämpfe stehen einem Kompromiss im Wege
von Birgit Cerha „Zwinge nicht, das Parlament und die iranische Nation einen anderen Weg zu wählen.“ Die Warnung des mächtigen Parlamentssprechers Ali Laridschani an Präsident Mahmut Ahmadinedschad könnte kaum schärfer sein. Er vertritt die große Mehrheit im Parlament, die nun eine „ernsthafte“ Einschränkung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atombehörde (IAEA) fordert, sollten die USA und die anderen Mitglieder der so genannten „Sechsergruppe“ ihre Einstellung zum Iran im Atomstreit nicht ändern. Von „veralteten Spielchen“, „lächerlicher Zuckerbrot- und Peitsche-Politik“ ist die Rede. „Diese große Nation wird sich niemals beugen“, meint etwa Irans IAEA-Botschafter Ali Asghar Soltaneh. Mit solch scharfer Rhetorik reagieren iranische Politiker auf die Verurteilung der iranischen Hinhaltetaktik durch den Gouverneursrat der IAEA vergangenen Freitag. In einer mit großer Mehrheit gebilligten Resolution hatte die Behörde Teheran aufgefordert, den Bau seiner zweiten Uran-Anreicherungsanlage „Fordo“ bei Ghom „umgehend auszusetzen“. Da auch China und Russland für die Resolution stimmten wächst nun in Teheran die Sorge, die USA könnten eine Verschärfung der Strafsanktionen im Weltsicherheitsrat durchsetzen.
Offiziell allerdings zeigen sich iranische Politiker und Medien unverändert kompromisslos. Unter keinen Umständen werde man sich internationalem Druck beugen, lautet der allgemeine Tenor, während der radikale Geistliche, Ayatollah Ahmad Khatami in einer Rede in der Teheraner Universität vor laut akklamierendem Publikum die Entschlossenheit des „Gottesstaates“ bekräftigte, selbst hochgradig angereichertes Uran zu produzieren, sollte es keine Einigung mit der IAEA geben. Um dies und damit eine mögliche Entwicklung von Atomwaffen zu verhindern, hatte die IAEA vorgeschlagen, dass der Iran niedrig angereichertes Uran zur weiteren Anreicherung ins Ausland – nach Frankreich oder Russland – sendet. Der Iran benötigt das hoch angereicherte Uran dringend für ein medizinisches Forschungszentrum in Teheran.
Die Sanktionsuhr tickt. Bis zum Jahresende will US-Präsident Obama entscheiden, ob der Dialog mit dem Iran fortgesetzt werden kann oder ob verstärkter Druck ausgeübt werden sollte.
So manche Anzeichen sprechen dafür, dass ein so dringend erhoffter Durchbruch im jahrelangen Atomkonflikt an dem heftigen internen Machtkampf scheitern könnte, der den Iran auch fast ein halbes Jahr nach den Turbulenzen der manipulierten Präsidentschaftswahlen nicht zur Ruhe kommen lässt. Dabei haben sich in dieser Frage die Fronten erstaunlich verschoben. Nun nämlich ist es Ahmadinedschad, vier Jahre lang das „radikale Gesicht“ des „Gottesstaates“, der Ausgleich und Versöhnung sucht. Während aus dem Iran scharfe Töne drangen, zeigte sich der Präsident bei einer Pressekonferenz während eines Staatsbesuchs in Brasilien auffallend milde: „Wir haben die Möglichkeit, Uran auf 20 Prozent anzureichern und wir besitzen das Recht dazu. Doch um eine Atomosphäre der Kooperation zu schaffen, sind wir bereit, Kernbrennstoffe im Ausland zu kaufen.“ Seit IAEA-Chef Al-Baradei im Oktober seinen Kompromissvorschlag präsentierte, ist Ahmadinedschad um Einigung bemüht: „Heute“, so betonte er etwa, „sind die Bedingungen reif für eine atomare Kooperation auf internationaler Ebene“. Und: Baradeis Vorschläge würden das Land „in die richtige Richtung“ führen.
Der durch die Wahlmanipulationen angeschlagene Präsident wandelte sich zum „Vorreiter“ eines Dialogs mit dem Westen in der Hoffnung, durch ein Atomabkommen seine schwer angeschlagene Macht wieder zu stärken und interne Kritiker zum Schweigen zu bringen. Der Präsident hat fast die gesamte Intelligenz des Landes, die Studenten gegen sich. Gelänge ihm ein Durchbruch im Atomstreit, der in eine Annäherung an die USA münden würde, dann bestünde durchaus die Chance, viele Kritiker auf seine Seite zu ziehen. Genau dies aber wollen mächtige Fraktionen im Lande verhindern, allen voran die pragmatischen Konservativen und Laridschani und viele konservative Führer, denen Ahmadinedschads Machtgier und sein unberechenbarer Stil schon lange ein Dorn im Auge ist. So dürfte der interne Machtkampf eine Lösung der Atomfrage derzeit nicht zulassen.
Aber auch der Führer der oppositionellen „Grünen Bewegung“ Mir Hussein Mussawi, reiht sich ein in die Schar der Gegner eines Atomkompromisses und wirft vehement Ahmadinedschad mangelnden Nationalismus vor, da er auch nur erwägen könnte, iranisches Uran im Ausland höher anreichern zu lassen.
Die Entwicklungen der vergangenen Wochen haben auch viele sich nach Reformen und Versöhnung mit dem Westen sehnende Iraner bitter enttäuscht. Die Amerikaner, meint einer von ihnen, hätten eine vielleicht historische Chance durch einen schweren Fehler vertan. Viele Iraner sind tief empört, dass sich die USA in ihren ersten direkten Verhandlungen mit Teheran seit fast drei Jahrzehnten ausschließliche auf den Atomstreit konzentrierten und die ungeheuerlichen Brutalitäten des Regimes an friedlich für mehr Freiheit demonstrierenden Iranern, den Morden, Folterungen, Massenprozessen und massiven Einschüchterungen vollends ignorierten. Die wohl amerika-freundlichste Bevölkerung des Mittleren Osten fühlt sich kläglich im Stich gelassen, von westlichen Politikern, wie von einem Großteil der Medien. Und das Regime wütet weiter, bis das Volk nicht mehr aufzumucken wagt.
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von Birgit Cerha „Zwinge nicht, das Parlament und die iranische Nation einen anderen Weg zu wählen.“ Die Warnung des mächtigen Parlamentssprechers Ali Laridschani an Präsident Mahmut Ahmadinedschad könnte kaum schärfer sein. Er vertritt die große Mehrheit im Parlament, die nun eine „ernsthafte“ Einschränkung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atombehörde (IAEA) fordert, sollten die USA und die anderen Mitglieder der so genannten „Sechsergruppe“ ihre Einstellung zum Iran im Atomstreit nicht ändern. Von „veralteten Spielchen“, „lächerlicher Zuckerbrot- und Peitsche-Politik“ ist die Rede. „Diese große Nation wird sich niemals beugen“, meint etwa Irans IAEA-Botschafter Ali Asghar Soltaneh. Mit solch scharfer Rhetorik reagieren iranische Politiker auf die Verurteilung der iranischen Hinhaltetaktik durch den Gouverneursrat der IAEA vergangenen Freitag. In einer mit großer Mehrheit gebilligten Resolution hatte die Behörde Teheran aufgefordert, den Bau seiner zweiten Uran-Anreicherungsanlage „Fordo“ bei Ghom „umgehend auszusetzen“. Da auch China und Russland für die Resolution stimmten wächst nun in Teheran die Sorge, die USA könnten eine Verschärfung der Strafsanktionen im Weltsicherheitsrat durchsetzen.
Offiziell allerdings zeigen sich iranische Politiker und Medien unverändert kompromisslos. Unter keinen Umständen werde man sich internationalem Druck beugen, lautet der allgemeine Tenor, während der radikale Geistliche, Ayatollah Ahmad Khatami in einer Rede in der Teheraner Universität vor laut akklamierendem Publikum die Entschlossenheit des „Gottesstaates“ bekräftigte, selbst hochgradig angereichertes Uran zu produzieren, sollte es keine Einigung mit der IAEA geben. Um dies und damit eine mögliche Entwicklung von Atomwaffen zu verhindern, hatte die IAEA vorgeschlagen, dass der Iran niedrig angereichertes Uran zur weiteren Anreicherung ins Ausland – nach Frankreich oder Russland – sendet. Der Iran benötigt das hoch angereicherte Uran dringend für ein medizinisches Forschungszentrum in Teheran.
Die Sanktionsuhr tickt. Bis zum Jahresende will US-Präsident Obama entscheiden, ob der Dialog mit dem Iran fortgesetzt werden kann oder ob verstärkter Druck ausgeübt werden sollte.
So manche Anzeichen sprechen dafür, dass ein so dringend erhoffter Durchbruch im jahrelangen Atomkonflikt an dem heftigen internen Machtkampf scheitern könnte, der den Iran auch fast ein halbes Jahr nach den Turbulenzen der manipulierten Präsidentschaftswahlen nicht zur Ruhe kommen lässt. Dabei haben sich in dieser Frage die Fronten erstaunlich verschoben. Nun nämlich ist es Ahmadinedschad, vier Jahre lang das „radikale Gesicht“ des „Gottesstaates“, der Ausgleich und Versöhnung sucht. Während aus dem Iran scharfe Töne drangen, zeigte sich der Präsident bei einer Pressekonferenz während eines Staatsbesuchs in Brasilien auffallend milde: „Wir haben die Möglichkeit, Uran auf 20 Prozent anzureichern und wir besitzen das Recht dazu. Doch um eine Atomosphäre der Kooperation zu schaffen, sind wir bereit, Kernbrennstoffe im Ausland zu kaufen.“ Seit IAEA-Chef Al-Baradei im Oktober seinen Kompromissvorschlag präsentierte, ist Ahmadinedschad um Einigung bemüht: „Heute“, so betonte er etwa, „sind die Bedingungen reif für eine atomare Kooperation auf internationaler Ebene“. Und: Baradeis Vorschläge würden das Land „in die richtige Richtung“ führen.
Der durch die Wahlmanipulationen angeschlagene Präsident wandelte sich zum „Vorreiter“ eines Dialogs mit dem Westen in der Hoffnung, durch ein Atomabkommen seine schwer angeschlagene Macht wieder zu stärken und interne Kritiker zum Schweigen zu bringen. Der Präsident hat fast die gesamte Intelligenz des Landes, die Studenten gegen sich. Gelänge ihm ein Durchbruch im Atomstreit, der in eine Annäherung an die USA münden würde, dann bestünde durchaus die Chance, viele Kritiker auf seine Seite zu ziehen. Genau dies aber wollen mächtige Fraktionen im Lande verhindern, allen voran die pragmatischen Konservativen und Laridschani und viele konservative Führer, denen Ahmadinedschads Machtgier und sein unberechenbarer Stil schon lange ein Dorn im Auge ist. So dürfte der interne Machtkampf eine Lösung der Atomfrage derzeit nicht zulassen.
Aber auch der Führer der oppositionellen „Grünen Bewegung“ Mir Hussein Mussawi, reiht sich ein in die Schar der Gegner eines Atomkompromisses und wirft vehement Ahmadinedschad mangelnden Nationalismus vor, da er auch nur erwägen könnte, iranisches Uran im Ausland höher anreichern zu lassen.
Die Entwicklungen der vergangenen Wochen haben auch viele sich nach Reformen und Versöhnung mit dem Westen sehnende Iraner bitter enttäuscht. Die Amerikaner, meint einer von ihnen, hätten eine vielleicht historische Chance durch einen schweren Fehler vertan. Viele Iraner sind tief empört, dass sich die USA in ihren ersten direkten Verhandlungen mit Teheran seit fast drei Jahrzehnten ausschließliche auf den Atomstreit konzentrierten und die ungeheuerlichen Brutalitäten des Regimes an friedlich für mehr Freiheit demonstrierenden Iranern, den Morden, Folterungen, Massenprozessen und massiven Einschüchterungen vollends ignorierten. Die wohl amerika-freundlichste Bevölkerung des Mittleren Osten fühlt sich kläglich im Stich gelassen, von westlichen Politikern, wie von einem Großteil der Medien. Und das Regime wütet weiter, bis das Volk nicht mehr aufzumucken wagt.
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Mittwoch, 25. November 2009
SAUDI-ARARBIEN: Hadsch versetzt Saudis in höchsten Alarm
Der „Feind“ heißt nicht nur „Schweinegrippe“, sondern auch iranischer Aktivismus in einem sich bedrohlich zuspitzenden Rivalitätskampf um Vorherrschaft in der Region
von Birgit Cerha
Ein Ansturm von zweieinhalb Millionen Pilgern stellt schon in guten Jahren das saudische Königshaus vor gigantische Herausforderungen, denen es nicht immer voll gewachsen ist. Tragische Unfälle, Zusammenstöße, Massenpanik forderten immer wieder zahlreiche Menschenleben an der heiligsten Stätte des Islams, in Mekka. Dieses Jahr aber drohen der Mittwoch begonnenen fünftägigen Hadsch besondere Gefahren gleich an zwei Fronten: die „Schweinegrippe“, die in diesen unübersehbaren Menschenmassen reiche Ernte holen kann; und politischer Aktivismus aus der „Islamischen Republik“, der das Potential zu einer gefährlichen gewaltsamen Entladung in sich birgt. Dementsprechend einzigartig ist auch das Aufgebot an saudischen Sicherheitskräften. Denn kaum je zuvor hatten sich die Konflikte zwischen den beiden um Vorherrschaft am Persischen Golf, aber auch um Führung der gesamten islamischen Welt buhlenden Mächte so bedrohlich zugespitzt. Schon malen (sunnitisch-) arabische und so manche westliche Medien das Schreckgespenst einer militärischen Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran an die Wand, eines „Stellvertreterkrieges“ im Jemen.
Animiert durch dessen Präsidenten Ali Abdullah Saleh behaupten wenig besonnene Kommentatoren ein solcher Krieg sei bereits ausgebrochen, nämlich zwischen den der schiitischen Glaubensrichtung des Islams zuzählenden Zaidis unter Führung Abdul Malek al Huthis im Nord-Jemen, die gegen die Regierung in Sanaa gewaltsam rebellieren, und sunnitisch-wahabitischen Saudis, die dem bedrängten Saleh beistehen. Der Iran, so betonen Saleh und die Saudis immer wieder, unterstütze tatkräftig die Huthis. Während sich saudische Streitkräfte zum Schutz ihrer Grenze gegen eindringende Huthis und Al-Kaida Terroristen offen militärisch in diesem fünfjährigen Krieg zu engagieren begannen und wiederholt Huthi-Positionen in jemenitischem Territorium bombardieren, fehlen bisher eindeutige Beweise für iranische Hilfe an die jemenitischen Rebellen. Vorerst beschränkt sich der „Stellvertreterkrieg“ auf die verbale Ebene. Dort allerdings eskaliert er stetig und schafft die Voraussetzungen für Provokationen iranischer Pilger und blutige Zusammenstöße, wie sie Mekka in den 90er Jahre mehrmals erlebt hatte.
Eindringlich warnten die Saudis Teheran wiederholt, die Hadsch für politischen Aktivismus zu missbrauchen und drohen Unruhestiftern mit voller Härte. Zugleich aber richten führende saudische Geistliche scharfe Attacken gegen den Iran. So bezichtigt der Großmufti Scheich Abdulaziz al-Scheich Teheran des „Komplotts (mit den Huthis) in Sünde und Aggression“ und fordert die Iraner auf, der unterdrückten sunnitischen Minderheit in der „Islamischen Republik“ „Schutz“ zu gewähren. Ähnlich reagiert das offizielle Teheran, das den Tod von unschuldigen Zivilisten im Jemen beklagt und Riad zum Schutz der diskriminierten schiitischen Minderheit im Königreich auffordert.
Dass es bei den gegenwärtigen Spannungen in Wahrheit um uralte Rivalitäten zwischen Saudi-Arabien und dem Iran geht, lässt etwa auch die Stellungnahme des iranischen Großayatollah Hossein Nouri-Hamedani erkennen, wenn er vom wachsenden Einfluss des schiitischen Islam auf der Weltbühne spricht und von „Verschwörungsaktionen gewisser Feinde“ gegen die Vorherrschaft der Schiiten. „Der Einfluß und Status des (schiitischen) Islam versetzt die Feinde (gemeint sind die Saudis) in Angst und bewog sie in militärischen Attacken (gegen die Huthis) Zuflucht zu suchen. Der Krieg und die Tötung unschuldiger Zivilisten in Afghanistan, Pakistan und im Jemen haben ihre Wurzeln in Saudi-Arabien.“
Wiewohl die in Teheran seit Juni an Macht gewinnenden Ultras sich für eine aktive Unterstützung der Huthis gegen ihren saudischen Rivalen einsetzen, halten sich andere Fraktionen des Regimes, darunter auch Präsident Ahmadinedschad – vorerst – zurück, verurteilen die saudischen Attacken aus humanitären Gründen und setzen sich demonstrativ für die Stabilität des Jemen ein. So bot Außenminister Muttaki Saleh gar seine Vermittlungsdienste an. Die Tatsache, dass sich auch Irans hohe Geistlichkeit in Solidaritätsbezeugungen für die Huthis zurückhält, liegt vor allem in religiösen Gründen, stehen die Zaidis doch den Sunniten des Jemen theologisch näher als den Zwölferschiiten des Iran.
Es ist vor allem politischer Pragmatismus, der Teheran dazu drängt, die Houthis bei eventuellen Bemühungen um einen autonomen Zaidi-Staat im Nord-Jemen nicht zu unterstützen, um damit nicht ähnlichen saudischen Aktivismus zu ermutigen. Denn auch im Iran drängen diverse Bevölkerungsgruppen nach Autonomie und sind dabei offen für Hilfe von Staaten, die den Iran zu schwächen suchen. So sieht Teheran auch Beweise für saudische Unterstützung der Dschundallah-Gruppe in Belutschistan, die zunehmend an blutiger Schlagkraft gewinnt. Auch anhaltende saudische Unterstützung für radikale Sunniten im Irak, die Teherans wachsenden Einfluß im Zweistromland einzudämmen suchen, beunruhigt die Iraner. Vor allem aber hegt Teheran auch kein Interesse, durch Stärkung der Huthis Jemen weiter zu destabilisieren und damit dem Al-Kaida Extremismus verbesserten Aktionsraum zu schaffen. Schon heute ist der Jemen wichtigstes Zufluchtsgebiet flüchtender Terroristen geworden. In dieser Frage finden sich – Ironie der Geschichte – die Saudis und die Iraner plötzlich auf einer Seite.
Verstärkte saudische Militärverwicklung im Jemen aber könnte dennoch die Iraner dazu drängen, sich ihrerseits in diesen Konflikt einzumischen. Die Folgen für die gesamte Region wären katastrophal.
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von Birgit Cerha
Ein Ansturm von zweieinhalb Millionen Pilgern stellt schon in guten Jahren das saudische Königshaus vor gigantische Herausforderungen, denen es nicht immer voll gewachsen ist. Tragische Unfälle, Zusammenstöße, Massenpanik forderten immer wieder zahlreiche Menschenleben an der heiligsten Stätte des Islams, in Mekka. Dieses Jahr aber drohen der Mittwoch begonnenen fünftägigen Hadsch besondere Gefahren gleich an zwei Fronten: die „Schweinegrippe“, die in diesen unübersehbaren Menschenmassen reiche Ernte holen kann; und politischer Aktivismus aus der „Islamischen Republik“, der das Potential zu einer gefährlichen gewaltsamen Entladung in sich birgt. Dementsprechend einzigartig ist auch das Aufgebot an saudischen Sicherheitskräften. Denn kaum je zuvor hatten sich die Konflikte zwischen den beiden um Vorherrschaft am Persischen Golf, aber auch um Führung der gesamten islamischen Welt buhlenden Mächte so bedrohlich zugespitzt. Schon malen (sunnitisch-) arabische und so manche westliche Medien das Schreckgespenst einer militärischen Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran an die Wand, eines „Stellvertreterkrieges“ im Jemen.
Animiert durch dessen Präsidenten Ali Abdullah Saleh behaupten wenig besonnene Kommentatoren ein solcher Krieg sei bereits ausgebrochen, nämlich zwischen den der schiitischen Glaubensrichtung des Islams zuzählenden Zaidis unter Führung Abdul Malek al Huthis im Nord-Jemen, die gegen die Regierung in Sanaa gewaltsam rebellieren, und sunnitisch-wahabitischen Saudis, die dem bedrängten Saleh beistehen. Der Iran, so betonen Saleh und die Saudis immer wieder, unterstütze tatkräftig die Huthis. Während sich saudische Streitkräfte zum Schutz ihrer Grenze gegen eindringende Huthis und Al-Kaida Terroristen offen militärisch in diesem fünfjährigen Krieg zu engagieren begannen und wiederholt Huthi-Positionen in jemenitischem Territorium bombardieren, fehlen bisher eindeutige Beweise für iranische Hilfe an die jemenitischen Rebellen. Vorerst beschränkt sich der „Stellvertreterkrieg“ auf die verbale Ebene. Dort allerdings eskaliert er stetig und schafft die Voraussetzungen für Provokationen iranischer Pilger und blutige Zusammenstöße, wie sie Mekka in den 90er Jahre mehrmals erlebt hatte.
Eindringlich warnten die Saudis Teheran wiederholt, die Hadsch für politischen Aktivismus zu missbrauchen und drohen Unruhestiftern mit voller Härte. Zugleich aber richten führende saudische Geistliche scharfe Attacken gegen den Iran. So bezichtigt der Großmufti Scheich Abdulaziz al-Scheich Teheran des „Komplotts (mit den Huthis) in Sünde und Aggression“ und fordert die Iraner auf, der unterdrückten sunnitischen Minderheit in der „Islamischen Republik“ „Schutz“ zu gewähren. Ähnlich reagiert das offizielle Teheran, das den Tod von unschuldigen Zivilisten im Jemen beklagt und Riad zum Schutz der diskriminierten schiitischen Minderheit im Königreich auffordert.
Dass es bei den gegenwärtigen Spannungen in Wahrheit um uralte Rivalitäten zwischen Saudi-Arabien und dem Iran geht, lässt etwa auch die Stellungnahme des iranischen Großayatollah Hossein Nouri-Hamedani erkennen, wenn er vom wachsenden Einfluss des schiitischen Islam auf der Weltbühne spricht und von „Verschwörungsaktionen gewisser Feinde“ gegen die Vorherrschaft der Schiiten. „Der Einfluß und Status des (schiitischen) Islam versetzt die Feinde (gemeint sind die Saudis) in Angst und bewog sie in militärischen Attacken (gegen die Huthis) Zuflucht zu suchen. Der Krieg und die Tötung unschuldiger Zivilisten in Afghanistan, Pakistan und im Jemen haben ihre Wurzeln in Saudi-Arabien.“
Wiewohl die in Teheran seit Juni an Macht gewinnenden Ultras sich für eine aktive Unterstützung der Huthis gegen ihren saudischen Rivalen einsetzen, halten sich andere Fraktionen des Regimes, darunter auch Präsident Ahmadinedschad – vorerst – zurück, verurteilen die saudischen Attacken aus humanitären Gründen und setzen sich demonstrativ für die Stabilität des Jemen ein. So bot Außenminister Muttaki Saleh gar seine Vermittlungsdienste an. Die Tatsache, dass sich auch Irans hohe Geistlichkeit in Solidaritätsbezeugungen für die Huthis zurückhält, liegt vor allem in religiösen Gründen, stehen die Zaidis doch den Sunniten des Jemen theologisch näher als den Zwölferschiiten des Iran.
Es ist vor allem politischer Pragmatismus, der Teheran dazu drängt, die Houthis bei eventuellen Bemühungen um einen autonomen Zaidi-Staat im Nord-Jemen nicht zu unterstützen, um damit nicht ähnlichen saudischen Aktivismus zu ermutigen. Denn auch im Iran drängen diverse Bevölkerungsgruppen nach Autonomie und sind dabei offen für Hilfe von Staaten, die den Iran zu schwächen suchen. So sieht Teheran auch Beweise für saudische Unterstützung der Dschundallah-Gruppe in Belutschistan, die zunehmend an blutiger Schlagkraft gewinnt. Auch anhaltende saudische Unterstützung für radikale Sunniten im Irak, die Teherans wachsenden Einfluß im Zweistromland einzudämmen suchen, beunruhigt die Iraner. Vor allem aber hegt Teheran auch kein Interesse, durch Stärkung der Huthis Jemen weiter zu destabilisieren und damit dem Al-Kaida Extremismus verbesserten Aktionsraum zu schaffen. Schon heute ist der Jemen wichtigstes Zufluchtsgebiet flüchtender Terroristen geworden. In dieser Frage finden sich – Ironie der Geschichte – die Saudis und die Iraner plötzlich auf einer Seite.
Verstärkte saudische Militärverwicklung im Jemen aber könnte dennoch die Iraner dazu drängen, sich ihrerseits in diesen Konflikt einzumischen. Die Folgen für die gesamte Region wären katastrophal.
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Sonntag, 22. November 2009
IRAN: Gefängnisstrafe für führenden Reformer im Iran
Das Regime sieht Ali Abtahi, Leitfigur der Internetszene, als einen der wichtigsten Drahtzieher der Opposition – Anhaltende Brutalitäten vermögen Protestbewegung nicht einzuschüchtern
von Birgit Cerha
Ali Abtahi, der „bloggende Mullah“, wie ihn seine Anhänger gerne nennen, war der erste prominente Reformer, der nur wenige Tage nach Ausbruch der Massenproteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni von iranischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Deutlich gezeichnet durch Folter, erschien er Wochen später mit hundert Mitangeklagten bei einem „Schauprozess“, in dem er sich, ebenso wie in einem TV-„Geständnis“, „schuldig“ bekannte. Seine in seinem letzten Blog in Freiheit verbreitete Behauptung, die Wahlen seien ein „großer Schwindel“, „war eine Lüge, die dem Zweck dienen sollte, Unruhen auszulösen“. Er habe sich an einer „Verschwörung“ beteiligt, die das Regime durch eine „samtene Revolution“ zu Fall bringen sollte. Nun erhielt er dafür sechs Jahre Gefängnis.
Die heute in Teheran herrschenden Ultras wollen mit Abtahi ein Exempel statuieren. Sie sehen in diesem 51 jährigen Geistlichen, der unter dem damaligen Reformpräsidenten Khatami von 2001 bis 2004 als engster Berater zur Seite standm, den wohl gefährlichsten Drahtzieher der Unruhen, die das Land trotz massiver Repressionen immer noch im Bann halten. Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik gründete er einen Blog, mit dessen Hilfe er sich mehr und mehr zu einem Bürgerrechtler entwickelte. Er wurde zu einer Leitfigur der Internetszene und zog täglich bis zu 30.000 Klicks an. Im Präsidentschaftswahlkampf engagierte er sich für den unterlegenen Kandidaten Mehdi Karrubi, dessen schlechtes Abschneiden jeder Logik entbehrte.
Welche Bedeutung das Regime dem Einfluss Abtahis beimisst, lässt sich durch den plumpen Versuch erkennen, ihn vom Gefängnis aus wieder bloggen zu lassen. So pries Abtahi die „Großzügigkeit“ der Justizbehörden, die ihm den Internetzugang ermöglichten und die Gefangenen sehr gut behandelten. Er verstünde voll, warum er inhaftiert worden sei. Familienangehörige und Kenner des iranischen Gefängnissystems hegen keine Zweifel, dass Abtahi unter massivem Druck steht. Erzwungene TV-„Geständnisse“ gehören seit langem zur Methode des Regimes, politische Gegner öffentlich zu demütigen und ihnen damit ihre Ausstrahlungskraft zu rauben.
Nur einen Tag vor Abtahis Verurteilung übte ein UN-Komitee heftige Kritik an den „Schikanen, Einschüchterungen, Verfolgungen, willkürlichen Festnahmen und Verschleppungen“ von Regimegegnern, sowie die Misshandlungen in iranischen Gefängnissen. Während der friedlichen Massenproteste wurden mindestens 30 Personen von Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch getötet und mehr als 4.000 Menschen, darunter führende Persönlichkeiten der Reformbewegung, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten festgenommen. An die 200 Regimegegner sitzen immer noch im Gefängnis. 140 Festgenommene wurden bisher vor Gericht gestellt, 81 davon zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Drei „Monarchisten“ und fünf nicht identifizierte Personen wurden wegen angeblicher Kontakte zu anti-revolutionärern, terroristischen oder oppositionellen Gruppen“ zum Tode verurteilt. Berufungen sind möglich.
Menschenrechtsaktivisten berichten von verheerenden Zuständen in Gefängnissen. „Human Rights Watch“ bestätigte unter Berufung auf ihr zugespielte Dokumente die von Karrubi erhobene Beschwerde, dass Gefangene auch in brutalster Weise sexuell missbraucht worden seien. Karrubi steht auch wegen des Einsatzes für diese Opfer unter massivem Druck.
Der iranische Widerstand erhält nun eine neue „Ikone“. Es ist der 26-jährige Arzt Ramin Pourandardschani, der in einer medizinischen Abteilung der Teheraner Sicherheitskräfte nach offiziellen Angaben „im Schlaf an Herzversagen“ gestorben sei. Reformer und Menschenrechtsaktivisten fordern eine unabhängige Untersuchung in diesen „mysteriösen Todesfall“. Pourandardschani hatte Folteropfer in Kahrizak-Gefängnis untersucht, das im Sommer wegen Mord, Folter und Vergewaltigungen an Insassen geschlossen wurde. Insbesondere hatte sich Pourandardschani auch des Falles Mohsen Ruholamini angenommen, der besonders heikel ist, weil es sich um den Sohn eines konservativen Angehörigen des Regimes handelt. Ruholamini war in dem Gefängnis zu Tode gequält worden und Pourandardschani soll nach Aussagen von Familienmitgliedern einem parlamentarischen Untersuchungskomitee wichtige Informationen in diesem Fall preisgegeben haben. Der junge Arzt hätte deshalb Todesdrohungen erhalten.
Unterdessen läuft im Land auch eine Verhaftungswelle an Universitäten, die Studenten von Massendemonstrationen am 7. Dezember, dem „Tag der Studenten“, abschrecken sollen. Doch liberale Studentenführer, ermutigt auch durch die Entschlossenheit des Führers der „Grünen Bewegung“ Mussawi wollen sich nicht einschüchtern lassen. Mussawi appellierte am Wochenende an das Regime, den Druck auf die Bevölkerung zu stoppen und schwor, mit der Protestbewegung fortzufahren. „Wir sind bereit, jeden Preis zu zahlen.“
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von Birgit Cerha
Ali Abtahi, der „bloggende Mullah“, wie ihn seine Anhänger gerne nennen, war der erste prominente Reformer, der nur wenige Tage nach Ausbruch der Massenproteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni von iranischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Deutlich gezeichnet durch Folter, erschien er Wochen später mit hundert Mitangeklagten bei einem „Schauprozess“, in dem er sich, ebenso wie in einem TV-„Geständnis“, „schuldig“ bekannte. Seine in seinem letzten Blog in Freiheit verbreitete Behauptung, die Wahlen seien ein „großer Schwindel“, „war eine Lüge, die dem Zweck dienen sollte, Unruhen auszulösen“. Er habe sich an einer „Verschwörung“ beteiligt, die das Regime durch eine „samtene Revolution“ zu Fall bringen sollte. Nun erhielt er dafür sechs Jahre Gefängnis.
Die heute in Teheran herrschenden Ultras wollen mit Abtahi ein Exempel statuieren. Sie sehen in diesem 51 jährigen Geistlichen, der unter dem damaligen Reformpräsidenten Khatami von 2001 bis 2004 als engster Berater zur Seite standm, den wohl gefährlichsten Drahtzieher der Unruhen, die das Land trotz massiver Repressionen immer noch im Bann halten. Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik gründete er einen Blog, mit dessen Hilfe er sich mehr und mehr zu einem Bürgerrechtler entwickelte. Er wurde zu einer Leitfigur der Internetszene und zog täglich bis zu 30.000 Klicks an. Im Präsidentschaftswahlkampf engagierte er sich für den unterlegenen Kandidaten Mehdi Karrubi, dessen schlechtes Abschneiden jeder Logik entbehrte.
Welche Bedeutung das Regime dem Einfluss Abtahis beimisst, lässt sich durch den plumpen Versuch erkennen, ihn vom Gefängnis aus wieder bloggen zu lassen. So pries Abtahi die „Großzügigkeit“ der Justizbehörden, die ihm den Internetzugang ermöglichten und die Gefangenen sehr gut behandelten. Er verstünde voll, warum er inhaftiert worden sei. Familienangehörige und Kenner des iranischen Gefängnissystems hegen keine Zweifel, dass Abtahi unter massivem Druck steht. Erzwungene TV-„Geständnisse“ gehören seit langem zur Methode des Regimes, politische Gegner öffentlich zu demütigen und ihnen damit ihre Ausstrahlungskraft zu rauben.
Nur einen Tag vor Abtahis Verurteilung übte ein UN-Komitee heftige Kritik an den „Schikanen, Einschüchterungen, Verfolgungen, willkürlichen Festnahmen und Verschleppungen“ von Regimegegnern, sowie die Misshandlungen in iranischen Gefängnissen. Während der friedlichen Massenproteste wurden mindestens 30 Personen von Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch getötet und mehr als 4.000 Menschen, darunter führende Persönlichkeiten der Reformbewegung, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten festgenommen. An die 200 Regimegegner sitzen immer noch im Gefängnis. 140 Festgenommene wurden bisher vor Gericht gestellt, 81 davon zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Drei „Monarchisten“ und fünf nicht identifizierte Personen wurden wegen angeblicher Kontakte zu anti-revolutionärern, terroristischen oder oppositionellen Gruppen“ zum Tode verurteilt. Berufungen sind möglich.
Menschenrechtsaktivisten berichten von verheerenden Zuständen in Gefängnissen. „Human Rights Watch“ bestätigte unter Berufung auf ihr zugespielte Dokumente die von Karrubi erhobene Beschwerde, dass Gefangene auch in brutalster Weise sexuell missbraucht worden seien. Karrubi steht auch wegen des Einsatzes für diese Opfer unter massivem Druck.
Der iranische Widerstand erhält nun eine neue „Ikone“. Es ist der 26-jährige Arzt Ramin Pourandardschani, der in einer medizinischen Abteilung der Teheraner Sicherheitskräfte nach offiziellen Angaben „im Schlaf an Herzversagen“ gestorben sei. Reformer und Menschenrechtsaktivisten fordern eine unabhängige Untersuchung in diesen „mysteriösen Todesfall“. Pourandardschani hatte Folteropfer in Kahrizak-Gefängnis untersucht, das im Sommer wegen Mord, Folter und Vergewaltigungen an Insassen geschlossen wurde. Insbesondere hatte sich Pourandardschani auch des Falles Mohsen Ruholamini angenommen, der besonders heikel ist, weil es sich um den Sohn eines konservativen Angehörigen des Regimes handelt. Ruholamini war in dem Gefängnis zu Tode gequält worden und Pourandardschani soll nach Aussagen von Familienmitgliedern einem parlamentarischen Untersuchungskomitee wichtige Informationen in diesem Fall preisgegeben haben. Der junge Arzt hätte deshalb Todesdrohungen erhalten.
Unterdessen läuft im Land auch eine Verhaftungswelle an Universitäten, die Studenten von Massendemonstrationen am 7. Dezember, dem „Tag der Studenten“, abschrecken sollen. Doch liberale Studentenführer, ermutigt auch durch die Entschlossenheit des Führers der „Grünen Bewegung“ Mussawi wollen sich nicht einschüchtern lassen. Mussawi appellierte am Wochenende an das Regime, den Druck auf die Bevölkerung zu stoppen und schwor, mit der Protestbewegung fortzufahren. „Wir sind bereit, jeden Preis zu zahlen.“
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Mittwoch, 18. November 2009
IRAK: Irak „wieder am Nullpunkt“
Die hart erkämpfte Einigung über ein neues Wahlgesetz ist erneut vom Scheitern bedroht und damit Washingtons Zeitplan zum endgültigen Abzug aus dem Zweistromland
von Birgit Cerha
Der Sunnit Tariq al-Haschemi, einer der beiden Vizepräsidenten des Iraks, legte Mittwoch sein Veto gegen Artikel Eins des neuen Wahlgesetzes ein und löst damit in Bagdad erneut große politische Unsicherheit aus. Die zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 müssen laut Verfassung bis Ende Januar abgehalten werden. Gelingt dies nun nicht, dann ist auch der von US-Präsident Obama gesetzte Zeitplan für den vollen Abzug der US-Truppen bedroht. Denn die US-Militärführung will mit dem Rückzug ihrer insgesamt noch 120.000 im Irak verbliebenen Kampftruppen 60 Tage nach den Wahlen beginnen, in der Hoffnung, dass bis dahin das Land eine stabile politische Basis gefunden hat. Bis August 2010 sollten dann alle Kampftruppen den Irak verlassen haben.
Elf Mal war die Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes durch das Parlament wegen heftiger Differenzen zwischen den Fraktionen aufgeschoben worden. Massivster US-Druck erzwang schließlich am 8. November eine Einigung der Abgeordneten. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz muss noch vom Präsidentschaftsrat gebilligt werden, in dem jeder der drei Mitglieder – der Sunnit Haschemi, der Schiit Adel Abdul Mahdi und der kurdische Vorsitzende des Rats, Jalal Talabani – das Vetorecht besitzt. Hatte man sich auf einen Kompromiß über die größte Streitfrage, die multi-ethnische Ölstadt Kirkuk geeinigt, der das explosive Problem vorerst beiseite schiebt, so tauchen nun andere Hürden auf.
Haschemi fordert eine höhere Quote von Parlamentssitzen für die im Ausland lebenden Iraker. Er werde kein Gesetz zulassen, „dass der Verfassung und den Grundsätzen der Gerechtigkeit widerspricht, egal welcher Preis dafür gezahlt werden muss“, bekräftigte der mit dem schiitischen Premier Nuri al Maliki eng kooperierende Vizepräsident. Durch seine Position riskiert er nicht nur den Ärger der USA, sondern auch scharfe Kritik von irakischer Seite, die ihn für ein mögliches Scheitern der Wahlen und damit auch des politischen Stabilisierungsprozesses verantwortlich machen könnten. Die unabhängige Wahlkommission hat nun ihre Vorbereitungen gestoppt und es ist fraglich, ob sie die organisatorische Arbeit überhaupt noch rechtzeitig bis Ende Januar fertig stellen kann.
In dem vom Parlament verabschiedeten Gesetzestext werden fünf Prozent der Parlamentssitze für Exiliraker vorgesehen, ebenso viele wie für die Minderheiten des Landes. Haschemi aber fordert 15 Prozent, was seiner Überzeugung nach der hohen Zahl der im Ausland lebenden Iraker weit mehr entspräche. Das neue Gesetz sieht vor, dass je 100.000 im Irak lebende Bürger durch einen Abgeordneten vertreten werden müssen.Eine von vielen Schwierigkeiten bei der Lösung dieser Frage besteht darin, dass niemand die genauen Zahlen der Exil-Iraker kennt. Angaben schwanken von eineinhalb- bis vier Millionen (so Haschemi). Die überwiegende Mehrheit der seit dem Sturz Saddams geflüchteten Iraker sind – wie Haschemi – Sunniten, die ihre staatstragende Rolle im Land an die schiitische Mehrheit abgeben mussten. Nachdem Maliki auf US-Druck in den vergangenen Monaten intensiv versucht hatte, die Sunniten, die die ersten Parlamentswahlen boykottiert hatten, wieder voll in den politischen Prozeß einzubinden, befürchten diese nun erneut an den Rand des politischen Geschehens gedrängt zu werden, die weitere Dominanz der Schiiten in Bagdad abzusichern.
Mit seinem Vorschlag, so Haschemi, wolle er „dem Begriff des politischen Pluralismus Nachdruck verleihen und eine Monopolisierung der politischen Szene“ verhindern.
Noch kritischer für ein neues Wahlgesetz erweist sich allerdings die Position der Kurden, die dem Text in Parlament ursprünglich zugestimmt hatten, ohne dass sie nach eigenen Angaben die Details hätten genau studieren können. Nun stellte sich jedoch heraus, dass auch die für die Kurden vorgesehene Quote von Parlamentssitzen deren Vorstellungen keineswegs entspricht. Sollte dies nicht geändert werden, droht der Präsident Kurdistans, Massoud Barzani, einen Wahlboykott an.
Das neue Gesetz sieht eine Erhöhung der Mandatszahl von 275 auf 323, um damit dem Bevölkerungswachstum gerecht zu werden, doch die Kurden sollen für ihre drei autonomen Provinzen nur drei Sitze mehr und damit insgesamt 38 Sitze erhalten. Sie hatten 17 zusätzliche Mandate gefordert und verweisen nun darauf, dass andere Provinzen, wie etwa Niniveh 12 und Basra acht zusätzliche Mandat erhalten würden.
Unklar ist, ob nun nur Haschemis offizieller Einwand vom Parlament diskutiert wird oder ob auch die Anliegen der Kurden und andere Streitpunkte erneut aufgeworfen werden und damit erneut ein langwieriger Streit beginnt. Als Alternative zu einem Kompromiß bietet sich den Abgeordneten immer noch das alte Wahlgesetz an, das ein „geschlossenes System“ vorsieht, individuelle Kandidaturen nicht ermöglicht und damit die großen Parteien stark favorisiert. Schon ist wieder von einem Komplott die Rede, um gravierende Veränderungen der politischen Landschaft zu verhindern.
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