Unter den zunehmend frustrierten und unterdrückten Süd-Jemeniten fassen auch Extremsiten der Al-Kaida verstärkt Fuß - Droht ein neuer Sezessionskrieg?
von Birgit Cerha
Panzerfahrzeuge rollen durch die staubigen Straßen der südjemenitischen Provinz Abyan, während die staatliche Luftwaffe Bombeneinsätze fliegt. Unzählige Menschen kamen ums Leben. Ob darunter auch Terroristen der Al-Kaida sind, gegen die sich dieser Großeinsatz der jemenitischen Streitkräfte richtet, ist ungewiß. Denn die Extremisten von der heimischen Bevölkerung zu unterscheiden, die ihnen Unterschlupf bietet, erweist sich als zunehmend schwierig.
Die jüngste Regierungsoffensive ist eine Antwort auf einen Überfall von mutmaßlichen Al-Kaida Terroristen auf einen Militärkonvoi, bei dem mindestens vier jemenitischen Soldaten ums Leben gekommen waren. Nachdem Präsident Saleh jahrelang amerikanischem Druck getrotzt und Angehörige des Terrornetzwerks Osama Bin Ladens, die zunehmend in seinem Land Unterschlupf fanden, nur halbherzig oder gar nicht verfolgt hatte, sieht er sich nun voll in einen Krieg mit diesen Terroristen hineingezogen. Die Extremisten haben Jemens Sicherheitskräfte zu ihrem primären Ziel erkoren, seit diese mit US-Militärunterstützung ihnen immer wieder gewaltsam zu Leibe rücken.
Die Terroristen, darunter auch viele aus Afghanistan, Pakistan oder dem benachbarten Saudi-Arabien geflüchtete Nicht-Jemeniten, finden ein ideales Rückzugsfeld in dem zunehmend staatlicher Kontrolle entgleitenden Süd-Jemen. Zwei Jahrzehnte, nachdem die Menschen im Norden und Süden des einst von den Römern „Arabia felix“ getauften Jemen sich einen „historischen Traum“ (so der ehemalige Präsident der „Volksdemokratischen Republik Jemen“, Ali Nasser Mohammed) erfüllt hatten (siehe Archiv: „Die Erzfeinde haben sich in die Arme geschlossen“. „Die Weltwoche“, 5.7.1990) wachsen unter den Süd-Jemeniten Enttäuschung, Bitterkeit, ja gar Zorn gegen den sie nach einem blutigen Bürgerkrieg (siehe Archiv: „Am Tor der Tränen kehrt die Ruhe der Toten ein“) dominierenden Norden. Die Spannungen nähern sich dem Siedepunkt. Immer wieder kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Separatisten und Regierungstruppen. Tausende Menschen wurden nach Attacken durch Regierungseinheiten aus ihren Dörfern vertrieben. Tausende protestierten wiederholt gegen die „barbarischen Militärkampagnen der Besatzungestruppen“ (des Nordens). Dabei richten die Menschen immer wieder Appelle an die internationale Gemeinschaft, doch zu „intervenieren, um das Problem des Süd-Jemen zu lösen“, denn nur dann könne auch die Stabilität dieses strategisch so wichtigen Landes insgesamt gesichert werden.
Lose miteinander verbundene süd-jemenitische Gruppen, die eine erneute Sezession erstreben, erhielten enormen Auftrieb, als sich ein prominenter Verbündeter Präsident Salehs, Tariq Fadhli, im Vorjahr den Separatisten anschloss. Fadhli hatte einst an der Seite Osama bin Ladens in Afghanistan gegen die sowjetische Besatzung gekämpft, präsentierte sich jedoch vor wenigen Monaten auf einem YouTube Video mit der amerikanischen Flagge im Hintergrund, begierig zu beweisen, dass er sich voll von Al-Kaida distanziert. Er ruft offen nach erneuter Loslösung des Südens vom Norden, einem Ziel, für das er – wohl vergeblich – auf US-Unterstützung hofft und dem sich nach einer Umfrage des „Yemen Center for Civil Rights“ bis zu 70 Prozent der Süd-Jemeniten anschließen.
Die Beschwerdeliste gegen den Norden ist lang. Seit der Vereinigung und insbesondere seit dem vom Norden gewonnenen Bürgerkrieg 1994 fühlen sich die Süd-Jemeniten als „Bürger zweiter Klasse“ im vereinten Jemen. Die Arbeitslosigkeit stieg in nie zuvor gekannte Höhen. Viele Süd-Jemeniten fühlen sich abgeschnitten von den Dienstleistungen der Zentralregierung, besitzen keine Chance auf Stellen im öffentlichen Dienst und sind zunehmend empört über den wachsenden Einfluss der Zentralregierung auf ihre lokale Administration. Zu den wichtigsten Forderungen an Sanaa zählen Gleichberechtigung im Staat, Dezentralisierung und gerechter Anteil an der sozialen Wohlfahrt. Insbesondere empört die Süd-Jemeniten, dass die Regierung wertvolles Land an Bürger aus dem Norden mit engen Bindungen an das Regime Saleh verschachert und die Hauptgewinne aus den im Süden liegenden Ölquellen einstreift. Auch der Niedergang der einst prosperierenden und liberalen Hafenstadt Aden durch Bestimmungen, die Aden die volle Kontrolle über jede Geschäftstätigkeit sichern, grämt die Süd-Jemeniten. Hinzu kommen massive Repressionen des Regimes gegen Bürger, die sich über all diese Ungerechtigkeiten gewaltlos empören. Eine allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen in diesem einst liberalen Land, dem Fundamentalisten aus dem Norden puritanische Vorschriften teils gewaltsam aufzuzwingen suchen, trägt entscheidend zur allgemeinen Unzufriedenheit bei.
In den vergangenen drei Jahren war die Separatistenbewegung durch interne Differenzen und widersprüchliche Ziele gespalten. Doch die wachsende Not und Frustration der Menschen beginnt diese Spaltungen zu kitten. „Ich glaube, Gewalt ist unvermeidlich“, meint ein Separatistenführer, die lieber ungenannt bleiben will, „zu viele Verhaftungen, zu viele Tote, zu viel Ungerechtigkeit. Und Männer der 1994 aufgelösten süd-jemenitische Armee halten daheim noch ihre Waffen zu erneutem Einsatz bereit. „Süd-Arabien“ soll das Land heißen, das sich viele ersehnen.
Bildquelle: AFP
Dienstag, 19. Oktober 2010
JEMEN: Sehnsucht nach „Süd-Arabien“
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