In Ägypten wachsen Unmut und Unsicherheit über die ungeklärte Nachfolge des altersschwächlichen Präsidenten
Der alljährliche Kongress der ägyptischen Regierungspartei NDP (Nationale Demokratische Partei) geht heute, Montag, zuende, ohne dass die führenden Politiker des autokratisch-zentralistisch regierten Landes am Nil die wichtigste Frage für die unmittelbare Zukunft auch nur angeschnitten hätten: Wer wird dem 81-jährigen Hosni Mubarak auf den Präsidentenstuhl folgen?
Der 81-jährige Präsident selbst präsentierte sich in seiner Eröffnungsrede ungewöhnlich fit und guter Stimmung und pries die junge Garde in der Partei, die unter der Führung seines Sohnes Gamal Ägypten effizient auf dem Weg der Reformen lenke. Den Sohn allerdings nannte der Vater lieber nicht beim Namen, denn um den 45-jährigen ehemaligen Investmentbanker und stellvertretenden Parteichef ranken hartnäckige Gerüchte. Wiewohl von den beiden Mubaraks stets heftig dementiert, hegen viele Ägypter keine Zweifel daran, dass der Präsident den Sohn seit einigen Jahren zu seinem politischen Nachfolger aufbaut.
Hosni Mubarak hat in den 28 Jahren seiner autoritären Herrschaft stets Rivalen derart gefürchtet, dass er bis heute keinen Stellvertreter ernannte. Doch nun macht ihm das Alter zunehmend zu schaffen. Die ägyptische Öffentlichkeit bekommt ihren „Pharao“ kaum noch zu Gesicht. Von wiederholten Attacken kurzer Bewusstlosigkeit ist die Rede. Journalisten aber, die in den vergangenen zwei Jahren dieses Thema aufzugreifen wagten, wurde mit Gefängnisstrafen der Mund gestopft. 2011 aber läuft Mubaraks Amtszeit aus. Wird er erneut kandidieren, um Gamals Nachfolge durch seinen Präsidentenschutz besser abzusichern? Kein Wort fiel darüber auf dem Parteikongreß. Vielmehr finden gegenwärtig in etwa 300 Wahlkreisen interne Parteiwahlen statt, mit dem Ziel eine „neue Garde“ von Technokraten, Anhängern Gamals, in wichtige Positionen zu hieven und damit die Position des Präsidentensohnes innerhalb der Partei zu konsolidieren.
Gamal präsentiert sich dem Land als politischer und ökonomischer Reformer. Doch insbesondere seine wirtschaftspolitischen Maßnahmen haben ihm heftige Vorwürfe der Korruption und persönlichen Bereicherung eingetragen. Viele Ägypter werfen ihm und dem gesamten Regime Kaltherzigkeit gegenüber der Masse der Armen vor. 20 Prozent der Bevölkerung lebt nach Schätzungen unter der Armutsgrenze.
Die Ungewissheit über die Frage der Nachfolge habe Ägypten in eine Krise gestürzt, klagt der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Führer der Ghad-Partei, Ayman Nur, der vor wenigen Monaten nach mehr als dreijährigem Gefängnisaufenthalt entlassen worden war. Der liberale Herausforderer des Präsidenten war nach den Wahlen 2005 wegen angeblicher Wahlfälschung und falscher Aussagen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Zuvor hatte Nour „Kifaya“ (Genug) , eine einzigartige Protestbewegung organisiert, die sich gegen die Machtübergabe vom Vater auf den Sohn gewandt hatte und von den Sicherheitskräften schließlich brutal zerschlagen worden war. Nun versucht Nour dieser demokratischen Strömung unter dem Motto „Mayihkomsch“ („Er darf nicht herrschen“) neues Leben einzuhauchen. „Mayihkomsch“ ist ein Ruf, den gläubige Muslime an Allah richten, wenn sie unter den autoritären Methoden ihrer Herrscher all zu sehr leiden. „Unsere Verfassung sieht eine Republik vor und kein Königreich“, erklärte Nour zum Auftakt seiner neuen Bewegung Mitte Oktober. „Wir müssen uns gegen diesen irregulären Staat, in dem ein künftiger Präsident bereits alle Pflichten eines Staatsoberhauptes ausübt, wehren.“
Die ungeklärte Nachfolgefrage beunruhigt aber auch zunehmend Kreise im herrschenden Establishment. So veröffentlichte der prominente 86-jährige ehemalige Vertraute des ägyptischen Präsidenten Nasser, Mohammed Heikal, im Oktober einen Plan, um das Land aus der Krise zu führen, es in einer Übergangsperiode von drei Jahren „neu aufzubauen“. Eindringlich appelliert Heikal an Mubarak: „Tu uns einen Gefallen, Herr Präsident – Geh einfach“. An seiner Stelle soll eine Übergangsregierung unter Führung des gegenwärtigen Handelsministers Rashid und des Finanzministers Boutros Ghali als Stellvertreter das Land führen, während ein „Think Tank“ führender ägyptischer Persönlichkeiten (darunter dem scheidenden Chef der Atombehörde ElBaradei, dem Nobelpreisträger für Chemie, Yacoub, sowie dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mousa, einen neuen „Sozialen Kontrakt“, d.h. eine Verfassung ausarbeiten, über die das Volk ein einem Referendum abstimmen soll.
Die gefährdete Stabilität hält nicht nur Investoren aus Ägypten fern, sondern bewog bereits führende Militärs des ägyptischen Verbündeten USA zu einer ernsten Warnung: der Nachfolgeprozeß in Ägypten werde beträchtliche Probleme schaffen, die Auswirkungen auf die gesamte Region haben würden, warnt das „US Army War College“.
Sonntag, 1. November 2009
Birgit Cerha: „Tu uns einen Gefallen: Geh einfach“
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