Der „Feind“ heißt nicht nur „Schweinegrippe“, sondern auch iranischer Aktivismus in einem sich bedrohlich zuspitzenden Rivalitätskampf um Vorherrschaft in der Region
von Birgit Cerha
Ein Ansturm von zweieinhalb Millionen Pilgern stellt schon in guten Jahren das saudische Königshaus vor gigantische Herausforderungen, denen es nicht immer voll gewachsen ist. Tragische Unfälle, Zusammenstöße, Massenpanik forderten immer wieder zahlreiche Menschenleben an der heiligsten Stätte des Islams, in Mekka. Dieses Jahr aber drohen der Mittwoch begonnenen fünftägigen Hadsch besondere Gefahren gleich an zwei Fronten: die „Schweinegrippe“, die in diesen unübersehbaren Menschenmassen reiche Ernte holen kann; und politischer Aktivismus aus der „Islamischen Republik“, der das Potential zu einer gefährlichen gewaltsamen Entladung in sich birgt. Dementsprechend einzigartig ist auch das Aufgebot an saudischen Sicherheitskräften. Denn kaum je zuvor hatten sich die Konflikte zwischen den beiden um Vorherrschaft am Persischen Golf, aber auch um Führung der gesamten islamischen Welt buhlenden Mächte so bedrohlich zugespitzt. Schon malen (sunnitisch-) arabische und so manche westliche Medien das Schreckgespenst einer militärischen Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran an die Wand, eines „Stellvertreterkrieges“ im Jemen.
Animiert durch dessen Präsidenten Ali Abdullah Saleh behaupten wenig besonnene Kommentatoren ein solcher Krieg sei bereits ausgebrochen, nämlich zwischen den der schiitischen Glaubensrichtung des Islams zuzählenden Zaidis unter Führung Abdul Malek al Huthis im Nord-Jemen, die gegen die Regierung in Sanaa gewaltsam rebellieren, und sunnitisch-wahabitischen Saudis, die dem bedrängten Saleh beistehen. Der Iran, so betonen Saleh und die Saudis immer wieder, unterstütze tatkräftig die Huthis. Während sich saudische Streitkräfte zum Schutz ihrer Grenze gegen eindringende Huthis und Al-Kaida Terroristen offen militärisch in diesem fünfjährigen Krieg zu engagieren begannen und wiederholt Huthi-Positionen in jemenitischem Territorium bombardieren, fehlen bisher eindeutige Beweise für iranische Hilfe an die jemenitischen Rebellen. Vorerst beschränkt sich der „Stellvertreterkrieg“ auf die verbale Ebene. Dort allerdings eskaliert er stetig und schafft die Voraussetzungen für Provokationen iranischer Pilger und blutige Zusammenstöße, wie sie Mekka in den 90er Jahre mehrmals erlebt hatte.
Eindringlich warnten die Saudis Teheran wiederholt, die Hadsch für politischen Aktivismus zu missbrauchen und drohen Unruhestiftern mit voller Härte. Zugleich aber richten führende saudische Geistliche scharfe Attacken gegen den Iran. So bezichtigt der Großmufti Scheich Abdulaziz al-Scheich Teheran des „Komplotts (mit den Huthis) in Sünde und Aggression“ und fordert die Iraner auf, der unterdrückten sunnitischen Minderheit in der „Islamischen Republik“ „Schutz“ zu gewähren. Ähnlich reagiert das offizielle Teheran, das den Tod von unschuldigen Zivilisten im Jemen beklagt und Riad zum Schutz der diskriminierten schiitischen Minderheit im Königreich auffordert.
Dass es bei den gegenwärtigen Spannungen in Wahrheit um uralte Rivalitäten zwischen Saudi-Arabien und dem Iran geht, lässt etwa auch die Stellungnahme des iranischen Großayatollah Hossein Nouri-Hamedani erkennen, wenn er vom wachsenden Einfluss des schiitischen Islam auf der Weltbühne spricht und von „Verschwörungsaktionen gewisser Feinde“ gegen die Vorherrschaft der Schiiten. „Der Einfluß und Status des (schiitischen) Islam versetzt die Feinde (gemeint sind die Saudis) in Angst und bewog sie in militärischen Attacken (gegen die Huthis) Zuflucht zu suchen. Der Krieg und die Tötung unschuldiger Zivilisten in Afghanistan, Pakistan und im Jemen haben ihre Wurzeln in Saudi-Arabien.“
Wiewohl die in Teheran seit Juni an Macht gewinnenden Ultras sich für eine aktive Unterstützung der Huthis gegen ihren saudischen Rivalen einsetzen, halten sich andere Fraktionen des Regimes, darunter auch Präsident Ahmadinedschad – vorerst – zurück, verurteilen die saudischen Attacken aus humanitären Gründen und setzen sich demonstrativ für die Stabilität des Jemen ein. So bot Außenminister Muttaki Saleh gar seine Vermittlungsdienste an. Die Tatsache, dass sich auch Irans hohe Geistlichkeit in Solidaritätsbezeugungen für die Huthis zurückhält, liegt vor allem in religiösen Gründen, stehen die Zaidis doch den Sunniten des Jemen theologisch näher als den Zwölferschiiten des Iran.
Es ist vor allem politischer Pragmatismus, der Teheran dazu drängt, die Houthis bei eventuellen Bemühungen um einen autonomen Zaidi-Staat im Nord-Jemen nicht zu unterstützen, um damit nicht ähnlichen saudischen Aktivismus zu ermutigen. Denn auch im Iran drängen diverse Bevölkerungsgruppen nach Autonomie und sind dabei offen für Hilfe von Staaten, die den Iran zu schwächen suchen. So sieht Teheran auch Beweise für saudische Unterstützung der Dschundallah-Gruppe in Belutschistan, die zunehmend an blutiger Schlagkraft gewinnt. Auch anhaltende saudische Unterstützung für radikale Sunniten im Irak, die Teherans wachsenden Einfluß im Zweistromland einzudämmen suchen, beunruhigt die Iraner. Vor allem aber hegt Teheran auch kein Interesse, durch Stärkung der Huthis Jemen weiter zu destabilisieren und damit dem Al-Kaida Extremismus verbesserten Aktionsraum zu schaffen. Schon heute ist der Jemen wichtigstes Zufluchtsgebiet flüchtender Terroristen geworden. In dieser Frage finden sich – Ironie der Geschichte – die Saudis und die Iraner plötzlich auf einer Seite.
Verstärkte saudische Militärverwicklung im Jemen aber könnte dennoch die Iraner dazu drängen, sich ihrerseits in diesen Konflikt einzumischen. Die Folgen für die gesamte Region wären katastrophal.
Mittwoch, 25. November 2009
SAUDI-ARARBIEN: Hadsch versetzt Saudis in höchsten Alarm
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