Zehntausende Iraner trotzen Massenverhaftungen, Einschüchterungen und Blockade von Mobil- und Internet-Kommunikation
von Birgit Cerha
„Mörder Khamenei (Irans „Geistlicher Führer), deine Macht ist illegal“, hallte es Montag, dem traditionellen „Studenten-Tag“ über den riesigen Vali-Asr-Platz in Teheran. Nach Berichten iranischer Oppositionskreise schlossen sich Tausende Menschen Protestmärschen iranischer Studenten an, die vom islamische Regime seit 30 Jahren als anti-amerikanischen Aktionstag zur Mobilsierung seiner Anhänger gefeierten 7. Dezember, zu nutzen, um die Lebenskraft der „grünen“ Oppositionsbewegung“ zu stärken. Genau dies versuchte das Regime durch ein Massenaufgebot an Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch zu verhindern. Weil ausländische Medien von den Schauplätzen verbannt sind, muß sich die Berichterstattung, wie bereits seit Monaten, primär auf Informationen der iranischen Opposition und engagierter Demonstranten stützen, die Drohungen trotzen und mutig mit ihren Handys fotografieren und Informationen per Internet weiterleiten.
Danach kam es Montag zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Zahlreiche Personen seien auch festgenommen worden. Die Teheraner Universität, Zentrum der Studenten-Opposition, wurden von Tausenden Bassidsch und Polizisten umstellt, häufig wurden Studenten Mobiltelefone abgenommen, während die öffentlichen Telefonzellen mit schwarzem Plastik versiegelt wurden. Jede Kommunikation zwischen Universität und Außenwelt wurde nach Aussagen von Studenten scharf überwacht. Zugleich haben staatliche Agenten mit Bussen die Eingangstore zur Universität blockiert, um Interessierten jeden Blick in das Universitätsgelände zu rauben.
Das Regime hatte mit höchster Nervosität diesem „Studententag“ entgegengesehen, an dem die Iraner der Protestkundgebungen von Studenten gegen den Schah 1953 gedachten, als die kaiserlichen Sicherheitskräfte drei junge Demonstranten erschossen. Nun übertrifft die Brutalität des Nachfolgeregimes gegen seine jugendlichen Kritiker jene des verhassten Kaisers bei weitem.
An die 90 Studenten, darunter zahlreiche Führer der Bewegungen wurden in den vergangen Tagen festgenommen, Mobiltelefone funktionierten Montag nicht und die Internetverbindungen wurden vom Regime teilweise schwer gestört, um die Organisation der Proteste zu verhindern. Die Behörden gingen sogar so weit, die mehr als 20 Mütter, die jeden Samstag im zentralen Teheraner Laleh-Park gegen die Ermordung ihrer Kinder bei Demonstrationen gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni, gegen die Brutalitäten des Regimes protestieren, fest zu nehmen.
Dennoch kam es nicht nur an zahlreichen Orten in Teheran, sondern in vielen Städten des Landes zu Massenprotesten. In der Nacht auf Montag hallten wieder die Rufe „Allah u Akbar“ (Gott ist groß) von unzähligen Häuserdächern Teherans. Die neue Generation des politischen Widerstandes hatte diese Form des Protestes nach den Juni-Wahlen von der islamischen Revolution gegen den Schah entlehnt und richtet ihn nun gegen dessen Nachfolgeregime. Nach einigen Wochen aber waren die allnächtlichen Rufe verstummt, weil Bassidsch und Revolutionsgarden die Straßen der Metropole durchstreiften und die Häuser markierten, von deren Dächern die Proteste erschallten. Jeweils am nächsten Tag wurden unzählige Menschen in den verschiedenen Gebäuden festgenommen.
Dennoch, die Iraner lassen sich diesmal nicht mehr dauerhaft einschüchtern. Richteten sich die Slogans in ihren Kundgebungen anfänglich nur gegen die Wahlmanipulation, so wagen sie es heute, offen ihrer Opposition zum System und deren führende Repräsentanten Luft zu machen: „Tod dem Diktator“ (Khamenei), „Khamenei, Mörder, dein Regime ist von Übel“, „(Präsident) Ahmadinedschad, du Verräter, du sollst aus dem Land vertrieben werden, du hast es ruiniert, Tod, Tod, Tod…“, drücken Haß und Emotionen in einer bisher nicht gekannten Offenheit aus.
Die Studenten bewiesen Montag erneut, dass sie, wie seit Jahrzehnten, im Iran eine Macht sind, die dem Regime zuzusetzen vermag. Sie spielten einst eine entscheidende Rolle beim Sturz des Schahs 1979 und wagten in den 90er Jahren als erste Bewegung der „Islamischen Republik“ offen Freiheit und Demokratie zu fordern, nur um dann im Juli 1999 von dem damaligen Reformpräsidenten Khatami im Stich gelassen und blutig niedergeschlagen zu werden. Hunderte Studenten schmachteten in iranischen Gefängnissen und schmachten heute wieder. Massive Unterdrückung und Einschüchterung brach im vergangenen Jahrzehnt ihren Widerstand, doch die Präsidentschaftswahlen im Juni, die Hoffnung auf den Führer der inzwischen gebildeten „Grünen Bewegung“, Mussawi, weckte erneut ihren Widerstandsgeist. So schlüpft Irans Jugend wieder in die alte Rolle als Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie.
Das Regime antwortete in den vergangenen Wochen mit einer erneuten „Kulturrevolution“ an den Universitäten. Die dort allgegenwärtigen Bassidsch rekrutieren eifrig Kollaborateure und Spitzel, die Kommilitonen einschüchtern und den Sicherheitskräften verraten, deren Ausschluss aus dem Lehrbetrieb, bis zur Verhaftung bewirken. Vorlesungsreihen, die abendländisches Gedankengut lehren wurden unterdessen durch islamische ersetzt und in Teherans höchste Lehranstalten ist ein Klima der Angst eingekehrt. Doch Irans Jugend will sich dem Druck der islamischen Diktatoren nicht mehr beugen.
Montag, 7. Dezember 2009
IRAN: Studenten an vorderster Front der iranischen Oppositionsbewegung
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