Dienstag, 20. Oktober 2009

Arnold Hottinger: Die schweizer Muslime in ihren Moscheen

Die Schweiz steht im Bann einer heftigen Diskussion, die zwei nationalistische Parteien durch viele Provokationen aufheizen. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) wollen dem Bau von Minaretten im Land ein Ende bereiten. Diese Initiative kommt am 29. November zur Abstimmung. Das Volksbegehren besteht aus einem einzigen Satz, der dem Artikel 72 der Bundesverfassung zu Kirche und Staat beigefügt werden soll: «Der Bau von Minaretten ist verboten.»
Wir bringen zu diesem extrem xenophobischen Vorstoß zwei grundsätzliche und aufklärende Beiträge, denn die Bedeutung der Problematik reicht weit über die Schweiz hinaus.



„Türken“ oder „Muslime“ sind nur die neuesten „Schreckgespenster“

Angst vor dem Islam ist leicht zu schüren. Die Religion ist vielen Schweizern wenig vertraut; sie gilt als „fremd“, ja „exotisch“. Muslimische Gemeinschaften wurden über Jahrhunderte hin von den Christen Europas als Feinde gesehen und traten selbst lange Zeit der europäischen Christenheit feindlich gegenüber. Das war im Mittelalter. Doch die alten Fendbilder wirken nach. Uebrigens auch auf der islamischen Seite, nur dass man sich dort mehr an jüngere Zusammenstösse erinnert, nämlich an die kein volles Jahrhundert zurückliegende Zeit, als europäische Kolonialmächte die meisten muslimischen Länder unterjocht hielten.

Zu den alten Reibungspunkten kommen heute neue hinzu. Es gibt eine Arbeits- und eine Asylimmigration aus vielen muslimischen Ländern nach Europa, auch in die Schweiz. Die einheimischen Bevölkerungsgruppen stehen fremden Einwanderern oft misstrauisch gegenüber. Zwar braucht man ihre Arbeitskraft, doch man fürchtet, sie könnten das eigene Land „überschwemmen“und seinen Charakter verändern. Das war schon so, als nach dem Krieg die ersten Italiener in die Schweiz kamen, dann ähnlich mit den Spaniern und Portugiesen. „Türken“ oder „Muslime“ sind nur die neuesten Schreckgespenster.

Angst machen und Abneigung schüren ist umso leichter, als es in der Tat einen Terrorismus gibt, der sich selbst als „islamisch“ bezeichnet, obwohl die immense Mehrheit der Muslime ihn ebenso ablehnt wie die nicht-Muslime: Volk, Regierungen, religiöse Autoritäten. Wer Angst machen will, kann immer behaupten, „heimlich“ seien sie doch „alle“ mit den Terroristen im Bunde. Unterstellungen dieser Art sind billig. Es gibt für sie weder Beweis noch Gegenbeweis. Wer sie aufwirft, behauptet, er wisse, was die Angeschuldigten im Geheimen denken. Zu viele Menschen der Gastgesellschaft lassen durchblicken, sie glaubten, sie wüssten Bescheid über „die Muslime“; oft, meinen sie, besser als diese über sich selbst.

Vorurteile sind ungerechte Verurteilungen, weil sie auf eingebildeter Kenntnis beruhen. Aufhetzer und Angstmacher verfolgen oft eigene Absichten. Wenn sie Glauben und Beifall finden, profilieren sie sich und bringen ihre politische Karriere voran.

Die Muslime in unseren Breiten kommen aus sehr verschiedenen Ländern. Wenn sie Arbeit Suchende sind, kommen sie meist aus einfachen Schichten. Ihre Familien sind oftmals vom Land in eine der muslimischen Grosstädte gewandert und von dort noch in der gleichen oder in der nächsten Generation nach Europa. Das neue Umfeld, in das sie plötzlich versetzt werden, ist ihnen fremd. Sie leisten eine gewaltige Anpassungsarbeit, um sich einzufügen. Neue Sprachen, neue Lebens- und Arbeitsbedingungen, fremde Bräuche, fordern viel Umstellung. Sie vermissen die sichere Einbettung in ihre Familie, ihr Dorf oder Stadtviertel, ihre eigene Sprache, die bisher wesentliche Bestandteile ihres Lebens gewesen waren. Nur eines von all dem haben sie mitbringen können: ihre eigene Religion. Diese nimmt in der Fremde leicht mehr Gewicht ein als zu hause. Jedenfalls wird sie bewusster gelebt; ein wesentlicher Bestandteil der Identität, auf den man nicht auch noch verzichten kann.

Umso wichtiger wird es für Viele der Eingewanderten, einen eigenen Ort zu besitzen, wo sie zu den Wurzeln ihrer eigenen Existenz zurückfinden können, mit Menschen zusammenkommen, die ähnliche harte Wege gegangen sind und noch gehen wie sie. Mit denen sie ihre eigene Religion gemeinsam ausüben können, die im Zentrum der Identität eines jeden steht. Die Orte, wo dies geschehen kann, haben sie aus ihrem eigenen knappen Verdienst über Jahre hin aufgebaut. In den bescheidenen Massen, die möglich sind, sollen sie dem Modell von zuhause gleichen. Zu einer Mosche gehört ein Minarett so gut wie zur Kirche ein Turm. Zur Not ginge es auch ohne. Doch ein Verbot durch die Gastgesellschaft würde zu recht als eine böswillige Diskriminierung verstanden. Böses Blut wäre unvermeidlich. Die Muslime bei uns und im Ausland würden gezwungen, eine in ihren Augen bewusst angestrebte Beleidigung hinunterzuschlucken. Was Niemandem gut tun kann.

Im Nahen Osten geschieht es nur zu oft, dass irgendein Demagoge irgendeine der vielen dortigen Relgionsgemeinschaften gegen eine andere aufhetzt. Er tut dies selten aus „Fanatismus“; es dient ihm dazu, sich selbst zum Anführer seiner eigenen Gruppe im Kampf gegen die Andere aufzuwerfen. Er wird dann Kriegschef. Manchmal kämpft man bis zur gegenseitigen Verarmung oder Vernichtung. Aber der Chef, der die Katastrophe auslöste, hat Geld und Karrriere gemacht. - Schlagen wir in der Schweiz nahöstliche Wege ein ?



Erschienen im St. Galler Tagblatt am 15.10.2009.

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