Der Gefangenenaustausch zwischen einem Israeli und 1.027 Palästinensern löst in der arabischen Welt Befriedigung, doch auch viel Ärger aus
von Birgit Cerha
Tausende Palästinenser bereiteten 477 Palästinensern, der ersten Gruppe von Israel freigelassenen Häftlingen in Gaza und West-Jordanien einen emphatischen Empfang, während Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas die Heimkehrer als „Freiheitskämpfer, heilige Krieger für Gott und das Vaterland“ pries. Im Gegensatz zu den Israelis, die einige der im Austausch für den vor fünf Jahren bei einem Einsatz gegen palästinensische Zivilisten von der islamistischen Hamas entführten Soldaten Gilad Shalit aus israelischen Gefängnissen entlassenen verurteilte Palästinenser als Massenmörder sehen, feiert der Großteil der Palästinenser diese Männer als „Helden“ im Kampf gegen ein brutale, übermächtige Besatzung. Dieser Tenor spiegelt sich auch in Reaktionen aus anderen Teilen der arabischen Welt. Kommentatoren weisen etwa darauf hin, dass der zur Weltberühmtheit gelangte Shalit seine Waffe gegen palästinensische Zivilisten gerichtet hatte, als er in die Hände der Hamas-Feinde geraten war.
Palästinensische Menschenrechtsaktivisten sprechen von einem „süß-sauren Deal“ zwischen Hamas und Israel, der viele Fragen offen läßt und viel Unbehagen bereitet. Nicht zuletzt wird auch in andere Teilen der arabischen Welt die Freilassung von 1.027 Palästinensern für nur einen Israeli keineswegs nur als Verhandlungscoup der Hamas gewertet, sondern auch als Hinweis auf die krass unterschiedliche Wertschätzung des Lebens von Arabern und Israelis. Anderseits weisen arabische Kommentatoren auch auf die Unverhältnismäßigkeit der Zahlen von Gefangenen. Während Shalit in der einzige Israeli in palästinensischer Gewalt war, sitzen mehr als 4.000 Palästinenser in israelischer Haft, darunter zahlreiche gewaltlos politische Aktivisten und vor allem auch 164 Kinder im Alter zwischen zwölf und 17, weil sie Steine gegen israelische Soldaten geworfen hatten. Sie werden nicht freigelassen. Palästinensische Menschenrechtsaktivisten sehen auch Parallelen zwischen vielen inhaftierten Palästinensern und dem Friedensnobepreisträger Nelson Mandela, der wegen gewaltlosen politischen Widerstand jahrzehntelang in Südafrika im Gefängnis gelitten hatte.
Die ägyptische Zeitung „Al Ahram“ erinnert auch an Hunderte Palästinenser, die vor drei Wochen aus Protest gegen die brutalen Haftbedingungen in einen unbefristeten Hungerstreik getreten waren. Ihr Schicksal ist vorerst unklar. Die saudische „Arab News“ etwa beklagt bitter die Doppelmoral des Westens, der palästinensische Aktivisten als „Terroristen“ verdamme, jedoch gleichzeitig die Tatsache ignoriere, dass „Israels Staats-Terror-Maschine genau dasselbe“, lediglich mit höher entwickelten Waffen, tue. Und die Kommentatorin erinnert daran, dass bei der 22-tägigen israelischen Attacke auf Gaza 1.400 Menschen, darunter Frauen und Kinder, ums Leben gekommen waren. „Wir sollten beten, dass wir den Tag erleben, an dem weder Israelis, noch Palästinenser die Notwendigkeit sehen, die Söhne des jeweils anderen zu entführen“, schreibt „Arab News“.
Arabische Kommentatoren sind auch davon überzeugt, dass Hamas, die in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der chaotischen Situation in dem von ihr dominierten Gaza-Streifen enorm an Popularität eingebüßt hat, nun wieder mehr an Sympathie gewonnen haben dürfte. Ihr palästinensischer Gegenspieler Abbas allerdings hat durch seinen jüngsten Auftritt vor der UNO für sich und seine als gemäßigt geltende Fatah großen Zulauf erhalten, eine Entwicklung, die Hamas vorerst kaum bremsen kann.
Politische Kreise in Ägypten weisen mit Stolz auf die Rolle der neuen Führer als Vermittler in diesem Deal hin, die nach dem Sturz Präsident Mubaraks keineswegs zu erwarten war. In den vergangenen Wochen hatten sich die Beziehungen mit Israel drastisch abgekühlt.
Dass der Gefangenenaustausch aber Palästinenser und Israelis dem Frieden näher bringen könnte, glaubt in der Region kaum jemand. Denn die Israelis, so ein palästinensischer Aktivist empört, „haben Bemühungen um die Neubelebung von Friedensverhandlungen getötet“, als sie am Wochenende einen Plan zum Bau der ersten großen jüdischen Siedlung (2.600 Wohnungen) auf palästinensischem Boden seit 25 Jahren bekanntgaben. Friedensgespräche und Landraub zur selben Zeit bleiben für die Palästinenser inakzeptabel.
Dienstag, 18. Oktober 2011
„Ein süß-saurer Deal“
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