Sonntag, 22. November 2009

IRAN: Gefängnisstrafe für führenden Reformer im Iran

Das Regime sieht Ali Abtahi, Leitfigur der Internetszene, als einen der wichtigsten Drahtzieher der Opposition – Anhaltende Brutalitäten vermögen Protestbewegung nicht einzuschüchtern
von Birgit Cerha

Ali Abtahi, der „bloggende Mullah“, wie ihn seine Anhänger gerne nennen, war der erste prominente Reformer, der nur wenige Tage nach Ausbruch der Massenproteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni von iranischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Deutlich gezeichnet durch Folter, erschien er Wochen später mit hundert Mitangeklagten bei einem „Schauprozess“, in dem er sich, ebenso wie in einem TV-„Geständnis“, „schuldig“ bekannte. Seine in seinem letzten Blog in Freiheit verbreitete Behauptung, die Wahlen seien ein „großer Schwindel“, „war eine Lüge, die dem Zweck dienen sollte, Unruhen auszulösen“. Er habe sich an einer „Verschwörung“ beteiligt, die das Regime durch eine „samtene Revolution“ zu Fall bringen sollte. Nun erhielt er dafür sechs Jahre Gefängnis.
Die heute in Teheran herrschenden Ultras wollen mit Abtahi ein Exempel statuieren. Sie sehen in diesem 51 jährigen Geistlichen, der unter dem damaligen Reformpräsidenten Khatami von 2001 bis 2004 als engster Berater zur Seite standm, den wohl gefährlichsten Drahtzieher der Unruhen, die das Land trotz massiver Repressionen immer noch im Bann halten. Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik gründete er einen Blog, mit dessen Hilfe er sich mehr und mehr zu einem Bürgerrechtler entwickelte. Er wurde zu einer Leitfigur der Internetszene und zog täglich bis zu 30.000 Klicks an. Im Präsidentschaftswahlkampf engagierte er sich für den unterlegenen Kandidaten Mehdi Karrubi, dessen schlechtes Abschneiden jeder Logik entbehrte.

Welche Bedeutung das Regime dem Einfluss Abtahis beimisst, lässt sich durch den plumpen Versuch erkennen, ihn vom Gefängnis aus wieder bloggen zu lassen. So pries Abtahi die „Großzügigkeit“ der Justizbehörden, die ihm den Internetzugang ermöglichten und die Gefangenen sehr gut behandelten. Er verstünde voll, warum er inhaftiert worden sei. Familienangehörige und Kenner des iranischen Gefängnissystems hegen keine Zweifel, dass Abtahi unter massivem Druck steht. Erzwungene TV-„Geständnisse“ gehören seit langem zur Methode des Regimes, politische Gegner öffentlich zu demütigen und ihnen damit ihre Ausstrahlungskraft zu rauben.

Nur einen Tag vor Abtahis Verurteilung übte ein UN-Komitee heftige Kritik an den „Schikanen, Einschüchterungen, Verfolgungen, willkürlichen Festnahmen und Verschleppungen“ von Regimegegnern, sowie die Misshandlungen in iranischen Gefängnissen. Während der friedlichen Massenproteste wurden mindestens 30 Personen von Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch getötet und mehr als 4.000 Menschen, darunter führende Persönlichkeiten der Reformbewegung, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten festgenommen. An die 200 Regimegegner sitzen immer noch im Gefängnis. 140 Festgenommene wurden bisher vor Gericht gestellt, 81 davon zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Drei „Monarchisten“ und fünf nicht identifizierte Personen wurden wegen angeblicher Kontakte zu anti-revolutionärern, terroristischen oder oppositionellen Gruppen“ zum Tode verurteilt. Berufungen sind möglich.

Menschenrechtsaktivisten berichten von verheerenden Zuständen in Gefängnissen. „Human Rights Watch“ bestätigte unter Berufung auf ihr zugespielte Dokumente die von Karrubi erhobene Beschwerde, dass Gefangene auch in brutalster Weise sexuell missbraucht worden seien. Karrubi steht auch wegen des Einsatzes für diese Opfer unter massivem Druck.

Der iranische Widerstand erhält nun eine neue „Ikone“. Es ist der 26-jährige Arzt Ramin Pourandardschani, der in einer medizinischen Abteilung der Teheraner Sicherheitskräfte nach offiziellen Angaben „im Schlaf an Herzversagen“ gestorben sei. Reformer und Menschenrechtsaktivisten fordern eine unabhängige Untersuchung in diesen „mysteriösen Todesfall“. Pourandardschani hatte Folteropfer in Kahrizak-Gefängnis untersucht, das im Sommer wegen Mord, Folter und Vergewaltigungen an Insassen geschlossen wurde. Insbesondere hatte sich Pourandardschani auch des Falles Mohsen Ruholamini angenommen, der besonders heikel ist, weil es sich um den Sohn eines konservativen Angehörigen des Regimes handelt. Ruholamini war in dem Gefängnis zu Tode gequält worden und Pourandardschani soll nach Aussagen von Familienmitgliedern einem parlamentarischen Untersuchungskomitee wichtige Informationen in diesem Fall preisgegeben haben. Der junge Arzt hätte deshalb Todesdrohungen erhalten.

Unterdessen läuft im Land auch eine Verhaftungswelle an Universitäten, die Studenten von Massendemonstrationen am 7. Dezember, dem „Tag der Studenten“, abschrecken sollen. Doch liberale Studentenführer, ermutigt auch durch die Entschlossenheit des Führers der „Grünen Bewegung“ Mussawi wollen sich nicht einschüchtern lassen. Mussawi appellierte am Wochenende an das Regime, den Druck auf die Bevölkerung zu stoppen und schwor, mit der Protestbewegung fortzufahren. „Wir sind bereit, jeden Preis zu zahlen.“

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