Freitag, 22. Oktober 2010

GOLFSTAATEN: Bahrains Tanz auf dem Vulkan

Die dritten Parlamentswahlen des winzigen Königreiches signalisieren explosive soziale Spannungen.

von Birgit Cerha

Es soll ein „Fest der Demokratie“ werden, wenn heute, Samstag, die Bürger des internationalen Bankenzentrums Bahrain ein neues Parlament wählen. So zumindest lautet der offiziell verkündete Wunsch von Justizminister Scheich Khalid al-Khalifa. In Wahrheit rückt das winzige Königreich am Persischen Golf der Erfüllung solcher Träume immer ferner. Die Wahlkampagne entlarvte vielmehr Weltöffentlichkeit eine erschreckende Farce, zu der Bahrains Demokratieanspruch entartet ist. Und sie signalisiert auch bedrohlich tiefe soziale Spannungen in diesem nur eine Million Bewohner (mehr als 50 Prozent davon nicht-wahlberechtigte Ausländer) zählenden Land. Diese sozialen Konflikte, verschärft durch gravierende Menschenrechtsverletzungen, verleihen den Wahlen eine Bedeutung für die gesamte Region, illustrieren dramatisch die Gefahren, die nicht nur Bahrain, sondern auch anderen politisch ähnlich strukturierten Ölmonarchien am Persischen Golf drohen könnten.
Untereinander zerstrittne sunnitische Islamisten könnten bei den Wahlen zum 40-köpfigen Parlament empfindliche Verluste zugunsten von regierungstreuen unabhängigen Kandidaten erleiden. An der Mehrheit für die herrschenden Al-Khalifas dürfte sich wenig ändern. Dafür sorgte das Königshaus seit vielen Wochen durch massive Repressionen. Liberale Medien, Blogs, zivile und Menschenrechts-Organisationen wurden geschlossen, die lautesten Kritiker des Königshauses durch Verhaftungen zum Schweigen gebracht, andere massiv eingeschüchtert. Ein Prozess gegen 25 prominente Oppositionelle und Blogger, die meisten im August und September verhaftet, andere durch Auslandsaufenthalte den Fängen der Justiz entschlüpft, soll am 28. Oktober beginnen. Prozesse gegen andere werden folgen. An die 300 Regimekritiker wurden nach Schätzungen von Human Rights Watch in den vergangenen Wochen festgenommen. Genaue Zahlen gibt es keine. Berichte über intensive Folter dringen an die Öffentlichkeit. Zahlreiche Inhaftierte gehören Oppositionsgruppen an, die die Regierung als illegal betrachtet und die einen Boykott der Wahlen propagieren.

„Unter den gegenwärtigen Umständen erscheint es schwer vorstellbar, dass diese Wahlen die Grundvoraussetzungen von Fairness – wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit – erfüllen“, klagt Joe Stork, Chef der Mittelost-Abteilung von „Human Rights Watch“. Die gegenüber den letzten Wahlen 2006 von 207 auf 146 geschrumpfte Zahl der Kandidaten spricht für sich. Fast zwei Drittel der Bewerber sind (regimetreue) „Unabhängige“, der Rest gehört der schiitischen „Al-Wefaq“-Organisation sowie zwei regierungstreuen sunnitischen Gruppierungen an. „Das System ist kugelsicher gegen demokratischen Fortschritt“, erklärt der Linkspolitiker Ebrahim Sharif die große politische Apathie.



Dabei hatte US-Präsident George Bush den engen Verbündeten Bahrain (der der Fünften Flotte der US-Marine einen Stützpunkt bietet) vor zehn Jahren als „demokratisches Modell“ für andere Nahost-Staaten gepriesen. Als Hamad bin Issa 1999 die Macht übernahm, leitete er einen Reformprozeß ein, der mit der Aufhebung der repressiven „Staats-Sicherheitsgesetze“ begann, der Verabschiedung einer „Nationalen Aktions-Charta“ und der Umwandlung des Emirats in eine „Konstitutionelle Monarchie“ mit einem gewählten Parlament. Doch schon 2002 wurden solche Liberalisierungen durch eine Verfassungsänderung zunichte gemacht, die einem vom König ernannten 40-köpfigen Konsultativ-Rat absolute Vetomacht über alle vom Parlament verabschiedeten Gesetze sicherte. Vier überwiegend schiitische Oppositionsgruppen boykottierten daraufhin die Parlamentswahlen von 2002. „Bahrain erlebt eine Rückkehr zum totalen Autoritarismus“, analysiert Stork.

Es herrscht ein Klima allgemeiner Unzufriedenheit und Frustration. Die durch die sunnitischen Herrscher diskriminierte schiitische Bevölkerungsmehrheit von 60 bis 70 Prozent sieht keine Chance auf ein Ende ihres Daseins als „Bürger zweiter Klasse“, die weitgehend von der sozialen und politischen Entwicklung des Landes ausgeschlossen bleiben. Jüngste öffentliche Protestkundgebungen wurden vom Regime als iranische Subversionsversuche gebrandmarkt, womit sich das Königshaus die Sympathie des amerikanischen Verbündeten angesichts der Repressionen zu sichern suchte, wohl mit einigem Erfolg. Zugleich heizt ein Einbürgerungsprogramm von mehr als 200.000 Sunniten aus Jordanien, Saudi-Arabien und Syrien die sozialen Spannungen massiv auf, zielt es doch auf eine entscheidende Stärkung der herrschenden sunnitischen Minderheit durch größeren Anteil an der Gesamtbevölkerung, wie auch die Bildung eines dem Regime absolut loyal eingestellten Blocks ab. Viele dieser neuen Bürger finden Anstellung im Militär und in den internen Sicherheitsdiensten, aus denen Schiiten systematisch ausgeschlossen sind.

Die allgemeine Unzufriedenheit wird aber auch durch ökonomische und soziale Probleme verschärft. Bahrains Ölerträge haben sich im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht, doch ein großer Teil der Bevölkerung, insbesondere die Schiiten, bleibt von diesem Segen ausgeschlossen und leidet unter wachsender Arbeitslosigkeit. Rund 50.000 Familien stehen auf einer Regierungsliste für leistbare Wohnungen. Nicht wenige warten darauf schon seit zwei Jahrzehnten.

Das Regime tanzt auf einem Vulkan. „Das gesamte System muß reformiert werden“, meint Sharif. „Doch jene, die die Macht haben, sind dazu nicht bereit.“ Damit würden sich die sozialen Ungerechtigkeiten verschärfen und eine Massenrebellion sei unausweichlich.

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