Der Emir von Abu Dhabi gilt als besonnener Stratege – Die Krise des überehrgeizigen Nachbarn bedeutet für Khalifa Bin Zayed eine große Herausforderung, aber auch neue Chancen
von Birgit Cerha
An einer der belebtesten Kreuzungen im Herzen von Dubai ist das riesige Porträt von Scheich Mohammed Bin Rashids al Maktoum verschwunden. An seiner Stelle prangt nun ein Plakat, das den krisengeschüttelten Herrscher des gar nicht mehr so glitzernden Ölreiches an der Seite Khalifa Bin Zayeds al Nahyan zeigt, des Emirs von Abu Dhabi, darunter die viel sagenden Worte: „Lange lebe unsere Union der Emirate“.
Damit ist der Weg des zahlungsunfähigen Stadtstaates mit seiner grandiosen Vision von atemberaubendem Luxus ohne Grenzen vorgezeichnet. Ein anderes Foto, das dieser Tage die Runde macht, zeigt Scheich Khalifa, wie er fürsorglich die Hand auf Mohammeds Schulter legt. Es vermittelt vielen Untertanen Mohammeds das beruhigende Gefühl, dass finanzkräftige Nachbar Dubai nicht untergehen lässt. Die Zeiten der einzigartigen Extravaganzen aber sind vorüber.
Scheich Mohammeds nun zutage getretener Leichtsinn, mit dem er sein kleines Reich fast in den Bankrott trieb, stellt den 61-jährigen Nachbarn und Vetter vor die größte Herausforderung seiner langen politischen Karriere, eröffnet Scheich Khalifa zugleich aber auch eine einzigartige Chance. Sie zu nützen, bedarf es nicht nur finanzieller Macht, sondern auch großen Geschicks und Weitblicks.
Khalifa Bin Zayed ist laut „Forbes“-Magazin der zweitreichste Monarch der Welt, der nach Schätzungen für seinen Clan ein Vermögen von mindestens 600 Mrd. Euro verwaltet. Er gilt aber auch – ganz im Gegensatz zu Scheich Mohammed – als ein besonnener, kluger Stratege mit enormer Erfahrung in Politik und Wirtschaftsmanagement. Seit der Älteste von 19 Söhnen Scheich Zayeds bin Sultan, des ersten Herrschers von Abu Dhabi und Gründers der Vereinten Arabischen Emirate (VAE), 1969 im Alter von 21 zum Kronprinzen ernannt wurde, lenkt er entscheidend den Aufstieg dieses trostlosen Fleckens Wüste, dessen 850.000 Untertanen bis zur Entdeckung des Öls 1958 in bescheidenen Hütten ohne Strom und Kanalisation hausten, zu einer „Insel des Glücks“. Er hat maßgeblich zum Aufbau des Privatsektors beigetragen und damit den Grundstein für eine moderne Entwicklung Abu Dhabis gelegt. Die Kontrolle über fast ein Zehntel der Weltölreserven, und 90 Prozent der VAE-Ölschätze verschafft ihm die Finanzkraft für den Erfolg.
Seit er nach dem Tod seines Vaters 2004 voll die Macht übernahm, spielt er die Rolle des weisen Patriarchen, der zu delegieren versteht und die weitere Modernisierung des Landes seinem Halbbruder Mohammed bin Zayed überlässt. Investitionen, die Abu Dhabauch in angesehenen westlichen Unternehmen (darunter Daimler und MAN) tätigt, werden über das Netzwerk eines der größten Staatsfonds der Welt aus mehreren kunstvoll miteinander verwobenen Gesellschaften getätigt.
Scheich Khalifas starker Hang zu Harmonie und Ausgleich gibt den Bürgern Dubais die Hoffnung, dass ihr Retter Einheit und Stabilität der VAE bewahrt. Dies dürfte auch Khalifas höchste Priorität sein.
Seit Ausbruch der Krise vor einem Jahr ist Abu Dhabi immer eingesprungen, wenn Dubai in Schwierigkeiten war. 15 Mrd. Dollar hat der Vetter bereits springen lassen. Damit wurde ein Fonds eingerichtet, der etwa offene Rechnungen im Immobiliensektor zahlen soll. Doch die genaue Vorgangsweise bleibt, wie so vieles in Dubai, geheim. Transparenz zählt nicht zu den Stärken des Emirs.
Fest steht unterdessen, dass Scheich Khalifa dem bedrängten Nachbarn keinen Blankoscheck ausstellt, ein dicht geknüpftes Sicherheitsnetz über das vom Untergang bedrohte Nachbar-Emirat wirft. Denn Dubai könnte sich all zu leicht als „Fass ohne Boden“ erweisen, das selbst das steinreiche Abu Dhabi mit in die Krise reißt. Deshalb will Khalifa die Probleme sorgfältig studieren und „von Fall zu Fall“ entscheiden (so ein Vertreter des Herrschers), um den Schuldenberg von geschätzten 80 Mrd. Dollar (Minimum, manche meinen gar es könnten 120 Mrd. sein und damit mehr als das Neunfache seines Jahreseinkommens etwa von 2008) abzubauen. Dafür will man wohl auch internationale Finanzmärkte mit ins Boot holen. Dubai müsse einmal „viele Dinge klären“. Davon hänge dann auch das Ausmaß der Hilfe ab. Der Strategie Abu Dhabis liegt die Sorge zugrunde, dass die Wirtschaft der VAE unter keinen Umständen bleibenden Schaden erleidet.
Zunächst macht Abu Dhabi eine weitere Finanzspritze von der Entscheidung Scheich Mohammeds abhängig, sich von unrentablen Staatsbetrieben, wie der maroden Investment-Gesellschaft Istithmar – der dritten ihrer Art im winzigen Emirat - zu trennen und die Schuldenlast durch den Verkauf anderer Vermögenswerten zu verringern. Als eine attraktive Möglichkeit bietet sich etwa der eine oder andere von vier Häfen an, die „Dubai Ports World“ am Roten Meer unterhält und die Milliarden einbringen könnten. Gleichzeitig wird Abu Dhabi all die gigantischen Infrastruktur-Projekte des Nachbarn überprüfen und entscheiden, welche und nach welcher Priorität Finanzsspritzen erhalten sollen. Vor allem aber muss Dubai seiner hemmungslosen Ausgabenpolitik ein Ende setzen.
Schmerzliche Einschränkungen und harter ökonomischer, aber auch politischer Preis für die großzügige Nachbarschaftshilfe werden nicht ausbleiben. Scheich Khalifa hat schon länger ein Auge auf Dubais die immer noch lukrativen Unternehmen. Nun, da der Herrscher Abu Dhabis sich als einziger Finanzier anbietet, der das lange so hoch gepriesene Diversifikationsmodell eines Ölstaates zu retten vermag, bleibt Mohammed nur noch wenig Spielraum , die Unabhängigkeit zu wahren. Die erfolgreiche Fluggesellschaft „Emirates Airlines“ lockt etwa.
Eine Fusionierung mit seiner eigenen „Etihad“ könnte Khalifas, ebenso ganz grundsätzlich eine Abkehr vom sinnlosen Konkurrenzdenken zwischen den beiden rivalisierenden Emiraten, das Milliarden von Dollar verschlingt. So dürfte wohl auch das Projekt Scheich Mohammeds, in Dubai den größten Flughafen der Welt zu bauen, während das nur etwa 160 km entfernte Abu Dhabi seinen eigenen erweitert, dem Rotstift der Retter anheim fallen. Immerhin hegt Khalifa selbst den Plan, Abu Dhabi zu einer Drehscheibe der globalen Luftfahrt zu entwickeln.
Auch an anderen lukrativen Unternehmen Dubais, wie die Jebel-Ali Zollfreizone, strebt Khalifa. Ein Beteiligung an. Und vor allem hegt Abu Dhabi großes Interesse daran, einige der Finanzaktivitäten des Nachbarn zu übernehmen. In den 90er Jahren hatten beide Emirate Pläne für eine gemeinsame Börse geschmiedet. Schließlich gründete Dubai 2000 seinen eigenen „Dubai Financial Market“, zum Ärger Abu Dhabis, das auf der nahe der Küste gelegenen Insel Sowwah ein großes Finanzzentrum errichtet.
Nach den Vorstellungen Khalifas soll sich der Vetter doch lieber auf seine eigenen Fähigkeiten konzentrieren, die Verwaltung des zentralen Transit-Umschlagsplatzes der Region, des größten Hafens im gesamten Mittleren Osten und auf andere Dienstleistungen.
„Die Zentralisierung der VAE“, so meint Eckart Woertz vom „Gulf Research Center in Dubai“, „könnte der Preis sein“, den der stets so auf Selbständigkeit pochende Scheich Mohammed zu zahlen hätte. „Das könnte hier und da so manches Ego schmerzlich verletzen.“
Die Beziehungen zwischen den Nahyans und den Makhtoums sind seit langem von Eifersucht geprägt. Schon die Briten hatten lange vor der Gründung der Emirate nach der altbewährten Methode des „Teile und Herrsche“ die beiden Stämme gegeneinander beeinflusst. 1833 löste sich Dubai von Abu Dhabi und bewahrte sich dank Londons Unterstützung seine Eigenständigkeit. Nur widerwillig ließ es sich 1971 in die lose Union von sieben Emiraten, die VAE, integrieren, wobei es größten Wert auf ein hohes Maß an Selbständigkeit legte und bis 1996 gar auch eine eigene Armee unterhielt. Die politische Dominanz Abu Dhabis, das den Präsidenten stellt, bleibt Dubai bis heute ein Dorn im Auge, wiewohl es den Posten des VAE-Premiers und des Vizepräsidenten bekleidet.
Dubais aggressive entwicklungspolitische Höheflüge lösten in Abu Dhabi nicht nur seit langem Neidgefühle, sondern weitgehend auch Sorge und Unverständnis aus. Zurecht, wie sich nun herausstellt. So wuchsen die Spannungen zwischen den beiden Familien. Die Finanzkrise bietet Scheich Khalifa nun wohl eine hochwillkommene Gelegenheit, den so verantwortungslos spendierfreudigen Mohammed endlich an die Kandare zu nehmen. Dubai wird einen Teil seiner Unabhängigkeit preisgeben müssen, das Kräfteverhältnis in den VAE wird sich stark zugunsten Abu Dhabis verschieben. Der Zeitpunkt ist auch international gesehen wichtig. Scheich Khalifa will schon seit einiger Zeit die Außenpolitik der Emirate auf eine Linie bringen, um die VAE zu einer regionalpolitischen Macht aufzubauen, die Hegemonie Saudi-Arabiens zu brechen. Das eigenwillige, im Gegensatz zum puritanischen Abu Dhabi liberale Dubai hat ihm dabei bisher immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht.Diesem Ziel soll ein schon weitgehend ausgearbeitetes Kooperationsabkommen mit den USA dienen, das die VAE zur ersten arabischen Atommacht am Persischen Golf aufsteigen lässt.
Dubais Politik des Laissez-Faire, vor allem auch das liberale Verhalten gegenüber dem Iran, dem es seit langem als wichtigster Umschlagsplatz u.a. auch für allerlei Schmuggelwaren dient, sind den Amerikanern ein Dorn im Auge, insbesondere da sie eine Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen die „Islamische Politik“ anstreben. So meint auch der britische Historiker und Golfexperte Christopher Davidson: „Weder Abu Dhabi, noch Wasington können eine Fortsetzung dieser Rolle Dubais und seiner Autonomie in der Föderation zulassen.“ Die Politik Scheich Mohammeds stelle „eine schwere Belastung für die Sicherheit“ und Stabilität der VAE dar.
Ungeachtet dieser geostrategischen Ziele, wird Khalifa, der Mann des Ausgleichs, wohl dafür sorgen, dass sich Dubai nicht all zu sehr in die Enge getrieben fühlt und damit die Stabilität der VAE insgesamt gefährden könnte.
Erschienen am 03.12.2009 im "Rheinischer Merkur"
Dienstag, 1. Dezember 2009
Der Retter von Dubai
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