Montag, 21. Dezember 2009

IRAN: Irans Opposition wandelt Begräbnis zu Massenprotest

Der Tod von Großayatollah Montazeri wird zu neuer Herausforderung für das Regime
von Birgit Cerha


„Unschuldiger Montazeri, dein Weg wird fortgesetzt, selbst wenn der Diktator Kugeln auf unsere Köpfe niederprasseln läßt.“ Und: „Montazeri ist nicht tot. Es ist die Regierung, die tot ist.“ Mit solchen Slogans gelang es der „Grünen“ iranischen Oppositionsbewegung, die Trauerfeier für den Sonntag verstorbenen Großayatollah Ali Montazeri zu einem eindrucksvollen Massenprotest gegen die Regierung Ahmadinedschad und den „Geistlichen Führer“ Khamenei umzuwandeln. Gegenrufe der regimetreuen Bassidsch-Miliz, die mit Beschimpfungen wie „Gotteslästerer“ Demonstranten aus der Heiligen Stadt Qom zu verscheuchen suchten, stießen ins Leere. Ausländische Journalisten waren von den Trauerfeiern verbannt, der persische Dienst des BBC wurde intensiv gestört. Nach Berichten iranischer Blogger und Websites waren Zehntausende Menschen nach Qom geströmt, wo Montazeri gelehrt und gelebt hatte. Im Anschluss an das Begräbnis sei es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Auch zahlreiche Oppositionelle seien festgenommen worden. Die Führer der „Grünen Bewegung“, Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi, hatten Montag zu einem nationalen Trauertag ausgerufen. Im Hause Montazeris in Qom hatten sich vor dem Begräbnis zahlreiche Reformgeistliche versammelt.

Ali Montazeri, engster Mitstreiter von Revolutionsführer Khomeini und einer der „geistigen Vätern“ der islamischen Republik, war Sonntag nach langer Krankheit im Alter von 87 Jahren in Qom verstorben. Als Großayatollah war er einer der religiös angesehensten Persönlichkeiten in der schiitischen Welt. Er besaß darüber hinaus aber im Iran besondere Popularität wegen seiner humanistischen Einstellung, seiner Offenheit und seinem Mut, selbst unter größtem persönlichen Risiko offen seine Überzeugungen auszusprechen. Einst von Khomeini als sein Nachfolger auserkoren, überwarf er sich mit ihm, als er sich offen gegen die Fortsetzung des Krieges gegen den Irak einsetzte und vor allem in berühmt gewordenen Briefen an den Revolutionsführer in den 80er Jahren die Massenhinrichtungen an Oppositionellen und systematische Folter verdammte. Er fiel damit in Ungnade und stieg schließlich zum schärfsten Gegner von Khomeinis Nachfolger Khamenei auf, dem er die religiösen Qualifikationen für dieses höchste politisch-religiöse Amt im „Gottesstaat“ absprach. Wiewohl von Khamenei sechs Jahre lang in Hausarrest gezwungen, schikaniert, vollends isoliert, galt er bis heute als die führende Kraft unter den hohen Geistlichen, die, enttäuscht über die Entartungen der islamischen Revolution, sich zunehmend für eine Trennung von Politik und Religion einsetzten.

Erneute Bedeutung im politischen Geschehen der „Islamischen Republik“ gewann Montazeri schließlich, als er sich nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni zum mächtigen Kritiker Ahmadinedschads erhob, diesem sogar die „Legitimität“ absprach und immer wieder scharf die massiven Repressionen durch das von Khamenei gelenkte Regime verurteilte. Damit fand die „grüne Bewegung“ ihren wichtigsten „geistigen Vater“, der die reformhungrigen Massen aber zugleich immer wieder eindringlich davor warnte, Gewalt anzuwenden und sie ermahnte, sich in Geduld zu üben, den der Wandel werde lange auf sich warten lassen, der Weg sei schwierig. „In Zeiten des Widerstands, wenn es darum gehe, die Rechte des Volkes wieder zu beleben, sei das Erdulden von Härten sehr wichtig“, das lehre der Koran, lautete eine seiner Mahnungen. Für die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi ist Montazer „der Vater der Menschenrechte“ im Iran.

Der Tod Montazeris trifft das Regime in einer besonders kritischen Phase interner Unruhen. Die Nervosität der Herrscher lässt sich allein durch die Art der Veröffentlichung des Todes erkennen. So meldete die Nachrichtenagentur Irna dieses Ereignis in Kurzform, ohne Montazeris religiöse Titel zu nennen, bezeichnete ihn lediglich als Geistlichen der Reformbewegung. Die regierungstreuen Medien wurden aufgefordert, das Porträt des Toten nicht auf den Titelseiten zu veröffentlichen und Khamenei ließ sich zwar zu einem Kondolenzschreiben hin, verzichtete darin jedoch nicht auf Kritik an Montazeri. Er hoffe, schrieb er, Gott werde dem Großayatollah vergeben, dass er seine „große Prüfung“ nicht bestanden habe. Er meinte damit den Konflikt mit Khomeini.

Mit größter Nervosität sieht Irans Führung kommenden Sonntag entgegen, an dem der siebente Tag nach dem Tode, an dem nach der Tradition des Verstorbenen besonders intensiv gedacht wird, mit dem schiitischen Ashura-Fest zusammenfällt. Noch vor Montazeris Tod hatte das Regime befürchtet, zu diesem religiösen Trauertag, an dem die Schiiten des Märtyrersohnes von Hussein, dem ermordeten Enkel des Propheten Mohammed gedenken, werde die Opposition erneute Massenproteste veranstalten. Nun, da beide Gedenktage zusammenfallen, erwächst der Regierung ein gigantisches Problem.

Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 21.12.09

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