Sonntag, 23. Oktober 2011

Saudi-Arabiens Nachfolge-Labyrinth

Der Tod des Kronprinzen rückt in einem Zeitpunkt regionaler Turbulenzen die ungelöste Frage der künftigen Führung des Königreichs ins Rampenlicht


(Bild: Kronprinz Sultan (rechts) mit Prinz Najef)


von Birgit Cerha

Fünf Jahrzehnte lang spielte Prinz Sultan bin Abdulaziz al Saud eine zentrale Rolle in der Politik des Königreichs. Ab 1963 Verteidigungsminister, modernisierte er mit gigantischem finanziellen Aufwand die saudischen Streitkräfte, ohne dass sich das Königreich allerdings nach Einschätzung von Experten tatsächlich im Notfall allein verteidigen könnte. Nach seinem Aufstieg auf den Thron 2005 ernannte König Abdullah seinen Halb-Bruder Sultan zum Nachfolger. Nun erlag Sultan in einem New Yorker Hospital einem jahrelangen Krebsleiden.Wiewohl Sultans Nachfolge geklärt erscheint, wirft der Tod des 86-Jährigen ein Schlaglicht auf das Labyrinth des Hauses Saud mit seinen 8.000 Prinzen, dominiert von den noch lebenden Söhnen des Landesgründers Abdul Aziz ibn Saud.

Die höchste Autorität in Fragen der Nachfolge ruht traditionell in den Händen des Königs, der seine Entscheidung bisher stets im Geheimen traf. Doch Abdullah rief 2006 einen „Loyalitätsrat“ aus 33 Mitgliedern – alle Söhne und Enkel Abdul Aziz‘ – ins Leben, der im Namen der Stabilität und Transparenz Nachfolgefragen klären soll. In dem Rat ist jeder Zweig der Königsfamilie vertreten. Der Monarch präsentiert einen Kandidaten und das Gremium hat darüber abzustimmen, eine Prozedur, die bis heute noch nicht erprobt wurde.
Dennoch erscheint es sicher, dass der bisherige stellvertretende Kronprinz, Innenminister Prinz Naif, die Position seines verstorbenen Vollbruders übernehmen wird. Die Thronfolge wird traditionell in Saudi-Arabien nicht auf Sohn oder Tochter, wie in europäischen Königshäusern, vererbt, sondern linear unter den ursprünglich 35 Söhnen des Staatsgründers, von denen heute noch 19 am Leben sind. Das Senioritätsprinzip ist dabei nicht unbedingt ausschlaggebend.

Da der 88-jährige König Abdullah zunehmend vom Alter gezeichnet ist, besitzt Naif eine große Chance tatsächlich an die Spitze des Königreiches aufzusteigen. Der Prinz ist erst 77, allerdings halten sich Gerüchte, dass auch sein Gesundheitszustand beträchlich angeschlagen ist. Möglicherweise leidet er an Leukämie. Sein Ministerium, so heißt es, werde de facto von seinen beiden Söhnen geleitet.

Im Gegensatz zu Abdullah, der als vorsichtiger Reformer durchaus Popularität unter seinen Untertanen genießt, ist Najef ein eng mit dem radikalen Wahabiten-Geistlichen verbündeter erzkonservastiver Hardliner. Als Innenminister leitete er nach sei blutigen Terroranschlägen im Königreich 2003 massive Vernichtungsschläge gegen die Al-Kaida, deren Mitglieder entweder im Gefängnis oder überwiegend im jemenitischen Exil landeten. Liberalere Kreise des nicht dem Haus Saud angehörenden Establishments fürchten, dass unter Najefs Einfluß selbst vorsichtige Reformen blockiert werden könnten. So sprach sich Najef offen gegen den vom König jüngst verkündeten Plan aus, Frauen ab 2015 das Wahlrecht zuzugestehen. Und er vertritt auch eine harte Linie gegenüber protestierenden Reformbewegungen, die die gesamte Region erfaßt haben, darunter auch die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien.

Während an Najefs Rolle kein Zweifel besteht ist mittelfristig die Nachfolge im Königshaus völlig ungeklärt. Denn Ibn Sauds Söhne sind alle an die 80 oder krank und wer von den unzähligen, teilweise einflußreichen und politisch erfahrenen Enkeln an die Staatsspitze aufrücken könnte, bleibt vollends im dunkeln. Immer mehr Saudis beunruhigt diese Intransparenz des Königshauses, das seine teilweise hochgebildeten Untertanen nicht nur von jeder Mitsprache ausschließt, sondern auch über alle entscheidenden Machtfragen im dunkeln laßt, nicht zuletzt dank der zahlreichen vom Haus Saud finanzierten Medien.

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