Donnerstag, 29. Oktober 2009

ISLAM: Wann lernen die Religionen?

Können Religionenen lernen? Die europäische Geschichte und die der christlichen Bekenntnisse lehren uns, ja! Man kann dies etwa an der Geschichte der Reform und Gegenreform der Katholischen Kirche ablesen, oder auch an den gegenwärtigen Bestreben, die Kirchen für die heutigen Christen relevanter zu machen.–Jedoch sie lernen nicht leicht! Neu entstehende Religionen tragen eine neue Botschaft in die Welt. Sie wirken daher umwälzend auf die bisherige Gesellschaft. Doch einmal eingerichtete Religionen (established, heissen sie auf englisch) werden unvermeidlich konservativ. Sie haben ein Erbe zu vertreten und zu verteidigen; sie haben eine, in ihren Augen absolute, Wahrheit aufrecht zu erhalten. Deshalb fällt es ihnen schwer, angesichts veränderter Lebensumstände ihrer Gemeinden, neue Antworten auf deren neue Fragen zu geben.

Die religiösen Spezialisten halten sich am liebsten an das alt-überlieferte und altbewährte. Im klassischen Islam ist der Begriff „bid’a“ , Neuerung, etwas durchaus negatives. Ein Gottesgelehrter kann gegen einen anderen den Vorwurf erheben, der andere habe eine „bid’a“ in der Religion gefördert. Das impliziert, er sei abgewichen vom wahren Standart und den seit alters bekannten Wahrheiten. Wenn er das tut, ist es schon fast Ketzerei.

In heutigen islamischen Gesellschaften jedoch erscheint „bid’a“ nur noch im hochtechnischen Sinne innerhalb einer theologischen Diskussion als etwas anrüchiges und verpöntes. Die Gesellschaften als ganze haben sich in den letzten 150 Jahren auf einen Weg beständig weiter um sich greifender Neuerungen begeben. Dies war notwendig, um überhaupt als eigenständige Gesellschaften überleben zu können. „Reformen“ werden deshalb nicht mehr in einem jeden Lebensbereich als negativ und unzulässig gesehen, „Fortschritt“ gilt heute in der islamischen Welt als notwendig und begehrenswert, wie in Europa, woher dieser Begriff übernommen wurde. Nur noch im Rahmen der Theologie und ihrer Fachsprache verbleibt dem Begriff „Neuerung“ nach wie vor ein negativer Anstrich.

Vielleicht kann man allgemein formulieren: Religionen, die sich eingerichtet haben, lernen nur noch dazu, wenn sie in echter Gefahr schweben. Und zwar in Gefahr, ihre eigenen Anhänger zu verlieren. Nicht bloss in Gefahr von irgendwelchen Feinden und Gegnern angegriffen und niedergehalten zu werden. Wenn dies zweite geschieht, kann eine Religion daraus Stärke ziehen. Sie sieht sich einer Bewährungsprobe ausgesetzt. Leiden in ihrem Namen kann für ihre Anhängerschaft zur Bestätigung ihrer Bedeutung dienen. Misserfolge auf dieser Welt sind vorgesehen und können als Prüfung gedeutet werden, welche die Anhänger in ihrem Glauben bestärkten werde.

Anders ist es, wenn die Anhänger beginnen, sich von ihrer bisherigen Relgion abzuwenden. Diese droht dadurch irrelevant zu werden, und ihre Fachleute fangen an zu fragen, ob sie sich anders als bisher verhalten müssten, um dem Dahinschwinden ihrer Anhängerschaft entgegenzuwirken. Dies führt zu einem Lernprozess. Man sucht nach den Gründen, welche die Wirkungskraft der Religion reduzierten, und ist bemüht, Wege finden, um den Vorgang zu bremsen oder rückgängig zu machen.

Innerhalb einer Religion kann es auch vorkommen, dass neue Träger des Glaubens auftreten und ihre Religion in neuer Weise verstehen und vertreten. Die traditionellen Religionsspezialisten versuchen fast immer zuerst, solche Neuerer zu marginalisieren, zu verleumden und auszugrenzen. Nur wenn sie dennoch erfolgreich sind und Wirkung auf die Gläubigen ausüben, kann dies ebenfalls einen Lernprozess bei den Vertretern der bisherigen Ausrichtungen und Traditionen auslösen. Im wesentlichen aus dem gleichen Grund: die Gläubigen beginnen sich von ihnen abzuwenden, weil der neue Träger des Glaubens sie wirksamer anspricht.Dies kann dann zum Lernen von neuen Ideen, neuen Aspekten des Religionsverständnisses sogar durch die traditionellen Religionsautoritäten führen. Der zuerst bekämpfte und abgelehnte Erneuerungsträger wird dann inkorporiert und in Person und Sendung zu einem der „Heiligen“ der bestehenden Religion erhoben.


Bildungsdifferenzen
Im gegenwärtigen Islam ist die Lage dadurch kompliziert, dass die Geistlichen, Ulemâ’, in anderen, meist traditionelleren Lebenszusammenhängen aufwachsen als viele ihrer Gläubigen. Der Unterschied ist am grössten und daher der Graben am tiefsten im Falle der gebildeteren und daher auch meist einflussreicheren und wohlhabenderen unter den „Laien“.

Es gibt zwei unterschiedliche Bildungssysteme. Das „moderne“ wurde im Verlauf der letzten beiden Jahrhunderte von den Staaten schrittweise eingeführt und wird von ihnen kontrolliert oder beaufsichtigt. Es geht auf europäische Vorbilder zurück, wie die französische Volksschule und den dazu gehörigen Oberbau von Gymansien und Universitäten. Daneben gibt es ein viel ältereres und von Beginn an einheimisches, traditionelles Bildungssystem, das der Staat mancherorts leicht modifiziert hat, um es seinem Standart anzugleichen, das jedoch im wesentlichen die Hauptzüge eines theozentrischen, von der traditionellen Religion getragenen und auf sie hin ausgerichteten Unterrichts- und Bildungswesens beibehalten hat. Das erste System bringt die weltlichen Eliten der Moderne hervor; es durchlaufen zu haben ist eine wichtige Vobedingung für späteren Erfolg im Berufs- und sogar im politischen Leben. Das zweite ist immer enger beschränkt auf die Ausbildung von Geistlichen, deren gegenwärtige und wohl auch künftige Rolle beinahe ausschliesslich auf jene von Fachspezialisten in religiösen Fragen hinausläuft.


Die Beratungsfunktion der Gottesgelehrten
Seit alters werden im Islam die Geistlichen von den nicht als Theologen ausgebildeten „Laien“ in allen Fragen zu Rate gezogen, die ihre Religionsausübung und ihr Religionsverständnis angehen. Sie sind die Autoritäten, welche den nicht Fachleuten, den Ungelehrten, erklären, was der Islam sei und wie man sich in allen konkreten Einzelfragen dem islamischen Religionsgesetz, der Scharî’a, gemäss zu verhalten habe.

Die Fragen kommen heute von Gläubigen, die mitten in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess ihrer Lebensbedingungen und Lebensauffassungen stehen. Dieser ist durch den gewaltigen Anpassungsdruck verursacht, dem alle muslimischen Gesellschaften, gestern im Zeichen des Kolonialismus und heute im Zeichen der Globalisierung, ausgesetzt waren und bleiben. Doch die Antworten werden erteilt von Fachleuten der Religion, die selbst von diesem Anpassungsdruck viel weniger berührt werden als ihre nicht theologisch ausgebildeten Mitmuslime. Sie leben, lernten und lehren in Nischen der Tradition, abgeschirmt von vielen Aspekten der durch die Moderne erzwungenen Neuerungen.


Verbindungen zwischen Staat und Gottesgelehrten
Nicht nur ihre Bildung und ihre Berufsausichten bewirken die Sonderstellung der Ulemâ’, sondern auch ihre Stellung im Staat. Sie dienen den Machthabern zu deren Legitimierung, und diese ernennen sie (genauer die ihnen Zustimmenden unter ihnen) für die zur Verfügung stehenden, weitgehend vom Staat finanzierten, beruflichen Positionen.

Der Staat, der sich normalerweise in der Hand eines einzigen Machthabers befindet, ist ebenso konservativ wie die durchschnittlichen Religionsautoritäten. Der Machthaber vermeidet alle wesentlichen Veränderungen der Hierarchie, die er krönt. Denn Veränderungen würden seine Stellung an der Spitze der Pyramide erschüttern. Von den vom ihm abhängigen und auf ihn abgestützten Gottesgelehrten erwarten daher die Machthaber des Staates, dass sie alle Neuerungen ablehnen, mindestens alle jene, die nicht für militärische, für Sicherheitsbelange und für das wirtschaftliche Fortkommen als unentbehrlich erscheinen. Die Gottesgelehrten in führenden (fast immer vom Staat abhängigen) Positionen pflegen sich diesen Vorgaben des Staates zu fügen. Die moderne Technologie, so erklären viele der politisch und sozial engagierten Gottesgelehrten, sei durchaus willkommen, sie beeinträchtige „den Islam“ nicht. Doch zeitgemässe humanitäre, menschenrechtliche, künstlerische, sozialkritische, politische, geistige Erneuerungsanliegen und Reformforderungen, stossen in ihren Augen leicht auf „islamische“ Schranken.


Definitionsgewalt
Es sind die in dieser Sonderstellung verankerten Gottesgelehrten, denen in ihren eigenen und in den Augen der grossen Menge der Gläubigen die Aufgabe zufällt „den Islam“ zu definieren. Die heutige Lage ist dermassen, dass immer wachsende Zahlen von Gläubigen an die Gottesgelehrten gelangen, um sie um Fatwas zu bitten. Das heisst um Gutachten nach der Scharî’a über bestimmte Fragen, die ihr Leben betreffen und die sie den Gottesgelehrten stellen. Nach den Aussagen des offziellen Obermufti von Kairo, Scheich Ali Gomaa, der vom Staat dazu ernannt wurde, den Gläubigen derartige Fatwas zu erteilen, beantwortet sein Bureau, heute bemannt von 12 vollamtlichen Mitarbeitern, im Tag gegen 3000 Anfragen in 8 Sprachen. Vor wenigen Jahren seien es noch einige Dutzend gewesen, die er leicht alleine beantworten konnte. Zwischen 2007 und 2008 habe sich die Zahl der Antwort Suchenden verdreifacht. (Siehe: Neil MacFarquhar: The Media Relations Department of Hizbollah wishes you a Happy Birthday, Unexpected Encounters in the Middle East, Public Affairs, New York 2009 p.128)

Der Obermufti selbst bedauert diese Flut von Anfragen, weil sie sich notgedrungen auf die Qualität der Antworten auswirke. Er führt die gewaltige Zunahme auf die grossen Erleichterungen zurück, die heute für Anfragen gelten. Sie erfolgen über Telephonanrufe und e-mails. Doch dürfte auch ein tieferer Beweggrund vorliegen. Die muslimischen Völker leben immer intensiver umbrandet von Neuerungen, die aus der globalisierten Welt westlicher Wurzel eindringen. Dies sind nicht Bestandteile ihrer eigenen, angestammten Kultur und Umwelt, sondern kommen von aussen. Dadurch dürfte das Bedürfnis wachsen, Auskunft darüber zu erlangen, wie diese neuen, dem Ursprung nach fremden, Lebensbereiche, Ansichten, Lebens- und Ueberlebensbedingungen in den Islam einzufügen seien.


Schlechte Lernbedingungen
Wahrscheinlich trägt die Zunahme des Interesses am Islam, die heute in allen islamisch geprägten Gesellschaften zu verspüren ist, nicht dazu bei, die Selbstkritik der Ulemâ’ zu mobilisieren. Sie dürfte im Gegenteil auf sie selbstbestätigend wirken. „Wir werden immer öfter befragt, also sind wir weiterhin, ja zunehmend, relevant,“ dürfte vielmehr, mehr oder weniger bewusst formuliert, die typische Reaktion der Religionsspezialisten sein. Sie haben recht; objektiv gesehen, steigt seit rund 1967 der Wunsch nach Islam in der Arabischen und in der weiteren Islamischen Welt.


Normaltheologen und gewaltbereite Aktivisten
Dieser Wunsch nach Islam steigert allerdings nicht nur die Relevanz der traditionellen, mit dem Staat in Einklang handelnden Ulemâ’. Er fördert auch die Extremisten und sogar die zum Blutvergiesen aufrufenden radikalen, sich selbst als Muslime bezeichnenden, islamistischen Terroristen und Revolutionäre. Je gefährlicher diese „Jihadisten“ , „Takfîri“, „gewalttätigen Islamisten“ , „radikalen Fundamentalisten“, „Terroristen“ werden (wie genau sie genannt werden sollen, ist immernoch Gegenstand einer Diskussion), desto entschiedener lehnen die offiziellen Gotttesgelehrten sie ab und erklären, sie stünden ausserhalb des Islams. Doch sie brauchten geraume Zeit, um ihre Stellungnahmen so entschieden und laut vorzubringen, dass sie in der muslimischen Allgemeinheit ein Echo fanden.
(Man findet Fatwas gegen die gewaltbereiten Islamisten zum Beispiel bei Juan Cole, Informed Comment, July 9, 2005 Muslim Denunciations of al-Qaeda and Terrorism, und The Quran on Peace. - Vgl auch: Al-Mujabah’s Islamic pages (www.al-Mujabah.com). Dort „Special Focus, Muslims condemn Terrorism » mit über 200 Einträgen)
In Saudi Arabien haben erst die Mordangriffe innerhalb Saudi Arabiens zu einer deutlichen Reaktion des Staates und der Gottesgelehrten geführt, die sich nun entschieden und laut vernehmbar gegen die gewalttätigen Islamisten absetzten.

Wie zahlreiche Fachleute immerwieder betont haben, liegt der Grund einer weitreichenden Beliebtheit Ben Ladens und seiner Artgenossen bei den einfachen Leuten in den islamischen Ländern primär darin, dass die sich als islamisch bezeichnenden Aktivisten gegen die Machthaber der unter imperial amerikanischen Vorzeichen globalisierten heutigen Welt auftreten und sich blutig gegen sie zu wehren scheinen – und nicht in dem Umstand, dass sie behaupten, dies im Namen eines misgedeuteten Islams zu tun. Auch die Sprecher des traditionellen Islams standen zunächst, als die Schläge der Terroristen sich gegen „Amerika“ richteten (sowie noch zuvor gegen die gottlosen Kommunisten in Afghanistan, dann gegen die „Knechte Amerikas“ im eigenen Land), ähnlich wie weite Teile ihrer Bevölkerungen, unter dem Eindruck des anti-imperialistischen Auftrittes der Gewalttätigen. Ihn allzu laut zu verurteilen, fiel ihnen schwer, weil sie sich selbst auch als natürliche Gegner der als imperialistisch empfundenen globalisierenden Amerikanisierung der Welt ansahen. Sie billigten anfänglich nicht die angeblich „islamischen“ Motive ihrer Aktionen sondern ihre Stossrichtung. Dies nicht so sehr als islamische Fachleute sondern vielmehr in ihrer Eigenschaft als Betroffene dessen, was sie, nicht ganz zu unrecht, als amerikanischen Imperialismus ansahen.


Sind die Radikalen eine wirkliche Konkurrenz?
Von aussen gesehen können die Islamisten und die gewaltbereiten Randgruppen von ihnen heute durchaus als eine Konkurrenz zu den traditionellen Islamfachleuten, den Ulemâ’ erscheinen. Doch kann man bezweifeln, dass die Gottesgelehrten selbst die Lage gleichermassen einschätzen. Schliesslich geniessen sie wachsenden Zulauf aus der grossen Hauptmasse der Muslime; demgegenüber dürfte der Umstand, dass es viel geringere Zahlen von einigen Irregeleiteten gibt, die den jenseits des Islams angesiedelten Extremisten folgen, nicht übermässig schwer wiegen. Irregeleitete hat es immer gegeben; die Hauptsache ist, dass jene zunehmen, die sich von den rechtmässigen Religionsfachleuten recht leiten lassen.

Anlass zu echtem Alarm (innerhalb des religiösen Bereiches, nicht innerhalb jenes der staatlichen Sicherheit) würden die Extremisten erst bieten, wenn die Zahl ihrer Anhänger so rasch zunähme, dass dies zu einer spürbaren Abnahme der Gefolgsleute der Ulemâ’ führte. Das Gegenteil ist der Fall; alle Zeichen sprechen dafür, dass der Einfluss der traditionellen und orthodoxen Gottesgelehrten wächst, nicht abnimmt. Also braucht man die Konkurrenzversuche der Radikalen nicht wirklich zu fürchten. Es genügt, sie mehr oder weniger energisch auszugrenzen. Ihre Aktivitäten und Lehren werden schwerlich einen Lerneffekt bei den Vertretern der religiösen Tradition provozieren.


Die überholten Aspekte der Scharî’a
Dennoch ist eigentlich klar, dass für den Islam, so wie er heute von der Mehrheit der Gottesgelehrten unter Berufung auf die Sharî’a vertreten wird, Wandlungen notwendig wären. In vielen Einzelheiten passt er nicht mehr zu den Lebensumständen, die heute für die grossen Mehrheiten der gegenwärtigen, städtischen Muslime gelten. Auch die angeblich auf der Sharî’a beruhenden offziell vertretenen Moralvorstellungen decken sich nicht mehr voll damit, was ein durchschnittlicher und durchschnittlich gebildeter heutiger Muslim als recht und unrecht empfindet. Es gibt „moderne“ Muslime, die sich darum bemühen, ein Religionsverständnis zu entwickeln, das in besserem Einklang stünde mit den heutigen Lebensbedingungen und den in der Gegenwart weitgehend geltenden Massen von Gut und Böse. Doch dies sind selten die Fachleute, das heisst die traditionell geschulten und in traditionellen Rollen agierenden Gottesgelehrten, sondern vielmehr „modern“ ausgebildete Muslime, oder solche, die sich über eine traditionelle Schulung hinaus, moderneren Lebens- und Wertvorstellungen zugewandt haben, ohne ihren Islam aufgeben zu wollen.
In der Frauenfrage, jener der koranischen Hudûd Strafen (Körperstrafen), Fragen der Toleranz gegenüber anderen Religionen, kann man eine weitgehende Uebereinstimmung der modernen und modern gebildeten Muslime erkennen, die keineswegs deckungsgleich ist mit den Geboten der islamischen Tradition, so wie sie von den Gottesgelehrten mehrheitlich als im Islam obligatorisch ausgelegt werden. Es ist natürlich diese Differenz, welche die Sucher nach einem modernen Islamverständnis dazu bewegt, die traditionellen Interpretationen, wie sie seit dem Frühmittelalter feststehen und als permanent gelten (das „geschlossene Tor“ des Ijtihad), zu hinterfragen und sich um neue Verständnisse der heiligen Texte und und der Grundlagen des Glaubens zu bemühen.

Immernoch ist es nicht ungefährlich, die offiziellen Meinungen zu hinterfragen. Der autoritär regierte Staat pflegt sich aus den oben erwähnten Gründen hinter die traditionellen Gottesgelehrten zu stellen und stellt ihnen nicht selten seine Vollzugsgewalt in Fragen zur Verfügung, die von ihnen und von ihren Anhängern, den in der mittelalterlichen Tradition verwurzelten Muslimen, als durch die Sharî’a endgültig bestimmt und festgelegt gelten. Die Einmannregime selbst stehen heute unter Druck durch die traditionell rechtgläubigen Kreise und suchen diesen elastisch nachzugeben, schon um den gewalttätigen Extremisten (die sie wahrscheinlich mehr als die Geistlichen fürchten) möglichst geringe Blössen zu bieten.


Die Muslime als Minderheiten
Die in Europa lebenden Muslime und vielleicht auch jene in anderen Staaten, in denen sie eine Minderheit bilden (Indien ist der weitaus wichtigste, doch auch Russland, China und die USA zählen dazu) dürften eher die Voraussetzungen erfüllen, welche für einen Lernprozess notwendig sind. Sie und die Gottesgelehrten, die sie in Europa und in anderen Ländern muslimischer Minoritäten anleiten, stehen nicht überall unter dem Druck von absolutistischen Staaten, mit ihren Zensurbehörden, welche die traditionellen Formen der Religion aus Machtgründen aufrecht erhalten. Sie stehen dafür in täglichem Kontakt mit Gemeinschaften, deren Positionen gerade in den besonders umstrittenen Bereichen, Frauenfrage, Hudud Strafen, Heiliger Krieg, Toleranz gegen andere Religionen usw. kritische sind, und sie werden immerwieder vor die Notwendigkeit gestellt, gerade in diesen kritisierten Bereichen Rede und Antwort zu stehen. Sie können sich entweder auf den traditionellen Positionen versteifen; oder aber versuchen, sie auf muslimischer Basis, das heisst primär durch Neuverstehen der Religionsgrundlagen ihres Islams, zu hinterfragen. Solche Versuche werden gemacht, und sie dürften in Zukunft weiter zunehmen.


Iran, ein Beweis des Versagens islamistischer Ideologie
Auch Iran kann als ein Gelände gelten, das beginnt günstigere Voraussetzungen für ein „Lernen“ der Muslime im Sinne eines „aggiornamento“ der Religion zu zeitigen. Der dortige Gottesstaat hat seine Unfähigkeit, das Versprechen der Islamisten zu erfüllen, praktisch erwiesen. Der Slogan „Islam ist die Lösung“ hat sich nicht erfüllt. Es gibt eine grosse Zahl von jungen und gebildeten Iranern, die heute „den Islam“ nicht als „die Lösung“ ansehen sondern vielmehr als eines der „Grundprobleme“. Ob dies die Mehrheit aller Iraner sind, wie die protestierenden Massen seit den Demonstrationen gegen die manipulierte Wahl Präsident Ahmedinejads offensichtlich glauben, oder nur eine weit ausgedehnte, gebildete und junge Elite, kann man nicht mit Sicherheit ausmachen. Doch dass die Islamische Republik, objektiv gesehen, nicht optimal funktioniert, ist deutlich geworden. Wirtschaftsverluste, Korruptionsanschuldigungen und Arbeitslosigkeit, Meinungszensur, Gewalteingriffe der Machthaber ohne irgendwelche legale Basis, stark eingeschränkte „gelenkte“ Demokratie, sprechen eine deutliche Sprache.

Man kann vermuten, dass die Grosszahl der iranischen Geistlichen, die nicht an der Regierung beteiligt sind, viele der Schönheitsfehler der Islamischen Republik kennen und sich Gedanken darüber machen, was das Regiment ihrer Brüder, die sich an der Macht befinden, für das Ansehen ihres Glaubens bedeutet. Wir wissen, einige von ihnen gehen darüber hinaus und suchen nach einem Islamverständnis, das den heutigen politischen und sozialen Notwendigkeiten entspricht.

Vorläufig gibt es auch die Gegentendenz jener Geistlichen, die sich an der Macht befinden und unbedingt daran festhalten wollen, indem sie behaupten, sie handelten im Namen des Islams. Vorläufig können sie darauf zählen, dass sie über bewaffnete Gruppen verfügen (in erster Linie die Revolutionswächter und deren Unterstellte, die Bassij Freiwilligen), die bereit sind, ihre Version der Islamischen Republik mit menschenverachtender Gewalt aufrecht zu erhalten. Allerdings zeichnet sich heute schon ab, dass sie dies nicht alleine tun „um des Islams willen“ (so wie sie ihn verstehen wollen), sondern dass sie auch darauf ausgehen, ihre eigene Macht und ihre eigenen Wirtschaftsinteressen als einen Staat im Staate auszubauen. Sie scheinen sich schon unterwegs zu befinden, um sich als Neo-Mamluken, an der Spitze der Islamischen Republik zu formieren.

Wie immer die heute flüssig gewordene Lage zwischen kritischen Oppositionellen, bisherigen Machthabern unter den Geistlichen und den erwähnten neo-mamlukischen Machtaspiranten künftig weiter entwickeln mag, es steht zu erwarten, dass die Entwicklung auf mittlere Frist jenen traditionell-fundamentalistischen Gottesgelehrten Prestigeverluste bringt, welche die Islamische Republik installiert haben und sie vorläufig weiter beherrschen. In ihren eigenen Reihen ist bereits heute Streit ausgebrochen. Eine Mehrheit der jungen und gebildeten Iranerinnen und Iraner will heute nichts mehr von ihnen wissen. Die oben erwähnten Voraussetzungen für einen Lernprozess der Geistlichen selbst scheinen näher zu rücken, denn die gebildetsten, jüngsten und in der Zukunft noch weiter zunehmenden Teile der persischen Bevölkerung haben ihnen die Gefolgschaft bereits gekündigt.

In den Augen der Machthaber unter den Geistlichen verbirgt möglicherweise die eigene, durch die bewaffenten Gruppen gestützte, Präsenz an der Macht noch die bereits de facto bestehende Aushöhlung des Prestiges ihres Regimes und des von ihm instrumentalisierten traditionellen Schiitentums. Doch je länger ihre Machtausübung dauert, desto sicherer wird sie bewirken, dass ein schlussendlich unvermeidlicher Zusammenbruch der bestehenden Macht den Prozess der Aushöhlung Allen sichtbar an Tageslicht bringt. Dies wird dann ein Umlernen der schtiischen Geistlichen zu einer überlebensnotwendigen Aufgabe machen.


Das alte Modell von „Thron und Alter“ lebt weiter

Dort, wo die Geistlichen nicht selbst die Macht ausüben, sondern sich auf den Staat stützen, der sie seinerseits stützt (dies ist in allen muslimischen Staaten in mehr oder weniger ausgeprägter Form der Fall mit der einen Ausnahme Irans), sind die Geistlichen solange nicht gezwungen, zu einem „aggiornamento“ des Islams überzugehen, als sie weiterhin wachsenden Zulauf der Gläubigen geniessen. Dort wo sie nicht stützen sondern herrschen, zeichnet sich bereits ab, dass die wichtigsten Teile ihrer Bevölkerung drohen, sich von ihnen abzuwenden. Dort werden sie daher über kurz oder lange gezwungen sein, ihren Islam neu, das heisst in einer zeitgemässeren Form, zu verstehen und auszubreiten.

Doch in Bezug auf die grosse Mehrheit der islamischen Staaten darf nicht übersehen werden, dass der Zulauf, den heute die Geistlichen geniessen, schwerlich immer andauern kann. Präsident Bush und seine real existierende und auch als solche von den Muslimen empfundene Anti-Islam Politik hat viel dazu beigetragen, dass die Muslime sich in der ihnen von Amerika zubereiteten Welt unwohl, unsicher und in ihrer Identität in Frage gestellt fühlen. Die gegenwärtige „Re-Islamisierung“ (wie man einst in ihren frühen Jahren die Wiederhinwendung zum Islam nach der vorausgehenden Periode des überwiegenden Nationalismus nannte) geht weitgehend auf Identitiätsprobleme der Muslime zurück. Dass der traditionelle Islam diese Identitätsfragen auf längere Frist zu lösen vermag, ist unwahrscheinlich. Denn sie gründen auf Ueberfremdungserscheinungen, die in der Form der Globalisierung beständig weiter um sich greifen. Durch einen Rückgriff auf eine idealisierte Vergangenheit (jene der weitgehend ahistorisch gesehenen Zeit des Propheten), werden sie schwerlich zu lösen sein. Weil die Zeitströmungen dafür sorgen werden, dass die Identitätsfrage der Muslime gestellt bleibt und sich weiter verschärfen dürfte, solange sie ihre muslimische Identität abstützen auf als geheiligt geltende Ueberlieferungen und deren in der mittelalterlichen Tradition verankerte Auslegungen. Diese Abstützung widerspricht in wesentlichen Bestandteilen (sie sind oben erwähnt) den reisssenden Strömungen einer globalisierten Moderne.

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Dienstag, 27. Oktober 2009

Birgit Cerha: Terror drängt Iraks Parlamentarier zu Kompromiss


Chancen auf ein neues Wahlgesetz zur Stabilisierung des politischen Prozesses steigen - Doch der Hauptstreitpunkt Kirkuk bleibt ungelöst


Der Schock des Blutbades, das vergangenen Sonntag 156 Menschen im Herzen von Bagdad das Leben kostete, hat Iraks tief zerstrittene Politiker aufgerüttelt. Der Terroranschlag, zu dem sich Dienstag der „Islamische Staat des Iraks“, eine mit dem Al-Kaida Netzwerk verknüpfte irakische Terrorgruppe, bekannte, war gegen die politischen Zentren des Landes gerichtet - das Justizministerium und das Büro des Gouverneurs von Bagdad wurden schwer beschädigt – und ist Teil einer Strategie radikaler arabisch-sunnitischer Kräfte, den von den Amerikanern eingeleiteten politischen Stabilisierungsprozess im Irak zu stoppen. Das Ausmaß der Gewalt, die auch mehr als 500 Menschen, darunter einige Politiker, verletzte, hat Iraks politische Führer Montag abend nach monatelangem Streit zu einem Kompromiss über ein neues Gesetz gedrängt, das die für 16. Januar 2010 angesetzten Parlamentswahlen regeln soll.

Ein Änderungsvorschlag zu dem so lange heftig umstrittenen Gesetzesvorschlag wurde nun der Parlamentsleitung präsentiert, bevor die Abgeordneten schließlich darüber abstimmen sollen. An dem entscheidenden Treffen hatten Präsident Talabani (Kurde), Ministerpräsident Maliki (Schiit), sowie deren Stellvertreter und der Parlamentspräsident Samarrai (arabischer Sunnit) teilgenommen. Damit waren die Hauptgruppierungen des Landes vertreten.

Der Durchbruch kam in letzter Minute, nachdem das Parlament bereits die von der UNO auf den 15. Oktober gesetzte Frist für den Beginn der Wahlvorbereitungen versäumt hatte. Laut Verfassung müssen die Iraker bis Ende Januar 2009 ein neues Parlament wählen. Gelingt dies nicht oder nur auf Basis des alten in wichtigen Aspekten problematischen Wahlgesetzes, verliert der politische Prozess zur Stabilisierung des Landes empfindlich an Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung und Extremisten erhielten erneut Auftrieb, während die USA ihre Truppenpräsenz graduell verringern sollte. Genau dies soll der Terror militanter Kräfte erreichen.

Einzelheiten über den Kompromiss für das Wahlgesetz wurden bisher nicht bekannt. Es sind mehrere Aspekte, an denen sich der Streit zwischen Schiiten, Kurden, arabischen Sunniten, Vertreter der großen und kleiner Parteien seit Monaten entzündete. Da geht es zunächst um die Frage der „offenen Listen“, die den Wählern ermöglichen, nicht nur für eine Partei, sondern für einzelne Kandidaten zu stimmen. Um einzelne Kandidaten in der gewaltgeladenen Atmosphäre vor vier Jahren nicht zur Zielscheibe von Terroristen zu machen, hatte man in das die Wahlen 2005 regelnde Gesetz nur ein „geschlossenes“ System vorgesehen, ohne individuelle Kandidaturen. Vor allem die kleineren Parteien, darunter auch jene unter Führung von Maliki, favorisieren das „offene System“, da sie sich dadurch einen größeren Stimmenzuwachs aufkosten der „Großen“ erhoffen. Genau aus diesem Grund blockierten die großen Parteien diese Regelung und damit das gesamte Gesetz, in der Hoffnung, man würde sich im letzten Moment auf die bisherigen Bestimmungen einigen, um einen Wahlaufschub mit unabsehbaren Folgen zu vermeiden.

Viele Iraker sind der diskreditierten, vielfach korrupten politischen Führer müde und unterstützen deshalb die „offenen Listen“. Auf diese, so informierte Kreise, dürften man sich nun geeinigt haben.

Der weit schwierigere Streitpunkt aber ist die Ölstadt Kirkuk, der schon vor einem Jahr die Verschiebung der Regionalwahlen auf Ende Januar 2009 erzwungen hatte. Die Wahlen waren schließlich überhaupt nur möglich geworden, weil man die Provinz Kirkuk und die drei autonomen Provinzen Kurdistans von den Wahlen unter der Bedingung ausgeschlossen hatte, dass man ein eigenes Wahlgesetz für Kirkuk erarbeite und die Wahlen bis spätestens Mai 2009 nachhole. Dies geschah nicht. Der Streit bleibt ungelöst. Dabei geht es um den Status der Ölstadt und einiger – zwischen Kurden und Bagdad – „umstrittenen Gebiete“.

Seit Jahrzehnten betrachten die Kurden Kirkuk als das „Herz Kurdistans“. Die herrschende Baath-Partei hatte insbesondere unter Saddam Hussein in einer brutalen „Arabisierungskampagne“ Zehntausende Kurden, später auch Turkmenen, aus Kirkuk und anderen ölreichen Regionen verjagt, Tausende ermordet, und Araber angesiedelt. Einige tausend Vertriebene kehrten nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 heim. Die Kurden bilden heute in der Stadt vermutlich die Mehrheit, genau weiß dies aber niemand. Eine in der neuen irakischen Verfassung vorgesehene Volkszählung wurde nie durchgeführt, ebenso wenig eine Volksabstimmung und ein „Normalisierungs-Prozeß“, der den Vertriebenen die Rückkehr und Rückgabe des verlorenen Besitzes ermöglichte, blieb in den Anfängen stecken. Turmenen und Araber in der Stadt wehren sich heftig gegen die neue kurdische Dominanz. Die führenden kurdischen Parteien haben bisher einen Boykott der Parlamentswahlen angedroht, sollte das neue Wahlgesetz durch eine Sonderregelung für Kirkuk die Macht der Kurden beschneiden. Ob man in dieser Frage nun einen realistischen Kompromiß fand, ist vorerst unklar.

Ebenso ungewiss ist, ob der dritte wichtige Streitpunkt – die Möglichkeit für etwa vier Millionen Exil-Iraker, sich an den Wahlen zu beteiligen – gelöst werden kann. Zudem steht zu befürchten, dass der Streit erneut ausbricht, wenn die Parlamentsführung den Kompromiss den Abgeordneten zur Abstimmung präsentiert.

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Sonntag, 25. Oktober 2009

Birgit Cerha: In Teheran wächst das Misstrauen gegen einen Atomdeal

IAEA-Experten beginnen mit der Inspektion der zweiten Anlage zur Anreicherung von Uran

Eine Delegation der Atomenergiebehörde (IAEA) begann Sonntag mit der Inspektion der zweiten iranischen Anlage zur Anreicherung von Uran, zu deren Existenz sich Teheran jüngst bekannt hatte, nachdem Informationen über den Bau dieser Anlage 30 km von der „heiligen Stadt“ Qom entfernt, an westliche Geheimdienste durchgesickert waren. Es ist der erste Besuch, den Teheran den internationalen Atomexperten in der in einem Berg versteckten Anlage gestattet, in der bis zu 4.000 Zentrifugen untergebracht werden sollen. Die Inspektoren prüfen, ob die Einrichtung tatsächlich nur zur friedlichen Nutzung der Kernenergie dienen werde, wie Teheran behauptet. Eine endgültiges Urteil wird sich jedoch nur schwer bilden lassen, da das Werk aber erst in etwa eineinhalb Jahren fertig gestellt sein wird, bisher dort wohl noch keine technischen Geräte aufgestellt sind und Teheran zudem einige Wochen Zeit hatte, um möglicherweise verdächtiges Material zu entfernen.

Eine reibungslose Inspektion besitzt für Iran, wie die internationale Gemeinschaft besondere Bedeutung, da sie die gegenwärtige Suche nach einem Kompromiss in dem jahrelangen schweren Konflikt zwischen der internationalen Gemeinschaft unter Führung der USA und der „Islamischen Republik“ über das iranische Atomprogramm stark beeinflussen könnte.

Auf diplomatischer Ebene spielen die Iraner nach altbewährter Methode aber auf Zeit und ließen eine von IAEA-Chef al-Baradei für vergangenen Freitag gesetzte Frist verstreichen. Während Russland, Frankreich und die USA bei Verhandlungen in Wien vergangenen Donnerstag einem Schlichtungsvorschlag Baradeis zugestimmt hatten, will Teheran erst Mitte dieser Woche Stellung beziehen. Man dürfe in dieser entscheidenden Frage nichts überstürzen, hieß es aus Regierungskreisen.

Der Kompromißentwurf sieht vor, dass der Iran den Großteil (1.200 kg) des in seinen Atomanlagen schwach angereicherten Urans zur weiteren Anreicherung nach Russland sendet, damit auch für die internationale Gemeinschaft klargestellt werden könnte, dass der Iran keine Atomwaffen bauen kann. Teheran argumentiert, dass es höher angereichertes Uran für medizinische Zwecke benötige. Der Deal könnte als wichtiger vertrauensbildende Maßnahme die festgefahrenen Atomverhandlungen wieder beleben.

Während die iranische Delegation in Wien in der Vorwoche positiv zu Baradeis Vorschlag reagiert hatte, mehren sich im Iran nun die Stimmen der Hardliner. Prominentester unter ihnen ist der ehemalige Atomunterhändler und derzeitige Parlamentspräsident, ein enger Vertrauter des „Geistlichen Führers“ Khamenei, Ali Laridschani, der nun ungewöhnlich scharfe Töne hören ließ: „Der Westen besteht auf der Fortsetzung seiner Strategie der Täuschung und will uns weiterhin seinen Willen aufzwingen.“ Zahlreiche Parlamentsabgeordnete sprachen sich offen gegen den Atom-Deal aus. Der Iran müsse bedenken, „dass die Länder, die vorgeschlagen haben, uns den nötigen Brennstoff für den Teheraner Reaktor zu liefern, die Durchführung eines diesbezüglichen Vertrages verzögern oder diesen gar annullieren könnten“, mahnt Alaeddin Boroujerdi, enger Verbündeter Präsident Ahmadinedschads und Vorsitzender des parlamentarischen Komitees für nationale Sicherheit.

Kritik iranischer Politiker richtet sich insbesondere gegen die große Menge des Urans (etwa 80 Prozent der Gesamtmenge), das an Russland weitergeleitet werden soll. Man verweist auf bittere Erfahrungen aus der Vergangenheit, als internationale Verträge nicht seriös eingehalten oder gar gebrochen worden seien. Dies hätte gravierende humanitäre Auswirkungen, da der Teheraner Reaktor entscheidende Bedeutung für die Behandlung von Krebs und anderen schweren Krankheiten besitzt. „Vergessen wir nicht, dass die letzte Lieferung von nuklearem Brennstoff für diesen Reaktor fünf Jahre dauerte. Die IAEA hatte sie 1988 gebilligt und sie wurde erst 1993 durchgeführt“, erinnert ein Teheraner Politologie-Professor. Der Fünf-Megawatt Reaktor arbeitet mit nur 60 Prozent seiner Kapazität, da der Vorrat an Brennstoff so niedrig ist und bereits in etwa einem Jahr erschöpft ist. Deshalb auch betont man in Teheran, man müsse selbst das Uran anreichern, wenn nicht rasch eine Entscheidung mit der internationalen Gemeinschaft gefunden wird, die auch iranisches Misstrauen zerstreuen könne.

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Birgit Cerha: Blutiger Terror sucht Bagdad heim


Inmitten anhaltender politischer Fehlschläge suchen Extremisten verstärkt die Stabilisierung des Iraks zu blockieren


„Die Wände stürzten ein und wir mussten so schnell wie möglich aus dem Haus laufen…“; „Ich weiß nicht, wieso ich überhaupt noch am Leben bin. Die Explosion hat alles zerstört. Nichts ist mehr an seinem Platz.“ Ein Doppelanschlag im Regierungsviertel der irakischen Hauptstadt hat Sonntag mehr als 90 Menschen in den Tod gerissen und mindestens 600 verletzt. Zwei Autobomben trafen in der morgendlichen Stoßzeit, das Justizministerium und den Sitz des Gouverneurs von Bagdad. Die Anschläge weisen starke Ähnlichkeit mit den Attentaten vom 19. August auf, als eine Serie von Detonationen das Außen- und Finanzministerium erschütterten und mehr als hundert Menschen töteten. Wie damals beschuldigen auch jetzt Regierungsvertreter ausländische Agenten, von Nachbarstaaten unterstützte Terroristen der Tat.

Die Regierung unternehme alle Anstrengungen, um die Sicherheit im Land zu verstärken, doch ohne regionale Kooperation ließe sich der Kampf gegen Selbstmordattentäter nicht gewinnen, betonte Regierungssprecher Ali al-Dabbagh in Bagdad. „Erste Analysen“ zeigten, so Dabbagh, die „Handschrift von Al-Kaida und den Baathisten“.

Insgesamt war die Gewalt im Irak in den vergangenen Monaten gegenüber den Vorjahren stark zurückgegangen, eine Entwicklung, die die Popularität von Premierminister Nuri al Maliki im Vorwahlkampf zu den für den 16. Januar anberaumten Parlamentswahlen wesentlich zu stärken schien. Die Todesrate durch Terrorakte war im September die niedrigste seit Mai gewesen, wiewohl im internationalen Vergleich immer noch hoch.

Eine Reihe von Faktoren sind für die erneut aufflammende Gewalt verantwortlich. Seit dem Rückzug der US-Soldaten aus irakischen Städten am 30. Juni haben die irakischen Sicherheitskräfte mehr und mehr die Kontrolle in schiitischen Regionen gewonnen. In arabisch-sunnitischen Gebieten ist ihnen dies jedoch nicht gelungen. Und die Regierung, ängstlich auf die nationale Unabhängigkeit und Selbständigkeit bedacht, nahm kaum je von dem Angebot der Amerikaner Gebrauch, den von US-Militärs ausgebildeten Sicherheitskräfte bei Sondereinsätzen gegen Extremisten beizustehen.

Nach jüngsten Aussagen des Kommandanten der irakischen Bodentruppen, General Ali Ghaidan Majid, werden die irakischen Sicherheitskräfte erst 2020 „voll wieder aufgebaut“ sein. Ein Drei-Phasen-Plan, dessen erste Stufe 2011 abgeschlossen sein sollte, leide jedoch aufgrund finanzieller Nöte an Rückschlägen. Insbesondere sei die irakische Polizei noch keineswegs selbständig einsatzfähig, weshalb die Streitkräfte für die Sicherheit in den Städten sorgen müssten und deshalb auch die Grenzen nicht gut absichern könnten. Es sei doch die „Einmischung von außen, von den Nachbarn, die den Terror“ im Irak geschaffen habe und weiter nähre.

Maliki macht insbesondere Syrien für die jüngsten Anschläge verantwortlich. Die Beziehungen zwischen beiden Staaten sind schwer angespannt, seit Bagdad das Damaszener Regime indirekt der Schuld an dem Blutbad vom vergangenen August bezichtigte. 90 Prozent der ausländischen Kämpfer im Irak kämen direkt aus Syrien, behauptet der Premier und forderte Syriens Präsidenten Bashar el Assad auf, die Namen von 179 Angehörigen der gestürzten irakischen Baath-Partei preiszugeben, die sich in Syrien versteckt hielten und von dort aus – teilweise auch in Kooperation mit nicht-irakischen Al-Kaida Terroristen – Anschläge im Irak verübten. Assad forderte Beweise für diese Behauptung, die Maliki nicht lieferte. Seither haben sich die Beziehungen zwischen beiden Staaten drastisch verschlechtert.

US-Militärs stellten jüngst alarmiert fest, dass die an Syrien grenzende Provinz Anbar , wo die amerikanischen Truppen nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein einige ihrer blutigsten Schlachten gegen den Widerstand geführt hatten, erneut Anzeichen auflebenden Terrors zeigten. Anbar ist ein Zentrum der „Söhne des Iraks“, arabisch-sunnitischer Stämme, die sich von ihrem Bund mit Al-Kaida gelöst hatten, um mit den Amerikanern gegen die blutige Gewalt zu kollaborieren.

Der höchste US-General im Irak, Ray Odierno, warnte erst vor wenigen Tagen vor einer dramatischen Verschärfung der Gewalt im Irak, die auch den Rückzugsplan der US-Truppen im Lande gefährden könnte. Odierno hatte bisher gehofft, rund 70.000 der insgesamt derzeit 120.000 US-Soldaten zwischen März und August 2010 und den Rest bis Ende 2011 heim zu schicken. Doch die jüngsten Entwicklungen, insbesondere die anhaltenden politischen Querelen gäben Anlass zu größter Sorge. Das Parlament konnte sich bisher nicht auf ein Wahlgesetz einigen, wodurch eine Verschiebung der Parlamentswahlen unerlässlich werden könnte. Dies ist nach Ansicht von Beobachtern genau das Ziel, das Baathisten und andere Widerstandsgruppen anstreben. Eskalierende Gewalt soll das Vertrauen der Bevölkerung in den politischen Prozeß untergraben. Der Streit der Politiker, die Unfähigkeit, wesentliche Fragen des neuen Iraks – Wahl- und Ölgesetz, föderale Struktur des Landes, Streit um die Ölstadt Kirkuk zwischen irakischen Arabern und Kurden, Korruption etc. – zu lösen, spielen gewalttätigen Extremisten gefährlich in die Hände.

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Mittwoch, 21. Oktober 2009

ISLAM: Der Islam – ein flexibles Netz

Warum der Gesetzesislam heute, in einer Zeit der Krise und Selbstzweifel, an Einfluss und Zugkraft gewinnt

Es ist ein Irrtum, wenn man sich vorstellt, wie es in unseren Breiten oft zu hören ist: Der Islam wirke sich so auf die Menschen aus, die ihm folgen, dass man ihnen allen eine innere Verandtschaft, Aehnlichkeiten, nachsagen könnte. Es gibt die Religion des Islams, doch die Anhänger dieser Religion sind viele Arten von Menschen. Den Muslim, als festen Typus, über den sich verallgemeinernde Aussagen

Man sollte den Islam nicht als einen fest gefügten soliden Block ins Auge fassen sondern eher als ein flexibles Netz, das das Leben von vielen Völkern und Traditionen zu umfassen vermag. Die Kultur, die im Zeichen des Islams entstanden ist und eine hohe Blüte in verschiedenen Ländern erreicht hat, war aus dem Zusammenfliessen verschiedener alter Kulturen entstanden. Zu Beginn der islamischen Geschichte verschmolzen erstmals wieder seit der Zeit Alexanders des Grossen 900 Jahre zuvor, die oströmische byzantinische und persische Welt mit den kulturellen Zügen der arabischen Beduinenwelt.
Der Islam hat diese Bestandteile miteinander verschmolzen und verwoben, so dass etwas eigenes, abgerundetes daraus entstand, eine eigen Zivilisation. Er hat dabei Züge entwickelt, die ihn zu Bildung einer Weltreligion befähigten. Einerseits, eine Pflichtenlehre, die sogenannte Sharia, die versucht, eine jede Handlung der Menschen zu klassifizieren in „von Gott geboten“ oder „verboten“ mit Unterabteilungen, für „Gott wohlgefällig“, „indifferent“, „Gott missfällig“. Diese Pflichtenlehre ist unendlich komplex ausgebildet, eine Rechtswelt, die auf der Arbeit von Generationen von Gottesjuristen beruht. Ein Netzwerk mit feinen Maschen, das das Leben vieler Arten von Muslimen in seiner ganzen Breite einfängt, ausrichtet, ohne sie gleichzuschalten.

Ein Gegengewicht bildet die Mystik, das Streben des Einzelnen nach der Nähe Gottes, indem er „seine Seele poliert, bis sie den Schöpfer spiegelt“, wie die Sufis, die islamischen Mystiker, es formuliert haben. Die Frömmigkeit der Sufis kann in mancher Hinsicht als eine Gegenbewegung zur Gottesjuristerei der Sharia-Fachleute gesehen werden. Die beiden bilden zwei Flügel, mit denen der Islam sich in unterschiedlichen Sphären bewegen kann, in der Sphäre jener die geistliche Sicherheit anstreben, die nach der Leitung durch die juristischen Fachleute fragen, und einer anderen, die das Wagnis der persönlichen Suche nach Gott unternimmt. Diesen zweiten individuellen Weg geht man auch nicht alleine. Niemand kann von sich selbst aus Sufi werden, sondern kann dieses Ziel nur unter Anweisung und Aufsicht eines erfahrenen Scheichs erreichen. – Bei diesen Andeutungen muss ich es hier belassen.
Die Geschichte des Islams zeigt auf, wie die beiden Flügel sich ausgewirkt haben. Es war die Mystik, die wesentlich zur zweiten Ausbreitung des Islams beigetragen hat. Die mystischen Wanderer, Heilige Männer in den Augen der Bevölkerung, zogen ab dem 12. Jahrhundert aus nach Innerasienasien, über den Indischen Kontinent. bis nach Indonesien; quer über die Sahara nach Schwarzafrika; sie zogen über den kleinasiatischen Subkontinent und erschlossen so weitere Weltteile für den Islam, diesmal auf friedlichem Wege. Diesen äusseren Ring rund um die zentralen altislamischen Gebiete bilden jene Länder des Islams, die heute die grössten Bevölkerungszahlen aufweisen, wie etwa Indonesien.

Im Lauf der Geschichte des Islams ist manchmal der mystische Flügel führend gewesen. Er beanspruchte die grösste Aufmerksamkeit der Muslime und um ihn herum gestaltete sich ihr religiöses Leben am intensivsten. In anderen Zeiten und Regionen überwog die Pflege und Hochachtung des Gottesrechts, der Schari’a. Heute leben wir allem Anschein nach in einer Zeit, in der die Schari’a und das Schari’a Denken ins Zentrum des Glaubens rückt. Immer grössere Zahlen von Muslimen wenden sich ihren Gelehrten zu und fordern von ihnen Gutachten, Fatwas, darüber, wie sie sich in allen Details ihres Lebens Gottes Gebot entsprechend verhalten sollen.
Die Gelehrten sind sehr gelehrt, aber sie sind auch nur Menschen. Ihre Auskünfte können daher im Detail (auf das es in allen juristischen Denken ja ankommt) recht unterschiedlich ausfallen. Doch der innere Halt, den sie bieten, wird allen Erfahrungen nach heute immer intensiver gesucht.

Sheich Ali Gomaa, der Grossmufti, der dem aeyptischen Dar al-Ifta vorsteht, die offizelle Fatwa (Gutachten) Autorität Aegyptens, berichtete Neil MacFarquhar, einem amerikanischen Journalisten, der soeben ein gutes Buch über die islamische Welt veröffentlicht hat, p. 128 (das Buch hat einen etwas langen aber interessanten Titel: The Public Relations Department of Hizbollah whishes you a happy Birthday, unexpected encounters in the changing Middle East), dass seine Institution Ende des Jahres 2008 täglich 3000 Anfragen von Leuten beantwortete, die eine Fatwa suchen, das heisst eine Antwort auf Fragen ihres Lebens, die sie nach dem Religionsgesetzt suchen. Darunter können auch politische Fragen sein. 25 Theologen seien damit beschäftigt, beständig solche Antworten zu erteilen. Die Zahl der Anfragen hatte sich seit dem vorausgehenden Jahr verdreifacht. Vor nicht sehr langer Zeit seien es noch 25 per Tag gewesen und er habe sie leicht selbst beantworten können. Diese 3000 Rechtsauskünfte umfassten nicht alle die, die aus anderen Institutionen kamen, wie aus der al-Azhar Universität oder aus dem Zentrum für Islamische Forschung der Universität Kairo.

Warum wohl diese ungeheure Zunahme? - Die Leichtigkeit, zu fragen und Antworten zu erhalten ist heute sehr gross, es geht über e-mail und telephonische Linien. Auch auf dem Internet findet man Fatwa Seiten. Das Fernsehen hat Fatwa Programme, die sehr populär sind.

Doch es gibt wohl auch tiefere Gründe. Die heutige muslimische Welt steht in einer inneren Krise, die ausgelöst wurde und immer noch weiter vertieft wird, durch die übermächtige Präsenz unserer post-aufklärerischen, industrialisierten, und sich heute global ausdehnenden euro-amerikanischen Welt mit ihren Lebensformen. Eine unübersehbare, machtvoll, erfolgreiche Präsenz in allen muslimischen Ländern. Die Krise begann vor rund 200 Jahren mit der damals einsetzenden militärischen Ueberlegenheit der europäischen Mächte, die trotz allen Versuchen der Muslime von den Fremden zu lernen, um ihnen Widerstand leisten zu können, am Ende zu einer kolonialen Inbesitznahme der wichtigsten und fast aller muslimischen Staaten führte. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es Entkolonisierung.

Doch die materielle, technologische, kommerzielle, wissenschaftliche, organisatorische, industrielle, politische und immer noch militärische Überlegenheit besteht fort. Man kann sagen, in der heutigen islamischen Welt sind alle die Dinge, Methoden, Verfahrensweisen, die vom nicht- islamischen Ausland her kommen und von dort übernommen werden müssen und übernommen werden, erfolgreich. Alle die, die in der eigenen Tradition und Vergangenheit wurzeln, die man als die eigenen ansehen kann, verkommen langsam, werden unbedeutend und schwach, veraltern, scheinen irgendwie der Vergangenheit anzugehören. Was natürlich Fragen aufwirft für die Anhänger des Islams. Für sie kann die Antwort nicht in der Selbstaufgabe liegen und nicht in der Aufgabe jener wichtigsten Komponente ihres Selbst, des Islams. Eine Zeitlang in den 50er und 60 Jahren hoffte man auf die Nation. Die islamischen Völker hatten sich – nicht ohne Zwang und Zutun von aussen – in Nationalstaaten organisiert. Auch dies war eine Grundidee, die aus Europa importiert worden war. Nach der Unterjochung durch die kolonialen Mächte hoffte man auf den eigenen Staat als Befreiung aus der Lage des Machtlosen.

Doch die vielen politischen Rückschläge und Entäuschungen, durchaus auch solche gewaltsamer Natur, die von europäischen Staaten, von Israel und von Amerika aus gingen, und die tyranischen Herrschaften der eigenen Machthaber – meist sind es solche aus der Klasse der Militärs, die stets zu den konsequentesten Importeuren der ausländischen Waffentechnologie gehören und sich immer mit Gewalt an der Macht festkrallen, und die sich immer wieder von den Mächten Europas und Amerikas gestützt sehen - , hat heute dazu geführt, dass kaum jemand mehr Heilserwartungen auf den eigenen Staat setzt. Man kennt ihn als allzu korrupt. Die Hoffnungen konzentrieren sich vielmehr auf die Religion. Von ihr erwartet man Leitung, Erlösung aus der eigenen wenig befriedigenden Lage oder mindestens Sinngebung in einer wenig befriedigenden Welt.

Die Leitungsfunktion der Shari’a Gelehrten ist klar, sie strahlen Auorität aus, versprechen inneren Halt. Dies dürfte der tiefere Grund sein, warum der Gesetzesislam, der Islam der Normen, heute an Einfluss, an Zugkraft gewinnt. Er füllt das Vakuum, das die versagenden Staaten verusacht haben. Die Gottesgehrten werden nach Regeln befragt, sie erfüllen die Erwartungen und geben Antworten.


Die Neuentwicklung islamistischer Ideologie

Das Versagen der Staaten bringt neuerdings eine Versuchung für die Gläubigen und für gewisse Gottesgelehrte hervor. Wenn der Staat versagt, warum sollen sie dann den Staat nicht übernehmen? So denken jene, die von sich selbst glauben, sie könnten alles zum Besseren lenken, mit Gottes Hilfe gewiss, doch oft auch beflügelt durch einen eigenen Willen zur Macht, der sich leicht mit religiösen Argumenten begründen lässt. Es soll wieder so werden wie es zur vorbildlichen Zeit des Propheten war. Dafür würden sie sorgen, verkünden die Sprecher der politischen Lehre, die wir in Europa die radikalen Fundamentalisten nennen. Oft sind sie Amateur- Theologen ohne tiefere theologische Bildung. Sie sagen nicht wie sie diese ideale Gesellschaft erreichen wollen. Und in den wenigen Fällen, in denen sie über kurz oder lang die Macht ausgeübt haben, entwickelten sich die von ihnen durchaus gewaltsam beherrschten Gesellschaften keineswegs optimal. Iran ist das wichtigste Beispiel.
Doch ihre Lehre spricht alle jene an, die keine anderen Hoffnungen mehr für ein einigermassen menschenwürdiges Leben für sich und für ihre Kinder hegen können . Und ihre Doktrin zieht Ehrgeizige an, die in ihr einen Weg zur eigenen Machtposition erblicken. Der Islam verkommt dabei oft zum Instrument, um Macht zu erringen und auszuüben. Das Instrument greift dort am besten, wo Verzweiflung über alle anderen Wegen herrscht, aus der heutigen misslichen Lage herauszukommen.

Diese Entwicklungen haben viel mit Politik und mit politischen Entäuschungen zu tun und wenig mit Islam. Sie stellen eine Ideolgisierung der Religion des Islams dar. Eine Religion befasst sich mit dem Verhältnis Gott-Mensch, eine Ideologie ist ein Heilsrezept, das sich ein Ideologe zurecht gelegt hat und von dem er erklärt, es müsse nur ganz genau befolgt werden, dann sei der Erfolg, in dieser Welt, fest garantiert. Obwohl man die Zweck-Ideologie des Islamismus klar von der Religion des Islams trennen kann – und trennen sollte – musste ich sie hier erwähnen, weil diese ideologische Gärung über unsere Medien viel zu sehr unser Bild vom Islam dominiert und verfälscht. Sie umfasst nur einen kleinen Teil der Muslime, den Teil nämlich, der jede andere Hoffnung verloren hat, heute etwa im von den amerikanischen Truppen besetzten Irak und Afghanistan oder in anderen Gebieten, Gaza zum Beispiel, das Westjordangebiet nicht ausgenommen, in denen katastrophale Zustände herrschen.



(Entwurf eines Vortrags für eine Tagung über die schweizer Minarett-Initiative in Rohrschach in der Schweiz, am 25. Oktober 2009)

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Dienstag, 20. Oktober 2009

Arnold Hottinger: Die schweizer Muslime in ihren Moscheen

Die Schweiz steht im Bann einer heftigen Diskussion, die zwei nationalistische Parteien durch viele Provokationen aufheizen. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) wollen dem Bau von Minaretten im Land ein Ende bereiten. Diese Initiative kommt am 29. November zur Abstimmung. Das Volksbegehren besteht aus einem einzigen Satz, der dem Artikel 72 der Bundesverfassung zu Kirche und Staat beigefügt werden soll: «Der Bau von Minaretten ist verboten.»
Wir bringen zu diesem extrem xenophobischen Vorstoß zwei grundsätzliche und aufklärende Beiträge, denn die Bedeutung der Problematik reicht weit über die Schweiz hinaus.



„Türken“ oder „Muslime“ sind nur die neuesten „Schreckgespenster“

Angst vor dem Islam ist leicht zu schüren. Die Religion ist vielen Schweizern wenig vertraut; sie gilt als „fremd“, ja „exotisch“. Muslimische Gemeinschaften wurden über Jahrhunderte hin von den Christen Europas als Feinde gesehen und traten selbst lange Zeit der europäischen Christenheit feindlich gegenüber. Das war im Mittelalter. Doch die alten Fendbilder wirken nach. Uebrigens auch auf der islamischen Seite, nur dass man sich dort mehr an jüngere Zusammenstösse erinnert, nämlich an die kein volles Jahrhundert zurückliegende Zeit, als europäische Kolonialmächte die meisten muslimischen Länder unterjocht hielten.

Zu den alten Reibungspunkten kommen heute neue hinzu. Es gibt eine Arbeits- und eine Asylimmigration aus vielen muslimischen Ländern nach Europa, auch in die Schweiz. Die einheimischen Bevölkerungsgruppen stehen fremden Einwanderern oft misstrauisch gegenüber. Zwar braucht man ihre Arbeitskraft, doch man fürchtet, sie könnten das eigene Land „überschwemmen“und seinen Charakter verändern. Das war schon so, als nach dem Krieg die ersten Italiener in die Schweiz kamen, dann ähnlich mit den Spaniern und Portugiesen. „Türken“ oder „Muslime“ sind nur die neuesten Schreckgespenster.

Angst machen und Abneigung schüren ist umso leichter, als es in der Tat einen Terrorismus gibt, der sich selbst als „islamisch“ bezeichnet, obwohl die immense Mehrheit der Muslime ihn ebenso ablehnt wie die nicht-Muslime: Volk, Regierungen, religiöse Autoritäten. Wer Angst machen will, kann immer behaupten, „heimlich“ seien sie doch „alle“ mit den Terroristen im Bunde. Unterstellungen dieser Art sind billig. Es gibt für sie weder Beweis noch Gegenbeweis. Wer sie aufwirft, behauptet, er wisse, was die Angeschuldigten im Geheimen denken. Zu viele Menschen der Gastgesellschaft lassen durchblicken, sie glaubten, sie wüssten Bescheid über „die Muslime“; oft, meinen sie, besser als diese über sich selbst.

Vorurteile sind ungerechte Verurteilungen, weil sie auf eingebildeter Kenntnis beruhen. Aufhetzer und Angstmacher verfolgen oft eigene Absichten. Wenn sie Glauben und Beifall finden, profilieren sie sich und bringen ihre politische Karriere voran.

Die Muslime in unseren Breiten kommen aus sehr verschiedenen Ländern. Wenn sie Arbeit Suchende sind, kommen sie meist aus einfachen Schichten. Ihre Familien sind oftmals vom Land in eine der muslimischen Grosstädte gewandert und von dort noch in der gleichen oder in der nächsten Generation nach Europa. Das neue Umfeld, in das sie plötzlich versetzt werden, ist ihnen fremd. Sie leisten eine gewaltige Anpassungsarbeit, um sich einzufügen. Neue Sprachen, neue Lebens- und Arbeitsbedingungen, fremde Bräuche, fordern viel Umstellung. Sie vermissen die sichere Einbettung in ihre Familie, ihr Dorf oder Stadtviertel, ihre eigene Sprache, die bisher wesentliche Bestandteile ihres Lebens gewesen waren. Nur eines von all dem haben sie mitbringen können: ihre eigene Religion. Diese nimmt in der Fremde leicht mehr Gewicht ein als zu hause. Jedenfalls wird sie bewusster gelebt; ein wesentlicher Bestandteil der Identität, auf den man nicht auch noch verzichten kann.

Umso wichtiger wird es für Viele der Eingewanderten, einen eigenen Ort zu besitzen, wo sie zu den Wurzeln ihrer eigenen Existenz zurückfinden können, mit Menschen zusammenkommen, die ähnliche harte Wege gegangen sind und noch gehen wie sie. Mit denen sie ihre eigene Religion gemeinsam ausüben können, die im Zentrum der Identität eines jeden steht. Die Orte, wo dies geschehen kann, haben sie aus ihrem eigenen knappen Verdienst über Jahre hin aufgebaut. In den bescheidenen Massen, die möglich sind, sollen sie dem Modell von zuhause gleichen. Zu einer Mosche gehört ein Minarett so gut wie zur Kirche ein Turm. Zur Not ginge es auch ohne. Doch ein Verbot durch die Gastgesellschaft würde zu recht als eine böswillige Diskriminierung verstanden. Böses Blut wäre unvermeidlich. Die Muslime bei uns und im Ausland würden gezwungen, eine in ihren Augen bewusst angestrebte Beleidigung hinunterzuschlucken. Was Niemandem gut tun kann.

Im Nahen Osten geschieht es nur zu oft, dass irgendein Demagoge irgendeine der vielen dortigen Relgionsgemeinschaften gegen eine andere aufhetzt. Er tut dies selten aus „Fanatismus“; es dient ihm dazu, sich selbst zum Anführer seiner eigenen Gruppe im Kampf gegen die Andere aufzuwerfen. Er wird dann Kriegschef. Manchmal kämpft man bis zur gegenseitigen Verarmung oder Vernichtung. Aber der Chef, der die Katastrophe auslöste, hat Geld und Karrriere gemacht. - Schlagen wir in der Schweiz nahöstliche Wege ein ?



Erschienen im St. Galler Tagblatt am 15.10.2009.
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Sonntag, 18. Oktober 2009

Birgit Cerha: „Das ist Todes-Niveau“


Eine alarmierende Wasserkrise vertreibt Hunderttausende Menschen in Syrien, Irak und anderen Länder des Mittleren Ostens und verschärft politische Konflikte


Zweieinhalb tausend Jahre schöpften die Norias das Leben spendende Nass aus dem Orontes, abwechselnd von tiefem Knarren und hohem Singen begleitet. Diese einst von den Römern installierten hölzernen Schaufelräder zählen zu den Hauptattraktionen der syrischen Stadt Hama, deren Bewohner sie seit Generationen das Trinkwasser lieferten. In jüngster Zeit versorgten die „Singenden Wasserräder“ vor allem die lange so üppigen Felder der Region. Heute aber reicht die Strömungsenergie des Flusses kaum noch, um die riesigen Holzräder von bis zu 20 Meter Durchmesser in Bewegung zu setzen. Algen und allerlei Unrat schwimmen auf der Oberfläche des alarmierend träge dahin fließenden Stroms und haben längst die reichen Fischschwärme verdrängt. Dieses Wasser „hat die Qualität unserer Feldfrüchte dramatisch verschlechtert. Sie bringen kaum noch genug Ertrag, um die Familie zu ernähren“, klagt ein 80-jähriger Bauer.

In Damaskus und anderen syrischen Städten sammeln sich die Menschen zum Gebet um Regen. Syrien, Irak, Jordanien, Teile der Türkei und der Libanon erleiden nun das zweite Jahr die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten. In Syrien ist der von Kurden bewohnte Nordosten besonders hart betroffen. In der Provinz Hasaka schleppen sich bis zu Skeletten abgemagerte Schafe und Ziegen über die ausgedörrten Felder. Aus Flussbetten und Kanälen steigt der Staub auf. In Dutzenden Dörfern ist das Leben erloschen. Das wichtigste Wasserreservoir der Region ist auf vier Prozent seiner ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft. „Das ist Todesniveau“, klagt Samir Mora, Hauptverantwortlicher für die Wasserversorgung der Provinz Hasaka. „Es ist eine Katastrophe“. Und den Gouverneur von Hasaka, Motha Najib Salloum, alarmiert die sich rasant ausbreitende Armut. „Kinder kommen nicht mehr zur Schule“ und wer kann, suche anderswo eine Bleibe. Das Kinderhilfswerk UNICEF versucht – bisher vergeblich – die internationale Gemeinschaft aufzurütteln: Unterernährung in der Region habe besorgniserregende Ausmaße angenommen. Die Weizenernte in der Provinz erreichte dieses Jahr mit 892.000 Tonnen nicht einmal die Hälfte des Vorjahres.

Nach einer UN-Studie sind bereits 60 Prozent des Landes und etwa 1,3 Millionen Menschen von der Dürre betroffen. An die 300.000 Menschen hat die Krise bisher aus ihrer nordöstlichen Heimat vertrieben. Viele suchen sich ein elendes Dasein in Slums oder Zelten am Rande von Damaskus, Aleppo und Hama. Täglich treffen mehr Menschen auch aus anderen Regionen ein.

Viele Syrer schieben die Schuld an ihrer Not nicht nur dem „Wettergott“ zu, sondern auch den benachbarten Türken, die durch den Bau von Staudämmen den Fluss des Euphrats, der einzigen großen Wasserquelle des Landes, stark reduziert haben. Der prominente syrische Ökonomie-Professor Aref Dalila macht jedoch auch eine fehlgeleitete Landwirtschaftspolitik der vergangenen 20 Jahre für die Misere verantwortlich. Mit dem Ziel, zu einem Weizenexporteur aufzusteigen, unterstützte die Regierung den Weizenanbau in halbtrockenen Regionen und ermutigte das illegale Bohren von Brunnen. Damit sank der Grundwasserspiegel bedrohlich ab. Die derzeit etwa 420.000 Brunnen, die Hälfte davon illegal angelegt, decken heute etwa 60 Prozent des syrischen Wasserbedarfs und die Landwirtschaft, von der die Hälfte der Bevölkerung lebt, verschlingt 90 Prozent des zur Verfügung stehenden Wassers.

Aber auch in Teilen des Iraks nimmt die Trockenheit alarmierende Ausmaße an. Der Wasserstand von Tigris und Euphrat liegt nach offiziellen Angaben um 50 Prozent unter dem normalen Niveau. Damit „ist die Nahrungsmittelversorgung gefährdet“, klagt ein Regierungssprecher in Bagdad, denn der Euphrat liefert fast 40 und der Tigris 60 Prozent des irakischen Bedarfs. Nach Jahren der Zerstörung und des Krieges befürchten die Iraker nun eine „Umweltkatastrophe“. In diesem Jahr fiel um 40 Prozent weniger Regen als 2008, das ohnedies schon ein trockenes Jahr gewesen war. In vielen Landesteilen sind die Flüsse ausgetrocknet. In der nördlichen, von arabischen Sunniten und Kurden bewohnten Provinz Diyala etwa ist der einst reiche Ackerboden ausgedörrt, Bewässerungskanäle bleiben leer und die Blätter in den Palmenhainen haben sich zu einem ungesunden Braun verfärbt. Der Wasserstand des größten Reservoirs, Hamrin, ist auf unter zehn Prozent der Kapazität abgesunken. Verzweifelt bohren die Menschen auf eigene Faust im Boden nach Wasser. Doch die Grundwasserquellen sind salzig, ungeeignet für menschlichen und tierischen Konsum.

Eine Million Schafe fielen nach Schätzungen bereits der Dürre zum Opfer. Wie in Syrien trieb die Trockenheit im Nord-Irak, insbesondere in Diyala, bereits mehr als 100.000 Menschen in die Flucht. Noch 36.000 mehr dürften ihnen nach jüngsten Schätzungen der UNESCO in nächster Zeit noch folgen. Die Situation wird dramatisch verschärft durch den Zusammenbruch des altertümlichen unterirdischen Wasserleitungsystems, genannt „Karez“, einst im alten Persien entwickelt und von den Bewohnern des Zweistromlandes, sowie anderen Kulturen übernommen wurde. Nach der Überlieferung sind die nord-irakischen Karez bis zu 350 Jahre alt. Ein einziges Karez-System kann 864.000 Liter Wasser im Tag transportieren und damit eine Gemeinde von fast 9000 Menschen versorgen. Gleichzeitig ermöglicht es die Bewässerung für die Produktion von fast 300 Tonnen Getreide.

In der ersten Studie ihrer Art stellte die UNESCO im August die Existenz von 683 „Karez“ im Nord-Irak fest, vor allem in den Kurdenprovinzen Sulaymaniya und Erbil, 116 davon versorgten die lokale Bevölkerung immer noch mit Trinkwasser, würden aber auch für Landwirtschaft und Tiere benützt. Ein großer Teil des Leitungssystems ist laut UNESCO durch die Trockenheit, aber auch durch jahrelange Vernachlässigung unbenutzbar geworden. Die Organisation betrachtet den drohenden Zusammenbruch des gesamten Systems als Alarmzeichen für noch größere Wassernot in der Zukunft.

Auch Iraks Süd-Provinz Basra leidet unter der Dürre. Der Salzgehalt des Grundwassers ist so hoch, dass es für die Landwirtschaft fast unbenutzbar wurde. Euphrat und Tigris führen nicht mehr genug Wasser für die Felder dieser Region. Die Krise wird noch verschärft durch die Folgen von Staudämmen, die der Iran an dem in den Schatt-el Arab mündenden Karun-Fluß errichtet hat.

Seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein 2003 schwimmen im Tigris, diesem großen Schatz des Zweistromlandes, Plastikflaschen, und –säcke neben allerlei anderem Unrat, die jahrelanger Krieg und das Chaos hinterlassen haben. Saddam hatte einst Verunreinigungen dieser Lebensader des Iraks mit schweren Strafen belegt. Heute tut dies niemand mehr. „Die Situation ist kritisch“, warnte 2007 der Umweltexperte Rativ Mufid in Bagdad. „Der Fluß wird zusehens zerstört und niemand erarbeitet Projekte zu seiner Rettung.“ Seither hat sich der Zustand des Stroms noch weiter dramatisch verschlimmert.

Die Probleme beginnen an der Quelle, im türkischen Taurus-Gebirge, und verschlimmern sich auf dem Weg des Flusses zum Persischen Golf. Wasserminister Abdel Latif Rashid identifiziert zwei Hauptursachen für das gegenwärtige Problem. „Der Irak hat sich jahrzehntelang von seinen Nachbarn Iran und die Türkei, aber auch Syrien isoliert“, die ihre eigene Wasserstrategie entwickelten und durch den Bau von Staudämmen den Wasseranteil reduzierten. Erst an zweiter Stelle macht der Minister das Klima und den Treibhauseffekt verantwortlich, fuhr der Irak in diesem Jahr die schlechteste Ernte seit einem Jahrzehnt ein. Die Erträge liegen bei weniger als einem Drittel des zehnjährigen Durchschnitts.

Abgelenkt durch jahrelange Bürgerkriegswirren hat die irakische Regierung dem Wasserproblem lange nicht gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Erst in den vergangenen Monaten begann Bagdad wieder verstärkt die Türkei zu größerer Kooperation zu drängen. Doch das Problem bleibt ungelöst. Es heißt GAP, Südostanatolien-Projekt. Durch ein gigantisches Netz von insgesamt 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken am Oberlauf der beiden mesopotamischen Flüsse ist Ankara entschlossen, die Energieversorgung des westlichen Landesteils nachhaltig zu sichern und die landwirtschaftlich nutzbare Fläche der Türkei schließlich zu verdoppeln. Das GAP-Projekt ist unterdessen etwa zur Hälfte realisiert, 15 Staudämme, fünf davon am Euphrat, sind fertiggestellt. Dies ermöglicht Ankara die Kontrolle der Wassermengen, die Euphrat und Tigris in die beiden Nachbarstaaten Irak und Syrien bringen.

Nach Angaben irakischer Wasserexperten schob der Euphrat in früheren Jahren im Durchschnitt 28 Mrd. Kubikmeter Wasser in den Irak, nun ist der jährliche Fluss auf 13 Mrd. zusammengeschrumpft. Die Türkei garantierte im Juni Bagdad 400 Kubikmeter Wasser pro Sekunde von Euphrat und Tigris, doch der Wasserfluss der beiden Ströme hatte laut Raschid häufig nicht einmal 200 Kubikmeter erreicht und um den nationalen Bedarf auch nur einigermaßen zu decken seien 500 Kubikmeter nötig. Auch die Türkei quält die Dürre. Dennoch versprach Ankara Bagdad nun, den Wasserfluss des Euphrat auf 550 Kubikmeter pro Sekunde zu erhöhen – ein Monat lang, um Iraks Nöte ein wenig zu lindern. Doch von einem multilateralen Verteilungsabkkommen, zu dem Syrien und Irak die Türken seit Jahren drängen, da dies das Problem auch für die nächste Zukunft lösen sollte, will Ankara nichts wissen.

Das Potential für künftige Konflikte ist hoch. Nach irakischen Schätzungen wird der Wasserbedarf des Landes bis 2015 um 50 Prozent steigen, während der Zustrom nicht zuletzt durch den weiteren Bau von Dämmen in der Türkei sinken wird. Von den Folgen des Treibhauseffekts ganz zu schweigen.

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IRAN: Terror trifft Irans mächtige Revolutionsgarden

Lokale, nationale, kriminelle und geopolitische Interessen stehen in Irans östlicher Unruheprovinz Belutschistan auf dem Spiel

von Birgit Cerha
Auf dem Höhepunkt ihrer Macht im „Gottesstaat“ erlitten die Revolutionsgarden Sonntag einen schweren Schlag. Ein Selbstmordattentäter sprengte ein strategisch offenbar äußerst wichtiges Treffen führender Kommandanten der Garden mit Stammes-Oberhäuptern in Pischin, nahe der Grenze zu Pakistan, in der bitterarmen Unruheprovinz Sistan-Belutschistan. Der Attentäter riss nach offiziellen Angaben in Teheran mindestens 29 Personen mit sich in den Tod, 28 weitere erlitten Verletzungen. Laut amtlicher Nachrichtenagentur Fars starben „in diesem Terrorakt, General Nur-Ali Schuschtari, stellvertretender Kommandant der Bodentruppen der Revolutionsgarden, General Mohammad-Zadeh, Kommandant der Sistan-Balutschistan-Provinz, der Kommandant der Stadt Iranshahr, sowie jener von Amir al-Momenin.“ Drei Kommandanten der angrenzenden Provinz Kerman seien ebenfalls ums Leben gekommen.

Das offiziell Teheran war sich Sonntag rasch einig über die Identität der Täter und deren Hintermänner. Die sunnitische Terrorgruppe „Dschundallah“ (Soldaten Gottes) habe die Tat verübt. Offizielle Medien, allen voran aber Parlamentssprecher Ali Laridschani beschuldigten jedoch vor allem die USA als Drahtzieher. „Wir betrachten diesen Terroranschlag als das Ergebnis amerikanischer Aktion. Das ist ein Zeichen der Feindseligkeit gegenüber unserem Land.“

Die Revolutionsgarden, direkt dem „Geistlichen Führer“ Khamenei unterstellt, sind im Zuge der blutigen Turbulenzen nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni zu den wahren Machthabern der „Islamischen Republik“ aufgestiegen. Durch strukturelle Reformen und personelle Veränderungen an der Spitze geben nun äußerst radikale Kräfte den Ton an. In ihrem Hass auf die Garden stehen viele Iraner zweifellos auf der Seite der „Dschundallah“, deren bewaffnete Extremisten seit Jahren eine Rebellion insbesondere gegen die Sicherheitskräfte in Belutschistan führen. Doch darin erschöpfen sich auch schon die Gemeinsamkeiten. „Dschundallahs“ Terrormotivationen sind vielfältig.

Die Organisation nennt als ihr Hauptziel ihrer blutigen Kampagne gegen das schiitische Regime in Teheran, das die überwiegend von der sunnitischen Minderheit des Irans bewohnte Provinz Belutschistan ökonomisch vernachlässigt und politisch diskriminiert. Doch in diesen Kampf gegen Ungerechtigkeit und Repression mischen sich viele andere Motive, kriminelle (insbesondere Drogenschmuggel aus Afghanistan), aber auch geostrategische Interessen anderer, von denen sich „Dschundallah“ benutzen lässt.

Sollten diese Extremisten tatsächlich hinter dem jüngsten Anschlag stehen, so ließen sie sich zweifellos auch von Rachegefühlen treiben. Bei einem Anschlag auf eine schiitische Moschee in Zahedan, der Hauptstadt Sistan-Belutschistans, waren am 29. Mai 30 Menschen ums Leben gekommen. Schon wenige Tage später wurden in einem Gefängnis der Stadt 13 Angehörige der „Dschundallah“, darunter der Bruder des Anführers, Abdul Hamid Rigi, gehängt.

„Dschundallah“, die sich in der Vergangenheit weitgehend auf Attacken gegen die den regen Waffen- und Drogenschmuggel bekämpfenden staatlichen Sicherheitskräfte konzentriert hatte, konnte jüngst ihre Schlagkraft wesentlich verstärken. Terrorexperten vertreten die Überzeugung, „Dschundallah“ habe durch wechselnde – weniger von Ideologie, als von Opportunismus getriebene - Allianzen mit verschiedenen Parteien in Nachbarstaaten – etwa den Glaubensbrüdern der Taliban und Al-Kaida in Afghanistan, aber auch dem pakistanischen Geheimdienst „ISI“ an Stärke gewonnen. „ISI“ - sah die Gruppe stets als wertvolles Druckmittel gegen den Iran.

Teheran beschuldigt Pakistan seit Jahren, Dschundallah“ von seinem Territorium aus operieren zu lassen. Tatsächlich weigert sich Pakistan bis heute, „Dschundallah“s Führer, Abdolmalek Rigi, an den Iran auszuliefern. Das iranische Regime wittert dahinter eine große, von den USA angezettelte Verschwörung. Immerhin unterhält Washington seit langem enge Beziehungen zu „ISI“ und Ex-Präsident Bush hatte bei seinen Versuchen, die „Islamische Republik“ durch Unterstützung von Oppositionellen und Minderheiten zu Fall zu bringen, auch tatsächlich „Dschundallah“ unterstützt. Auch ist Irans regionaler Erz-Rivale, das durch das iranische Atomprojekt zutiefst verängstigte Saudi-Arabien, enger Freund Pakistans und unterstützt vermutlich auch die Rigi-Bande. Besonders beunruhigt Teheran auch die Möglichkeit, dass Rigi den Taliban und Al-Kaida – ideologische Erzfeinde der schiitischen Geistlichen - in iranischem Territorium neue Stützpunkte ermöglicht.

In Teheran ist man zudem auch davon überzeugt, dass Washington großes Interesse an einer weiteren Destabilisierung Sistan-Belutschistans hegt, soll doch eine 2000 km lange Gas-Pipeline vom südiranischen Pars-Feld nach Pakistan durch diese Provinz laufen. Darauf hatten sich beide Staaten im Juni geeinigt und sie könnten damit amerikanischer Strategie, den Iran durch Sanktionen ökonomisch in die Knie und damit zu entscheidenden Konzession in der Atomfrage zu zwingen, untergraben.

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Donnerstag, 15. Oktober 2009

Arnold Hottinger: Langfristige Entwicklungen im Nahen Osten seit 50 Jahren - Triumpf und Krisis der Nationalstaaten


Es gibt im Nahen Osten immer viele politische Sensationen:
Umstürze; Revolutionen; Kriege; Niederlagen; Abspaltungsversuche von bestehenden Staaten; Zusammenschlussbemühungen von anderen; innere Unruhen aller Art; Erdbeben; Wassermangel; Ueberschwemmungen und andere Naturkatastrophen; Religionszwiste und –Kriege; Terrorakte und Terrordrohungen; Guerilla Aktionen; Druck- und Strafmassnahmen durch mächtige Aussenstaaten; Invasionen durch die gleichen Aussenkräfte; Staatstreiche, die durch sie gefördert werden; Tyrannen mit Caesarenwahn; Massaker, die sie durchführen lassen; Geheimdienste aller Art und deren Maneuver und Grausamkeiten; religiöse Sekten und Extremisten mit ihrer politischen und gesellschaftlichen Agenda; Erdölquellen, die Geld sprudeln lassen, aber auch die Begehrlichkeit vieler Aussenstehender wecken; soziale Probleme aller Art, die durch Korruption und gewaltige Ungleichheiten in Reichtum und Vorzugsstellungen, sowie durch ein unbändiges Bevölkerungswachstum gegeben sind; Rivalitäten zwischen Staaten und Gruppen; Minderheiten religiöser aber auch ethnischer Art; umstrittene Fragen der Bildung und Religion.

Die Aufzählung ist keineswegs vollständig. All diese Probleme und Sensationen halten sowohl die Bewohner der Region wie auch die Beobachter von aussen unter beständigem Druck. Eine Streitfrage hetzt die andere, ein Blutvergiessen das andere. Wahrscheinlich kommt es daher, dass selten die Frage gestellt wird: wie verändert sich diese Region grundlegend? – Bleibt sie sich immer gleich, indem sie sich im Kreis um sich selbst dreht? Oder gibt es doch Entwicklungen in bestimmte Richtungen? Die hochgehenden Wellen an der Oberfläche versperren die Sicht auf die langsfristigen Entwicklungen, obwohl man vermuten kann, dass gerade sie dem Wellengang an der Oberfläche letztlich zugrunde liegen.

Hier sei daher versucht im Rückblick auf die letzten 50 Jahre der Geschichte des Nahen Osten einige der langfristigen Grundentwicklungen politischer Art zu beschreiben, die man beobachten kann.

In den 50 er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde in der islamischen und besonders in der Arabischen Welt der Nationalstaat gross geschrieben. Das war nicht verwunderlich. Der Begriff des Nationalstaates, den es zuvor in den islamischen Kulturen nicht gegeben hatte, war im Verlauf des 19. Jahrhunderts in kleinen aber unaufhaltsamen Schritten aus Europa (wo er entstanden war) in die Region eingedrungen. Er hatte zur Auflösung der bestehenden Vielvölkerstaaten geführt, besonders des Osmanischen Reiches. Auch das Persische Reich re-formierte sich in Richtung auf einen Nationalstaat mit einer nationalen Armee, einem nationalen Schulsystem, einer zentralen Bureaukratie, einem nationalen Transportsystem, von der Zentrale gesteuerter Industrialisierung usw. unter Reza Khan. Der ganze Indische Subkontinent wurde unter britischer Kolonialherrschaft seit 1857 (dem Jahr des „indian Mutiny, das auch als der erste Indische Befreiungskampf angesprochen wird) zu einem zentralisierten Staat ausgebaut, wenngleich Ueberreste von früheren Herrschaftsbereichen, die Rajas des „indirect rule“, unter Kontrolle der kolonialen Zentralmacht zunächst noch bestehen blieben. Die Trennung des Subkontinentes in die späteren Nationalstaaten Indien, Pakistan, Bagladesh, Sri Lanka, Nepal, Sikkim,. Bhutan, bereitete sich vor.- Im arabischen Bereich, Nahost und Nordafrika, waren es die Kolonialmächte, die „Nationalstaaten“ schufen, ein jeder mit seiner Hauptstadt, zentralen Verwaltung und Bureaukratie, Armee (die zunächst aus Hilfskräften der Kolonialarmeen bestand), Bureaukratie, Polizei, Schulpflicht.

Die erst nach dem Ersten Weltkreg vom Osmanischen Reich abgetrennten meist arabischen Territorien wurden zu Nationen proklamiert. Nach dem System der Mandate sollten sie von den kolonialen Herrschern allmählich zur nationalen Reife geführt und dann in die Unabhängigkeit entlassen werden. Wie lange sie de facto Kolonien geblieben wären, wenn nicht der Zweite Weltkrieg ausgebrochen wäre, bleibe dahingestellt. Er bewirkte, dass die Kolonialmächte ihre Machtposition liquiderten (Frankreich versuchte vergebens die seine in Nordafrika zu erhalten). Den unter Mandat gestellten Völkern wurde klar gemacht, dass sie sich nur von der Fremdherrschaft der Kolonialmächte befreien könnten, wenn sie „Nationen“ würden. Sie übernahmen diese Regelung, die dem Geist der Zeit entsprach, umso williger als auch die wenigen, keiner direkten Fremdherrschaft unterstellten muslimischen Staaten: - die moderne Türkei unter Atatürk allen voran; Iran unter Reza Khan, der zu Reza Shah wurde; Afghanistan unter seinen Königen; Saudi Arabien unter den seinen - sich ebenfalls als Nationen verstanden und zu konstituieren suchten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Eintritt in die Vereinten Nationen zum Symbol dafür, dass die Nationenbildung gelungen war. Sie war mit dem Abzug der kolonialen Heere verbunden, Jelà, Evakuation, war ein, heute verklungenes, Schlagwort der Epoche. Dieser Abzug bedeutete „Freiheit“ für die über eine oder viele Generationen hinweg der arbiträren Macht der Fremden und ihrer kolonialen Armeen und Polizeikräfte unterstellten Bevölkerungen. Ein eigener, nationaler, Staat wurde so zum Instrument und zum Sinnbild der Identität und der politischen Volljährigkeit – er bedeutete, dass die betreffenden Völker, nun zu Nationen re-formiert, als vollgültige Mitglieder der Völkergemeinschaft und der modernen Zeit auftreten und handeln konnten. Sie hatten die unterlegene Position von im eigenen Land fremder und fremdartiger Macht Unterstellten überwunden! So schien es ihnen. Dies war der Grund der Freudenausbrüche nach der Entkolonisierung, der begeisterten Feste und späteren Nationalfeiertage der Evakuation. Es war auch die Quelle der Loyalität und der auf sie gestützten Machtposition, die die verschiedenen „Väter der Unabhängigkeit“ genossen. Sie waren Kämpfer gegen die Kolonialmächte, Atatürk in einer ersten Generation nach dem Ersten Weltkrieg; aus der gleichen Epoche Zaghlul Psha in Aegypten; und Abdul-Aziz Ibn Saud in Arabien. Nach dem Zweiten Weltkrieg, Bourguiba, später Ben Bella und Boumediene; Muhamed V von Marokko; Riad Solh und Bschara al-Khoury in Libanon; andere weniger allgemein anerkannte „Väter der Nation“ in Syrien, Jordanien, im Irak, in Iran und Afghanistan; Jinnah in Pakistan, Soekarno in Indonesien.


Die abgewürgte Nation Palästina
Die Nationenbildung fand nicht statt in Palästina; statt Palästina wurde –dank britischer und später amerikanischer Hilfe und auch durch eigene zionistische Durchsetzungskraft – Israel Mitglied der Vereinten Nationen. In den 50 er Jahren wurden die Palästinenser nur als Palästina-Flüchtlinge wahrgenommen. Eine palästinensische Nation gab es höchstens insofern als die neu entstandenden arabischen Staaten gelobten, sie würden „Palästina befreien“. Die Nachbarstaaten Israels gerieten alle in den Strudel der Ereignisse, die sich um die verfehlte Entstehung der im Mandat versprochenen Palästinensischen Nation drehten.


Entäuschung über den eigenen Staat
Die erste und lange fortschwärende Entäuschung der arabischen Völker über ihre neuen Nationen entstand dadurch, dass diese sich als unfähig erwiesen, ihre Versprechen zu verwirklichen. Das gewichtigste und lauteste all dieser Versprechen war, sie würden die „Befreiung Palästinas“ und damit die Entstehung eines Palästinensischen Nationalstaates erwirken. Doch gab es noch viele andere unerfüllte Versprechen und Erwartungen. Die Entäuschung, darüber, dass sie nicht erfüllt wurden, führte dazu, dass sich vielerorts die Militärs an die Macht putschen konnten. In Syrien begannen die Staatstreiche schon 1948, Aegypten kam später 1952; in Jordanien konnte König Hussein seine aufsässigen Offiziere 1957 knapp bändigen; im Irak verspätete sich der zu erwartende erste Staatsstreich der Nachkriegszeit (seit der Unabhängigkeit von 1932 hatte es aber schon viele gegeben) bis 1958. Im Sudan kam er im gleichen Jahr, nur zwei Jahre nach der Unabhängigeit von 1956. In Libyen 1969.
Den Offizieren traute man damals zu, dass sie ihre Nationen auf Draht bringen könnten. Die politischen Parteien wurden als als egoistische und streitsüchtige Selbstbeförderer und die zivilen Politker als unfähig, der Nation zu dienen, verurteilt.
Der Glauben an die Nation dauerte an, ja er wurde weiter bestärkt. Die Armee wurde zum wichtigsten Symbol, der Nation. Offiziere meldeten sich selbst als die neuen Retter der Nationen und fanden Glauben. Waren sie doch die Fachkräfte, die dafür zuständig waren, dass „die Scharte gegenüber Israel ausgewetzt werde“.- Offizere, die charismatische Züge entwickelten, Nasser vor allen anderen, wurden Idole. Man sah sie als die Führer ihrer Nation in eine blühende Zukunft.
- Doch welcher Nation? Im arabischen Raum erreichte die Idee einer grossen arabischen Einheit gewaltige Zugkraft. Als „die Nation“ wurden in weiten Kreisen die arabischen Staaten alle zusammen, „vereint“ , angesprochen; die einzelnen Staaten galten den Arabischen Nationalisten, wie sie damals genannt wurden, nur als „Regionen“ (aqâlîm).
Zwei politische Grundströmungen lebten von dieser pan-arabischen Ideologie. Sie waren beide erfolgreicher als all ihre Konkurrenten: der Nasserismus und der Baathismus.


Die Macht des Faktischen
Doch die Zusammenschlüsse kamen nicht zustande. Der einzige, der verwirklicht wurde, der zwischen Syrien und Aegypten, 1958 bis 1961, ging nach knappen drei Jahren in die Brüche. Es gab viele weitere Projekte, die unter Propaganda Posaunen lanciert wurden, doch stets nur Worte blieben oder halbgeboren zusammenbrachen, solange bis die ganze Bewegung ihre Glaubhaftigkeit verlor..
Die Zusammenschlüsse, die eigentlich sehr populär gewesen wären, scheiterten stets an der gleichen Klippe: die Eigeninteressen der Machthaber und aller ihrer Gefolgsleute in einem jeden Staate wollten nicht zulassen, dass ihre eigene Machtposition durch eine Verschmelzung mit Bruderstaaten überflüssig, geschwächt oder eliminiert werden könnte.


Israel als Prüfung
Was die Erfolgsversprechen betrifft, diente Israel immer als Lakmustest. Wenn auch die von Militärdiktatoren geführten Staaten nicht mit Erfolg gegen Israel antreten konnten, verlor ihre Führung entscheidend an Autorität und Legimtimität. War sie doch mit der Behauptung zur Macht gekommen, dass ihr neues Regime die „Scharte“ gegenüber Israel „auswetzen“ werde.
Der Umstand, dass alle Militärdiktatoren dazu neigten, die Geheimdienste als ihr bevorzugtes Regierungsinstrument zu gebrauchen, trug zu ihrer Diskreditierung bei, und der Zusammenbruch all der grossarabischen Pläne dokumentierte desgleichen, dass die „neue Führung“ durch politische Offziere, ihre Versprechungen und Visionen nicht zu verwirklichen wusste. Die begeisterten Hoffnungen, die die Bevölkerung zuerst in die Militärs investierte, sanken und brachen schliesslich zusammen, als Nasser 1967 seine grosse Niederlage durch Israel erlitt.
Weitere Stücke arabischen Landes wurden besetzt, und die militärischen Machthaber schworen erneut, sie würden das Rad der Geschichte zurückdrehen. Was sie schliesslich erreichten, wurde – nach einem weiteren von Aegypten bewusst mit beschränkten Zielen geführtem Krieg (1973) - ein Separatfrieden Aegyptens mit Israel und ein Boykott Aegyptens durch all seine arabischen Brüder....


Suche nach neuen Hoffnungsträgern

Nach der Niederlage von 1967 sank die Begeisterung für die arabische Nation und der Glauben an ihre Führung stark ab, sowohl in der panarabischen wie auch in der engeren auf die bestehenden Staaten und Regime beschränkten Version. Gleichzeitig wuchs rapide die Hoffnung, welche die Araber zum ersten Mal auf nicht-staatliche politische Kräfte setzten. Die PLO, nicht die Staaten, so glaubten die Massen, immernoch sehr begeisterungsfähig, werde als Guerilla nach dem Vorbld der Vietnamesen mit Israel abrechnen und den Palästinensern zu ihrer Nation verhelfen. Den Regierungen war es recht, der Guerilla die Rolle des Befreiers zu überlassen. Dies entband sie der früher eingegangenen Pflichten. Doch die Loyalität der Bevölkerungen gegenüber ihren Regierungen nahm ab. Diese hielten sich unvermeilich mehr und mehr mit Gewalt und durch den bewaffneten Arm der Polzei-, Geheim-, und Sicherheitsdienste an der Macht.

Das wirtschaftliche Wachstum war wenig befriedigend. Die Freiheiten der Bevölkerungen wurden zunehmend eigeschränkt, sowohl im politschen wie im persönlichen Bereich. Für weite Kreise der Unterschichten wurde das blosse Ueberleben für sich und ihre Familien zu wichtigsten Sorge. Die wirtschaftliche Liberalisierung nach amerikanischem Vorbild kombiniert mit Günstlingswirtschaft führte später dazu, das die sozialen Gegensätze rapide anwuchsen. Es gab nun sehr reiche Kreise, darunter sehr viele Gruppen und Personen, welche gestützt auf die Regierungen, mit denen sie eng verbunden, oftmals verschwägert, waren, auf Ausbeutung ihrer Mitbürger abzielten. Die Zusammenarbeit mit den Industriestaaten der westlichen Welt, etwa als Vertreter ihrer Produkte in ihren Ländern oder als Nutzer ihrers technischen Fortschritts, war in vielen Fällen die Quelle von geschäftlichem Erfolg und von Reichtum.


„Zurück zum wahren Islam“
Ein zweiter nicht staatlicher Acteur trat in den Fordergrund: die Muslim Brüder und später ihre verschiedenen Tochter- und Zweigorganisationen, die alle die neue Lehre vom Schari’a Staat, der das Heil bringen werde, verkündeten. Diese Ideologie war zuerst unter der britischen Kolonialmacht von 1928 an von den Brüdern entwickelt worden. Sie war als Konkurrenzideologie zum Nasserismus aufgetreten und war deshalb von den ägyptischen Machthabern mit schwerer Hand niedergehalten worden. Doch die Ideologie liess sich – im Gegensatz zu ihren Ideologen -, nicht in die Gefängnisse und Konzentrationslager einschliessen. Sie wirkte in erster Linie unter den neuen Bildungsschichten, die vom Land über die staatlichen Schulen zu ersten Kontakten mit den in den Oberschichten seit langem verbreiteten, teilweise verwestlichten Lebensformen vorrückten. Diese Wanderer zwischen zwei Welten und deren Kulturen suchten mehr Halt und Gewissheit. Sie fanden sie bei einer Lehre, die das eigene islamische Erbe in einer weitgehend auf die Schari’a beschränkten Form zur Grundlage der Erfüllung aller Verheissungen erhob, denen der weltliche und nach westlichen Vorbildern errichtete Staat nicht hatte nachkommen können. Die Brüder erblickten nicht mehr in der Nation das Heil für ihre Gemeinschaft sondern in einem erhofften Kalifat, das sie sich nach den hoch theoretischen Vorgaben der Schari’a vorstellten.
Als der Staat seine Bürger entäuschte, standen die Brüder und radikal ausgerichtete andere Kleingruppen gleicher Grundorientierung bereit, um das entstehende Vacuum auszufüllen. Nicht jedermann liess sich von ihnen beeinflussen. Doch ihre Wirksamkeit wuchs sprungartig an, als Abdel Nasser 1967 in der Prüfung durch Israel schmählich durchfiel.


Neue nicht-staatliche Hoffnungsträger
Die alten Hoffnungsträger verblassten. Es waren einerseits die Islamisten mit ihrer Heilsideologie und andrerseits die Palästinenser Guerilla mit ihren verheissenen Heldentaten und wirksamen Propaganda Coups in der Art der Flugzeugentführungen, welche neue Hoffnungen weckten. Die Staaten sanken ab zu Machtorganismen und Betreuern ihrer eigenen Klientelen, von denen die Normalbürger, wie es schon seit jeher gewesen war, eher Ausbeutung als Inspiration oder Unterstützung erwarteten.
Die jeweiligen Machthaber lernten sich immer solider zu schützen und abzusichern, je intensiver sie erfuhren, dass es Gruppen in der Bevölkerung gab, die beabsichtigten, sie im Namen ihrer Schari’a Ideologie abzusetzen oder aus dem Wege zu räumen.


Rückgriff auf traditionelle Netzwerke
Das Absterben der Nation durch Umwandlung in einen Machtapparat der jeweiligen Herrscher bewirkte auch, dass die Bevölkerung auf ältere Solidaritätsmuster zurückgriff, die aus der Zeit der islamischen Vielvölkerreiche überdauert hatten: Familienbande, Gruppen und Stämme, Klans, Klientelgruppen, die sich um neue und alte Anführer und Interessenvertreter scharten. Alte Spaltungen lebten auf, etwa zwischen Muslimen und Angehörigen der Minoritätsreligionen, oder auch zwischen sprachlichen Gruppen. Der Staat vermochte sie immer weniger zu überbrücken.


Mehr Islam für die gesamte Gemeinschaft
Nicht nur bei den Anhängern des Schari’a Staates, sondern auch bei vielen Normalbürgern begann der Islam eine wachsende Rolle zu spielen. Die Regierungen unterstützten die Islamisierung des öffentlichen Lebens, um den Vorwurf der Islamisten entgegenzutreten, sie leiteten einen „heidnischen“ Staat. Der Islam als ein wichtiger Bestandteil der Identität und äusserliche Merkmale, die eine islamische Identität Allen sichtbar dokumentieren sollten, gewannen wachsende Bedeutung und Volkstümlichkeit, während die Staatlichkeit, auf die man nur sehr beschränkt stolz sein konnte, an ideeller Bedeutung verlor. Obwohl die Verwaltung natürlich in der täglichen Lebenspraxis unausweichlich, vordringlich und lästig vorhanden war.
Ueberall wo sich Gruppen nicht staatlicher Art bildeten, im islamischen wie auch im sozialen Bereich, stellten sich auch Anführer ein, die beanspruchten, die betreffende Gruppe zu leiten, und sobald es zu Spannungen mit anderen Gruppierungen kam, auch zu verteidigen, oder gar offensiv anzuführen, weil solche Aktivitäten Möglichkeiten boten, die eigene Person auf die Stufe eines Gruppenoberhauptes zu heben.
Gegenüber all diesen zentrifugalen Kräften entwickelte der Staat eine Kontroll- und Beherrschungsaktivität, die ihn und seine Organe der Bevölkerung noch mehr enfremdeten und die staatlichen Machthaber vor die Alternative stellte, entweder ihrem langsamen Untergang zuzusehen oder sich mit Gewalt und wachsender Brutalität durch systematische Verbreitung von Furcht an der Macht zu verschanzen. Natürlich wurde immer die zweite Alternative gewählt.

Wenn es dann geschah, dass der gewaltsame Machthaber schlussendlich von der Macht weichen musste, weil er starb, einem Coup zum Opfer fiel, oder weil äussere Mächte ihn stürzten, konnte es zu „failed states“ kommen. Wie im Irak nach der Beseitigung des Tyrannen Saddam, in Somalia nach dem Ende des Diktators Ziyad Barre, in Pakistan ansatzweise nach dem Ende Musharrafs und in Afghanistan nach der Vertreibung der Russen (1988) und später des neuen Machtzentrums der Taleban (2001). In Libanon kämpften 15 Jahre lang bewaffnete Banden auf religionspolitischer Grundlage.

Oft traten bewaffnete Gruppen ganz oder teilweise an die Stelle der früheren Machthaber, weil diese zur Zeit ihrer Macht alle lokalen und alle rivalisierenden Machtstrukturen im Zentrum aus Angst vor eigener Liquidation erstickt hatten und nun die überlebenden Kleingruppen gemeinsam, aber gegeneinander kämpfend, die Machtvacuen füllten. Wobei sich die brutalsten und jene die sich auf ausländische Waffenlieferungen zu stützen vermochten, am besten durchsetzten. Die Gegenwart fremder Truppen als vorübergehende Besetzer oder als international organisierte Friedenstruppen, pflegt nur wenig zu helfen und oft zu schaden. Weil es mehr Truppenmacht brauchte, als eingesetzt werden kann (sogar im Falle der Amerikaner), um die Vielfalt der zu Gewaltmassnahmen übergegangenen Gruppen landesweit niederzuhalten.


Endprodukt der „failed state“?
Solche „failed states“ sind vorläufig noch Ausnahmeerscheinungen. Noch halten sich in den meisten Fällen und oft mit Unterstützung der westlichen Vormacht, Amerika, altbewährte Tyrannen mit mehr oder weniger blutigen Machtmethoden am Ruder. Die grössten aber passiven Teile der Bevölkerungen finden sich mit ihnen ab, weil sie erkennen, dass volles Chaos noch verderblicher wäre als die schwere Hand der alternden „Präsidenten“ und ihrer Schergen. Doch manchen Orts wachsen die Teile der Bevölkerungen, die alle Hoffnung auf eine Besserung der bestehenden Verhältnisse für sich selbst und für ihre Familien im Rahmen einer nationalstaatlichen Ordnung westlicher Prägung verloren haben. Sie stehen den Verheissungen der Heilsideologen offen, die ihnen vorsagen, der Schari’a Staat, und nur dieser, werde „die Lösung“ bringen. Wobei sie sich hüten, diesen Schari’a Staat genauer zu umschreiben, wenn sie gleich klar machen, dass sie ihn anzuführen gedenken.


Khomeini als Wegbereiter
Die Bildung eines solchen Schari’a Staates, allerdings unter schiitischen Vorzeichen, ist Khomeini 1978-79 gelungen. Dies bildete natürlich einen gewaltigen Antrieb für alle anderen islamistischen Gruppen, seinen Spuren zu folgen. In den nächsten zehn Jahren kam es auch zur praktischen Ausbildung von Schari’a Staat Kämpfern in Afghanistan unterstützt von amerikanischen Geldern und mit pakistanischen Offizieren als Drahtziehern. Sie dienten zuerst zuerst als Kampfgruppen gegen die Sowjetunion, und später in einer neuen Welle, jener der Taleban, als verlängerte Finger der pakistanischen Macht. Finger, die sich dann freilich über Erwarten energisch eigenständig machten.

Gruppen von schiitischen Kämpfern wurden in Libanon gebildet. Iran finanziertsie, sorgte für ihre Bewaffnung und Ausbildung durch über Syrien einreisende Revolutionswächter. Diese Ausbildung wurde später ergänzt und vollendet durch 18 Jahre der Kleinkämpfe gegen isrealische Truppen und deren lokale Söldner, die einen Streifen Südlibanons diese ganze Zeit hindurch weiter besetzt hielten. Dies ist Hizbullah, das sich zu einer zwar nicht voll dominierenden aber auch nicht übergehbaren und schwerlich noch zu verdrängenden politisch-militärischen Macht in Libanon auswuchs.
In Gaza waren es in direkter Nachfolge der Muslim Brüder Befürworter des Schari’a Staates, die eine staatsbeherrschende Rolle übernahmen, ohne dass die Israeli sie ausschalten konnten oder wollten. Wenn das zweite zutrifft, dürfte dies durch den Wunsch der israelischen Strategen bedingt sein, eine Spaltung der Palästinenser in säkuläre PLO Anhänger und radikalisierte Islamisten so tief und so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Wobei Israel wahrscheinlich kurzsichtig handelt, denn die Möglichkeit zeichnet sich immer deutlicher ab, dass Hamas sich schlussendlich als erste oder als einzige Kraft unter den Palästinensern durchsetzen könnte.


Afghanistan auch ein zerbrochener Staat?
Afghanistan droht, trotz der Gegenwart amerikanischer und Nato-Truppen zum neuesten „failed state“ zu werden, weil die Taleban die amerikanische Eroberung überlebten, gerettet durch den schützenden Arm der pakistanischen Geheimdienste, ISI, aber auch durch die Ablenkung der amerikanischen Militärmacht auf den Schauplatz Irak und ihre siebenjährige Vernachlässigung der afghanischen Fronten.
Heute scheinen die Taleban, die längst nicht mehr bloss ehemalige Madrasa Absolventen sind, weitgehende Unterstützung bei den pashtunischen Stämmen zu geniessen, während auch viele nicht-pashtunische Afghanen gezwungen sind, mit ihnen zu kollaborieren, wenn sie überleben wollen. Weder die amerikanischen noch die Nato Truppen sind in der Lage, die afghanische Zivilbevölkerung wirksam gegen die Anschläge der Taleban, über das weite Land hin, abzusichern. Ob die von den amerikanischen Einsatzkommandanten zur Zeit geforderten Truppenverstärkungen genügen würden, eine ausreichende Zahl von „Stiefeln“ in das Land zu bringen ist ebenfalls fraglich.

Die von den Amerikanern eingesetzte Regierung von Kabul, die nur gerade in Kabul zu regieren versucht, scheint mehr daran interessiert, selbst Geld zu machen als daran, wirksam gegen die Taleban vorzugehen. Soweit man sehen kann, gilt dies auch von der afghanischen Polizei und Armee, auf deren Ausbildung und künftige Leistungen die landesfremden Truppen in Afghanistan ihre letzten strategischen Hoffnungen setzen.


Dunkle Fragezeichen über dem Irak
Ob auch der Irak nach dem Abzug der Amerikaner zum „failed state“ werden muss, ist noch offen. Doch die Gefahr besteht angesichts der verschiedenen über Waffen verfügenden Gruppen, die sich in dem Land konfrontieren. Sie versuchen schon gegenwärtig, ihre Stärke durch Terroranschläge zu demonstrieren, und die Gefahr zeichnet sich ab, dass sie einander nach dem Abzug der amerikanischen Streitmacht offen bekämpfen. Ein Willen der irakischen Bevölkerung, einen funktionierenden irakischen Staat wiederherzustellen, lässt sich erkennen. Doch der Willen der politischen Chefs, sich selbst und die eigenen Mitläufer gegenüber allen Rivalen- und Gegengruppen finanziell und politisch mit allen Mitteln durchzusetzen, weckt die Befürchtung, dass die Bevölkerung ihre Bereitschaft, in einem geamt-irakischen Rahmen zu koexistieren, nicht verwirklichen könnte.


Wie funktionieren „failed states“?
Wenn der Staat an Gewicht verliert oder gänzlich verschwindet, leben die Gesellschaften fort. Aeltere Solidaritätsgruppen, die schon vor dem Staat existierten und in seinem Rahmen, solange er die Hauptmacht ausübte, mehr oder weniger verdeckt fortlebten, treten hervor und bilden bewaffnete Gruppen („Milizen“), die ihre Art Ordnung durchsetzen. Dies ist ein chaotischerer Zustand als die Herrschaft des Staates, weil es zahlreiche rivalisierende Gruppen gibt. Sie sind meist tribaler, religiöser oder ethnischer Natur und eine sie überwölbende Macht fehlt, die unter ihnen als Schiedsrichter und Ordnungsmacht dienen könnte. Deshalb werden die betroffenen Gesellschaften arm und ihre Mitglieder müssen unsicher leben.

Nach dem Einsturz des Staates treten die Stämme oder deren urbaner Ersatz, die Klientelgruppen, als erste hervor und bilden Kampfgruppen (was in ihrer Tradition liegt und daher relativ rasch zustande kommen kann). Doch nach einiger Zeit zeigt sich, dass die Solidaritätsgruppen religiöser Wurzel an Einfluss und Macht gewinnen. Unter günstigen Umständen stellen sie Stammes- und Klientelkräfte in ihren Dienst. Dies geschieht, weil die Bevölkerungen, des Chaos der Stammes- und Klientelkämpfe müde, nach übergeordneten Kräften suchen, deren Macht die Stammesspaltungen überwinden kann. Solche waren in den Jahrhunderten vor der Bildung von Nationalstaaten in erster Linie immer die religiös islamischen Kräfte.


Die islamischen Kräfte
Im heutigen Islam ergeben sich meist zwei Arten von Religionsgruppierungen, die traditionellen, die den Mystikern, Sufi, nahestehen und die mehr zeitgemässen der sogenannten Salafiya („Nachfolge“, gemeint ist des Propheten und seiner Gemeinschaft). Diese können fundamentalistische Züge entwickeln und radikale Flügel bilden, die einen Shari’a Staat anstreben und ihn zu ihrem Kampfziel erheben. In einem chaotischen und veramenden Umfeld ergibt sich ziemlich regelmässig, dass die Gruppen der zweiten Art – Salafiya und radikale Randgruppen derselben – nicht zahlenmässig aber machtmässig mehr Einfluss gewinnen und ihre Rivalen marginalisieren oder ausschalten können. Dies, weil die der Mystik nahestehenden islamischen Kreise sich nicht in erster Linie für Macht interessieren und auch, weil in einem chaotischen Umfeld die zielsicherste, brutalste und rücksichtsloseste Kraft sich am ehesten durchzusetzen kann.



Zum Beispiel: Somalia
In Somalia kämpften lange Jahre, seit dem Ende der Diktatur des Militärs Zyad Barre von 1969 die Stämme untereinander. Doch mit der Zeit meldeten sich auch religiöse Milizen zum Wort. Sie nannten sich zuerst die Bewegung für Schari’a Gerichte. Eine nicht religiöse, auf den Staat gestützte Rechtssprechung war schon seit vielen Jahren verschwunden. Sie erwiesen sich als erfolgreich, weil die Bevölkerung ihnen zuneigte. Diese war der Stammesführer und ihrer Machtspiele müde geworden. Die religiösen Kräfte und ihre Milizen schieden sich bald in mehr traditionelle, die den mystischen Orden nahe standen und in „salafitische“, sich selbst als moderner ansehende Gruppen, die fundamentalistische Fügel hervorbrachten. Unter diesen gab es „islamistische Radikale“, die den Schari’a Staat unter ihrer Führung durch Kampf- und Terrorakte anstreben. Sie bezeichneten sich als „Shabâb“, die „Jungen“, ergänze „Kämpfer“, und erwiesen sich als eine Gruppe überlegener Durchschlagskraft, obgleich die amerikanische Aussenmacht versuchte, ihre Anführer durch Raketenschläge aus der Luft zu töten und auch die Erbfeinde der Somali, die Aethiopier, mit ihren regulären Truppen, zum Eingreifen gegen sie ermutigte.


Der Bürgerkrieg in Libanon
In Libanon gab es keine Stämme, doch die Klientelgruppen unter ihren verschiedenen „Zu’amâ“, traten an ihre Stelle. Sie bildeten die ersten Milizen unter Führung der „Zu’amâ“. Weil diese Gruppen stets einer spezifischen Religionsgemeinschaft angehörten, maronitisch, orthodox, sunnitisch, schiitisch, drusisch, bildeten sich breitere Fronten, die gegeneinander kämpften oder sich miteinander verbündeten. Die Fronten konnten aus mehreren Klientelgruppen der gleichen Religionszugehörigkeit zusammengesetzt sein. Im Verlaufe des 15 jährigen Bürgerkrieges kam es aber auch vor, dass rivalisierende Milizen der gleichen Religonsgemeinschaft gegeneinander kämpften. In solchen Fällen ging es einer jeden der streitenden Kampfgruppen darum, möglichst alleine die Bevölkerung der betreffenden Religion zu „beschützen“, was auch zu beherrschen und finanziell auszubeuten bedeutete.


Ein amerikanischer Staat im Irak?
Im Irak herrschen zur Zeit noch besondere Umstände durch die Präsenz der amerikanischen Armee. Sie hatte zuerst den Staat zerschlagen, doch dann wenig Erfolg gezeigt bei der Wiederaufrichtung eines Nachfolgestaates. Ein „Widerstand“ gegen die Amerikaner bildete sich. Er bestand zuerst aus sunnitischen Aktivisten. Seine Anschläge richteten sich sowohl gegen die Amerikaner wie auch gegen die schiitische Gemeinschaft, die –mindestens teilweise – versucht hatte, mit der Besetzugnsmacht zu kooperieren, um einen neuen irakischen Staat unter ihrer eigenen Führung auzubauen. Der „Widerstand“ bestand aus religiös motivierten „Glaubenskämpfern“, die einen Schari’a Staat unter ihrer Führung anstrebten, aus sunnitschen Stammesgruppen und aus überlebenden Politikern und Aktivsten der „baathistischen“ Staatspartei Saddam Husseins.

Im Falle Irak konnten sich die religiösen Kampfgruppen nicht durchsetzen. Sie verloren zuerst den von ihnen in erster Linie entfachten Bürgerkrieg gegen die Schiiten, welche ihrerseits von Verbindungen zur –schiitischen – Regierung und deren neuausgehobenen Sicherheitskräften profitierten. Hinter diesen standen die Amerikaner mit ihren Waffen, Truppen und ihrem Monopol in der Luft. Sie konnten aber auch einige Unterstützung durch die iranischen Revolutionswächter geniessen. Beides bewirkte, dass die Sunniten den Bürgerkrieg gegen die Schiiten verloren. Viel mehr Sunniten wurden in den gemischten Gebieten, zu denen auch Bagdad gehört, aus ihren Wohnungen vertrieben als Schiiten. Bagdad wurde auf diesem Wege aus einer beinahe gleich stark gemischten zu einer 63 % schiitischen Stadt.

Der ungünstige Ausgang dieses, sehr blutigen und grausamen Untergrundkrieges, der sich versteckt von den Amerikanern des nachts abspielte, bewirkte wahrscheinlich zu einem bedeutendem Masse, dass die sunnitischen Stammeskräfte der Nordwestregionen des Iraks unter ihren angestammten Stammesführern ihre Haltung revidierten. Verlockungen der Amerikaner mit Geldzahlungen für jeden Milizionär und Waffen für sie, halfen bei diesem Frontwechsel mit, und die wachsende Abneigung der Stammesleute gegen die besonders fanatisch und eng auftretenden islamistischen Radikalen vom Schlage Zarkawis wirkte sich ebenfalls aus. Die Stämme traten in amerikanische Dienste (ihre mindestens 80 000 Kämpfer wurden Sahwa „Erwachen“ genannt) und erwiesen sich bei der Bekämpfung der verbleibenden Guerrilla aus Baathisten und religiösen Fanatikern, als sehr viel wirksamer denn die Amerikaner. Sie kannten die Sprache, das Gelände und die personalen Gegebenheiten in den Regionen, wo sich der Widerstand festgesetzt hatte. Sie waren in der Lage, nicht nur die feindlichen Kämpfer aufzuspüren sondern auch Kämpfer und Bevölkerung zu unterscheiden und durch ihre Präsenz der Bevölkerung Sicherheit gegen die Rückkehr der sunnitischen Guerilla in ihre Ortschaften zu gewähren. Dies war natürlich entscheidend für die Haltung der Masse der Bevölkerung.

Wie die Entwicklung ohne das Zutun der Amerikaner als Finanz- und Waffenquelle verlaufen wäre, kann man sich fragen. Wahrscheinlich hätten die religiösen Kampfgruppen einen leichteren Stand gehabt. Man muss allerdings auch erkennen, dass diese fundamentalistischen Kämpfer sich durch eine ungewöhnlich weit gehende Grausamkeit und fanatische Enge auszeichneten. Bei besserer Führung durch weniger rein fanatische Kräfte, wären ihre Aussichten gewiss besser gewesen.


Was tun in Afghanistan?
In Afghanistan ist bis jetzt keine „Sahwa“ nach irakischem Vorbild zustande gekommen, obwohl kein Zweifel besteht, dass die amerikanischen Strategen eine solche anstrebten und und wahrscheinlich immernoch zu bewerkstelligen hoffen. Auch in Afghanistan finden sich die typischen Komponenten der Macht in zusammengebrochenen Staaten: Gruppen religiöser und stammesorientierter Solidarität. Doch die Unterschiede zum Irak liegen auf der Hand. Stammes- und religiöse Guerilla sind viel tiefer ineinander verstrickt und mit dem Lande verbunden als im Irak. Dort bildeten sich die Widerstandsgruppen beider Art erst nach der amerikanischen Invasion.In Afghanistan gibt es die 20 jährige Vorgeschichte zuerst des Kampfes der Guerilla gegen die Sowjet Armee (1978 bis 1988) und dann der darauf folgenden Kämpfe der afghanischen War Lords untereinander, schliesslich der Taleban gegen die ihnen feindlichen War Lords, sowie der Amerikaner gegen die Taleban zur Zeit der amerikanischen Invasion von 2001. Während all diesen Jahren gab es enge Verbindungen zwischen den pashtunischen Stämmen und den religiös motivierten Kämpfern, die sich auf ihrer Seite schlugen. Die Widerstandsgruppe Hizb al-Islami, (gegründet von Studenten der islamischen Theologie in Kabul - heute würden wir sie als Taleban ansprechen – schon vor dem russischen Einmarsch von Weihnachten 1979), teilte sich früh in zwei Rivalen Parteien, Hizb al-Islami , Yunes, und Hizb al-Islami, Hikmatiyar. Der Unterschied war, dass die zweiten Pashtunen waren, die ersten Tajiken. Beide waren sie radikale Fundamentalisten (und beide erhielten damals reiche Millionengelder und Waffen aus Amerika).

Die Pashtunen, die auch südlich der pakistanischen Grenze (genauer der Durand Line) zu hause sind, vor allem in den half-autonomen Stammesgebieten, verfügten stets über Landsleute jenseits der Grenze, bei denen sie Zuflucht und Hilfe fanden. Dies umsomehr als sie auch die Unterstützung von ISI genossen, dem pakistanischen Geheimdienst, der seit vielen Jahren, beginnend 1948, Kämpfer im Heiligen Krieg als inoffizielle Waffe in Kashmir einsetzte und auch die Idee pflegte, nach welcher Pakistan in Afghanistan „seine strategische Tiefe“ gegenüber Indien erlangen sollte. ISI verteilte die Waffen an die afghanischen Widerstandsgruppen seiner Auswahl, nachdem sie aus Amerika nach Pakistan eingeflogen worden waren.

Eine zweite Welle von überwiegend pashtunischen Jihad-Kämpfern, die von 1996 ab von Pakistan aus lanciert, ewaffnet und ferngesteuert wurden, waren die Taleban. Schüler der pashtunischen Madares im pakstanischen Grenzraum, in dem fast zwei Millionen afghanischer Flüchtlinge, viele von ihnen ebenfalls Pashtunen, Zuflucht gefunden hatten. Sie kämpften erfolgreich für einen Schari’a Staat Afghanistan. Anfänglich mit Zustimmung der Bevölkerung, besonders der pashtunischen, die schon immer das Staatsvolk des Landes gestellt hatte. Sie erhoffte von ihnen eine solide Regierung für das ganze Land und damit ein Ende der endlosen Kämpfe unter den War Lords, die seit der Entfernung der Russen tobten. Die War Lords waren fast alle ethnisch basiert, ein jeder der wichtigeren führte seine Ethnie in den Bandenkrieg, Pashtunen Pashtunen, Tadjiken Tadjiken, Hazara Hazara, Uzbeken Uzbeken etc.

Mit pakistanischer Hilfe und saudischem Geld gelang es den Taleban, fast das ganze Land unter ihre Herrschaft zu bringen. Ihre standhaftesten Gegner waren die tajikischen Kämpfer des Warlords und Freiheitskämpfers Ahmed Schah Mas’ud. Die siegreichen Taleban entäuschten die Erwartungen von ISI insofern, als sie sich bald nachdem sie Kabul erobert hatten, nach ihren eigenen Interessen ausrichteten, so wie sie sie wahrnahmen. Sie enttäuschten auch die afghanische Bevölkerung, indem sie dazu übergingen, mit roher Gewalt ihre enge und sektiererische Version des Islams den vier Fünfteln aller Aghanen aufzuzwingen, die sie in ihre Gewalt gebracht hatten.

Doch die sieben Jahre amerikanischer Präsenz, in denen das Land vernachlässigt wurde, die Korruption der Zentralregierung unter Karzai um sich griff und die wichtigsten War Lords zurückkehrten, um mit dem Segen der Amerikaner ihre lokalen Herrschaften neu aufzurichten und ihre Milizen „Steuern“ einziehen zu lassen, liessen die Zeit der Taleban in den Augen vieler Afghanen als das kleinere Uebel erscheinen. Was diesen zugute kam, als sie begannen, sich in den pakistanischen Grenzgebieten mit dem Segen von ISI neu zu formieren und nach Afghanistan einzufallen.


Die Verbindung mit ISI
Nach dem Sieg der Amerikaner in Afghanistan von 2001 hatte ISI dafür gesorgt, dass die nach Süden fliehenden Taleban Führer auf der pakistanischen Seite der durchlässigen Grenze diskretes Asyl erhielten. - Seither haben die neo-Taleban, eine neue Generation von ihnen, die vor allem die Waffe der Bomben und Selbstmordanschläge zu handhaben lernte, in Afghanistan grosse Fortschritte gemacht.

In den pashtunischen Gebieten haben sie ohnehin viele Freunde und Gesinnungsgenossen, in den nicht-pashtunischen erzwingen sie Gehorsam durch Terror. Den lokalen Bevölkerungen bleibt nicht viel anderes übrig, als sich ihnen zu fügen, solange sie wissen: die Taleban können jederzeit wieder in unsere Dörfer einfallen, auch wenn vorübergehend einige Nato- oder amerikanische Truppen sich bei uns aufhalten, aber früher oder später wieder abziehen, weil sie nicht alle Dörfer und Täler des weiten Berglandes besetzt halten können. Die Regierungstruppen von Kabul zählen kaum als ein Schutz. Sie nehmen nur Geld von den best Bezahlenden.
Dazu kommt die wachsende Wut – und Rachepflicht – über die vielen zivilen Opfer, welche die amerikanischen Luft- und Raketenangriffe verursachen. Die amerikanischen Militärs geben vor, die Taleban von der Luft aus zu jagen, töten dabei jedoch immer wieder grössre Zahlen von Zivilen , auch Frauen und Kinder. Kriegshandlungen, die zur Tötung von Frauen und Kindern führen, gelten nach dem afghanischen Ehrenkodex als Verbrechen, die nur durch Blut gesühnt werden können.


Bisher keine „Sahwa“
Diese Vorgeschichte und die sich aus ihr ergebende
Gesamtlage haben bewirkt, dass es bisher nicht gelungen ist, grössere Gruppen von Pashtunen von den Taleban abzuspalten und sie dazu zu veranlassen, auf der Seite der Amerikaner, der Nato und der Regierung zu kämpfen. Es waren besonders günstige Umstände (nämlich die Verbitterung über Zarkawi und Seinesgleichen; alte Rivalitäten zwischen Stammeschefs und den Baathisten, die auf die Zeit Saddams zurückgehen; der Teilsieg der Schiiten über die Sunniten im unterirdischen Bürgerkrieg der Jahre 2006 bis 2008 ), die den Amerikanern die Bildung der Sahwa im Irak gestatteten.


Die pakistanischen Taleban in der Offensive
In Pakistan haben parallel zu den Taleban in Afghanistan die „Pakistanischen Taleban“ die Initiative gegen die pakistanische Regierung ergriffen, die teils unter Präsident Zardaris Leitung steht, teils aber immernoch nach den Weisungen oder unter dem Druck der Armee handeln muss. Die Bewegung der pakistanischen Taleban setzt sich aus zahlreichen Gruppen fundamentalistischer Radikaler zusammen, die Sympathie finden bei einem weiteren Spektrum ebenfalls fundamentalistisch ausgerichteter aber nicht gewaltbereiter Schari’a Aktivisten.. Die meisten dieser Gruppen besassen bisher und besitzen wohl immernoch Verbindungen zu den pakistanischen Streitkräften, weil sie von deren politischem Gehirn, ISI, als Menschenreserve für die Bildung von nicht legalen und daher abstreitbaren “Jihad Kämpfern“ genutzt wurden. Diese dienten dem Einsatz in Kashmir und in Afghanistan.

Die Amerikaner üben Druck auf die pakistanische Armee aus, um diese Zusammenarbeit zu unterbinden und sie umzukehren in eine Bekämpfung der islamistischen Aktivisten. Die pakistanische Armee kann diesen Druck nicht ignorieren, weil für sie unentbehrliche Gelder und Waffen aus Amerika kommen. Sie sucht ihm offenbar elastisch nachzugeben. Die grosse Armeeoffensive in Swat war wohl eine Folge der amerikanischen Druckmaneuver. Diese bestehen nicht nur aus Drohungen, die Zahlungen und Waffenlieferungen zu reduzieren sondern auch daraus, dass die Amerikaner zu grenzüberschreitenden Drohnenangriffen über die afghanische Grenze hinweg auf die pakistanischen Stammesgebiete übergegangen sind und diese trotz der anfänglich lauten Proteste der pakistanischen Regierung und Presse gegen die „illegale Verletzung der pakistanischen Souverainität“ bisher unentwegt fortsetzen. Diese Attacken sind gegen vermutete Standorte und Konzentrationen von Taleban gerichtet, die nach den amerikanischen Informationen den Krieg in Afghanistan nähren. Doch dabei werden soviele Zivile getötet, dass die Bitterkeit der Grenzstämme sowohl gegen die amerikanischen Verbündeten Pakistans wie auch gegen die eigenen pakistanischen Truppen mit jeden Drohnen- und Raketenangriff zunimmt.


Wächst die Zahl der „failed states“?
Die zusammengebrochenen Staaten im Nahen Osten sind bisher nur eine kleine Minderzahl. Unter den grossen steht zur Zeit wohl nur Pakistan in einiger Gefahr sich ihnen zuzugesellen. Natürlich gibt es auch immer die Möglichkeit, dass die Zusammenbrüche wieder ganz oder zu Teilen geheilt werden können, wie Libanon zeigte und auch in seiner Art Indonesien. Zusammengebrochene Staaten gibt es zur Zeit mehr in Afrika als im Nahen Osten. Man findet sie auch in Südamerika.

Doch dass die islamische Staatenwelt in einer Krise steht, lässt sich nicht bezweifeln. Diese kann erst als überwunden gelten, wenn Wege gefunden werden, um Mitspracherechte für die Bevölkerungen einzuführen, denen heute deutlich geworden ist, dass ihre Einmannregime für sie schwere Hindernisse auf dem Weg in eine fruchtbare Zukunft darstellen.

Der Umstand, dass der Weg in die islamistische Sackgasse immernoch neue Anhänger findet, ist auf die vielen existentiellen und politischen Krisen zurückzuführen, die auf den Bevölkerungen lasten.Diese Krisen wurden und werden zu guten Teilen durch die Aussenwelt, in den letzten Jahren durch die Amerikaner und den von ihnen beschützten Staat Israel gefördert oder hervorgerufen.

Doch den gebildeten Mittelschichten in den islamischen Staaten wird langsam deutlich dass der gewalttätige Islamismus die erhoffte „Lösung“ nicht bringen kann. Die Iraner haben dies durch die jüngsten Demonstrationen unübersehbar zum Ausdruck gebracht. Sie haben es sehr direkt erfahren. Was das dortige Islamisten Regime an der Macht hält, ist im wesentlichen nur noch die bewaffnete Macht der am Regime interessierten Religionswächter und ihrer Bassij Hilfstruppen. Zur Zeit Khomeinis war dies ganz anders.

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