Inmitten anhaltender politischer Fehlschläge suchen Extremisten verstärkt die Stabilisierung des Iraks zu blockieren
„Die Wände stürzten ein und wir mussten so schnell wie möglich aus dem Haus laufen…“; „Ich weiß nicht, wieso ich überhaupt noch am Leben bin. Die Explosion hat alles zerstört. Nichts ist mehr an seinem Platz.“ Ein Doppelanschlag im Regierungsviertel der irakischen Hauptstadt hat Sonntag mehr als 90 Menschen in den Tod gerissen und mindestens 600 verletzt. Zwei Autobomben trafen in der morgendlichen Stoßzeit, das Justizministerium und den Sitz des Gouverneurs von Bagdad. Die Anschläge weisen starke Ähnlichkeit mit den Attentaten vom 19. August auf, als eine Serie von Detonationen das Außen- und Finanzministerium erschütterten und mehr als hundert Menschen töteten. Wie damals beschuldigen auch jetzt Regierungsvertreter ausländische Agenten, von Nachbarstaaten unterstützte Terroristen der Tat.
Die Regierung unternehme alle Anstrengungen, um die Sicherheit im Land zu verstärken, doch ohne regionale Kooperation ließe sich der Kampf gegen Selbstmordattentäter nicht gewinnen, betonte Regierungssprecher Ali al-Dabbagh in Bagdad. „Erste Analysen“ zeigten, so Dabbagh, die „Handschrift von Al-Kaida und den Baathisten“.
Insgesamt war die Gewalt im Irak in den vergangenen Monaten gegenüber den Vorjahren stark zurückgegangen, eine Entwicklung, die die Popularität von Premierminister Nuri al Maliki im Vorwahlkampf zu den für den 16. Januar anberaumten Parlamentswahlen wesentlich zu stärken schien. Die Todesrate durch Terrorakte war im September die niedrigste seit Mai gewesen, wiewohl im internationalen Vergleich immer noch hoch.
Eine Reihe von Faktoren sind für die erneut aufflammende Gewalt verantwortlich. Seit dem Rückzug der US-Soldaten aus irakischen Städten am 30. Juni haben die irakischen Sicherheitskräfte mehr und mehr die Kontrolle in schiitischen Regionen gewonnen. In arabisch-sunnitischen Gebieten ist ihnen dies jedoch nicht gelungen. Und die Regierung, ängstlich auf die nationale Unabhängigkeit und Selbständigkeit bedacht, nahm kaum je von dem Angebot der Amerikaner Gebrauch, den von US-Militärs ausgebildeten Sicherheitskräfte bei Sondereinsätzen gegen Extremisten beizustehen.
Nach jüngsten Aussagen des Kommandanten der irakischen Bodentruppen, General Ali Ghaidan Majid, werden die irakischen Sicherheitskräfte erst 2020 „voll wieder aufgebaut“ sein. Ein Drei-Phasen-Plan, dessen erste Stufe 2011 abgeschlossen sein sollte, leide jedoch aufgrund finanzieller Nöte an Rückschlägen. Insbesondere sei die irakische Polizei noch keineswegs selbständig einsatzfähig, weshalb die Streitkräfte für die Sicherheit in den Städten sorgen müssten und deshalb auch die Grenzen nicht gut absichern könnten. Es sei doch die „Einmischung von außen, von den Nachbarn, die den Terror“ im Irak geschaffen habe und weiter nähre.
Maliki macht insbesondere Syrien für die jüngsten Anschläge verantwortlich. Die Beziehungen zwischen beiden Staaten sind schwer angespannt, seit Bagdad das Damaszener Regime indirekt der Schuld an dem Blutbad vom vergangenen August bezichtigte. 90 Prozent der ausländischen Kämpfer im Irak kämen direkt aus Syrien, behauptet der Premier und forderte Syriens Präsidenten Bashar el Assad auf, die Namen von 179 Angehörigen der gestürzten irakischen Baath-Partei preiszugeben, die sich in Syrien versteckt hielten und von dort aus – teilweise auch in Kooperation mit nicht-irakischen Al-Kaida Terroristen – Anschläge im Irak verübten. Assad forderte Beweise für diese Behauptung, die Maliki nicht lieferte. Seither haben sich die Beziehungen zwischen beiden Staaten drastisch verschlechtert.
US-Militärs stellten jüngst alarmiert fest, dass die an Syrien grenzende Provinz Anbar , wo die amerikanischen Truppen nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein einige ihrer blutigsten Schlachten gegen den Widerstand geführt hatten, erneut Anzeichen auflebenden Terrors zeigten. Anbar ist ein Zentrum der „Söhne des Iraks“, arabisch-sunnitischer Stämme, die sich von ihrem Bund mit Al-Kaida gelöst hatten, um mit den Amerikanern gegen die blutige Gewalt zu kollaborieren.
Der höchste US-General im Irak, Ray Odierno, warnte erst vor wenigen Tagen vor einer dramatischen Verschärfung der Gewalt im Irak, die auch den Rückzugsplan der US-Truppen im Lande gefährden könnte. Odierno hatte bisher gehofft, rund 70.000 der insgesamt derzeit 120.000 US-Soldaten zwischen März und August 2010 und den Rest bis Ende 2011 heim zu schicken. Doch die jüngsten Entwicklungen, insbesondere die anhaltenden politischen Querelen gäben Anlass zu größter Sorge. Das Parlament konnte sich bisher nicht auf ein Wahlgesetz einigen, wodurch eine Verschiebung der Parlamentswahlen unerlässlich werden könnte. Dies ist nach Ansicht von Beobachtern genau das Ziel, das Baathisten und andere Widerstandsgruppen anstreben. Eskalierende Gewalt soll das Vertrauen der Bevölkerung in den politischen Prozeß untergraben. Der Streit der Politiker, die Unfähigkeit, wesentliche Fragen des neuen Iraks – Wahl- und Ölgesetz, föderale Struktur des Landes, Streit um die Ölstadt Kirkuk zwischen irakischen Arabern und Kurden, Korruption etc. – zu lösen, spielen gewalttätigen Extremisten gefährlich in die Hände.
Sonntag, 25. Oktober 2009
Birgit Cerha: Blutiger Terror sucht Bagdad heim
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