Besonnenheit und Aufruf zu demokratischer Aktion dominieren die Reaktionen auf das Minarettverbot in weiten Teilen der islamischen Welt
von Birgit Cerha Der wütende Aufschrei, den viele als Reaktion auf das Votum der Schweizer gegen Minarette befürchtet hatten, ist – zunächst zumindest – ausgeblieben. Die großen Zeitungen und Fernsehstationen berichteten Sonntag Abend und Montag nüchtern und sachlich, vielfach ohne Kommentar über das überraschende Ergebnis der Volksabstimmung. Der Satellitensender Al-Jezira etwa hob anerkennend die gemäßigte Haltung und Reaktion der schweizer Muslime zu dem Ergebnis hervor. In zahlreichen Blogs äußern Schreiber ihre Sorge, was das Votum „nun für die Muslime in der Schweiz“ bedeuten würde, denn es ginge ja in Wahrheit keineswegs um Minarette, sondern vielmehr um die Sichtbarkeit des Islams in diesem Land, meint etwa eine Ärztin namens Sarah. „Wird als nächstes der Hedschab (das islamische Kopftuch) verboten und dann Halal-Fleisch? Werden unsere Glaubensbrüder alles verstecken müssen, was sie als Muslime kennzeichnet?“
Ein anderer Schreiber fragt, ob die schweizer Muslime nun für das schlimmste Szenario bereit seien? Manche Medien erläutern ihren Lesern, dass die Schweiz schon seit einiger Zeit ein angespanntes Verhältnis zu ihren muslimischen Mitbürgern habe. Als Beweis dafür werden Vandalakte gegen eine Genfer Moschee angeführt.
Während sich manche Blogger über die „Islamophobie“ der Mehrheit der Schweizer schockiert zeigen und gelegentlich auch zum Boykott schweizer Produkte aufgerufen wird, bleibt der Tenor der Kommentare bisher betont sachlich und gemäßigt. Zu den wenigen Ausnahmen zählt etwa der Chef der jordanischen Moslembrüder, Jamil Abu Baker, der von einer „krassen Verletzung der Religionsfreiheit spricht und das schweizer Votum als Teil einer weltweiten Anti-Islam-Kampagne sieht, die seit dem Terror vom 11. September 2001 anhalte. Maskuri Abdillah, Chef der größten islamischen Bewegung, der Nahdlatul Ulama Indonesiens, spricht vom „Hass der Schweizer gegen islamische Gemeinden. Sie wollen keine muslimische Präsenz in ihrem Land und diese intensive Abneigung hat sie intolerant gemacht.“ Doch, wie andere führende Geistliche appelliert auch Abdillah an seine Glaubensbrüder, sich für diese Entscheidung nicht „zu rächen“.
Ägyptens Mufti Ali Gomaa verurteilt das Minarettverbot als „Beleidigung“ aller Muslime in der Welt, eine „Attacke gegen die Religionsfreiheit“. Eindringlich fordert Gomaa aber seine Glaubensbrüder auf, sich nicht durch diesen Entscheid provozieren zu lassen. Er ermutigt die Muslime in der Schweiz, sich durch das Mittel des „Dialogs“ und auf legalem Wege gegen das Minarettverbot zur Wehr zu setzen und fügte hinzu, „Islam betrachtet die Menschheit als eine einzige große Familie.“ Auch der als radikal geltende Geistliche Yussuf Karadawi, Präsident der internationalen Vereinigung muslimischer Gelehrter, der durch seine regelmäßigen Fernsehauftritte insbesondere in Al-Jezira enormen Einfluß in der arabischen Welt genießt, befürchtet zwar, dass das schweizer Votum den Hass der Muslime schüren und die Treue muslimischer Bürger zu ihrem Gastland untergraben könnte, doch auch er drängt nach Dialog als Antwort und bemerkt versöhnlich, beten könnten die Muslime schließlich auch ohne Minarette.
Einig sind sich einige Kommentatoren allerdings darin, dass das Ansehen der Schweiz als liberales Land, Verfechter von Humanismus, Demokratie und Menschenrechten durch diese Entscheidung seiner Bevölkerungsmehrheit in der islamischen Welt beträchtlichen Schaden erlitten hätte.
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Montag, 30. November 2009
Sonntag, 29. November 2009
IRAN: Atomstreit spitzt sich wieder zu
Irans Parlamentarier drängen Ahmadinedschad zu härterer Gangart – Interne Machtkämpfe stehen einem Kompromiss im Wege
von Birgit Cerha „Zwinge nicht, das Parlament und die iranische Nation einen anderen Weg zu wählen.“ Die Warnung des mächtigen Parlamentssprechers Ali Laridschani an Präsident Mahmut Ahmadinedschad könnte kaum schärfer sein. Er vertritt die große Mehrheit im Parlament, die nun eine „ernsthafte“ Einschränkung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atombehörde (IAEA) fordert, sollten die USA und die anderen Mitglieder der so genannten „Sechsergruppe“ ihre Einstellung zum Iran im Atomstreit nicht ändern. Von „veralteten Spielchen“, „lächerlicher Zuckerbrot- und Peitsche-Politik“ ist die Rede. „Diese große Nation wird sich niemals beugen“, meint etwa Irans IAEA-Botschafter Ali Asghar Soltaneh. Mit solch scharfer Rhetorik reagieren iranische Politiker auf die Verurteilung der iranischen Hinhaltetaktik durch den Gouverneursrat der IAEA vergangenen Freitag. In einer mit großer Mehrheit gebilligten Resolution hatte die Behörde Teheran aufgefordert, den Bau seiner zweiten Uran-Anreicherungsanlage „Fordo“ bei Ghom „umgehend auszusetzen“. Da auch China und Russland für die Resolution stimmten wächst nun in Teheran die Sorge, die USA könnten eine Verschärfung der Strafsanktionen im Weltsicherheitsrat durchsetzen.
Offiziell allerdings zeigen sich iranische Politiker und Medien unverändert kompromisslos. Unter keinen Umständen werde man sich internationalem Druck beugen, lautet der allgemeine Tenor, während der radikale Geistliche, Ayatollah Ahmad Khatami in einer Rede in der Teheraner Universität vor laut akklamierendem Publikum die Entschlossenheit des „Gottesstaates“ bekräftigte, selbst hochgradig angereichertes Uran zu produzieren, sollte es keine Einigung mit der IAEA geben. Um dies und damit eine mögliche Entwicklung von Atomwaffen zu verhindern, hatte die IAEA vorgeschlagen, dass der Iran niedrig angereichertes Uran zur weiteren Anreicherung ins Ausland – nach Frankreich oder Russland – sendet. Der Iran benötigt das hoch angereicherte Uran dringend für ein medizinisches Forschungszentrum in Teheran.
Die Sanktionsuhr tickt. Bis zum Jahresende will US-Präsident Obama entscheiden, ob der Dialog mit dem Iran fortgesetzt werden kann oder ob verstärkter Druck ausgeübt werden sollte.
So manche Anzeichen sprechen dafür, dass ein so dringend erhoffter Durchbruch im jahrelangen Atomkonflikt an dem heftigen internen Machtkampf scheitern könnte, der den Iran auch fast ein halbes Jahr nach den Turbulenzen der manipulierten Präsidentschaftswahlen nicht zur Ruhe kommen lässt. Dabei haben sich in dieser Frage die Fronten erstaunlich verschoben. Nun nämlich ist es Ahmadinedschad, vier Jahre lang das „radikale Gesicht“ des „Gottesstaates“, der Ausgleich und Versöhnung sucht. Während aus dem Iran scharfe Töne drangen, zeigte sich der Präsident bei einer Pressekonferenz während eines Staatsbesuchs in Brasilien auffallend milde: „Wir haben die Möglichkeit, Uran auf 20 Prozent anzureichern und wir besitzen das Recht dazu. Doch um eine Atomosphäre der Kooperation zu schaffen, sind wir bereit, Kernbrennstoffe im Ausland zu kaufen.“ Seit IAEA-Chef Al-Baradei im Oktober seinen Kompromissvorschlag präsentierte, ist Ahmadinedschad um Einigung bemüht: „Heute“, so betonte er etwa, „sind die Bedingungen reif für eine atomare Kooperation auf internationaler Ebene“. Und: Baradeis Vorschläge würden das Land „in die richtige Richtung“ führen.
Der durch die Wahlmanipulationen angeschlagene Präsident wandelte sich zum „Vorreiter“ eines Dialogs mit dem Westen in der Hoffnung, durch ein Atomabkommen seine schwer angeschlagene Macht wieder zu stärken und interne Kritiker zum Schweigen zu bringen. Der Präsident hat fast die gesamte Intelligenz des Landes, die Studenten gegen sich. Gelänge ihm ein Durchbruch im Atomstreit, der in eine Annäherung an die USA münden würde, dann bestünde durchaus die Chance, viele Kritiker auf seine Seite zu ziehen. Genau dies aber wollen mächtige Fraktionen im Lande verhindern, allen voran die pragmatischen Konservativen und Laridschani und viele konservative Führer, denen Ahmadinedschads Machtgier und sein unberechenbarer Stil schon lange ein Dorn im Auge ist. So dürfte der interne Machtkampf eine Lösung der Atomfrage derzeit nicht zulassen.
Aber auch der Führer der oppositionellen „Grünen Bewegung“ Mir Hussein Mussawi, reiht sich ein in die Schar der Gegner eines Atomkompromisses und wirft vehement Ahmadinedschad mangelnden Nationalismus vor, da er auch nur erwägen könnte, iranisches Uran im Ausland höher anreichern zu lassen.
Die Entwicklungen der vergangenen Wochen haben auch viele sich nach Reformen und Versöhnung mit dem Westen sehnende Iraner bitter enttäuscht. Die Amerikaner, meint einer von ihnen, hätten eine vielleicht historische Chance durch einen schweren Fehler vertan. Viele Iraner sind tief empört, dass sich die USA in ihren ersten direkten Verhandlungen mit Teheran seit fast drei Jahrzehnten ausschließliche auf den Atomstreit konzentrierten und die ungeheuerlichen Brutalitäten des Regimes an friedlich für mehr Freiheit demonstrierenden Iranern, den Morden, Folterungen, Massenprozessen und massiven Einschüchterungen vollends ignorierten. Die wohl amerika-freundlichste Bevölkerung des Mittleren Osten fühlt sich kläglich im Stich gelassen, von westlichen Politikern, wie von einem Großteil der Medien. Und das Regime wütet weiter, bis das Volk nicht mehr aufzumucken wagt.
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von Birgit Cerha „Zwinge nicht, das Parlament und die iranische Nation einen anderen Weg zu wählen.“ Die Warnung des mächtigen Parlamentssprechers Ali Laridschani an Präsident Mahmut Ahmadinedschad könnte kaum schärfer sein. Er vertritt die große Mehrheit im Parlament, die nun eine „ernsthafte“ Einschränkung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atombehörde (IAEA) fordert, sollten die USA und die anderen Mitglieder der so genannten „Sechsergruppe“ ihre Einstellung zum Iran im Atomstreit nicht ändern. Von „veralteten Spielchen“, „lächerlicher Zuckerbrot- und Peitsche-Politik“ ist die Rede. „Diese große Nation wird sich niemals beugen“, meint etwa Irans IAEA-Botschafter Ali Asghar Soltaneh. Mit solch scharfer Rhetorik reagieren iranische Politiker auf die Verurteilung der iranischen Hinhaltetaktik durch den Gouverneursrat der IAEA vergangenen Freitag. In einer mit großer Mehrheit gebilligten Resolution hatte die Behörde Teheran aufgefordert, den Bau seiner zweiten Uran-Anreicherungsanlage „Fordo“ bei Ghom „umgehend auszusetzen“. Da auch China und Russland für die Resolution stimmten wächst nun in Teheran die Sorge, die USA könnten eine Verschärfung der Strafsanktionen im Weltsicherheitsrat durchsetzen.
Offiziell allerdings zeigen sich iranische Politiker und Medien unverändert kompromisslos. Unter keinen Umständen werde man sich internationalem Druck beugen, lautet der allgemeine Tenor, während der radikale Geistliche, Ayatollah Ahmad Khatami in einer Rede in der Teheraner Universität vor laut akklamierendem Publikum die Entschlossenheit des „Gottesstaates“ bekräftigte, selbst hochgradig angereichertes Uran zu produzieren, sollte es keine Einigung mit der IAEA geben. Um dies und damit eine mögliche Entwicklung von Atomwaffen zu verhindern, hatte die IAEA vorgeschlagen, dass der Iran niedrig angereichertes Uran zur weiteren Anreicherung ins Ausland – nach Frankreich oder Russland – sendet. Der Iran benötigt das hoch angereicherte Uran dringend für ein medizinisches Forschungszentrum in Teheran.
Die Sanktionsuhr tickt. Bis zum Jahresende will US-Präsident Obama entscheiden, ob der Dialog mit dem Iran fortgesetzt werden kann oder ob verstärkter Druck ausgeübt werden sollte.
So manche Anzeichen sprechen dafür, dass ein so dringend erhoffter Durchbruch im jahrelangen Atomkonflikt an dem heftigen internen Machtkampf scheitern könnte, der den Iran auch fast ein halbes Jahr nach den Turbulenzen der manipulierten Präsidentschaftswahlen nicht zur Ruhe kommen lässt. Dabei haben sich in dieser Frage die Fronten erstaunlich verschoben. Nun nämlich ist es Ahmadinedschad, vier Jahre lang das „radikale Gesicht“ des „Gottesstaates“, der Ausgleich und Versöhnung sucht. Während aus dem Iran scharfe Töne drangen, zeigte sich der Präsident bei einer Pressekonferenz während eines Staatsbesuchs in Brasilien auffallend milde: „Wir haben die Möglichkeit, Uran auf 20 Prozent anzureichern und wir besitzen das Recht dazu. Doch um eine Atomosphäre der Kooperation zu schaffen, sind wir bereit, Kernbrennstoffe im Ausland zu kaufen.“ Seit IAEA-Chef Al-Baradei im Oktober seinen Kompromissvorschlag präsentierte, ist Ahmadinedschad um Einigung bemüht: „Heute“, so betonte er etwa, „sind die Bedingungen reif für eine atomare Kooperation auf internationaler Ebene“. Und: Baradeis Vorschläge würden das Land „in die richtige Richtung“ führen.
Der durch die Wahlmanipulationen angeschlagene Präsident wandelte sich zum „Vorreiter“ eines Dialogs mit dem Westen in der Hoffnung, durch ein Atomabkommen seine schwer angeschlagene Macht wieder zu stärken und interne Kritiker zum Schweigen zu bringen. Der Präsident hat fast die gesamte Intelligenz des Landes, die Studenten gegen sich. Gelänge ihm ein Durchbruch im Atomstreit, der in eine Annäherung an die USA münden würde, dann bestünde durchaus die Chance, viele Kritiker auf seine Seite zu ziehen. Genau dies aber wollen mächtige Fraktionen im Lande verhindern, allen voran die pragmatischen Konservativen und Laridschani und viele konservative Führer, denen Ahmadinedschads Machtgier und sein unberechenbarer Stil schon lange ein Dorn im Auge ist. So dürfte der interne Machtkampf eine Lösung der Atomfrage derzeit nicht zulassen.
Aber auch der Führer der oppositionellen „Grünen Bewegung“ Mir Hussein Mussawi, reiht sich ein in die Schar der Gegner eines Atomkompromisses und wirft vehement Ahmadinedschad mangelnden Nationalismus vor, da er auch nur erwägen könnte, iranisches Uran im Ausland höher anreichern zu lassen.
Die Entwicklungen der vergangenen Wochen haben auch viele sich nach Reformen und Versöhnung mit dem Westen sehnende Iraner bitter enttäuscht. Die Amerikaner, meint einer von ihnen, hätten eine vielleicht historische Chance durch einen schweren Fehler vertan. Viele Iraner sind tief empört, dass sich die USA in ihren ersten direkten Verhandlungen mit Teheran seit fast drei Jahrzehnten ausschließliche auf den Atomstreit konzentrierten und die ungeheuerlichen Brutalitäten des Regimes an friedlich für mehr Freiheit demonstrierenden Iranern, den Morden, Folterungen, Massenprozessen und massiven Einschüchterungen vollends ignorierten. Die wohl amerika-freundlichste Bevölkerung des Mittleren Osten fühlt sich kläglich im Stich gelassen, von westlichen Politikern, wie von einem Großteil der Medien. Und das Regime wütet weiter, bis das Volk nicht mehr aufzumucken wagt.
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Mittwoch, 25. November 2009
SAUDI-ARARBIEN: Hadsch versetzt Saudis in höchsten Alarm
Der „Feind“ heißt nicht nur „Schweinegrippe“, sondern auch iranischer Aktivismus in einem sich bedrohlich zuspitzenden Rivalitätskampf um Vorherrschaft in der Region
von Birgit Cerha
Ein Ansturm von zweieinhalb Millionen Pilgern stellt schon in guten Jahren das saudische Königshaus vor gigantische Herausforderungen, denen es nicht immer voll gewachsen ist. Tragische Unfälle, Zusammenstöße, Massenpanik forderten immer wieder zahlreiche Menschenleben an der heiligsten Stätte des Islams, in Mekka. Dieses Jahr aber drohen der Mittwoch begonnenen fünftägigen Hadsch besondere Gefahren gleich an zwei Fronten: die „Schweinegrippe“, die in diesen unübersehbaren Menschenmassen reiche Ernte holen kann; und politischer Aktivismus aus der „Islamischen Republik“, der das Potential zu einer gefährlichen gewaltsamen Entladung in sich birgt. Dementsprechend einzigartig ist auch das Aufgebot an saudischen Sicherheitskräften. Denn kaum je zuvor hatten sich die Konflikte zwischen den beiden um Vorherrschaft am Persischen Golf, aber auch um Führung der gesamten islamischen Welt buhlenden Mächte so bedrohlich zugespitzt. Schon malen (sunnitisch-) arabische und so manche westliche Medien das Schreckgespenst einer militärischen Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran an die Wand, eines „Stellvertreterkrieges“ im Jemen.
Animiert durch dessen Präsidenten Ali Abdullah Saleh behaupten wenig besonnene Kommentatoren ein solcher Krieg sei bereits ausgebrochen, nämlich zwischen den der schiitischen Glaubensrichtung des Islams zuzählenden Zaidis unter Führung Abdul Malek al Huthis im Nord-Jemen, die gegen die Regierung in Sanaa gewaltsam rebellieren, und sunnitisch-wahabitischen Saudis, die dem bedrängten Saleh beistehen. Der Iran, so betonen Saleh und die Saudis immer wieder, unterstütze tatkräftig die Huthis. Während sich saudische Streitkräfte zum Schutz ihrer Grenze gegen eindringende Huthis und Al-Kaida Terroristen offen militärisch in diesem fünfjährigen Krieg zu engagieren begannen und wiederholt Huthi-Positionen in jemenitischem Territorium bombardieren, fehlen bisher eindeutige Beweise für iranische Hilfe an die jemenitischen Rebellen. Vorerst beschränkt sich der „Stellvertreterkrieg“ auf die verbale Ebene. Dort allerdings eskaliert er stetig und schafft die Voraussetzungen für Provokationen iranischer Pilger und blutige Zusammenstöße, wie sie Mekka in den 90er Jahre mehrmals erlebt hatte.
Eindringlich warnten die Saudis Teheran wiederholt, die Hadsch für politischen Aktivismus zu missbrauchen und drohen Unruhestiftern mit voller Härte. Zugleich aber richten führende saudische Geistliche scharfe Attacken gegen den Iran. So bezichtigt der Großmufti Scheich Abdulaziz al-Scheich Teheran des „Komplotts (mit den Huthis) in Sünde und Aggression“ und fordert die Iraner auf, der unterdrückten sunnitischen Minderheit in der „Islamischen Republik“ „Schutz“ zu gewähren. Ähnlich reagiert das offizielle Teheran, das den Tod von unschuldigen Zivilisten im Jemen beklagt und Riad zum Schutz der diskriminierten schiitischen Minderheit im Königreich auffordert.
Dass es bei den gegenwärtigen Spannungen in Wahrheit um uralte Rivalitäten zwischen Saudi-Arabien und dem Iran geht, lässt etwa auch die Stellungnahme des iranischen Großayatollah Hossein Nouri-Hamedani erkennen, wenn er vom wachsenden Einfluss des schiitischen Islam auf der Weltbühne spricht und von „Verschwörungsaktionen gewisser Feinde“ gegen die Vorherrschaft der Schiiten. „Der Einfluß und Status des (schiitischen) Islam versetzt die Feinde (gemeint sind die Saudis) in Angst und bewog sie in militärischen Attacken (gegen die Huthis) Zuflucht zu suchen. Der Krieg und die Tötung unschuldiger Zivilisten in Afghanistan, Pakistan und im Jemen haben ihre Wurzeln in Saudi-Arabien.“
Wiewohl die in Teheran seit Juni an Macht gewinnenden Ultras sich für eine aktive Unterstützung der Huthis gegen ihren saudischen Rivalen einsetzen, halten sich andere Fraktionen des Regimes, darunter auch Präsident Ahmadinedschad – vorerst – zurück, verurteilen die saudischen Attacken aus humanitären Gründen und setzen sich demonstrativ für die Stabilität des Jemen ein. So bot Außenminister Muttaki Saleh gar seine Vermittlungsdienste an. Die Tatsache, dass sich auch Irans hohe Geistlichkeit in Solidaritätsbezeugungen für die Huthis zurückhält, liegt vor allem in religiösen Gründen, stehen die Zaidis doch den Sunniten des Jemen theologisch näher als den Zwölferschiiten des Iran.
Es ist vor allem politischer Pragmatismus, der Teheran dazu drängt, die Houthis bei eventuellen Bemühungen um einen autonomen Zaidi-Staat im Nord-Jemen nicht zu unterstützen, um damit nicht ähnlichen saudischen Aktivismus zu ermutigen. Denn auch im Iran drängen diverse Bevölkerungsgruppen nach Autonomie und sind dabei offen für Hilfe von Staaten, die den Iran zu schwächen suchen. So sieht Teheran auch Beweise für saudische Unterstützung der Dschundallah-Gruppe in Belutschistan, die zunehmend an blutiger Schlagkraft gewinnt. Auch anhaltende saudische Unterstützung für radikale Sunniten im Irak, die Teherans wachsenden Einfluß im Zweistromland einzudämmen suchen, beunruhigt die Iraner. Vor allem aber hegt Teheran auch kein Interesse, durch Stärkung der Huthis Jemen weiter zu destabilisieren und damit dem Al-Kaida Extremismus verbesserten Aktionsraum zu schaffen. Schon heute ist der Jemen wichtigstes Zufluchtsgebiet flüchtender Terroristen geworden. In dieser Frage finden sich – Ironie der Geschichte – die Saudis und die Iraner plötzlich auf einer Seite.
Verstärkte saudische Militärverwicklung im Jemen aber könnte dennoch die Iraner dazu drängen, sich ihrerseits in diesen Konflikt einzumischen. Die Folgen für die gesamte Region wären katastrophal.
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von Birgit Cerha
Ein Ansturm von zweieinhalb Millionen Pilgern stellt schon in guten Jahren das saudische Königshaus vor gigantische Herausforderungen, denen es nicht immer voll gewachsen ist. Tragische Unfälle, Zusammenstöße, Massenpanik forderten immer wieder zahlreiche Menschenleben an der heiligsten Stätte des Islams, in Mekka. Dieses Jahr aber drohen der Mittwoch begonnenen fünftägigen Hadsch besondere Gefahren gleich an zwei Fronten: die „Schweinegrippe“, die in diesen unübersehbaren Menschenmassen reiche Ernte holen kann; und politischer Aktivismus aus der „Islamischen Republik“, der das Potential zu einer gefährlichen gewaltsamen Entladung in sich birgt. Dementsprechend einzigartig ist auch das Aufgebot an saudischen Sicherheitskräften. Denn kaum je zuvor hatten sich die Konflikte zwischen den beiden um Vorherrschaft am Persischen Golf, aber auch um Führung der gesamten islamischen Welt buhlenden Mächte so bedrohlich zugespitzt. Schon malen (sunnitisch-) arabische und so manche westliche Medien das Schreckgespenst einer militärischen Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran an die Wand, eines „Stellvertreterkrieges“ im Jemen.
Animiert durch dessen Präsidenten Ali Abdullah Saleh behaupten wenig besonnene Kommentatoren ein solcher Krieg sei bereits ausgebrochen, nämlich zwischen den der schiitischen Glaubensrichtung des Islams zuzählenden Zaidis unter Führung Abdul Malek al Huthis im Nord-Jemen, die gegen die Regierung in Sanaa gewaltsam rebellieren, und sunnitisch-wahabitischen Saudis, die dem bedrängten Saleh beistehen. Der Iran, so betonen Saleh und die Saudis immer wieder, unterstütze tatkräftig die Huthis. Während sich saudische Streitkräfte zum Schutz ihrer Grenze gegen eindringende Huthis und Al-Kaida Terroristen offen militärisch in diesem fünfjährigen Krieg zu engagieren begannen und wiederholt Huthi-Positionen in jemenitischem Territorium bombardieren, fehlen bisher eindeutige Beweise für iranische Hilfe an die jemenitischen Rebellen. Vorerst beschränkt sich der „Stellvertreterkrieg“ auf die verbale Ebene. Dort allerdings eskaliert er stetig und schafft die Voraussetzungen für Provokationen iranischer Pilger und blutige Zusammenstöße, wie sie Mekka in den 90er Jahre mehrmals erlebt hatte.
Eindringlich warnten die Saudis Teheran wiederholt, die Hadsch für politischen Aktivismus zu missbrauchen und drohen Unruhestiftern mit voller Härte. Zugleich aber richten führende saudische Geistliche scharfe Attacken gegen den Iran. So bezichtigt der Großmufti Scheich Abdulaziz al-Scheich Teheran des „Komplotts (mit den Huthis) in Sünde und Aggression“ und fordert die Iraner auf, der unterdrückten sunnitischen Minderheit in der „Islamischen Republik“ „Schutz“ zu gewähren. Ähnlich reagiert das offizielle Teheran, das den Tod von unschuldigen Zivilisten im Jemen beklagt und Riad zum Schutz der diskriminierten schiitischen Minderheit im Königreich auffordert.
Dass es bei den gegenwärtigen Spannungen in Wahrheit um uralte Rivalitäten zwischen Saudi-Arabien und dem Iran geht, lässt etwa auch die Stellungnahme des iranischen Großayatollah Hossein Nouri-Hamedani erkennen, wenn er vom wachsenden Einfluss des schiitischen Islam auf der Weltbühne spricht und von „Verschwörungsaktionen gewisser Feinde“ gegen die Vorherrschaft der Schiiten. „Der Einfluß und Status des (schiitischen) Islam versetzt die Feinde (gemeint sind die Saudis) in Angst und bewog sie in militärischen Attacken (gegen die Huthis) Zuflucht zu suchen. Der Krieg und die Tötung unschuldiger Zivilisten in Afghanistan, Pakistan und im Jemen haben ihre Wurzeln in Saudi-Arabien.“
Wiewohl die in Teheran seit Juni an Macht gewinnenden Ultras sich für eine aktive Unterstützung der Huthis gegen ihren saudischen Rivalen einsetzen, halten sich andere Fraktionen des Regimes, darunter auch Präsident Ahmadinedschad – vorerst – zurück, verurteilen die saudischen Attacken aus humanitären Gründen und setzen sich demonstrativ für die Stabilität des Jemen ein. So bot Außenminister Muttaki Saleh gar seine Vermittlungsdienste an. Die Tatsache, dass sich auch Irans hohe Geistlichkeit in Solidaritätsbezeugungen für die Huthis zurückhält, liegt vor allem in religiösen Gründen, stehen die Zaidis doch den Sunniten des Jemen theologisch näher als den Zwölferschiiten des Iran.
Es ist vor allem politischer Pragmatismus, der Teheran dazu drängt, die Houthis bei eventuellen Bemühungen um einen autonomen Zaidi-Staat im Nord-Jemen nicht zu unterstützen, um damit nicht ähnlichen saudischen Aktivismus zu ermutigen. Denn auch im Iran drängen diverse Bevölkerungsgruppen nach Autonomie und sind dabei offen für Hilfe von Staaten, die den Iran zu schwächen suchen. So sieht Teheran auch Beweise für saudische Unterstützung der Dschundallah-Gruppe in Belutschistan, die zunehmend an blutiger Schlagkraft gewinnt. Auch anhaltende saudische Unterstützung für radikale Sunniten im Irak, die Teherans wachsenden Einfluß im Zweistromland einzudämmen suchen, beunruhigt die Iraner. Vor allem aber hegt Teheran auch kein Interesse, durch Stärkung der Huthis Jemen weiter zu destabilisieren und damit dem Al-Kaida Extremismus verbesserten Aktionsraum zu schaffen. Schon heute ist der Jemen wichtigstes Zufluchtsgebiet flüchtender Terroristen geworden. In dieser Frage finden sich – Ironie der Geschichte – die Saudis und die Iraner plötzlich auf einer Seite.
Verstärkte saudische Militärverwicklung im Jemen aber könnte dennoch die Iraner dazu drängen, sich ihrerseits in diesen Konflikt einzumischen. Die Folgen für die gesamte Region wären katastrophal.
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Sonntag, 22. November 2009
IRAN: Gefängnisstrafe für führenden Reformer im Iran
Das Regime sieht Ali Abtahi, Leitfigur der Internetszene, als einen der wichtigsten Drahtzieher der Opposition – Anhaltende Brutalitäten vermögen Protestbewegung nicht einzuschüchtern
von Birgit Cerha
Ali Abtahi, der „bloggende Mullah“, wie ihn seine Anhänger gerne nennen, war der erste prominente Reformer, der nur wenige Tage nach Ausbruch der Massenproteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni von iranischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Deutlich gezeichnet durch Folter, erschien er Wochen später mit hundert Mitangeklagten bei einem „Schauprozess“, in dem er sich, ebenso wie in einem TV-„Geständnis“, „schuldig“ bekannte. Seine in seinem letzten Blog in Freiheit verbreitete Behauptung, die Wahlen seien ein „großer Schwindel“, „war eine Lüge, die dem Zweck dienen sollte, Unruhen auszulösen“. Er habe sich an einer „Verschwörung“ beteiligt, die das Regime durch eine „samtene Revolution“ zu Fall bringen sollte. Nun erhielt er dafür sechs Jahre Gefängnis.
Die heute in Teheran herrschenden Ultras wollen mit Abtahi ein Exempel statuieren. Sie sehen in diesem 51 jährigen Geistlichen, der unter dem damaligen Reformpräsidenten Khatami von 2001 bis 2004 als engster Berater zur Seite standm, den wohl gefährlichsten Drahtzieher der Unruhen, die das Land trotz massiver Repressionen immer noch im Bann halten. Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik gründete er einen Blog, mit dessen Hilfe er sich mehr und mehr zu einem Bürgerrechtler entwickelte. Er wurde zu einer Leitfigur der Internetszene und zog täglich bis zu 30.000 Klicks an. Im Präsidentschaftswahlkampf engagierte er sich für den unterlegenen Kandidaten Mehdi Karrubi, dessen schlechtes Abschneiden jeder Logik entbehrte.
Welche Bedeutung das Regime dem Einfluss Abtahis beimisst, lässt sich durch den plumpen Versuch erkennen, ihn vom Gefängnis aus wieder bloggen zu lassen. So pries Abtahi die „Großzügigkeit“ der Justizbehörden, die ihm den Internetzugang ermöglichten und die Gefangenen sehr gut behandelten. Er verstünde voll, warum er inhaftiert worden sei. Familienangehörige und Kenner des iranischen Gefängnissystems hegen keine Zweifel, dass Abtahi unter massivem Druck steht. Erzwungene TV-„Geständnisse“ gehören seit langem zur Methode des Regimes, politische Gegner öffentlich zu demütigen und ihnen damit ihre Ausstrahlungskraft zu rauben.
Nur einen Tag vor Abtahis Verurteilung übte ein UN-Komitee heftige Kritik an den „Schikanen, Einschüchterungen, Verfolgungen, willkürlichen Festnahmen und Verschleppungen“ von Regimegegnern, sowie die Misshandlungen in iranischen Gefängnissen. Während der friedlichen Massenproteste wurden mindestens 30 Personen von Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch getötet und mehr als 4.000 Menschen, darunter führende Persönlichkeiten der Reformbewegung, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten festgenommen. An die 200 Regimegegner sitzen immer noch im Gefängnis. 140 Festgenommene wurden bisher vor Gericht gestellt, 81 davon zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Drei „Monarchisten“ und fünf nicht identifizierte Personen wurden wegen angeblicher Kontakte zu anti-revolutionärern, terroristischen oder oppositionellen Gruppen“ zum Tode verurteilt. Berufungen sind möglich.
Menschenrechtsaktivisten berichten von verheerenden Zuständen in Gefängnissen. „Human Rights Watch“ bestätigte unter Berufung auf ihr zugespielte Dokumente die von Karrubi erhobene Beschwerde, dass Gefangene auch in brutalster Weise sexuell missbraucht worden seien. Karrubi steht auch wegen des Einsatzes für diese Opfer unter massivem Druck.
Der iranische Widerstand erhält nun eine neue „Ikone“. Es ist der 26-jährige Arzt Ramin Pourandardschani, der in einer medizinischen Abteilung der Teheraner Sicherheitskräfte nach offiziellen Angaben „im Schlaf an Herzversagen“ gestorben sei. Reformer und Menschenrechtsaktivisten fordern eine unabhängige Untersuchung in diesen „mysteriösen Todesfall“. Pourandardschani hatte Folteropfer in Kahrizak-Gefängnis untersucht, das im Sommer wegen Mord, Folter und Vergewaltigungen an Insassen geschlossen wurde. Insbesondere hatte sich Pourandardschani auch des Falles Mohsen Ruholamini angenommen, der besonders heikel ist, weil es sich um den Sohn eines konservativen Angehörigen des Regimes handelt. Ruholamini war in dem Gefängnis zu Tode gequält worden und Pourandardschani soll nach Aussagen von Familienmitgliedern einem parlamentarischen Untersuchungskomitee wichtige Informationen in diesem Fall preisgegeben haben. Der junge Arzt hätte deshalb Todesdrohungen erhalten.
Unterdessen läuft im Land auch eine Verhaftungswelle an Universitäten, die Studenten von Massendemonstrationen am 7. Dezember, dem „Tag der Studenten“, abschrecken sollen. Doch liberale Studentenführer, ermutigt auch durch die Entschlossenheit des Führers der „Grünen Bewegung“ Mussawi wollen sich nicht einschüchtern lassen. Mussawi appellierte am Wochenende an das Regime, den Druck auf die Bevölkerung zu stoppen und schwor, mit der Protestbewegung fortzufahren. „Wir sind bereit, jeden Preis zu zahlen.“
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von Birgit Cerha
Ali Abtahi, der „bloggende Mullah“, wie ihn seine Anhänger gerne nennen, war der erste prominente Reformer, der nur wenige Tage nach Ausbruch der Massenproteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni von iranischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Deutlich gezeichnet durch Folter, erschien er Wochen später mit hundert Mitangeklagten bei einem „Schauprozess“, in dem er sich, ebenso wie in einem TV-„Geständnis“, „schuldig“ bekannte. Seine in seinem letzten Blog in Freiheit verbreitete Behauptung, die Wahlen seien ein „großer Schwindel“, „war eine Lüge, die dem Zweck dienen sollte, Unruhen auszulösen“. Er habe sich an einer „Verschwörung“ beteiligt, die das Regime durch eine „samtene Revolution“ zu Fall bringen sollte. Nun erhielt er dafür sechs Jahre Gefängnis.
Die heute in Teheran herrschenden Ultras wollen mit Abtahi ein Exempel statuieren. Sie sehen in diesem 51 jährigen Geistlichen, der unter dem damaligen Reformpräsidenten Khatami von 2001 bis 2004 als engster Berater zur Seite standm, den wohl gefährlichsten Drahtzieher der Unruhen, die das Land trotz massiver Repressionen immer noch im Bann halten. Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik gründete er einen Blog, mit dessen Hilfe er sich mehr und mehr zu einem Bürgerrechtler entwickelte. Er wurde zu einer Leitfigur der Internetszene und zog täglich bis zu 30.000 Klicks an. Im Präsidentschaftswahlkampf engagierte er sich für den unterlegenen Kandidaten Mehdi Karrubi, dessen schlechtes Abschneiden jeder Logik entbehrte.
Welche Bedeutung das Regime dem Einfluss Abtahis beimisst, lässt sich durch den plumpen Versuch erkennen, ihn vom Gefängnis aus wieder bloggen zu lassen. So pries Abtahi die „Großzügigkeit“ der Justizbehörden, die ihm den Internetzugang ermöglichten und die Gefangenen sehr gut behandelten. Er verstünde voll, warum er inhaftiert worden sei. Familienangehörige und Kenner des iranischen Gefängnissystems hegen keine Zweifel, dass Abtahi unter massivem Druck steht. Erzwungene TV-„Geständnisse“ gehören seit langem zur Methode des Regimes, politische Gegner öffentlich zu demütigen und ihnen damit ihre Ausstrahlungskraft zu rauben.
Nur einen Tag vor Abtahis Verurteilung übte ein UN-Komitee heftige Kritik an den „Schikanen, Einschüchterungen, Verfolgungen, willkürlichen Festnahmen und Verschleppungen“ von Regimegegnern, sowie die Misshandlungen in iranischen Gefängnissen. Während der friedlichen Massenproteste wurden mindestens 30 Personen von Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch getötet und mehr als 4.000 Menschen, darunter führende Persönlichkeiten der Reformbewegung, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten festgenommen. An die 200 Regimegegner sitzen immer noch im Gefängnis. 140 Festgenommene wurden bisher vor Gericht gestellt, 81 davon zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Drei „Monarchisten“ und fünf nicht identifizierte Personen wurden wegen angeblicher Kontakte zu anti-revolutionärern, terroristischen oder oppositionellen Gruppen“ zum Tode verurteilt. Berufungen sind möglich.
Menschenrechtsaktivisten berichten von verheerenden Zuständen in Gefängnissen. „Human Rights Watch“ bestätigte unter Berufung auf ihr zugespielte Dokumente die von Karrubi erhobene Beschwerde, dass Gefangene auch in brutalster Weise sexuell missbraucht worden seien. Karrubi steht auch wegen des Einsatzes für diese Opfer unter massivem Druck.
Der iranische Widerstand erhält nun eine neue „Ikone“. Es ist der 26-jährige Arzt Ramin Pourandardschani, der in einer medizinischen Abteilung der Teheraner Sicherheitskräfte nach offiziellen Angaben „im Schlaf an Herzversagen“ gestorben sei. Reformer und Menschenrechtsaktivisten fordern eine unabhängige Untersuchung in diesen „mysteriösen Todesfall“. Pourandardschani hatte Folteropfer in Kahrizak-Gefängnis untersucht, das im Sommer wegen Mord, Folter und Vergewaltigungen an Insassen geschlossen wurde. Insbesondere hatte sich Pourandardschani auch des Falles Mohsen Ruholamini angenommen, der besonders heikel ist, weil es sich um den Sohn eines konservativen Angehörigen des Regimes handelt. Ruholamini war in dem Gefängnis zu Tode gequält worden und Pourandardschani soll nach Aussagen von Familienmitgliedern einem parlamentarischen Untersuchungskomitee wichtige Informationen in diesem Fall preisgegeben haben. Der junge Arzt hätte deshalb Todesdrohungen erhalten.
Unterdessen läuft im Land auch eine Verhaftungswelle an Universitäten, die Studenten von Massendemonstrationen am 7. Dezember, dem „Tag der Studenten“, abschrecken sollen. Doch liberale Studentenführer, ermutigt auch durch die Entschlossenheit des Führers der „Grünen Bewegung“ Mussawi wollen sich nicht einschüchtern lassen. Mussawi appellierte am Wochenende an das Regime, den Druck auf die Bevölkerung zu stoppen und schwor, mit der Protestbewegung fortzufahren. „Wir sind bereit, jeden Preis zu zahlen.“
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Mittwoch, 18. November 2009
IRAK: Irak „wieder am Nullpunkt“
Die hart erkämpfte Einigung über ein neues Wahlgesetz ist erneut vom Scheitern bedroht und damit Washingtons Zeitplan zum endgültigen Abzug aus dem Zweistromland
von Birgit Cerha
Der Sunnit Tariq al-Haschemi, einer der beiden Vizepräsidenten des Iraks, legte Mittwoch sein Veto gegen Artikel Eins des neuen Wahlgesetzes ein und löst damit in Bagdad erneut große politische Unsicherheit aus. Die zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 müssen laut Verfassung bis Ende Januar abgehalten werden. Gelingt dies nun nicht, dann ist auch der von US-Präsident Obama gesetzte Zeitplan für den vollen Abzug der US-Truppen bedroht. Denn die US-Militärführung will mit dem Rückzug ihrer insgesamt noch 120.000 im Irak verbliebenen Kampftruppen 60 Tage nach den Wahlen beginnen, in der Hoffnung, dass bis dahin das Land eine stabile politische Basis gefunden hat. Bis August 2010 sollten dann alle Kampftruppen den Irak verlassen haben.
Elf Mal war die Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes durch das Parlament wegen heftiger Differenzen zwischen den Fraktionen aufgeschoben worden. Massivster US-Druck erzwang schließlich am 8. November eine Einigung der Abgeordneten. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz muss noch vom Präsidentschaftsrat gebilligt werden, in dem jeder der drei Mitglieder – der Sunnit Haschemi, der Schiit Adel Abdul Mahdi und der kurdische Vorsitzende des Rats, Jalal Talabani – das Vetorecht besitzt. Hatte man sich auf einen Kompromiß über die größte Streitfrage, die multi-ethnische Ölstadt Kirkuk geeinigt, der das explosive Problem vorerst beiseite schiebt, so tauchen nun andere Hürden auf.
Haschemi fordert eine höhere Quote von Parlamentssitzen für die im Ausland lebenden Iraker. Er werde kein Gesetz zulassen, „dass der Verfassung und den Grundsätzen der Gerechtigkeit widerspricht, egal welcher Preis dafür gezahlt werden muss“, bekräftigte der mit dem schiitischen Premier Nuri al Maliki eng kooperierende Vizepräsident. Durch seine Position riskiert er nicht nur den Ärger der USA, sondern auch scharfe Kritik von irakischer Seite, die ihn für ein mögliches Scheitern der Wahlen und damit auch des politischen Stabilisierungsprozesses verantwortlich machen könnten. Die unabhängige Wahlkommission hat nun ihre Vorbereitungen gestoppt und es ist fraglich, ob sie die organisatorische Arbeit überhaupt noch rechtzeitig bis Ende Januar fertig stellen kann.
In dem vom Parlament verabschiedeten Gesetzestext werden fünf Prozent der Parlamentssitze für Exiliraker vorgesehen, ebenso viele wie für die Minderheiten des Landes. Haschemi aber fordert 15 Prozent, was seiner Überzeugung nach der hohen Zahl der im Ausland lebenden Iraker weit mehr entspräche. Das neue Gesetz sieht vor, dass je 100.000 im Irak lebende Bürger durch einen Abgeordneten vertreten werden müssen.Eine von vielen Schwierigkeiten bei der Lösung dieser Frage besteht darin, dass niemand die genauen Zahlen der Exil-Iraker kennt. Angaben schwanken von eineinhalb- bis vier Millionen (so Haschemi). Die überwiegende Mehrheit der seit dem Sturz Saddams geflüchteten Iraker sind – wie Haschemi – Sunniten, die ihre staatstragende Rolle im Land an die schiitische Mehrheit abgeben mussten. Nachdem Maliki auf US-Druck in den vergangenen Monaten intensiv versucht hatte, die Sunniten, die die ersten Parlamentswahlen boykottiert hatten, wieder voll in den politischen Prozeß einzubinden, befürchten diese nun erneut an den Rand des politischen Geschehens gedrängt zu werden, die weitere Dominanz der Schiiten in Bagdad abzusichern.
Mit seinem Vorschlag, so Haschemi, wolle er „dem Begriff des politischen Pluralismus Nachdruck verleihen und eine Monopolisierung der politischen Szene“ verhindern.
Noch kritischer für ein neues Wahlgesetz erweist sich allerdings die Position der Kurden, die dem Text in Parlament ursprünglich zugestimmt hatten, ohne dass sie nach eigenen Angaben die Details hätten genau studieren können. Nun stellte sich jedoch heraus, dass auch die für die Kurden vorgesehene Quote von Parlamentssitzen deren Vorstellungen keineswegs entspricht. Sollte dies nicht geändert werden, droht der Präsident Kurdistans, Massoud Barzani, einen Wahlboykott an.
Das neue Gesetz sieht eine Erhöhung der Mandatszahl von 275 auf 323, um damit dem Bevölkerungswachstum gerecht zu werden, doch die Kurden sollen für ihre drei autonomen Provinzen nur drei Sitze mehr und damit insgesamt 38 Sitze erhalten. Sie hatten 17 zusätzliche Mandate gefordert und verweisen nun darauf, dass andere Provinzen, wie etwa Niniveh 12 und Basra acht zusätzliche Mandat erhalten würden.
Unklar ist, ob nun nur Haschemis offizieller Einwand vom Parlament diskutiert wird oder ob auch die Anliegen der Kurden und andere Streitpunkte erneut aufgeworfen werden und damit erneut ein langwieriger Streit beginnt. Als Alternative zu einem Kompromiß bietet sich den Abgeordneten immer noch das alte Wahlgesetz an, das ein „geschlossenes System“ vorsieht, individuelle Kandidaturen nicht ermöglicht und damit die großen Parteien stark favorisiert. Schon ist wieder von einem Komplott die Rede, um gravierende Veränderungen der politischen Landschaft zu verhindern.
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Montag, 16. November 2009
JEMEN: Im Jemen tickt eine Zeitbombe
Rebellionen, eine erstarkende Al-Kaida und nun auch Saudi-Arabiens militärisches Engagement drohen den Zerfall des Landes zu beschleunigen – Enorme Gefahren für die Region
von Birgit Cerha
Jemen, das „Arabia Felix“ der Römer, das Land der Königin von Saba, das der Welt Weihrauch, Gewürze, Kaffee und viele Legenden schenkte, hat gierige Eroberer stets mit großer Feindseligkeit empfangen. In der Geschichte der internationalen Gemeinschaft spielte dieses wilde Gebirgsland keine Rolle. Das könnte sich nun rasch radikal ändern.
Kaum ein Herrscher konnte je diese stolz ihre Eigenständigkeit verteidigende Stammesgesellschaft unterwerfen und kontrollieren. Die Führer in Sanaa aber verstanden es immer, sich und ihr Land irgendwie durchzuwursteln. Nicht mehr.
Zu viele Krisen auf einmal bedrängen das Regime Präsident Ali Abdullah Salehs. Der eskalierende Krieg gegen die Zaidi-Rebellen im Norden, der nun den saudischen Nachbarn mit hineinzog und deren regionalpolitischen Rivalen Iran alarmiert, Rebellion im Süden, staatliche Hilflosigkeit angesichts wachsenden islamistischen Terrors, einer erstarkenden Al-Kaida, poröse Grenzen, die das Land zum Paradies für Waffenschmuggler machen und korrupte Kräfte in das lukrative „Geschäft“ der Piraterie in einer der wichtigsten Seerouten ziehen, eine gravierende ökonomische Krise mit drohender sozialer Explosion untergraben die Reste von Macht einer Zentralregierung, die in ihrer Konzeptlosigkeit zu brutaler Gewalt Zuflucht sucht und damit zur Eskalation der Krisen beiträgt. Nun ist auch die internationale Gemeinschaft alarmiert. Denn dieses volksreichste Land auf der Arabischen Halbinsel beschreitet gefährlich rasch den Weg Somalias jenseits des Golfs von Aden zum „Failed State“, mit bedrohlichen Auswirkungen weit über die gesamte Region hinaus.
In dieser Situation beschert das reiche und doch so ängstliche Saudi-Arabien dem bedrängten Präsidenten eine hochwillkommene Atempause. „Endlich kann Saleh schlafen“ betitelt Hakim Almasmari in seiner „Yemen Post“ einen Kommentar zur ersten und für alle so unerwarteten, kriegerischen Verwicklung des nördlichen Nachbarn seit fünf Jahrzehnten. „Ein Traum hat sich erfüllt“ nach fünf Jahren verzweifelter Versuche der Regierungssoldaten, die Rebellion im Norden niederzuschlagen. Nun könne der Nachbar, der durch seine Unterstützung von fundamentalistischen Salafis im Norden den Konflikt geschürt hätte, seine so gerühmten Anti-Terror-Taktiken mit seinen „eingerosteten“ Streitkräften gegen die hoch motivierten Rebellen, die gar nichts zu verlieren hätten, unter Beweis stellen.
Seit Tagen bombardiert die saudische Armee das von Rebellen kontrollierte Grenzgebiet, um in einem zehn Kilometer breiten Streifen eine „Todeszone“ zu errichten „für all jene, die es wagen (in das Königreich) einzudringen“, so Prinz Khaled bin Sultan, stellvertretender Verteidigungsminister. 240 Dörfer wurden laut Kinderhilfswerk UNICEF evakuiert, Spitäler zerstört, an die 50 Schulen geschlossen. Internationale Hilfsorganisationen sprechen von einer beginnenden humanitären Katastrophe in der weitgehend von der Außenwelt abgeschnittenen Region.
Beide Seiten verteidigen ihre Positionen mit widersprüchlicher Darstellung. Wer kennt die Wahrheit? Die jemenitischen Kämpfer, genannt Huthis, behaupten, die Saudis hätten jemenitischen Regierungssoldaten Zugang zu Hügeln auf ihrem Territorium ermöglicht, um ihnen einen wichtigen strategischen Vorteil gegen die Rebellen zu verschaffen. Nach gescheiterten Geheimverhandlungen mit saudischen Grenzpolizisten sei den Huthis keine Wahl mehr geblieben, als gewaltsam Teile des Doukhan-Bergzugs entlang der Grenze unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Saudis werfen den Huthis, sowie Al-Kaida-Terroristen Infiltration in ihr Hoheitsgebiet vor. Im April meldete Raid die Festnahme von elf Terroristen, die, ausgestattet mit Bestandteilen für 30 Selbstmordwesten vom Jemen aus in das Königreich eingedrungen seien. Seit im September ein Anschlag auf den stellvertretenden Innenminister, Prinz Mohammed bin Nayef, nur knapp fehlschlug, herrscht in Riad höchste Nervosität angesichts des wachsenden Chaos im Nachbarstaat, aus dem sich der Selbstmordattentäter eingeschlichen hatte.
Mehrere saudische Soldaten kamen bereits ums leben und die Huthis kämpfen voll Energie gegen saudische Pläne, die 1.500 km lange Grenze durch einen Zaun abzuriegeln und damit die traditionellen Kontakte zwischen Familienmitgliedern auf beiden Seite zu blockieren. Die saudischen Bombardierungen aber haben nicht nur unter den Huthis, auch in anderen Teilen des Jemen die Stimmung gegen das Königreich aufgebracht.
Die Wurzeln dieses Konflikts reichen tief in die zeitgenössische Geschichte des Jemens. Die Huthis gaben sich den Namen nach ihrem ersten Militärkommandanten und prominenten religiösen Gelehrten, Hussein Badr al Din al Huthi, der bei den ersten Kämpfen mit Regierungssoldaten im September 2004 getötet wurde. Seither werden die Huthi-Milizen von Husseins Bruder Abdul Malek geleitet. Wiederholt brachen Waffenstillstände mit Regierungssoldaten zusammen.
Die Houthis sind Zaidis, Angehörige einer schiitischen Glaubensrichtung, zu der sich die Mehrheit der Bevölkerung des Nord-Jemen bekennt. Im gesamten Land stellen sie ein Drittel der Bewohner. Die Zaidis stehen in Glaubens- und Sittenfragen den Sunniten des Jemen, mit denen sie stets weitgehend in Harmonie gelebt hatten, viel näher als den „Zwölferschiiten“ des Irans. So wird auch der Zaidismus häufig als die „Fünfte Schule“ des sunnitischen Islam bezeichnet.
Sanaa verdächtigt die Rebellen, sie strebten die Wiedererrichtung des tausendjährigen zaiditischen Imamats an, das 1962 mit Hilfe ägyptischer Truppen gestürzt wurde. Die Imame galten als Saiyid (direkte Nachkommen Mohammeds) und diesen Titel beansprucht auch Abdul Malek al Huthi. Saada, die Hauptstadt des Nordens, war die letzte Region gewesen, die sich den republikanischen Gruppen ergeben hatte, und viele Zaidis sind davon überzeugt, dass sie bis heute den Preis für ihren langen Widerstand – in Form von gravierender ökonomischer und sozialer Vernachlässigung durch Sanaa – bezahlen. Der Aufstand hat damit zutiefst politische und soziale Wurzeln. Die Huthis betrachten sich als Verteidiger ihrer diskriminierten Bevölkerungsgruppe, die zudem auch kulturell und religiös massiv in Bedrängnis kommt, seit Saleh, seiner Politik des „Teile und Herrsche“ folgend, mit saudischer Finanzhilfe sunnitisch-fundamentalistische Salafis als Prediger in den Norden schickte, damit sie die Zaidis „bekehrten“. Diese Strategie trug allerdings nur dazu bei, den Widerstandsgeist der Huthis zu stärken, während Abdul Malek jede Absicht einer Wiederbelebung des Imamats energisch leugnet.
Die Rebellion war anfänglich auf kleine Kreise um die Huthis beschränkt. Doch zutiefst alarmiert, die Unfähigkeit der Regierungssoldaten, den Aufstand niederzuschlagen, könnte die erstarkenden Sezessionisten im Süd-Jemen zu ähnlichen Taten ermutigen, entschied sich Saleh im August zu einem Feldzug der „verbrannten Erde“. „Ausrotten wo und wie auch immer“ lautet die Devise. Tägliche Bombardierungen aus der Luft, laut Huthis auch mit Phosphor, treffen vor allem Zivilisten. 750.000 Menschen wurden seit 2004 in die Flucht getrieben, Infrastruktur, Felder und Ernten teilweise zerstört und das wachsende Elend stärkt die Animositäten gegen Saleh. So schließen sich immer mehr autonome Stämme in Saada und Nachbarregionen den Huthis an.
So manche ausländische Beobachter sehen den Jemen bereits als Schlachtfeld eines Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien. Tatsächlich befürchten die Saudis, die Huthis könnten in eine Rolle schlüpfen, wie sie die schiitische Hisbollah im Libanon seit Jahren tatkräftig ausübt: vom Iran unterstützt, den Gegner des „Gottesstaates“ (im Fall des Libanon Israel, im Fall des Jemen Saudi-Arabien) massiv unter Druck zu setzen. Saleh versucht in alter Manier, solche Gerüchte nach Kräften zu nähren, um sich damit internationale Aufmerksamkeit und westliche (vor allem amerikanische) Unterstützung für den „Anti-Terror-Kampf“ zu sichern. Einen wichtigen Erfolg errang er nun, als die USA die Huthis auf ihre Terror-Liste setzten.
Doch gut informierte Kreise am Golf weisen darauf hin, dass die Rebellen, die energisch jegliche Hilfe des Irans leugnen, ihren Krieg durch lokale Steuern und Unterstützung von Auslands-Jemeniten, insbesondere in Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten, finanzieren. Beweise für iranische Verwicklung, wie dies Saleh und die Saudis behaupten, gibt es bisher keine. Doch dies kann sich rasch ändern. Schon sprechen Kenner der Region von der Gefahr einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“. Die Saudis, so scheint es, haben durch ihr militärisches Einschreiten den Iranern die Tür zum Jemen geöffnet. So bietet Außenminister Mottaki Saleh „Hilfe“ zur Stabilisierung des Landes an und der einflussreiche Ayatollah Jannati nützt die Gelegenheit, um Riad die Tötung von Schiiten (Huthis) und die Schließung schiitischer Moscheen im Königreich vorzuwerfen. Die verbale Konfrontation eskaliert zwischen den beiden Staaten, die sich gegenseitig als das größte Hindernis für ihre jeweilig erstrebte Vorherrschaft am Golf empfinden.
Kernproblem in diesem gefährlichen Krisenherd ist eine äußerst geschwächte und zutiefst korrupte Zentralregierung, die ihre Ressourcen in einen militärisch nicht zu gewinnenden, durch das saudische Einschreiten nun gefährlich eskalierenden Krieg steckt, statt in die dringend nötige Entwicklung dieses ärmsten aller arabischen Staaten. Aus Afghanistan, Pakistan und Saudi-Arabien vertriebene Al-Kaida Extremisten finden im wachsenden Chaos neuen Unterschlupf und wachsenden Zulauf unter einer bitterarmen Jugend ohne Zukunft. Sollte der Jemen zerfallen, hätte dies unabsehbare Folgen für die gesamte Region.
(Erschienen im Rheinischen Merkur am 19.11.2009)
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von Birgit Cerha
Jemen, das „Arabia Felix“ der Römer, das Land der Königin von Saba, das der Welt Weihrauch, Gewürze, Kaffee und viele Legenden schenkte, hat gierige Eroberer stets mit großer Feindseligkeit empfangen. In der Geschichte der internationalen Gemeinschaft spielte dieses wilde Gebirgsland keine Rolle. Das könnte sich nun rasch radikal ändern.
Kaum ein Herrscher konnte je diese stolz ihre Eigenständigkeit verteidigende Stammesgesellschaft unterwerfen und kontrollieren. Die Führer in Sanaa aber verstanden es immer, sich und ihr Land irgendwie durchzuwursteln. Nicht mehr.
Zu viele Krisen auf einmal bedrängen das Regime Präsident Ali Abdullah Salehs. Der eskalierende Krieg gegen die Zaidi-Rebellen im Norden, der nun den saudischen Nachbarn mit hineinzog und deren regionalpolitischen Rivalen Iran alarmiert, Rebellion im Süden, staatliche Hilflosigkeit angesichts wachsenden islamistischen Terrors, einer erstarkenden Al-Kaida, poröse Grenzen, die das Land zum Paradies für Waffenschmuggler machen und korrupte Kräfte in das lukrative „Geschäft“ der Piraterie in einer der wichtigsten Seerouten ziehen, eine gravierende ökonomische Krise mit drohender sozialer Explosion untergraben die Reste von Macht einer Zentralregierung, die in ihrer Konzeptlosigkeit zu brutaler Gewalt Zuflucht sucht und damit zur Eskalation der Krisen beiträgt. Nun ist auch die internationale Gemeinschaft alarmiert. Denn dieses volksreichste Land auf der Arabischen Halbinsel beschreitet gefährlich rasch den Weg Somalias jenseits des Golfs von Aden zum „Failed State“, mit bedrohlichen Auswirkungen weit über die gesamte Region hinaus.
In dieser Situation beschert das reiche und doch so ängstliche Saudi-Arabien dem bedrängten Präsidenten eine hochwillkommene Atempause. „Endlich kann Saleh schlafen“ betitelt Hakim Almasmari in seiner „Yemen Post“ einen Kommentar zur ersten und für alle so unerwarteten, kriegerischen Verwicklung des nördlichen Nachbarn seit fünf Jahrzehnten. „Ein Traum hat sich erfüllt“ nach fünf Jahren verzweifelter Versuche der Regierungssoldaten, die Rebellion im Norden niederzuschlagen. Nun könne der Nachbar, der durch seine Unterstützung von fundamentalistischen Salafis im Norden den Konflikt geschürt hätte, seine so gerühmten Anti-Terror-Taktiken mit seinen „eingerosteten“ Streitkräften gegen die hoch motivierten Rebellen, die gar nichts zu verlieren hätten, unter Beweis stellen.
Seit Tagen bombardiert die saudische Armee das von Rebellen kontrollierte Grenzgebiet, um in einem zehn Kilometer breiten Streifen eine „Todeszone“ zu errichten „für all jene, die es wagen (in das Königreich) einzudringen“, so Prinz Khaled bin Sultan, stellvertretender Verteidigungsminister. 240 Dörfer wurden laut Kinderhilfswerk UNICEF evakuiert, Spitäler zerstört, an die 50 Schulen geschlossen. Internationale Hilfsorganisationen sprechen von einer beginnenden humanitären Katastrophe in der weitgehend von der Außenwelt abgeschnittenen Region.
Beide Seiten verteidigen ihre Positionen mit widersprüchlicher Darstellung. Wer kennt die Wahrheit? Die jemenitischen Kämpfer, genannt Huthis, behaupten, die Saudis hätten jemenitischen Regierungssoldaten Zugang zu Hügeln auf ihrem Territorium ermöglicht, um ihnen einen wichtigen strategischen Vorteil gegen die Rebellen zu verschaffen. Nach gescheiterten Geheimverhandlungen mit saudischen Grenzpolizisten sei den Huthis keine Wahl mehr geblieben, als gewaltsam Teile des Doukhan-Bergzugs entlang der Grenze unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Saudis werfen den Huthis, sowie Al-Kaida-Terroristen Infiltration in ihr Hoheitsgebiet vor. Im April meldete Raid die Festnahme von elf Terroristen, die, ausgestattet mit Bestandteilen für 30 Selbstmordwesten vom Jemen aus in das Königreich eingedrungen seien. Seit im September ein Anschlag auf den stellvertretenden Innenminister, Prinz Mohammed bin Nayef, nur knapp fehlschlug, herrscht in Riad höchste Nervosität angesichts des wachsenden Chaos im Nachbarstaat, aus dem sich der Selbstmordattentäter eingeschlichen hatte.
Mehrere saudische Soldaten kamen bereits ums leben und die Huthis kämpfen voll Energie gegen saudische Pläne, die 1.500 km lange Grenze durch einen Zaun abzuriegeln und damit die traditionellen Kontakte zwischen Familienmitgliedern auf beiden Seite zu blockieren. Die saudischen Bombardierungen aber haben nicht nur unter den Huthis, auch in anderen Teilen des Jemen die Stimmung gegen das Königreich aufgebracht.
Die Wurzeln dieses Konflikts reichen tief in die zeitgenössische Geschichte des Jemens. Die Huthis gaben sich den Namen nach ihrem ersten Militärkommandanten und prominenten religiösen Gelehrten, Hussein Badr al Din al Huthi, der bei den ersten Kämpfen mit Regierungssoldaten im September 2004 getötet wurde. Seither werden die Huthi-Milizen von Husseins Bruder Abdul Malek geleitet. Wiederholt brachen Waffenstillstände mit Regierungssoldaten zusammen.
Die Houthis sind Zaidis, Angehörige einer schiitischen Glaubensrichtung, zu der sich die Mehrheit der Bevölkerung des Nord-Jemen bekennt. Im gesamten Land stellen sie ein Drittel der Bewohner. Die Zaidis stehen in Glaubens- und Sittenfragen den Sunniten des Jemen, mit denen sie stets weitgehend in Harmonie gelebt hatten, viel näher als den „Zwölferschiiten“ des Irans. So wird auch der Zaidismus häufig als die „Fünfte Schule“ des sunnitischen Islam bezeichnet.
Sanaa verdächtigt die Rebellen, sie strebten die Wiedererrichtung des tausendjährigen zaiditischen Imamats an, das 1962 mit Hilfe ägyptischer Truppen gestürzt wurde. Die Imame galten als Saiyid (direkte Nachkommen Mohammeds) und diesen Titel beansprucht auch Abdul Malek al Huthi. Saada, die Hauptstadt des Nordens, war die letzte Region gewesen, die sich den republikanischen Gruppen ergeben hatte, und viele Zaidis sind davon überzeugt, dass sie bis heute den Preis für ihren langen Widerstand – in Form von gravierender ökonomischer und sozialer Vernachlässigung durch Sanaa – bezahlen. Der Aufstand hat damit zutiefst politische und soziale Wurzeln. Die Huthis betrachten sich als Verteidiger ihrer diskriminierten Bevölkerungsgruppe, die zudem auch kulturell und religiös massiv in Bedrängnis kommt, seit Saleh, seiner Politik des „Teile und Herrsche“ folgend, mit saudischer Finanzhilfe sunnitisch-fundamentalistische Salafis als Prediger in den Norden schickte, damit sie die Zaidis „bekehrten“. Diese Strategie trug allerdings nur dazu bei, den Widerstandsgeist der Huthis zu stärken, während Abdul Malek jede Absicht einer Wiederbelebung des Imamats energisch leugnet.
Die Rebellion war anfänglich auf kleine Kreise um die Huthis beschränkt. Doch zutiefst alarmiert, die Unfähigkeit der Regierungssoldaten, den Aufstand niederzuschlagen, könnte die erstarkenden Sezessionisten im Süd-Jemen zu ähnlichen Taten ermutigen, entschied sich Saleh im August zu einem Feldzug der „verbrannten Erde“. „Ausrotten wo und wie auch immer“ lautet die Devise. Tägliche Bombardierungen aus der Luft, laut Huthis auch mit Phosphor, treffen vor allem Zivilisten. 750.000 Menschen wurden seit 2004 in die Flucht getrieben, Infrastruktur, Felder und Ernten teilweise zerstört und das wachsende Elend stärkt die Animositäten gegen Saleh. So schließen sich immer mehr autonome Stämme in Saada und Nachbarregionen den Huthis an.
So manche ausländische Beobachter sehen den Jemen bereits als Schlachtfeld eines Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien. Tatsächlich befürchten die Saudis, die Huthis könnten in eine Rolle schlüpfen, wie sie die schiitische Hisbollah im Libanon seit Jahren tatkräftig ausübt: vom Iran unterstützt, den Gegner des „Gottesstaates“ (im Fall des Libanon Israel, im Fall des Jemen Saudi-Arabien) massiv unter Druck zu setzen. Saleh versucht in alter Manier, solche Gerüchte nach Kräften zu nähren, um sich damit internationale Aufmerksamkeit und westliche (vor allem amerikanische) Unterstützung für den „Anti-Terror-Kampf“ zu sichern. Einen wichtigen Erfolg errang er nun, als die USA die Huthis auf ihre Terror-Liste setzten.
Doch gut informierte Kreise am Golf weisen darauf hin, dass die Rebellen, die energisch jegliche Hilfe des Irans leugnen, ihren Krieg durch lokale Steuern und Unterstützung von Auslands-Jemeniten, insbesondere in Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten, finanzieren. Beweise für iranische Verwicklung, wie dies Saleh und die Saudis behaupten, gibt es bisher keine. Doch dies kann sich rasch ändern. Schon sprechen Kenner der Region von der Gefahr einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“. Die Saudis, so scheint es, haben durch ihr militärisches Einschreiten den Iranern die Tür zum Jemen geöffnet. So bietet Außenminister Mottaki Saleh „Hilfe“ zur Stabilisierung des Landes an und der einflussreiche Ayatollah Jannati nützt die Gelegenheit, um Riad die Tötung von Schiiten (Huthis) und die Schließung schiitischer Moscheen im Königreich vorzuwerfen. Die verbale Konfrontation eskaliert zwischen den beiden Staaten, die sich gegenseitig als das größte Hindernis für ihre jeweilig erstrebte Vorherrschaft am Golf empfinden.
Kernproblem in diesem gefährlichen Krisenherd ist eine äußerst geschwächte und zutiefst korrupte Zentralregierung, die ihre Ressourcen in einen militärisch nicht zu gewinnenden, durch das saudische Einschreiten nun gefährlich eskalierenden Krieg steckt, statt in die dringend nötige Entwicklung dieses ärmsten aller arabischen Staaten. Aus Afghanistan, Pakistan und Saudi-Arabien vertriebene Al-Kaida Extremisten finden im wachsenden Chaos neuen Unterschlupf und wachsenden Zulauf unter einer bitterarmen Jugend ohne Zukunft. Sollte der Jemen zerfallen, hätte dies unabsehbare Folgen für die gesamte Region.
(Erschienen im Rheinischen Merkur am 19.11.2009)
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Montag, 9. November 2009
IRAN: Wilde Stürme gefährden Irans Atomdeal
Tiefsitzendes Misstrauen der Iraner gegenüber dem Westen und interne Machtkämpfe stehen einem Kompromiss im Streit um das Nuklearprogramm im Wege
Nein, Amerikas „maskiertes Lächeln“ könne eine „solch große Nation mit ihren erfahrenen, (vom Volk) gewählten Führern nicht täuschen“. Nur Naive könnten nicht erkennen, dass US-Präsident Obama von „imperialistischem Geist“ getrieben werde und einen gezückten Dolch hinter seinem Rücken verberge. Die Verhandlungen mit den USA und den vier anderen Ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates, sowie Deutschland (P5+1) über einen Ausweg aus der Atomkrise seien schlicht „naiv und pervers“. Kaum schärfer hätte der jüngste Kommentar des „Geistlichen Führers“ Ali Khamenei zu den internationalen Bemühungen ausfallen können, eine Lösung des Streits über das iranische Atomprogramm zu finden. Solche Worte verheißen nichts Gutes, zumal sie unter anderen iranischen Führern lautes Echo finden.
Dennoch dringt Widersprüchliches aus dem „Gottesstaat“. Die am 1. Oktober so hoffnungsvoll begonnenen Gespräche seien keineswegs gescheitert, beteuert der sich sonst so radikal präsentierende Präsident Ahmadinedschad. Teheran strebe lediglich Änderungen im Schlichtungsvorschlag der Internationalen Atomenergiebhörde (IAEA) an.
Einflußreiche Parlamentsabgeordnete, wie Alaeddin Borudscherdi bekräftigten allerdings ihre Entschlossenheit, unser bereits angereichertes Uran nicht“ abzugeben. Nach dem von IAEA-Cherf Baradei präsentierten Schlichtungsvorschlag soll der Iran bis zum Jahresende 1200 von den insgesamt 1500 kg leicht angereicherten Urans zur weiteren Anreicherung nach Frankreich oder Russland unter der Auflage liefern, dass es den Iranern für einen medizinischen Forschungsreaktor wieder zur Verfügung steht. Damit soll verhindert werden, dass der Iran das Uran selbst weiter anreichert und sich damit die Basis für die Entwicklung von Atomwaffen verschafft.
Während die „P5+1“ Baradeis Ideen längst zugestimmt haben, ließ der Iran die gesetzte Frist für eine Antwort verstreichen. Die Taktik ist altbekannt. Seit Beginn der Atomkrise vor sieben Jahren immer wieder das selbe Muster: zunächst generelles Ja zu Vorschlägen, dann Nein, dann vielleicht Ja zu einigen Punkten, jedoch wieder Nein, gefolgt von Drängen auf mehr Zeit zum Nachdenken, schließlich ein Gegenvorschlag, dann Beteuerung der Kooperationsbereitschaft, kurz darauf Bekräftigung der „nationalen Rechte“, die der „Gottesstaat“ „niemals“ aufzugeben gedenke und schließlich wieder ein paar „Brosamen“ für den großen Mächte, um einen Krach abzuwenden und das Verhandlungstor offen zu halten.
Der Verzögerungen überdrüssig, verschärfen Irans Kontrahenten nun den Druck. Mitte November wird die IAEA entscheiden, ob der Iran durch den Bau der geheimen Atomanlage „Fordo“ nahe der „heiligen Stadt“ Qom internationale Verpflichtungen verletzt habe und der Weltsicherheitsrat deshalb über Sanktionen entscheiden solle. Baradei allerdings beschwichtigt: Seine Inspektoren hätten bei der ersten Besichtigung „nichts Beunruhigendes“, feststellen können. „Fordo“ dürfte als „Bunker“ dienen, um „Dinge“ gegen möglich Angriffe (etwa der Israelis) zu schützen. Laut oppositionellen Mudschaheddin besteht die von westlichen Geheimagenten bereits vor drei Jahren entdeckte Anlage in einem hügeligen Gelände aus einer Serie miteinander verbundenen Tunnels, die zur Produktion von Sprengköpfen dienten. Westliche Experten halten jedoch die Tunnels für zu klein, um ein Atomkraftwerk zu betreiben, doch groß genug, um dort spaltbares Material für ein oder zwei Atomsprengköpfe pro Jahr zu lagern.
Die Bedeutung von „Fordo“ liegt vor allem darin, dass der Iran damit seine ungebrochene Entschlossenheit beweise, geheime Einrichtungen zu schaffen, die für die Produktion von Atomwaffen genützt werden könnten. Ebenso sind brisante Details zu werten, die jetzt aus dem IAEA-Bericht Möglichkeiten militärischer Dimensionen des iranischen Atomprogramms“ bekannt wurden. Danach gäbe es Hinweise, dass der Iran an einer Technologie für fortgeschrittene Atomsprengköpfe experimentiert hätte. Die sogenannte „Zweipunkt-Implosion“ ermöglicht die Produktion kleinerer, einfacherer Sprengköpfe, die an Bord einer Rakete ins Ziel gebracht werden könnten. Zugleich tauchen Berichte über eine starke Ausweitung der Uran.Förderung in der iranischen Gachin-Mine auf. Die produzierte Menge übersteige den Bedarf für ein ziviles Atomprogramm bei weitem.
Solche Informationen dienen zweifellos dazu, Teheran zu einer klaren Position zu zwingen. Während die Führer der „Islamischen Republik“ mit ihrer Hinhaltetaktik in der Vergangenheit internationalen Druck und Strafsanktionen abzuschwächen suchten, gleichzeitig aber – wie auch jetzt - von der Grundposition ihres souveränen Rechtes auf atomare Forschung, keinen Iota abrückten, handelt es sich diesmal nicht ausschließlich um altbewährte Verzögerungsstrategie. Vielmehr entspringt Irans Verwirrspiel der schweren innenpolitischen Krise, die auch fünf Monate nach den Turbulenzen um die manipulierten Präsidentschaftswahlen der Führung schwer zu schaffen macht. Die Krise innerhalb der herrschenden Elite hat sich sogar noch verschärft und jede der miteinander rivalisierenden Gruppierungen versucht den Streit um das Atomprogramm zur Stärkung und Konsolidierung ihrer eigenen Position zu nutzen.
Und dabei scheinen sich die Fronten erstaunlich zu verschieben. Mit einem Schlag hat sich der Präsident, „Irans Gesicht der Konfrontation“, zum Vorreiter des Dialogs gewandelt, in der Hoffnung, dass seine schwer angeschlagene Macht durch ein Atom-Abkommen neue Stärke gewinne. Zugleich sehen Ahmadinedschad und seine Clique Neoradikaler in der heftigen Diskussion über das Atomprogramm die Chance, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Glücklich über Washingtons Beharren auf Verhandlungen mit dem Iran, präsentiert sich der Präsident als geschickter Diplomat, der durch seine Härte der vergangenen Jahre die „P5+1“ zu Zugeständnissen zwingen konnte.
Ahmadinedschad hat fast die gesamte Intelligenz, die Studenten gegen sich. Gelingt ihm ein Durchbruch im Atomstreit, der Beginn einer Annäherung an die USA, dann bestünde durchaus die Chance, viele seiner Kritiker auf seine Seite zu ziehen. Genau dies aber wollen die politischen Rivalen und Gegner unter allen Umständen verhindern. Und hier stehen die pragmatischen Konservativen, allen voran der mächtige Parlamentspräsident Ali Laridschani und dessen Bruder und Justizchef Sadegh Laridschani mit den Reformern auf einer Seite. Sie alle kritisieren Baradeis Kompromissvorschlag, warnen vor den „Täuschungsmanövern“ der großen Mächte, „um in den Besitz des vom Iran angereicherten Urans zu gelangen“ (so Ali Laridschani). Der Führer der oppositionellen „Grünen Bewegung“, Mussawi, wirft Ahmadinedschad mangelnden Nationalismus vor.
Zugleich aber droht unter den Studenten, den nach Reformen drängenden Massen, die sich seit langem nach Versöhnung mit den USA sehnen, ein Stimmungsumschwung einzusetzen. Gewährt nicht Washington diesem umstrittenen Präsidenten, die so dringend benötigte Anerkennung, die ihm daheim so viele verwehren und schwächt damit zugleich die oppositionelle Strömung? „Obama, Obama, entweder du bist mit ihnen (der Ahmadinedschad-Clique) oder mit uns“, brüllten Demonstranten in der Vorwoche. Viele, darunter auch prominente Menschenrechtsaktivisten, befürchten, die Ideale von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten würden durch amerikanischen „Verhandlungs-Übereifer“ katastrophal auf der Strecke bleiben. Sollten die „P-5+1“ weiterhin die „nackte Gewalt“ ignorieren, die das Regime gegen die demokratische Bewegung einsetze, könnte die USA das ihnen am freundlichsten gesinnte Volk im gesamten Mittleren Osten vollends verlieren, warnen Oppositionelle.
Solche Aspekte freilich kümmern die Führer des „Gottesstaates“ wenig. Khamenei, der das letzte Wort in schicksalhaften Fragen hat, konzentriert sich derzeit voll auf die Wiederherstellung seiner schwer angeschlagenen Glaubwürdigkeit. In dieser Situation hat er keinerlei Interesse, sich für einen Kompromiss einzusetzen, der weithin als „Schädigung nationaler Würde“ interpretiert wird.
So droht die Schwäche des Regimes eine „einzigartige Chance“ (so Baradei) für den Iran, für den Mittleren Osten, für die internationale Gemeinschaft zu Fall zu bringen.
Erschienen am 12.11.2009 im Rheinischen Merkur.
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Nein, Amerikas „maskiertes Lächeln“ könne eine „solch große Nation mit ihren erfahrenen, (vom Volk) gewählten Führern nicht täuschen“. Nur Naive könnten nicht erkennen, dass US-Präsident Obama von „imperialistischem Geist“ getrieben werde und einen gezückten Dolch hinter seinem Rücken verberge. Die Verhandlungen mit den USA und den vier anderen Ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates, sowie Deutschland (P5+1) über einen Ausweg aus der Atomkrise seien schlicht „naiv und pervers“. Kaum schärfer hätte der jüngste Kommentar des „Geistlichen Führers“ Ali Khamenei zu den internationalen Bemühungen ausfallen können, eine Lösung des Streits über das iranische Atomprogramm zu finden. Solche Worte verheißen nichts Gutes, zumal sie unter anderen iranischen Führern lautes Echo finden.
Dennoch dringt Widersprüchliches aus dem „Gottesstaat“. Die am 1. Oktober so hoffnungsvoll begonnenen Gespräche seien keineswegs gescheitert, beteuert der sich sonst so radikal präsentierende Präsident Ahmadinedschad. Teheran strebe lediglich Änderungen im Schlichtungsvorschlag der Internationalen Atomenergiebhörde (IAEA) an.
Einflußreiche Parlamentsabgeordnete, wie Alaeddin Borudscherdi bekräftigten allerdings ihre Entschlossenheit, unser bereits angereichertes Uran nicht“ abzugeben. Nach dem von IAEA-Cherf Baradei präsentierten Schlichtungsvorschlag soll der Iran bis zum Jahresende 1200 von den insgesamt 1500 kg leicht angereicherten Urans zur weiteren Anreicherung nach Frankreich oder Russland unter der Auflage liefern, dass es den Iranern für einen medizinischen Forschungsreaktor wieder zur Verfügung steht. Damit soll verhindert werden, dass der Iran das Uran selbst weiter anreichert und sich damit die Basis für die Entwicklung von Atomwaffen verschafft.
Während die „P5+1“ Baradeis Ideen längst zugestimmt haben, ließ der Iran die gesetzte Frist für eine Antwort verstreichen. Die Taktik ist altbekannt. Seit Beginn der Atomkrise vor sieben Jahren immer wieder das selbe Muster: zunächst generelles Ja zu Vorschlägen, dann Nein, dann vielleicht Ja zu einigen Punkten, jedoch wieder Nein, gefolgt von Drängen auf mehr Zeit zum Nachdenken, schließlich ein Gegenvorschlag, dann Beteuerung der Kooperationsbereitschaft, kurz darauf Bekräftigung der „nationalen Rechte“, die der „Gottesstaat“ „niemals“ aufzugeben gedenke und schließlich wieder ein paar „Brosamen“ für den großen Mächte, um einen Krach abzuwenden und das Verhandlungstor offen zu halten.
Der Verzögerungen überdrüssig, verschärfen Irans Kontrahenten nun den Druck. Mitte November wird die IAEA entscheiden, ob der Iran durch den Bau der geheimen Atomanlage „Fordo“ nahe der „heiligen Stadt“ Qom internationale Verpflichtungen verletzt habe und der Weltsicherheitsrat deshalb über Sanktionen entscheiden solle. Baradei allerdings beschwichtigt: Seine Inspektoren hätten bei der ersten Besichtigung „nichts Beunruhigendes“, feststellen können. „Fordo“ dürfte als „Bunker“ dienen, um „Dinge“ gegen möglich Angriffe (etwa der Israelis) zu schützen. Laut oppositionellen Mudschaheddin besteht die von westlichen Geheimagenten bereits vor drei Jahren entdeckte Anlage in einem hügeligen Gelände aus einer Serie miteinander verbundenen Tunnels, die zur Produktion von Sprengköpfen dienten. Westliche Experten halten jedoch die Tunnels für zu klein, um ein Atomkraftwerk zu betreiben, doch groß genug, um dort spaltbares Material für ein oder zwei Atomsprengköpfe pro Jahr zu lagern.
Die Bedeutung von „Fordo“ liegt vor allem darin, dass der Iran damit seine ungebrochene Entschlossenheit beweise, geheime Einrichtungen zu schaffen, die für die Produktion von Atomwaffen genützt werden könnten. Ebenso sind brisante Details zu werten, die jetzt aus dem IAEA-Bericht Möglichkeiten militärischer Dimensionen des iranischen Atomprogramms“ bekannt wurden. Danach gäbe es Hinweise, dass der Iran an einer Technologie für fortgeschrittene Atomsprengköpfe experimentiert hätte. Die sogenannte „Zweipunkt-Implosion“ ermöglicht die Produktion kleinerer, einfacherer Sprengköpfe, die an Bord einer Rakete ins Ziel gebracht werden könnten. Zugleich tauchen Berichte über eine starke Ausweitung der Uran.Förderung in der iranischen Gachin-Mine auf. Die produzierte Menge übersteige den Bedarf für ein ziviles Atomprogramm bei weitem.
Solche Informationen dienen zweifellos dazu, Teheran zu einer klaren Position zu zwingen. Während die Führer der „Islamischen Republik“ mit ihrer Hinhaltetaktik in der Vergangenheit internationalen Druck und Strafsanktionen abzuschwächen suchten, gleichzeitig aber – wie auch jetzt - von der Grundposition ihres souveränen Rechtes auf atomare Forschung, keinen Iota abrückten, handelt es sich diesmal nicht ausschließlich um altbewährte Verzögerungsstrategie. Vielmehr entspringt Irans Verwirrspiel der schweren innenpolitischen Krise, die auch fünf Monate nach den Turbulenzen um die manipulierten Präsidentschaftswahlen der Führung schwer zu schaffen macht. Die Krise innerhalb der herrschenden Elite hat sich sogar noch verschärft und jede der miteinander rivalisierenden Gruppierungen versucht den Streit um das Atomprogramm zur Stärkung und Konsolidierung ihrer eigenen Position zu nutzen.
Und dabei scheinen sich die Fronten erstaunlich zu verschieben. Mit einem Schlag hat sich der Präsident, „Irans Gesicht der Konfrontation“, zum Vorreiter des Dialogs gewandelt, in der Hoffnung, dass seine schwer angeschlagene Macht durch ein Atom-Abkommen neue Stärke gewinne. Zugleich sehen Ahmadinedschad und seine Clique Neoradikaler in der heftigen Diskussion über das Atomprogramm die Chance, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Glücklich über Washingtons Beharren auf Verhandlungen mit dem Iran, präsentiert sich der Präsident als geschickter Diplomat, der durch seine Härte der vergangenen Jahre die „P5+1“ zu Zugeständnissen zwingen konnte.
Ahmadinedschad hat fast die gesamte Intelligenz, die Studenten gegen sich. Gelingt ihm ein Durchbruch im Atomstreit, der Beginn einer Annäherung an die USA, dann bestünde durchaus die Chance, viele seiner Kritiker auf seine Seite zu ziehen. Genau dies aber wollen die politischen Rivalen und Gegner unter allen Umständen verhindern. Und hier stehen die pragmatischen Konservativen, allen voran der mächtige Parlamentspräsident Ali Laridschani und dessen Bruder und Justizchef Sadegh Laridschani mit den Reformern auf einer Seite. Sie alle kritisieren Baradeis Kompromissvorschlag, warnen vor den „Täuschungsmanövern“ der großen Mächte, „um in den Besitz des vom Iran angereicherten Urans zu gelangen“ (so Ali Laridschani). Der Führer der oppositionellen „Grünen Bewegung“, Mussawi, wirft Ahmadinedschad mangelnden Nationalismus vor.
Zugleich aber droht unter den Studenten, den nach Reformen drängenden Massen, die sich seit langem nach Versöhnung mit den USA sehnen, ein Stimmungsumschwung einzusetzen. Gewährt nicht Washington diesem umstrittenen Präsidenten, die so dringend benötigte Anerkennung, die ihm daheim so viele verwehren und schwächt damit zugleich die oppositionelle Strömung? „Obama, Obama, entweder du bist mit ihnen (der Ahmadinedschad-Clique) oder mit uns“, brüllten Demonstranten in der Vorwoche. Viele, darunter auch prominente Menschenrechtsaktivisten, befürchten, die Ideale von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten würden durch amerikanischen „Verhandlungs-Übereifer“ katastrophal auf der Strecke bleiben. Sollten die „P-5+1“ weiterhin die „nackte Gewalt“ ignorieren, die das Regime gegen die demokratische Bewegung einsetze, könnte die USA das ihnen am freundlichsten gesinnte Volk im gesamten Mittleren Osten vollends verlieren, warnen Oppositionelle.
Solche Aspekte freilich kümmern die Führer des „Gottesstaates“ wenig. Khamenei, der das letzte Wort in schicksalhaften Fragen hat, konzentriert sich derzeit voll auf die Wiederherstellung seiner schwer angeschlagenen Glaubwürdigkeit. In dieser Situation hat er keinerlei Interesse, sich für einen Kompromiss einzusetzen, der weithin als „Schädigung nationaler Würde“ interpretiert wird.
So droht die Schwäche des Regimes eine „einzigartige Chance“ (so Baradei) für den Iran, für den Mittleren Osten, für die internationale Gemeinschaft zu Fall zu bringen.
Erschienen am 12.11.2009 im Rheinischen Merkur.
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LIBYEN: Wie funktioniert Ghaddafi?
von Dr. Arnold Hottinger
Muammar Ghaddafi war ein sehr junger, eher schüchterner Offizier, als er 1969 zusammen mit 11 Kameraden durch einen unblutigen Coup die Macht über Libyen ergriff. Damals war die Arabische Einheit, so wie Nasser sie forderte, sein Ideal und seine einzige Ideologie. Er selbst und die damalige kollektive Führung Libyens arbeiteten intensiv daran, die ersehnte Einheit aller Araber zu verwirklichen. Doch die grosse Begeisterung für die arabische Einheit unter Nassers Führung war schon vorbei. Der israelische Sieg im Sechstagekrieg (1967) hatte ihr den Todesstoss versetzt. Ghaddafi tat, was er konnte, um die Idee wieder zu beleben. Doch es ging nicht. Nasser starb 1970, und kein arabischer Machthaber war bereit, seine eigene Machtposition für einen Zusammenschluss einzuschränken.
Ghaddafi ging 1977 dazu über, seine eigene Ideologie zu basteln. Er war überzeugt, wenn die arabischen Völker sich selbst regierten, würde die Einheit zustande kommen. Doch er selbst, Ghaddafi, wollte auch nicht von der Macht über Libyen weichen. Er richtete deshalb eine Scheindemokratie ein. Die Libyer sollten sich selbst regieren, aber er, Ghaddafi legte fest, wie sie es zu tun hätten.
Lange Jahre arbeitete Ghaddafi daran, sein "revolutionäres" System auch auf die Ausssenwelt auszudehnen. Er wollte die ganze arabische, ja die ganze Welt "revolutionieren" nach der Vorgabe seiner Ideologie. Durch blosse Propaganda war dies nicht zu erreichen. Ghaddafi unterstützte jahrelang mit seinen Erdölgeldern alle revolutionären Gruppen der arabischen und der weiteren Umwelt. Diese Gruppen suchten, meist mit blutigen Mitteln, ihre Ziele zu fördern und ihre Rivalen auszuschalten. Ghaddafi half ihnen dabei in Libyen und im Ausland. – Ab 1981 kam es zu Zusammenstössen mit den Vereinigten Staaten, die Libyen als einen terroristischen Staat ansahen. Präsident Regan liess Tripolis und Benghazi 1986 bombardieren. Ghaddafi selbst kam nur knapp mit dem Leben davon.
Ghaddafis Ideologie, die er in drei Grünen Büchern niederlegte, umfasste auch die Wirtschaftspolitik. In diesem Bereich, sah er sich 1988 zuerst gezwungen, von seiner Ideologie abzuweichen (sie forderte Kollektivisierung des gesamten Wirtschaftslebens), weil die Wirtschaft Libyens zusammenbrach. Auf Befehl Ghaddafis beschloss das Volk, doch wieder private Geschäfte zuzulassen.
Viel später von 1999 an sah sich Ghaddafi gezwungen, auch im aussenpolitischen Bereich nachzugeben. Eine Versöhnung mit den USA wurde notwendig, weil der internationale Boykott so stark auf der Oelförderung lastete, dass Libyen das Geld auszugehen drohte. Ghaddafi liess zu, dass zwei Libysche Agenten, die angeklagt waren, den grossen Flugzeuganschlag über Lockerbie organisiert zu haben, vor Gericht gestellt und einer 2001 verurteilt wurde. (Davon, dass er selbst verantwortlich gewesen sein könnte, sprach niemand). Er zahlte Milliarden von Entschädigungen für amerikanische und für französische Opfer von Flugzeuganschlägen. Er sagte Washington zu, dass er alle Versuche, Atomwaffen herzustellen, aufgeben wolle. Die amerikanischen Erdölgesellschaften kehrten nach Libyen zurück. Nun machen sie wieder Geld für sich und für Ghaddafi.
Ghaddafi erklärte im Jahre 2001, er habe mit der arabischen Welt nichts mehr zu tun. Die Araber seinen hoffnungslos. Er werde sich nun der afrikanischen Einheit zuwenden. Mit diesen Schritten legte er alles beiseite, wofür er zuvor, jahrelang, mit blutigen Mitteln und grossen Teilen der libyschen Erdölgelder gekämpft hatte. Er hätte sich eigentlich sagen müssen: „Deine Politk während 30 Jahren war völlig verfehlt.“ Doch das wollte er sich nicht eingestehen. Lieber überzeugte er sich, das er immer recht gehabt habe. Die Schuld lag immer bei anderen. Da er keine Fehler begehen konnte, so schloss er, müsse er unfehlbar sein. Die selbsterklärte Unfehlbarkeit war zum Schluss alles, was von seinem gesamten ideologischen Gebäude verblieb. Ghaddafi stilisiert sich sich heute als den Grossen Denker der Revolution. Er glaubt wohl selbst daran. Jedenfalls darf kein Libyer dem widersprechen. Schon Fragen sind unerlaubt und gefährlich.
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Muammar Ghaddafi war ein sehr junger, eher schüchterner Offizier, als er 1969 zusammen mit 11 Kameraden durch einen unblutigen Coup die Macht über Libyen ergriff. Damals war die Arabische Einheit, so wie Nasser sie forderte, sein Ideal und seine einzige Ideologie. Er selbst und die damalige kollektive Führung Libyens arbeiteten intensiv daran, die ersehnte Einheit aller Araber zu verwirklichen. Doch die grosse Begeisterung für die arabische Einheit unter Nassers Führung war schon vorbei. Der israelische Sieg im Sechstagekrieg (1967) hatte ihr den Todesstoss versetzt. Ghaddafi tat, was er konnte, um die Idee wieder zu beleben. Doch es ging nicht. Nasser starb 1970, und kein arabischer Machthaber war bereit, seine eigene Machtposition für einen Zusammenschluss einzuschränken.
Ghaddafi ging 1977 dazu über, seine eigene Ideologie zu basteln. Er war überzeugt, wenn die arabischen Völker sich selbst regierten, würde die Einheit zustande kommen. Doch er selbst, Ghaddafi, wollte auch nicht von der Macht über Libyen weichen. Er richtete deshalb eine Scheindemokratie ein. Die Libyer sollten sich selbst regieren, aber er, Ghaddafi legte fest, wie sie es zu tun hätten.
Lange Jahre arbeitete Ghaddafi daran, sein "revolutionäres" System auch auf die Ausssenwelt auszudehnen. Er wollte die ganze arabische, ja die ganze Welt "revolutionieren" nach der Vorgabe seiner Ideologie. Durch blosse Propaganda war dies nicht zu erreichen. Ghaddafi unterstützte jahrelang mit seinen Erdölgeldern alle revolutionären Gruppen der arabischen und der weiteren Umwelt. Diese Gruppen suchten, meist mit blutigen Mitteln, ihre Ziele zu fördern und ihre Rivalen auszuschalten. Ghaddafi half ihnen dabei in Libyen und im Ausland. – Ab 1981 kam es zu Zusammenstössen mit den Vereinigten Staaten, die Libyen als einen terroristischen Staat ansahen. Präsident Regan liess Tripolis und Benghazi 1986 bombardieren. Ghaddafi selbst kam nur knapp mit dem Leben davon.
Ghaddafis Ideologie, die er in drei Grünen Büchern niederlegte, umfasste auch die Wirtschaftspolitik. In diesem Bereich, sah er sich 1988 zuerst gezwungen, von seiner Ideologie abzuweichen (sie forderte Kollektivisierung des gesamten Wirtschaftslebens), weil die Wirtschaft Libyens zusammenbrach. Auf Befehl Ghaddafis beschloss das Volk, doch wieder private Geschäfte zuzulassen.
Viel später von 1999 an sah sich Ghaddafi gezwungen, auch im aussenpolitischen Bereich nachzugeben. Eine Versöhnung mit den USA wurde notwendig, weil der internationale Boykott so stark auf der Oelförderung lastete, dass Libyen das Geld auszugehen drohte. Ghaddafi liess zu, dass zwei Libysche Agenten, die angeklagt waren, den grossen Flugzeuganschlag über Lockerbie organisiert zu haben, vor Gericht gestellt und einer 2001 verurteilt wurde. (Davon, dass er selbst verantwortlich gewesen sein könnte, sprach niemand). Er zahlte Milliarden von Entschädigungen für amerikanische und für französische Opfer von Flugzeuganschlägen. Er sagte Washington zu, dass er alle Versuche, Atomwaffen herzustellen, aufgeben wolle. Die amerikanischen Erdölgesellschaften kehrten nach Libyen zurück. Nun machen sie wieder Geld für sich und für Ghaddafi.
Ghaddafi erklärte im Jahre 2001, er habe mit der arabischen Welt nichts mehr zu tun. Die Araber seinen hoffnungslos. Er werde sich nun der afrikanischen Einheit zuwenden. Mit diesen Schritten legte er alles beiseite, wofür er zuvor, jahrelang, mit blutigen Mitteln und grossen Teilen der libyschen Erdölgelder gekämpft hatte. Er hätte sich eigentlich sagen müssen: „Deine Politk während 30 Jahren war völlig verfehlt.“ Doch das wollte er sich nicht eingestehen. Lieber überzeugte er sich, das er immer recht gehabt habe. Die Schuld lag immer bei anderen. Da er keine Fehler begehen konnte, so schloss er, müsse er unfehlbar sein. Die selbsterklärte Unfehlbarkeit war zum Schluss alles, was von seinem gesamten ideologischen Gebäude verblieb. Ghaddafi stilisiert sich sich heute als den Grossen Denker der Revolution. Er glaubt wohl selbst daran. Jedenfalls darf kein Libyer dem widersprechen. Schon Fragen sind unerlaubt und gefährlich.
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TERROR: Terror in Pakistan und in Afganistan
von Dr. Arnold Hottinger
Terrorismus ist nicht gleich Terrorismus. Wie viele andere abstrahierende Generalisationen kann der Begriff Terrorismus sich als eine Denkfalle erweisen. Wenn man derartige –ismen zu bekämpfen versucht, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, wie genau ein jeder beschaffen ist, woher er stammt, wie er in seinem Umfeld gelagert ist, welche Zwecke er primär, welche er sekundär verfolgt und ohne bemüht zu sein, zahlreiche weitere konkrete Umstände in ihren spezifischen Umfeldern und Gegebenheiten zu erkennen, - kann sich der Kampf als ein Schlag ins Leere erweisen.
Das Dauerprovisorium der Stammesgebiete
Die heutige Terorwelle in Pakistan und in Afghanistan hat eine sehr lange Vorgeschichte. Sie geht zurück auf die Gründungszeit Pakistans, ja man kann sie noch weiter zurückverfolgen auf die britische Kolonialzeit mit ihren drei afghanischen Kriegen (1839-42; 1878-80; 1918) und der Ziehung der Durand Linie (1893-94) mitten durch die pashtunischen Stammesgebiete hindurch.
Diese Linie ist eine Hinterlassenschaft der drei Kriege. Sie stellte ein Provisorium dar, das eingerichtet wurde, weil die drei Kriege weder zu einem klaren Sieg der Kolonialmacht geführt hatten noch zu einer endgültigen Niederlage. Das Provisorium verlängerte sich bis auf die heutige Zeit. Es bewirkte sozial gesehen, dass die Pashtunen auf der zunächst kolonial-indischen, später pakistanischen Seite der Linie in einem von aussen gesehen recht malerischen jedoch über die Jahrzehnte hinweg immer anachronistischer werdenden, ausgesparten Gebiet vor sich hin lebten, das sich zur eigentlichen Zeitkapsel entwickelte.
Gewiss, die Stämme durften in den sogenannten Stammesgebieten der North West Frontier „tun was sie wollten“. Doch dies lief darauf hinaus, dass sie weitgehend ausserhalb des britisch indischen und später des pakistanischen staatlichen und kulturellen Zusammenhanges lebten, ohne deren Nach- oder Vorteile und ohne an den dort ablaufenden Entwicklungen teilzuhaben. Es wurde eine geistig und materiell verarmende Existenz, je länger sie dauerte desto prekärer.
Spannungen zwischen zwei islamischen Nachbarn
Doch auch Zeitkapseln können zu Gegenständen politischer Ausbeutung werden. Diese begann mit der Gründung Pakistans. Afghanistan beanspruchte die paschtunischen Stammesgebiete jenseits der Durand Linie als seinen angestammten Besitz aus vor-kolonialer Zeit. Pakistan sah „seine“ Stammesgebiete als Teil seines politischen Erbes an, das die Nachfolge der britischen Herrschaft übernahm. Afghanistan weigerte sich, den neuen Staat Pakistan anzuerkennen, solange die Pashtunische Frage nicht geregelt sei. Beide Regierungen machten sich daran, Verbindungen zu Freunden und Klienten unter den Stammesführern der Stammeszone zu knüpfen und diese gegen ihre Gegner zu bewaffnen. Die Gegner wurden dann die ihrerseits von dem gegnerischen Staat bewaffnet.
Das schlechte Verhältnis zwischen den beiden muslimischen Staaten, Afghanistan und Pakistan, führte zu Jahren der Spannungen. Nachdem Muhammed Daud Khan 1953 zum ersten Mal(Fußnote 1) die Regierung übernommen hatte, verschlechterten sich die Beziehungen weiter, und bewirkten die Hinwendungung der afghanischen Regierung zur Sowjetunion. Sie war der einzige ausländische Partner und Verbindungsweg nach der Aussenwelt, wenn Pakistan, wie dies mehrmals geschah, die Wege von Afghanistan nach Karachi sperrte, ungeachtet der alten Verträge, die den Afghanen den Zugang zum Hafen von Karachi gerantierten. Die Sowjetunion baute die Salangstrasse durch den Hindukush zu einer auch im Winter befahrbaren Allwetterstrasse aus, solide genug gebaut, um auch als Einmarschstrasse für Tanks zu dienen. Afghanistan sah sich gezwungen, sein Erdgas von Mazar asch-Scharif nach der Sowjetunion zu exportieren und kaufte im Gegenzug sowjetische Waffen für seine Armee und Luftwaffe. Dies hatte die Ausbildung der afghanischen Soldaten und Offiziere durch die Sowjetunion zur Folge und führte schlussendlich zur Machtergreifung afghanischer, von den Russen ausgebildeter, Offiziere und deren Gesinnungsgenossen aus der kleinen und in sich gespaltenen kommunistischen Partei Afghanistans (1978) sowie wenig später zum Einmarsch der sowjetischen Truppen nach Afghanistan (Weihnachten 1979) .
ISI instrumentalisiert den Jihad
Jihad Kämpfer aus den Stammesgebieten dienten der pakistanischen Armee im Kleinkrieg gegen Indien, der sich seit 1948 um Kashmir dreht und der bis heute nicht beigelegt ist. Die pakistanische Armee unter dem Einfluss von ISI, dem Geheimdienst dieser Armee, entwickelte die These, Pakistan benötige in seiner Konfrontation mit Indien Afghanistan als „strategische Tiefe“ gegenüber seinem soviel grösseren Rivalen. Doch Kabul neigte immer mehr Delhi zu als Karachi oder später Islamabad, weil der Streit um die Stammesgebiete andauerte.
Im Kampf gegen die russische Besetzungsmacht (1980-88) verfolgte die pakistanische Armee das Doppelziel, einerseits den Russen das Leben in Afghanistan zu erschweren oder gar zu verunmöglichen; aber andrerseits auch in diesem Kampf in erster Linie jene Kampfgruppen zu bewaffnen und auszubilden, von denen ISI erwartete, sie könnten später (nach der Vertreibung der Russen) eng mit Pakistan zusammenarbeiten und so Afghanistan in der Konfrontation mit Indien auf die pakistanische Seite bringen.
ISI verteilte die amerikanischen Waffen und Gelder an die Guerrillagruppen und bevorzugte dabei jene Gruppierungen, die als besonders eng an die islamistische Ideologie gebunden galten. Denn von ihnen erhofften sich die pakistanischen Politoffiziere, dass sie sich freiwillig oder gezwungenermassen nach erreichtem Abzug der Russen auf Pakistan abstützen würden. Freiwillig, weil damals auch in Pakistan mit General Zia ul-Haq ein fundamentalistisch ausgerichteter islamischer Staat herrschte; gezwungenermassen, weil die afghanische Bevölkerung als dem engen Islamverständnis des Fundamentalismus eher abgeneigt und dem rivalisierenden Islamverständnis der Sufis zugetan galt. Die fundamentalistischen Gruppen würden daher, so erwartete ISI, auf weiter gehende Stützung durch Pakistan angewiesen sein.
Ein erster Fehlschlag der pakistanischen Strategie
Die pakistanische Rechnung ging nicht auf, weil nach dem Abzug der Russen (1989) jahrelange Kämpfe unter den Afghanen ausbrachen. Die verschiedenen War Lords, die den Guerrilla Gruppen vorstanden, rangen blutig gegeneinander um die Beherrschung des Landes. Erst in jener Periode der innerafghanischen Kämpfe (rund 1989 bis 1996) wurde Kabul zerstört, zerschossen durch die Artillerie Hikmatyars, eines der engsten Günstlinge von ISI. Die Bevölkerung wurde gezwungen (primär durch Wegzölle, die auf den importierten Lebensmitteln und anderen unentbehrlichen Waren lasteten und deren Preise erhöhten), die gegeneinander kämpfenden Milizarmeen der War Lords zu finanzieren. Opium und Heroin Export war schon damals eine andere wichtige Finanzquelle für die de facto Mächte, deren Milizen die Ueberlandstrassen beherrschten.
Die Taleban, ein zweiter Eingriff aus Pakistan
ISI und die pakistanische Armee griffen erneut in Afghanistan ein, indem sie 1994 beschlossen, die kleine in der Nähe von Kandahar operierende Gruppe der pashtunischen Taleban unter Mullah Omar zu unterstützen mit dem Ziel, sie als beherrschende Macht in Afghanistan einzusetzen. Das Projekt einer Gasrohrleitung von Turkmenistan durch Afghanistan und Pakistan an den Indischen Ozean, auf das Pakistan damals hoffte, setzte eine Befriedung Afghanistans voraus und erhöhte die Attraktivität der Taleban-Pläne Pakistans. Saudische Gelder standen damals den pakistanischen Diensten zur Verfügung, weil Saudi Arabien zusammen mit einer amerikanischen Oelfirma an den Gasleitungsplänen beteiligt war.
Die ursprünglichen Taleban aus dem Umfeld von Kandahr wurden verstärkt durch Mannschaften aus den pashtunischen Madrassas, die auf pakistanischem Gebiet lagen. Die Taleban (=Studenten) wurden von pakistanischen Offizieren ausgebildet und oft auch im Einsatz gelenkt. Sie wurden ausgerüstet mit Hilfe saudischer Gelder und mit von Saudi Arabien finanziertem Kampf- und Transportmaterial. Sie erwiesen sich als erfolgreich, gewiss wegen der pakistanischen Waffen- und Einsatzhilfe, aber auch weil die Bevölkerung damals von ihnen ein Ende des Dauerkrieges der Warlords erhoffte.
Doch die Rechnung der pakistanischen Offiziere ging wiederum nicht auf. Die Taleban beherrschten im Jahr 2001 fast das ganze Land und regierten in Kabul (es war nur noch die tajikische Widerstandsgruppe Rabbanis mit den Kämpfern unter Ahmed Shah Mas’ûd, die ihnen im Nordosten Afghanistans Widerstand leistete). Doch die Taleban erwiesen sich als wenig gewillt, eine Politik der engen Zusammenarbeit mit Pakistan zu führen. Ihnen lag vielmehr daran, ihrer Ideologie gemäss ein „islamisches Regime“ nach ihren eigenen, zutiefst konservativen, ja reaktionären Vorstellungen in Afghanistan einzuführen und durchzusetzen.
Dieses Regime war „fundamentalistisch“, jedoch von einem Fundamentalismus durchaus eigener Art, der die Züge eines pashtunischen Stammesislams kombinierte mit dem engst-möglichen Schari’a Verständnis und beides zusammen zum eisernen Gebot über ganz Afghanistan zu erheben bestrebt war.
In jener Periode waren die bevorzugten Waffen der Taleban nicht eigentlich teroristischer Art. Die Kämpfer bedienten sich leichter geländegängiger Lastwagen (sie wurden ihnen in Massen von Saudi Arabien aus zugestellt), auf die sie Maschinengewehre installierten und von denen aus sie selbst mit Maschinenpistolen schossen. Diese Geländefahrzeuge konnten zu grösseren Angriffsfronten massiert werden.
Bekanntlich wurden die Taleban, weil sie Ben Ladhen und seinen Gehilfen in Afghanistan Unterschlupf boten, von den Amerikanern mit Hilfe der Kämpfer des kurz vor dem Anschlag in New York ermordeten Ahmed Schah Mas’ûd (dies war ein Mordanschlag, der mit terroristischen Mitteln geschah, die Mörder sollen als tunesische Journalisten auftretende Selbstmordbomber gewesen sein) im Oktober und Anfang November 2001 relativ leicht nierdergekämpft und zur Flucht nach Süden gezwungen. Doch die Kader und viele der Kämpfer der Taleban fanden mit Hilfe von ISI Asyl in Belutschisten oder in den pakistanischen Stammesgebieten. Auch Ben Ladhens und seines zweiten Mannes, Zawahiris, konnten die amerikanischen Truppen seltsamerweise nicht habhaft werden.
Sechs Jahre Vernachlässigung
Der dann von Bush und seinen Beratern völlig unnötigerweise und unter gefälschten Behauptungen, die dazu dienten, den Krieg als notwendig darzustellen, im März 2003 ausgelöste Krieg im Irak und sein für die Amerikaner unerwarted ungünstiger Verlauf bewirkte dann, dass die Amerikaner sich nie bemühten, das Land Afghanistan voll zu beherrschen. Die von ihnen zugezogenen Nato Truppen, die sich weitgehend als „Friedenstruppen“ verstanden, taten es auch nicht. Stattdessen verfolgte man eine Politik der Sparflamme. Weil viel zu wenig Truppen zur Verfügung standen, um das ganze Land abzusichern, begnügten die amerikanischen und die Nato Soldaten sich damit, Kabul zu besetzen und einige Gruppen in die Landesteile zu entsenden, welche den pashtunischen Taleban ohnehin wenig zuneigten. Doch andere Landesteile verblieben in der Macht der War Lords, die nach dem Abzug der Taleban in ihre früheren Machtzentren zurückkehrten, wie etwa Ismail Khan in Herat und Dostom in Mazar-e-Scharif. Diese Warlods wurden als Scheinparlamentarier dem afghanischen Parlament einverleibt. Doch sie behielten ihre eigenen Milizen und damit auch ihre uneingeschränkte Macht in ihren separaten Machtbereichen bei.
Die Taleban sammelten sich erneut in den Stammesgebieten nah an den afghanischen Grenzen, wahrscheinlich mit Duldung der pakistanischen Armee, jedenfalls ohne dass diese gegen sie eingeschritten wäre. Ihre Rückkehr zu bewaffneten Aktivitäten in den Stammeszonen, wo sie auch auf Ueberreste von arabischen Kampfgruppen und usbekischen Jihadisten stiessen, die ebenfalls in den Stammeszonen Zuflucht gefunden hatten und sich neu organisierten, begünstigte auch die Entstehung der sogenannten pakistanischen Taleban.
All diese Bewaffneten gemeinsam, verbündet mit Stammeskriegern der Zone, brachten die zivilen Bevölkerungen der Stammesgebiete unter ihre Kontrolle. Die Stammesleute dürften ihrer islamistischen Ideologie und ihrem Schari’a Staat keineswegs zugeneigt zu haben. Doch wenn sie überleben wollten, mussten sie sich zusehends den Bewaffneten fügen, gegen die keine staatliche Gegenmacht in die Schranken trat.
Die Pakistanischen Taleban
Nachdem sie begonnen hatten in den Stammesgebieten vollendte Tatsachen zu schaffen, versuchten die „pakistanischen Taleban“ ihre Macht auf die pakistanischen Städte auszudehnen, die nahe an den Stammesgebieten lagen. Die pashtunische Stadt Peshawar und das balutchische. Quetta worden Hauptziele ihrer Infiltration. Doch es gab Zeiten, in denen sie ihren Einfluss auch in bestimmten Zonen von Islamabad geltend machten. Ihr Versuch, von der Roten Moschee in Islamabad und über die islamische Frauenschule daneben in den umliegenden Strassen die Macht zu übernehmen, indem sie die dortigen Ladenbesitzer zwingen wollten, nach ihrer fundamentalitisch verstandenen Version der Schari’a zu leben (März bis Juni 2007 ) führte zu einer der ersten blutigen Konfrontationen der pakistanischen Taleban mit der Armee. 1500 Mann der Armee umstellten die Moschee und nahmen die dortigen Kämpfer gefangen oder erschossen sie. Der damalige Anführer der pakistanischen Taleban, Baitullah Mehsûd, gelobte Rache, jedoch nicht in der Hauptsatdt sondern in den Stammesgebieten. Offensichtlich weil er sich dort in einer überlegenen Lage glaubte. Die Städte des pakistanischen Nordens jedoch, besonders jene innerhalb oder am Rande der pashtunischen Landesteile, wurden zu Zielen von Bombananschlägen (Fußnote 2).
Der Rückschlag der Taleban in der Hauptstadt führte so zum Uebergang von der Propaganda in den Moscheen zur Propaganda durch Terrorschläge. Die Anschläge waren dazu bestimmt, Unsicherheit in der Bevölkerung auszubreiten und ihr glaubhaft zu machen, dass die Regierung sie nicht wirksam verteidigen könne. Die Taleban wussten, wenn dies in den Augen grösserer Bevölkerungsteile glaubhaft würde, sähen diese sich gezwungen, das Regiment der Taleban anzuerkennen und sich ihren Geboten zu unterstellen. Wie dies in grösseren Teilen der Stammesgebiete und in mehreren Provinzen Afghanistans bereits Tatsache geworden war.
Diese Lage zwang die Armee die Herausforderung der Taleban anzunehmen und zu versuchen, gegen sie einzuschreiten. Freilich setzten die Offiziere zunächst in vielen Fällen auf Verhandlungen mit den islamistischen Kämpfern. Sie unterzeichneten Waffenstillstände, nach denen die Kämpfer ihre Waffen behielten, aber der pakistanischen Polizei eine gewisse Präsenz zusagten. Doch bald wurde deutlich, dass die Taleban solche Waffenstillstände brachen, Vorwände dafür liessen sich leicht schaffen, sobald sie sich in der Lage sahen, nach Abzug der Truppen erneut das Heft in die Hand zu nehmen. Dies war die Erfahrung, welche die pakistaniche Armee mit von ihr ausgehandelten „Waffenstillständen“ in Nord- und Südwaziristan und auch später in Swat machte.
Amerikanische Druckmaneuver
Die Amerikaner versuchten ihrerseits den Druck auf die pakistanische Armee zu erhöhen, um sie zu zwingen, den endgültigen Kampf gegen die pakistanischen Taleban aufzunehmen. Sie verwandten zweierlei Druckmittel. Ihre Unterstützung der pakistanischen Armee mit grossen geldsummen und mit Waffen wurde davon abhängig gemacht, dass die Armee energischer gegen die Taleban vorgehe.
Doch die Amerikaner schritten auch zu einem zweiten Druckmittel: sie begannen vermutete Sitze der Taleban in den Stammesgebieten mit Drohnen anzugreifen und zu zerstören. Dies führte unvermeidlich zu bedeutenden Verlusten an zivilen Menschenleben. Wieviele Kämpfer auf diesem Wege ausgeschaltet wurden, war oft unklar und manchmal umstritten. Pakistan, und in erster Linie die Sprecher der Streitkräfte, protestierten gegen diese Uebergriffe der USA auf pakistanisches Territorium. Offiziell hiess es, diese Verletzung der pakistanischen Souverainität sei „unerträglich“. Es gab aber gleichzeitig Berichte, die wissen wollten, die amerikanischen Drohnen starteten von pakistanischen Militärflugplätzen in Belutschistan.
Jedenfalls waren die Drohnenangriffe bei der Bevölkerung der Stammesgebiete, die ihnen ausgesetzt war, wenn sie gleich nicht das offizielle Ziel der Angriffe darstellte, sehr wenig beliebt. Sie steigerten den Hass auf Amerika und dienten dadurch der Rekrutierung von weiteren „Taleban“ – Kämpfern. Ganze Stämme und Stammesfraktionen der Stammesgebiete wurden so in die Arme der Taleban hineinbombardiert. In den Augen der pakistanischen Bevölkerung und besonders in denen der Stammeskrieger sank das Prestige der pakistanischen Armee. Sie sei ja nichteinaml in der Lage, so urteilten sie, pakistanisches Territorium gegen die Uebergriffe ihrer amerikanischen Verbündeten zu verteidigen. Auch dies wurde ein Grund für die Stammesleute, sich den Taleban anzuschliessen.
Rückkehr der Taleban nach Afghanistan
Die Entwicklung auf der afghanischen Seite der Pashtunen Gebiete verlief ähnlich. Die Taleban kehrten aus den Asylpositionen und den Ausbildungslagern, die sie in den pakistanischen Stammesgebieten betrieben über die Durand Linie zurück. Auch in Afghanistan gingen sie über zum Gebrauch von terroristischen Methoden. Dies war eine Lehre, die sie aus den irakischen Kämpfen gegen die amerikanische Besetzungsmacht zogen. Im Zuge ihrer vorhergehenden Machtergreifung über Afghanistan während der 90er Jahre, hatten sie Terrorrmethoden nur in seltenen Einzelfällen verwendet. Ihre Hauptwaffen waren damals Geldzahlungen an bestechbare Kampfgruppen gewesen plus Artillerie und Geländewagen mit Maschinengewehren.
Nach den jüngsten Statistiken, veröffentlicht von BBC, fielen in den ersten sechs Monaten von 2009 39 % der total 1013 zivilen Opfer des Afghanistan Krieges Selbstmordanschlägen und Bomben an den Strassen zum Opfer. 11 % kamen durch Mordanschläge um. Weitere 29 % durch „andere Aktionen der anti-Regierungskräfte“ (eine etwas unklare Kategorie). Aber weitere 20% wurde Opfer von „Luftangriffen“. Diese Luftangriffe (air strikes) können nur von amerikanischen oder europäischen Truppen ausgegangen sein. Sie stellen eine bedeutende Unterstützung der Bestreben der Taleban Kämpfer dar. Die Zunahme der Zahl der Opfer verglichen mit den ersten sechs Monaten von 2008 beträgt 24%.
Diese Statistiken müssen als unsicher angesehen werden. Sie gehen auf amerikanische und europäische Einschätzungen zurück. Sie dürften, wie dies bei allen Militärs üblich ist, zu Propagandazwecken geschönt sein. Die 20% der zivilen Opfer, welche die Luftangriffe verursachten, und die den gleichen politischen Effekt auslösten, welchen die Taleban mit ihren Mordaktionen anstreben, müssen daher als eine Minimalzahl angesehen werden.
Die Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte sind sich bewusst, dass der Tod von Unschuldigen den Zielen der amerikanischen Militäraktion widerspricht. Diese sind offiziell, die Zuneigung und Sympathie der Afghanen zu gewinnen. Mehrmals wurden Befehle ausgegeben, nach denen genau zu prüfen sei, ob ein Luftangriff Zivilisten gefährde, bevor er zugelassen werde. Doch es ist nicht klar, ob solche Befehle viel Wirklung zeigten. Die Kampfmethoden der amerikanischen Armee sind nicht leicht zu verändern. Diese bestehen daraus (in Afghanistan und im Irak), dass eine Patrouille, die angeschossen wird, zunächst in Deckung geht und einen Luftschlag anfordert. Der Luftangriff erfolgt, richtet sich gegen die vermuteten Quellen des feindlichen Feuers und führt nur zu leicht dazu, dass Häuser mit ihren zivilen Insassen zerstört werden. Die Taleban, falls wirklich solche vorhanden waren, können oft fliehen. Dieses Vorgehen schont das Leben der Soldaten. Jede Amee wird so handeln, dass sie ihre technische Ueberlegenheit dazu benützt, um das Leben ihrer Soldaten zu schonen. Wenn dies das Leben von Zivilisten gefährdet, düfte das den Soldaten weniger wichtig sein, als ihr eigenes Leben abzusichern. Dies gilt besonders, wenn die zivile Bevölkerung aus Menschen besteht, die den Besetzungssoldaten fremd sind und nur zu leicht von ihnen als eine geringere Menschenart angesehn werden.
Die Suche nach einem Ausweg
Mit den heute verwendeten militärischen Mitteln ist Afghanistan schwerlich zu retten. Dies geben alle Seiten zu. Der Streit beginnt mit der Frage, ist es glaubhaft, wie General McCrystal es will, dass Afghanistan stabilisert werden könnte, wenn Amerika weitere 40 000 Soldaten dorthin entsendet? - Die Gefahr ist, dass die grössere Zahl von amerikanischen Kämpfern auch eine grössere Zahl von afghanischen, auf der Seite der Taleban, mobilisiert. Die Pashtunen sehen mehr und mehr die ausländischen Truppen als Besetzungssoldaten, und diese sind umgekehrt auch mehr und mehr gezwungen, sich als solche zu verhalten, je gefährlicher das Leben für sie wird. Davon, dass sie Afghanistan helfen könnten, eine stabile und möglichst demokratische Regierung einzurichten (dies war der ursprüngliche Zweck ihrer Präsenz) kann weniger und weniger die Rede sein. Die soeben bekannt gegebene „Dislozierung“ der ausländischen UN Funktionäre aus Kabul – nach einem Selbstmordangriff auf das Gästehaus der UN – spricht eine deutliche Sprache. Die ebenfalls jüngst bekannt gegebene Ermordung fünf britischer Ausbilder durch einen Polizisten, den sie ausbilden sollten, ist ebenfalls beunruhigend.
Wie die Dinge heute stehen, ist es keineswegs sicher, ja eigentlich unwahrscheinlich, dass „mehr Stiefel“ , besonders wenn es sich um ausländische Stiefel handelt, das Land zu beruhigen vermöchten. Im benachbarten Kashmir, einem viel kleineren Gebiet mit rund fünf einhalb Millionen Einwohnern, stehen sehr viel mehr Stiefel im Einsatz als Amerika je nach Afghanistan schicken könnte. Zeitenweise sind es gegen 500 000 Mann der indischen Armee und kashmirischen Polizei. Doch Kashmir ist seit über 50 Jahren nie ganz zur Ruhe gekommen. Die Kashmiri gelten als sehr viel friedlichere Leute als die Paschtunen. Und die indischen Streitkräfte dürften um vieles weniger landesfremd sein als die Amerikaner und Europäer im Afghanistan. Doch ist unübersehbar, dass die Kashmiri heute der indischen Besetzung müde sind und am liebsten unabhängig würden.
Eine Lösung für Afghanistan und Pakistan dürfte schwer zu erreichen sein. Viele Jahre wurden vertrödelt, und heute ist es wahrscheinlich zu spät geworden für eine auf Amerika und die Nato Truppen abgestützte afghanische „Demokratie“ oder proto-Demokratie. Eine Politik, die über die enge – und ziemlich aussichtslose – militärische Terrorbekämpfung hinaus ginge, müsste einerseits die Afghanen vor ihre eigene Verantwortung stellen, etwa in dem Sinne, dass die Besetzungstruppen ihren Abzug in einer festen Zeitspanne, vielleicht zwei Jahren, festlegen, geschehe was wolle. Andrerseits müsste für eine Entspannung und gemeinsame Afghanistan-Politik sämtlicher Randstaaten gesorgt werden, die an Afghanistan angrenzen, etwa im Sinne eine internationalen Konferenz all der Staaten, denen primär daran liegt, Ruhe in Afghanistan zu schaffen, damit die Unruhe nicht zu ihnen übergreift, Das sind: Pakistan, Indien, die Staaten Zentralasiens, Russland, Iran. - Amerika und die Natostaaten könnten sich auch vertreten lassen und sollten als Animatoren, auch im finanziellen Bereich, fungieren.
Bevor eine solche Konferenz beginnen kann, müsste alles getan werden, um das Misstrauen zwischen Indien und Pakistan abzubauen und den Kashmirkonflikt endlich zu lösen. Die Spannungen zwischen Pakistan und Indien, in deren Zentrum der Kashmirkonflikt steht, wirken sich wesentlich auf die Lage in Afghanistan aus. Sie sind der Hauptgrund, der Pakistan in der Vergangenheit dazu brachte, Afghanistan als einen Schauplatz seines Ringens mit Indien anzusehen und zu behandeln sowie die islamistischen Kämpfer – die Pakistan auch in Kashmir dienen – zu hegen und zu pflegen. Die gleichen Kämpfer, die heute in Pakistan und in Afghanistan alle Sicherheit unterlaufen.
Der pakistanischen Armee geht es seit 50 Jaren nicht nur darum, in Kashmir den Topf am Kochen zu erhalten, damit die pakistanischen Forderungen nicht in Vergessenheit geraten. Sie sieht auch mit Genugtuung, dass die dortigen Spannungen, angeheizt durch die von ihnen begünstigten islamistischen Kämpfer, grosse Teile der regulären indischen Armee binden und beschäftigen. Diese Teile, so urteilt ISI, und es ist manchmal beinahe die Hälfte, „fallen aus als direkte Bedrohung unserer Grenzen“. – Eine Eingrenzung des afghanischen Konfliktherdes durch die Aussenstaaten ist nur denkbar, wenn Indien und Pakistan ein gemeinsames Interesse daran entwicklen. Nicht, solange die beiden Afghanistan als einen Einsatz in ihrem bilaterlaen Ringen verstehen.
Die beiden offenen Wunden der Region, die beide seit 1949 bluten, und die beide nur provisorisch – nicht definitv - gelöst sind, die Pashtunenfrage mit der Durand Linie und die Kashmirfrage mit ihrer „Line of Controll“, müssten angepakt werden, wenn es um echte Lösungen, nicht bloss um gewaltsame und daher wenig aussichtsreiche, weil gewaltbedingte und an Gewalt gebundene, Befriedungen gehen soll.
Worum geht es wirklich für Amerika?
Eine weitere Vorbedingung zu einer Lösung wäre wohl, dass in den amerikanischen Köpfen etwas deutlicher werde, dass die Afghanistan Frage aus humanitären Gründen, weil es um die Lebens- und Ueberlebensbedingungen der Afghanen und der afghanischen Frauen geht, von Wichtigkeit ist – aber nicht aus Gründen der „amerikanischen Sicherheit“. Das gleiche gilt für Pakistan, mit der Ergänzung, dass Pakistan als ein sehr grosser und über Atomwaffen verfügender Staat auch seine weltpolitische Bedeutung besitzt. Es war einmal so, dass New York und Washington sich von Terroristen überraschen liessen, die von der in Afghanistan situierten al-Qa’eda ferngesteuert und finanziert wurden (jedenfalls wenn man der offiziellen Version der Ereignisse des 11. Sept. 2001 Glauben schenken will). Doch seither haben keine Terroranschläge mehr aus der gleichen Quelle in den USA stattgefunden. Was nur bedeuten kann, dass die Qa’eda Leute (soweit sie noch existieren) dazu nicht in der Lage waren. Amerika kann auch künftig mit polizeilichen, diplomatischen und finanziellen Massnahmen abgesichert werden, wenn in Afghanistan die Taleban herrschen. – Wahrscheinlich ist dies vielen Verantwortlichen der Obama Regierung klar. Doch sie sagen es nicht öffentlich, weil die amerikanische Bevölkerung einem weiteren und erweiterten Krieg in Afghanistan (der zur Zeit noch erwogen wird) allerhöchstens dann zustimmen dürfte, wenn sie glaubt, sie selbst und ihr Land seien gefährdet und sie würden „in Afghanistan“ gewissermassen auf vorgelagerter Front „verteidigt“.
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1) Er übernahm die Macht ein zweites Mal im Jahr 1973, diesmal indem er mit Hilfe der in der Sowjetunion ausgebildeten Offiziere seinen Vetter, den König, absetzte und als Diktator regierte. Er beendte damit ein demokratisches Experiment, das der König begonnen hatte, nur um 5 Jahre später dem pro-kommunistischen Staatsstreich der gleichen Linksoffiziere zum Opfer zu fallen.
2) Im Oktober 2009 fanden 4 grosse Anschläge in Peschawar statt sowie je einer in Kuhat, Rawalpindi, Islamabad, Lahore und im Swat Tal.
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Terrorismus ist nicht gleich Terrorismus. Wie viele andere abstrahierende Generalisationen kann der Begriff Terrorismus sich als eine Denkfalle erweisen. Wenn man derartige –ismen zu bekämpfen versucht, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, wie genau ein jeder beschaffen ist, woher er stammt, wie er in seinem Umfeld gelagert ist, welche Zwecke er primär, welche er sekundär verfolgt und ohne bemüht zu sein, zahlreiche weitere konkrete Umstände in ihren spezifischen Umfeldern und Gegebenheiten zu erkennen, - kann sich der Kampf als ein Schlag ins Leere erweisen.
Das Dauerprovisorium der Stammesgebiete
Die heutige Terorwelle in Pakistan und in Afghanistan hat eine sehr lange Vorgeschichte. Sie geht zurück auf die Gründungszeit Pakistans, ja man kann sie noch weiter zurückverfolgen auf die britische Kolonialzeit mit ihren drei afghanischen Kriegen (1839-42; 1878-80; 1918) und der Ziehung der Durand Linie (1893-94) mitten durch die pashtunischen Stammesgebiete hindurch.
Diese Linie ist eine Hinterlassenschaft der drei Kriege. Sie stellte ein Provisorium dar, das eingerichtet wurde, weil die drei Kriege weder zu einem klaren Sieg der Kolonialmacht geführt hatten noch zu einer endgültigen Niederlage. Das Provisorium verlängerte sich bis auf die heutige Zeit. Es bewirkte sozial gesehen, dass die Pashtunen auf der zunächst kolonial-indischen, später pakistanischen Seite der Linie in einem von aussen gesehen recht malerischen jedoch über die Jahrzehnte hinweg immer anachronistischer werdenden, ausgesparten Gebiet vor sich hin lebten, das sich zur eigentlichen Zeitkapsel entwickelte.
Gewiss, die Stämme durften in den sogenannten Stammesgebieten der North West Frontier „tun was sie wollten“. Doch dies lief darauf hinaus, dass sie weitgehend ausserhalb des britisch indischen und später des pakistanischen staatlichen und kulturellen Zusammenhanges lebten, ohne deren Nach- oder Vorteile und ohne an den dort ablaufenden Entwicklungen teilzuhaben. Es wurde eine geistig und materiell verarmende Existenz, je länger sie dauerte desto prekärer.
Spannungen zwischen zwei islamischen Nachbarn
Doch auch Zeitkapseln können zu Gegenständen politischer Ausbeutung werden. Diese begann mit der Gründung Pakistans. Afghanistan beanspruchte die paschtunischen Stammesgebiete jenseits der Durand Linie als seinen angestammten Besitz aus vor-kolonialer Zeit. Pakistan sah „seine“ Stammesgebiete als Teil seines politischen Erbes an, das die Nachfolge der britischen Herrschaft übernahm. Afghanistan weigerte sich, den neuen Staat Pakistan anzuerkennen, solange die Pashtunische Frage nicht geregelt sei. Beide Regierungen machten sich daran, Verbindungen zu Freunden und Klienten unter den Stammesführern der Stammeszone zu knüpfen und diese gegen ihre Gegner zu bewaffnen. Die Gegner wurden dann die ihrerseits von dem gegnerischen Staat bewaffnet.
Das schlechte Verhältnis zwischen den beiden muslimischen Staaten, Afghanistan und Pakistan, führte zu Jahren der Spannungen. Nachdem Muhammed Daud Khan 1953 zum ersten Mal(Fußnote 1) die Regierung übernommen hatte, verschlechterten sich die Beziehungen weiter, und bewirkten die Hinwendungung der afghanischen Regierung zur Sowjetunion. Sie war der einzige ausländische Partner und Verbindungsweg nach der Aussenwelt, wenn Pakistan, wie dies mehrmals geschah, die Wege von Afghanistan nach Karachi sperrte, ungeachtet der alten Verträge, die den Afghanen den Zugang zum Hafen von Karachi gerantierten. Die Sowjetunion baute die Salangstrasse durch den Hindukush zu einer auch im Winter befahrbaren Allwetterstrasse aus, solide genug gebaut, um auch als Einmarschstrasse für Tanks zu dienen. Afghanistan sah sich gezwungen, sein Erdgas von Mazar asch-Scharif nach der Sowjetunion zu exportieren und kaufte im Gegenzug sowjetische Waffen für seine Armee und Luftwaffe. Dies hatte die Ausbildung der afghanischen Soldaten und Offiziere durch die Sowjetunion zur Folge und führte schlussendlich zur Machtergreifung afghanischer, von den Russen ausgebildeter, Offiziere und deren Gesinnungsgenossen aus der kleinen und in sich gespaltenen kommunistischen Partei Afghanistans (1978) sowie wenig später zum Einmarsch der sowjetischen Truppen nach Afghanistan (Weihnachten 1979) .
ISI instrumentalisiert den Jihad
Jihad Kämpfer aus den Stammesgebieten dienten der pakistanischen Armee im Kleinkrieg gegen Indien, der sich seit 1948 um Kashmir dreht und der bis heute nicht beigelegt ist. Die pakistanische Armee unter dem Einfluss von ISI, dem Geheimdienst dieser Armee, entwickelte die These, Pakistan benötige in seiner Konfrontation mit Indien Afghanistan als „strategische Tiefe“ gegenüber seinem soviel grösseren Rivalen. Doch Kabul neigte immer mehr Delhi zu als Karachi oder später Islamabad, weil der Streit um die Stammesgebiete andauerte.
Im Kampf gegen die russische Besetzungsmacht (1980-88) verfolgte die pakistanische Armee das Doppelziel, einerseits den Russen das Leben in Afghanistan zu erschweren oder gar zu verunmöglichen; aber andrerseits auch in diesem Kampf in erster Linie jene Kampfgruppen zu bewaffnen und auszubilden, von denen ISI erwartete, sie könnten später (nach der Vertreibung der Russen) eng mit Pakistan zusammenarbeiten und so Afghanistan in der Konfrontation mit Indien auf die pakistanische Seite bringen.
ISI verteilte die amerikanischen Waffen und Gelder an die Guerrillagruppen und bevorzugte dabei jene Gruppierungen, die als besonders eng an die islamistische Ideologie gebunden galten. Denn von ihnen erhofften sich die pakistanischen Politoffiziere, dass sie sich freiwillig oder gezwungenermassen nach erreichtem Abzug der Russen auf Pakistan abstützen würden. Freiwillig, weil damals auch in Pakistan mit General Zia ul-Haq ein fundamentalistisch ausgerichteter islamischer Staat herrschte; gezwungenermassen, weil die afghanische Bevölkerung als dem engen Islamverständnis des Fundamentalismus eher abgeneigt und dem rivalisierenden Islamverständnis der Sufis zugetan galt. Die fundamentalistischen Gruppen würden daher, so erwartete ISI, auf weiter gehende Stützung durch Pakistan angewiesen sein.
Ein erster Fehlschlag der pakistanischen Strategie
Die pakistanische Rechnung ging nicht auf, weil nach dem Abzug der Russen (1989) jahrelange Kämpfe unter den Afghanen ausbrachen. Die verschiedenen War Lords, die den Guerrilla Gruppen vorstanden, rangen blutig gegeneinander um die Beherrschung des Landes. Erst in jener Periode der innerafghanischen Kämpfe (rund 1989 bis 1996) wurde Kabul zerstört, zerschossen durch die Artillerie Hikmatyars, eines der engsten Günstlinge von ISI. Die Bevölkerung wurde gezwungen (primär durch Wegzölle, die auf den importierten Lebensmitteln und anderen unentbehrlichen Waren lasteten und deren Preise erhöhten), die gegeneinander kämpfenden Milizarmeen der War Lords zu finanzieren. Opium und Heroin Export war schon damals eine andere wichtige Finanzquelle für die de facto Mächte, deren Milizen die Ueberlandstrassen beherrschten.
Die Taleban, ein zweiter Eingriff aus Pakistan
ISI und die pakistanische Armee griffen erneut in Afghanistan ein, indem sie 1994 beschlossen, die kleine in der Nähe von Kandahar operierende Gruppe der pashtunischen Taleban unter Mullah Omar zu unterstützen mit dem Ziel, sie als beherrschende Macht in Afghanistan einzusetzen. Das Projekt einer Gasrohrleitung von Turkmenistan durch Afghanistan und Pakistan an den Indischen Ozean, auf das Pakistan damals hoffte, setzte eine Befriedung Afghanistans voraus und erhöhte die Attraktivität der Taleban-Pläne Pakistans. Saudische Gelder standen damals den pakistanischen Diensten zur Verfügung, weil Saudi Arabien zusammen mit einer amerikanischen Oelfirma an den Gasleitungsplänen beteiligt war.
Die ursprünglichen Taleban aus dem Umfeld von Kandahr wurden verstärkt durch Mannschaften aus den pashtunischen Madrassas, die auf pakistanischem Gebiet lagen. Die Taleban (=Studenten) wurden von pakistanischen Offizieren ausgebildet und oft auch im Einsatz gelenkt. Sie wurden ausgerüstet mit Hilfe saudischer Gelder und mit von Saudi Arabien finanziertem Kampf- und Transportmaterial. Sie erwiesen sich als erfolgreich, gewiss wegen der pakistanischen Waffen- und Einsatzhilfe, aber auch weil die Bevölkerung damals von ihnen ein Ende des Dauerkrieges der Warlords erhoffte.
Doch die Rechnung der pakistanischen Offiziere ging wiederum nicht auf. Die Taleban beherrschten im Jahr 2001 fast das ganze Land und regierten in Kabul (es war nur noch die tajikische Widerstandsgruppe Rabbanis mit den Kämpfern unter Ahmed Shah Mas’ûd, die ihnen im Nordosten Afghanistans Widerstand leistete). Doch die Taleban erwiesen sich als wenig gewillt, eine Politik der engen Zusammenarbeit mit Pakistan zu führen. Ihnen lag vielmehr daran, ihrer Ideologie gemäss ein „islamisches Regime“ nach ihren eigenen, zutiefst konservativen, ja reaktionären Vorstellungen in Afghanistan einzuführen und durchzusetzen.
Dieses Regime war „fundamentalistisch“, jedoch von einem Fundamentalismus durchaus eigener Art, der die Züge eines pashtunischen Stammesislams kombinierte mit dem engst-möglichen Schari’a Verständnis und beides zusammen zum eisernen Gebot über ganz Afghanistan zu erheben bestrebt war.
In jener Periode waren die bevorzugten Waffen der Taleban nicht eigentlich teroristischer Art. Die Kämpfer bedienten sich leichter geländegängiger Lastwagen (sie wurden ihnen in Massen von Saudi Arabien aus zugestellt), auf die sie Maschinengewehre installierten und von denen aus sie selbst mit Maschinenpistolen schossen. Diese Geländefahrzeuge konnten zu grösseren Angriffsfronten massiert werden.
Bekanntlich wurden die Taleban, weil sie Ben Ladhen und seinen Gehilfen in Afghanistan Unterschlupf boten, von den Amerikanern mit Hilfe der Kämpfer des kurz vor dem Anschlag in New York ermordeten Ahmed Schah Mas’ûd (dies war ein Mordanschlag, der mit terroristischen Mitteln geschah, die Mörder sollen als tunesische Journalisten auftretende Selbstmordbomber gewesen sein) im Oktober und Anfang November 2001 relativ leicht nierdergekämpft und zur Flucht nach Süden gezwungen. Doch die Kader und viele der Kämpfer der Taleban fanden mit Hilfe von ISI Asyl in Belutschisten oder in den pakistanischen Stammesgebieten. Auch Ben Ladhens und seines zweiten Mannes, Zawahiris, konnten die amerikanischen Truppen seltsamerweise nicht habhaft werden.
Sechs Jahre Vernachlässigung
Der dann von Bush und seinen Beratern völlig unnötigerweise und unter gefälschten Behauptungen, die dazu dienten, den Krieg als notwendig darzustellen, im März 2003 ausgelöste Krieg im Irak und sein für die Amerikaner unerwarted ungünstiger Verlauf bewirkte dann, dass die Amerikaner sich nie bemühten, das Land Afghanistan voll zu beherrschen. Die von ihnen zugezogenen Nato Truppen, die sich weitgehend als „Friedenstruppen“ verstanden, taten es auch nicht. Stattdessen verfolgte man eine Politik der Sparflamme. Weil viel zu wenig Truppen zur Verfügung standen, um das ganze Land abzusichern, begnügten die amerikanischen und die Nato Soldaten sich damit, Kabul zu besetzen und einige Gruppen in die Landesteile zu entsenden, welche den pashtunischen Taleban ohnehin wenig zuneigten. Doch andere Landesteile verblieben in der Macht der War Lords, die nach dem Abzug der Taleban in ihre früheren Machtzentren zurückkehrten, wie etwa Ismail Khan in Herat und Dostom in Mazar-e-Scharif. Diese Warlods wurden als Scheinparlamentarier dem afghanischen Parlament einverleibt. Doch sie behielten ihre eigenen Milizen und damit auch ihre uneingeschränkte Macht in ihren separaten Machtbereichen bei.
Die Taleban sammelten sich erneut in den Stammesgebieten nah an den afghanischen Grenzen, wahrscheinlich mit Duldung der pakistanischen Armee, jedenfalls ohne dass diese gegen sie eingeschritten wäre. Ihre Rückkehr zu bewaffneten Aktivitäten in den Stammeszonen, wo sie auch auf Ueberreste von arabischen Kampfgruppen und usbekischen Jihadisten stiessen, die ebenfalls in den Stammeszonen Zuflucht gefunden hatten und sich neu organisierten, begünstigte auch die Entstehung der sogenannten pakistanischen Taleban.
All diese Bewaffneten gemeinsam, verbündet mit Stammeskriegern der Zone, brachten die zivilen Bevölkerungen der Stammesgebiete unter ihre Kontrolle. Die Stammesleute dürften ihrer islamistischen Ideologie und ihrem Schari’a Staat keineswegs zugeneigt zu haben. Doch wenn sie überleben wollten, mussten sie sich zusehends den Bewaffneten fügen, gegen die keine staatliche Gegenmacht in die Schranken trat.
Die Pakistanischen Taleban
Nachdem sie begonnen hatten in den Stammesgebieten vollendte Tatsachen zu schaffen, versuchten die „pakistanischen Taleban“ ihre Macht auf die pakistanischen Städte auszudehnen, die nahe an den Stammesgebieten lagen. Die pashtunische Stadt Peshawar und das balutchische. Quetta worden Hauptziele ihrer Infiltration. Doch es gab Zeiten, in denen sie ihren Einfluss auch in bestimmten Zonen von Islamabad geltend machten. Ihr Versuch, von der Roten Moschee in Islamabad und über die islamische Frauenschule daneben in den umliegenden Strassen die Macht zu übernehmen, indem sie die dortigen Ladenbesitzer zwingen wollten, nach ihrer fundamentalitisch verstandenen Version der Schari’a zu leben (März bis Juni 2007 ) führte zu einer der ersten blutigen Konfrontationen der pakistanischen Taleban mit der Armee. 1500 Mann der Armee umstellten die Moschee und nahmen die dortigen Kämpfer gefangen oder erschossen sie. Der damalige Anführer der pakistanischen Taleban, Baitullah Mehsûd, gelobte Rache, jedoch nicht in der Hauptsatdt sondern in den Stammesgebieten. Offensichtlich weil er sich dort in einer überlegenen Lage glaubte. Die Städte des pakistanischen Nordens jedoch, besonders jene innerhalb oder am Rande der pashtunischen Landesteile, wurden zu Zielen von Bombananschlägen (Fußnote 2).
Der Rückschlag der Taleban in der Hauptstadt führte so zum Uebergang von der Propaganda in den Moscheen zur Propaganda durch Terrorschläge. Die Anschläge waren dazu bestimmt, Unsicherheit in der Bevölkerung auszubreiten und ihr glaubhaft zu machen, dass die Regierung sie nicht wirksam verteidigen könne. Die Taleban wussten, wenn dies in den Augen grösserer Bevölkerungsteile glaubhaft würde, sähen diese sich gezwungen, das Regiment der Taleban anzuerkennen und sich ihren Geboten zu unterstellen. Wie dies in grösseren Teilen der Stammesgebiete und in mehreren Provinzen Afghanistans bereits Tatsache geworden war.
Diese Lage zwang die Armee die Herausforderung der Taleban anzunehmen und zu versuchen, gegen sie einzuschreiten. Freilich setzten die Offiziere zunächst in vielen Fällen auf Verhandlungen mit den islamistischen Kämpfern. Sie unterzeichneten Waffenstillstände, nach denen die Kämpfer ihre Waffen behielten, aber der pakistanischen Polizei eine gewisse Präsenz zusagten. Doch bald wurde deutlich, dass die Taleban solche Waffenstillstände brachen, Vorwände dafür liessen sich leicht schaffen, sobald sie sich in der Lage sahen, nach Abzug der Truppen erneut das Heft in die Hand zu nehmen. Dies war die Erfahrung, welche die pakistaniche Armee mit von ihr ausgehandelten „Waffenstillständen“ in Nord- und Südwaziristan und auch später in Swat machte.
Amerikanische Druckmaneuver
Die Amerikaner versuchten ihrerseits den Druck auf die pakistanische Armee zu erhöhen, um sie zu zwingen, den endgültigen Kampf gegen die pakistanischen Taleban aufzunehmen. Sie verwandten zweierlei Druckmittel. Ihre Unterstützung der pakistanischen Armee mit grossen geldsummen und mit Waffen wurde davon abhängig gemacht, dass die Armee energischer gegen die Taleban vorgehe.
Doch die Amerikaner schritten auch zu einem zweiten Druckmittel: sie begannen vermutete Sitze der Taleban in den Stammesgebieten mit Drohnen anzugreifen und zu zerstören. Dies führte unvermeidlich zu bedeutenden Verlusten an zivilen Menschenleben. Wieviele Kämpfer auf diesem Wege ausgeschaltet wurden, war oft unklar und manchmal umstritten. Pakistan, und in erster Linie die Sprecher der Streitkräfte, protestierten gegen diese Uebergriffe der USA auf pakistanisches Territorium. Offiziell hiess es, diese Verletzung der pakistanischen Souverainität sei „unerträglich“. Es gab aber gleichzeitig Berichte, die wissen wollten, die amerikanischen Drohnen starteten von pakistanischen Militärflugplätzen in Belutschistan.
Jedenfalls waren die Drohnenangriffe bei der Bevölkerung der Stammesgebiete, die ihnen ausgesetzt war, wenn sie gleich nicht das offizielle Ziel der Angriffe darstellte, sehr wenig beliebt. Sie steigerten den Hass auf Amerika und dienten dadurch der Rekrutierung von weiteren „Taleban“ – Kämpfern. Ganze Stämme und Stammesfraktionen der Stammesgebiete wurden so in die Arme der Taleban hineinbombardiert. In den Augen der pakistanischen Bevölkerung und besonders in denen der Stammeskrieger sank das Prestige der pakistanischen Armee. Sie sei ja nichteinaml in der Lage, so urteilten sie, pakistanisches Territorium gegen die Uebergriffe ihrer amerikanischen Verbündeten zu verteidigen. Auch dies wurde ein Grund für die Stammesleute, sich den Taleban anzuschliessen.
Rückkehr der Taleban nach Afghanistan
Die Entwicklung auf der afghanischen Seite der Pashtunen Gebiete verlief ähnlich. Die Taleban kehrten aus den Asylpositionen und den Ausbildungslagern, die sie in den pakistanischen Stammesgebieten betrieben über die Durand Linie zurück. Auch in Afghanistan gingen sie über zum Gebrauch von terroristischen Methoden. Dies war eine Lehre, die sie aus den irakischen Kämpfen gegen die amerikanische Besetzungsmacht zogen. Im Zuge ihrer vorhergehenden Machtergreifung über Afghanistan während der 90er Jahre, hatten sie Terrorrmethoden nur in seltenen Einzelfällen verwendet. Ihre Hauptwaffen waren damals Geldzahlungen an bestechbare Kampfgruppen gewesen plus Artillerie und Geländewagen mit Maschinengewehren.
Nach den jüngsten Statistiken, veröffentlicht von BBC, fielen in den ersten sechs Monaten von 2009 39 % der total 1013 zivilen Opfer des Afghanistan Krieges Selbstmordanschlägen und Bomben an den Strassen zum Opfer. 11 % kamen durch Mordanschläge um. Weitere 29 % durch „andere Aktionen der anti-Regierungskräfte“ (eine etwas unklare Kategorie). Aber weitere 20% wurde Opfer von „Luftangriffen“. Diese Luftangriffe (air strikes) können nur von amerikanischen oder europäischen Truppen ausgegangen sein. Sie stellen eine bedeutende Unterstützung der Bestreben der Taleban Kämpfer dar. Die Zunahme der Zahl der Opfer verglichen mit den ersten sechs Monaten von 2008 beträgt 24%.
Diese Statistiken müssen als unsicher angesehen werden. Sie gehen auf amerikanische und europäische Einschätzungen zurück. Sie dürften, wie dies bei allen Militärs üblich ist, zu Propagandazwecken geschönt sein. Die 20% der zivilen Opfer, welche die Luftangriffe verursachten, und die den gleichen politischen Effekt auslösten, welchen die Taleban mit ihren Mordaktionen anstreben, müssen daher als eine Minimalzahl angesehen werden.
Die Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte sind sich bewusst, dass der Tod von Unschuldigen den Zielen der amerikanischen Militäraktion widerspricht. Diese sind offiziell, die Zuneigung und Sympathie der Afghanen zu gewinnen. Mehrmals wurden Befehle ausgegeben, nach denen genau zu prüfen sei, ob ein Luftangriff Zivilisten gefährde, bevor er zugelassen werde. Doch es ist nicht klar, ob solche Befehle viel Wirklung zeigten. Die Kampfmethoden der amerikanischen Armee sind nicht leicht zu verändern. Diese bestehen daraus (in Afghanistan und im Irak), dass eine Patrouille, die angeschossen wird, zunächst in Deckung geht und einen Luftschlag anfordert. Der Luftangriff erfolgt, richtet sich gegen die vermuteten Quellen des feindlichen Feuers und führt nur zu leicht dazu, dass Häuser mit ihren zivilen Insassen zerstört werden. Die Taleban, falls wirklich solche vorhanden waren, können oft fliehen. Dieses Vorgehen schont das Leben der Soldaten. Jede Amee wird so handeln, dass sie ihre technische Ueberlegenheit dazu benützt, um das Leben ihrer Soldaten zu schonen. Wenn dies das Leben von Zivilisten gefährdet, düfte das den Soldaten weniger wichtig sein, als ihr eigenes Leben abzusichern. Dies gilt besonders, wenn die zivile Bevölkerung aus Menschen besteht, die den Besetzungssoldaten fremd sind und nur zu leicht von ihnen als eine geringere Menschenart angesehn werden.
Die Suche nach einem Ausweg
Mit den heute verwendeten militärischen Mitteln ist Afghanistan schwerlich zu retten. Dies geben alle Seiten zu. Der Streit beginnt mit der Frage, ist es glaubhaft, wie General McCrystal es will, dass Afghanistan stabilisert werden könnte, wenn Amerika weitere 40 000 Soldaten dorthin entsendet? - Die Gefahr ist, dass die grössere Zahl von amerikanischen Kämpfern auch eine grössere Zahl von afghanischen, auf der Seite der Taleban, mobilisiert. Die Pashtunen sehen mehr und mehr die ausländischen Truppen als Besetzungssoldaten, und diese sind umgekehrt auch mehr und mehr gezwungen, sich als solche zu verhalten, je gefährlicher das Leben für sie wird. Davon, dass sie Afghanistan helfen könnten, eine stabile und möglichst demokratische Regierung einzurichten (dies war der ursprüngliche Zweck ihrer Präsenz) kann weniger und weniger die Rede sein. Die soeben bekannt gegebene „Dislozierung“ der ausländischen UN Funktionäre aus Kabul – nach einem Selbstmordangriff auf das Gästehaus der UN – spricht eine deutliche Sprache. Die ebenfalls jüngst bekannt gegebene Ermordung fünf britischer Ausbilder durch einen Polizisten, den sie ausbilden sollten, ist ebenfalls beunruhigend.
Wie die Dinge heute stehen, ist es keineswegs sicher, ja eigentlich unwahrscheinlich, dass „mehr Stiefel“ , besonders wenn es sich um ausländische Stiefel handelt, das Land zu beruhigen vermöchten. Im benachbarten Kashmir, einem viel kleineren Gebiet mit rund fünf einhalb Millionen Einwohnern, stehen sehr viel mehr Stiefel im Einsatz als Amerika je nach Afghanistan schicken könnte. Zeitenweise sind es gegen 500 000 Mann der indischen Armee und kashmirischen Polizei. Doch Kashmir ist seit über 50 Jahren nie ganz zur Ruhe gekommen. Die Kashmiri gelten als sehr viel friedlichere Leute als die Paschtunen. Und die indischen Streitkräfte dürften um vieles weniger landesfremd sein als die Amerikaner und Europäer im Afghanistan. Doch ist unübersehbar, dass die Kashmiri heute der indischen Besetzung müde sind und am liebsten unabhängig würden.
Eine Lösung für Afghanistan und Pakistan dürfte schwer zu erreichen sein. Viele Jahre wurden vertrödelt, und heute ist es wahrscheinlich zu spät geworden für eine auf Amerika und die Nato Truppen abgestützte afghanische „Demokratie“ oder proto-Demokratie. Eine Politik, die über die enge – und ziemlich aussichtslose – militärische Terrorbekämpfung hinaus ginge, müsste einerseits die Afghanen vor ihre eigene Verantwortung stellen, etwa in dem Sinne, dass die Besetzungstruppen ihren Abzug in einer festen Zeitspanne, vielleicht zwei Jahren, festlegen, geschehe was wolle. Andrerseits müsste für eine Entspannung und gemeinsame Afghanistan-Politik sämtlicher Randstaaten gesorgt werden, die an Afghanistan angrenzen, etwa im Sinne eine internationalen Konferenz all der Staaten, denen primär daran liegt, Ruhe in Afghanistan zu schaffen, damit die Unruhe nicht zu ihnen übergreift, Das sind: Pakistan, Indien, die Staaten Zentralasiens, Russland, Iran. - Amerika und die Natostaaten könnten sich auch vertreten lassen und sollten als Animatoren, auch im finanziellen Bereich, fungieren.
Bevor eine solche Konferenz beginnen kann, müsste alles getan werden, um das Misstrauen zwischen Indien und Pakistan abzubauen und den Kashmirkonflikt endlich zu lösen. Die Spannungen zwischen Pakistan und Indien, in deren Zentrum der Kashmirkonflikt steht, wirken sich wesentlich auf die Lage in Afghanistan aus. Sie sind der Hauptgrund, der Pakistan in der Vergangenheit dazu brachte, Afghanistan als einen Schauplatz seines Ringens mit Indien anzusehen und zu behandeln sowie die islamistischen Kämpfer – die Pakistan auch in Kashmir dienen – zu hegen und zu pflegen. Die gleichen Kämpfer, die heute in Pakistan und in Afghanistan alle Sicherheit unterlaufen.
Der pakistanischen Armee geht es seit 50 Jaren nicht nur darum, in Kashmir den Topf am Kochen zu erhalten, damit die pakistanischen Forderungen nicht in Vergessenheit geraten. Sie sieht auch mit Genugtuung, dass die dortigen Spannungen, angeheizt durch die von ihnen begünstigten islamistischen Kämpfer, grosse Teile der regulären indischen Armee binden und beschäftigen. Diese Teile, so urteilt ISI, und es ist manchmal beinahe die Hälfte, „fallen aus als direkte Bedrohung unserer Grenzen“. – Eine Eingrenzung des afghanischen Konfliktherdes durch die Aussenstaaten ist nur denkbar, wenn Indien und Pakistan ein gemeinsames Interesse daran entwicklen. Nicht, solange die beiden Afghanistan als einen Einsatz in ihrem bilaterlaen Ringen verstehen.
Die beiden offenen Wunden der Region, die beide seit 1949 bluten, und die beide nur provisorisch – nicht definitv - gelöst sind, die Pashtunenfrage mit der Durand Linie und die Kashmirfrage mit ihrer „Line of Controll“, müssten angepakt werden, wenn es um echte Lösungen, nicht bloss um gewaltsame und daher wenig aussichtsreiche, weil gewaltbedingte und an Gewalt gebundene, Befriedungen gehen soll.
Worum geht es wirklich für Amerika?
Eine weitere Vorbedingung zu einer Lösung wäre wohl, dass in den amerikanischen Köpfen etwas deutlicher werde, dass die Afghanistan Frage aus humanitären Gründen, weil es um die Lebens- und Ueberlebensbedingungen der Afghanen und der afghanischen Frauen geht, von Wichtigkeit ist – aber nicht aus Gründen der „amerikanischen Sicherheit“. Das gleiche gilt für Pakistan, mit der Ergänzung, dass Pakistan als ein sehr grosser und über Atomwaffen verfügender Staat auch seine weltpolitische Bedeutung besitzt. Es war einmal so, dass New York und Washington sich von Terroristen überraschen liessen, die von der in Afghanistan situierten al-Qa’eda ferngesteuert und finanziert wurden (jedenfalls wenn man der offiziellen Version der Ereignisse des 11. Sept. 2001 Glauben schenken will). Doch seither haben keine Terroranschläge mehr aus der gleichen Quelle in den USA stattgefunden. Was nur bedeuten kann, dass die Qa’eda Leute (soweit sie noch existieren) dazu nicht in der Lage waren. Amerika kann auch künftig mit polizeilichen, diplomatischen und finanziellen Massnahmen abgesichert werden, wenn in Afghanistan die Taleban herrschen. – Wahrscheinlich ist dies vielen Verantwortlichen der Obama Regierung klar. Doch sie sagen es nicht öffentlich, weil die amerikanische Bevölkerung einem weiteren und erweiterten Krieg in Afghanistan (der zur Zeit noch erwogen wird) allerhöchstens dann zustimmen dürfte, wenn sie glaubt, sie selbst und ihr Land seien gefährdet und sie würden „in Afghanistan“ gewissermassen auf vorgelagerter Front „verteidigt“.
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1) Er übernahm die Macht ein zweites Mal im Jahr 1973, diesmal indem er mit Hilfe der in der Sowjetunion ausgebildeten Offiziere seinen Vetter, den König, absetzte und als Diktator regierte. Er beendte damit ein demokratisches Experiment, das der König begonnen hatte, nur um 5 Jahre später dem pro-kommunistischen Staatsstreich der gleichen Linksoffiziere zum Opfer zu fallen.
2) Im Oktober 2009 fanden 4 grosse Anschläge in Peschawar statt sowie je einer in Kuhat, Rawalpindi, Islamabad, Lahore und im Swat Tal.
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Mittwoch, 4. November 2009
IRAN: „Wir werden niemals vom Feld flüchten“
Wie Irans „Grüne Bewegung“ versucht, trotz massiver Repressionen die Straße zurück zu erobern
von Birgit Cerha
Der „13. Aban“, jener denkwürdige 4. November, an dem iranische Massen seit genau drei Jahrzehnten der Besetzung der US-Botschaft in Teheran gedenken, sollten alle daran erinnern, „dass das Volk der wahre Führer ist“. Viele mutige Iraner folgten diesem versteckten Aufruf Mir Hussein Mussawis, des Führers der oppositionellen „Grünen Bewegung“, die iranischen Straßen zurück zu erobern. Ein massives Aufgebot an Sicherheitskräften hatte das Regime aufgeboten, drei Millionen paramilitärische Bassidsch standen nach Angaben ihrer Führer bereit, damit „die Grünen“ diesen islamistischen Radikalen so „heiligen“ Tag nicht für ihre Zwecke umfunktionierten. Und wieder kam es zu Schlägereien, Verletzungen, Verhaftungen gewaltloser Demonstranten, die eine Annullierung des manipulierten Ergebnisses der Präsidentschaftswahl am 6. Juni und die Freilassung politischer Gefangener fordern.
Seitdem die Sicherheitskräfte im Auftrag des „Geistlichen Führeres“ Khamenei jede kleinste Kundgebung der Opposition mit voller Brutalität zerschlagen, versuchen die Führer der „Grünen“ , Mussawi, Mehdi Karrubi und Mohammed Khatami offizielle politische Aktionstage zur Herausforderung des Regimes zu nutzen. Dies geschah zuletzt im September an einem Gedenktag für die Palästinenser. Der 4. November aber ist ein ganz besonderer Tag. Denn die 444-tägige Odyssee, die damals durch die Botschaftsbesetzung für 52 amerikanische Geiseln begonnen hatte, markiert nicht nur den bis heute anhaltenden Bruch mit der Supermacht, sondern in den Augen hartgesottener islamischer Revolutionäre auch die Definition des neuen Staates. Die stets wiederkehrenden Rufe „Tod Amerika“, „Tod Israel“, von regimetreuen Massen gebrüllt, deinen stets dazu, ersterbenden revolutionären Eifer neu zu entfachen, vor allem aber die Treue zu den zunehmend ungeliebten despotischen Herrschern wenigstens ein wenig zu stärken.
Einige der Studenten, die damals die Botschaft besetzten, zählen heute zu scharfen Kritikern der islamischen Führung. „Tod für niemanden“ und „Tag des Respekts anderer Staaten“ lauten die Slogans, die Oppositionelle Mittwoch dem Regime entgegen hielten. Seine Anhänger“, so stellte Mussawi auf seiner Website klar, seien „die wahren Besitzer des Landes. Früher oder später, wenn Gott will viel früher, werden die Feinde des Volkes die Bühne verlassen.“ Und ungeachtet auch physischer Gewalt und der steten Gefahr vor Verhaftung oder gar Exekution, lässt auch Karrubi keine Zweifel daran, dass er „niemals vom Feld flüchten“ werde.
Seit Juni wird der Iran von einer Clique kompromissloser extremistischer Geistlicher und radikalen Führern der Revolutionsgarden despotisch beherrscht wie kaum zuvor. Mit einer Mischung von ungeheurer Brutalität und gelegentlicher Milde versucht das Regime, wieder voll die Kontrolle über das Land zu gewinnen und die Opposition zu zerschlagen. Bisher allerdings vergeblich.
Erst vor wenigen Tagen kündigte Khamenei eine gnadenlose Fortsetzung der Repressionen an: Das Wahlergebnis vom Juni in Zweifel zu ziehen, sei „das größte Verbrechen“. Mindestens 200 friedliche Demonstranten, Journalisten, Intellektuelle, Führer der Reformbewegung, Menschenrechtsaktivisten erleiden seit Monaten schlimmste Gefängnisqualen, einige von ihnen Folter und Isolationshaft. Einige wurden gegen hohe Kautionen freigelassen, noch die Verhaftungswelle hält an. Familienangehörige Inhaftierter werden in Gefängnisse geschleppt oder auf andere Weise brutal eingeschüchtert. Drei Monarchisten wurden zum Tode verurteilt, nachdem mehrere Gefangene zu Tode gefoltert, zahlreiche Demonstranten auf offener Straße von wahllos losschlagenden Sicherheitskräften oder jugendlichen Bassidsch ermordet worden waren.
„Das Ausmaß und die Intensität der Gewalt, die Dissidenten und friedliche Demonstranten in den vergangenen Monaten erlitten (und immer noch erleiden) ist selbst nach den Maßstäben der Islamischen Republik schockierend“, stellt der iranische Soziologieprofessor Ahmad Sadri alarmiert fest. Und er erinnert daran, dass Schauprozesse, wie sie in den vergangenen Wochen gegen Dutzende Reformer veranstaltet wurden, „nichts neues“ in der Geschichte der „Islamischen Republik“ sind. Doch nie zuvor seien die Opfer noch für unabsehbare Zeit weiter im Gefängnis gehalten worden, nachdem sie vor Fernsehkameras ihre erzwungenen Geständnisse abgegeben hätten. Einer dieser Unglückseligen, der einstige Vizepräsident unter Khatami, Mohammed Ali Abtahi, wird weiterhin gezwungen, selbstanklagende Stellungnahmen in seinem Blog zu schreiben. „Diese horrenden Menschenrechtsverletzungen sind deshalb so schockierend, weil die „Islamische Republik“ das Ergebnis einer echten Volksrevolution ist. Sie errang ihren Erfolg durch das Versprechen von einer Freiheit, die Tausende Blumen hervorbringt“, betont Sadri. Eines der Slogans Khomeinis sei damals aus einem Gedicht des berühmten persischen Poeten Hafez genommen worden: „Nur wenn der Teufel scheidet, soll der Engel eintreffen.“ Und Sadri fügt hinzu: „Der göttliche Glorienschein hat sich in eine satanische Aura gewandelt und das Absolute Gute wurde zu purem Übel“.
Dennoch weigert sich die „Grüne Bewegung“ aufgrund der harten revolutionären Erfahrung, trotz wilder Repression des Staates, erneut eine Revolution vom Zaum zu brechen. Mussawi, Karrubi und Khatami bekennen sich weiterhin zum islamischen System. Sie rufen lediglich die USA und EU-Führer auf, das iranische Regime zur Einhaltung der allgemein gültigen Grundsätze der Menschenrechte zu drängen und sich nicht bei den Atomgesprächen mit Teheran von Doppelmoral leiten zu lassen. Irans „Grüne“ sind „Gradualisten“, die wissen, wie sie warten und kämpfen müssen und sich dafür nach Aussagen einer ihrer Führer sogar ein, zwei Generationen Zeit geben wollen.
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von Birgit Cerha
Der „13. Aban“, jener denkwürdige 4. November, an dem iranische Massen seit genau drei Jahrzehnten der Besetzung der US-Botschaft in Teheran gedenken, sollten alle daran erinnern, „dass das Volk der wahre Führer ist“. Viele mutige Iraner folgten diesem versteckten Aufruf Mir Hussein Mussawis, des Führers der oppositionellen „Grünen Bewegung“, die iranischen Straßen zurück zu erobern. Ein massives Aufgebot an Sicherheitskräften hatte das Regime aufgeboten, drei Millionen paramilitärische Bassidsch standen nach Angaben ihrer Führer bereit, damit „die Grünen“ diesen islamistischen Radikalen so „heiligen“ Tag nicht für ihre Zwecke umfunktionierten. Und wieder kam es zu Schlägereien, Verletzungen, Verhaftungen gewaltloser Demonstranten, die eine Annullierung des manipulierten Ergebnisses der Präsidentschaftswahl am 6. Juni und die Freilassung politischer Gefangener fordern.
Seitdem die Sicherheitskräfte im Auftrag des „Geistlichen Führeres“ Khamenei jede kleinste Kundgebung der Opposition mit voller Brutalität zerschlagen, versuchen die Führer der „Grünen“ , Mussawi, Mehdi Karrubi und Mohammed Khatami offizielle politische Aktionstage zur Herausforderung des Regimes zu nutzen. Dies geschah zuletzt im September an einem Gedenktag für die Palästinenser. Der 4. November aber ist ein ganz besonderer Tag. Denn die 444-tägige Odyssee, die damals durch die Botschaftsbesetzung für 52 amerikanische Geiseln begonnen hatte, markiert nicht nur den bis heute anhaltenden Bruch mit der Supermacht, sondern in den Augen hartgesottener islamischer Revolutionäre auch die Definition des neuen Staates. Die stets wiederkehrenden Rufe „Tod Amerika“, „Tod Israel“, von regimetreuen Massen gebrüllt, deinen stets dazu, ersterbenden revolutionären Eifer neu zu entfachen, vor allem aber die Treue zu den zunehmend ungeliebten despotischen Herrschern wenigstens ein wenig zu stärken.
Einige der Studenten, die damals die Botschaft besetzten, zählen heute zu scharfen Kritikern der islamischen Führung. „Tod für niemanden“ und „Tag des Respekts anderer Staaten“ lauten die Slogans, die Oppositionelle Mittwoch dem Regime entgegen hielten. Seine Anhänger“, so stellte Mussawi auf seiner Website klar, seien „die wahren Besitzer des Landes. Früher oder später, wenn Gott will viel früher, werden die Feinde des Volkes die Bühne verlassen.“ Und ungeachtet auch physischer Gewalt und der steten Gefahr vor Verhaftung oder gar Exekution, lässt auch Karrubi keine Zweifel daran, dass er „niemals vom Feld flüchten“ werde.
Seit Juni wird der Iran von einer Clique kompromissloser extremistischer Geistlicher und radikalen Führern der Revolutionsgarden despotisch beherrscht wie kaum zuvor. Mit einer Mischung von ungeheurer Brutalität und gelegentlicher Milde versucht das Regime, wieder voll die Kontrolle über das Land zu gewinnen und die Opposition zu zerschlagen. Bisher allerdings vergeblich.
Erst vor wenigen Tagen kündigte Khamenei eine gnadenlose Fortsetzung der Repressionen an: Das Wahlergebnis vom Juni in Zweifel zu ziehen, sei „das größte Verbrechen“. Mindestens 200 friedliche Demonstranten, Journalisten, Intellektuelle, Führer der Reformbewegung, Menschenrechtsaktivisten erleiden seit Monaten schlimmste Gefängnisqualen, einige von ihnen Folter und Isolationshaft. Einige wurden gegen hohe Kautionen freigelassen, noch die Verhaftungswelle hält an. Familienangehörige Inhaftierter werden in Gefängnisse geschleppt oder auf andere Weise brutal eingeschüchtert. Drei Monarchisten wurden zum Tode verurteilt, nachdem mehrere Gefangene zu Tode gefoltert, zahlreiche Demonstranten auf offener Straße von wahllos losschlagenden Sicherheitskräften oder jugendlichen Bassidsch ermordet worden waren.
„Das Ausmaß und die Intensität der Gewalt, die Dissidenten und friedliche Demonstranten in den vergangenen Monaten erlitten (und immer noch erleiden) ist selbst nach den Maßstäben der Islamischen Republik schockierend“, stellt der iranische Soziologieprofessor Ahmad Sadri alarmiert fest. Und er erinnert daran, dass Schauprozesse, wie sie in den vergangenen Wochen gegen Dutzende Reformer veranstaltet wurden, „nichts neues“ in der Geschichte der „Islamischen Republik“ sind. Doch nie zuvor seien die Opfer noch für unabsehbare Zeit weiter im Gefängnis gehalten worden, nachdem sie vor Fernsehkameras ihre erzwungenen Geständnisse abgegeben hätten. Einer dieser Unglückseligen, der einstige Vizepräsident unter Khatami, Mohammed Ali Abtahi, wird weiterhin gezwungen, selbstanklagende Stellungnahmen in seinem Blog zu schreiben. „Diese horrenden Menschenrechtsverletzungen sind deshalb so schockierend, weil die „Islamische Republik“ das Ergebnis einer echten Volksrevolution ist. Sie errang ihren Erfolg durch das Versprechen von einer Freiheit, die Tausende Blumen hervorbringt“, betont Sadri. Eines der Slogans Khomeinis sei damals aus einem Gedicht des berühmten persischen Poeten Hafez genommen worden: „Nur wenn der Teufel scheidet, soll der Engel eintreffen.“ Und Sadri fügt hinzu: „Der göttliche Glorienschein hat sich in eine satanische Aura gewandelt und das Absolute Gute wurde zu purem Übel“.
Dennoch weigert sich die „Grüne Bewegung“ aufgrund der harten revolutionären Erfahrung, trotz wilder Repression des Staates, erneut eine Revolution vom Zaum zu brechen. Mussawi, Karrubi und Khatami bekennen sich weiterhin zum islamischen System. Sie rufen lediglich die USA und EU-Führer auf, das iranische Regime zur Einhaltung der allgemein gültigen Grundsätze der Menschenrechte zu drängen und sich nicht bei den Atomgesprächen mit Teheran von Doppelmoral leiten zu lassen. Irans „Grüne“ sind „Gradualisten“, die wissen, wie sie warten und kämpfen müssen und sich dafür nach Aussagen einer ihrer Führer sogar ein, zwei Generationen Zeit geben wollen.
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Sonntag, 1. November 2009
Birgit Cerha: „Tu uns einen Gefallen: Geh einfach“
In Ägypten wachsen Unmut und Unsicherheit über die ungeklärte Nachfolge des altersschwächlichen Präsidenten
Der alljährliche Kongress der ägyptischen Regierungspartei NDP (Nationale Demokratische Partei) geht heute, Montag, zuende, ohne dass die führenden Politiker des autokratisch-zentralistisch regierten Landes am Nil die wichtigste Frage für die unmittelbare Zukunft auch nur angeschnitten hätten: Wer wird dem 81-jährigen Hosni Mubarak auf den Präsidentenstuhl folgen?
Der 81-jährige Präsident selbst präsentierte sich in seiner Eröffnungsrede ungewöhnlich fit und guter Stimmung und pries die junge Garde in der Partei, die unter der Führung seines Sohnes Gamal Ägypten effizient auf dem Weg der Reformen lenke. Den Sohn allerdings nannte der Vater lieber nicht beim Namen, denn um den 45-jährigen ehemaligen Investmentbanker und stellvertretenden Parteichef ranken hartnäckige Gerüchte. Wiewohl von den beiden Mubaraks stets heftig dementiert, hegen viele Ägypter keine Zweifel daran, dass der Präsident den Sohn seit einigen Jahren zu seinem politischen Nachfolger aufbaut.
Hosni Mubarak hat in den 28 Jahren seiner autoritären Herrschaft stets Rivalen derart gefürchtet, dass er bis heute keinen Stellvertreter ernannte. Doch nun macht ihm das Alter zunehmend zu schaffen. Die ägyptische Öffentlichkeit bekommt ihren „Pharao“ kaum noch zu Gesicht. Von wiederholten Attacken kurzer Bewusstlosigkeit ist die Rede. Journalisten aber, die in den vergangenen zwei Jahren dieses Thema aufzugreifen wagten, wurde mit Gefängnisstrafen der Mund gestopft. 2011 aber läuft Mubaraks Amtszeit aus. Wird er erneut kandidieren, um Gamals Nachfolge durch seinen Präsidentenschutz besser abzusichern? Kein Wort fiel darüber auf dem Parteikongreß. Vielmehr finden gegenwärtig in etwa 300 Wahlkreisen interne Parteiwahlen statt, mit dem Ziel eine „neue Garde“ von Technokraten, Anhängern Gamals, in wichtige Positionen zu hieven und damit die Position des Präsidentensohnes innerhalb der Partei zu konsolidieren.
Gamal präsentiert sich dem Land als politischer und ökonomischer Reformer. Doch insbesondere seine wirtschaftspolitischen Maßnahmen haben ihm heftige Vorwürfe der Korruption und persönlichen Bereicherung eingetragen. Viele Ägypter werfen ihm und dem gesamten Regime Kaltherzigkeit gegenüber der Masse der Armen vor. 20 Prozent der Bevölkerung lebt nach Schätzungen unter der Armutsgrenze.
Die Ungewissheit über die Frage der Nachfolge habe Ägypten in eine Krise gestürzt, klagt der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Führer der Ghad-Partei, Ayman Nur, der vor wenigen Monaten nach mehr als dreijährigem Gefängnisaufenthalt entlassen worden war. Der liberale Herausforderer des Präsidenten war nach den Wahlen 2005 wegen angeblicher Wahlfälschung und falscher Aussagen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Zuvor hatte Nour „Kifaya“ (Genug) , eine einzigartige Protestbewegung organisiert, die sich gegen die Machtübergabe vom Vater auf den Sohn gewandt hatte und von den Sicherheitskräften schließlich brutal zerschlagen worden war. Nun versucht Nour dieser demokratischen Strömung unter dem Motto „Mayihkomsch“ („Er darf nicht herrschen“) neues Leben einzuhauchen. „Mayihkomsch“ ist ein Ruf, den gläubige Muslime an Allah richten, wenn sie unter den autoritären Methoden ihrer Herrscher all zu sehr leiden. „Unsere Verfassung sieht eine Republik vor und kein Königreich“, erklärte Nour zum Auftakt seiner neuen Bewegung Mitte Oktober. „Wir müssen uns gegen diesen irregulären Staat, in dem ein künftiger Präsident bereits alle Pflichten eines Staatsoberhauptes ausübt, wehren.“
Die ungeklärte Nachfolgefrage beunruhigt aber auch zunehmend Kreise im herrschenden Establishment. So veröffentlichte der prominente 86-jährige ehemalige Vertraute des ägyptischen Präsidenten Nasser, Mohammed Heikal, im Oktober einen Plan, um das Land aus der Krise zu führen, es in einer Übergangsperiode von drei Jahren „neu aufzubauen“. Eindringlich appelliert Heikal an Mubarak: „Tu uns einen Gefallen, Herr Präsident – Geh einfach“. An seiner Stelle soll eine Übergangsregierung unter Führung des gegenwärtigen Handelsministers Rashid und des Finanzministers Boutros Ghali als Stellvertreter das Land führen, während ein „Think Tank“ führender ägyptischer Persönlichkeiten (darunter dem scheidenden Chef der Atombehörde ElBaradei, dem Nobelpreisträger für Chemie, Yacoub, sowie dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mousa, einen neuen „Sozialen Kontrakt“, d.h. eine Verfassung ausarbeiten, über die das Volk ein einem Referendum abstimmen soll.
Die gefährdete Stabilität hält nicht nur Investoren aus Ägypten fern, sondern bewog bereits führende Militärs des ägyptischen Verbündeten USA zu einer ernsten Warnung: der Nachfolgeprozeß in Ägypten werde beträchtliche Probleme schaffen, die Auswirkungen auf die gesamte Region haben würden, warnt das „US Army War College“.
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Der alljährliche Kongress der ägyptischen Regierungspartei NDP (Nationale Demokratische Partei) geht heute, Montag, zuende, ohne dass die führenden Politiker des autokratisch-zentralistisch regierten Landes am Nil die wichtigste Frage für die unmittelbare Zukunft auch nur angeschnitten hätten: Wer wird dem 81-jährigen Hosni Mubarak auf den Präsidentenstuhl folgen?
Der 81-jährige Präsident selbst präsentierte sich in seiner Eröffnungsrede ungewöhnlich fit und guter Stimmung und pries die junge Garde in der Partei, die unter der Führung seines Sohnes Gamal Ägypten effizient auf dem Weg der Reformen lenke. Den Sohn allerdings nannte der Vater lieber nicht beim Namen, denn um den 45-jährigen ehemaligen Investmentbanker und stellvertretenden Parteichef ranken hartnäckige Gerüchte. Wiewohl von den beiden Mubaraks stets heftig dementiert, hegen viele Ägypter keine Zweifel daran, dass der Präsident den Sohn seit einigen Jahren zu seinem politischen Nachfolger aufbaut.
Hosni Mubarak hat in den 28 Jahren seiner autoritären Herrschaft stets Rivalen derart gefürchtet, dass er bis heute keinen Stellvertreter ernannte. Doch nun macht ihm das Alter zunehmend zu schaffen. Die ägyptische Öffentlichkeit bekommt ihren „Pharao“ kaum noch zu Gesicht. Von wiederholten Attacken kurzer Bewusstlosigkeit ist die Rede. Journalisten aber, die in den vergangenen zwei Jahren dieses Thema aufzugreifen wagten, wurde mit Gefängnisstrafen der Mund gestopft. 2011 aber läuft Mubaraks Amtszeit aus. Wird er erneut kandidieren, um Gamals Nachfolge durch seinen Präsidentenschutz besser abzusichern? Kein Wort fiel darüber auf dem Parteikongreß. Vielmehr finden gegenwärtig in etwa 300 Wahlkreisen interne Parteiwahlen statt, mit dem Ziel eine „neue Garde“ von Technokraten, Anhängern Gamals, in wichtige Positionen zu hieven und damit die Position des Präsidentensohnes innerhalb der Partei zu konsolidieren.
Gamal präsentiert sich dem Land als politischer und ökonomischer Reformer. Doch insbesondere seine wirtschaftspolitischen Maßnahmen haben ihm heftige Vorwürfe der Korruption und persönlichen Bereicherung eingetragen. Viele Ägypter werfen ihm und dem gesamten Regime Kaltherzigkeit gegenüber der Masse der Armen vor. 20 Prozent der Bevölkerung lebt nach Schätzungen unter der Armutsgrenze.
Die Ungewissheit über die Frage der Nachfolge habe Ägypten in eine Krise gestürzt, klagt der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Führer der Ghad-Partei, Ayman Nur, der vor wenigen Monaten nach mehr als dreijährigem Gefängnisaufenthalt entlassen worden war. Der liberale Herausforderer des Präsidenten war nach den Wahlen 2005 wegen angeblicher Wahlfälschung und falscher Aussagen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Zuvor hatte Nour „Kifaya“ (Genug) , eine einzigartige Protestbewegung organisiert, die sich gegen die Machtübergabe vom Vater auf den Sohn gewandt hatte und von den Sicherheitskräften schließlich brutal zerschlagen worden war. Nun versucht Nour dieser demokratischen Strömung unter dem Motto „Mayihkomsch“ („Er darf nicht herrschen“) neues Leben einzuhauchen. „Mayihkomsch“ ist ein Ruf, den gläubige Muslime an Allah richten, wenn sie unter den autoritären Methoden ihrer Herrscher all zu sehr leiden. „Unsere Verfassung sieht eine Republik vor und kein Königreich“, erklärte Nour zum Auftakt seiner neuen Bewegung Mitte Oktober. „Wir müssen uns gegen diesen irregulären Staat, in dem ein künftiger Präsident bereits alle Pflichten eines Staatsoberhauptes ausübt, wehren.“
Die ungeklärte Nachfolgefrage beunruhigt aber auch zunehmend Kreise im herrschenden Establishment. So veröffentlichte der prominente 86-jährige ehemalige Vertraute des ägyptischen Präsidenten Nasser, Mohammed Heikal, im Oktober einen Plan, um das Land aus der Krise zu führen, es in einer Übergangsperiode von drei Jahren „neu aufzubauen“. Eindringlich appelliert Heikal an Mubarak: „Tu uns einen Gefallen, Herr Präsident – Geh einfach“. An seiner Stelle soll eine Übergangsregierung unter Führung des gegenwärtigen Handelsministers Rashid und des Finanzministers Boutros Ghali als Stellvertreter das Land führen, während ein „Think Tank“ führender ägyptischer Persönlichkeiten (darunter dem scheidenden Chef der Atombehörde ElBaradei, dem Nobelpreisträger für Chemie, Yacoub, sowie dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mousa, einen neuen „Sozialen Kontrakt“, d.h. eine Verfassung ausarbeiten, über die das Volk ein einem Referendum abstimmen soll.
Die gefährdete Stabilität hält nicht nur Investoren aus Ägypten fern, sondern bewog bereits führende Militärs des ägyptischen Verbündeten USA zu einer ernsten Warnung: der Nachfolgeprozeß in Ägypten werde beträchtliche Probleme schaffen, die Auswirkungen auf die gesamte Region haben würden, warnt das „US Army War College“.
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