Sonntag, 18. Oktober 2009

Birgit Cerha: „Das ist Todes-Niveau“


Eine alarmierende Wasserkrise vertreibt Hunderttausende Menschen in Syrien, Irak und anderen Länder des Mittleren Ostens und verschärft politische Konflikte


Zweieinhalb tausend Jahre schöpften die Norias das Leben spendende Nass aus dem Orontes, abwechselnd von tiefem Knarren und hohem Singen begleitet. Diese einst von den Römern installierten hölzernen Schaufelräder zählen zu den Hauptattraktionen der syrischen Stadt Hama, deren Bewohner sie seit Generationen das Trinkwasser lieferten. In jüngster Zeit versorgten die „Singenden Wasserräder“ vor allem die lange so üppigen Felder der Region. Heute aber reicht die Strömungsenergie des Flusses kaum noch, um die riesigen Holzräder von bis zu 20 Meter Durchmesser in Bewegung zu setzen. Algen und allerlei Unrat schwimmen auf der Oberfläche des alarmierend träge dahin fließenden Stroms und haben längst die reichen Fischschwärme verdrängt. Dieses Wasser „hat die Qualität unserer Feldfrüchte dramatisch verschlechtert. Sie bringen kaum noch genug Ertrag, um die Familie zu ernähren“, klagt ein 80-jähriger Bauer.

In Damaskus und anderen syrischen Städten sammeln sich die Menschen zum Gebet um Regen. Syrien, Irak, Jordanien, Teile der Türkei und der Libanon erleiden nun das zweite Jahr die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten. In Syrien ist der von Kurden bewohnte Nordosten besonders hart betroffen. In der Provinz Hasaka schleppen sich bis zu Skeletten abgemagerte Schafe und Ziegen über die ausgedörrten Felder. Aus Flussbetten und Kanälen steigt der Staub auf. In Dutzenden Dörfern ist das Leben erloschen. Das wichtigste Wasserreservoir der Region ist auf vier Prozent seiner ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft. „Das ist Todesniveau“, klagt Samir Mora, Hauptverantwortlicher für die Wasserversorgung der Provinz Hasaka. „Es ist eine Katastrophe“. Und den Gouverneur von Hasaka, Motha Najib Salloum, alarmiert die sich rasant ausbreitende Armut. „Kinder kommen nicht mehr zur Schule“ und wer kann, suche anderswo eine Bleibe. Das Kinderhilfswerk UNICEF versucht – bisher vergeblich – die internationale Gemeinschaft aufzurütteln: Unterernährung in der Region habe besorgniserregende Ausmaße angenommen. Die Weizenernte in der Provinz erreichte dieses Jahr mit 892.000 Tonnen nicht einmal die Hälfte des Vorjahres.

Nach einer UN-Studie sind bereits 60 Prozent des Landes und etwa 1,3 Millionen Menschen von der Dürre betroffen. An die 300.000 Menschen hat die Krise bisher aus ihrer nordöstlichen Heimat vertrieben. Viele suchen sich ein elendes Dasein in Slums oder Zelten am Rande von Damaskus, Aleppo und Hama. Täglich treffen mehr Menschen auch aus anderen Regionen ein.

Viele Syrer schieben die Schuld an ihrer Not nicht nur dem „Wettergott“ zu, sondern auch den benachbarten Türken, die durch den Bau von Staudämmen den Fluss des Euphrats, der einzigen großen Wasserquelle des Landes, stark reduziert haben. Der prominente syrische Ökonomie-Professor Aref Dalila macht jedoch auch eine fehlgeleitete Landwirtschaftspolitik der vergangenen 20 Jahre für die Misere verantwortlich. Mit dem Ziel, zu einem Weizenexporteur aufzusteigen, unterstützte die Regierung den Weizenanbau in halbtrockenen Regionen und ermutigte das illegale Bohren von Brunnen. Damit sank der Grundwasserspiegel bedrohlich ab. Die derzeit etwa 420.000 Brunnen, die Hälfte davon illegal angelegt, decken heute etwa 60 Prozent des syrischen Wasserbedarfs und die Landwirtschaft, von der die Hälfte der Bevölkerung lebt, verschlingt 90 Prozent des zur Verfügung stehenden Wassers.

Aber auch in Teilen des Iraks nimmt die Trockenheit alarmierende Ausmaße an. Der Wasserstand von Tigris und Euphrat liegt nach offiziellen Angaben um 50 Prozent unter dem normalen Niveau. Damit „ist die Nahrungsmittelversorgung gefährdet“, klagt ein Regierungssprecher in Bagdad, denn der Euphrat liefert fast 40 und der Tigris 60 Prozent des irakischen Bedarfs. Nach Jahren der Zerstörung und des Krieges befürchten die Iraker nun eine „Umweltkatastrophe“. In diesem Jahr fiel um 40 Prozent weniger Regen als 2008, das ohnedies schon ein trockenes Jahr gewesen war. In vielen Landesteilen sind die Flüsse ausgetrocknet. In der nördlichen, von arabischen Sunniten und Kurden bewohnten Provinz Diyala etwa ist der einst reiche Ackerboden ausgedörrt, Bewässerungskanäle bleiben leer und die Blätter in den Palmenhainen haben sich zu einem ungesunden Braun verfärbt. Der Wasserstand des größten Reservoirs, Hamrin, ist auf unter zehn Prozent der Kapazität abgesunken. Verzweifelt bohren die Menschen auf eigene Faust im Boden nach Wasser. Doch die Grundwasserquellen sind salzig, ungeeignet für menschlichen und tierischen Konsum.

Eine Million Schafe fielen nach Schätzungen bereits der Dürre zum Opfer. Wie in Syrien trieb die Trockenheit im Nord-Irak, insbesondere in Diyala, bereits mehr als 100.000 Menschen in die Flucht. Noch 36.000 mehr dürften ihnen nach jüngsten Schätzungen der UNESCO in nächster Zeit noch folgen. Die Situation wird dramatisch verschärft durch den Zusammenbruch des altertümlichen unterirdischen Wasserleitungsystems, genannt „Karez“, einst im alten Persien entwickelt und von den Bewohnern des Zweistromlandes, sowie anderen Kulturen übernommen wurde. Nach der Überlieferung sind die nord-irakischen Karez bis zu 350 Jahre alt. Ein einziges Karez-System kann 864.000 Liter Wasser im Tag transportieren und damit eine Gemeinde von fast 9000 Menschen versorgen. Gleichzeitig ermöglicht es die Bewässerung für die Produktion von fast 300 Tonnen Getreide.

In der ersten Studie ihrer Art stellte die UNESCO im August die Existenz von 683 „Karez“ im Nord-Irak fest, vor allem in den Kurdenprovinzen Sulaymaniya und Erbil, 116 davon versorgten die lokale Bevölkerung immer noch mit Trinkwasser, würden aber auch für Landwirtschaft und Tiere benützt. Ein großer Teil des Leitungssystems ist laut UNESCO durch die Trockenheit, aber auch durch jahrelange Vernachlässigung unbenutzbar geworden. Die Organisation betrachtet den drohenden Zusammenbruch des gesamten Systems als Alarmzeichen für noch größere Wassernot in der Zukunft.

Auch Iraks Süd-Provinz Basra leidet unter der Dürre. Der Salzgehalt des Grundwassers ist so hoch, dass es für die Landwirtschaft fast unbenutzbar wurde. Euphrat und Tigris führen nicht mehr genug Wasser für die Felder dieser Region. Die Krise wird noch verschärft durch die Folgen von Staudämmen, die der Iran an dem in den Schatt-el Arab mündenden Karun-Fluß errichtet hat.

Seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein 2003 schwimmen im Tigris, diesem großen Schatz des Zweistromlandes, Plastikflaschen, und –säcke neben allerlei anderem Unrat, die jahrelanger Krieg und das Chaos hinterlassen haben. Saddam hatte einst Verunreinigungen dieser Lebensader des Iraks mit schweren Strafen belegt. Heute tut dies niemand mehr. „Die Situation ist kritisch“, warnte 2007 der Umweltexperte Rativ Mufid in Bagdad. „Der Fluß wird zusehens zerstört und niemand erarbeitet Projekte zu seiner Rettung.“ Seither hat sich der Zustand des Stroms noch weiter dramatisch verschlimmert.

Die Probleme beginnen an der Quelle, im türkischen Taurus-Gebirge, und verschlimmern sich auf dem Weg des Flusses zum Persischen Golf. Wasserminister Abdel Latif Rashid identifiziert zwei Hauptursachen für das gegenwärtige Problem. „Der Irak hat sich jahrzehntelang von seinen Nachbarn Iran und die Türkei, aber auch Syrien isoliert“, die ihre eigene Wasserstrategie entwickelten und durch den Bau von Staudämmen den Wasseranteil reduzierten. Erst an zweiter Stelle macht der Minister das Klima und den Treibhauseffekt verantwortlich, fuhr der Irak in diesem Jahr die schlechteste Ernte seit einem Jahrzehnt ein. Die Erträge liegen bei weniger als einem Drittel des zehnjährigen Durchschnitts.

Abgelenkt durch jahrelange Bürgerkriegswirren hat die irakische Regierung dem Wasserproblem lange nicht gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Erst in den vergangenen Monaten begann Bagdad wieder verstärkt die Türkei zu größerer Kooperation zu drängen. Doch das Problem bleibt ungelöst. Es heißt GAP, Südostanatolien-Projekt. Durch ein gigantisches Netz von insgesamt 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken am Oberlauf der beiden mesopotamischen Flüsse ist Ankara entschlossen, die Energieversorgung des westlichen Landesteils nachhaltig zu sichern und die landwirtschaftlich nutzbare Fläche der Türkei schließlich zu verdoppeln. Das GAP-Projekt ist unterdessen etwa zur Hälfte realisiert, 15 Staudämme, fünf davon am Euphrat, sind fertiggestellt. Dies ermöglicht Ankara die Kontrolle der Wassermengen, die Euphrat und Tigris in die beiden Nachbarstaaten Irak und Syrien bringen.

Nach Angaben irakischer Wasserexperten schob der Euphrat in früheren Jahren im Durchschnitt 28 Mrd. Kubikmeter Wasser in den Irak, nun ist der jährliche Fluss auf 13 Mrd. zusammengeschrumpft. Die Türkei garantierte im Juni Bagdad 400 Kubikmeter Wasser pro Sekunde von Euphrat und Tigris, doch der Wasserfluss der beiden Ströme hatte laut Raschid häufig nicht einmal 200 Kubikmeter erreicht und um den nationalen Bedarf auch nur einigermaßen zu decken seien 500 Kubikmeter nötig. Auch die Türkei quält die Dürre. Dennoch versprach Ankara Bagdad nun, den Wasserfluss des Euphrat auf 550 Kubikmeter pro Sekunde zu erhöhen – ein Monat lang, um Iraks Nöte ein wenig zu lindern. Doch von einem multilateralen Verteilungsabkkommen, zu dem Syrien und Irak die Türken seit Jahren drängen, da dies das Problem auch für die nächste Zukunft lösen sollte, will Ankara nichts wissen.

Das Potential für künftige Konflikte ist hoch. Nach irakischen Schätzungen wird der Wasserbedarf des Landes bis 2015 um 50 Prozent steigen, während der Zustrom nicht zuletzt durch den weiteren Bau von Dämmen in der Türkei sinken wird. Von den Folgen des Treibhauseffekts ganz zu schweigen.

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