Montag, 9. November 2009

LIBYEN: Wie funktioniert Ghaddafi?

von Dr. Arnold Hottinger
Muammar Ghaddafi war ein sehr junger, eher schüchterner Offizier, als er 1969 zusammen mit 11 Kameraden durch einen unblutigen Coup die Macht über Libyen ergriff. Damals war die Arabische Einheit, so wie Nasser sie forderte, sein Ideal und seine einzige Ideologie. Er selbst und die damalige kollektive Führung Libyens arbeiteten intensiv daran, die ersehnte Einheit aller Araber zu verwirklichen. Doch die grosse Begeisterung für die arabische Einheit unter Nassers Führung war schon vorbei. Der israelische Sieg im Sechstagekrieg (1967) hatte ihr den Todesstoss versetzt. Ghaddafi tat, was er konnte, um die Idee wieder zu beleben. Doch es ging nicht. Nasser starb 1970, und kein arabischer Machthaber war bereit, seine eigene Machtposition für einen Zusammenschluss einzuschränken.

Ghaddafi ging 1977 dazu über, seine eigene Ideologie zu basteln. Er war überzeugt, wenn die arabischen Völker sich selbst regierten, würde die Einheit zustande kommen. Doch er selbst, Ghaddafi, wollte auch nicht von der Macht über Libyen weichen. Er richtete deshalb eine Scheindemokratie ein. Die Libyer sollten sich selbst regieren, aber er, Ghaddafi legte fest, wie sie es zu tun hätten.
Lange Jahre arbeitete Ghaddafi daran, sein "revolutionäres" System auch auf die Ausssenwelt auszudehnen. Er wollte die ganze arabische, ja die ganze Welt "revolutionieren" nach der Vorgabe seiner Ideologie. Durch blosse Propaganda war dies nicht zu erreichen. Ghaddafi unterstützte jahrelang mit seinen Erdölgeldern alle revolutionären Gruppen der arabischen und der weiteren Umwelt. Diese Gruppen suchten, meist mit blutigen Mitteln, ihre Ziele zu fördern und ihre Rivalen auszuschalten. Ghaddafi half ihnen dabei in Libyen und im Ausland. – Ab 1981 kam es zu Zusammenstössen mit den Vereinigten Staaten, die Libyen als einen terroristischen Staat ansahen. Präsident Regan liess Tripolis und Benghazi 1986 bombardieren. Ghaddafi selbst kam nur knapp mit dem Leben davon.

Ghaddafis Ideologie, die er in drei Grünen Büchern niederlegte, umfasste auch die Wirtschaftspolitik. In diesem Bereich, sah er sich 1988 zuerst gezwungen, von seiner Ideologie abzuweichen (sie forderte Kollektivisierung des gesamten Wirtschaftslebens), weil die Wirtschaft Libyens zusammenbrach. Auf Befehl Ghaddafis beschloss das Volk, doch wieder private Geschäfte zuzulassen.

Viel später von 1999 an sah sich Ghaddafi gezwungen, auch im aussenpolitischen Bereich nachzugeben. Eine Versöhnung mit den USA wurde notwendig, weil der internationale Boykott so stark auf der Oelförderung lastete, dass Libyen das Geld auszugehen drohte. Ghaddafi liess zu, dass zwei Libysche Agenten, die angeklagt waren, den grossen Flugzeuganschlag über Lockerbie organisiert zu haben, vor Gericht gestellt und einer 2001 verurteilt wurde. (Davon, dass er selbst verantwortlich gewesen sein könnte, sprach niemand). Er zahlte Milliarden von Entschädigungen für amerikanische und für französische Opfer von Flugzeuganschlägen. Er sagte Washington zu, dass er alle Versuche, Atomwaffen herzustellen, aufgeben wolle. Die amerikanischen Erdölgesellschaften kehrten nach Libyen zurück. Nun machen sie wieder Geld für sich und für Ghaddafi.

Ghaddafi erklärte im Jahre 2001, er habe mit der arabischen Welt nichts mehr zu tun. Die Araber seinen hoffnungslos. Er werde sich nun der afrikanischen Einheit zuwenden. Mit diesen Schritten legte er alles beiseite, wofür er zuvor, jahrelang, mit blutigen Mitteln und grossen Teilen der libyschen Erdölgelder gekämpft hatte. Er hätte sich eigentlich sagen müssen: „Deine Politk während 30 Jahren war völlig verfehlt.“ Doch das wollte er sich nicht eingestehen. Lieber überzeugte er sich, das er immer recht gehabt habe. Die Schuld lag immer bei anderen. Da er keine Fehler begehen konnte, so schloss er, müsse er unfehlbar sein. Die selbsterklärte Unfehlbarkeit war zum Schluss alles, was von seinem gesamten ideologischen Gebäude verblieb. Ghaddafi stilisiert sich sich heute als den Grossen Denker der Revolution. Er glaubt wohl selbst daran. Jedenfalls darf kein Libyer dem widersprechen. Schon Fragen sind unerlaubt und gefährlich.

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