Doch in dem monatelangen Schachern um eine neue Regierung könnte sich allmählich ein erfolgreiches Ende abzeichnen – Preis und Risiken könnten hoch sein
von Birgit Cerha
Noch nie hatten politische Parteien nach Parlamentswahlen derart lange um die Bildung einer Regierung gestritten, wie in dem nach den Wünschen von Ex-Präsident Bush zum demokratischen Modell neu aufgebauten Irak. Am Wochenende brach Bagdad den bisher von den Holländern gehaltenen Weltrekord von 208-tägigen Koalitionsverhandlungen (1977).
Und dennoch zeichnet sich am düsteren Horizont über dem Zweistromland ein Hoffnungsschimmer ab. Die Entscheidung des radikalen anti-amerikanischen Schiitengeistlichen Moktada Sadr, den bisherigen Premier Nuri al Maliki, für eine zweite Amtsperiode zu küren, könnte einen Ausweg aus der endlos erscheinenden Sackgasse weisen. Iraks demokratische Odyssee ist einzigartig. Es hatte bereits drei Monate gedauert, bis die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 7. März nach unzähligen Beschwerden offiziell bestätigt werden konnten. Mit einem Vorsprung von nur zwei Mandaten siegte der säkulare schiitische Ex-Premier Allawi mit seiner überwiegend von arabischen Sunniten unterstützten „Al-Irakija“ vor Malikis „Rechtsstaat“-Allianz. Daraufhin begann ein Feilschen, bei dem sich die politischen Führer immer wieder fatal im Kreis drehten. Die beiden Hauptrivalen und Sieger Maliki und Allawi weigerten sich hartnäckig, zum Wohl des von erneutem Terror bedrohten Landes eine Regierungskoalition einzugehen oder auf ihre persönliche Macht zu verzichten. Beide konnten bis heute nicht genügend Parteien und Abgeordnete für eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament hinter sich scharen. Maliki, der in seiner ersten Amtsperiode beängstigende Tendenzen zum Diktator zeigte, hat sich selbst unter seinen schiitischen Glaubensbrüdern viele Feinde geschaffen.
Nun brach ausgerechnet Sadr das Patt und stieg zum Königmacher auf. Der Geistliche, den vor allem die Amerikaner für ein beträchtliches Maß an Gewalt seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 verantwortlich machen und der sich seit 2007 im iranischen Exil aufhält, vollzog eine radikale Kehrtwende, vergatterte seine Anhänger hinter sich und nominierte Maliki für eine zweite Amtsperiode. Bis dahin hatte Sadr den ehrgeizigen Premier als seinen Erzfeind verteufelt, riefen Sadristen bei Kundgebungen immer wieder nach Malikis Tod. Denn viele Sadristen waren gestorben, als Maliki in gemeinsamen Operationen mit US-Militärs Sadrs Mehdi-Miliz und dessen arabische Sunniten mordenden „Todesschwadronen“ u.a. in Basra und Bagdad 2008 das Handwerk gelegt hatte. Ob Sadr tatsächlich Rebellionen in seiner Gruppierung gegen diesen aus machtpolitischem Pragmatismus geborenen „Pakt mit dem Satan“ zu unterdrücken mag, bleibt vorerst dahingestellt.
Die Entscheidung dürfte aber den politischen Aufstieg dieses einst von den Amerikanern wegen Mordes gesuchten Geistlichen markieren, der, ungeachtet seines erzwungenen Exils bei den Parlamentswahlen einen eindrucksvollen Wahlerfolg erzielen und seine wachsende Stärke unter den schiitischen Massen beweisen konnte. Wenn erst ab Ende 2011 die Amerikaner das Land verlassen haben werden, so betonte am Wochenende ein Sprecher Sadrs, dann stünde dem weiteren Aufstieg dieser politischen Gruppierung bis zum Posten des Premiers nichts mehr im Wege – eine Aussicht, die Washington irritieren muss.. Vorerst will sich der Geistliche aber mit wichtigen Ministerien, etwa in den Bereichen Öl oder Infrastruktur begnügen, um seine Anhängerschar weiter zu stärken.
Bei Sadrs Kehrtwende dürfte vor allem auch dessen iranischer Gönner eine wichtige Rolle gespielt haben. Teheran geht es vor allem darum, Iraks zerstrittene Schiiten zu einen, die Macht und sich damit dominierenden Einfluss zu sichern. Malikis lange vergebliche Suche nach Koalitionspartnern hat den Schiiten, der sich zunehmend als unabhängigen irakischen Nationalisten präsentiert hatte, offenbar erneut in die Arme des Irans getrieben.
Maliki, der sich durch seinen Bund mit Sadr offen US-Wünschen widersetzt, (was durchaus in den Augen vieler Iraker ein Vorzug sein mag) hat aber nur einen Teilsieg errungen. Noch fehlen der Koalition vier Mandate für eine regierungsfähige Mehrheit und die mächtige „Irakija“ hat ihre Opposition bereits angekündigt, während Allawi weiter nach Partnern für eine Regierung unter seiner Führung sucht. Der Block der Kurden hat unterdessen seine Unterstützung einer zweiten Amtszeit Malikis angedeutet, doch will dafür einen ökonomischen und territorialen (größere Kontrolle Ölstadt Kirkuk) Preis einfordern.
Laut Verfassung muss das Parlament als nächstes den Staatspräsidenten wählen, der dann die Regierung bestellt. Wer dieses höchste Amt bekleiden soll, ist ebenfalls höchst umstritten. Eine Wiederwahl des Kurden Jalal Talabani zählt zu den Hauptbedingungen der Kurden, die vor allem arabische Sunniten ebenso ablehnen, wie Kompromisse um Kirkuk. Viele Hürden liegen noch auf dem Weg einer Regierung Maliki-Sadr. Schließt diese die Mehrheit der arabischen Sunniten, die Allawi ihr Vertrauen geschenkt hatten, aus, dann liefert sie das Rezept für eine neue Periode der Instabilität und Gewalt.
Sonntag, 3. Oktober 2010
IRAK bricht einen Weltrekord
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