Wie Irans „Grüne Bewegung“ versucht, trotz massiver Repressionen die Straße zurück zu erobern
von Birgit Cerha
Der „13. Aban“, jener denkwürdige 4. November, an dem iranische Massen seit genau drei Jahrzehnten der Besetzung der US-Botschaft in Teheran gedenken, sollten alle daran erinnern, „dass das Volk der wahre Führer ist“. Viele mutige Iraner folgten diesem versteckten Aufruf Mir Hussein Mussawis, des Führers der oppositionellen „Grünen Bewegung“, die iranischen Straßen zurück zu erobern. Ein massives Aufgebot an Sicherheitskräften hatte das Regime aufgeboten, drei Millionen paramilitärische Bassidsch standen nach Angaben ihrer Führer bereit, damit „die Grünen“ diesen islamistischen Radikalen so „heiligen“ Tag nicht für ihre Zwecke umfunktionierten. Und wieder kam es zu Schlägereien, Verletzungen, Verhaftungen gewaltloser Demonstranten, die eine Annullierung des manipulierten Ergebnisses der Präsidentschaftswahl am 6. Juni und die Freilassung politischer Gefangener fordern.
Seitdem die Sicherheitskräfte im Auftrag des „Geistlichen Führeres“ Khamenei jede kleinste Kundgebung der Opposition mit voller Brutalität zerschlagen, versuchen die Führer der „Grünen“ , Mussawi, Mehdi Karrubi und Mohammed Khatami offizielle politische Aktionstage zur Herausforderung des Regimes zu nutzen. Dies geschah zuletzt im September an einem Gedenktag für die Palästinenser. Der 4. November aber ist ein ganz besonderer Tag. Denn die 444-tägige Odyssee, die damals durch die Botschaftsbesetzung für 52 amerikanische Geiseln begonnen hatte, markiert nicht nur den bis heute anhaltenden Bruch mit der Supermacht, sondern in den Augen hartgesottener islamischer Revolutionäre auch die Definition des neuen Staates. Die stets wiederkehrenden Rufe „Tod Amerika“, „Tod Israel“, von regimetreuen Massen gebrüllt, deinen stets dazu, ersterbenden revolutionären Eifer neu zu entfachen, vor allem aber die Treue zu den zunehmend ungeliebten despotischen Herrschern wenigstens ein wenig zu stärken.
Einige der Studenten, die damals die Botschaft besetzten, zählen heute zu scharfen Kritikern der islamischen Führung. „Tod für niemanden“ und „Tag des Respekts anderer Staaten“ lauten die Slogans, die Oppositionelle Mittwoch dem Regime entgegen hielten. Seine Anhänger“, so stellte Mussawi auf seiner Website klar, seien „die wahren Besitzer des Landes. Früher oder später, wenn Gott will viel früher, werden die Feinde des Volkes die Bühne verlassen.“ Und ungeachtet auch physischer Gewalt und der steten Gefahr vor Verhaftung oder gar Exekution, lässt auch Karrubi keine Zweifel daran, dass er „niemals vom Feld flüchten“ werde.
Seit Juni wird der Iran von einer Clique kompromissloser extremistischer Geistlicher und radikalen Führern der Revolutionsgarden despotisch beherrscht wie kaum zuvor. Mit einer Mischung von ungeheurer Brutalität und gelegentlicher Milde versucht das Regime, wieder voll die Kontrolle über das Land zu gewinnen und die Opposition zu zerschlagen. Bisher allerdings vergeblich.
Erst vor wenigen Tagen kündigte Khamenei eine gnadenlose Fortsetzung der Repressionen an: Das Wahlergebnis vom Juni in Zweifel zu ziehen, sei „das größte Verbrechen“. Mindestens 200 friedliche Demonstranten, Journalisten, Intellektuelle, Führer der Reformbewegung, Menschenrechtsaktivisten erleiden seit Monaten schlimmste Gefängnisqualen, einige von ihnen Folter und Isolationshaft. Einige wurden gegen hohe Kautionen freigelassen, noch die Verhaftungswelle hält an. Familienangehörige Inhaftierter werden in Gefängnisse geschleppt oder auf andere Weise brutal eingeschüchtert. Drei Monarchisten wurden zum Tode verurteilt, nachdem mehrere Gefangene zu Tode gefoltert, zahlreiche Demonstranten auf offener Straße von wahllos losschlagenden Sicherheitskräften oder jugendlichen Bassidsch ermordet worden waren.
„Das Ausmaß und die Intensität der Gewalt, die Dissidenten und friedliche Demonstranten in den vergangenen Monaten erlitten (und immer noch erleiden) ist selbst nach den Maßstäben der Islamischen Republik schockierend“, stellt der iranische Soziologieprofessor Ahmad Sadri alarmiert fest. Und er erinnert daran, dass Schauprozesse, wie sie in den vergangenen Wochen gegen Dutzende Reformer veranstaltet wurden, „nichts neues“ in der Geschichte der „Islamischen Republik“ sind. Doch nie zuvor seien die Opfer noch für unabsehbare Zeit weiter im Gefängnis gehalten worden, nachdem sie vor Fernsehkameras ihre erzwungenen Geständnisse abgegeben hätten. Einer dieser Unglückseligen, der einstige Vizepräsident unter Khatami, Mohammed Ali Abtahi, wird weiterhin gezwungen, selbstanklagende Stellungnahmen in seinem Blog zu schreiben. „Diese horrenden Menschenrechtsverletzungen sind deshalb so schockierend, weil die „Islamische Republik“ das Ergebnis einer echten Volksrevolution ist. Sie errang ihren Erfolg durch das Versprechen von einer Freiheit, die Tausende Blumen hervorbringt“, betont Sadri. Eines der Slogans Khomeinis sei damals aus einem Gedicht des berühmten persischen Poeten Hafez genommen worden: „Nur wenn der Teufel scheidet, soll der Engel eintreffen.“ Und Sadri fügt hinzu: „Der göttliche Glorienschein hat sich in eine satanische Aura gewandelt und das Absolute Gute wurde zu purem Übel“.
Dennoch weigert sich die „Grüne Bewegung“ aufgrund der harten revolutionären Erfahrung, trotz wilder Repression des Staates, erneut eine Revolution vom Zaum zu brechen. Mussawi, Karrubi und Khatami bekennen sich weiterhin zum islamischen System. Sie rufen lediglich die USA und EU-Führer auf, das iranische Regime zur Einhaltung der allgemein gültigen Grundsätze der Menschenrechte zu drängen und sich nicht bei den Atomgesprächen mit Teheran von Doppelmoral leiten zu lassen. Irans „Grüne“ sind „Gradualisten“, die wissen, wie sie warten und kämpfen müssen und sich dafür nach Aussagen einer ihrer Führer sogar ein, zwei Generationen Zeit geben wollen.
Mittwoch, 4. November 2009
IRAN: „Wir werden niemals vom Feld flüchten“
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