„Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ gilt heute als die weitaus aktivste und gefährlichste Filiale des Terrornetzes
von Birgit Cerha
Und wieder führt die Spur in den Jemen. US-Behörden hegen keine Zweifel, dass „Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) für das jüdische Ziele in den USA anvisierende Cargo-Bomben-Komplott verantwortlich ist. Dank saudischer Informationen konnte Sicherheitskräfte auf den Flughäfen von Dubai und East Midlands in England in Cargo-Maschinen, die aus dem Jemen abgeflogen waren, je ein Sprengstoffpaket entdecken und entschärfen. US-Präsident Obama spricht von „glaubhafter Terror-Bedrohung“ und amerikanische Anti-Terror-Experten stufen schon seit einiger Zeit AKAH als die derzeit wohl gefährlichste und „aktivste Al-Kaida“ Filiale ein.
Tatsächlich dürfte sich dank des massiven militärischen Drucks der USA und auch Pakistans auf die Al-Kaida Führung im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan das Zentrum des internationalen Terrorismus mehr und mehr an die südliche Spitze der Arabischen Halbinsel verlagern, weit entfernt von amerikanischen Truppenkonzentrationen.Der bitterarme Jemen, in dem traditionell salafistisches Gedankengut reiche Blüte treibt, gilt schon seit langem als ideales Rekrutierungsfeld für Jihadis. Schon in den 80er Jahren fanden sich in keinem anderen arabischen Land so viele junge Männer bereit, im Guerillakampf gegen die sowjetische Besatzungsmacht in Afghanistan ihr Leben zu riskieren. Die hochmilitarisierte Stammesgesellschaft, in der schon jeder Jugendliche seine Männlichkeit durch die Waffe zu beweisen hat, förderte solche Einsätze. So auch heute für andere Ziele.
Jemens Präsident Ali Abdallah Saleh versprach volle Aufklärung des Komplotts und nun wohl auch bedingungslose Kooperation im Anti-Terror-Krieg seines amerikanischen Verbündeten. Denn nun sehen sich Saleh und sein Regime durch die Extremisten auch direkt bedroht. Lange hatte der jemenitische Herrscher diesen gemeinsamen Kampf nur halbherzig geführt, primär bestrebt, materielle und strategische Profite aus der Allianz mit der Supermacht zu ziehen. Al-Kaida wollte seiner Herrschaft ohnedies nichts anhaben. Mit kriegerischen Konflikten im Norden, wie auch im Süden des Landes konfrontiert, bei gleichzeitig wachsender Unfähigkeit, die mächtigen Stämme unter Kontrolle zu halten, konnte Saleh nicht riskieren, sich noch einen weiteren potentiell sehr gefährlichen Feind zu schaffen. Doch diese Strategie erwies sich als Bumerang.
AKAH, wie sich die Gruppe heute nennt, machte mehrere Phasen durch. Terrorchef Osama bin Laden, stützte sich bereits seit den 80er Jahre in seinem Kampf in Afghanistan auf jemenitische Leibwächter. Viele jemenitische und saudische Jihadis kehrten nach der US-Invasion Afghanistans 2001 wieder heim. In Saudi-Arabien verübten sie mehrere spektakuläre Terrorakte, während sie im Jemen durch CIA-Dronen-Attacken empfindlich geschwächt erschienen. Seit dem Anschlag auf das Kriegsschiff USS Cole im südjemenitischen Hafen von Aden 2000, bei dem 17 US-Marines getötet wurden, kam es im Jemen selbst lange zu keinen größeren Attacken.
Saudi-Arabien gelang es, durch massive Sicherheitsoperationen den Terror zu stoppen. Viele Jihadis flüchteten in den benachbarten Jemen. Dort setzte 2006 die Wende ein, als 23 mutmaßlichen Al-Kaida-Kämpfern die Flucht aus einem Gefängnis in Sanaa gelang. Unter ihnen waren der ehemalige persönliche Adjutant Bin Ladens, Abdul Karim al-Wuhayshi, und Kasim al-Raymi, die gemeinsam Al-Kaida im Jemen wieder aufbauten. Unter Wuhayshis Führung schlossen sie sich 2009 mit den saudischen Jihadis zur AKAH zusammen. Zweiter Mann ist Said al-Shihri, Ex-Häftling aus Guantanamo Bay, der in seiner saudischen Heimat ein „Ent-Radikalisierungsprogramm“ durchgemacht hatte. Shihris Werdegang dokumentiert unbehaglich den mangelnden Erfolg der Reintegration von Jihadis in die Gesellschaft ihrer Heimatländer. Es ist keineswegs das einzige Beispiel.
AKAH setzt sich heute aus Jemeniten (etwa 56 Prozent), Saudis 37 Prozent) und Ausländern (sieben Prozent) zusammen. Das offizielle Jemen beziffert ihre aktiven Mitglieder mit einigen hundert. In Wahrheit dürften es jedoch entscheidend mehr sein. Nach Einschätzung des jemenitischen Journalisten Nabil al-Sufi zieht sich AKAHs Einfluß über ein großes Dreieck, das fast die Hälfte der Landesfläche einnimmt. Es zieht sich von Abyan im Westen, über Jawf im Süden über Hadramaut und weiter bis nach Sanaa und Saada im Norden. Es gelang den Jihadis Allianzen mit einflussreichen oppositionellen Stämmen zu schließen und auch unter der Masse der wegen ihrer Perspektivlosigkeit frustrierten Jugendlichen Anhänger zu finden.
Seit dem fehlgeschlagenen Anschlag auf eine US-Passagiermaschine in Detroit Ende 20009 begannen die jemenitischen Streitkräfte mit US-Unterstützung mutmaßliche Al-Kaida Stützpunkte massiv zu attackieren. Zahlreiche Jihadis, darunter auch lokale Führer kamen ums Leben. Als Reaktion setzte sich AKAH den Sturz des jemenitischen, wie des saudischen Regimes als höchste Priorität in ihrem langfristigen Kampf um die Errichtung eines islamischen Kalifats, das die gesamte Region dominieren soll. Doch, ebenso wie in Afghanistan, treffen die Anti-Terror-Kampagnen vor allem Zivilisten, die zwischen die Fronten geraten, während sich die Terroristen meist rechtzeitig im unwegsamen Gebirge verschanzen. Mit steigender Zahl ziviler Opfer wächst unter den Jemeniten der Haß auf die USA und den Westen, ebenso wie gegen das ungeliebte Regime, zugleich steigt die Sympathie für die Jihadi-Bewegung.
Mindestens 90 Angehörige der Sicherheitskräfte und Zivilisten kamen seit Januar bei Anschlägen der AKAH ums Leben. Doch das Regime spricht von Erfolgen in seinem Kampf. Jihadis seien aus ihren Hochburgen verjagt worden, versteckten sich in Höhlen des Süd-Jemens. Doch Teile der Provinz Abyan sind heute Kriegszonen, vollends vom Rest des Landes abgeschnitten. Bewohner von Mudiya, einer der Städte, in denen sich jemenitische Sicherheitskräfte fast täglich Schlachten mit den Jihadis liefern, berichteten dem TV-Sender Al Jezira, dass US-Dronen fast täglich viele Stunden über ihre Köpfe flögen und die jemenitische Luftwaffe mutmaßliche Verstecke der AKAH bombardiere.
Im eskalierenden Kampf schlägt AKAH auch immer stärker die Propagandatrommel und schürt den Hass auf den Westen. „Die Ungerechtigkeit und Unterdrückung des Volkes, das keinerlei Waffen besitzt, um sich selbst zu verteidigen, hat alle akzeptablen Grenzen überschritten“, erklärte Al-Wuhayshi in einem Brief „an unser Volk im Süden“, wo die Regierungskräfte mit besonderer Härte vorgehen. „Es ist unsere Pflicht, diese Menschen zu unterstützen und ihnen zu helfen.“ Und wiederholt drohte AKAH auch dem amerikanischen Volk: „Da es die Führer unterstützt, die unsere Frauen und Kinder töten….werden wir euch massakrieren, werden ohne Vorwarnung gegen euch losschlagen, unsere Rache ist nahe“. Und „alle Muslime“ sollten „alle Ungläubigen von der Arabischen Halbinsel entfernen, indem sie die Kreuzzügler in einem totalen Krieg töten“. Anfang Oktober entging ein britischer Diplomat in Sanaa nur knapp einem Terroranschlag. Westliche Botschaften in der Hauptstadt sind immer wieder Ziele von Attacken. Mehr und mehr Mitarbeiter westlicher Firmen und der so dringend in diesem bitterarmen Land benötigten Hilfsorganisationen kehren dem Jemen den Rücken. Zuletzt suspendierte die Lufthansa ihre Flüge nach Sanaa und Paris schloß eine französische Schule.
Der Teufelskreis dreht sich schneller. Armut und Hoffnungslosigkeit treibt mehr und mehr Menschen in die Arme der Radikalen, denen es offensichtlich nicht an Geld mangelt. Wohl aber – vorerst? – an organisatorischen Fähigkeiten für hochspektakuläre Operationen wie jene der Mutterorganisation vom 11. September in den USA. „Inspire“, ein in englisch verfasstes online-„Jihad“-Magazin, in dem AKAH vor allem westliche Ausländer anzuwerben sucht, lässt die aktuelle Strategie erkennen: primitive Terrorattacken, die erfinderische Planung voraussetzen. Die „Waffen-Option“ hat Priorität, Mord mit Gewehr oder Pistole, weil dies relativ einfach durchzuführen sei, wenig Training und Material voraussetze, Einzelaktionen ermögliche und damit die Gefahr, im Planungsstadium entdeckt zu werden entscheidend verringere.
Die Cargo-Bomben geben Experten vorerst Rätsel auf. Fallen sie in das Schema der neuen Strategie simpler Aktionen? Ihre Erfolgschancen, so meinen Terrorexperten, erscheinen so gering, dass Zweifel an den wahren Absichten der Täter aufkommen. Wollte AKAH primär Aufmerksamkeit unter Gleichgesinnten bzw. in der zunehmend verzweifelten und über den Westen vergrämten jemenitischen Gesellschaft auf sich ziehen, um mehr und mehr Aktionisten auf ihre Seite zu ziehen? Ein Dilemma für die Anti-Terror-Strategen. Mit Waffengewalt, mit Dronen und Bomben wird sich der Al-Kaida-Sprößling noch weniger aus dem Jemen verjagen lassen, als seine Mutterorganisation aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet.
Experten; wie Christopher Boucek von „Carnegie Endowment for International Peace“ hält AKAH „für gefährlicher als die Mutterorganisation. Sie (die Jihadis) kündigen ihre Taten an, führen sie durch und scheitern sie dabei, versuchen sie es wieder.“ Es werde in Zukunft noch viel mehr Attacken geben.
Bildquelle: AFP
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Sonntag, 31. Oktober 2010
Mittwoch, 27. Oktober 2010
PAKISTAN: Die Häufung von Krisen in Pakistan
von Dr. Arnold Hottinger
Hochflut der staatszersetzenden Kräfte
Die grossen Überschwemmungen in Pakistan sind abgeklungen. Niemand mehr läuft Gefahr zu ertrinken. Doch gegen 20 Millionen der beinahe 150 Millionen Pakistani sind ihres Lebensunterhaltes beraubt, und es sind die Produktivsten der Pakistaner, die Bauern, welche die anderen bisher ernährten. Ihre Gehöfte sind zerstört, ihre Brunnen und Felder mit Schlamm überzogen, ihre Strassen fortgetragen, Elektrizität nicht mehr vorhanden, das Vieh weitgehend ertrunken, ihr Saatgut vernichtet, ihre Gesundheit gefährdet, weil sauberes Trinkwasser fehlt. Für das tägliche Leben sind sie auf Nahrungsverteilungen angewiesen, die nicht immer überall ankommen. Als Behausung verfügen sie besten Falls über Zelte und Hütten, die in riesigen Lagern errichtet wurden, im schlechtesten hausen sie immernoch an den Strassenrändern. Doch die pakistanischen Zeitungen sprechen nicht mehr von ihnen. Vielleicht weil es sich bloss um Bauern handelt, die selbst keine Zeitungen lesen und deren Leben, am Rande des Existenzminimums, den zeitungslesenden Bürgern als eine unabänderliche Gegebenheit gilt. Bauern hat es immer gegeben und sie haben immer ein elendes Leben geführt. Dass dieses Leben nun auf einen Schlag all seiner Voraussetzungen beraubt worden ist, scheint den oberen Schichten nicht wirklich bewusst geworden zu sein. Und wem es voll bewusst wurde, der weiss, das Unglück ist zu gross, als dass er es abwenden könnte.
Die Armee ist eingesprungen, um Leben zu retten, solange die Menschen in akuter Lebensgefahr schwebten. Die Regierung müsste sich nun darum kümmern, dass die pakistanischen Bauern ihre Felder wieder bestellen und ihre Häuser wieder aufrichten könnten. Doch die Regierung hat anderes zu tun. Die riesige Masse der Geschädigten bleibt weitgehend auf sich selbst angewiesen. Sie werden Schulden machen beim Grossgrundbesitzer, sagen viele der Bauern resigniert, und sie werden dann für den Rest ihres Lebens die Schulden abtragen müssen, wenn sie das überhaupt je vermögen. Andere der Obdachlosen werden in die Grossstädte abtreiben und dort die heute schon riesige Zahl der Slumbewohner noch weiter vermehren. Diese Elendsstädte sind bereits gegenwärtig Brutstätten der Gewalt und der Unsicherheit.
Wo bleibt die Regierung?
Dabei ist den Geschädigten klar, dass eigentlich die Regierung eingreifen sollte. Doch sie stellen fest: sie ist nirgends zu sehen, sie kümmert sich nicht um sie. Die Armee trat kurzfristig in die Lücke, indem sie ihre Mittel einsetzte, um Leben zu retten und Zeltlager aufzubauen. Doch dies galt nur für die erste Zeit der akuten Bedrohung durch die Wassermassen. Nun sehen sich die Millionen von Überschwemmungsopfern auf sich selbst angewiesen. Ihre Bitterkeit ist gross. Doch ihre Möglichkeiten, sich zu beklagen sind beschränkt. Niemand spricht für sie, und sie selbst haben kaum Mittel, um sich vernehmbar zu machen. Wenn später wiedereinmal gewählt werden wird, könnten sie theoretisch den heute regierenden Kreisen ihre Stimmen entziehen. Doch wer bis dann überlebt, wird es in der Praxis dann doch nicht tun. Er wird mehr als je auf seinen Grossgrundbesitzer angewiesen sein und ihm seine Stimme geben. Oder auch auf die Gangster Politiker, die in den Elendsstätten das Sagen haben. - Es sei denn der Ruf der Islamisten wird zu ihm gedrungen sein, und sie haben ihn überzeugt, dass das bestehende System verdiene, ausgerottet und umgestürzt zu werden zu Gunsten eines, wie sie verheissen, idealen islamischen Staates, den sie zu organisieren versprechen.
Die Dauerkrise im Norden des Landes
Der Staat ist inzwischen zu seinen Routinekrisen zurückgekehrt. Von ihnen gibt es viele. In der Wahrnehmung der Militärs und vieler patriotischer pakistanischer Bürger ist Indien immernoch die grösste Gefahr. Gegen sie muss man vor allem gerüstet sein. "Die indische Armee", so rechnen die pakistanischen Strategen," muss dadurch beschäftigt werden, dass islamistische Kräfte aus Pakistan sie nie ganz zur Ruhe kommen lassen, nicht in Kaschmir und nicht im übrigen Indien. Wenn das nicht wäre, müssten wir mit neuen Angriffen des uns zahlen- und flächenmässig so sehr überlegenen indischen Feindes rechnen."
Dazu kommt die Krise im Norden, sowohl in den Stammesgebieten wie in Afghanistan und in Beluchistan. Dort wachsen die islamistische und die separatistische Kontestation. Die pakistanische Armee ist sich gewiss, sie vermag sie in Schach zu halten. Doch sie weiss auch, zu ersticken vermag sie diese Bewegungen nicht. Sie muss bemüht sein, ihre Träger, die Stammesleute und die Islamisten, für ihre eigenen Zwecke einzuspannen, zu spalten und zu instrumentalisieren. Um alle Ecken und Enden der weiten und wilden Gebiete des Nordens und des Nordwestens zu kontrollieren, fehlen die Mannschaften. Geld ist vorläufig da, solange die Amerikaner bezahlen.
Bisher war es Pakistan immer gelungen, sich unter den Stammesleuten und den islamistischen Kämpfern Verbündete zu schaffen und diese nach aussen zu wenden, richtung Afghanistan, richtung Kaschmir. Sie alle niederzukämpfen, gilt den Strategen der pakistanischen Armee als eine unbrauchbare Alternative. Die Amerikaner aber glauben daran. Auf die Amerikaner ist man für das Geld angewiesen, das dazu dient, die grosse und teure pakistanische Armee zu unterhalten. Man ist aber auch darauf angewiesen, nicht wirklich und völlig zu tun, was die Amerikaner sehen möchten, nämlich die Armee voll und ganz zur Niederhaltung der Stämme und der islamistischen Kämpfer einzusetzen. Denn man würde dabei eine Niederlage riskieren. Die Pakistani vermuten: am Ende werden die Amerikaner abziehen und sich selbst desinteressieren, wie sie es schon einmal 2002 nach Niederlage der Taleban taten. Doch Pakistan wird seine Nachbarn behalten, Indien und Afghanistan, sowie die schwer zu bändigenden Stammesgebiete.
Die letzten fünf Jahre haben wahrscheinlich vielen pakistanischen Offizieren deutlich gemacht, dass die alten Methoden der Unterordnung und Manipulation der Stämme und ihrer Kämpfer im Falle der Islamisten nicht unbedingt funktionieren. Zuerst sind die von Pakistan geschaffenen und geförderten Taleban in Afghanistan unabhängiger geworden, als die pakistanischen Drahtzieher sich das vorgestellt hatten; dann haben die pakistanischen Taleban sich in den pakistanischen Stammesgebieten hervorgetan und begannen Fühler nach den Städten des Landesinneren auszustrecken: Peschawar, Lahore, Islamabad. Als sie in der Hauptstadt nach längeren Verhandlungsperioden im Juli 2007 mit der Belagerung und Einnahme der Roten Moschee durch die Armee blutig zurückgewiesen wurden, rächten sie sich durch verheerende Selbstmordanschläge in allen pakistanischen Städten, versuchten in Swat einzudringen und nestelten sich in den Grenzgebieten nach Afghanistan dauerhaft ein.
Bekämpfung oder Benützung der Islamisten?
Die Amerikaner drängten darauf, dass die Armee all diese Grenzgebiete sicher stelle und permanent unter ihre Kontrolle bringe. Die pakistanische Armee ging darauf ein, jedoch nur in beschränktem Masse. Da sie nicht gut sagen konnten, das Vorhaben gehe über ihre Mittel, erklärten die Armeesprecher, die Armee werde einschreiten nach ihrem Ermessen und zu der von ihr gewählten, richtigen Zeit. Es gab einige energische Vorstösse in die Grenzregionen, nach Swat im April 2009, wo die ganze Zivilbevölkerung zeitweise evakuiert werden musste, und in Stammeszonen wie Nord- und Süd-Waziristan und Bejaur. Doch dann meldete die Armee, für den Augenblick gedenke sie ihre Offensiven nicht fortzusetzen. Die pakistanischen Taleban führten jedoch ihre vernichtenden Bombenanschläge immer fort bis in die jüngste Zeit.
Die Amerikaner versuchten ihrerseits Druck auszuüben, indem sie ihre Drohnenangriffe auf Positionen in den Stammesgebieten intensivierten, Dies führte unvermeidlich zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, weil die islamistischen und die Stammeskämpfer mit der Zivilbevölkerung in den gleichen durch Lehmmauern befestigten Dörfern und Höfen leben. Pakistan protestierte auch gegen die Übergriffe von amerikanischen Helikoptern auf sein Hoheitsgebiet. Schliesslich, nach dem Tod einer Anzahl von pakistanischen Grenzwächtern durch einen amerikanischen Helikopterangriff Anfang September 2010, wurden die pakistanischen Offiziere energisch und drosselten für zwei Wochen den militärischen Nachschub der Amerikaner, der über die Khyberstrasse nach Kabul geleitet wird. Gleichzeitig wurden auch zahlreiche amerikanische Erdöltanker mit ihrer Ladung am Nordrand der Provinz Sind in Brand gesteckt. Daraufhin kam es zu Verhandlungen auf hohem Niveau und zu einer Art von Versöhnung, wie nicht anders zu erwarten war, weil die Amerikaner die Pakistani als Partner im Krieg gegen den Terrorismus und als Nachschubweg nach Afghanistan brauchen, die Pakistani aber auch die Amerikaner als Geldgeber und Waffenquelle für ihre Armee.
Der Umstand, dass die pakistanischen Geheimdienste den Oberhäuptern der afghanischen Taleban in Quetta und anderen Städten Asyl gewähren, trägt zu den Reibungen zwischen den beiden Verbündeten bei. Die Pakistani streiten empört ab, dass sie die Taleban weiter beschützen, doch sie tun nichts, um sie gefangen zu nehmen. Eine Ausnahme gab es, als sie im vergangenen Februar Mullah Beradar, den obersten Einsatzkommandanten der afghanischen Taleban, gefangen setzten. Doch dies geschah offenbar, weil Beradar begonnen hatte, mit den Amerikanern Kontakte aufzunehmen, ohne die Pakistani einzuschalten. Inzwischen verlautete, Beradar werde nach Kabul ausgeliefert, wenn einmal fest stehe, dass er keiner Vergehen in Pakistan schuldig sei.
Die zweite Dauerkrise im Süden
In der stets unruhigen Grossstadt Karachi ist eine neue Unruhewelle ausgebrochen, die bisher zu zahlreichen Mordanschlägen und Gegenschlägen zwischen den seit langer Zeit in der Stadt lebenden Urdu sprechenden ursprünglichen Einwanderern aus Indien und der neueren Einwanderungsbevölkerung von Belutschen und Paschtunen aus den nördlichen Teilen Pakistans und aus Afghanistan geführt hat. In Karachi wird der Ruf nach einer Präsenz der Armee laut, denn der Regierung traut niemand zu, dass sie Ruhe zu halten vermöchte. Doch die Armee sucht zu vermeiden, dass sie sich überall gleichzeitig engagieren muss.
Die Regierung scheint ihrerseits hauptsächlich damit beschäftigt, das weitgehend zerrüttete Regierungssystem durch Reformen wieder zum Funktionieren zu bringen. Präsident Zardari hat seine Regierungskompetenzen auf Wunsch des Parlamentes fast völlig in die Hände des Ministerpräsidenten Yussuf Raza Gilani zurückgelegt, der als ein loyaler Anhänger der Partei der Bhutto Familie (PPP) gilt. Während der diktatorischen Regime unter Pakistans militärischen Präsidenten, hatten diese alle Regierungsmacht in ihren Händen konzentriert. Auf Zardari lastet auch ein Beschluss des Obersten Gerichtshofes, nach dem eine Amnestie der ihm vorgeworfenen Vergehen von Korruption und Bestechlichkeit inkonstitutionell sei und deshalb wieder aufgehoben werden müsse.
In den Fesseln der eigenen Vergangenheit
Gesamthaft gesehen macht Pakistan heute den Eindruck eines Landes, das in seiner Vergangenheit stecken geblieben ist und den Anforderungen der Gegenwart nicht mehr gewachsen scheint. Zwei Anker halten das Land in der Vergangenheit fest: die Grossgrundbesitzer, die nach wie vor das politische System beherrschen, indem sie mit ihren Gefolgsleuten das Parlament besetzt halten und die Armee. Diese wurde aufgebaut und privilegiert mit dem Ziel, Indien die Stirne zu bieten, und sie hält zäh an dieser Bestimmung fest. Die Kampfmethode, die sie dabei seit der Entstehung Pakistans zur Zeit der blutigen Trennung von Indien entwickelte, hat sie auch beibehalten: neben dem Einsatz und der Bereitstellung konventioneller Truppen betreibt sie die Mobilisierung von islamisch motivierten Freiwilligen, wie sie zuerst für die "Befreiung Kaschmirs" zum Einsatz gelangten und seither immer von der Armee gefördert, bewaffnet und eingesetzt werden, noch immer in Kaschmir aber auch in Afghanistan und immerwieder für Terroranschläge in Indien selbst. Im Verlauf der Generationen ist diese Kampfmethode zum festen und als unentbehrlich geltenden Bestand der pakistanischen Strategie geworden, auf den man nicht mehr verzichten zu können glaubt. ISI (Inter Service Information) der Geheimdienst der Streitkräfte, wurde zum Hauptinstrument, das den "informellen" Arm der Armee einsetzt, unterstützt und manipuliert. Indien entwickelte eine Gegenstrategie, die sich auf den indischen militärischen Geheimdienst abstützt.
Die Ausdehnung der islamistischen Ideologie
Die letzten beiden Jahrzehnte brachten jedoch Neuentwicklungen, mit denen die ursprünglichen Einsätze von "Mujahedîn" noch nicht rechnen mussten. Diese sind durch das Umsichgreifen der Ideologie des Islamismus gegeben. Heute bewegt und mobilisiert diese Ideologie immer wachsende Kreise der unteren Mittelschichten. Sie wurde zur revolutionären Ideologie, in dem Sinne dass sie heute den Umsturz der bestehenden Regime betreibt, auch wenn diese sich islamische Regime nennen. Sie gefährdet damit den Status quo in Pakistan selbst, so gut wie in Ägypten, in Saudi Arabien, und in allen islamischen Staaten, in denen sie die Niederwerfung der bestehenden Regierungen betreibt. Diese gelten den heutigen Islamisten als "heidnisch" und sollen durch "islamische" Machtgebilde ersetzt werden, welche die Ideologen der Islamisten selbst aufzubauen und zu betreiben gedenken.
Dies ist eine Neuentwicklung die noch nicht eingetreten war, als die pakistanischen Strategen in den Jahren nach der Gründung Pakistans damit begannen, ihre Macht mit der Hilfe von "islamischen Freiwilligen" , "Mujahidîn" in der Fachsprache, richtung Kaschmir und Indien auszudehnen. Die Leute von ISI scheinen heute gefangen in der Lage des Zauberlehrlings, der seinen Besen zum Wasserträger verhexte, ihm aber nun nicht mehr zu gebieten vermag, seine Aktivität zu beenden. Wie das leicht geschieht, tadeln sie dafür nicht so sehr sich selbst als die Amerikaner. Wenn diese nicht wären mit ihren politischen Absichten und strategischen Plänen, so suchen sie sich selbst zu verteidigen, würden sie, die wohlausgebildete Elite der pakistanischen Offiziere - wie während so vielen Jahren zuvor - mit den "primitiven" Islamisten schon fertig werden. Sie haben nicht völlig unrecht. In der Tat dürfte es die heutige Weltlage sein, mit ihrer Globalisierung, die primär als eine amerikanische Weltordnung auftritt, welche die Umsturzideologie der Islamisten zu einer weit um sich greifenden Denk- und Empfindungsweise hat heranreifen lassen, die heute bei vielen der muslimischen Unter- und Mittelschichten ein Echo findet, weil ihnen ihre heutige Lage als ein Unrecht erscheint, das nur durch eine - wie sie glauben "islamische" - Umwälzung der bestehenden Weltordnung wieder eingerenkt werden könne.
"Amerika" gilt als verantwortlich
Die Schuldzuweisungen an "die Amerikaner" führen dazu, dass die pakistanischen Offizierseliten sich selbst den Weg zur Erkenntnis der heutigen Lage verbauen. Sie neigen dazu, anzunehmen, wenn nur die Amerikaner sie machen liessen, ohne sich einzumischen (aber natürlich doch indem sie weiter bezahlten), dann könnten sie selbst, wie in den früheren Jahren, ihr Spiel mit den Islamisten erfolgreich fortführen. Die Tatsache, dass die Islamisten sich heute in einer ganz anderen Lage befinden, weil ihnen der Wind des Widerstandes gegen den status quo die Segel bläht, wird verkannt. Was eine Änderung der heute veralterten Grundstrategie des pakistanischen Militäretablissements, die dringend notwendig wäre, bisher verhindert hat.
Bildquelle: http://www.buchmesse.taz.de/
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Hochflut der staatszersetzenden Kräfte
Die grossen Überschwemmungen in Pakistan sind abgeklungen. Niemand mehr läuft Gefahr zu ertrinken. Doch gegen 20 Millionen der beinahe 150 Millionen Pakistani sind ihres Lebensunterhaltes beraubt, und es sind die Produktivsten der Pakistaner, die Bauern, welche die anderen bisher ernährten. Ihre Gehöfte sind zerstört, ihre Brunnen und Felder mit Schlamm überzogen, ihre Strassen fortgetragen, Elektrizität nicht mehr vorhanden, das Vieh weitgehend ertrunken, ihr Saatgut vernichtet, ihre Gesundheit gefährdet, weil sauberes Trinkwasser fehlt. Für das tägliche Leben sind sie auf Nahrungsverteilungen angewiesen, die nicht immer überall ankommen. Als Behausung verfügen sie besten Falls über Zelte und Hütten, die in riesigen Lagern errichtet wurden, im schlechtesten hausen sie immernoch an den Strassenrändern. Doch die pakistanischen Zeitungen sprechen nicht mehr von ihnen. Vielleicht weil es sich bloss um Bauern handelt, die selbst keine Zeitungen lesen und deren Leben, am Rande des Existenzminimums, den zeitungslesenden Bürgern als eine unabänderliche Gegebenheit gilt. Bauern hat es immer gegeben und sie haben immer ein elendes Leben geführt. Dass dieses Leben nun auf einen Schlag all seiner Voraussetzungen beraubt worden ist, scheint den oberen Schichten nicht wirklich bewusst geworden zu sein. Und wem es voll bewusst wurde, der weiss, das Unglück ist zu gross, als dass er es abwenden könnte.
Die Armee ist eingesprungen, um Leben zu retten, solange die Menschen in akuter Lebensgefahr schwebten. Die Regierung müsste sich nun darum kümmern, dass die pakistanischen Bauern ihre Felder wieder bestellen und ihre Häuser wieder aufrichten könnten. Doch die Regierung hat anderes zu tun. Die riesige Masse der Geschädigten bleibt weitgehend auf sich selbst angewiesen. Sie werden Schulden machen beim Grossgrundbesitzer, sagen viele der Bauern resigniert, und sie werden dann für den Rest ihres Lebens die Schulden abtragen müssen, wenn sie das überhaupt je vermögen. Andere der Obdachlosen werden in die Grossstädte abtreiben und dort die heute schon riesige Zahl der Slumbewohner noch weiter vermehren. Diese Elendsstädte sind bereits gegenwärtig Brutstätten der Gewalt und der Unsicherheit.
Wo bleibt die Regierung?
Dabei ist den Geschädigten klar, dass eigentlich die Regierung eingreifen sollte. Doch sie stellen fest: sie ist nirgends zu sehen, sie kümmert sich nicht um sie. Die Armee trat kurzfristig in die Lücke, indem sie ihre Mittel einsetzte, um Leben zu retten und Zeltlager aufzubauen. Doch dies galt nur für die erste Zeit der akuten Bedrohung durch die Wassermassen. Nun sehen sich die Millionen von Überschwemmungsopfern auf sich selbst angewiesen. Ihre Bitterkeit ist gross. Doch ihre Möglichkeiten, sich zu beklagen sind beschränkt. Niemand spricht für sie, und sie selbst haben kaum Mittel, um sich vernehmbar zu machen. Wenn später wiedereinmal gewählt werden wird, könnten sie theoretisch den heute regierenden Kreisen ihre Stimmen entziehen. Doch wer bis dann überlebt, wird es in der Praxis dann doch nicht tun. Er wird mehr als je auf seinen Grossgrundbesitzer angewiesen sein und ihm seine Stimme geben. Oder auch auf die Gangster Politiker, die in den Elendsstätten das Sagen haben. - Es sei denn der Ruf der Islamisten wird zu ihm gedrungen sein, und sie haben ihn überzeugt, dass das bestehende System verdiene, ausgerottet und umgestürzt zu werden zu Gunsten eines, wie sie verheissen, idealen islamischen Staates, den sie zu organisieren versprechen.
Die Dauerkrise im Norden des Landes
Der Staat ist inzwischen zu seinen Routinekrisen zurückgekehrt. Von ihnen gibt es viele. In der Wahrnehmung der Militärs und vieler patriotischer pakistanischer Bürger ist Indien immernoch die grösste Gefahr. Gegen sie muss man vor allem gerüstet sein. "Die indische Armee", so rechnen die pakistanischen Strategen," muss dadurch beschäftigt werden, dass islamistische Kräfte aus Pakistan sie nie ganz zur Ruhe kommen lassen, nicht in Kaschmir und nicht im übrigen Indien. Wenn das nicht wäre, müssten wir mit neuen Angriffen des uns zahlen- und flächenmässig so sehr überlegenen indischen Feindes rechnen."
Dazu kommt die Krise im Norden, sowohl in den Stammesgebieten wie in Afghanistan und in Beluchistan. Dort wachsen die islamistische und die separatistische Kontestation. Die pakistanische Armee ist sich gewiss, sie vermag sie in Schach zu halten. Doch sie weiss auch, zu ersticken vermag sie diese Bewegungen nicht. Sie muss bemüht sein, ihre Träger, die Stammesleute und die Islamisten, für ihre eigenen Zwecke einzuspannen, zu spalten und zu instrumentalisieren. Um alle Ecken und Enden der weiten und wilden Gebiete des Nordens und des Nordwestens zu kontrollieren, fehlen die Mannschaften. Geld ist vorläufig da, solange die Amerikaner bezahlen.
Bisher war es Pakistan immer gelungen, sich unter den Stammesleuten und den islamistischen Kämpfern Verbündete zu schaffen und diese nach aussen zu wenden, richtung Afghanistan, richtung Kaschmir. Sie alle niederzukämpfen, gilt den Strategen der pakistanischen Armee als eine unbrauchbare Alternative. Die Amerikaner aber glauben daran. Auf die Amerikaner ist man für das Geld angewiesen, das dazu dient, die grosse und teure pakistanische Armee zu unterhalten. Man ist aber auch darauf angewiesen, nicht wirklich und völlig zu tun, was die Amerikaner sehen möchten, nämlich die Armee voll und ganz zur Niederhaltung der Stämme und der islamistischen Kämpfer einzusetzen. Denn man würde dabei eine Niederlage riskieren. Die Pakistani vermuten: am Ende werden die Amerikaner abziehen und sich selbst desinteressieren, wie sie es schon einmal 2002 nach Niederlage der Taleban taten. Doch Pakistan wird seine Nachbarn behalten, Indien und Afghanistan, sowie die schwer zu bändigenden Stammesgebiete.
Die letzten fünf Jahre haben wahrscheinlich vielen pakistanischen Offizieren deutlich gemacht, dass die alten Methoden der Unterordnung und Manipulation der Stämme und ihrer Kämpfer im Falle der Islamisten nicht unbedingt funktionieren. Zuerst sind die von Pakistan geschaffenen und geförderten Taleban in Afghanistan unabhängiger geworden, als die pakistanischen Drahtzieher sich das vorgestellt hatten; dann haben die pakistanischen Taleban sich in den pakistanischen Stammesgebieten hervorgetan und begannen Fühler nach den Städten des Landesinneren auszustrecken: Peschawar, Lahore, Islamabad. Als sie in der Hauptstadt nach längeren Verhandlungsperioden im Juli 2007 mit der Belagerung und Einnahme der Roten Moschee durch die Armee blutig zurückgewiesen wurden, rächten sie sich durch verheerende Selbstmordanschläge in allen pakistanischen Städten, versuchten in Swat einzudringen und nestelten sich in den Grenzgebieten nach Afghanistan dauerhaft ein.
Bekämpfung oder Benützung der Islamisten?
Die Amerikaner drängten darauf, dass die Armee all diese Grenzgebiete sicher stelle und permanent unter ihre Kontrolle bringe. Die pakistanische Armee ging darauf ein, jedoch nur in beschränktem Masse. Da sie nicht gut sagen konnten, das Vorhaben gehe über ihre Mittel, erklärten die Armeesprecher, die Armee werde einschreiten nach ihrem Ermessen und zu der von ihr gewählten, richtigen Zeit. Es gab einige energische Vorstösse in die Grenzregionen, nach Swat im April 2009, wo die ganze Zivilbevölkerung zeitweise evakuiert werden musste, und in Stammeszonen wie Nord- und Süd-Waziristan und Bejaur. Doch dann meldete die Armee, für den Augenblick gedenke sie ihre Offensiven nicht fortzusetzen. Die pakistanischen Taleban führten jedoch ihre vernichtenden Bombenanschläge immer fort bis in die jüngste Zeit.
Die Amerikaner versuchten ihrerseits Druck auszuüben, indem sie ihre Drohnenangriffe auf Positionen in den Stammesgebieten intensivierten, Dies führte unvermeidlich zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, weil die islamistischen und die Stammeskämpfer mit der Zivilbevölkerung in den gleichen durch Lehmmauern befestigten Dörfern und Höfen leben. Pakistan protestierte auch gegen die Übergriffe von amerikanischen Helikoptern auf sein Hoheitsgebiet. Schliesslich, nach dem Tod einer Anzahl von pakistanischen Grenzwächtern durch einen amerikanischen Helikopterangriff Anfang September 2010, wurden die pakistanischen Offiziere energisch und drosselten für zwei Wochen den militärischen Nachschub der Amerikaner, der über die Khyberstrasse nach Kabul geleitet wird. Gleichzeitig wurden auch zahlreiche amerikanische Erdöltanker mit ihrer Ladung am Nordrand der Provinz Sind in Brand gesteckt. Daraufhin kam es zu Verhandlungen auf hohem Niveau und zu einer Art von Versöhnung, wie nicht anders zu erwarten war, weil die Amerikaner die Pakistani als Partner im Krieg gegen den Terrorismus und als Nachschubweg nach Afghanistan brauchen, die Pakistani aber auch die Amerikaner als Geldgeber und Waffenquelle für ihre Armee.
Der Umstand, dass die pakistanischen Geheimdienste den Oberhäuptern der afghanischen Taleban in Quetta und anderen Städten Asyl gewähren, trägt zu den Reibungen zwischen den beiden Verbündeten bei. Die Pakistani streiten empört ab, dass sie die Taleban weiter beschützen, doch sie tun nichts, um sie gefangen zu nehmen. Eine Ausnahme gab es, als sie im vergangenen Februar Mullah Beradar, den obersten Einsatzkommandanten der afghanischen Taleban, gefangen setzten. Doch dies geschah offenbar, weil Beradar begonnen hatte, mit den Amerikanern Kontakte aufzunehmen, ohne die Pakistani einzuschalten. Inzwischen verlautete, Beradar werde nach Kabul ausgeliefert, wenn einmal fest stehe, dass er keiner Vergehen in Pakistan schuldig sei.
Die zweite Dauerkrise im Süden
In der stets unruhigen Grossstadt Karachi ist eine neue Unruhewelle ausgebrochen, die bisher zu zahlreichen Mordanschlägen und Gegenschlägen zwischen den seit langer Zeit in der Stadt lebenden Urdu sprechenden ursprünglichen Einwanderern aus Indien und der neueren Einwanderungsbevölkerung von Belutschen und Paschtunen aus den nördlichen Teilen Pakistans und aus Afghanistan geführt hat. In Karachi wird der Ruf nach einer Präsenz der Armee laut, denn der Regierung traut niemand zu, dass sie Ruhe zu halten vermöchte. Doch die Armee sucht zu vermeiden, dass sie sich überall gleichzeitig engagieren muss.
Die Regierung scheint ihrerseits hauptsächlich damit beschäftigt, das weitgehend zerrüttete Regierungssystem durch Reformen wieder zum Funktionieren zu bringen. Präsident Zardari hat seine Regierungskompetenzen auf Wunsch des Parlamentes fast völlig in die Hände des Ministerpräsidenten Yussuf Raza Gilani zurückgelegt, der als ein loyaler Anhänger der Partei der Bhutto Familie (PPP) gilt. Während der diktatorischen Regime unter Pakistans militärischen Präsidenten, hatten diese alle Regierungsmacht in ihren Händen konzentriert. Auf Zardari lastet auch ein Beschluss des Obersten Gerichtshofes, nach dem eine Amnestie der ihm vorgeworfenen Vergehen von Korruption und Bestechlichkeit inkonstitutionell sei und deshalb wieder aufgehoben werden müsse.
In den Fesseln der eigenen Vergangenheit
Gesamthaft gesehen macht Pakistan heute den Eindruck eines Landes, das in seiner Vergangenheit stecken geblieben ist und den Anforderungen der Gegenwart nicht mehr gewachsen scheint. Zwei Anker halten das Land in der Vergangenheit fest: die Grossgrundbesitzer, die nach wie vor das politische System beherrschen, indem sie mit ihren Gefolgsleuten das Parlament besetzt halten und die Armee. Diese wurde aufgebaut und privilegiert mit dem Ziel, Indien die Stirne zu bieten, und sie hält zäh an dieser Bestimmung fest. Die Kampfmethode, die sie dabei seit der Entstehung Pakistans zur Zeit der blutigen Trennung von Indien entwickelte, hat sie auch beibehalten: neben dem Einsatz und der Bereitstellung konventioneller Truppen betreibt sie die Mobilisierung von islamisch motivierten Freiwilligen, wie sie zuerst für die "Befreiung Kaschmirs" zum Einsatz gelangten und seither immer von der Armee gefördert, bewaffnet und eingesetzt werden, noch immer in Kaschmir aber auch in Afghanistan und immerwieder für Terroranschläge in Indien selbst. Im Verlauf der Generationen ist diese Kampfmethode zum festen und als unentbehrlich geltenden Bestand der pakistanischen Strategie geworden, auf den man nicht mehr verzichten zu können glaubt. ISI (Inter Service Information) der Geheimdienst der Streitkräfte, wurde zum Hauptinstrument, das den "informellen" Arm der Armee einsetzt, unterstützt und manipuliert. Indien entwickelte eine Gegenstrategie, die sich auf den indischen militärischen Geheimdienst abstützt.
Die Ausdehnung der islamistischen Ideologie
Die letzten beiden Jahrzehnte brachten jedoch Neuentwicklungen, mit denen die ursprünglichen Einsätze von "Mujahedîn" noch nicht rechnen mussten. Diese sind durch das Umsichgreifen der Ideologie des Islamismus gegeben. Heute bewegt und mobilisiert diese Ideologie immer wachsende Kreise der unteren Mittelschichten. Sie wurde zur revolutionären Ideologie, in dem Sinne dass sie heute den Umsturz der bestehenden Regime betreibt, auch wenn diese sich islamische Regime nennen. Sie gefährdet damit den Status quo in Pakistan selbst, so gut wie in Ägypten, in Saudi Arabien, und in allen islamischen Staaten, in denen sie die Niederwerfung der bestehenden Regierungen betreibt. Diese gelten den heutigen Islamisten als "heidnisch" und sollen durch "islamische" Machtgebilde ersetzt werden, welche die Ideologen der Islamisten selbst aufzubauen und zu betreiben gedenken.
Dies ist eine Neuentwicklung die noch nicht eingetreten war, als die pakistanischen Strategen in den Jahren nach der Gründung Pakistans damit begannen, ihre Macht mit der Hilfe von "islamischen Freiwilligen" , "Mujahidîn" in der Fachsprache, richtung Kaschmir und Indien auszudehnen. Die Leute von ISI scheinen heute gefangen in der Lage des Zauberlehrlings, der seinen Besen zum Wasserträger verhexte, ihm aber nun nicht mehr zu gebieten vermag, seine Aktivität zu beenden. Wie das leicht geschieht, tadeln sie dafür nicht so sehr sich selbst als die Amerikaner. Wenn diese nicht wären mit ihren politischen Absichten und strategischen Plänen, so suchen sie sich selbst zu verteidigen, würden sie, die wohlausgebildete Elite der pakistanischen Offiziere - wie während so vielen Jahren zuvor - mit den "primitiven" Islamisten schon fertig werden. Sie haben nicht völlig unrecht. In der Tat dürfte es die heutige Weltlage sein, mit ihrer Globalisierung, die primär als eine amerikanische Weltordnung auftritt, welche die Umsturzideologie der Islamisten zu einer weit um sich greifenden Denk- und Empfindungsweise hat heranreifen lassen, die heute bei vielen der muslimischen Unter- und Mittelschichten ein Echo findet, weil ihnen ihre heutige Lage als ein Unrecht erscheint, das nur durch eine - wie sie glauben "islamische" - Umwälzung der bestehenden Weltordnung wieder eingerenkt werden könne.
"Amerika" gilt als verantwortlich
Die Schuldzuweisungen an "die Amerikaner" führen dazu, dass die pakistanischen Offizierseliten sich selbst den Weg zur Erkenntnis der heutigen Lage verbauen. Sie neigen dazu, anzunehmen, wenn nur die Amerikaner sie machen liessen, ohne sich einzumischen (aber natürlich doch indem sie weiter bezahlten), dann könnten sie selbst, wie in den früheren Jahren, ihr Spiel mit den Islamisten erfolgreich fortführen. Die Tatsache, dass die Islamisten sich heute in einer ganz anderen Lage befinden, weil ihnen der Wind des Widerstandes gegen den status quo die Segel bläht, wird verkannt. Was eine Änderung der heute veralterten Grundstrategie des pakistanischen Militäretablissements, die dringend notwendig wäre, bisher verhindert hat.
Bildquelle: http://www.buchmesse.taz.de/
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Dienstag, 26. Oktober 2010
IRAK: Tod für Saddams „kultiviertes Gesicht“
Irakisches Höchstgericht verurteilt schwerkranken Tarek Aziz wegen Verfolgung religiöser Parteien – „Siegerjustiz“ gegen einen Unschuldigen?
von Birgit Cerha
Er ist ein alter, kranker Mann, dem die Ärzte schon vor Jahren nur noch sechs Monate Lebensdauer gaben. Nun soll der Henker dem Leben Tarek Aziz’, des ehemaligen Außenministers und engen Vertrauten des irakischen Diktators Saddam Hussein, ein Ende setzen. Das entschied Dienstag das Irakische Höchstgericht. Der 74-jährige Tarek Aziz beteuert seine Unschuld und kann gegen das Urteil berufen.
Kein irakischer Politiker wurde in den vergangenen Jahrzehnten so eng mit dem Regime Saddam Hussein identifiziert, wie der chaldäische Christ Tareq Aziz. Wortgewaltig verstand er es, in perfektem Englisch Politik und Verbrechen des Diktators zu erläutern und zu verteidigen. Wie kein anderer in der saddam’schen Führungsclique, konnte er sich bei den Versuchen, einem mörderischem Regime gegenüber der Welt ein „kultiviertes Gesicht“ zu verleihen, auf westliche Denkweise einstellen. Oft wirkte er dabei vernünftig und überzeugend, während er all seine Energie einsetzte, um die internationale Gemeinschaft zu belügen. Aziz’ christliche Herkunft kam Saddam höchst gelegen, konnte er damit doch die vermeintliche religiöse Toleranz des von Sunniten geführten Regimes dokumentieren. In den entscheidenden Phasen der jüngeren Geschichte des Iraks, entsandte Saddam Aziz als seinen Hauptdiplomaten in die Welt. So verstand es Tarek Aziz, US-Unterstützung im achtjährigen Krieg gegen den Iran (1980 bis 88) zu gewinnen, bald darauf gelang es ihm, enge ökonomische Beziehungen zur Sowjetunion zu knüpfen und schließlich 1984 wieder bei einem Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Reagan die Bande mit Washington erneut zu stärken.
Nach der irakischen Invasion Kuwaits 1990 irrte er von Weltstadt zu Weltstadt, in dem vergeblichen Bemühen, einen von den USA angeführten Krieg zur Vertreibung der irakischen Truppen aus dem Ölreich zu verhindern. Die Dramatik eines letzten, entscheidenden Gesprächs mit US-Außenminister Baker in Genf, bleibt vielen unvergessen. Kaltblütig weigerte sich Aziz, einen Brief des damaligen US-Präsidenten Bush Saddam zu übergeben. Der Krieg wurde damit unvermeidlich. Und vor der US-Invasion des Iraks im März 2003 versuchte er erneut all seine diplomatischen Künste, wurde auch von Papst Johannes Paul II. empfangen, der einen Friedensappell an die Welt richtete. Bald nach dem Sturz des Regimes ergab er sich im April 2003 den US-Militärs und blieb sieben Jahre lang in einem von den Amerikanern geführten Gefängnis. Im Zuge der US-Truppenreduzierung wurde er jedoch im August den irakischen Behörden überstellt und sitzt nun in einem Bagdader Gefängnis.
Bis heute steht Tarek Aziz bedingungslos loyal zu Saddam, den er jüngst in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ energisch verteidigte: „Die Geschichte wird zeigen, dass er seinem Land gedient hat. Er ist der Held hinter der Einheit des Iraks und seiner Souveränität“. Und im August, als die USA ihre erste Rückzugsphase aus dem Irak vollendeten, beschuldigte Aziz US-Präsident Obama, er „überlässt den Irak den Wölfen“ und forderte, die Amerikaner müssten bleiben, um die von ihnen angerichteten Fehler zu korrigieren.
Prominente Persönlichkeiten setzten sich immer wieder für die Freilassung Tarek Aziz’ mit dem Argument ein, offensichtliche schwere Verbrechen seien ihm nicht nachzuweisen. Der Vatikan appellierte ebenso für seine Freilassung, wie die ehemaligen Leiter des humanitären UNO-Hilfsprogramms für den Irak, Hans von Sponeck und Denis Halliday.
Dennoch. Tarek Aziz, der bereits in den 50er Jahren erstmals mit dem jungen Saddam Hussein zusammentraf, ist ein Baathist und Nationalist vom selben Schlag wie der exekutierte Diktator, wohl um nichts weniger hart und brutal. Wiewohl er nicht dem engsten, ausschließlich aus Tikrit stammenden Führungskreis des Despoten angehörte, saß er bis zuletzt im herrschenden Kommandorat der Revolution, in dem er sich aktiv an allen wichtigen Entscheidungen – Kriege, Genozid (gegen die Kurden und Schiiten), Massaker etc. – beteiligen musste. Hätte er dies nicht getan, hätte er nicht nur sofort Saddams Vertrauen verloren, sondern mit größter Sicherheit auch sein Leben. Beispiele dafür gab es genügend.
Dennoch hat das Todesurteil gegen ihn, den schalen Beigeschmack der „Siegerjustiz“. Denn die Verbrechen, für die er nun mit dem Leben bezahlen soll, richteten sich gegen „religiöse Parteien“, wie es im Urteilsspruch heißt. Somit holt Tarek Aziz die Geschichte ein. Denn es war am 1. April 1980 gewesen, als Mitglieder der schiitischen „Dawa“-Partei in Bagdad ein Attentat auf ihn verübt hatten. Aziz überlebte leicht verletzt. Doch Saddam nahm den Anschlag zum Anlass, um die blosse Mitgliedschaft bei der Dawa-Partei mit dem Tode zu bestrafen. Unzählige Schiiten wurden deshalb exekutiert, darunter auch prominente, hohe Geistliche. Der Anschlag löste eine blutige Kampagne gegen Schiiten aus, der auch der hochpopuläre Großayatollah Mohammed Mohammed Sadek al-Sadr 1999 zum Opfer fiel. Sein Erbe, der junge Geistliche Moktada Sadr, spielt heute eine entscheidende Rolle als Königsmacher bei der Bildung einer neuen Regierung im Irak. Und wenige zweifeln daran, dass Angehörige der Dawa, zu denen auch Premier Maliki zählt, immer noch auf blutige Rache sinnen.
Im Vorjahr war Tarek Aziz wegen Beteiligung am Exekutionsurteil gegen 42 Bagdader Händler, die in dramatischer Weise Nahrungsmittelpreise zu ihrem Vorteil in die Höhe getrieben hatten, zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Zuvor hatte ihn das Sondertribunal zur Aburteilung der Verbrechen aus der Saddam-Ära der Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit freigesprochen. Tarek Aziz ist nach zwei Herzinfarkten und möglicherweise einem Schlaganfall gesundheitlich schwer angeschlagen. Sein in Jordanien lebender Sohn Ziad wirft den Herrschern des neuen Irak vor, alle töten zu wollen, „die dem früheren Regime angehört hatten“.
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von Birgit Cerha
Er ist ein alter, kranker Mann, dem die Ärzte schon vor Jahren nur noch sechs Monate Lebensdauer gaben. Nun soll der Henker dem Leben Tarek Aziz’, des ehemaligen Außenministers und engen Vertrauten des irakischen Diktators Saddam Hussein, ein Ende setzen. Das entschied Dienstag das Irakische Höchstgericht. Der 74-jährige Tarek Aziz beteuert seine Unschuld und kann gegen das Urteil berufen.
Kein irakischer Politiker wurde in den vergangenen Jahrzehnten so eng mit dem Regime Saddam Hussein identifiziert, wie der chaldäische Christ Tareq Aziz. Wortgewaltig verstand er es, in perfektem Englisch Politik und Verbrechen des Diktators zu erläutern und zu verteidigen. Wie kein anderer in der saddam’schen Führungsclique, konnte er sich bei den Versuchen, einem mörderischem Regime gegenüber der Welt ein „kultiviertes Gesicht“ zu verleihen, auf westliche Denkweise einstellen. Oft wirkte er dabei vernünftig und überzeugend, während er all seine Energie einsetzte, um die internationale Gemeinschaft zu belügen. Aziz’ christliche Herkunft kam Saddam höchst gelegen, konnte er damit doch die vermeintliche religiöse Toleranz des von Sunniten geführten Regimes dokumentieren. In den entscheidenden Phasen der jüngeren Geschichte des Iraks, entsandte Saddam Aziz als seinen Hauptdiplomaten in die Welt. So verstand es Tarek Aziz, US-Unterstützung im achtjährigen Krieg gegen den Iran (1980 bis 88) zu gewinnen, bald darauf gelang es ihm, enge ökonomische Beziehungen zur Sowjetunion zu knüpfen und schließlich 1984 wieder bei einem Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Reagan die Bande mit Washington erneut zu stärken.
Nach der irakischen Invasion Kuwaits 1990 irrte er von Weltstadt zu Weltstadt, in dem vergeblichen Bemühen, einen von den USA angeführten Krieg zur Vertreibung der irakischen Truppen aus dem Ölreich zu verhindern. Die Dramatik eines letzten, entscheidenden Gesprächs mit US-Außenminister Baker in Genf, bleibt vielen unvergessen. Kaltblütig weigerte sich Aziz, einen Brief des damaligen US-Präsidenten Bush Saddam zu übergeben. Der Krieg wurde damit unvermeidlich. Und vor der US-Invasion des Iraks im März 2003 versuchte er erneut all seine diplomatischen Künste, wurde auch von Papst Johannes Paul II. empfangen, der einen Friedensappell an die Welt richtete. Bald nach dem Sturz des Regimes ergab er sich im April 2003 den US-Militärs und blieb sieben Jahre lang in einem von den Amerikanern geführten Gefängnis. Im Zuge der US-Truppenreduzierung wurde er jedoch im August den irakischen Behörden überstellt und sitzt nun in einem Bagdader Gefängnis.
Bis heute steht Tarek Aziz bedingungslos loyal zu Saddam, den er jüngst in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ energisch verteidigte: „Die Geschichte wird zeigen, dass er seinem Land gedient hat. Er ist der Held hinter der Einheit des Iraks und seiner Souveränität“. Und im August, als die USA ihre erste Rückzugsphase aus dem Irak vollendeten, beschuldigte Aziz US-Präsident Obama, er „überlässt den Irak den Wölfen“ und forderte, die Amerikaner müssten bleiben, um die von ihnen angerichteten Fehler zu korrigieren.
Prominente Persönlichkeiten setzten sich immer wieder für die Freilassung Tarek Aziz’ mit dem Argument ein, offensichtliche schwere Verbrechen seien ihm nicht nachzuweisen. Der Vatikan appellierte ebenso für seine Freilassung, wie die ehemaligen Leiter des humanitären UNO-Hilfsprogramms für den Irak, Hans von Sponeck und Denis Halliday.
Dennoch. Tarek Aziz, der bereits in den 50er Jahren erstmals mit dem jungen Saddam Hussein zusammentraf, ist ein Baathist und Nationalist vom selben Schlag wie der exekutierte Diktator, wohl um nichts weniger hart und brutal. Wiewohl er nicht dem engsten, ausschließlich aus Tikrit stammenden Führungskreis des Despoten angehörte, saß er bis zuletzt im herrschenden Kommandorat der Revolution, in dem er sich aktiv an allen wichtigen Entscheidungen – Kriege, Genozid (gegen die Kurden und Schiiten), Massaker etc. – beteiligen musste. Hätte er dies nicht getan, hätte er nicht nur sofort Saddams Vertrauen verloren, sondern mit größter Sicherheit auch sein Leben. Beispiele dafür gab es genügend.
Dennoch hat das Todesurteil gegen ihn, den schalen Beigeschmack der „Siegerjustiz“. Denn die Verbrechen, für die er nun mit dem Leben bezahlen soll, richteten sich gegen „religiöse Parteien“, wie es im Urteilsspruch heißt. Somit holt Tarek Aziz die Geschichte ein. Denn es war am 1. April 1980 gewesen, als Mitglieder der schiitischen „Dawa“-Partei in Bagdad ein Attentat auf ihn verübt hatten. Aziz überlebte leicht verletzt. Doch Saddam nahm den Anschlag zum Anlass, um die blosse Mitgliedschaft bei der Dawa-Partei mit dem Tode zu bestrafen. Unzählige Schiiten wurden deshalb exekutiert, darunter auch prominente, hohe Geistliche. Der Anschlag löste eine blutige Kampagne gegen Schiiten aus, der auch der hochpopuläre Großayatollah Mohammed Mohammed Sadek al-Sadr 1999 zum Opfer fiel. Sein Erbe, der junge Geistliche Moktada Sadr, spielt heute eine entscheidende Rolle als Königsmacher bei der Bildung einer neuen Regierung im Irak. Und wenige zweifeln daran, dass Angehörige der Dawa, zu denen auch Premier Maliki zählt, immer noch auf blutige Rache sinnen.
Im Vorjahr war Tarek Aziz wegen Beteiligung am Exekutionsurteil gegen 42 Bagdader Händler, die in dramatischer Weise Nahrungsmittelpreise zu ihrem Vorteil in die Höhe getrieben hatten, zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Zuvor hatte ihn das Sondertribunal zur Aburteilung der Verbrechen aus der Saddam-Ära der Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit freigesprochen. Tarek Aziz ist nach zwei Herzinfarkten und möglicherweise einem Schlaganfall gesundheitlich schwer angeschlagen. Sein in Jordanien lebender Sohn Ziad wirft den Herrschern des neuen Irak vor, alle töten zu wollen, „die dem früheren Regime angehört hatten“.
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Freitag, 22. Oktober 2010
GOLFSTAATEN: Bahrains Tanz auf dem Vulkan
Die dritten Parlamentswahlen des winzigen Königreiches signalisieren explosive soziale Spannungen.
von Birgit Cerha
Es soll ein „Fest der Demokratie“ werden, wenn heute, Samstag, die Bürger des internationalen Bankenzentrums Bahrain ein neues Parlament wählen. So zumindest lautet der offiziell verkündete Wunsch von Justizminister Scheich Khalid al-Khalifa. In Wahrheit rückt das winzige Königreich am Persischen Golf der Erfüllung solcher Träume immer ferner. Die Wahlkampagne entlarvte vielmehr Weltöffentlichkeit eine erschreckende Farce, zu der Bahrains Demokratieanspruch entartet ist. Und sie signalisiert auch bedrohlich tiefe soziale Spannungen in diesem nur eine Million Bewohner (mehr als 50 Prozent davon nicht-wahlberechtigte Ausländer) zählenden Land. Diese sozialen Konflikte, verschärft durch gravierende Menschenrechtsverletzungen, verleihen den Wahlen eine Bedeutung für die gesamte Region, illustrieren dramatisch die Gefahren, die nicht nur Bahrain, sondern auch anderen politisch ähnlich strukturierten Ölmonarchien am Persischen Golf drohen könnten.
Untereinander zerstrittne sunnitische Islamisten könnten bei den Wahlen zum 40-köpfigen Parlament empfindliche Verluste zugunsten von regierungstreuen unabhängigen Kandidaten erleiden. An der Mehrheit für die herrschenden Al-Khalifas dürfte sich wenig ändern. Dafür sorgte das Königshaus seit vielen Wochen durch massive Repressionen. Liberale Medien, Blogs, zivile und Menschenrechts-Organisationen wurden geschlossen, die lautesten Kritiker des Königshauses durch Verhaftungen zum Schweigen gebracht, andere massiv eingeschüchtert. Ein Prozess gegen 25 prominente Oppositionelle und Blogger, die meisten im August und September verhaftet, andere durch Auslandsaufenthalte den Fängen der Justiz entschlüpft, soll am 28. Oktober beginnen. Prozesse gegen andere werden folgen. An die 300 Regimekritiker wurden nach Schätzungen von Human Rights Watch in den vergangenen Wochen festgenommen. Genaue Zahlen gibt es keine. Berichte über intensive Folter dringen an die Öffentlichkeit. Zahlreiche Inhaftierte gehören Oppositionsgruppen an, die die Regierung als illegal betrachtet und die einen Boykott der Wahlen propagieren.
„Unter den gegenwärtigen Umständen erscheint es schwer vorstellbar, dass diese Wahlen die Grundvoraussetzungen von Fairness – wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit – erfüllen“, klagt Joe Stork, Chef der Mittelost-Abteilung von „Human Rights Watch“. Die gegenüber den letzten Wahlen 2006 von 207 auf 146 geschrumpfte Zahl der Kandidaten spricht für sich. Fast zwei Drittel der Bewerber sind (regimetreue) „Unabhängige“, der Rest gehört der schiitischen „Al-Wefaq“-Organisation sowie zwei regierungstreuen sunnitischen Gruppierungen an. „Das System ist kugelsicher gegen demokratischen Fortschritt“, erklärt der Linkspolitiker Ebrahim Sharif die große politische Apathie.
Dabei hatte US-Präsident George Bush den engen Verbündeten Bahrain (der der Fünften Flotte der US-Marine einen Stützpunkt bietet) vor zehn Jahren als „demokratisches Modell“ für andere Nahost-Staaten gepriesen. Als Hamad bin Issa 1999 die Macht übernahm, leitete er einen Reformprozeß ein, der mit der Aufhebung der repressiven „Staats-Sicherheitsgesetze“ begann, der Verabschiedung einer „Nationalen Aktions-Charta“ und der Umwandlung des Emirats in eine „Konstitutionelle Monarchie“ mit einem gewählten Parlament. Doch schon 2002 wurden solche Liberalisierungen durch eine Verfassungsänderung zunichte gemacht, die einem vom König ernannten 40-köpfigen Konsultativ-Rat absolute Vetomacht über alle vom Parlament verabschiedeten Gesetze sicherte. Vier überwiegend schiitische Oppositionsgruppen boykottierten daraufhin die Parlamentswahlen von 2002. „Bahrain erlebt eine Rückkehr zum totalen Autoritarismus“, analysiert Stork.
Es herrscht ein Klima allgemeiner Unzufriedenheit und Frustration. Die durch die sunnitischen Herrscher diskriminierte schiitische Bevölkerungsmehrheit von 60 bis 70 Prozent sieht keine Chance auf ein Ende ihres Daseins als „Bürger zweiter Klasse“, die weitgehend von der sozialen und politischen Entwicklung des Landes ausgeschlossen bleiben. Jüngste öffentliche Protestkundgebungen wurden vom Regime als iranische Subversionsversuche gebrandmarkt, womit sich das Königshaus die Sympathie des amerikanischen Verbündeten angesichts der Repressionen zu sichern suchte, wohl mit einigem Erfolg. Zugleich heizt ein Einbürgerungsprogramm von mehr als 200.000 Sunniten aus Jordanien, Saudi-Arabien und Syrien die sozialen Spannungen massiv auf, zielt es doch auf eine entscheidende Stärkung der herrschenden sunnitischen Minderheit durch größeren Anteil an der Gesamtbevölkerung, wie auch die Bildung eines dem Regime absolut loyal eingestellten Blocks ab. Viele dieser neuen Bürger finden Anstellung im Militär und in den internen Sicherheitsdiensten, aus denen Schiiten systematisch ausgeschlossen sind.
Die allgemeine Unzufriedenheit wird aber auch durch ökonomische und soziale Probleme verschärft. Bahrains Ölerträge haben sich im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht, doch ein großer Teil der Bevölkerung, insbesondere die Schiiten, bleibt von diesem Segen ausgeschlossen und leidet unter wachsender Arbeitslosigkeit. Rund 50.000 Familien stehen auf einer Regierungsliste für leistbare Wohnungen. Nicht wenige warten darauf schon seit zwei Jahrzehnten.
Das Regime tanzt auf einem Vulkan. „Das gesamte System muß reformiert werden“, meint Sharif. „Doch jene, die die Macht haben, sind dazu nicht bereit.“ Damit würden sich die sozialen Ungerechtigkeiten verschärfen und eine Massenrebellion sei unausweichlich.
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von Birgit Cerha
Es soll ein „Fest der Demokratie“ werden, wenn heute, Samstag, die Bürger des internationalen Bankenzentrums Bahrain ein neues Parlament wählen. So zumindest lautet der offiziell verkündete Wunsch von Justizminister Scheich Khalid al-Khalifa. In Wahrheit rückt das winzige Königreich am Persischen Golf der Erfüllung solcher Träume immer ferner. Die Wahlkampagne entlarvte vielmehr Weltöffentlichkeit eine erschreckende Farce, zu der Bahrains Demokratieanspruch entartet ist. Und sie signalisiert auch bedrohlich tiefe soziale Spannungen in diesem nur eine Million Bewohner (mehr als 50 Prozent davon nicht-wahlberechtigte Ausländer) zählenden Land. Diese sozialen Konflikte, verschärft durch gravierende Menschenrechtsverletzungen, verleihen den Wahlen eine Bedeutung für die gesamte Region, illustrieren dramatisch die Gefahren, die nicht nur Bahrain, sondern auch anderen politisch ähnlich strukturierten Ölmonarchien am Persischen Golf drohen könnten.
Untereinander zerstrittne sunnitische Islamisten könnten bei den Wahlen zum 40-köpfigen Parlament empfindliche Verluste zugunsten von regierungstreuen unabhängigen Kandidaten erleiden. An der Mehrheit für die herrschenden Al-Khalifas dürfte sich wenig ändern. Dafür sorgte das Königshaus seit vielen Wochen durch massive Repressionen. Liberale Medien, Blogs, zivile und Menschenrechts-Organisationen wurden geschlossen, die lautesten Kritiker des Königshauses durch Verhaftungen zum Schweigen gebracht, andere massiv eingeschüchtert. Ein Prozess gegen 25 prominente Oppositionelle und Blogger, die meisten im August und September verhaftet, andere durch Auslandsaufenthalte den Fängen der Justiz entschlüpft, soll am 28. Oktober beginnen. Prozesse gegen andere werden folgen. An die 300 Regimekritiker wurden nach Schätzungen von Human Rights Watch in den vergangenen Wochen festgenommen. Genaue Zahlen gibt es keine. Berichte über intensive Folter dringen an die Öffentlichkeit. Zahlreiche Inhaftierte gehören Oppositionsgruppen an, die die Regierung als illegal betrachtet und die einen Boykott der Wahlen propagieren.
„Unter den gegenwärtigen Umständen erscheint es schwer vorstellbar, dass diese Wahlen die Grundvoraussetzungen von Fairness – wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit – erfüllen“, klagt Joe Stork, Chef der Mittelost-Abteilung von „Human Rights Watch“. Die gegenüber den letzten Wahlen 2006 von 207 auf 146 geschrumpfte Zahl der Kandidaten spricht für sich. Fast zwei Drittel der Bewerber sind (regimetreue) „Unabhängige“, der Rest gehört der schiitischen „Al-Wefaq“-Organisation sowie zwei regierungstreuen sunnitischen Gruppierungen an. „Das System ist kugelsicher gegen demokratischen Fortschritt“, erklärt der Linkspolitiker Ebrahim Sharif die große politische Apathie.
Dabei hatte US-Präsident George Bush den engen Verbündeten Bahrain (der der Fünften Flotte der US-Marine einen Stützpunkt bietet) vor zehn Jahren als „demokratisches Modell“ für andere Nahost-Staaten gepriesen. Als Hamad bin Issa 1999 die Macht übernahm, leitete er einen Reformprozeß ein, der mit der Aufhebung der repressiven „Staats-Sicherheitsgesetze“ begann, der Verabschiedung einer „Nationalen Aktions-Charta“ und der Umwandlung des Emirats in eine „Konstitutionelle Monarchie“ mit einem gewählten Parlament. Doch schon 2002 wurden solche Liberalisierungen durch eine Verfassungsänderung zunichte gemacht, die einem vom König ernannten 40-köpfigen Konsultativ-Rat absolute Vetomacht über alle vom Parlament verabschiedeten Gesetze sicherte. Vier überwiegend schiitische Oppositionsgruppen boykottierten daraufhin die Parlamentswahlen von 2002. „Bahrain erlebt eine Rückkehr zum totalen Autoritarismus“, analysiert Stork.
Es herrscht ein Klima allgemeiner Unzufriedenheit und Frustration. Die durch die sunnitischen Herrscher diskriminierte schiitische Bevölkerungsmehrheit von 60 bis 70 Prozent sieht keine Chance auf ein Ende ihres Daseins als „Bürger zweiter Klasse“, die weitgehend von der sozialen und politischen Entwicklung des Landes ausgeschlossen bleiben. Jüngste öffentliche Protestkundgebungen wurden vom Regime als iranische Subversionsversuche gebrandmarkt, womit sich das Königshaus die Sympathie des amerikanischen Verbündeten angesichts der Repressionen zu sichern suchte, wohl mit einigem Erfolg. Zugleich heizt ein Einbürgerungsprogramm von mehr als 200.000 Sunniten aus Jordanien, Saudi-Arabien und Syrien die sozialen Spannungen massiv auf, zielt es doch auf eine entscheidende Stärkung der herrschenden sunnitischen Minderheit durch größeren Anteil an der Gesamtbevölkerung, wie auch die Bildung eines dem Regime absolut loyal eingestellten Blocks ab. Viele dieser neuen Bürger finden Anstellung im Militär und in den internen Sicherheitsdiensten, aus denen Schiiten systematisch ausgeschlossen sind.
Die allgemeine Unzufriedenheit wird aber auch durch ökonomische und soziale Probleme verschärft. Bahrains Ölerträge haben sich im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht, doch ein großer Teil der Bevölkerung, insbesondere die Schiiten, bleibt von diesem Segen ausgeschlossen und leidet unter wachsender Arbeitslosigkeit. Rund 50.000 Familien stehen auf einer Regierungsliste für leistbare Wohnungen. Nicht wenige warten darauf schon seit zwei Jahrzehnten.
Das Regime tanzt auf einem Vulkan. „Das gesamte System muß reformiert werden“, meint Sharif. „Doch jene, die die Macht haben, sind dazu nicht bereit.“ Damit würden sich die sozialen Ungerechtigkeiten verschärfen und eine Massenrebellion sei unausweichlich.
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Donnerstag, 21. Oktober 2010
LIBANON: The real story behind Mahmoud Ahmadinejad's visit
Wir wollen unseren Lesern ein eindrucksvolles Beispiel orientalischer "Akrobatenstücke" nicht vorenthalten, das der alterfahrene britische Nahostkorrespondent Robert Fisk im "Independent" präsentiert:
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Commentary, Independent, October 20, 2010
By Robert Fisk
While the West reacted with predictable horror to the Lebanese visit of President Mahmoud Ahmadinejad of Iran – the US President Barack Obama called it "provocative" while Israel claimed that its northern neighbour was now "a hub of regional terror" – it largely failed to notice that the Iranians were busy signing a set of massive energy, oil exploration and economic agreements with Lebanon.
They included a £300m Iranian letter of credit for the Lebanese to begin financing new projects – possibly including two new power stations and a direct electricity link between the two countries via Turkey.
On the surface, it's easy to see all this as another attempt by Iran to dominate Lebanon through oil and electricity – and the Lebanese government's acceptance of the agreements as a sign of submission.
Lebanon is believed to have considerable reserves of oil off the northern city of Tripoli which Iran suggested it might be able to explore – other fields may lie further south, close to Israel. Certainly, the Lebanese, who in some regions suffer eight-hour power cuts every day, are ready to allocate more than £1bn to the electrical project, with £1.5bn from the private sector and another £600m from largely western donor nations. This will come as something of a shock to the donors.
But, like everything in Lebanon, the whole fandango is more mirage than reality, as the Lebanese economist Marwan Iskander discovered when he researched his files. For the Iranians are demanding a matching guarantee of £300m from the Lebanese Central Bank – which it cannot provide without breaching UN sanctions against Iran. In fact, Iskander says, Iran wrote out a £75m pledge to Lebanon 10 years ago which the Central Bank could not guarantee – and for the same reason. The UN thus long ago put Iran out of the sub-financing business in this part of the Middle East.
And the dark spectre of Iranian oil men drilling the Mediterranean seabed 70 miles north of the Israeli border is also illusory. French and Norwegian companies have done much of the drilling in Iran; the refining has been carried out by French and Italian companies. Now the Russians and Chinese are doing the same job in Iran. The idea that Tehran would furnish cash to pay Moscow and Peking to explore reserves off Lebanon is close to fantasy.
So why on earth did the Iranian Foreign Minister Manouchehr Mottaki and the Lebanese Energy Minister Gebran Bassil sit down to sign those 17 agreements a week ago? Herein lies a tale. For it just so happens that Mr Bassil is the son-in-law of the Christian Maronite ex-general Michel Aoun whose political party long ago aligned itself with Syria and Iran. In Lebanon, its Christian supporters have thus found themselves an ally of Hizbollah and in opposition to the majority government of the Prime Minister Saad Hariri.
On the surface, this makes sense. Aoun is helping the Iranians to move into the Lebanese economy. But right now, the ex-general has a few other things on his mind. For a start, three of the team of alleged spies for Israel arrested by the Lebanese army over the past nine months have turned out to be working for Aoun's party. And this "spy ring" is supposed to have been involved in amassing data within the Lebanese communications system. Indeed, one of them was a senior official in Lebanon's largest mobile telephone network.
But the plot thickens. Hizbollah is deeply concerned that forthcoming accusations by the UN international tribunal in The Hague will finger members of the militia in the murder of Prime Minister Hariri's father Rafic on 14 February, 2005. Sayyid Hassan Nasrallah, the chairman of Hizbollah, has already denounced such accusations in advance – and suggested that the Israeli spy network inserted false phone traffic into the mobile phone records of the day of the murder; in other words, the records – a key part of the tribunal's evidence – were deliberately tampered with in order to implicate Hizbollah members in the murder.
And it has to be said that immediately after Rafic Hariri's killing, the UN was quietly pointing the finger at Syria rather than its Hizbollah ally. A censored UN report originally named four Syrian figures supposedly involved in the assassination. But now – after Der Spiegel (and its Israeli informants) suggested Hizbollah men were to blame – everyone is suspecting Israel's most security-conscious enemy in the Middle East of the crime. It's not unlike the Lockerbie airliner bombing, when the Syrians were originally fingered and then – when Syria's help was needed in the coalition against Saddam following his invasion of Kuwait in 1990 – the West started blaming Libya.
And those 17 Iranian-Lebanese agreements? Just bits of paper, maybe, signed by Bassil to keep the heat off his father-in-law's embarrassment. Spies and dodgy oil deals and a five-year murder hunt. It had to happen in Lebanon.
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Commentary, Independent, October 20, 2010
By Robert Fisk
While the West reacted with predictable horror to the Lebanese visit of President Mahmoud Ahmadinejad of Iran – the US President Barack Obama called it "provocative" while Israel claimed that its northern neighbour was now "a hub of regional terror" – it largely failed to notice that the Iranians were busy signing a set of massive energy, oil exploration and economic agreements with Lebanon.
They included a £300m Iranian letter of credit for the Lebanese to begin financing new projects – possibly including two new power stations and a direct electricity link between the two countries via Turkey.
On the surface, it's easy to see all this as another attempt by Iran to dominate Lebanon through oil and electricity – and the Lebanese government's acceptance of the agreements as a sign of submission.
Lebanon is believed to have considerable reserves of oil off the northern city of Tripoli which Iran suggested it might be able to explore – other fields may lie further south, close to Israel. Certainly, the Lebanese, who in some regions suffer eight-hour power cuts every day, are ready to allocate more than £1bn to the electrical project, with £1.5bn from the private sector and another £600m from largely western donor nations. This will come as something of a shock to the donors.
But, like everything in Lebanon, the whole fandango is more mirage than reality, as the Lebanese economist Marwan Iskander discovered when he researched his files. For the Iranians are demanding a matching guarantee of £300m from the Lebanese Central Bank – which it cannot provide without breaching UN sanctions against Iran. In fact, Iskander says, Iran wrote out a £75m pledge to Lebanon 10 years ago which the Central Bank could not guarantee – and for the same reason. The UN thus long ago put Iran out of the sub-financing business in this part of the Middle East.
And the dark spectre of Iranian oil men drilling the Mediterranean seabed 70 miles north of the Israeli border is also illusory. French and Norwegian companies have done much of the drilling in Iran; the refining has been carried out by French and Italian companies. Now the Russians and Chinese are doing the same job in Iran. The idea that Tehran would furnish cash to pay Moscow and Peking to explore reserves off Lebanon is close to fantasy.
So why on earth did the Iranian Foreign Minister Manouchehr Mottaki and the Lebanese Energy Minister Gebran Bassil sit down to sign those 17 agreements a week ago? Herein lies a tale. For it just so happens that Mr Bassil is the son-in-law of the Christian Maronite ex-general Michel Aoun whose political party long ago aligned itself with Syria and Iran. In Lebanon, its Christian supporters have thus found themselves an ally of Hizbollah and in opposition to the majority government of the Prime Minister Saad Hariri.
On the surface, this makes sense. Aoun is helping the Iranians to move into the Lebanese economy. But right now, the ex-general has a few other things on his mind. For a start, three of the team of alleged spies for Israel arrested by the Lebanese army over the past nine months have turned out to be working for Aoun's party. And this "spy ring" is supposed to have been involved in amassing data within the Lebanese communications system. Indeed, one of them was a senior official in Lebanon's largest mobile telephone network.
But the plot thickens. Hizbollah is deeply concerned that forthcoming accusations by the UN international tribunal in The Hague will finger members of the militia in the murder of Prime Minister Hariri's father Rafic on 14 February, 2005. Sayyid Hassan Nasrallah, the chairman of Hizbollah, has already denounced such accusations in advance – and suggested that the Israeli spy network inserted false phone traffic into the mobile phone records of the day of the murder; in other words, the records – a key part of the tribunal's evidence – were deliberately tampered with in order to implicate Hizbollah members in the murder.
And it has to be said that immediately after Rafic Hariri's killing, the UN was quietly pointing the finger at Syria rather than its Hizbollah ally. A censored UN report originally named four Syrian figures supposedly involved in the assassination. But now – after Der Spiegel (and its Israeli informants) suggested Hizbollah men were to blame – everyone is suspecting Israel's most security-conscious enemy in the Middle East of the crime. It's not unlike the Lockerbie airliner bombing, when the Syrians were originally fingered and then – when Syria's help was needed in the coalition against Saddam following his invasion of Kuwait in 1990 – the West started blaming Libya.
And those 17 Iranian-Lebanese agreements? Just bits of paper, maybe, signed by Bassil to keep the heat off his father-in-law's embarrassment. Spies and dodgy oil deals and a five-year murder hunt. It had to happen in Lebanon.
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Dienstag, 19. Oktober 2010
JEMEN: Sehnsucht nach „Süd-Arabien“
Unter den zunehmend frustrierten und unterdrückten Süd-Jemeniten fassen auch Extremsiten der Al-Kaida verstärkt Fuß - Droht ein neuer Sezessionskrieg?
von Birgit Cerha
Panzerfahrzeuge rollen durch die staubigen Straßen der südjemenitischen Provinz Abyan, während die staatliche Luftwaffe Bombeneinsätze fliegt. Unzählige Menschen kamen ums Leben. Ob darunter auch Terroristen der Al-Kaida sind, gegen die sich dieser Großeinsatz der jemenitischen Streitkräfte richtet, ist ungewiß. Denn die Extremisten von der heimischen Bevölkerung zu unterscheiden, die ihnen Unterschlupf bietet, erweist sich als zunehmend schwierig.
Die jüngste Regierungsoffensive ist eine Antwort auf einen Überfall von mutmaßlichen Al-Kaida Terroristen auf einen Militärkonvoi, bei dem mindestens vier jemenitischen Soldaten ums Leben gekommen waren. Nachdem Präsident Saleh jahrelang amerikanischem Druck getrotzt und Angehörige des Terrornetzwerks Osama Bin Ladens, die zunehmend in seinem Land Unterschlupf fanden, nur halbherzig oder gar nicht verfolgt hatte, sieht er sich nun voll in einen Krieg mit diesen Terroristen hineingezogen. Die Extremisten haben Jemens Sicherheitskräfte zu ihrem primären Ziel erkoren, seit diese mit US-Militärunterstützung ihnen immer wieder gewaltsam zu Leibe rücken.
Die Terroristen, darunter auch viele aus Afghanistan, Pakistan oder dem benachbarten Saudi-Arabien geflüchtete Nicht-Jemeniten, finden ein ideales Rückzugsfeld in dem zunehmend staatlicher Kontrolle entgleitenden Süd-Jemen. Zwei Jahrzehnte, nachdem die Menschen im Norden und Süden des einst von den Römern „Arabia felix“ getauften Jemen sich einen „historischen Traum“ (so der ehemalige Präsident der „Volksdemokratischen Republik Jemen“, Ali Nasser Mohammed) erfüllt hatten (siehe Archiv: „Die Erzfeinde haben sich in die Arme geschlossen“. „Die Weltwoche“, 5.7.1990) wachsen unter den Süd-Jemeniten Enttäuschung, Bitterkeit, ja gar Zorn gegen den sie nach einem blutigen Bürgerkrieg (siehe Archiv: „Am Tor der Tränen kehrt die Ruhe der Toten ein“) dominierenden Norden. Die Spannungen nähern sich dem Siedepunkt. Immer wieder kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Separatisten und Regierungstruppen. Tausende Menschen wurden nach Attacken durch Regierungseinheiten aus ihren Dörfern vertrieben. Tausende protestierten wiederholt gegen die „barbarischen Militärkampagnen der Besatzungestruppen“ (des Nordens). Dabei richten die Menschen immer wieder Appelle an die internationale Gemeinschaft, doch zu „intervenieren, um das Problem des Süd-Jemen zu lösen“, denn nur dann könne auch die Stabilität dieses strategisch so wichtigen Landes insgesamt gesichert werden.
Lose miteinander verbundene süd-jemenitische Gruppen, die eine erneute Sezession erstreben, erhielten enormen Auftrieb, als sich ein prominenter Verbündeter Präsident Salehs, Tariq Fadhli, im Vorjahr den Separatisten anschloss. Fadhli hatte einst an der Seite Osama bin Ladens in Afghanistan gegen die sowjetische Besatzung gekämpft, präsentierte sich jedoch vor wenigen Monaten auf einem YouTube Video mit der amerikanischen Flagge im Hintergrund, begierig zu beweisen, dass er sich voll von Al-Kaida distanziert. Er ruft offen nach erneuter Loslösung des Südens vom Norden, einem Ziel, für das er – wohl vergeblich – auf US-Unterstützung hofft und dem sich nach einer Umfrage des „Yemen Center for Civil Rights“ bis zu 70 Prozent der Süd-Jemeniten anschließen.
Die Beschwerdeliste gegen den Norden ist lang. Seit der Vereinigung und insbesondere seit dem vom Norden gewonnenen Bürgerkrieg 1994 fühlen sich die Süd-Jemeniten als „Bürger zweiter Klasse“ im vereinten Jemen. Die Arbeitslosigkeit stieg in nie zuvor gekannte Höhen. Viele Süd-Jemeniten fühlen sich abgeschnitten von den Dienstleistungen der Zentralregierung, besitzen keine Chance auf Stellen im öffentlichen Dienst und sind zunehmend empört über den wachsenden Einfluss der Zentralregierung auf ihre lokale Administration. Zu den wichtigsten Forderungen an Sanaa zählen Gleichberechtigung im Staat, Dezentralisierung und gerechter Anteil an der sozialen Wohlfahrt. Insbesondere empört die Süd-Jemeniten, dass die Regierung wertvolles Land an Bürger aus dem Norden mit engen Bindungen an das Regime Saleh verschachert und die Hauptgewinne aus den im Süden liegenden Ölquellen einstreift. Auch der Niedergang der einst prosperierenden und liberalen Hafenstadt Aden durch Bestimmungen, die Aden die volle Kontrolle über jede Geschäftstätigkeit sichern, grämt die Süd-Jemeniten. Hinzu kommen massive Repressionen des Regimes gegen Bürger, die sich über all diese Ungerechtigkeiten gewaltlos empören. Eine allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen in diesem einst liberalen Land, dem Fundamentalisten aus dem Norden puritanische Vorschriften teils gewaltsam aufzuzwingen suchen, trägt entscheidend zur allgemeinen Unzufriedenheit bei.
In den vergangenen drei Jahren war die Separatistenbewegung durch interne Differenzen und widersprüchliche Ziele gespalten. Doch die wachsende Not und Frustration der Menschen beginnt diese Spaltungen zu kitten. „Ich glaube, Gewalt ist unvermeidlich“, meint ein Separatistenführer, die lieber ungenannt bleiben will, „zu viele Verhaftungen, zu viele Tote, zu viel Ungerechtigkeit. Und Männer der 1994 aufgelösten süd-jemenitische Armee halten daheim noch ihre Waffen zu erneutem Einsatz bereit. „Süd-Arabien“ soll das Land heißen, das sich viele ersehnen.
Bildquelle: AFP
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von Birgit Cerha
Panzerfahrzeuge rollen durch die staubigen Straßen der südjemenitischen Provinz Abyan, während die staatliche Luftwaffe Bombeneinsätze fliegt. Unzählige Menschen kamen ums Leben. Ob darunter auch Terroristen der Al-Kaida sind, gegen die sich dieser Großeinsatz der jemenitischen Streitkräfte richtet, ist ungewiß. Denn die Extremisten von der heimischen Bevölkerung zu unterscheiden, die ihnen Unterschlupf bietet, erweist sich als zunehmend schwierig.
Die jüngste Regierungsoffensive ist eine Antwort auf einen Überfall von mutmaßlichen Al-Kaida Terroristen auf einen Militärkonvoi, bei dem mindestens vier jemenitischen Soldaten ums Leben gekommen waren. Nachdem Präsident Saleh jahrelang amerikanischem Druck getrotzt und Angehörige des Terrornetzwerks Osama Bin Ladens, die zunehmend in seinem Land Unterschlupf fanden, nur halbherzig oder gar nicht verfolgt hatte, sieht er sich nun voll in einen Krieg mit diesen Terroristen hineingezogen. Die Extremisten haben Jemens Sicherheitskräfte zu ihrem primären Ziel erkoren, seit diese mit US-Militärunterstützung ihnen immer wieder gewaltsam zu Leibe rücken.
Die Terroristen, darunter auch viele aus Afghanistan, Pakistan oder dem benachbarten Saudi-Arabien geflüchtete Nicht-Jemeniten, finden ein ideales Rückzugsfeld in dem zunehmend staatlicher Kontrolle entgleitenden Süd-Jemen. Zwei Jahrzehnte, nachdem die Menschen im Norden und Süden des einst von den Römern „Arabia felix“ getauften Jemen sich einen „historischen Traum“ (so der ehemalige Präsident der „Volksdemokratischen Republik Jemen“, Ali Nasser Mohammed) erfüllt hatten (siehe Archiv: „Die Erzfeinde haben sich in die Arme geschlossen“. „Die Weltwoche“, 5.7.1990) wachsen unter den Süd-Jemeniten Enttäuschung, Bitterkeit, ja gar Zorn gegen den sie nach einem blutigen Bürgerkrieg (siehe Archiv: „Am Tor der Tränen kehrt die Ruhe der Toten ein“) dominierenden Norden. Die Spannungen nähern sich dem Siedepunkt. Immer wieder kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Separatisten und Regierungstruppen. Tausende Menschen wurden nach Attacken durch Regierungseinheiten aus ihren Dörfern vertrieben. Tausende protestierten wiederholt gegen die „barbarischen Militärkampagnen der Besatzungestruppen“ (des Nordens). Dabei richten die Menschen immer wieder Appelle an die internationale Gemeinschaft, doch zu „intervenieren, um das Problem des Süd-Jemen zu lösen“, denn nur dann könne auch die Stabilität dieses strategisch so wichtigen Landes insgesamt gesichert werden.
Lose miteinander verbundene süd-jemenitische Gruppen, die eine erneute Sezession erstreben, erhielten enormen Auftrieb, als sich ein prominenter Verbündeter Präsident Salehs, Tariq Fadhli, im Vorjahr den Separatisten anschloss. Fadhli hatte einst an der Seite Osama bin Ladens in Afghanistan gegen die sowjetische Besatzung gekämpft, präsentierte sich jedoch vor wenigen Monaten auf einem YouTube Video mit der amerikanischen Flagge im Hintergrund, begierig zu beweisen, dass er sich voll von Al-Kaida distanziert. Er ruft offen nach erneuter Loslösung des Südens vom Norden, einem Ziel, für das er – wohl vergeblich – auf US-Unterstützung hofft und dem sich nach einer Umfrage des „Yemen Center for Civil Rights“ bis zu 70 Prozent der Süd-Jemeniten anschließen.
Die Beschwerdeliste gegen den Norden ist lang. Seit der Vereinigung und insbesondere seit dem vom Norden gewonnenen Bürgerkrieg 1994 fühlen sich die Süd-Jemeniten als „Bürger zweiter Klasse“ im vereinten Jemen. Die Arbeitslosigkeit stieg in nie zuvor gekannte Höhen. Viele Süd-Jemeniten fühlen sich abgeschnitten von den Dienstleistungen der Zentralregierung, besitzen keine Chance auf Stellen im öffentlichen Dienst und sind zunehmend empört über den wachsenden Einfluss der Zentralregierung auf ihre lokale Administration. Zu den wichtigsten Forderungen an Sanaa zählen Gleichberechtigung im Staat, Dezentralisierung und gerechter Anteil an der sozialen Wohlfahrt. Insbesondere empört die Süd-Jemeniten, dass die Regierung wertvolles Land an Bürger aus dem Norden mit engen Bindungen an das Regime Saleh verschachert und die Hauptgewinne aus den im Süden liegenden Ölquellen einstreift. Auch der Niedergang der einst prosperierenden und liberalen Hafenstadt Aden durch Bestimmungen, die Aden die volle Kontrolle über jede Geschäftstätigkeit sichern, grämt die Süd-Jemeniten. Hinzu kommen massive Repressionen des Regimes gegen Bürger, die sich über all diese Ungerechtigkeiten gewaltlos empören. Eine allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen in diesem einst liberalen Land, dem Fundamentalisten aus dem Norden puritanische Vorschriften teils gewaltsam aufzuzwingen suchen, trägt entscheidend zur allgemeinen Unzufriedenheit bei.
In den vergangenen drei Jahren war die Separatistenbewegung durch interne Differenzen und widersprüchliche Ziele gespalten. Doch die wachsende Not und Frustration der Menschen beginnt diese Spaltungen zu kitten. „Ich glaube, Gewalt ist unvermeidlich“, meint ein Separatistenführer, die lieber ungenannt bleiben will, „zu viele Verhaftungen, zu viele Tote, zu viel Ungerechtigkeit. Und Männer der 1994 aufgelösten süd-jemenitische Armee halten daheim noch ihre Waffen zu erneutem Einsatz bereit. „Süd-Arabien“ soll das Land heißen, das sich viele ersehnen.
Bildquelle: AFP
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Dienstag, 12. Oktober 2010
IRAN:„Freund oder Eroberer?“
Ahmadinedschad schürt mit seinem demonstrativen Besuch des Libanons schwere interne Konflikte, sein Hauptmotiv aber ist die Flucht vor der Unpopularität daheim
von Birgit Cerha
Er hofft wohl sehnsüchtig auf den Jubel von Anhängern, der ihm in seiner iranischen Heimat seit vielen Monaten versagt bleibt. Und sein treuer Bündnispartner Hassan Nasrallah, Chef der libanesischen Schiitenorganisation Hisbollah, trommelt seit Tagen eifrig seine Anhängerschar zusammen, um Mahmud Ahmadinedschad in Beirut einen begeisterten Empfang zu bereiten. Ob der von israelischen Attentatsplänen verfolgte Nasrallah sich dabei zum erstenmal seit mehr als zwei Jahren persönlich an die Öffentlichkeit wagt, bleibt vorerst Spekulation.
Es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass ein iranischer Präsident heute, Mittwoch, zu einem Staatsbesuch libanesischen Boden betritt. Der Besuch ist spektakulär, heizt Emotionen auf, positive und negative, im Libanon, im Iran, in den Nachbarstaaten, insbesondere in Israel, aber auch darüber hinaus. Die Regierung in Washington fühlt sich gezwungen, ihre Bürger vor möglichen Gewaltakten zu warnen. Und für die Sicherheit des von im Libanon stationierten Al-Kaida-Terroristen bedrohten Gast übernimmt die vom Iran ausgestattete und trainierte Hisbollah die Sicherheit. Sicherheitskräfte des libanesischen Staates bleiben wohl im Hintergrund.
Ahmadinedschad wird von einer hochrangigen Delegation von Ministern, Parlamentariern und Geschäftsleuten begleitet. Und er will sich als der große Gönner des kleinen, schwer bedrängten Levantestaates präsentieren, der im geostrategischen Denken iranischer Islamisten vom Schlage des Präsidenten eine ganz entscheidende Position einnimmt. Aktive Unterstützung bei der Förderung von jüngst entdeckten Energiequellen an der Mittelmeerküste will Ahmadinedschad ebenso anbieten, wie Hilfe bei der äußerst mangelhaften Energieversorgung des Landes (die in der Vergangenheit wiederholt durch israelische Militärattacken unterbrochen wurde) und hochfliegenden Plänen, wie dem Bau von Industriestädten. Vor allem aber will Irans Präsident die libanesischen Armee großzügig mit Waffen aufrüsten, nachdem der US-Kongress jüngst jede militärische Unterstützung aus Sorge darüber gestoppt hatte, dass Militärgeräte in die Hände der Hisbollah für deren Kampf gegen Israel geraten.
Doch der Libanon steckt wegen der erwarteten Anklage von Hisbollah-Mitgliedern, die der Mittäterschaft am Mord von Ex-Premier Rafik Hariri und 22 anderen Libanesen 2005 beschuldigt werden, in einer schweren internen Krise. Ahmadinedschad wird seinem schiitischen Verbündeten demonstrativ den Rücken stärken und damit die Spannungen im Land aufheizen. Seit Tagen attackieren Verbündete des Premiers Saad Hariri - des von Saudi-Arabien, Irans Erzrivalen in der Region, unterstützten Sohns des Ermordeten -Ahmadinedschads Reisepläne als „provokativ“ und die Bevölkerung ist gespalten.
Kaum mehr als ein Drittel der Libanesen sind Schiiten und vielleicht nur die Hälfte von ihnen unterstützt aktiv Hisbollah. „Der Rest der Vier-Millionen-Libanesen fragt sich, ob Ahmadinedschad als Freund kommt oder als Eroberer“. Die Antwort sieht Fadia Kiwan, Politologin der Beiruter „Saint Joseph“ Universität, in der Tatsache, dass Hisbollah fast totale militärische und politische Vormachtstellung im Libanon genießt. Sie erachtet die Frage als entscheidend, ob„Ahmadiunedschad bei seinem Besuch Unterstützung für den Libanon bekunden“ werde, oder ob er plane, „libanesisches Territorium als Sprungbrett für seine eigenen Interessen“, etwa im Konflikt über das iranische Atomprogramm, zu nützen.
Der Besuch des Iraners ist auch nach objektiven Kriterien in mehrfacher Hinsicht provokativ. Offiziell geht es Ahmadinedschad darum, die „Widerstandsfront gegen Israel“ zu stärken, und dies gerade zu einem Zeitpunkt, da sich Washington verzweifelt um die Rettung von Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern bemüht. Demonstrativ will der offiziell den Holokaust leugnende Iraner, der sich immer wieder für die Zerstörung Israels ausspricht, libanesische Grenzdörfer zu Israel besuchen und dort am „Fatima“-Grenzübergang Donnerstag symbolisch auch Steine werfen und bei einer Massenkundgebung in Hisbollahs Süd-Beiruter Hochburg deren „Verdienste“ preisen.
Dem Drängen seines syrischen Verbündeten Assad, angesichts der eskalierenden Spannungen in der Levante den Besuch doch lieber aufzuschieben, hatte Ahmadinedschad kein Gehör geschenkt. Denn nicht die Stärkung der iranischen geostrategischen Position, in der Hisbollah eine entscheidende Rolle einnimmt, ist die Hauptmotivation seiner Reise. Daheim durch eine Massenopposition, noch mehr aber durch mächtige Konservative im Regime bedrängt, sucht Ahmadinedschad verzweifelt nach Beweisen für seine Popularität. In Libanons Schiitenvierteln fliegen ihm ehrlich Herzen zu, voll Dankbarkeit darüber, dass der Iran jahrelang soziale Unterstützung und insbesondere nach den massiven Zerstörungen im Krieg der Israelis gegen die Hisbollah 2006 entscheidende Wideraufbauhilfe geleistet hatte. ‚“Wir verdanken dem Iran unser Überleben. Er hat uns mehr geholfen als der libanesische Staat“, fasst ein schiitischer Kaufmann im südlibanesischen Bint Jbeil weitverbreitete Emotionen zusammen. Der durch wachsende Animosität daheim tief verwundete Ahmadinedschad hofft wohl durch solche Dankbarkeit seine schwer angeschlagene Position im Iran ein wenig zu stärken, gleichgültig, welchen Preis die Libanesen dafür bezahlen müssen.
Bilquelle:
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Montag, 11. Oktober 2010
LIBANON: Im Libanon tickt wieder eine Zeitbombe
Verängstigte Bürger bewaffnen sich angesichts wachsender Spannungen über das Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Ex-Premier Hariri
von Birgit Cerha
Wieder erscheint drohend das Schreckgespenst des Bürgerkriegs auf dem libanesischen Horizont. Zorn über die heimischen Politiker und ausländischen Mächte, die traditionell ihre Interessen auf levantinischet Erde austragen, versetzt die Libanesen erneut in Panik. Waffenhändler berichten über stark ansteigende Nachfrage nach Gewehren und Pistolen. Vorerst entlädt sich die eskalierende Spannung in einem verschärften Krieg der Worte zwischen den politischen Hauptkontrahenten: der von Saudi-Arabien unterstützten Allianz um Regierungschef Saad Hariri auf der einen und der mit Syrien und Iran verbündeten Gruppierung unter Führung der Schiitenorganisation Hisbollah, die in einer Koaltion mit Hariri das Land zu regieren versucht.
Doch nun droht die in den nächsten Wochen erwartete Entscheidung des internationalen Tribunals zur Aufklärung des Mordes von Ex-Premier Rafik Hariri, Hauptverdächtige des Terroranschlages vom März 2005 zu nennen, nicht nur die Regierung, sondern das Land zu zerreißen. Kommentatoren und viele Bürger befürchten, sollte das Tribunal – wie vermutet – tatsächlich Mitglieder der Hisbollah anklagen, könnte im Libanon erneut ein blutiger Krieg zwischen Schiiten und Sunniten ausbrechen, mit Auswirkungen weit über die Grenzen des Landes hinaus.
Die „schlimmste politische Krise“, die der Libanon nach Ansicht heimischer Kommentatoren seit Jahren durchmacht, wird noch verschärft durch einen für Mittwoch und Donnerstag geplanten Besuch des iranischen Präsidenten, durch den Ahmadinedschad seine unverrückbare Unterstützung für Hisbollah und den verstärkten Einfluß des Irans über den kleinen Levantestaat demonstrieren will. Syrien, das den Rivalen im Vormachtstreben über dieses strategisch wichtige Land lieber auf Distanz hält, gelang es nach informierten Kreisen nicht, Ahmadinedschad zum Aufschub dieser Reise zu überreden.
„Alle befürchten, dass hier Schlimmes geschehen wird“, zeigt sich Hariris enger Verbündeter Mustapha Allouche höchst alarmiert. Er und seine „Koalition des 14. März“ sind davon überzeugt, dass Hisbollah und Syrien „alles versuchen“ würden, um die Arbeit des UN-Sondertribunals zu stoppen. Zehn Minister unterstützen Hisbollah-Chef Nasrallahs Bemühungen, die Finanzierung des Tribunals einzustellen. Eine Ministerstimme fehlt noch, um dieses Vorhaben durchzusetzen.
Wiewohl Hariri in einer dramatischen Kehrtwende offiziell Syriens Unschuld am Mord seines Vaters beteuerte, will er von der Einstellung der Arbeit des Sondertribunals nichts wissen. Auch sein saudischer Schutzpatron König Abdullah, der bei einem gemeinsamen Versöhnungsbesuch mit seinem Erzrivalen, Syriens Präsidenten Assad, im Sommer versprochen hatte, das Tribunal von einer offiziellen Anklage gegen Hisbollah-Angehörige abzubringen, konnte oder wollte seine Zusage nicht einhalten.
Nasrallah wittert hinter den Aktivitäten des Tribunals eine von Israel angezettelte Verschwörung, die seiner Organisation nun durch einen internationalen Schiedsspruch das Genick brechen soll, da dies der israelischen Armee mit Waffengewalt bis heute nicht gelang. Wiederholt bekräftigt der Hisbollah-Chef seine entschiedene Weigerung, Anhänger auszuliefern, sollte die internationalen Richter dies fordern. Ein Prozeß würde dann allerdings in absentia durchgeführt, mit zweifellos beträchtlichem Schaden für Hisbollahs Image. Im August hatte Nasrallah bei einer stundenlangen Pressekonferenz Videoaufnahmen präsentiert, die Israel als Auftraggeber des Mordes an Hariri und 22 anderen Libanesen entlarven sollten und er bezichtigt das Tribunal, Israel nicht in den Kreis der Verdächtigen einzubeziehen und seine Untersuchungen auf falsche Zeugenaussagen zu stützen. Mit dieser Frage soll sich heute, Dienstag, auch das Beiruter Kabinett befassen.
Syrien hatte vor wenigen Tagen Haftbefehle gegen 33 Personen, darunter nicht nur enge libanesische Vertraute Saad Hariris, prominente Richter, Offiziere, Politiker und Journalisten, sondern auch gegen den früheren deutschen UN-.Ermittler Detlev Mehlis und dessen Vertreter Gerhard Lehmann wegen falscher Zeugenaussagen erlassen. Damit will Damaskus, die Legitimität des Tribunals in Zweifel ziehen. Die Eskalation hat einen neuen Grad erreicht.
Bilquelle: www.faz.net
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von Birgit Cerha
Wieder erscheint drohend das Schreckgespenst des Bürgerkriegs auf dem libanesischen Horizont. Zorn über die heimischen Politiker und ausländischen Mächte, die traditionell ihre Interessen auf levantinischet Erde austragen, versetzt die Libanesen erneut in Panik. Waffenhändler berichten über stark ansteigende Nachfrage nach Gewehren und Pistolen. Vorerst entlädt sich die eskalierende Spannung in einem verschärften Krieg der Worte zwischen den politischen Hauptkontrahenten: der von Saudi-Arabien unterstützten Allianz um Regierungschef Saad Hariri auf der einen und der mit Syrien und Iran verbündeten Gruppierung unter Führung der Schiitenorganisation Hisbollah, die in einer Koaltion mit Hariri das Land zu regieren versucht.
Doch nun droht die in den nächsten Wochen erwartete Entscheidung des internationalen Tribunals zur Aufklärung des Mordes von Ex-Premier Rafik Hariri, Hauptverdächtige des Terroranschlages vom März 2005 zu nennen, nicht nur die Regierung, sondern das Land zu zerreißen. Kommentatoren und viele Bürger befürchten, sollte das Tribunal – wie vermutet – tatsächlich Mitglieder der Hisbollah anklagen, könnte im Libanon erneut ein blutiger Krieg zwischen Schiiten und Sunniten ausbrechen, mit Auswirkungen weit über die Grenzen des Landes hinaus.
Die „schlimmste politische Krise“, die der Libanon nach Ansicht heimischer Kommentatoren seit Jahren durchmacht, wird noch verschärft durch einen für Mittwoch und Donnerstag geplanten Besuch des iranischen Präsidenten, durch den Ahmadinedschad seine unverrückbare Unterstützung für Hisbollah und den verstärkten Einfluß des Irans über den kleinen Levantestaat demonstrieren will. Syrien, das den Rivalen im Vormachtstreben über dieses strategisch wichtige Land lieber auf Distanz hält, gelang es nach informierten Kreisen nicht, Ahmadinedschad zum Aufschub dieser Reise zu überreden.
„Alle befürchten, dass hier Schlimmes geschehen wird“, zeigt sich Hariris enger Verbündeter Mustapha Allouche höchst alarmiert. Er und seine „Koalition des 14. März“ sind davon überzeugt, dass Hisbollah und Syrien „alles versuchen“ würden, um die Arbeit des UN-Sondertribunals zu stoppen. Zehn Minister unterstützen Hisbollah-Chef Nasrallahs Bemühungen, die Finanzierung des Tribunals einzustellen. Eine Ministerstimme fehlt noch, um dieses Vorhaben durchzusetzen.
Wiewohl Hariri in einer dramatischen Kehrtwende offiziell Syriens Unschuld am Mord seines Vaters beteuerte, will er von der Einstellung der Arbeit des Sondertribunals nichts wissen. Auch sein saudischer Schutzpatron König Abdullah, der bei einem gemeinsamen Versöhnungsbesuch mit seinem Erzrivalen, Syriens Präsidenten Assad, im Sommer versprochen hatte, das Tribunal von einer offiziellen Anklage gegen Hisbollah-Angehörige abzubringen, konnte oder wollte seine Zusage nicht einhalten.
Nasrallah wittert hinter den Aktivitäten des Tribunals eine von Israel angezettelte Verschwörung, die seiner Organisation nun durch einen internationalen Schiedsspruch das Genick brechen soll, da dies der israelischen Armee mit Waffengewalt bis heute nicht gelang. Wiederholt bekräftigt der Hisbollah-Chef seine entschiedene Weigerung, Anhänger auszuliefern, sollte die internationalen Richter dies fordern. Ein Prozeß würde dann allerdings in absentia durchgeführt, mit zweifellos beträchtlichem Schaden für Hisbollahs Image. Im August hatte Nasrallah bei einer stundenlangen Pressekonferenz Videoaufnahmen präsentiert, die Israel als Auftraggeber des Mordes an Hariri und 22 anderen Libanesen entlarven sollten und er bezichtigt das Tribunal, Israel nicht in den Kreis der Verdächtigen einzubeziehen und seine Untersuchungen auf falsche Zeugenaussagen zu stützen. Mit dieser Frage soll sich heute, Dienstag, auch das Beiruter Kabinett befassen.
Syrien hatte vor wenigen Tagen Haftbefehle gegen 33 Personen, darunter nicht nur enge libanesische Vertraute Saad Hariris, prominente Richter, Offiziere, Politiker und Journalisten, sondern auch gegen den früheren deutschen UN-.Ermittler Detlev Mehlis und dessen Vertreter Gerhard Lehmann wegen falscher Zeugenaussagen erlassen. Damit will Damaskus, die Legitimität des Tribunals in Zweifel ziehen. Die Eskalation hat einen neuen Grad erreicht.
Bilquelle: www.faz.net
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Sonntag, 3. Oktober 2010
IRAK bricht einen Weltrekord
Doch in dem monatelangen Schachern um eine neue Regierung könnte sich allmählich ein erfolgreiches Ende abzeichnen – Preis und Risiken könnten hoch sein
von Birgit Cerha
Noch nie hatten politische Parteien nach Parlamentswahlen derart lange um die Bildung einer Regierung gestritten, wie in dem nach den Wünschen von Ex-Präsident Bush zum demokratischen Modell neu aufgebauten Irak. Am Wochenende brach Bagdad den bisher von den Holländern gehaltenen Weltrekord von 208-tägigen Koalitionsverhandlungen (1977).
Und dennoch zeichnet sich am düsteren Horizont über dem Zweistromland ein Hoffnungsschimmer ab. Die Entscheidung des radikalen anti-amerikanischen Schiitengeistlichen Moktada Sadr, den bisherigen Premier Nuri al Maliki, für eine zweite Amtsperiode zu küren, könnte einen Ausweg aus der endlos erscheinenden Sackgasse weisen. Iraks demokratische Odyssee ist einzigartig. Es hatte bereits drei Monate gedauert, bis die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 7. März nach unzähligen Beschwerden offiziell bestätigt werden konnten. Mit einem Vorsprung von nur zwei Mandaten siegte der säkulare schiitische Ex-Premier Allawi mit seiner überwiegend von arabischen Sunniten unterstützten „Al-Irakija“ vor Malikis „Rechtsstaat“-Allianz. Daraufhin begann ein Feilschen, bei dem sich die politischen Führer immer wieder fatal im Kreis drehten. Die beiden Hauptrivalen und Sieger Maliki und Allawi weigerten sich hartnäckig, zum Wohl des von erneutem Terror bedrohten Landes eine Regierungskoalition einzugehen oder auf ihre persönliche Macht zu verzichten. Beide konnten bis heute nicht genügend Parteien und Abgeordnete für eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament hinter sich scharen. Maliki, der in seiner ersten Amtsperiode beängstigende Tendenzen zum Diktator zeigte, hat sich selbst unter seinen schiitischen Glaubensbrüdern viele Feinde geschaffen.
Nun brach ausgerechnet Sadr das Patt und stieg zum Königmacher auf. Der Geistliche, den vor allem die Amerikaner für ein beträchtliches Maß an Gewalt seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 verantwortlich machen und der sich seit 2007 im iranischen Exil aufhält, vollzog eine radikale Kehrtwende, vergatterte seine Anhänger hinter sich und nominierte Maliki für eine zweite Amtsperiode. Bis dahin hatte Sadr den ehrgeizigen Premier als seinen Erzfeind verteufelt, riefen Sadristen bei Kundgebungen immer wieder nach Malikis Tod. Denn viele Sadristen waren gestorben, als Maliki in gemeinsamen Operationen mit US-Militärs Sadrs Mehdi-Miliz und dessen arabische Sunniten mordenden „Todesschwadronen“ u.a. in Basra und Bagdad 2008 das Handwerk gelegt hatte. Ob Sadr tatsächlich Rebellionen in seiner Gruppierung gegen diesen aus machtpolitischem Pragmatismus geborenen „Pakt mit dem Satan“ zu unterdrücken mag, bleibt vorerst dahingestellt.
Die Entscheidung dürfte aber den politischen Aufstieg dieses einst von den Amerikanern wegen Mordes gesuchten Geistlichen markieren, der, ungeachtet seines erzwungenen Exils bei den Parlamentswahlen einen eindrucksvollen Wahlerfolg erzielen und seine wachsende Stärke unter den schiitischen Massen beweisen konnte. Wenn erst ab Ende 2011 die Amerikaner das Land verlassen haben werden, so betonte am Wochenende ein Sprecher Sadrs, dann stünde dem weiteren Aufstieg dieser politischen Gruppierung bis zum Posten des Premiers nichts mehr im Wege – eine Aussicht, die Washington irritieren muss.. Vorerst will sich der Geistliche aber mit wichtigen Ministerien, etwa in den Bereichen Öl oder Infrastruktur begnügen, um seine Anhängerschar weiter zu stärken.
Bei Sadrs Kehrtwende dürfte vor allem auch dessen iranischer Gönner eine wichtige Rolle gespielt haben. Teheran geht es vor allem darum, Iraks zerstrittene Schiiten zu einen, die Macht und sich damit dominierenden Einfluss zu sichern. Malikis lange vergebliche Suche nach Koalitionspartnern hat den Schiiten, der sich zunehmend als unabhängigen irakischen Nationalisten präsentiert hatte, offenbar erneut in die Arme des Irans getrieben.
Maliki, der sich durch seinen Bund mit Sadr offen US-Wünschen widersetzt, (was durchaus in den Augen vieler Iraker ein Vorzug sein mag) hat aber nur einen Teilsieg errungen. Noch fehlen der Koalition vier Mandate für eine regierungsfähige Mehrheit und die mächtige „Irakija“ hat ihre Opposition bereits angekündigt, während Allawi weiter nach Partnern für eine Regierung unter seiner Führung sucht. Der Block der Kurden hat unterdessen seine Unterstützung einer zweiten Amtszeit Malikis angedeutet, doch will dafür einen ökonomischen und territorialen (größere Kontrolle Ölstadt Kirkuk) Preis einfordern.
Laut Verfassung muss das Parlament als nächstes den Staatspräsidenten wählen, der dann die Regierung bestellt. Wer dieses höchste Amt bekleiden soll, ist ebenfalls höchst umstritten. Eine Wiederwahl des Kurden Jalal Talabani zählt zu den Hauptbedingungen der Kurden, die vor allem arabische Sunniten ebenso ablehnen, wie Kompromisse um Kirkuk. Viele Hürden liegen noch auf dem Weg einer Regierung Maliki-Sadr. Schließt diese die Mehrheit der arabischen Sunniten, die Allawi ihr Vertrauen geschenkt hatten, aus, dann liefert sie das Rezept für eine neue Periode der Instabilität und Gewalt.
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von Birgit Cerha
Noch nie hatten politische Parteien nach Parlamentswahlen derart lange um die Bildung einer Regierung gestritten, wie in dem nach den Wünschen von Ex-Präsident Bush zum demokratischen Modell neu aufgebauten Irak. Am Wochenende brach Bagdad den bisher von den Holländern gehaltenen Weltrekord von 208-tägigen Koalitionsverhandlungen (1977).
Und dennoch zeichnet sich am düsteren Horizont über dem Zweistromland ein Hoffnungsschimmer ab. Die Entscheidung des radikalen anti-amerikanischen Schiitengeistlichen Moktada Sadr, den bisherigen Premier Nuri al Maliki, für eine zweite Amtsperiode zu küren, könnte einen Ausweg aus der endlos erscheinenden Sackgasse weisen. Iraks demokratische Odyssee ist einzigartig. Es hatte bereits drei Monate gedauert, bis die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 7. März nach unzähligen Beschwerden offiziell bestätigt werden konnten. Mit einem Vorsprung von nur zwei Mandaten siegte der säkulare schiitische Ex-Premier Allawi mit seiner überwiegend von arabischen Sunniten unterstützten „Al-Irakija“ vor Malikis „Rechtsstaat“-Allianz. Daraufhin begann ein Feilschen, bei dem sich die politischen Führer immer wieder fatal im Kreis drehten. Die beiden Hauptrivalen und Sieger Maliki und Allawi weigerten sich hartnäckig, zum Wohl des von erneutem Terror bedrohten Landes eine Regierungskoalition einzugehen oder auf ihre persönliche Macht zu verzichten. Beide konnten bis heute nicht genügend Parteien und Abgeordnete für eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament hinter sich scharen. Maliki, der in seiner ersten Amtsperiode beängstigende Tendenzen zum Diktator zeigte, hat sich selbst unter seinen schiitischen Glaubensbrüdern viele Feinde geschaffen.
Nun brach ausgerechnet Sadr das Patt und stieg zum Königmacher auf. Der Geistliche, den vor allem die Amerikaner für ein beträchtliches Maß an Gewalt seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 verantwortlich machen und der sich seit 2007 im iranischen Exil aufhält, vollzog eine radikale Kehrtwende, vergatterte seine Anhänger hinter sich und nominierte Maliki für eine zweite Amtsperiode. Bis dahin hatte Sadr den ehrgeizigen Premier als seinen Erzfeind verteufelt, riefen Sadristen bei Kundgebungen immer wieder nach Malikis Tod. Denn viele Sadristen waren gestorben, als Maliki in gemeinsamen Operationen mit US-Militärs Sadrs Mehdi-Miliz und dessen arabische Sunniten mordenden „Todesschwadronen“ u.a. in Basra und Bagdad 2008 das Handwerk gelegt hatte. Ob Sadr tatsächlich Rebellionen in seiner Gruppierung gegen diesen aus machtpolitischem Pragmatismus geborenen „Pakt mit dem Satan“ zu unterdrücken mag, bleibt vorerst dahingestellt.
Die Entscheidung dürfte aber den politischen Aufstieg dieses einst von den Amerikanern wegen Mordes gesuchten Geistlichen markieren, der, ungeachtet seines erzwungenen Exils bei den Parlamentswahlen einen eindrucksvollen Wahlerfolg erzielen und seine wachsende Stärke unter den schiitischen Massen beweisen konnte. Wenn erst ab Ende 2011 die Amerikaner das Land verlassen haben werden, so betonte am Wochenende ein Sprecher Sadrs, dann stünde dem weiteren Aufstieg dieser politischen Gruppierung bis zum Posten des Premiers nichts mehr im Wege – eine Aussicht, die Washington irritieren muss.. Vorerst will sich der Geistliche aber mit wichtigen Ministerien, etwa in den Bereichen Öl oder Infrastruktur begnügen, um seine Anhängerschar weiter zu stärken.
Bei Sadrs Kehrtwende dürfte vor allem auch dessen iranischer Gönner eine wichtige Rolle gespielt haben. Teheran geht es vor allem darum, Iraks zerstrittene Schiiten zu einen, die Macht und sich damit dominierenden Einfluss zu sichern. Malikis lange vergebliche Suche nach Koalitionspartnern hat den Schiiten, der sich zunehmend als unabhängigen irakischen Nationalisten präsentiert hatte, offenbar erneut in die Arme des Irans getrieben.
Maliki, der sich durch seinen Bund mit Sadr offen US-Wünschen widersetzt, (was durchaus in den Augen vieler Iraker ein Vorzug sein mag) hat aber nur einen Teilsieg errungen. Noch fehlen der Koalition vier Mandate für eine regierungsfähige Mehrheit und die mächtige „Irakija“ hat ihre Opposition bereits angekündigt, während Allawi weiter nach Partnern für eine Regierung unter seiner Führung sucht. Der Block der Kurden hat unterdessen seine Unterstützung einer zweiten Amtszeit Malikis angedeutet, doch will dafür einen ökonomischen und territorialen (größere Kontrolle Ölstadt Kirkuk) Preis einfordern.
Laut Verfassung muss das Parlament als nächstes den Staatspräsidenten wählen, der dann die Regierung bestellt. Wer dieses höchste Amt bekleiden soll, ist ebenfalls höchst umstritten. Eine Wiederwahl des Kurden Jalal Talabani zählt zu den Hauptbedingungen der Kurden, die vor allem arabische Sunniten ebenso ablehnen, wie Kompromisse um Kirkuk. Viele Hürden liegen noch auf dem Weg einer Regierung Maliki-Sadr. Schließt diese die Mehrheit der arabischen Sunniten, die Allawi ihr Vertrauen geschenkt hatten, aus, dann liefert sie das Rezept für eine neue Periode der Instabilität und Gewalt.
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