Nach den erfolgreichen Wahlen steht der größte Test auf dem Weg in eine friedliche demokratische Zukunft erst bevor
von Birgit Cerha
Nachdem sie den „arabischen Frühling“ gebaren, weisen die Tunesier nun mit den ersten erfolgreichen Wahlen nach turbulenter Revolution den Bruderstaaten wieder den Weg. Ein wenig unerwartet erwiesen sich die Wahlen zu einer Verfassungsgebenden Versammlung vergangenen Sonntag tatsächlich als ein eindrucksvoller Erfolg, der der gesamten Region Hoffnung gibt, dass der Sturz eines Diktators tatsächlich in einen friedlichen Weg zu einer demokratischen Zukunft münden kann. Die Wahlen verliefen nahezu ohne Zwischenfälle mit einer sensationell hohen Beteiligung, häufig in euphorischer Stimmung. Internationale Beobachter bescheinigen ihnen zudem auch volle Korrektheit. Befürchtete Demonstrationen wegen angeblichen Wahlbetrugs blieben aus. Der Hauptverlierer, die „Progressive Demokratische Partei“ (PDP) gestand ihre Niederlage ein, während niemand der gemäßigt islamistischen Ennahda ihren Sieg streitig macht.
PDPs schwere Verluste kamen überraschend, wiewohl weite Bevölkerungskreise dieser säkularen Partei eine gewisse Nähe zu Kreisen um den gestürzten Diktator Ben Ali nachsagen. Ennahdas Erfolge hingegen entsprachen den Erwartungen. Sie spiegeln die Stimmung in diesem offensten, liberalsten aller arabischen Länder, wo dennoch breite Bevölkerungsschichten islamischen Werten höchste Bedeutung beimessen und einer Partei, die sich zu dieser Ideologie bekennt, stärker als anderen vertrauen, das Land zum Wohl der Menschen, ohne Diebstahl, Nepotismus und himmelschreiender Korruption zu regieren und vor allem auch die Wirtschaft aus der Stagnation zu führen. Wie keiner anderen Partei ist es Ennahda gelungen, sich nach jahrzehntelangem, schmerzlichen Kampf gegen Ben Ali als glaubwürdige Gegner der Diktatur Vertrauen zu verschaffen.
Es ist der erste entscheidende Erfolg einer islamistischen Partei bei völlig freien Wahlen in der arabischen Welt und er unterstreicht zugleich die unverrückbare Tatsache, dass diese Gruppierungen integraler Bestandteil der politischen Landschaft der Region sind, in Tunesien ebenso wie in Ägypten, in Libyen, im Jemen oder anderswo.
Ennahdas Erfolg aber bedeutet keineswegs, dass Tunesien nun den ersten Schritt zu einem islamischen Staat setzt. Sollte Parteichef Ghannouchi tatsächlich ein derartiges Geheimziel verfolgen – offiziell leugnet er dies – so ist der Weg dorthin nicht nur lange, sondern auch mit großen Hindernisse bepflastert. Ennahda konnte nur die meisten Stimmen auf sich vereinen und keine Mehrheit in der neuen Versammlung gewinnen. Das verhinderte das Wahlgesetz und die Beteiligung von rund hundert Parteien. Zudem läuft das Mandat der Versammlung nur ein Jahr mit dem Hauptziel, eine neue Verfassung zu erarbeiten und anschließend muß Ghannouchis Partei sich erneut dem Volk zur Wahl für ein Parlament und einen Präsidenten stellen. In diesem einen Jahr kann die Ennahda viel Vertrauen verspielen, wenn sie ihre Versprechen, insbesondere den Kampf gegen die rasant gestiegene Jugendarbeitslosigkeit und die drückenden sozialen Probleme, nicht glaubwürdig einhält. Die Frist für diesen ersten Test einer Islamistenpartei in führender politischer Position ist all zu kurz.
Vor allem geht es aber darum, die Ängste der starken liberalen und säkularen Kräfte (die vielleicht 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen) vor Islamismus und Scharia (dem islamischen Recht) zu zerstreuen. Deshalb präsentiert sich die Ennahda unter Ghannouchis Führung als die liberalste aller islamischen Parteien der Region. Sie meidet eine klare Positionierung zur Scharia, die weitreichende Interpretationen zuläßt. Die Rechte der Frauen, in Tunesien weit fortgeschritten, will er auch weiterhin garantieren, das Recht auf Bildung ebenso, wie jenes auf freie Berufswahl oder Ablehnung islamischer Bekleidung (Kopftuch). Zudem, so betont die Parteiführung, gelte es nun, dem Aufbau eines neuen Staates, wirtschaftlicher Entwicklung und interner Sicherheit höchste Priorität zu geben, nicht moralischen Fragen. Demokratie, Pluralismus, Meinungsfreiheit sind die Begriffe, zu denen sich Ghannouchi öffentlich bekennt, nicht zuletzt auch um die Jugend, die Träger der Revolution, anzuziehen.
Doch Ennahda ist kein einheitlicher Block. Ghannouchis Liberalismus teilen zwar viele seiner ebenfalls aus dem Exil heimgekehrten Kader, doch nicht viele jener Islamisten, die in Ben Alis Gefängnissen schmachteten und dort Sympathie für weit radikaleres Gedankengut entwickelten. Zudem, so fürchten liberale Tunesier, könnten extreme Salafisten-Randgruppen im Schatten der Ennahda Auftrieb bekommen und verstärkt, auch gewalttätig eine Islamisierung der Gesellschaft einfordern. Mit solchen Aktionen haben sie bereits begonnen.
Die Wahlen sind zweifellos ein großer, bisher wohl der einzige Lichtblick in den Ländern des „arabischen Frühlings“. Doch sie markieren erst das Ende der ersten Phase der Revolution. Nun beginnt erst der steinige Weg zum Aufbau eines neuen Staates. Er erfordert Verständigung, Kompromiss und Kooperation zwischen allen Gruppen der Gesellschaft. Die Ennahda könnte anderen arabischen Islamisten ein Beispiel dafür setzen, dass sich Demokratie und Islam vereinen lassen.
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Dienstag, 25. Oktober 2011
Sonntag, 23. Oktober 2011
Saudi-Arabiens Nachfolge-Labyrinth
Der Tod des Kronprinzen rückt in einem Zeitpunkt regionaler Turbulenzen die ungelöste Frage der künftigen Führung des Königreichs ins Rampenlicht
(Bild: Kronprinz Sultan (rechts) mit Prinz Najef)
von Birgit Cerha
Fünf Jahrzehnte lang spielte Prinz Sultan bin Abdulaziz al Saud eine zentrale Rolle in der Politik des Königreichs. Ab 1963 Verteidigungsminister, modernisierte er mit gigantischem finanziellen Aufwand die saudischen Streitkräfte, ohne dass sich das Königreich allerdings nach Einschätzung von Experten tatsächlich im Notfall allein verteidigen könnte. Nach seinem Aufstieg auf den Thron 2005 ernannte König Abdullah seinen Halb-Bruder Sultan zum Nachfolger. Nun erlag Sultan in einem New Yorker Hospital einem jahrelangen Krebsleiden.Wiewohl Sultans Nachfolge geklärt erscheint, wirft der Tod des 86-Jährigen ein Schlaglicht auf das Labyrinth des Hauses Saud mit seinen 8.000 Prinzen, dominiert von den noch lebenden Söhnen des Landesgründers Abdul Aziz ibn Saud.
Die höchste Autorität in Fragen der Nachfolge ruht traditionell in den Händen des Königs, der seine Entscheidung bisher stets im Geheimen traf. Doch Abdullah rief 2006 einen „Loyalitätsrat“ aus 33 Mitgliedern – alle Söhne und Enkel Abdul Aziz‘ – ins Leben, der im Namen der Stabilität und Transparenz Nachfolgefragen klären soll. In dem Rat ist jeder Zweig der Königsfamilie vertreten. Der Monarch präsentiert einen Kandidaten und das Gremium hat darüber abzustimmen, eine Prozedur, die bis heute noch nicht erprobt wurde.
Dennoch erscheint es sicher, dass der bisherige stellvertretende Kronprinz, Innenminister Prinz Naif, die Position seines verstorbenen Vollbruders übernehmen wird. Die Thronfolge wird traditionell in Saudi-Arabien nicht auf Sohn oder Tochter, wie in europäischen Königshäusern, vererbt, sondern linear unter den ursprünglich 35 Söhnen des Staatsgründers, von denen heute noch 19 am Leben sind. Das Senioritätsprinzip ist dabei nicht unbedingt ausschlaggebend.
Da der 88-jährige König Abdullah zunehmend vom Alter gezeichnet ist, besitzt Naif eine große Chance tatsächlich an die Spitze des Königreiches aufzusteigen. Der Prinz ist erst 77, allerdings halten sich Gerüchte, dass auch sein Gesundheitszustand beträchlich angeschlagen ist. Möglicherweise leidet er an Leukämie. Sein Ministerium, so heißt es, werde de facto von seinen beiden Söhnen geleitet.
Im Gegensatz zu Abdullah, der als vorsichtiger Reformer durchaus Popularität unter seinen Untertanen genießt, ist Najef ein eng mit dem radikalen Wahabiten-Geistlichen verbündeter erzkonservastiver Hardliner. Als Innenminister leitete er nach sei blutigen Terroranschlägen im Königreich 2003 massive Vernichtungsschläge gegen die Al-Kaida, deren Mitglieder entweder im Gefängnis oder überwiegend im jemenitischen Exil landeten. Liberalere Kreise des nicht dem Haus Saud angehörenden Establishments fürchten, dass unter Najefs Einfluß selbst vorsichtige Reformen blockiert werden könnten. So sprach sich Najef offen gegen den vom König jüngst verkündeten Plan aus, Frauen ab 2015 das Wahlrecht zuzugestehen. Und er vertritt auch eine harte Linie gegenüber protestierenden Reformbewegungen, die die gesamte Region erfaßt haben, darunter auch die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien.
Während an Najefs Rolle kein Zweifel besteht ist mittelfristig die Nachfolge im Königshaus völlig ungeklärt. Denn Ibn Sauds Söhne sind alle an die 80 oder krank und wer von den unzähligen, teilweise einflußreichen und politisch erfahrenen Enkeln an die Staatsspitze aufrücken könnte, bleibt vollends im dunkeln. Immer mehr Saudis beunruhigt diese Intransparenz des Königshauses, das seine teilweise hochgebildeten Untertanen nicht nur von jeder Mitsprache ausschließt, sondern auch über alle entscheidenden Machtfragen im dunkeln laßt, nicht zuletzt dank der zahlreichen vom Haus Saud finanzierten Medien.
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(Bild: Kronprinz Sultan (rechts) mit Prinz Najef)
von Birgit Cerha
Fünf Jahrzehnte lang spielte Prinz Sultan bin Abdulaziz al Saud eine zentrale Rolle in der Politik des Königreichs. Ab 1963 Verteidigungsminister, modernisierte er mit gigantischem finanziellen Aufwand die saudischen Streitkräfte, ohne dass sich das Königreich allerdings nach Einschätzung von Experten tatsächlich im Notfall allein verteidigen könnte. Nach seinem Aufstieg auf den Thron 2005 ernannte König Abdullah seinen Halb-Bruder Sultan zum Nachfolger. Nun erlag Sultan in einem New Yorker Hospital einem jahrelangen Krebsleiden.Wiewohl Sultans Nachfolge geklärt erscheint, wirft der Tod des 86-Jährigen ein Schlaglicht auf das Labyrinth des Hauses Saud mit seinen 8.000 Prinzen, dominiert von den noch lebenden Söhnen des Landesgründers Abdul Aziz ibn Saud.
Die höchste Autorität in Fragen der Nachfolge ruht traditionell in den Händen des Königs, der seine Entscheidung bisher stets im Geheimen traf. Doch Abdullah rief 2006 einen „Loyalitätsrat“ aus 33 Mitgliedern – alle Söhne und Enkel Abdul Aziz‘ – ins Leben, der im Namen der Stabilität und Transparenz Nachfolgefragen klären soll. In dem Rat ist jeder Zweig der Königsfamilie vertreten. Der Monarch präsentiert einen Kandidaten und das Gremium hat darüber abzustimmen, eine Prozedur, die bis heute noch nicht erprobt wurde.
Dennoch erscheint es sicher, dass der bisherige stellvertretende Kronprinz, Innenminister Prinz Naif, die Position seines verstorbenen Vollbruders übernehmen wird. Die Thronfolge wird traditionell in Saudi-Arabien nicht auf Sohn oder Tochter, wie in europäischen Königshäusern, vererbt, sondern linear unter den ursprünglich 35 Söhnen des Staatsgründers, von denen heute noch 19 am Leben sind. Das Senioritätsprinzip ist dabei nicht unbedingt ausschlaggebend.
Da der 88-jährige König Abdullah zunehmend vom Alter gezeichnet ist, besitzt Naif eine große Chance tatsächlich an die Spitze des Königreiches aufzusteigen. Der Prinz ist erst 77, allerdings halten sich Gerüchte, dass auch sein Gesundheitszustand beträchlich angeschlagen ist. Möglicherweise leidet er an Leukämie. Sein Ministerium, so heißt es, werde de facto von seinen beiden Söhnen geleitet.
Im Gegensatz zu Abdullah, der als vorsichtiger Reformer durchaus Popularität unter seinen Untertanen genießt, ist Najef ein eng mit dem radikalen Wahabiten-Geistlichen verbündeter erzkonservastiver Hardliner. Als Innenminister leitete er nach sei blutigen Terroranschlägen im Königreich 2003 massive Vernichtungsschläge gegen die Al-Kaida, deren Mitglieder entweder im Gefängnis oder überwiegend im jemenitischen Exil landeten. Liberalere Kreise des nicht dem Haus Saud angehörenden Establishments fürchten, dass unter Najefs Einfluß selbst vorsichtige Reformen blockiert werden könnten. So sprach sich Najef offen gegen den vom König jüngst verkündeten Plan aus, Frauen ab 2015 das Wahlrecht zuzugestehen. Und er vertritt auch eine harte Linie gegenüber protestierenden Reformbewegungen, die die gesamte Region erfaßt haben, darunter auch die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien.
Während an Najefs Rolle kein Zweifel besteht ist mittelfristig die Nachfolge im Königshaus völlig ungeklärt. Denn Ibn Sauds Söhne sind alle an die 80 oder krank und wer von den unzähligen, teilweise einflußreichen und politisch erfahrenen Enkeln an die Staatsspitze aufrücken könnte, bleibt vollends im dunkeln. Immer mehr Saudis beunruhigt diese Intransparenz des Königshauses, das seine teilweise hochgebildeten Untertanen nicht nur von jeder Mitsprache ausschließt, sondern auch über alle entscheidenden Machtfragen im dunkeln laßt, nicht zuletzt dank der zahlreichen vom Haus Saud finanzierten Medien.
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Freitag, 21. Oktober 2011
Gadafis Tod öffnet Ära der Ungewissheit in Libyen
Eine schwache, innerlich zerstrittene Koalition beginnt ihren Überlebenskampf – Dem Aufbau eines neuen Staates stehen gigantische Hindernisse im Weg
von Birgit Cerha
Auch im Tod bereitet Libyans Diktator seinen Gegnern beträchtliche Nöte. Was soll mit seiner schwer misshandelten Leiche geschehen? Freitag entschied der Nationale Übergangsrat (NTC), die de-facto-Regierung, mit islamischer Tradition zu brechen und Gadafi nicht sofort zu begraben. Die genauen Umstände des Todes müssen noch abgeklärt werden. Amnesty International und die UN-Menschenrechtskommission fordern eine volle Untersuchung, um, wenn nötig, jene, die ihn erschossen haben vor Gericht zu bringen. "Willkürliche Hinrichtungen sind strikt illegal. Es ist eine andere Sache, wenn jemand im Kampf getötet wird“, erklärte Freitag der Sprecher der UN-Menschenrechtskommission Rupert Colville. Und er bezog sich auf Telefon-Videoaufnahmen, die Gadfai zuerst verletzt, doch noch lebendig und später inmitten jubelnder Rebellen tot zeigten. Diese Bilder seien „äußerst irritierend“.
Der NTC gab zunächst den Plan auf, Gadafi an einem geheimen Platz zu begraben, um das Entstehen einer Pilgerstätte für seine Anhänger zu vermeiden. Laut TV-Sender „Al Arabiya“ begannen Mitglieder von Gadafis „Gaddadfa-Stamm“ Verhandlungen mit NTC-Kämpfern um Herausgabe der Leiche. Wenn der Stamm den toten Diktator als Mitglied anerkennt, soll er für das Begräbnis an einem geheimen Ort sorgen.
Die widersprüchlichen Berichte über das chaotische Ende des Tyrannen, die damit verbundenen Grausamkeiten und das Verhalten führender NTC-Verantwortlicher verheißen nichts Gutes für Libyens zweite revolutionäre Phase, die schwierigste, die nun beginnt: den Aufbau staatlicher und ökonomischer Strukturen von Null. Innerhalb von einer Stunde nach ersten Berichten über Gadafis Gefangennahme oder Tod bereitete sich NTC-Führer Mustafa Abdul-Jalil für eine Pressekonferenz vor, während zwei seiner Kollegen, Informationsminister Mahmoud Shammam und Militärkommandant Abdulhjakim Belhadsch in einem offensichtlichen Versuch Jalil das Rampenlicht zu stehlen und seine Position zu untergraben, bereits die Presse informierten
Die rivalisierenden Gruppen des NTC haben nun mit Gadafis Tod den Kitt verloren, der diese Institution zusammenhält, um Libyen in eine neue Zukunft zu führen. Die Führung ist schwach und schon die vergangenen Wochen haben große Unentschlossenheit und Zerstrittenheit entlarvt. Nach der Befreiung der Hauptstadt im August sollte der NTC seinen Sitz von Benghazi nach Tripolis zu verlegen. Doch er konnte sich bisher weder dazu entschließen, noch zur Bildung einer Übergangsregierung. Offiziell begründete man dieses Zögern mit dem anhaltenden Kampf gegen Gadafi-Anhänger. Doch sind es mangelnde Durchschlagskraft und Einigkeit. Vor allem dominiert in Tripolis ein mächtiger Militärrat, der sich seine Autorität nicht schmälern lassen will. Und eine Übergangsregierung zu bilden, die alle Kräfte des Landes befriedigt erscheint fast ebenso unmöglich, wie rasch, wie es nötig wäre, all die vielen Männer von Gewalt- und Rachakten abzuhalten, die Waffen in ihren Händen halten. Wenn vor allem aber die Rebellen, die sich in den vergangenen Monaten zum NTC bekannt hatten, einen Kampf gegeneinander beginnen, dann sind die Folgen für das Libyen nach Gadafi dramatisch. In Rebellenreihen wuchs in den vergangenen Wochen der Unmut über Schwäche und Unentschlossenheit der NTC-Führung.
Erschwert wird die Lage durch die immer noch einflußreichen 41 Stammesführer, die zweifellos einen Anteil am Reichtum des Landes – Milliarden von Dollar auf Banken im Ausland und gigantische Ölschätze im Boden – für sich einfordern werden.
Das Fehlen von Kontinuität ist ein weiteres gravierendes Problem. Nach einem NTC-Zeitplan sollen acht Monate nach dem Sieg über das Gadafi-Regime, d.h. ab dem 21. Oktober, die ersten freien Wahlen stattfinden. Sie sollen völlig neue Führer hervorbringen, denn Jibril und die anderen NTC-Mitglieder dürfen laut Übergangsverfassung nicht in der nächsten Regierung sitzen. Jibril, ein in den USA ausgebildeter Ökonom bekräftigte vergangenen Dienstag diesen Plan als er betonte: „Ich werde nicht Teil der nächsten Regierung sein.“ Politischen Analysten erscheinen acht Monate für den Aufbau neuer Führer in einem Land, in dem jeder politische Aktivismus jahrzehntelang brutal unterdrückt wurde, fast ein Ding der Unmöglichkeit. Hinzu kommt die bisher ungeklärte Frage, ob sich die diversen politischen Kräfte, die Araber, die Berber, die Säkularisten, die Islamisten, die Sympathisanten des alten Regimes auf ein gemeinsames Konzept für ein neues Libyen überhaupt einigen können. Der schwerste Teil der Revolution steht den Libyern erst bevor.
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von Birgit Cerha
Auch im Tod bereitet Libyans Diktator seinen Gegnern beträchtliche Nöte. Was soll mit seiner schwer misshandelten Leiche geschehen? Freitag entschied der Nationale Übergangsrat (NTC), die de-facto-Regierung, mit islamischer Tradition zu brechen und Gadafi nicht sofort zu begraben. Die genauen Umstände des Todes müssen noch abgeklärt werden. Amnesty International und die UN-Menschenrechtskommission fordern eine volle Untersuchung, um, wenn nötig, jene, die ihn erschossen haben vor Gericht zu bringen. "Willkürliche Hinrichtungen sind strikt illegal. Es ist eine andere Sache, wenn jemand im Kampf getötet wird“, erklärte Freitag der Sprecher der UN-Menschenrechtskommission Rupert Colville. Und er bezog sich auf Telefon-Videoaufnahmen, die Gadfai zuerst verletzt, doch noch lebendig und später inmitten jubelnder Rebellen tot zeigten. Diese Bilder seien „äußerst irritierend“.
Der NTC gab zunächst den Plan auf, Gadafi an einem geheimen Platz zu begraben, um das Entstehen einer Pilgerstätte für seine Anhänger zu vermeiden. Laut TV-Sender „Al Arabiya“ begannen Mitglieder von Gadafis „Gaddadfa-Stamm“ Verhandlungen mit NTC-Kämpfern um Herausgabe der Leiche. Wenn der Stamm den toten Diktator als Mitglied anerkennt, soll er für das Begräbnis an einem geheimen Ort sorgen.
Die widersprüchlichen Berichte über das chaotische Ende des Tyrannen, die damit verbundenen Grausamkeiten und das Verhalten führender NTC-Verantwortlicher verheißen nichts Gutes für Libyens zweite revolutionäre Phase, die schwierigste, die nun beginnt: den Aufbau staatlicher und ökonomischer Strukturen von Null. Innerhalb von einer Stunde nach ersten Berichten über Gadafis Gefangennahme oder Tod bereitete sich NTC-Führer Mustafa Abdul-Jalil für eine Pressekonferenz vor, während zwei seiner Kollegen, Informationsminister Mahmoud Shammam und Militärkommandant Abdulhjakim Belhadsch in einem offensichtlichen Versuch Jalil das Rampenlicht zu stehlen und seine Position zu untergraben, bereits die Presse informierten
Die rivalisierenden Gruppen des NTC haben nun mit Gadafis Tod den Kitt verloren, der diese Institution zusammenhält, um Libyen in eine neue Zukunft zu führen. Die Führung ist schwach und schon die vergangenen Wochen haben große Unentschlossenheit und Zerstrittenheit entlarvt. Nach der Befreiung der Hauptstadt im August sollte der NTC seinen Sitz von Benghazi nach Tripolis zu verlegen. Doch er konnte sich bisher weder dazu entschließen, noch zur Bildung einer Übergangsregierung. Offiziell begründete man dieses Zögern mit dem anhaltenden Kampf gegen Gadafi-Anhänger. Doch sind es mangelnde Durchschlagskraft und Einigkeit. Vor allem dominiert in Tripolis ein mächtiger Militärrat, der sich seine Autorität nicht schmälern lassen will. Und eine Übergangsregierung zu bilden, die alle Kräfte des Landes befriedigt erscheint fast ebenso unmöglich, wie rasch, wie es nötig wäre, all die vielen Männer von Gewalt- und Rachakten abzuhalten, die Waffen in ihren Händen halten. Wenn vor allem aber die Rebellen, die sich in den vergangenen Monaten zum NTC bekannt hatten, einen Kampf gegeneinander beginnen, dann sind die Folgen für das Libyen nach Gadafi dramatisch. In Rebellenreihen wuchs in den vergangenen Wochen der Unmut über Schwäche und Unentschlossenheit der NTC-Führung.
Erschwert wird die Lage durch die immer noch einflußreichen 41 Stammesführer, die zweifellos einen Anteil am Reichtum des Landes – Milliarden von Dollar auf Banken im Ausland und gigantische Ölschätze im Boden – für sich einfordern werden.
Das Fehlen von Kontinuität ist ein weiteres gravierendes Problem. Nach einem NTC-Zeitplan sollen acht Monate nach dem Sieg über das Gadafi-Regime, d.h. ab dem 21. Oktober, die ersten freien Wahlen stattfinden. Sie sollen völlig neue Führer hervorbringen, denn Jibril und die anderen NTC-Mitglieder dürfen laut Übergangsverfassung nicht in der nächsten Regierung sitzen. Jibril, ein in den USA ausgebildeter Ökonom bekräftigte vergangenen Dienstag diesen Plan als er betonte: „Ich werde nicht Teil der nächsten Regierung sein.“ Politischen Analysten erscheinen acht Monate für den Aufbau neuer Führer in einem Land, in dem jeder politische Aktivismus jahrzehntelang brutal unterdrückt wurde, fast ein Ding der Unmöglichkeit. Hinzu kommt die bisher ungeklärte Frage, ob sich die diversen politischen Kräfte, die Araber, die Berber, die Säkularisten, die Islamisten, die Sympathisanten des alten Regimes auf ein gemeinsames Konzept für ein neues Libyen überhaupt einigen können. Der schwerste Teil der Revolution steht den Libyern erst bevor.
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Donnerstag, 20. Oktober 2011
Ein grausiges Ende für einen brutalen Diktator
Der Tod Muammar Gadafis öffnet Libyen den Weg in eine demokratische Zukunft – Doch nicht alle sind euphorisch
von Birgit Cerha
Muammar Gadafi starb wie er vier Jahrzehnte lang über Libyen geherrscht hatte: unerschrocken und gewaltsam. Lange hatten Millionen seiner Untertanen auf diesen Moment gewartet und dennoch traf er schließlich für die meisten unerwartet ein. Er halte sich in einem Nachbarland versteckt oder bei den befreundeten Wüstenkriegern der Tuaregs irgendwo in der südlichen Sahara, glaubten viele. Doch Gadafi blieb seinem wiederholt verkündeten Wort treu: Er kämpfte bis zuletzt und starb auf libyschem Boden, in Sirte, nahe seines Geburtsortes.
Es war ein Tag der Turbulenzen und verwirrender Gerüchte, bis der amtierende libysche Premierminister Mahmoud Jibril Donnerstag offiziell den Tod des Diktators, das Ende der Tyrannei und den Beginn eines neuen, vereinten Libyen verkündete. Nach zweimonatigen heftigen Kämpfen gegen Gadafi-Getreue, die sich in der letzten großen Bastion des bedrängten Herrschers, Sirte, zuletzt in einem kleinen Wohnviertel verschanzt und hartnäckig verteidigt hatten, verkündeten die Kämpfer des Nationalen Übergangsrates (NTC) Donnerstag früh ihren Sieg. Die Stadt ist gefallen. Kurz darauf tauchten Berichte über euphorische Freudenausbrüche der Soldaten auf, die Worte brüllten, wie „Wir haben es geschafft, wir haben es geschafft. Laßt ihn zur Hölle fahren“ . Grausige Telefon-Videos von einem Körper mit blutendem Gesicht und Nacken, den Rebellen durch die Straßen schleiften, machten rasant die Runde, verbreitet weltweit über „Al Jezira“, dessen Kommentator keinen Zweifel daran ließ, dass es sich um Gadafi handelte.
Er sei verwundet worden, ein NTC-Kämpfer meldete sich bei BBC mit der Nachricht, er hätte Gadafi in einem Loch in Sirte gefunden, so wie 2003 US-Soldaten den ebenfalls gewaltsam gestürzten irakischen Despoten Saddam Hussein. Ein Zufall, Inspiration, Phantasie? Gadafi, so erzählte der Soldatn, hätte ihn angefleht, nicht auf ihn zu schießen. So habe er ihn gefangen genommen und als Trophäe zeigted erMann eine goldene Pistole. Unklar ist zunächst, ob Gadafi nicht vielmehr bei einem NATO-Angriff auf einen Autokonvoi getötet wurde, als er mit seinen engsten Mitstreitern aus dem umkämpften Stadtviertel flüchten wollte.
Während die NTC-Soldaten in Sirte und viele Menschen in Tripolis, Benghazi und anderen Landesteilen nach Aussagen einer Aktivistin „diesen glücklichsten Tag ihres ganzen Lebens“ feierten, bangt ein anderer Teil Libyens um die Zukunft. Viele Bewohner Sirtes, dieser von Gadafi privilegiertesten aller Städte, stehen vor den Trümmern ihrer Häuser und Geschäfte. Sie fürchten nach dem Tod ihres Mentors die Rache der nun herrschenden Feinde Gadafis. Auch andere bangen um die Zukunft. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung stand durchaus gut bezahlt im Dienste des Systems, im Sicherheitsapparat und Geheimdienst vor allem. Die Menschen haben ihre Existenz verloren. Auf viele von ihnen zählte der bedrängte Diktator, der noch in den letzten Wochen wiederholt über Radio zum Widerstand aufrief und offenbar auch Mitglieder befreundeter Stämme zum militärischen Gegenschlag zu organisieren suchte. Anders als im Irak Saddam Husseins aber hatte sich Gadafi nicht auf einen großen Parteiapparat gestützt, der auch nach dem Tod des Tyrannen von Bagdad mit ungeheurer Brutalität den Weg des Landes zu Demokratie und Stabilität blockierte. Diese Gefahr, so meinen libysche Aktivisten, sei für ihr Land nun gebannt. Auch Gadafis Sohn Seif al Islam, dessen Verbleib vorerst ungeklärt ist, besitzt weder finanzielle, noch logistische Möglichkeiten für einen bedrohlichen Widerstand. Somit kann der NTC neun Monate nach Beginn der Revolution den dank NATO-Hilfe aus der Luft errungenen Sieg und die Kontrolle über das ganze Wüstenland verkünden. Der Weg zur Demokratie, zu den ersten freien Wahlen ist vorgezeichnet. Ob er zum Ziel führt, hängt von der Fähigkeit der Sieger ab, die Gegner in das neue Libyen zu integrieren und alle miteinander zu versöhnen, eine Strategie, die im Irak so kläglich misslang.
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von Birgit Cerha
Muammar Gadafi starb wie er vier Jahrzehnte lang über Libyen geherrscht hatte: unerschrocken und gewaltsam. Lange hatten Millionen seiner Untertanen auf diesen Moment gewartet und dennoch traf er schließlich für die meisten unerwartet ein. Er halte sich in einem Nachbarland versteckt oder bei den befreundeten Wüstenkriegern der Tuaregs irgendwo in der südlichen Sahara, glaubten viele. Doch Gadafi blieb seinem wiederholt verkündeten Wort treu: Er kämpfte bis zuletzt und starb auf libyschem Boden, in Sirte, nahe seines Geburtsortes.
Es war ein Tag der Turbulenzen und verwirrender Gerüchte, bis der amtierende libysche Premierminister Mahmoud Jibril Donnerstag offiziell den Tod des Diktators, das Ende der Tyrannei und den Beginn eines neuen, vereinten Libyen verkündete. Nach zweimonatigen heftigen Kämpfen gegen Gadafi-Getreue, die sich in der letzten großen Bastion des bedrängten Herrschers, Sirte, zuletzt in einem kleinen Wohnviertel verschanzt und hartnäckig verteidigt hatten, verkündeten die Kämpfer des Nationalen Übergangsrates (NTC) Donnerstag früh ihren Sieg. Die Stadt ist gefallen. Kurz darauf tauchten Berichte über euphorische Freudenausbrüche der Soldaten auf, die Worte brüllten, wie „Wir haben es geschafft, wir haben es geschafft. Laßt ihn zur Hölle fahren“ . Grausige Telefon-Videos von einem Körper mit blutendem Gesicht und Nacken, den Rebellen durch die Straßen schleiften, machten rasant die Runde, verbreitet weltweit über „Al Jezira“, dessen Kommentator keinen Zweifel daran ließ, dass es sich um Gadafi handelte.
Er sei verwundet worden, ein NTC-Kämpfer meldete sich bei BBC mit der Nachricht, er hätte Gadafi in einem Loch in Sirte gefunden, so wie 2003 US-Soldaten den ebenfalls gewaltsam gestürzten irakischen Despoten Saddam Hussein. Ein Zufall, Inspiration, Phantasie? Gadafi, so erzählte der Soldatn, hätte ihn angefleht, nicht auf ihn zu schießen. So habe er ihn gefangen genommen und als Trophäe zeigted erMann eine goldene Pistole. Unklar ist zunächst, ob Gadafi nicht vielmehr bei einem NATO-Angriff auf einen Autokonvoi getötet wurde, als er mit seinen engsten Mitstreitern aus dem umkämpften Stadtviertel flüchten wollte.
Während die NTC-Soldaten in Sirte und viele Menschen in Tripolis, Benghazi und anderen Landesteilen nach Aussagen einer Aktivistin „diesen glücklichsten Tag ihres ganzen Lebens“ feierten, bangt ein anderer Teil Libyens um die Zukunft. Viele Bewohner Sirtes, dieser von Gadafi privilegiertesten aller Städte, stehen vor den Trümmern ihrer Häuser und Geschäfte. Sie fürchten nach dem Tod ihres Mentors die Rache der nun herrschenden Feinde Gadafis. Auch andere bangen um die Zukunft. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung stand durchaus gut bezahlt im Dienste des Systems, im Sicherheitsapparat und Geheimdienst vor allem. Die Menschen haben ihre Existenz verloren. Auf viele von ihnen zählte der bedrängte Diktator, der noch in den letzten Wochen wiederholt über Radio zum Widerstand aufrief und offenbar auch Mitglieder befreundeter Stämme zum militärischen Gegenschlag zu organisieren suchte. Anders als im Irak Saddam Husseins aber hatte sich Gadafi nicht auf einen großen Parteiapparat gestützt, der auch nach dem Tod des Tyrannen von Bagdad mit ungeheurer Brutalität den Weg des Landes zu Demokratie und Stabilität blockierte. Diese Gefahr, so meinen libysche Aktivisten, sei für ihr Land nun gebannt. Auch Gadafis Sohn Seif al Islam, dessen Verbleib vorerst ungeklärt ist, besitzt weder finanzielle, noch logistische Möglichkeiten für einen bedrohlichen Widerstand. Somit kann der NTC neun Monate nach Beginn der Revolution den dank NATO-Hilfe aus der Luft errungenen Sieg und die Kontrolle über das ganze Wüstenland verkünden. Der Weg zur Demokratie, zu den ersten freien Wahlen ist vorgezeichnet. Ob er zum Ziel führt, hängt von der Fähigkeit der Sieger ab, die Gegner in das neue Libyen zu integrieren und alle miteinander zu versöhnen, eine Strategie, die im Irak so kläglich misslang.
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Nach der Revolution die Apathie
Tunesien, die „Wiege des arabischen Frühlings“, testet als erstes die Demokratie und setzt damit ein Beispiel für die Region – positiv oder negativ
von Birgit Cerha
Der revolutionären Begeisterung, mit der die Tunesier im Januar nach nur einmonatigen unblutigen Protesten die 24-jährige Diktatur Ben Alis abschüttelten und damit einen Dominoeffekt in der arabischen Welt auslösten, ist weithin Enttäuschung und Apathie gewichen. 40 bis 50 Prozent der Jugend, die die Revolution in diesem kleinen nordafrikanischen Staat getragen hatte, dürften kommenden Sonntag bei den ersten freien Wahlen seit der Unabhängigkeit 1956 erst gar nicht ihre Stimme abgeben. Umfragen lassen eine alarmierende Apathie unter weiten Kreisen der Bevölkerung befürchten, Enttäuschung darüber, dass die Revolution für menschliche Würde und soziale Gerechtigkeit die größten Wünsche unerfüllt ließ, an erster Stelle die Arbeitslosigkiet, die seit Ende 2010 von 14 auf derzeit 19 Prozent gar noch gestiegen ist.
Jahrzehntelang durch Diktatoren zum Schweigen gezwungen, haben die Tunesier in den vergangenen Monaten die neugewonnene Redefreiheit voll ausgekostet, und diese Übergangsphase hat tiefe Risse in der Gesellschaft zutage gefördert. Je näher der Wahltag heranrückte, desto mehr stiegen Nervosität, Anspannung und Polarisierung, die sich immer wieder gewalttätig entluden. In dieser Atmosphäre sind 7,5 Millionen Bürger aufgerufen, am Sonntag 217 Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung zu wählen, die das Land zur Demokratie führen, die alten Strukturen des 55-jährigen Autoritarismus niederreißen soll.
Das Mandat der Versammlung ist allerdings nicht klar definiert. Allgemein wird angenommen, dass sie die exekutiven und legislativen Funktionen des Staates übernehmen wird. Diese Wahlen werden damit, wenn alles gut geht, die erste demokratisch legitimierte Regierung Tunesiens hervorbringen. Die Versammlung soll innerhalb eines Jahres eine neue Verfassung erarbeiten. Ob diese dem Volk zur Billigung präsentiert wird, ist vorerst unklar. Fest steht, dass erst danach die Tunesier ein Parlament und einen Präsidenten wählen werden.
Nicht weniger als hundert Parteien und eine große Schar unabhängiger Kandidaten werben um Stimmen und tragen damit in dieser kritischen Übergangsphase zu Ratlosigkeit und Verwirrung, wohl aber auch zur Apathie bei. Die meisten Parteiführer haben keinerlei politische Erfahrung, kein klares Konzept, keine Organisation und kaum Geld, um an die Wähler heranzukommen. So dominiert die weitaus am besten organisierte und finanzierte islamistische „Ennadha“ den politischen Diskurs. Seit der Rückkehr ihres Chefs Rachid Ghannouchi i am 30. Januar nach 20-jährigem Exil hat die von der Diktatur massiv unterdrückte Partei mit eindrucksvollem Geschick das post-revolutionäre politische Vakuum gefüllt, 200 Parteibüros im ganzen Land eröffnet und große Zahlen von engagierten freiwilligen Wahlhelfern hinter sich geschart. Umfragen sagen einen überwältigen Sieg „Ennahda“s voraus, mindestens doppelt so viele Stimmen wie der voraussichtlich zweitstärksten, der Mitte-Links angesiedelten, im Gegensatz zu „Ennadha“ unter Ben Ali nicht verbotenen „Progressiven Demokratie-Partei“. Sie und die ebenfalls säkulare „Ettaktoi“ sind außer „Ennahda“ die einzigen Gruppierungen, die mehr als zehn Prozent der Stimmen gewinnen könnten. Das Wahlsystem ermöglicht aber vielen kleinen Parteien den Einzug in die Versammlung, sodaß „Ennadha“ vermutlich nicht die absolute Mehrheit gewinnen wird.
Wie die säkularen Parteien legt Ghannouchi in seiner Parteiplattform das Hauptgewicht auf den Aufbau einer sozialen Marktwirtwirtschaft, die Entwicklung der Infrastruktur im unterentwickelten Westen des Landes, die Schaffung Hunderttausender Arbeitsplätze und transparenter demokratischer Institutionen. Ghannouchi hat in den vergangenen Monaten keine Mühe gescheut, seine säkularen Gegner von seiner gemäßigten, ja liberalen Haltung zu überzeugen. Doch Tunesiens moderne, westlich orientierte Mittelklasse ist zutiefst verängstigt. Ben Alis Sturz hat radikalen islamistischen Salafisten Auftrieb gegeben. „Ennadha“ hat sich nach Ansicht vieler Kritiker zu wenig klar von Gewaltakten dieser Gruppen etwa gegen eine liberale Fernsehstation distanziert und viele fürchten, Ghannouchi verfolge in Wahrheit eine Doppelstrategie, neben dem offen präsentierten liberalen Programm den Weg zu einem islamischen Staat, der die fortschrittlichste, offenste Gesellschaft der arabischen Welt nachhaltig radikal verändern würde.
Viele Tunesier aber sehen in der „Ennadha“, die in jahrzehntelanger harte Opposition ihre Glaubwürdigkeit bewies, die einzige Chance einen klaren Bruch mit der Diktatur Ben Alis zu vollziehen, ein Bruch, der bis heute nicht vollzogen ist. Denn das System lebt immer noch fort, dieselbe Justiz, dieselbe Polizei, dieselben Strukturen, dieselben Methoden und damit die Sorge, dass sich die Elite der Diktatur mit Hilfe der säkularen Parteien ihr Fortleben sichert.
Voll Spannung verfolgen andere Länder Tunesien. Kann die „Wiege des arabischen Frühlings“ durch erfolgreiche Wahlen (angemessene Beteiligung und Gewaltlosigkeit) und anschließende Kooperationsbereitschaft der Sieger anderen Hoffnung geben. Als nächstes folgt Ende November Ägypten mit den ersten freien Parlamentswahlen.
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von Birgit Cerha
Der revolutionären Begeisterung, mit der die Tunesier im Januar nach nur einmonatigen unblutigen Protesten die 24-jährige Diktatur Ben Alis abschüttelten und damit einen Dominoeffekt in der arabischen Welt auslösten, ist weithin Enttäuschung und Apathie gewichen. 40 bis 50 Prozent der Jugend, die die Revolution in diesem kleinen nordafrikanischen Staat getragen hatte, dürften kommenden Sonntag bei den ersten freien Wahlen seit der Unabhängigkeit 1956 erst gar nicht ihre Stimme abgeben. Umfragen lassen eine alarmierende Apathie unter weiten Kreisen der Bevölkerung befürchten, Enttäuschung darüber, dass die Revolution für menschliche Würde und soziale Gerechtigkeit die größten Wünsche unerfüllt ließ, an erster Stelle die Arbeitslosigkiet, die seit Ende 2010 von 14 auf derzeit 19 Prozent gar noch gestiegen ist.
Jahrzehntelang durch Diktatoren zum Schweigen gezwungen, haben die Tunesier in den vergangenen Monaten die neugewonnene Redefreiheit voll ausgekostet, und diese Übergangsphase hat tiefe Risse in der Gesellschaft zutage gefördert. Je näher der Wahltag heranrückte, desto mehr stiegen Nervosität, Anspannung und Polarisierung, die sich immer wieder gewalttätig entluden. In dieser Atmosphäre sind 7,5 Millionen Bürger aufgerufen, am Sonntag 217 Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung zu wählen, die das Land zur Demokratie führen, die alten Strukturen des 55-jährigen Autoritarismus niederreißen soll.
Das Mandat der Versammlung ist allerdings nicht klar definiert. Allgemein wird angenommen, dass sie die exekutiven und legislativen Funktionen des Staates übernehmen wird. Diese Wahlen werden damit, wenn alles gut geht, die erste demokratisch legitimierte Regierung Tunesiens hervorbringen. Die Versammlung soll innerhalb eines Jahres eine neue Verfassung erarbeiten. Ob diese dem Volk zur Billigung präsentiert wird, ist vorerst unklar. Fest steht, dass erst danach die Tunesier ein Parlament und einen Präsidenten wählen werden.
Nicht weniger als hundert Parteien und eine große Schar unabhängiger Kandidaten werben um Stimmen und tragen damit in dieser kritischen Übergangsphase zu Ratlosigkeit und Verwirrung, wohl aber auch zur Apathie bei. Die meisten Parteiführer haben keinerlei politische Erfahrung, kein klares Konzept, keine Organisation und kaum Geld, um an die Wähler heranzukommen. So dominiert die weitaus am besten organisierte und finanzierte islamistische „Ennadha“ den politischen Diskurs. Seit der Rückkehr ihres Chefs Rachid Ghannouchi i am 30. Januar nach 20-jährigem Exil hat die von der Diktatur massiv unterdrückte Partei mit eindrucksvollem Geschick das post-revolutionäre politische Vakuum gefüllt, 200 Parteibüros im ganzen Land eröffnet und große Zahlen von engagierten freiwilligen Wahlhelfern hinter sich geschart. Umfragen sagen einen überwältigen Sieg „Ennahda“s voraus, mindestens doppelt so viele Stimmen wie der voraussichtlich zweitstärksten, der Mitte-Links angesiedelten, im Gegensatz zu „Ennadha“ unter Ben Ali nicht verbotenen „Progressiven Demokratie-Partei“. Sie und die ebenfalls säkulare „Ettaktoi“ sind außer „Ennahda“ die einzigen Gruppierungen, die mehr als zehn Prozent der Stimmen gewinnen könnten. Das Wahlsystem ermöglicht aber vielen kleinen Parteien den Einzug in die Versammlung, sodaß „Ennadha“ vermutlich nicht die absolute Mehrheit gewinnen wird.
Wie die säkularen Parteien legt Ghannouchi in seiner Parteiplattform das Hauptgewicht auf den Aufbau einer sozialen Marktwirtwirtschaft, die Entwicklung der Infrastruktur im unterentwickelten Westen des Landes, die Schaffung Hunderttausender Arbeitsplätze und transparenter demokratischer Institutionen. Ghannouchi hat in den vergangenen Monaten keine Mühe gescheut, seine säkularen Gegner von seiner gemäßigten, ja liberalen Haltung zu überzeugen. Doch Tunesiens moderne, westlich orientierte Mittelklasse ist zutiefst verängstigt. Ben Alis Sturz hat radikalen islamistischen Salafisten Auftrieb gegeben. „Ennadha“ hat sich nach Ansicht vieler Kritiker zu wenig klar von Gewaltakten dieser Gruppen etwa gegen eine liberale Fernsehstation distanziert und viele fürchten, Ghannouchi verfolge in Wahrheit eine Doppelstrategie, neben dem offen präsentierten liberalen Programm den Weg zu einem islamischen Staat, der die fortschrittlichste, offenste Gesellschaft der arabischen Welt nachhaltig radikal verändern würde.
Viele Tunesier aber sehen in der „Ennadha“, die in jahrzehntelanger harte Opposition ihre Glaubwürdigkeit bewies, die einzige Chance einen klaren Bruch mit der Diktatur Ben Alis zu vollziehen, ein Bruch, der bis heute nicht vollzogen ist. Denn das System lebt immer noch fort, dieselbe Justiz, dieselbe Polizei, dieselben Strukturen, dieselben Methoden und damit die Sorge, dass sich die Elite der Diktatur mit Hilfe der säkularen Parteien ihr Fortleben sichert.
Voll Spannung verfolgen andere Länder Tunesien. Kann die „Wiege des arabischen Frühlings“ durch erfolgreiche Wahlen (angemessene Beteiligung und Gewaltlosigkeit) und anschließende Kooperationsbereitschaft der Sieger anderen Hoffnung geben. Als nächstes folgt Ende November Ägypten mit den ersten freien Parlamentswahlen.
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LIBYEN: Die Reise des Beduinensohns in die Finsternis
Muammar Gadafi wollte nichts weniger als die Welt verändern – Doch der Überlebenskünstler und oft belächelte Neurotiker verbreitete vor allem Angst und Terror
von Birgit Cerha
„Die richtige Haltung ist Konfrontation. Flucht, und sei es ins Ausland, rettet nicht vor dem Tod“, schrieb Muammar Gadafi vor Jahren in einem der zwölf Essays, die sein persönliches Vermächtnis darstellen. Er setzt sich darin mit dem Abschiednehmen auseinander. Er habe beschlossen, in die Hölle zu fliehen und es sei gar nicht so schlimm. Er könne sich vorstellen, die Zeit dort sogar zu genießen.
Dass er sein kleines, gequältes Volk mit sich in die Finsternis zu reißen suchte, hat er seit Beginn der Rebellion gegen seine 42-jährige Herrschaft vor sechs Monaten wiederholt deutlich gemacht und durch sein bedingungsloses Ausharren ungeachtet der gigantischen Opfer an Menschenleben und Sachwerten erschreckend bewiesen. Gadafis Vermächtnis von Zerstörung, Armut und Hass wird noch lange traumatisch auf dem Wüstenstaat lasten.
Längst vergessen ist der Jubel, mit dem ein großer Teil der libyschen Bevölkerung die70 Offiziere, unter ihnen den 28-jährigen Oberst Gadafi, feierte, nachdem diese am 1. September 1969 in nur zwei Stunden den verhassten König Idris vom Thron gefegt und die Arabische Republik Libyen ausgerufen hatten. Kein Tropfen Blut war geflossen. Gadafi, feurig, wortgewaltig und visionär entpuppte sich rasch als der neue Führer, der das geknechtete Volk durch seine in ein völlig neues Konzept verwobene politische Philosophie beglücken und die arabische Welt nach dem Vorbild des Ägypters Gamal Abdel Nasser, der nur ein Jahr später sterben sollte, zu einen und zu neuer Stärke führen wollte. Gadafi war der letzte Herrscher, der sich einst enthusiastisch dem Millionen von Menschen in diesem Teil der Welt begeisternden arabischen Nationalismus verpflichtet gefühlt hatte.
Wenige Staatschefs oder Diktatoren wurden mit einer derartigen Vielzahl von oft zutiefst beleidigenden oder zynischen Charakteristika überhäuft wie der ehrgeizige Sohn der libyschen Wüste. Sie reichen vom selbsternannten Philosophen über Exzentriker, Kabarettist, von Größenwahn Getriebener, bis zum „wilden Hund“ (so einst US-Präsident Reagan). Die berühmte italienische Journalistin Oriana Fallaci, die Gadafi mehrmals interviewte bemerkte wenig schmeichelnd: „Er spinnt total. Er ist der schlimmste und dümmste aller Tyrannen, die ich je erlebt habe.“ Doch dieser angeblich so „dumme“ Beduinensohn erwies sich in Wahrheit als ein ungeheuer schlauer, wiewohl skrupellos brutaler Politiker. In einer von WikiLeaks vor wenigen Monaten veröffentlichten Depesche stellte der US-Botschafter in Libyen fest: „Es ist verlockend, seine (Gadafis) Exzentrik als Anzeichen der Instabilität zu werden. Aber Gadafi ist eine komplizierte Persönlichkeit, der es mit einer geschickten Abwägung von Interessen und Realpolitik über mehr als 40 Jahre gelungen ist an der Macht zu bleiben“ – länger als selbst Despoten wie Mao oder Stalin.
Muammar wurde 1942 in einem Beduinenzelt nahe der Küstenstadt Sirte als Kind einer arabisierten Berberfamilie geboren. Schon als Jugendlicher verfolgte er mit großem Interesse die politischen Turbulenzen in der arabischen Welt, die arabische Niederlage im Krieg um Palästina gegen Israel 1948 und den Aufstieg Nassers 1952. Er widmete sich mit besonderer Begeisterung dem Studium der Geschichte. Seine überwiegend ägyptischen Lehrer in der Sekundarschule legten großes Schwergewicht auf Arabisch und islamische Lehren. Dieser Bildungsweg, wie seine Beduinenherkunft prägten sein Leben, seine Frömmigkeit und seinen genügsamen, ja mitunter puritanischen Lebensstil. Dem Verhaltenscode der Beduinen, die persönlicher Ehre, Gleichheit und ein einfaches Leben in der Gemeinschaft höchste Bedeutung beimessen, sowie starken familiären Banden fühlte er sich auch in den Jahrzehnten der Macht verpflichtet.
Als er schließlich die Chance erhielt, in der Militärakademie von Benghazi zu studieren, war sein Weg an die Spitze des Staates bereitet. In drei Bänden seines „Grünen Buches“, einem politischen Manifest, versuchte er eine Alternative zu Sozialismus und Kapitalismus mit starken islamischen Aspekten zu entwickeln, die die Basis für die von ihm gegründete „Jamahiriya“, eine von den libyschen Volksmassen regierte Republik, bildete. Er nationalisierte die Ölindustrie und verbot Alkohol. Wiederholt verkündete er die Auflösung der Regierung und die Verteilung der Ölerträge an die Bevölkerung. Wiederholt verkündete er die Auflösung der Regierung und die Verteilung der Ölerträge an die Bevölkerung. Manche Ideale setzte er zumindest teilweise durch. So gewährt die „neue libysche Gesellschaft“ den Frauen weit mehr Rechte und Freiheiten als andere arabische Länder.
Traum und Realität schienen aber in seiner Vorstellungswelt mehr und mehr zu verschwimmen. So riet Gadafi vergangenen Februar dem durch einen Volksaufstand in die Enge getriebenen tunesischen Amtskollegen Ben Ali, doch das libysche Regierungsmodell zu übernehmen. Denn „es repräsentiert das höchste Stadium im Streben der Völker nach Demokratie.“ Dieses System bestand aber aus einem bizarren Labyrinth von Basiskomitees und Volkskongressen. Gadafi selbst weidete sich offiziell in der Rolle des Revolutionsführers, nicht des Staatschefs. Doch de facto verstand er es, wie andere Despoten, sich durch Verteilung von Vergünstigungen und Ölmilliarden an seine Familie, seinen Clan und eine kleine herrschende Klasse an der Macht zu halten und zahlreiche Putsch- und Attentatsversuche mit Hilfe eines dichten Geheimdienstnetzes und massiver Repression gegen die über Korruption und den geringen Wohlstand in diesem Ölreich zunehmend frustrierte Bevölkerung abzuwehren. Nur fünf Wochen nach seinem Ratschlag an Ben Ali bombardierte die libysche Luftwaffe das eigene Volk.
Doch bald nachdem er seine Macht in Tripolis abgesichert hatte, konzentrierte sich Gadafi auf seine außen- und weltpolitischen Ambitionen und überließ die Innenpolitik seinem Premier und engsten Mitstreiter Abdessalam Jalloud. Doch seine Botschaft des arabischen Nationalismus, die er durch Vereinigungen mit anderen arabischen Staaten, wie Ägypten oder Syrien, in die Tat setzten wollte, erntete ihm nur Ablehnung und oft auch Hohn, ebenso wie seine Aufrufe an arabische Führer und Armeen, sich seinem anti-imperialistischen Kampf gegen die USA und Großbritannien, seinem Engagement gegen Israel anzuschließen. Von missionarischem Geist getrieben wollte er die Welt verbessern und sich mit den Schwachen überall verbünden. Und dabei stieß er zunehmend auf Animositäten vor allem unter den anderen, keineswegs sendungsbewußten Autokraten der arabischen Welt.
Zunehmend setzte er in den 70er und beginnenden 80er Jahren einen großen Teil seines Ölreichtums zur Unterstützung von anti-kolonialen Rebellionen, Befreiungsbewegungen überall in der Welt, militanten Schwarzen in den USA, der baskischen ETA, der katholischen „Irischen Republikanischen Armee“radikalen Palästinensergruppen in deren Kampf gegen Israel, wie dem „Schwarzen September“ oder der Gruppe des Massenmörders Abu Nidal ein.
Obwohl Iran 1983/84 weit gefährlichere Terrorakte – insbesondere im Libanon mit 316 toten US-Marines – verübt hatte, wurde Gadafi zur Obsession US-Präsident Reagans. 1986 beschuldigte Washington Libyen des Terrors gegen ein von US-Soldaten frequentiertes Nachtlokal in Berlin, bei dem ein Offizier getötet und zahlreiche Amerikaner verletzt worden waren. Kurz darauf startete die US-Luftwaffe mit 55 Kampfflugzeugen die Operation „El Dorado Canyon“ gegen Libyen. Binnen vier Minuten wurden 60 Tonnen von Bomben auf Militärstützpunkte und andere strategische Ziele abgeworfen. Gadafi konnte sich knapp vor der Zerstörung seines Bunkers in Sicherheit bringen. Doch 60 Libyer starben, darunter seine 15 Monate alte Adoptivtochter Hanna. Der Gejagte aber ließ sich nicht einschüchtern. Der Terror eskalierte. Zwei Jahre später explodierte ein Pan Am Jumbo Jet, Flug 103 über der schottischen Stadt Lockerbie. Alle 259 Passagiere und elf Menschen in Lockerbie starben. Zwei libysche Agenten, Abdelbaset al Megrahi und Lamin Kalifah Fhimah wurden schließlich vor ein schottisches Gericht gestellt, nachdem Gadafi 2002 die Verdächtigen ausgeliefert hatte. Fhima wurde freigelassen, Megrahi zu einer lebenslangen Haft verurteilt, doch wegen einer angeblichen tödlichen Krebskrankheit 2009 nach Libyen überstellt. Libyen zahlte 2008 den Opfern von Lockerbie 1,5 Mrd. Dollar und der damalige US-Präsident Bush unterzeichnete eine Präsidialverfügung, die Libyen künftig Immunität gegenüber allen terrorbezogenen Gerichtsverfahren zusicherte.
Gadafis Unterstützung von Extremisten und Terroristen weltweit, sowie seine Invasion des benachbarten Tschad hatten das Land tief in die internationale Isolation getrieben, die vor allem die Wirtschaft und die soziale Entwicklung mehr und mehr hemmte. Durch Entschädigung für die Opfer diverser Terroranschläge und seine lautstark verkündete Aufgabe eines Programms zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen beendeten 20-jährige Wirtschaftssanktionen der USA und der UNO. Gadafi, so lange als der gefährlichste Förderer des weltweiten Terrorismus geächtet, wurde zu einem wichtigen Verbündete der USA in deren Anti-Terrorkampf gegen Al-Kaida.
Der „Revolutionsführer“ genoß sichtlich seine neugefundene Salonfähigkeit. Während er von westlichen Führern umhätschelt wurde, hielt er dennoch an seinem bizarren Verhalten fest. So ließ er seinen „Kronprinzen“ Saif al Islam in einem Interview mit dem „New Yorker“ 2006 klarstellen: „Wir nutzen Terror und Gewalt, weil das die Waffen der Schwachen gegen die Starken sind.“ Mit der Schweiz führte er einen Psychokrieg, nachdem sein Sohn Mohammed dort wegen Gewaltanwendung festgenommen worden war und rief zur Abschaffung der Schweiz auf. In einer Rede vor der UNO zerriss er die Charta des Weltforums, während sich internationale und arabische Medien fleißig über seine wiederholten Karnevalsaufzüge und kabarettistischen Bekleidungen mokierten.
Frustriert über die ihm entgegenschlagenden Abneigungen, wandte er sich den armen afrikanischen Nachbarn zu, die er mit Milliardenbeträgen bestach, damit sie ich den Titel „König der Könige“ verliehen, ihn auf Briefmarken abbildeten, bedeutungslose Konferenzen führen ließen und in der Illusion wiegten, er sei ein Führer von weltpolitischer Bedeutung.
Der Öffnung nach außen, dem Ausbruch aus der internationalen Isolation folgten aber nicht, wie im Westen gehofft, ähnliche Schritte im Inneren. Dort sind Repression und Angst geblieben, bis immer mehr Libyer dem Vorbild ihrer tunesischen Nachbarn folgten, die Barriere der Furcht durchstießen und sich gegen den Despoten und seine brutalen Söhne erhoben. Viele Libyer hoffen wohl, dass sich Gadafi nun für seine Verbrechen unbewaffneten Bürgern der vergangenen sechs Monate vor einem unabhängigen Gericht verantworten muss.
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von Birgit Cerha
„Die richtige Haltung ist Konfrontation. Flucht, und sei es ins Ausland, rettet nicht vor dem Tod“, schrieb Muammar Gadafi vor Jahren in einem der zwölf Essays, die sein persönliches Vermächtnis darstellen. Er setzt sich darin mit dem Abschiednehmen auseinander. Er habe beschlossen, in die Hölle zu fliehen und es sei gar nicht so schlimm. Er könne sich vorstellen, die Zeit dort sogar zu genießen.
Dass er sein kleines, gequältes Volk mit sich in die Finsternis zu reißen suchte, hat er seit Beginn der Rebellion gegen seine 42-jährige Herrschaft vor sechs Monaten wiederholt deutlich gemacht und durch sein bedingungsloses Ausharren ungeachtet der gigantischen Opfer an Menschenleben und Sachwerten erschreckend bewiesen. Gadafis Vermächtnis von Zerstörung, Armut und Hass wird noch lange traumatisch auf dem Wüstenstaat lasten.
Längst vergessen ist der Jubel, mit dem ein großer Teil der libyschen Bevölkerung die70 Offiziere, unter ihnen den 28-jährigen Oberst Gadafi, feierte, nachdem diese am 1. September 1969 in nur zwei Stunden den verhassten König Idris vom Thron gefegt und die Arabische Republik Libyen ausgerufen hatten. Kein Tropfen Blut war geflossen. Gadafi, feurig, wortgewaltig und visionär entpuppte sich rasch als der neue Führer, der das geknechtete Volk durch seine in ein völlig neues Konzept verwobene politische Philosophie beglücken und die arabische Welt nach dem Vorbild des Ägypters Gamal Abdel Nasser, der nur ein Jahr später sterben sollte, zu einen und zu neuer Stärke führen wollte. Gadafi war der letzte Herrscher, der sich einst enthusiastisch dem Millionen von Menschen in diesem Teil der Welt begeisternden arabischen Nationalismus verpflichtet gefühlt hatte.
Wenige Staatschefs oder Diktatoren wurden mit einer derartigen Vielzahl von oft zutiefst beleidigenden oder zynischen Charakteristika überhäuft wie der ehrgeizige Sohn der libyschen Wüste. Sie reichen vom selbsternannten Philosophen über Exzentriker, Kabarettist, von Größenwahn Getriebener, bis zum „wilden Hund“ (so einst US-Präsident Reagan). Die berühmte italienische Journalistin Oriana Fallaci, die Gadafi mehrmals interviewte bemerkte wenig schmeichelnd: „Er spinnt total. Er ist der schlimmste und dümmste aller Tyrannen, die ich je erlebt habe.“ Doch dieser angeblich so „dumme“ Beduinensohn erwies sich in Wahrheit als ein ungeheuer schlauer, wiewohl skrupellos brutaler Politiker. In einer von WikiLeaks vor wenigen Monaten veröffentlichten Depesche stellte der US-Botschafter in Libyen fest: „Es ist verlockend, seine (Gadafis) Exzentrik als Anzeichen der Instabilität zu werden. Aber Gadafi ist eine komplizierte Persönlichkeit, der es mit einer geschickten Abwägung von Interessen und Realpolitik über mehr als 40 Jahre gelungen ist an der Macht zu bleiben“ – länger als selbst Despoten wie Mao oder Stalin.
Muammar wurde 1942 in einem Beduinenzelt nahe der Küstenstadt Sirte als Kind einer arabisierten Berberfamilie geboren. Schon als Jugendlicher verfolgte er mit großem Interesse die politischen Turbulenzen in der arabischen Welt, die arabische Niederlage im Krieg um Palästina gegen Israel 1948 und den Aufstieg Nassers 1952. Er widmete sich mit besonderer Begeisterung dem Studium der Geschichte. Seine überwiegend ägyptischen Lehrer in der Sekundarschule legten großes Schwergewicht auf Arabisch und islamische Lehren. Dieser Bildungsweg, wie seine Beduinenherkunft prägten sein Leben, seine Frömmigkeit und seinen genügsamen, ja mitunter puritanischen Lebensstil. Dem Verhaltenscode der Beduinen, die persönlicher Ehre, Gleichheit und ein einfaches Leben in der Gemeinschaft höchste Bedeutung beimessen, sowie starken familiären Banden fühlte er sich auch in den Jahrzehnten der Macht verpflichtet.
Als er schließlich die Chance erhielt, in der Militärakademie von Benghazi zu studieren, war sein Weg an die Spitze des Staates bereitet. In drei Bänden seines „Grünen Buches“, einem politischen Manifest, versuchte er eine Alternative zu Sozialismus und Kapitalismus mit starken islamischen Aspekten zu entwickeln, die die Basis für die von ihm gegründete „Jamahiriya“, eine von den libyschen Volksmassen regierte Republik, bildete. Er nationalisierte die Ölindustrie und verbot Alkohol. Wiederholt verkündete er die Auflösung der Regierung und die Verteilung der Ölerträge an die Bevölkerung. Wiederholt verkündete er die Auflösung der Regierung und die Verteilung der Ölerträge an die Bevölkerung. Manche Ideale setzte er zumindest teilweise durch. So gewährt die „neue libysche Gesellschaft“ den Frauen weit mehr Rechte und Freiheiten als andere arabische Länder.
Traum und Realität schienen aber in seiner Vorstellungswelt mehr und mehr zu verschwimmen. So riet Gadafi vergangenen Februar dem durch einen Volksaufstand in die Enge getriebenen tunesischen Amtskollegen Ben Ali, doch das libysche Regierungsmodell zu übernehmen. Denn „es repräsentiert das höchste Stadium im Streben der Völker nach Demokratie.“ Dieses System bestand aber aus einem bizarren Labyrinth von Basiskomitees und Volkskongressen. Gadafi selbst weidete sich offiziell in der Rolle des Revolutionsführers, nicht des Staatschefs. Doch de facto verstand er es, wie andere Despoten, sich durch Verteilung von Vergünstigungen und Ölmilliarden an seine Familie, seinen Clan und eine kleine herrschende Klasse an der Macht zu halten und zahlreiche Putsch- und Attentatsversuche mit Hilfe eines dichten Geheimdienstnetzes und massiver Repression gegen die über Korruption und den geringen Wohlstand in diesem Ölreich zunehmend frustrierte Bevölkerung abzuwehren. Nur fünf Wochen nach seinem Ratschlag an Ben Ali bombardierte die libysche Luftwaffe das eigene Volk.
Doch bald nachdem er seine Macht in Tripolis abgesichert hatte, konzentrierte sich Gadafi auf seine außen- und weltpolitischen Ambitionen und überließ die Innenpolitik seinem Premier und engsten Mitstreiter Abdessalam Jalloud. Doch seine Botschaft des arabischen Nationalismus, die er durch Vereinigungen mit anderen arabischen Staaten, wie Ägypten oder Syrien, in die Tat setzten wollte, erntete ihm nur Ablehnung und oft auch Hohn, ebenso wie seine Aufrufe an arabische Führer und Armeen, sich seinem anti-imperialistischen Kampf gegen die USA und Großbritannien, seinem Engagement gegen Israel anzuschließen. Von missionarischem Geist getrieben wollte er die Welt verbessern und sich mit den Schwachen überall verbünden. Und dabei stieß er zunehmend auf Animositäten vor allem unter den anderen, keineswegs sendungsbewußten Autokraten der arabischen Welt.
Zunehmend setzte er in den 70er und beginnenden 80er Jahren einen großen Teil seines Ölreichtums zur Unterstützung von anti-kolonialen Rebellionen, Befreiungsbewegungen überall in der Welt, militanten Schwarzen in den USA, der baskischen ETA, der katholischen „Irischen Republikanischen Armee“radikalen Palästinensergruppen in deren Kampf gegen Israel, wie dem „Schwarzen September“ oder der Gruppe des Massenmörders Abu Nidal ein.
Obwohl Iran 1983/84 weit gefährlichere Terrorakte – insbesondere im Libanon mit 316 toten US-Marines – verübt hatte, wurde Gadafi zur Obsession US-Präsident Reagans. 1986 beschuldigte Washington Libyen des Terrors gegen ein von US-Soldaten frequentiertes Nachtlokal in Berlin, bei dem ein Offizier getötet und zahlreiche Amerikaner verletzt worden waren. Kurz darauf startete die US-Luftwaffe mit 55 Kampfflugzeugen die Operation „El Dorado Canyon“ gegen Libyen. Binnen vier Minuten wurden 60 Tonnen von Bomben auf Militärstützpunkte und andere strategische Ziele abgeworfen. Gadafi konnte sich knapp vor der Zerstörung seines Bunkers in Sicherheit bringen. Doch 60 Libyer starben, darunter seine 15 Monate alte Adoptivtochter Hanna. Der Gejagte aber ließ sich nicht einschüchtern. Der Terror eskalierte. Zwei Jahre später explodierte ein Pan Am Jumbo Jet, Flug 103 über der schottischen Stadt Lockerbie. Alle 259 Passagiere und elf Menschen in Lockerbie starben. Zwei libysche Agenten, Abdelbaset al Megrahi und Lamin Kalifah Fhimah wurden schließlich vor ein schottisches Gericht gestellt, nachdem Gadafi 2002 die Verdächtigen ausgeliefert hatte. Fhima wurde freigelassen, Megrahi zu einer lebenslangen Haft verurteilt, doch wegen einer angeblichen tödlichen Krebskrankheit 2009 nach Libyen überstellt. Libyen zahlte 2008 den Opfern von Lockerbie 1,5 Mrd. Dollar und der damalige US-Präsident Bush unterzeichnete eine Präsidialverfügung, die Libyen künftig Immunität gegenüber allen terrorbezogenen Gerichtsverfahren zusicherte.
Gadafis Unterstützung von Extremisten und Terroristen weltweit, sowie seine Invasion des benachbarten Tschad hatten das Land tief in die internationale Isolation getrieben, die vor allem die Wirtschaft und die soziale Entwicklung mehr und mehr hemmte. Durch Entschädigung für die Opfer diverser Terroranschläge und seine lautstark verkündete Aufgabe eines Programms zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen beendeten 20-jährige Wirtschaftssanktionen der USA und der UNO. Gadafi, so lange als der gefährlichste Förderer des weltweiten Terrorismus geächtet, wurde zu einem wichtigen Verbündete der USA in deren Anti-Terrorkampf gegen Al-Kaida.
Der „Revolutionsführer“ genoß sichtlich seine neugefundene Salonfähigkeit. Während er von westlichen Führern umhätschelt wurde, hielt er dennoch an seinem bizarren Verhalten fest. So ließ er seinen „Kronprinzen“ Saif al Islam in einem Interview mit dem „New Yorker“ 2006 klarstellen: „Wir nutzen Terror und Gewalt, weil das die Waffen der Schwachen gegen die Starken sind.“ Mit der Schweiz führte er einen Psychokrieg, nachdem sein Sohn Mohammed dort wegen Gewaltanwendung festgenommen worden war und rief zur Abschaffung der Schweiz auf. In einer Rede vor der UNO zerriss er die Charta des Weltforums, während sich internationale und arabische Medien fleißig über seine wiederholten Karnevalsaufzüge und kabarettistischen Bekleidungen mokierten.
Frustriert über die ihm entgegenschlagenden Abneigungen, wandte er sich den armen afrikanischen Nachbarn zu, die er mit Milliardenbeträgen bestach, damit sie ich den Titel „König der Könige“ verliehen, ihn auf Briefmarken abbildeten, bedeutungslose Konferenzen führen ließen und in der Illusion wiegten, er sei ein Führer von weltpolitischer Bedeutung.
Der Öffnung nach außen, dem Ausbruch aus der internationalen Isolation folgten aber nicht, wie im Westen gehofft, ähnliche Schritte im Inneren. Dort sind Repression und Angst geblieben, bis immer mehr Libyer dem Vorbild ihrer tunesischen Nachbarn folgten, die Barriere der Furcht durchstießen und sich gegen den Despoten und seine brutalen Söhne erhoben. Viele Libyer hoffen wohl, dass sich Gadafi nun für seine Verbrechen unbewaffneten Bürgern der vergangenen sechs Monate vor einem unabhängigen Gericht verantworten muss.
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Dienstag, 18. Oktober 2011
„Ein süß-saurer Deal“
Der Gefangenenaustausch zwischen einem Israeli und 1.027 Palästinensern löst in der arabischen Welt Befriedigung, doch auch viel Ärger aus
von Birgit Cerha
Tausende Palästinenser bereiteten 477 Palästinensern, der ersten Gruppe von Israel freigelassenen Häftlingen in Gaza und West-Jordanien einen emphatischen Empfang, während Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas die Heimkehrer als „Freiheitskämpfer, heilige Krieger für Gott und das Vaterland“ pries. Im Gegensatz zu den Israelis, die einige der im Austausch für den vor fünf Jahren bei einem Einsatz gegen palästinensische Zivilisten von der islamistischen Hamas entführten Soldaten Gilad Shalit aus israelischen Gefängnissen entlassenen verurteilte Palästinenser als Massenmörder sehen, feiert der Großteil der Palästinenser diese Männer als „Helden“ im Kampf gegen ein brutale, übermächtige Besatzung. Dieser Tenor spiegelt sich auch in Reaktionen aus anderen Teilen der arabischen Welt. Kommentatoren weisen etwa darauf hin, dass der zur Weltberühmtheit gelangte Shalit seine Waffe gegen palästinensische Zivilisten gerichtet hatte, als er in die Hände der Hamas-Feinde geraten war.
Palästinensische Menschenrechtsaktivisten sprechen von einem „süß-sauren Deal“ zwischen Hamas und Israel, der viele Fragen offen läßt und viel Unbehagen bereitet. Nicht zuletzt wird auch in andere Teilen der arabischen Welt die Freilassung von 1.027 Palästinensern für nur einen Israeli keineswegs nur als Verhandlungscoup der Hamas gewertet, sondern auch als Hinweis auf die krass unterschiedliche Wertschätzung des Lebens von Arabern und Israelis. Anderseits weisen arabische Kommentatoren auch auf die Unverhältnismäßigkeit der Zahlen von Gefangenen. Während Shalit in der einzige Israeli in palästinensischer Gewalt war, sitzen mehr als 4.000 Palästinenser in israelischer Haft, darunter zahlreiche gewaltlos politische Aktivisten und vor allem auch 164 Kinder im Alter zwischen zwölf und 17, weil sie Steine gegen israelische Soldaten geworfen hatten. Sie werden nicht freigelassen. Palästinensische Menschenrechtsaktivisten sehen auch Parallelen zwischen vielen inhaftierten Palästinensern und dem Friedensnobepreisträger Nelson Mandela, der wegen gewaltlosen politischen Widerstand jahrzehntelang in Südafrika im Gefängnis gelitten hatte.
Die ägyptische Zeitung „Al Ahram“ erinnert auch an Hunderte Palästinenser, die vor drei Wochen aus Protest gegen die brutalen Haftbedingungen in einen unbefristeten Hungerstreik getreten waren. Ihr Schicksal ist vorerst unklar. Die saudische „Arab News“ etwa beklagt bitter die Doppelmoral des Westens, der palästinensische Aktivisten als „Terroristen“ verdamme, jedoch gleichzeitig die Tatsache ignoriere, dass „Israels Staats-Terror-Maschine genau dasselbe“, lediglich mit höher entwickelten Waffen, tue. Und die Kommentatorin erinnert daran, dass bei der 22-tägigen israelischen Attacke auf Gaza 1.400 Menschen, darunter Frauen und Kinder, ums Leben gekommen waren. „Wir sollten beten, dass wir den Tag erleben, an dem weder Israelis, noch Palästinenser die Notwendigkeit sehen, die Söhne des jeweils anderen zu entführen“, schreibt „Arab News“.
Arabische Kommentatoren sind auch davon überzeugt, dass Hamas, die in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der chaotischen Situation in dem von ihr dominierten Gaza-Streifen enorm an Popularität eingebüßt hat, nun wieder mehr an Sympathie gewonnen haben dürfte. Ihr palästinensischer Gegenspieler Abbas allerdings hat durch seinen jüngsten Auftritt vor der UNO für sich und seine als gemäßigt geltende Fatah großen Zulauf erhalten, eine Entwicklung, die Hamas vorerst kaum bremsen kann.
Politische Kreise in Ägypten weisen mit Stolz auf die Rolle der neuen Führer als Vermittler in diesem Deal hin, die nach dem Sturz Präsident Mubaraks keineswegs zu erwarten war. In den vergangenen Wochen hatten sich die Beziehungen mit Israel drastisch abgekühlt.
Dass der Gefangenenaustausch aber Palästinenser und Israelis dem Frieden näher bringen könnte, glaubt in der Region kaum jemand. Denn die Israelis, so ein palästinensischer Aktivist empört, „haben Bemühungen um die Neubelebung von Friedensverhandlungen getötet“, als sie am Wochenende einen Plan zum Bau der ersten großen jüdischen Siedlung (2.600 Wohnungen) auf palästinensischem Boden seit 25 Jahren bekanntgaben. Friedensgespräche und Landraub zur selben Zeit bleiben für die Palästinenser inakzeptabel.
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von Birgit Cerha
Tausende Palästinenser bereiteten 477 Palästinensern, der ersten Gruppe von Israel freigelassenen Häftlingen in Gaza und West-Jordanien einen emphatischen Empfang, während Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas die Heimkehrer als „Freiheitskämpfer, heilige Krieger für Gott und das Vaterland“ pries. Im Gegensatz zu den Israelis, die einige der im Austausch für den vor fünf Jahren bei einem Einsatz gegen palästinensische Zivilisten von der islamistischen Hamas entführten Soldaten Gilad Shalit aus israelischen Gefängnissen entlassenen verurteilte Palästinenser als Massenmörder sehen, feiert der Großteil der Palästinenser diese Männer als „Helden“ im Kampf gegen ein brutale, übermächtige Besatzung. Dieser Tenor spiegelt sich auch in Reaktionen aus anderen Teilen der arabischen Welt. Kommentatoren weisen etwa darauf hin, dass der zur Weltberühmtheit gelangte Shalit seine Waffe gegen palästinensische Zivilisten gerichtet hatte, als er in die Hände der Hamas-Feinde geraten war.
Palästinensische Menschenrechtsaktivisten sprechen von einem „süß-sauren Deal“ zwischen Hamas und Israel, der viele Fragen offen läßt und viel Unbehagen bereitet. Nicht zuletzt wird auch in andere Teilen der arabischen Welt die Freilassung von 1.027 Palästinensern für nur einen Israeli keineswegs nur als Verhandlungscoup der Hamas gewertet, sondern auch als Hinweis auf die krass unterschiedliche Wertschätzung des Lebens von Arabern und Israelis. Anderseits weisen arabische Kommentatoren auch auf die Unverhältnismäßigkeit der Zahlen von Gefangenen. Während Shalit in der einzige Israeli in palästinensischer Gewalt war, sitzen mehr als 4.000 Palästinenser in israelischer Haft, darunter zahlreiche gewaltlos politische Aktivisten und vor allem auch 164 Kinder im Alter zwischen zwölf und 17, weil sie Steine gegen israelische Soldaten geworfen hatten. Sie werden nicht freigelassen. Palästinensische Menschenrechtsaktivisten sehen auch Parallelen zwischen vielen inhaftierten Palästinensern und dem Friedensnobepreisträger Nelson Mandela, der wegen gewaltlosen politischen Widerstand jahrzehntelang in Südafrika im Gefängnis gelitten hatte.
Die ägyptische Zeitung „Al Ahram“ erinnert auch an Hunderte Palästinenser, die vor drei Wochen aus Protest gegen die brutalen Haftbedingungen in einen unbefristeten Hungerstreik getreten waren. Ihr Schicksal ist vorerst unklar. Die saudische „Arab News“ etwa beklagt bitter die Doppelmoral des Westens, der palästinensische Aktivisten als „Terroristen“ verdamme, jedoch gleichzeitig die Tatsache ignoriere, dass „Israels Staats-Terror-Maschine genau dasselbe“, lediglich mit höher entwickelten Waffen, tue. Und die Kommentatorin erinnert daran, dass bei der 22-tägigen israelischen Attacke auf Gaza 1.400 Menschen, darunter Frauen und Kinder, ums Leben gekommen waren. „Wir sollten beten, dass wir den Tag erleben, an dem weder Israelis, noch Palästinenser die Notwendigkeit sehen, die Söhne des jeweils anderen zu entführen“, schreibt „Arab News“.
Arabische Kommentatoren sind auch davon überzeugt, dass Hamas, die in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der chaotischen Situation in dem von ihr dominierten Gaza-Streifen enorm an Popularität eingebüßt hat, nun wieder mehr an Sympathie gewonnen haben dürfte. Ihr palästinensischer Gegenspieler Abbas allerdings hat durch seinen jüngsten Auftritt vor der UNO für sich und seine als gemäßigt geltende Fatah großen Zulauf erhalten, eine Entwicklung, die Hamas vorerst kaum bremsen kann.
Politische Kreise in Ägypten weisen mit Stolz auf die Rolle der neuen Führer als Vermittler in diesem Deal hin, die nach dem Sturz Präsident Mubaraks keineswegs zu erwarten war. In den vergangenen Wochen hatten sich die Beziehungen mit Israel drastisch abgekühlt.
Dass der Gefangenenaustausch aber Palästinenser und Israelis dem Frieden näher bringen könnte, glaubt in der Region kaum jemand. Denn die Israelis, so ein palästinensischer Aktivist empört, „haben Bemühungen um die Neubelebung von Friedensverhandlungen getötet“, als sie am Wochenende einen Plan zum Bau der ersten großen jüdischen Siedlung (2.600 Wohnungen) auf palästinensischem Boden seit 25 Jahren bekanntgaben. Friedensgespräche und Landraub zur selben Zeit bleiben für die Palästinenser inakzeptabel.
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Samstag, 15. Oktober 2011
Gefährliche Schachzüge zwischen Erzfeinden
Spektakuläre Attentatsvorwürfe alte heizen Konflikte der USA und der Golfregion gegen den Iran bedrohlich auf
von Birgit Cerha
„Der Konkurrenzkampf mit dem Iran gleicht seit langem einem dreidimensionalen Schachspiel“, analysiert Anthony Cordesman, Militärstratege des „Center for Strategic & International Studies“ in Washington. In diesem „Spiel“ aber könne“ jede Seite mit jedem Zug zumindest einige der Regeln verändern“. Sollten tatsächlich, wie US-Präsident Obama behauptet, höchste Kreise der iranischen Führung in einen Attentatsplan zur Ermordung des saudischen Botschafters in den USA verwickelt sein, dann – so Cordesman – hätte der Iran die Spielregeln „radikal“ verändert.
Vorerst freilich mehren sich selbst in den USA die skeptischen Stimmen. Terror-Experten, die sich seit der „Islamischen Revolution“ 1979 mit iranischen Gewaltakten im Ausland befassen, schätzen, wie Robert Baer vom US-Geheimdienst CIA, dasam 11. Oktober von US-Justizminister Holder bekanntgegebene Mordkomplott als „völlig uncharakteristisch“. Es widerspräche total bisherigem iranischem Verhalten. Botschafter Adel al-Jubeir sollte durch eine Bombe in einem Nobelrestaurant in Washington getötet werden und für das Attentat sei ein Mitglied der mexikanischen Drogenbande „Los Zetas“ angeheuert worden. Es bestünden direkte Verbindungen zur „Al-Kuds“-Einheit der iranischen Revolutionsgarden.
Der absurde Dilettantentum des Komplotts läßt eine Verwicklung der Garden höchst unwahrscheinlich erscheinen. Zudem hat die für Gewaltakte im Ausland zuständige “ Al-Kuds“ sich bisher auf die Region – den Irak oder den Libanon – beschränkt. Zahlreiche, teils grausige Morde an iranischen Regimegegnern in den 80er Jahren in Europa gingen auf das Konto des Geheimdienstes. Dennoch weisen Experten darauf hin, dass 2005 die Einsatzregeln für die Garden stark liberalisiert und damit Gewaltakte auch ohne Zustimmung der höchsten Führung möglich wurden. Hinzu kommt, dass im Iran ein interner Machtkampf tobt, der die Strategie des Regimes noch unberechenbarer macht als bisher.
Dennoch herrscht kein Zweifel, dass eine dreiste Provokation zweier geostrategischer Rivalen – der USA und Saudi-Arabiens – nicht in iranischem Interesse liegen kann, da sie einen US-Vergeltungsschlag wahrscheinlich machen würde. Ungeachtet der bekannten Verbalaggressionen Präsident Ahmadinedschads halten Iran-Experten die Teheran Führung für rational, „exzentrisch aber nicht selbstmörderisch“.
Doch Obama beharrt, die Beweise seien eindeutig und sein saudischer Verbündeter stimmt zu. Während die USA von verschärften Sanktionen sprechen, droht Riad „mit eiserner Faust“ zuzuschlagen, während Iran die Vorwürfe heftig zurückweist und sein „Geistlicher Führer“ Khamenei die Welt der „Islam- und Iran-Phobie“ zeiht. „Es ist eine neue Szene in dem seit drei Jahrzehnten währenden Spiel zwischen den USA und dem Iran, sowie Iran und den Nachbarstaaten“, meint Cordesman, ein Spiel das wegen des iranischen Atomprogramms eskalierte und nun gefährliche Dimensionen annehmen könnte.
Die Revolutionsgarden haben sich in der Vergangenheit in Irans Rivalitätskampf gegen die USA um Vorherrschaft in der Region vor allem auf Stellvertreterkriege konzentriert – insbesondere im Libanon, im Irak und in Afghanistan. Stets waren dort die Feinde nicht nur von den USA unterstützte Gruppen, sondern auch von Saudi-Arabien, dem der Iran die Führungsrolle in der islamischen Welt und am Persischen Golf streitig macht. Seit zu Jahresbeginn der „Arabische Frühling“ die Region in Turbulenzen stürzt, mußten die Iraner demütigende Rückschläge einstecken. Nicht nur wollen die freiheitshungrigen Bürger vom „iranischen Modell“ nichts wissen, vor seiner Haustür in Bahrain mußte Teheran tatenlos zusehen, wie eine von Saudi-Arabien geleitete Militärintervention die Rebellion seiner schiitischen Glaubensbrüder gegen das autoritäre sunnitische Königshaus brutal niederwalzte. Zudem kennt auch Teheran die von Wikileaks verbreitete Nachricht, dass saudische Führer, verängstigt durch Irans Atomprogramm, immer und immer wieder Washington zu einem Militärschlag gegen den Rivalen drängen. Krieg aber wollen weder die Saudis, noch die Iraner riskieren.
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von Birgit Cerha
„Der Konkurrenzkampf mit dem Iran gleicht seit langem einem dreidimensionalen Schachspiel“, analysiert Anthony Cordesman, Militärstratege des „Center for Strategic & International Studies“ in Washington. In diesem „Spiel“ aber könne“ jede Seite mit jedem Zug zumindest einige der Regeln verändern“. Sollten tatsächlich, wie US-Präsident Obama behauptet, höchste Kreise der iranischen Führung in einen Attentatsplan zur Ermordung des saudischen Botschafters in den USA verwickelt sein, dann – so Cordesman – hätte der Iran die Spielregeln „radikal“ verändert.
Vorerst freilich mehren sich selbst in den USA die skeptischen Stimmen. Terror-Experten, die sich seit der „Islamischen Revolution“ 1979 mit iranischen Gewaltakten im Ausland befassen, schätzen, wie Robert Baer vom US-Geheimdienst CIA, dasam 11. Oktober von US-Justizminister Holder bekanntgegebene Mordkomplott als „völlig uncharakteristisch“. Es widerspräche total bisherigem iranischem Verhalten. Botschafter Adel al-Jubeir sollte durch eine Bombe in einem Nobelrestaurant in Washington getötet werden und für das Attentat sei ein Mitglied der mexikanischen Drogenbande „Los Zetas“ angeheuert worden. Es bestünden direkte Verbindungen zur „Al-Kuds“-Einheit der iranischen Revolutionsgarden.
Der absurde Dilettantentum des Komplotts läßt eine Verwicklung der Garden höchst unwahrscheinlich erscheinen. Zudem hat die für Gewaltakte im Ausland zuständige “ Al-Kuds“ sich bisher auf die Region – den Irak oder den Libanon – beschränkt. Zahlreiche, teils grausige Morde an iranischen Regimegegnern in den 80er Jahren in Europa gingen auf das Konto des Geheimdienstes. Dennoch weisen Experten darauf hin, dass 2005 die Einsatzregeln für die Garden stark liberalisiert und damit Gewaltakte auch ohne Zustimmung der höchsten Führung möglich wurden. Hinzu kommt, dass im Iran ein interner Machtkampf tobt, der die Strategie des Regimes noch unberechenbarer macht als bisher.
Dennoch herrscht kein Zweifel, dass eine dreiste Provokation zweier geostrategischer Rivalen – der USA und Saudi-Arabiens – nicht in iranischem Interesse liegen kann, da sie einen US-Vergeltungsschlag wahrscheinlich machen würde. Ungeachtet der bekannten Verbalaggressionen Präsident Ahmadinedschads halten Iran-Experten die Teheran Führung für rational, „exzentrisch aber nicht selbstmörderisch“.
Doch Obama beharrt, die Beweise seien eindeutig und sein saudischer Verbündeter stimmt zu. Während die USA von verschärften Sanktionen sprechen, droht Riad „mit eiserner Faust“ zuzuschlagen, während Iran die Vorwürfe heftig zurückweist und sein „Geistlicher Führer“ Khamenei die Welt der „Islam- und Iran-Phobie“ zeiht. „Es ist eine neue Szene in dem seit drei Jahrzehnten währenden Spiel zwischen den USA und dem Iran, sowie Iran und den Nachbarstaaten“, meint Cordesman, ein Spiel das wegen des iranischen Atomprogramms eskalierte und nun gefährliche Dimensionen annehmen könnte.
Die Revolutionsgarden haben sich in der Vergangenheit in Irans Rivalitätskampf gegen die USA um Vorherrschaft in der Region vor allem auf Stellvertreterkriege konzentriert – insbesondere im Libanon, im Irak und in Afghanistan. Stets waren dort die Feinde nicht nur von den USA unterstützte Gruppen, sondern auch von Saudi-Arabien, dem der Iran die Führungsrolle in der islamischen Welt und am Persischen Golf streitig macht. Seit zu Jahresbeginn der „Arabische Frühling“ die Region in Turbulenzen stürzt, mußten die Iraner demütigende Rückschläge einstecken. Nicht nur wollen die freiheitshungrigen Bürger vom „iranischen Modell“ nichts wissen, vor seiner Haustür in Bahrain mußte Teheran tatenlos zusehen, wie eine von Saudi-Arabien geleitete Militärintervention die Rebellion seiner schiitischen Glaubensbrüder gegen das autoritäre sunnitische Königshaus brutal niederwalzte. Zudem kennt auch Teheran die von Wikileaks verbreitete Nachricht, dass saudische Führer, verängstigt durch Irans Atomprogramm, immer und immer wieder Washington zu einem Militärschlag gegen den Rivalen drängen. Krieg aber wollen weder die Saudis, noch die Iraner riskieren.
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Montag, 10. Oktober 2011
Chaotische Schlacht um Ägyptens Zukunft
Blutige Zusammenstöße bei Kopten-Demonstration werfen viele Fragen auf – Massenexodus der zunehmend verängstigten Christen
von Birgit Cerha
Ägypten steht unter Schock. Der – relativ – friedliche Weg zu Freiheit, Würde und Demokratie ist ernsthaft gefährdet. Bei den schwersten Zusammenstößen seit dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar kamen Sonntagabend 24 Menschen ums Leben und an die 300 wurden verletzt. Was eigentlich geschah, ist weitgehend unklar. Nach einer rasch einberufenen Sondersitzung der Regierung kündigte der herrschende Militärrat sofortige Untersuchungen an.
Die Unruhen begannen mit einer Demonstration von Kopten und Muslimen im Zentrum Kairos. Nach Berichten von Augenzeugen störten mit Stöcken und Messern bewaffnete Männer in zivil die friedlichen Proteste, Rufe wie „Islamiya“ – ein Slogan der radikal-fundamentalistischen Salafisten – erschallten. Sicherheitskräfte schritten ein und Militärfahrzeuge fuhren ohne Warnung in die Menge. Augenzeugen berichten von grauenvollen Szenen. Die Unruhen breiteten sich auf mehrere Teile Kairos aus.
Protestkundgebungen der Kopten, die seit dem Sturz Mubaraks insbesondere durch Salafisten unter Druck geraten, sind nichts Ungewöhnliches. Doch diesmal hatten die Demonstranten, denen sich auch viele Muslime anschlossen, die Inbrandsetzung einer Kirche durch fanatische Muslime im oberägyptischen Assuan nur zum Anlass genommen, um ihrer tiefen Bitterkeit über den herrschen Militärrat Luft zu machen. Die Kopten werfen den Sicherheitskräften vor, Attacken gegen sie untätig zuzusehen. Die Minderheit klagt über gezielte Einschüchterungsversuche durch Salafisten, die seit dem Sturz Mubaraks ihrem Haß gegen die Christen freien Lauf lassen können.
Seit März sind nach Angaben der ägyptischen Menschenrechtsorganisation an die 100.000 Kopten aus dem Land geflüchtet. Manche halten zwar diese Zahlen für übertrieben, fest steht jedoch, dass die Minderheit, die etwa zehn Prozent der 80-Millionen Bevölkerung zählt, zunehmend um ihre Sicherheit und Zukunft bangt. Mehr als ihre muslimischen Brüder quält die Kopten die Enttäuschung über die neuen Herrscher, die keines der Versprechen, die ihr gleiche Rechte im neuen Ägypten sichern sollen, bis heute erfüllt haben.
Gemeinsam mit Muslimen riefen Kopten Sonntag Abend „Tantawi (der Chef des Militärrates) ist illegitim“ und „Nieder mit Tantawi“, während Gegenstimmen die Einheit von Militär und Bevölkerung beschworen. Viele Ägypter zeigen sich überzeugt, dass das Miitär bewußt das Blutbad angezettelt hätte, um einen tiefen Keil zwischen Kopten und Muslime zu treiben. Einseitige Berichte des staatlichen Fernsehens, die Kopten beschuldigten, sie hätten randaliert und mindestens 86 Soldaten getötet, wirken wie Aufrufe an Muslime zur Gewalt. Der Großscheich von Al-Azhar, die oberste religiöse Autorität des sunnitischen Islam, reichte Montag demonstrativ dem Koptenpapst Shenuda die Hand, um die Einheit zwischen Christen und Muslimen am Nil zu beschwören.
Ägyptische Demokratie-Aktivisten sind davon überzeugt, dass das herrschende Militär, einst als Verteidiger der Revolution gegen Mubarak gefeiert, nun ein äußerst gefährliches Spiel begonnen habe. Durch das Schüren der Unruhe im Land könnten die Generäle eine Übergabe der Macht an demokratisch gewählte Institutionen aufschieben oder gar blockieren. Tatsächlich vertrauen viele Ägypter nicht mehr darauf, dass der Militärrat tatsächlich aus der Politik ausscheiden werde. So wurde die ursprünglich auf sechs Monate festgesetzte Übergangsperiode auf zwei Jahre verlängert. Die seit 20 Jahren herrschenden Notstandsgesetze, die den Sicherheitskräften freie Hand bei Verhaftungen und Folter lassen und deren rasche Aufhebung Tantawi Ende Februar versprochen hatte, wurden weiter verlängert. Ebenso werden immer noch Zivilisten vor Militärgerichte gestellt. In den Medien wird zunehmend offen über die wahren Absichten der Generäle spekuliert. So schreibt die unabhängige „Saut al-Umma“, Ägypten werde heute von einer „Geheimgesellschaft regiert“ und sie meint damit die 20 Generäle des Militärrates. Einige von ihnen wollten „die Revolution begraben“ und „das alte Regime wieder errichten“, während allerdings andere wohl mit den Zielen der Revolution sympathisierten. Doch, klagt der Autor, „die politischen Mechanismen“ und die „echten Loyalitäten“ dieses Gremiums „bleiben im dunkeln“.
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von Birgit Cerha
Ägypten steht unter Schock. Der – relativ – friedliche Weg zu Freiheit, Würde und Demokratie ist ernsthaft gefährdet. Bei den schwersten Zusammenstößen seit dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar kamen Sonntagabend 24 Menschen ums Leben und an die 300 wurden verletzt. Was eigentlich geschah, ist weitgehend unklar. Nach einer rasch einberufenen Sondersitzung der Regierung kündigte der herrschende Militärrat sofortige Untersuchungen an.
Die Unruhen begannen mit einer Demonstration von Kopten und Muslimen im Zentrum Kairos. Nach Berichten von Augenzeugen störten mit Stöcken und Messern bewaffnete Männer in zivil die friedlichen Proteste, Rufe wie „Islamiya“ – ein Slogan der radikal-fundamentalistischen Salafisten – erschallten. Sicherheitskräfte schritten ein und Militärfahrzeuge fuhren ohne Warnung in die Menge. Augenzeugen berichten von grauenvollen Szenen. Die Unruhen breiteten sich auf mehrere Teile Kairos aus.
Protestkundgebungen der Kopten, die seit dem Sturz Mubaraks insbesondere durch Salafisten unter Druck geraten, sind nichts Ungewöhnliches. Doch diesmal hatten die Demonstranten, denen sich auch viele Muslime anschlossen, die Inbrandsetzung einer Kirche durch fanatische Muslime im oberägyptischen Assuan nur zum Anlass genommen, um ihrer tiefen Bitterkeit über den herrschen Militärrat Luft zu machen. Die Kopten werfen den Sicherheitskräften vor, Attacken gegen sie untätig zuzusehen. Die Minderheit klagt über gezielte Einschüchterungsversuche durch Salafisten, die seit dem Sturz Mubaraks ihrem Haß gegen die Christen freien Lauf lassen können.
Seit März sind nach Angaben der ägyptischen Menschenrechtsorganisation an die 100.000 Kopten aus dem Land geflüchtet. Manche halten zwar diese Zahlen für übertrieben, fest steht jedoch, dass die Minderheit, die etwa zehn Prozent der 80-Millionen Bevölkerung zählt, zunehmend um ihre Sicherheit und Zukunft bangt. Mehr als ihre muslimischen Brüder quält die Kopten die Enttäuschung über die neuen Herrscher, die keines der Versprechen, die ihr gleiche Rechte im neuen Ägypten sichern sollen, bis heute erfüllt haben.
Gemeinsam mit Muslimen riefen Kopten Sonntag Abend „Tantawi (der Chef des Militärrates) ist illegitim“ und „Nieder mit Tantawi“, während Gegenstimmen die Einheit von Militär und Bevölkerung beschworen. Viele Ägypter zeigen sich überzeugt, dass das Miitär bewußt das Blutbad angezettelt hätte, um einen tiefen Keil zwischen Kopten und Muslime zu treiben. Einseitige Berichte des staatlichen Fernsehens, die Kopten beschuldigten, sie hätten randaliert und mindestens 86 Soldaten getötet, wirken wie Aufrufe an Muslime zur Gewalt. Der Großscheich von Al-Azhar, die oberste religiöse Autorität des sunnitischen Islam, reichte Montag demonstrativ dem Koptenpapst Shenuda die Hand, um die Einheit zwischen Christen und Muslimen am Nil zu beschwören.
Ägyptische Demokratie-Aktivisten sind davon überzeugt, dass das herrschende Militär, einst als Verteidiger der Revolution gegen Mubarak gefeiert, nun ein äußerst gefährliches Spiel begonnen habe. Durch das Schüren der Unruhe im Land könnten die Generäle eine Übergabe der Macht an demokratisch gewählte Institutionen aufschieben oder gar blockieren. Tatsächlich vertrauen viele Ägypter nicht mehr darauf, dass der Militärrat tatsächlich aus der Politik ausscheiden werde. So wurde die ursprünglich auf sechs Monate festgesetzte Übergangsperiode auf zwei Jahre verlängert. Die seit 20 Jahren herrschenden Notstandsgesetze, die den Sicherheitskräften freie Hand bei Verhaftungen und Folter lassen und deren rasche Aufhebung Tantawi Ende Februar versprochen hatte, wurden weiter verlängert. Ebenso werden immer noch Zivilisten vor Militärgerichte gestellt. In den Medien wird zunehmend offen über die wahren Absichten der Generäle spekuliert. So schreibt die unabhängige „Saut al-Umma“, Ägypten werde heute von einer „Geheimgesellschaft regiert“ und sie meint damit die 20 Generäle des Militärrates. Einige von ihnen wollten „die Revolution begraben“ und „das alte Regime wieder errichten“, während allerdings andere wohl mit den Zielen der Revolution sympathisierten. Doch, klagt der Autor, „die politischen Mechanismen“ und die „echten Loyalitäten“ dieses Gremiums „bleiben im dunkeln“.
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Sonntag, 9. Oktober 2011
Syriens Regime provoziert die Kurden
Mord an prominentem Politiker öffnet eine gefährliche neue Phase im blutigen Kampf des Diktators gegen sein freiheitshungriges Volk
von Birgit Cerha
„Der Mord an meinem Vater wird der Nagel sein im Sarg des Regimes.“ Mit diesen Worten kommentierte Fares Tammo gegenüber der New York Times die dramatische Eskalation der Gewalt in Syrien. Der Vater des jungen, in die Sicherheit des nordirakischen Kurdistan geflüchteten Kurden, war Freitag von vier Bewaffneten, die sein Haus in der nordsyrischen Kurdenstadt Qamishli gestürmt hatten, ermordet worden Ein Sohn und ein politischer Mitstreiter wurden bei dem Überfall verletzt. Das Begräbnis des 53-jährigen Maschaal Tammo wurde Samstag zu einer Protestkundgebung Zehntausender Kurden, die keine Zweifel daran hegen, dass hier das Regime Assad in skurpeloser Brutalität gemordet hat. Und wieder, wie bei so vielen Begräbnissen von getöteten Demonstranten, schossen die Assads Schergen in die unbewaffnete Trauergemeinde. Wieder starben Unschuldige.Der Mord ist von enormer Tragweite für die Entwicklungen im krisengeschüttelten Syrien. Er bedeutet eine offene Provokation der etwa zwei Millionen Menschen zählenden kurdischen Minderheit, die sich seit sieben Monaten größtenteils von den Demonstrationen gegen das Regime ferngehalten hatte. Und Oppositionskreise, wie politische Analysten werten die Tat als Signal für eine neue, noch blutigere Phase im Kampf des schwer angeschlagenen Regimes zur Erhaltung seiner Macht: gezielter Mord an führenden Gegnern. Tammo ist der erste prominente Oppositionspolitiker, der seit Beginn der Revolution getötet wurde. Am selben Tag wurde ein anderer berühmter Gegner Assads, Raid Seif, in Damaskus so brutal zusammengeschlagen, dass er ins Spital eingeliefert werden mußte.
Politische Beobachter befürchten, das Regime sei nun – ermutigt durch die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem monatelangen Blutvergießen in seinem Land – entschlossen, die von Hunderttausenden Demonstranten niedergerissene Mauer der Furcht wieder aufzubauen. Drohungen an all jene Länder, die den jüngst gegründeten „Syrischen Nationalrat“, einen Dachverband der Opposition, anerkennen, sind ein weiterer Beweis für die Entschlossenheit des Diktators, seine Macht um jeden Preis zu retten.
Dazu zählt wohl auch die Provokation der Kurden. Denn greift die Minderheit zu den Waffen, kann Assad mit gesteigerten Ängsten vor allem seines eben abgesprungenen türkischen Verbündeten rechnen, den nichts so sehr beunruhigt als die Möglichkeit eines Aufstands der um ihre Rechte betrogenen Kurden in Syrien, der auch die unterdrückten ethnischen Brüder in der Türkei mitreißen würde. Auf diese Weise könnte Assad vielleicht wieder die Unterstützung Ankaras sichern, das sich in den vergangenen Wochen offen gegen sein Regime gestellt hat.
Auch in Syrien fristen die Kurden, wie in der Türkei und im Iran traditionell ein Dasein in gravierender Unterdrückung und Diskriminierung. Kurdisches Radio und Fernsehen sind ebenso verboten, wie Unterricht in der kurdischen Sprache. Aus Angst vor einem gemeinsamen Kampf mit den Kurden der Türkei um ihre Rechte hat Hafez el Assad, Bashars Vater, bereits in den 70er Jahren entlang der 350 km langen Grenze einen 15 km breiten „arabischen Gürtel“ angelegt, Kurden vertrieben und Araber auf kurdischem Land angesiedelt.
Zu Beginn der Proteste gegen sein Regime versuchte Assad die Kurden auf seine Seite zu ziehen, indem er eine ihre langjährigen Forderungen zu erfüllen versprach: die Vergabe der Staatsbürgerschaft an etwa 300.000 Kurden ohne Dokumente. Wie andere Versprechen des Diktators blieb auch dieses bis heute unerfüllt. Dennoch haben sich die elf – inoffiziellen – kurdischen Parteien bisher nicht offen der Revolution angeschlossen. Denn sie fürchten die Wut des Diktators würde sie – wie in der Vergangenheit durchlitten – noch viel schlimmer treffen als ihre arabischen Mitstreiter. „Wir wollen nicht zu Sündböcken werden“, argumentieren Kurdenvertreter. Zugleich aber konnte die arabische Opposition die Kurden nicht davon überzeugen, dass sie nach dem Sturz Assads der Minderheit die ihr zustehende Rechte garantieren. Wenn Islamisten und arabische Nationalisten den Ton angeben, dann – so die Sorge – könnten die Kurden erneut um ihre Ansprüche betrogen werden. Nach langem Tauziehen aber entschlossen sich Syriens Kurdenparteien, sich doch dem in Istanbul gegründeten Oppositionsrat anzuschließen.
Dass das Regime gerade auf Tammo gezielt hatte, überrascht nicht. Der erst im Sommer nach dreijährigem Gefängnis in die Freiheit entlassene Kurdenführer kämpfte mit eindrucksvollem Mut für seine Vision eines säkularen, demokratischen Syrien, das auch den Kurden die ihnen zustehende Rechte garantieren solle. Er spielte eine entscheidende Rolle bei Bemühungen jugendliche Demonstranten mit der Opposition zusammenzuschließen. Erst vor einem Monat war ein Attentat auf ihn fehlgeschlagen, das ihn nach eigenen Worten nicht von seinem Kampf zu Verwirklichung seiner Vision abhielt. Sein Mord dürfte Syriens zerstrittene Kurden zum Kampf gegen Assad einen.
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von Birgit Cerha
„Der Mord an meinem Vater wird der Nagel sein im Sarg des Regimes.“ Mit diesen Worten kommentierte Fares Tammo gegenüber der New York Times die dramatische Eskalation der Gewalt in Syrien. Der Vater des jungen, in die Sicherheit des nordirakischen Kurdistan geflüchteten Kurden, war Freitag von vier Bewaffneten, die sein Haus in der nordsyrischen Kurdenstadt Qamishli gestürmt hatten, ermordet worden Ein Sohn und ein politischer Mitstreiter wurden bei dem Überfall verletzt. Das Begräbnis des 53-jährigen Maschaal Tammo wurde Samstag zu einer Protestkundgebung Zehntausender Kurden, die keine Zweifel daran hegen, dass hier das Regime Assad in skurpeloser Brutalität gemordet hat. Und wieder, wie bei so vielen Begräbnissen von getöteten Demonstranten, schossen die Assads Schergen in die unbewaffnete Trauergemeinde. Wieder starben Unschuldige.Der Mord ist von enormer Tragweite für die Entwicklungen im krisengeschüttelten Syrien. Er bedeutet eine offene Provokation der etwa zwei Millionen Menschen zählenden kurdischen Minderheit, die sich seit sieben Monaten größtenteils von den Demonstrationen gegen das Regime ferngehalten hatte. Und Oppositionskreise, wie politische Analysten werten die Tat als Signal für eine neue, noch blutigere Phase im Kampf des schwer angeschlagenen Regimes zur Erhaltung seiner Macht: gezielter Mord an führenden Gegnern. Tammo ist der erste prominente Oppositionspolitiker, der seit Beginn der Revolution getötet wurde. Am selben Tag wurde ein anderer berühmter Gegner Assads, Raid Seif, in Damaskus so brutal zusammengeschlagen, dass er ins Spital eingeliefert werden mußte.
Politische Beobachter befürchten, das Regime sei nun – ermutigt durch die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem monatelangen Blutvergießen in seinem Land – entschlossen, die von Hunderttausenden Demonstranten niedergerissene Mauer der Furcht wieder aufzubauen. Drohungen an all jene Länder, die den jüngst gegründeten „Syrischen Nationalrat“, einen Dachverband der Opposition, anerkennen, sind ein weiterer Beweis für die Entschlossenheit des Diktators, seine Macht um jeden Preis zu retten.
Dazu zählt wohl auch die Provokation der Kurden. Denn greift die Minderheit zu den Waffen, kann Assad mit gesteigerten Ängsten vor allem seines eben abgesprungenen türkischen Verbündeten rechnen, den nichts so sehr beunruhigt als die Möglichkeit eines Aufstands der um ihre Rechte betrogenen Kurden in Syrien, der auch die unterdrückten ethnischen Brüder in der Türkei mitreißen würde. Auf diese Weise könnte Assad vielleicht wieder die Unterstützung Ankaras sichern, das sich in den vergangenen Wochen offen gegen sein Regime gestellt hat.
Auch in Syrien fristen die Kurden, wie in der Türkei und im Iran traditionell ein Dasein in gravierender Unterdrückung und Diskriminierung. Kurdisches Radio und Fernsehen sind ebenso verboten, wie Unterricht in der kurdischen Sprache. Aus Angst vor einem gemeinsamen Kampf mit den Kurden der Türkei um ihre Rechte hat Hafez el Assad, Bashars Vater, bereits in den 70er Jahren entlang der 350 km langen Grenze einen 15 km breiten „arabischen Gürtel“ angelegt, Kurden vertrieben und Araber auf kurdischem Land angesiedelt.
Zu Beginn der Proteste gegen sein Regime versuchte Assad die Kurden auf seine Seite zu ziehen, indem er eine ihre langjährigen Forderungen zu erfüllen versprach: die Vergabe der Staatsbürgerschaft an etwa 300.000 Kurden ohne Dokumente. Wie andere Versprechen des Diktators blieb auch dieses bis heute unerfüllt. Dennoch haben sich die elf – inoffiziellen – kurdischen Parteien bisher nicht offen der Revolution angeschlossen. Denn sie fürchten die Wut des Diktators würde sie – wie in der Vergangenheit durchlitten – noch viel schlimmer treffen als ihre arabischen Mitstreiter. „Wir wollen nicht zu Sündböcken werden“, argumentieren Kurdenvertreter. Zugleich aber konnte die arabische Opposition die Kurden nicht davon überzeugen, dass sie nach dem Sturz Assads der Minderheit die ihr zustehende Rechte garantieren. Wenn Islamisten und arabische Nationalisten den Ton angeben, dann – so die Sorge – könnten die Kurden erneut um ihre Ansprüche betrogen werden. Nach langem Tauziehen aber entschlossen sich Syriens Kurdenparteien, sich doch dem in Istanbul gegründeten Oppositionsrat anzuschließen.
Dass das Regime gerade auf Tammo gezielt hatte, überrascht nicht. Der erst im Sommer nach dreijährigem Gefängnis in die Freiheit entlassene Kurdenführer kämpfte mit eindrucksvollem Mut für seine Vision eines säkularen, demokratischen Syrien, das auch den Kurden die ihnen zustehende Rechte garantieren solle. Er spielte eine entscheidende Rolle bei Bemühungen jugendliche Demonstranten mit der Opposition zusammenzuschließen. Erst vor einem Monat war ein Attentat auf ihn fehlgeschlagen, das ihn nach eigenen Worten nicht von seinem Kampf zu Verwirklichung seiner Vision abhielt. Sein Mord dürfte Syriens zerstrittene Kurden zum Kampf gegen Assad einen.
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Freitag, 7. Oktober 2011
Signal für Freiheit und Würde
Kommentar von Birgit Cerha
Das Friedensnobelpreis-Komitee traf eine äußerst kluge Entscheidung. Die Jemenitin Tawakul Karman, die sich diese prestigeträchtige Auszeichnung mit zwei liberianischen Frauenaktivistinnen teilt, leistet in doppelter Hinsicht Herausragendes. Wie Millionen ihrer Gesinnungsgenossen von Tunesien bis Bahrain, riskiert sie seit Monaten ihre Sicherheit, ja ihr Leben für die Erlangung von Freiheit und Würde, die die arabischen Despoten ihren Untertanen seit Jahrzehnten verwehren. Sie organisiert, protestiert und reißt mit. Der Preis soll und wird sie auf diesem Wege bestärken und mit ihr den gesamten „arabischen Frühling“. Dies ist besonders wichtig gerade zu einem Zeitpunkt, da die bedrängten Despoten jede Kompromißbereitschaft verloren haben und für ihre Macht grenzenlos Menschenleben zu opfern bereit sind. Karman und andere der Gewaltlosigkeit verschriebene Aktivisten sind selbst zu dem größten Opfer bereit.
Zugleich bedeutet der Preis auch eine Ermutigung der Frauen, sich endlich aus traditioneller Unterdrückung zu erheben und eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft des Landes, dem Aufbau eines demokratischen Systems zu spielen. Karman zeigt auch hier den Weg vor. Täglich wagen sich unter ihrer Führung mehr Jemenitinnen auf die Straßen. Sie erheben ihre Stimme nicht nur gegen das despotische Regime, sondern gegen eine ganze Generation, die eine massive Unterdrückung ihrer Frauen für akzeptabel hält. Im „Global Gender Gap Report“ des „World Economic Forum“ rangiert der Jemen in der Frage der Beteiligung von Frauen in Wirtschaft und Politik, Chancen auf Bildung und medizinische Versorgung unter 130 Staaten an letzter Stelle. Ein Land, das immer noch die Verheiratung von Mädchen unter zehn Jahren zulässt. Der Preis gibt den sich endlich aufbäumenden Frauen um Karman für ihren Kampf gegen ein mächtiges Patriarchatssystem dringend notwendige neue Kraft.
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Das Friedensnobelpreis-Komitee traf eine äußerst kluge Entscheidung. Die Jemenitin Tawakul Karman, die sich diese prestigeträchtige Auszeichnung mit zwei liberianischen Frauenaktivistinnen teilt, leistet in doppelter Hinsicht Herausragendes. Wie Millionen ihrer Gesinnungsgenossen von Tunesien bis Bahrain, riskiert sie seit Monaten ihre Sicherheit, ja ihr Leben für die Erlangung von Freiheit und Würde, die die arabischen Despoten ihren Untertanen seit Jahrzehnten verwehren. Sie organisiert, protestiert und reißt mit. Der Preis soll und wird sie auf diesem Wege bestärken und mit ihr den gesamten „arabischen Frühling“. Dies ist besonders wichtig gerade zu einem Zeitpunkt, da die bedrängten Despoten jede Kompromißbereitschaft verloren haben und für ihre Macht grenzenlos Menschenleben zu opfern bereit sind. Karman und andere der Gewaltlosigkeit verschriebene Aktivisten sind selbst zu dem größten Opfer bereit.
Zugleich bedeutet der Preis auch eine Ermutigung der Frauen, sich endlich aus traditioneller Unterdrückung zu erheben und eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft des Landes, dem Aufbau eines demokratischen Systems zu spielen. Karman zeigt auch hier den Weg vor. Täglich wagen sich unter ihrer Führung mehr Jemenitinnen auf die Straßen. Sie erheben ihre Stimme nicht nur gegen das despotische Regime, sondern gegen eine ganze Generation, die eine massive Unterdrückung ihrer Frauen für akzeptabel hält. Im „Global Gender Gap Report“ des „World Economic Forum“ rangiert der Jemen in der Frage der Beteiligung von Frauen in Wirtschaft und Politik, Chancen auf Bildung und medizinische Versorgung unter 130 Staaten an letzter Stelle. Ein Land, das immer noch die Verheiratung von Mädchen unter zehn Jahren zulässt. Der Preis gibt den sich endlich aufbäumenden Frauen um Karman für ihren Kampf gegen ein mächtiges Patriarchatssystem dringend notwendige neue Kraft.
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Tawakul Karman: Das Gewissen des Jemen
Die mutige Aktivistin versucht ihrer patriarchalischen Gesellschaft und der Welt zu beweisen, „dass die Frauen alles erreichen können“
von Birgit Cerha
An den Wänden ihres Büros in Sanaa, der Hauptstadt des seit acht Monaten von unermüdlichen Protesten gegen die Diktatur Ali Abdullah Salehs erschütterten Jemen, hängen Porträts von Martin Luther King, Mahatma Gandhi und Nelson Mandela. Tawakul Karman ist eine überzeugte Verfechterin des gewaltlosen Widerstandes selbst gegen die schußbereiten, schwerbewaffneten Sicherheitskräfte eines skrupellos seine Macht verteidigenden Despoten. „Wir lehnen Gewalt ab. Wir wissen, dass Gewalt unserem Land zahllose Probleme beschert hat.“
Die Nachricht, dass sie, gemeinsam mit zwei Frauenaktivistinnen aus Liberia, den Friedensnobelpreis 2011 erhält, erreichte die 32-jährige Jemenitin auf dem „Platz der Veränderung“ im Herzen von Sanaa, wo sie seit Monaten in einem Protest-Zelt ihre Bleibe aufgeschlagen hat, um mit unzähligen Gesinnungsgenossen den Abtritt Salehs durchzusetzen.
Schon lange ist Karman das „Gesicht“ des „arabischen Frühlings“ der Jemeniten und durch ihr unerschrockenes, kompromissloses Engagement für Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen hat sie begonnen auch im Westen das Image des Jemen zu verändern, dieses ärmsten aller arabischen Länder, durchsetzt vom gewalttätigen Fanatismus der Al-Kaida, dominiert von einer erzkonservativen Stammesgesellschaft, ein Land, das den Frauen wie fast kein anderes auf der Welt, gleiche Rechte verwehrt. Umso erstaunlicher, dass gerade dort eine Frau die friedliche Revolte gegen 30-jährige Despotie, gegen Korruption, Vetternwirtschaft, Repression, gravierende soziale Mißstände und die Hoffnungslosigkeit der Jugend inspirierte und in entscheidendem Maß führt.
Durch ihren unerschrockenen, konsequenten Einsatz für ihre Ziele hat Kerman mehr und mehr nicht nur Geschlechtsgenossinnen aus ihren Heimen zum Protest in die Straßen gezogen, sondern sich auch Anerkennung in der jemenitischen Männerwelt erworben. „Sie ist eine der tapfersten Personen in diesem Land“, rühmt sie der Anwalt und Demokratie-Aktivist Khaled al-Anesi. Gerade in einem Land wie dem Jemen sei es besonders schwer für eine Frau in den Straßen für Veränderung zu agitieren.
Tawakul wurde in der südjemenitischen Stadt Taiz in eine große Familie der oberen Mittelschichte geboren. Ihr Vater hatte Saleh als Minister für Rechtsangelegenheiten gedient, bis er sich nach dem Bürgerkrieg zwischen Nord- und Süd-Jemen 1994 der Opposition gegen den zunehmend autokratischen Herrscher anschloß. Tawakul studierte in Sanaa Psychologie, wurde Mitglied der größten Oppositionspartei, der islamistischen Islah und begann als Journalistin wortgewaltig ihre Ideen von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie zu verbreiten. Als Vorsitzende einer Organisation „Frauenjournalisten ohne Ketten“ verteidigt sie seit Jahren Menschenrechte, Meinungsfreiheit und das Recht auf Protest. Schon vor Beginn des „Arabischen Frühlings“ in Tunesien im Dezember2010 erwies sie sich als schmerzender „Stachel im Fleisch“ des Präsidenten, indem sie sich mit einer Gruppe von Gesinnungsgenossen durch wöchentliche Sitzstreiks vor der Universität von Sanaa, oft lautstark, für die Freilassung von politischen Gefangenen, darunter häufig Journalisten, einsetzte.
Sie entschied sich nach eigenen Aussagen für den „revolutionären (gewaltlosen) Weg“, als sie Zeuge einer Vertreibung von 30 Familien aus ihrem Dorf und das Land dieser Menschen dem Präsidenten nahestehenden Stammesführern zugeschlagen wurde. Ihre Proteste und Forderungen an Saleh blieben stets unbeantwortet. „So wurde mir klar“, erzählte sie einmal, „dass das Regime fallen muß“.
Ihre Tätigkeit als Aktivismus empfand sie zunehmend unvereinbar mit der jemenitischen Tradition, die Frauen zum Tragen des Gesichtsschleiers zwingt. Sie legte ihn ab und verhüllt nun lediglich ihre Haare mit einem Tuch. Die Mutter von drei Kindern fühlt sich gestärkt durch die Unterstützung ihres Ehemanns, der oft bei Demonstrationen an ihrer Seite agiert. Das Regime versuchte zunächst, Karman durch Bestechung auf seine Seite zu ziehen. Vergeblich. Daraufhin wurde sie verhaftet, doch zwei Tagen wegen Protesten von 5000 Menschen wieder freigelassen. Den Gefängnisaufenthalt wertet Karman als Erfahrung, die es ihr ermöglicht, weibliche Mitgefangene mit ihren Ideen aufzuklären. Morddrohungen gegen sie und ihre Familie folgten, doch die Freiheitsaktivistin laßt von ihren Zielen – Demokratie, , Menschenrechte, Zivilgesellschaft, Ende der Unterdrückung der Frauen – nicht ab, während der Präsident immer mehr auf Gewalt gegen seine Gegner und Kritiker setzt. „Wir werden beweisen“, sagte sie jüngst, „dass die Frauen alles erreichen können“.
Karman hat einer lebendigen Demokratiebewegung auf die Sprünge geholfen und nicht nur Jemens Frauen, vor allem der orientierung- und chancenlosen Jugend neue Hoffnung gegeben. Die höchste internationale Auszeichnung für Friedensengagement wird ihr und ihren Mitstreitern noch mehr Kraft geben um sich in einem noch lange nicht gewonnenen Kampf gegen die Übermacht der Depoten und Patriarchen erfolgreich zu schlagen.
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von Birgit Cerha
An den Wänden ihres Büros in Sanaa, der Hauptstadt des seit acht Monaten von unermüdlichen Protesten gegen die Diktatur Ali Abdullah Salehs erschütterten Jemen, hängen Porträts von Martin Luther King, Mahatma Gandhi und Nelson Mandela. Tawakul Karman ist eine überzeugte Verfechterin des gewaltlosen Widerstandes selbst gegen die schußbereiten, schwerbewaffneten Sicherheitskräfte eines skrupellos seine Macht verteidigenden Despoten. „Wir lehnen Gewalt ab. Wir wissen, dass Gewalt unserem Land zahllose Probleme beschert hat.“
Die Nachricht, dass sie, gemeinsam mit zwei Frauenaktivistinnen aus Liberia, den Friedensnobelpreis 2011 erhält, erreichte die 32-jährige Jemenitin auf dem „Platz der Veränderung“ im Herzen von Sanaa, wo sie seit Monaten in einem Protest-Zelt ihre Bleibe aufgeschlagen hat, um mit unzähligen Gesinnungsgenossen den Abtritt Salehs durchzusetzen.
Schon lange ist Karman das „Gesicht“ des „arabischen Frühlings“ der Jemeniten und durch ihr unerschrockenes, kompromissloses Engagement für Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen hat sie begonnen auch im Westen das Image des Jemen zu verändern, dieses ärmsten aller arabischen Länder, durchsetzt vom gewalttätigen Fanatismus der Al-Kaida, dominiert von einer erzkonservativen Stammesgesellschaft, ein Land, das den Frauen wie fast kein anderes auf der Welt, gleiche Rechte verwehrt. Umso erstaunlicher, dass gerade dort eine Frau die friedliche Revolte gegen 30-jährige Despotie, gegen Korruption, Vetternwirtschaft, Repression, gravierende soziale Mißstände und die Hoffnungslosigkeit der Jugend inspirierte und in entscheidendem Maß führt.
Durch ihren unerschrockenen, konsequenten Einsatz für ihre Ziele hat Kerman mehr und mehr nicht nur Geschlechtsgenossinnen aus ihren Heimen zum Protest in die Straßen gezogen, sondern sich auch Anerkennung in der jemenitischen Männerwelt erworben. „Sie ist eine der tapfersten Personen in diesem Land“, rühmt sie der Anwalt und Demokratie-Aktivist Khaled al-Anesi. Gerade in einem Land wie dem Jemen sei es besonders schwer für eine Frau in den Straßen für Veränderung zu agitieren.
Tawakul wurde in der südjemenitischen Stadt Taiz in eine große Familie der oberen Mittelschichte geboren. Ihr Vater hatte Saleh als Minister für Rechtsangelegenheiten gedient, bis er sich nach dem Bürgerkrieg zwischen Nord- und Süd-Jemen 1994 der Opposition gegen den zunehmend autokratischen Herrscher anschloß. Tawakul studierte in Sanaa Psychologie, wurde Mitglied der größten Oppositionspartei, der islamistischen Islah und begann als Journalistin wortgewaltig ihre Ideen von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie zu verbreiten. Als Vorsitzende einer Organisation „Frauenjournalisten ohne Ketten“ verteidigt sie seit Jahren Menschenrechte, Meinungsfreiheit und das Recht auf Protest. Schon vor Beginn des „Arabischen Frühlings“ in Tunesien im Dezember2010 erwies sie sich als schmerzender „Stachel im Fleisch“ des Präsidenten, indem sie sich mit einer Gruppe von Gesinnungsgenossen durch wöchentliche Sitzstreiks vor der Universität von Sanaa, oft lautstark, für die Freilassung von politischen Gefangenen, darunter häufig Journalisten, einsetzte.
Sie entschied sich nach eigenen Aussagen für den „revolutionären (gewaltlosen) Weg“, als sie Zeuge einer Vertreibung von 30 Familien aus ihrem Dorf und das Land dieser Menschen dem Präsidenten nahestehenden Stammesführern zugeschlagen wurde. Ihre Proteste und Forderungen an Saleh blieben stets unbeantwortet. „So wurde mir klar“, erzählte sie einmal, „dass das Regime fallen muß“.
Ihre Tätigkeit als Aktivismus empfand sie zunehmend unvereinbar mit der jemenitischen Tradition, die Frauen zum Tragen des Gesichtsschleiers zwingt. Sie legte ihn ab und verhüllt nun lediglich ihre Haare mit einem Tuch. Die Mutter von drei Kindern fühlt sich gestärkt durch die Unterstützung ihres Ehemanns, der oft bei Demonstrationen an ihrer Seite agiert. Das Regime versuchte zunächst, Karman durch Bestechung auf seine Seite zu ziehen. Vergeblich. Daraufhin wurde sie verhaftet, doch zwei Tagen wegen Protesten von 5000 Menschen wieder freigelassen. Den Gefängnisaufenthalt wertet Karman als Erfahrung, die es ihr ermöglicht, weibliche Mitgefangene mit ihren Ideen aufzuklären. Morddrohungen gegen sie und ihre Familie folgten, doch die Freiheitsaktivistin laßt von ihren Zielen – Demokratie, , Menschenrechte, Zivilgesellschaft, Ende der Unterdrückung der Frauen – nicht ab, während der Präsident immer mehr auf Gewalt gegen seine Gegner und Kritiker setzt. „Wir werden beweisen“, sagte sie jüngst, „dass die Frauen alles erreichen können“.
Karman hat einer lebendigen Demokratiebewegung auf die Sprünge geholfen und nicht nur Jemens Frauen, vor allem der orientierung- und chancenlosen Jugend neue Hoffnung gegeben. Die höchste internationale Auszeichnung für Friedensengagement wird ihr und ihren Mitstreitern noch mehr Kraft geben um sich in einem noch lange nicht gewonnenen Kampf gegen die Übermacht der Depoten und Patriarchen erfolgreich zu schlagen.
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Mittwoch, 5. Oktober 2011
Sieg für einen Schlächter
von Birgit Cerha
2.700 Tote, 10.000 Gefangene, Verschwundene in unbekannter Zahl, Massenexekutionen und Folter, eine terrorisierte, immer tiefer ins Elend schlitternde Bevölkerung, gequält von der Erkenntnis, dass das Schlimmste – ein Bürgerkrieg – erst noch bevorsteht. China und Rußland haben durch ihr Veto gegen die erste rechtlich bindende Sanktions-Resolution der UNO seit Beginn der Proteste in Syrien vor sechs Monaten, dem Regime Assad einen wichtigen diplomatischen Sieg beschert und die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft nicht nur gegenüber den Brutalitäten der syrischen Herrscher, sondern gegenüber den Revolten des Arabischen Frühlings auch anderswo dramatisch entlarvt. Mordende Despoten, wie der Jemenit Saleh, schöpfen neuen Mut. Eskalation der Gewalt lautet die – indirekte – UNO-Botschaft der Uneinigkeit an die von Revolten erschütterten Länder. Die Strategen des gewaltlosen syrischen Widerstandes verlieren, derart von der Weltgemeinschaft verraten, ihre Kraft. Der Ruf nach Waffen erschallt immer lauter. Für beide Seiten gibt es kein Zurück.
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2.700 Tote, 10.000 Gefangene, Verschwundene in unbekannter Zahl, Massenexekutionen und Folter, eine terrorisierte, immer tiefer ins Elend schlitternde Bevölkerung, gequält von der Erkenntnis, dass das Schlimmste – ein Bürgerkrieg – erst noch bevorsteht. China und Rußland haben durch ihr Veto gegen die erste rechtlich bindende Sanktions-Resolution der UNO seit Beginn der Proteste in Syrien vor sechs Monaten, dem Regime Assad einen wichtigen diplomatischen Sieg beschert und die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft nicht nur gegenüber den Brutalitäten der syrischen Herrscher, sondern gegenüber den Revolten des Arabischen Frühlings auch anderswo dramatisch entlarvt. Mordende Despoten, wie der Jemenit Saleh, schöpfen neuen Mut. Eskalation der Gewalt lautet die – indirekte – UNO-Botschaft der Uneinigkeit an die von Revolten erschütterten Länder. Die Strategen des gewaltlosen syrischen Widerstandes verlieren, derart von der Weltgemeinschaft verraten, ihre Kraft. Der Ruf nach Waffen erschallt immer lauter. Für beide Seiten gibt es kein Zurück.
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Samstag, 1. Oktober 2011
Wieder ein Schlag für Al-Kaida
Die Bedeutung des Todes von Anwar al Awlaki im Jemen „läßt sich nicht überschätzen"
von Birgit Cerha
„Ich schätze die Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) mit Anwar al Awlaki als einen der Führer in der Organisation für wahrscheinlich die bedeutendste Gefahr für die USA ein.“ Das stellte vor wenigen Monaten Michael Leiter, der Direktor des „National Counterterrorism Center“ in den USA in einer Anhörung des Kongresses in Washington fest. Seit Jahren steht der in den USA geborene islamische Prediger jemenitischer Herkunft im Spitzenfeld der von der US-Administration meistgesuchten mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verknüpften Extremisten. Nur vier Monate nach der Tötung von Al-Kaida Chef Osama bin Laden ist nun auch Awlaki ausgeschaltet. US-Regierungskreise bestätigten Freitag die Erklärung des jemenitischen Verteidigungsministers, dass der Geistliche durch eine Attacke aus der Luft in der ostjemenitischen Provinz Marib, einer der Hochburgen der AKAH, getötet worden sei. Nähere Einzelheiten, insbesondere die entscheidende Frage ob die jemenitische Luftwaffe oder eine US-Drohne die Attacke durchgeführt hatte, bleiben vorerst geheim. Mehrmals hatten die USA offensichtlich bereits versucht, mit Hilfe von Kampfdrohnen Awlaki zu töten, eine gefährliche Strategie, das sie eine ohnedies der Supermacht gegenüber kritische eingestellte lokale Bevölkerung noch stärker gegen sich aufbringen könnte.
Aus westlichen Regierungskreisen heißt es, der Tod Awlakis „läßt sich nicht überschätzen“.
Es gäbe für diesen feurigen Extremistenprediger „keinen offensichtlichen Ersatz“. Und vielleicht sei dies ein Hinweis darauf, dass Ängste vor einer Ausbreitung mit Al-Kaida verbundener Jihadis im derzeitigen Chaos des Jemen nicht volle Berechtigung besäßen. So zumindest eine optimistische Analyse.
Doch was unterschied Awlaki von anderen führenden Al-Kaida Extremisten weltweit, das ihn, der sich seit Jahren im fernen Jemen versteckt hielt, so gefährlich machte?
Im Gegensatz zu allen anderen Al-Kaida Führern besaß der 1971 um US-Staat New Mexico als Kind einer wohlhabenden jemenitischen Familie – der Vater war Landwirtschaftsminister und Präsident der Universität von Sanaa – geborene Anwar die amerikanische Staatsbürgerschaft, die ihm jederzeit die Einreise in die USA ermöglichte, wo er sich durch seine Predigten in Moscheen und bei seiner Arbeit als Vizepräsident einer islamischen Hilfsorganisation (die laut US-Geheimdienst FBI als „Frontorganisation zur finanziellen Unterstützung für Terroristen“ dient und deren Chef engen Kontakt mit Bin Laden hatte) einen Kreis von Sympathisanten aufgebaut hatte.
Nachdem Awlaki in seinen unter Gleichgesinnten hochpopulären Internet- und Videobotschaften zur Tötung von Amerikanern aufgerufen hatte, setzte ihn Präsident Obama im April 2010 auf die „Most Wanted“ –Liste der USA und schließlich als ersten US-Staatsbürger auf eine Tötungsliste. Zu den Vorwürfen gegen den Haßprediger zählen – zumindest indirekte . Kontakte mit drei der Attentäter vom 11. September 2001, die nachweislich seine Moschee besucht hatten, sowie Verbindung mit dem Amokläufer von Fort Hood, der Ende 2009 auf dem texanischen Militärstützpunkt von Fort Hood zwölf Soldaten und einen Zivilisten getötet hatte. Ebenso soll er auch Kontakt mit dem Nigerianer Farouk Abdulmutallab gehabt haben, der zu Weihnachten 2009 ein US-Passagierflugzeug in die Luft zu sprengen versuchte.
Seit 2004 hielt sich Awlaki mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in seiner jemenitischen Heimat auf, wo er an der al-Iman Universität in Sanaa unterrichtete, bis er sich schließlich angesichts verschärften Drucks durch das mit den USA im Anti-Terrorkrieg verbündete Regime in Sanaa, unter den Schutz seines großen und mächtigen Awalik-Stammes in den Gebirgsregionen von Schabwa und Marib begab. Aus internen Gründen, in seinem Seiltanz zur Erhaltung der Macht, wagte es Präsident Saleh nicht, mit der von Washington geforderten Entschlossenheit gegen Awlaki vorzugehen.- Ein jemenitischen Gericht verurteilte ihn lediglich im Januar in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis wegen seiner Rolle bei der Ermordung eines französischen Unternehmers in Sanaa 2010.
Zwar hatte Awlaki, der in den USA das Studium des Zivilingenieurs und der Erziehungswissenschaften abgeschlossen hatte, nur wenige Monate islamische Lehren studiert, doch sein feuriges Charisma und seine Rhetorik machten ihn so gefährlich. Durch sein perfektes Englisch konnte er auch in nicht-arabischen Kreisen im Westen Rekruten für den Jihad gewinnen. In der AKAH aber spielte er nach Einschätzung von Terror-Experten eher als „geistlicher Mentor“, zur Anwerbung für den tödlichen Jihad gegen den amerikanischen und westlichen Feind em denn als Organisator von Gewaltakten eine entscheidende Rolle.
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von Birgit Cerha
„Ich schätze die Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) mit Anwar al Awlaki als einen der Führer in der Organisation für wahrscheinlich die bedeutendste Gefahr für die USA ein.“ Das stellte vor wenigen Monaten Michael Leiter, der Direktor des „National Counterterrorism Center“ in den USA in einer Anhörung des Kongresses in Washington fest. Seit Jahren steht der in den USA geborene islamische Prediger jemenitischer Herkunft im Spitzenfeld der von der US-Administration meistgesuchten mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verknüpften Extremisten. Nur vier Monate nach der Tötung von Al-Kaida Chef Osama bin Laden ist nun auch Awlaki ausgeschaltet. US-Regierungskreise bestätigten Freitag die Erklärung des jemenitischen Verteidigungsministers, dass der Geistliche durch eine Attacke aus der Luft in der ostjemenitischen Provinz Marib, einer der Hochburgen der AKAH, getötet worden sei. Nähere Einzelheiten, insbesondere die entscheidende Frage ob die jemenitische Luftwaffe oder eine US-Drohne die Attacke durchgeführt hatte, bleiben vorerst geheim. Mehrmals hatten die USA offensichtlich bereits versucht, mit Hilfe von Kampfdrohnen Awlaki zu töten, eine gefährliche Strategie, das sie eine ohnedies der Supermacht gegenüber kritische eingestellte lokale Bevölkerung noch stärker gegen sich aufbringen könnte.
Aus westlichen Regierungskreisen heißt es, der Tod Awlakis „läßt sich nicht überschätzen“.
Es gäbe für diesen feurigen Extremistenprediger „keinen offensichtlichen Ersatz“. Und vielleicht sei dies ein Hinweis darauf, dass Ängste vor einer Ausbreitung mit Al-Kaida verbundener Jihadis im derzeitigen Chaos des Jemen nicht volle Berechtigung besäßen. So zumindest eine optimistische Analyse.
Doch was unterschied Awlaki von anderen führenden Al-Kaida Extremisten weltweit, das ihn, der sich seit Jahren im fernen Jemen versteckt hielt, so gefährlich machte?
Im Gegensatz zu allen anderen Al-Kaida Führern besaß der 1971 um US-Staat New Mexico als Kind einer wohlhabenden jemenitischen Familie – der Vater war Landwirtschaftsminister und Präsident der Universität von Sanaa – geborene Anwar die amerikanische Staatsbürgerschaft, die ihm jederzeit die Einreise in die USA ermöglichte, wo er sich durch seine Predigten in Moscheen und bei seiner Arbeit als Vizepräsident einer islamischen Hilfsorganisation (die laut US-Geheimdienst FBI als „Frontorganisation zur finanziellen Unterstützung für Terroristen“ dient und deren Chef engen Kontakt mit Bin Laden hatte) einen Kreis von Sympathisanten aufgebaut hatte.
Nachdem Awlaki in seinen unter Gleichgesinnten hochpopulären Internet- und Videobotschaften zur Tötung von Amerikanern aufgerufen hatte, setzte ihn Präsident Obama im April 2010 auf die „Most Wanted“ –Liste der USA und schließlich als ersten US-Staatsbürger auf eine Tötungsliste. Zu den Vorwürfen gegen den Haßprediger zählen – zumindest indirekte . Kontakte mit drei der Attentäter vom 11. September 2001, die nachweislich seine Moschee besucht hatten, sowie Verbindung mit dem Amokläufer von Fort Hood, der Ende 2009 auf dem texanischen Militärstützpunkt von Fort Hood zwölf Soldaten und einen Zivilisten getötet hatte. Ebenso soll er auch Kontakt mit dem Nigerianer Farouk Abdulmutallab gehabt haben, der zu Weihnachten 2009 ein US-Passagierflugzeug in die Luft zu sprengen versuchte.
Seit 2004 hielt sich Awlaki mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in seiner jemenitischen Heimat auf, wo er an der al-Iman Universität in Sanaa unterrichtete, bis er sich schließlich angesichts verschärften Drucks durch das mit den USA im Anti-Terrorkrieg verbündete Regime in Sanaa, unter den Schutz seines großen und mächtigen Awalik-Stammes in den Gebirgsregionen von Schabwa und Marib begab. Aus internen Gründen, in seinem Seiltanz zur Erhaltung der Macht, wagte es Präsident Saleh nicht, mit der von Washington geforderten Entschlossenheit gegen Awlaki vorzugehen.- Ein jemenitischen Gericht verurteilte ihn lediglich im Januar in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis wegen seiner Rolle bei der Ermordung eines französischen Unternehmers in Sanaa 2010.
Zwar hatte Awlaki, der in den USA das Studium des Zivilingenieurs und der Erziehungswissenschaften abgeschlossen hatte, nur wenige Monate islamische Lehren studiert, doch sein feuriges Charisma und seine Rhetorik machten ihn so gefährlich. Durch sein perfektes Englisch konnte er auch in nicht-arabischen Kreisen im Westen Rekruten für den Jihad gewinnen. In der AKAH aber spielte er nach Einschätzung von Terror-Experten eher als „geistlicher Mentor“, zur Anwerbung für den tödlichen Jihad gegen den amerikanischen und westlichen Feind em denn als Organisator von Gewaltakten eine entscheidende Rolle.
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