Rebellionen, eine erstarkende Al-Kaida und nun auch Saudi-Arabiens militärisches Engagement drohen den Zerfall des Landes zu beschleunigen – Enorme Gefahren für die Region
von Birgit Cerha
Jemen, das „Arabia Felix“ der Römer, das Land der Königin von Saba, das der Welt Weihrauch, Gewürze, Kaffee und viele Legenden schenkte, hat gierige Eroberer stets mit großer Feindseligkeit empfangen. In der Geschichte der internationalen Gemeinschaft spielte dieses wilde Gebirgsland keine Rolle. Das könnte sich nun rasch radikal ändern.
Kaum ein Herrscher konnte je diese stolz ihre Eigenständigkeit verteidigende Stammesgesellschaft unterwerfen und kontrollieren. Die Führer in Sanaa aber verstanden es immer, sich und ihr Land irgendwie durchzuwursteln. Nicht mehr.
Zu viele Krisen auf einmal bedrängen das Regime Präsident Ali Abdullah Salehs. Der eskalierende Krieg gegen die Zaidi-Rebellen im Norden, der nun den saudischen Nachbarn mit hineinzog und deren regionalpolitischen Rivalen Iran alarmiert, Rebellion im Süden, staatliche Hilflosigkeit angesichts wachsenden islamistischen Terrors, einer erstarkenden Al-Kaida, poröse Grenzen, die das Land zum Paradies für Waffenschmuggler machen und korrupte Kräfte in das lukrative „Geschäft“ der Piraterie in einer der wichtigsten Seerouten ziehen, eine gravierende ökonomische Krise mit drohender sozialer Explosion untergraben die Reste von Macht einer Zentralregierung, die in ihrer Konzeptlosigkeit zu brutaler Gewalt Zuflucht sucht und damit zur Eskalation der Krisen beiträgt. Nun ist auch die internationale Gemeinschaft alarmiert. Denn dieses volksreichste Land auf der Arabischen Halbinsel beschreitet gefährlich rasch den Weg Somalias jenseits des Golfs von Aden zum „Failed State“, mit bedrohlichen Auswirkungen weit über die gesamte Region hinaus.
In dieser Situation beschert das reiche und doch so ängstliche Saudi-Arabien dem bedrängten Präsidenten eine hochwillkommene Atempause. „Endlich kann Saleh schlafen“ betitelt Hakim Almasmari in seiner „Yemen Post“ einen Kommentar zur ersten und für alle so unerwarteten, kriegerischen Verwicklung des nördlichen Nachbarn seit fünf Jahrzehnten. „Ein Traum hat sich erfüllt“ nach fünf Jahren verzweifelter Versuche der Regierungssoldaten, die Rebellion im Norden niederzuschlagen. Nun könne der Nachbar, der durch seine Unterstützung von fundamentalistischen Salafis im Norden den Konflikt geschürt hätte, seine so gerühmten Anti-Terror-Taktiken mit seinen „eingerosteten“ Streitkräften gegen die hoch motivierten Rebellen, die gar nichts zu verlieren hätten, unter Beweis stellen.
Seit Tagen bombardiert die saudische Armee das von Rebellen kontrollierte Grenzgebiet, um in einem zehn Kilometer breiten Streifen eine „Todeszone“ zu errichten „für all jene, die es wagen (in das Königreich) einzudringen“, so Prinz Khaled bin Sultan, stellvertretender Verteidigungsminister. 240 Dörfer wurden laut Kinderhilfswerk UNICEF evakuiert, Spitäler zerstört, an die 50 Schulen geschlossen. Internationale Hilfsorganisationen sprechen von einer beginnenden humanitären Katastrophe in der weitgehend von der Außenwelt abgeschnittenen Region.
Beide Seiten verteidigen ihre Positionen mit widersprüchlicher Darstellung. Wer kennt die Wahrheit? Die jemenitischen Kämpfer, genannt Huthis, behaupten, die Saudis hätten jemenitischen Regierungssoldaten Zugang zu Hügeln auf ihrem Territorium ermöglicht, um ihnen einen wichtigen strategischen Vorteil gegen die Rebellen zu verschaffen. Nach gescheiterten Geheimverhandlungen mit saudischen Grenzpolizisten sei den Huthis keine Wahl mehr geblieben, als gewaltsam Teile des Doukhan-Bergzugs entlang der Grenze unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Saudis werfen den Huthis, sowie Al-Kaida-Terroristen Infiltration in ihr Hoheitsgebiet vor. Im April meldete Raid die Festnahme von elf Terroristen, die, ausgestattet mit Bestandteilen für 30 Selbstmordwesten vom Jemen aus in das Königreich eingedrungen seien. Seit im September ein Anschlag auf den stellvertretenden Innenminister, Prinz Mohammed bin Nayef, nur knapp fehlschlug, herrscht in Riad höchste Nervosität angesichts des wachsenden Chaos im Nachbarstaat, aus dem sich der Selbstmordattentäter eingeschlichen hatte.
Mehrere saudische Soldaten kamen bereits ums leben und die Huthis kämpfen voll Energie gegen saudische Pläne, die 1.500 km lange Grenze durch einen Zaun abzuriegeln und damit die traditionellen Kontakte zwischen Familienmitgliedern auf beiden Seite zu blockieren. Die saudischen Bombardierungen aber haben nicht nur unter den Huthis, auch in anderen Teilen des Jemen die Stimmung gegen das Königreich aufgebracht.
Die Wurzeln dieses Konflikts reichen tief in die zeitgenössische Geschichte des Jemens. Die Huthis gaben sich den Namen nach ihrem ersten Militärkommandanten und prominenten religiösen Gelehrten, Hussein Badr al Din al Huthi, der bei den ersten Kämpfen mit Regierungssoldaten im September 2004 getötet wurde. Seither werden die Huthi-Milizen von Husseins Bruder Abdul Malek geleitet. Wiederholt brachen Waffenstillstände mit Regierungssoldaten zusammen.
Die Houthis sind Zaidis, Angehörige einer schiitischen Glaubensrichtung, zu der sich die Mehrheit der Bevölkerung des Nord-Jemen bekennt. Im gesamten Land stellen sie ein Drittel der Bewohner. Die Zaidis stehen in Glaubens- und Sittenfragen den Sunniten des Jemen, mit denen sie stets weitgehend in Harmonie gelebt hatten, viel näher als den „Zwölferschiiten“ des Irans. So wird auch der Zaidismus häufig als die „Fünfte Schule“ des sunnitischen Islam bezeichnet.
Sanaa verdächtigt die Rebellen, sie strebten die Wiedererrichtung des tausendjährigen zaiditischen Imamats an, das 1962 mit Hilfe ägyptischer Truppen gestürzt wurde. Die Imame galten als Saiyid (direkte Nachkommen Mohammeds) und diesen Titel beansprucht auch Abdul Malek al Huthi. Saada, die Hauptstadt des Nordens, war die letzte Region gewesen, die sich den republikanischen Gruppen ergeben hatte, und viele Zaidis sind davon überzeugt, dass sie bis heute den Preis für ihren langen Widerstand – in Form von gravierender ökonomischer und sozialer Vernachlässigung durch Sanaa – bezahlen. Der Aufstand hat damit zutiefst politische und soziale Wurzeln. Die Huthis betrachten sich als Verteidiger ihrer diskriminierten Bevölkerungsgruppe, die zudem auch kulturell und religiös massiv in Bedrängnis kommt, seit Saleh, seiner Politik des „Teile und Herrsche“ folgend, mit saudischer Finanzhilfe sunnitisch-fundamentalistische Salafis als Prediger in den Norden schickte, damit sie die Zaidis „bekehrten“. Diese Strategie trug allerdings nur dazu bei, den Widerstandsgeist der Huthis zu stärken, während Abdul Malek jede Absicht einer Wiederbelebung des Imamats energisch leugnet.
Die Rebellion war anfänglich auf kleine Kreise um die Huthis beschränkt. Doch zutiefst alarmiert, die Unfähigkeit der Regierungssoldaten, den Aufstand niederzuschlagen, könnte die erstarkenden Sezessionisten im Süd-Jemen zu ähnlichen Taten ermutigen, entschied sich Saleh im August zu einem Feldzug der „verbrannten Erde“. „Ausrotten wo und wie auch immer“ lautet die Devise. Tägliche Bombardierungen aus der Luft, laut Huthis auch mit Phosphor, treffen vor allem Zivilisten. 750.000 Menschen wurden seit 2004 in die Flucht getrieben, Infrastruktur, Felder und Ernten teilweise zerstört und das wachsende Elend stärkt die Animositäten gegen Saleh. So schließen sich immer mehr autonome Stämme in Saada und Nachbarregionen den Huthis an.
So manche ausländische Beobachter sehen den Jemen bereits als Schlachtfeld eines Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien. Tatsächlich befürchten die Saudis, die Huthis könnten in eine Rolle schlüpfen, wie sie die schiitische Hisbollah im Libanon seit Jahren tatkräftig ausübt: vom Iran unterstützt, den Gegner des „Gottesstaates“ (im Fall des Libanon Israel, im Fall des Jemen Saudi-Arabien) massiv unter Druck zu setzen. Saleh versucht in alter Manier, solche Gerüchte nach Kräften zu nähren, um sich damit internationale Aufmerksamkeit und westliche (vor allem amerikanische) Unterstützung für den „Anti-Terror-Kampf“ zu sichern. Einen wichtigen Erfolg errang er nun, als die USA die Huthis auf ihre Terror-Liste setzten.
Doch gut informierte Kreise am Golf weisen darauf hin, dass die Rebellen, die energisch jegliche Hilfe des Irans leugnen, ihren Krieg durch lokale Steuern und Unterstützung von Auslands-Jemeniten, insbesondere in Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten, finanzieren. Beweise für iranische Verwicklung, wie dies Saleh und die Saudis behaupten, gibt es bisher keine. Doch dies kann sich rasch ändern. Schon sprechen Kenner der Region von der Gefahr einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“. Die Saudis, so scheint es, haben durch ihr militärisches Einschreiten den Iranern die Tür zum Jemen geöffnet. So bietet Außenminister Mottaki Saleh „Hilfe“ zur Stabilisierung des Landes an und der einflussreiche Ayatollah Jannati nützt die Gelegenheit, um Riad die Tötung von Schiiten (Huthis) und die Schließung schiitischer Moscheen im Königreich vorzuwerfen. Die verbale Konfrontation eskaliert zwischen den beiden Staaten, die sich gegenseitig als das größte Hindernis für ihre jeweilig erstrebte Vorherrschaft am Golf empfinden.
Kernproblem in diesem gefährlichen Krisenherd ist eine äußerst geschwächte und zutiefst korrupte Zentralregierung, die ihre Ressourcen in einen militärisch nicht zu gewinnenden, durch das saudische Einschreiten nun gefährlich eskalierenden Krieg steckt, statt in die dringend nötige Entwicklung dieses ärmsten aller arabischen Staaten. Aus Afghanistan, Pakistan und Saudi-Arabien vertriebene Al-Kaida Extremisten finden im wachsenden Chaos neuen Unterschlupf und wachsenden Zulauf unter einer bitterarmen Jugend ohne Zukunft. Sollte der Jemen zerfallen, hätte dies unabsehbare Folgen für die gesamte Region.
(Erschienen im Rheinischen Merkur am 19.11.2009)
Montag, 16. November 2009
JEMEN: Im Jemen tickt eine Zeitbombe
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